AUF DEN SPUREN DES FRÜHEN CHRISTENTUMS

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AUF DEN SPUREN DES FRÜHEN CHRISTENTUMS EXKURSION NACH ROM, 17-25/03/2013 PROF. DR. JENS SCHRÖTER LEHRSTUHL FÜR EXEGESE UND THEOLOGIE DES NEUEN TESTAMENT HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN

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AUF DEN SPUREN DES FRÜHEN CHRISTENTUMS

EXKURSION NACH ROM, 17-25/03/2013

PROF. DR. JENS SCHRÖTER

LEHRSTUHL FÜR EXEGESE UND

THEOLOGIE DES NEUEN TESTAMENT

HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN

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VORWORTPROF. DR. JENS SCHRÖTER, HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN

Auf den folgenden Seiten wird die Studienfahrt dokumentiert, die vom 17. bis zum 25. März 2013 von einer Gruppe von Studierenden und Promo-vierenden der Theologischen Fakultät der Hum-boldt-Universität nach Rom durchgeführt wurde. Vorausgegangen war ein vorbereitendes Seminar im Wintersemester 2012/13, in dem wir uns mit der Geschichte Roms, Orten und Gebäuden der römi-schen Kaiserzeit sowie mit der gegenwärtigen Situ-ation des Christentums in Rom befassten.

Schwerpunkt des Seminars sowie der Studien-fahrt waren zum einen das antike Rom als histo-rischer Kontext der Entstehung des Christentums, zum anderen die Chancen und Herausforderungen, die das Rom der Gegenwart für das Christentum der verschiedenen Konfessionen und Denominati-

onen darstellt. Im Blick auf den erstgenannten Be-reich standen Bauwerke wie die großen Thermen der Kaiser Trajan, Caracalla und Diocletian, die Domus Aurea, das Kolosseum, das Forum Roma-num, der Palatin, das Kapitol, das Pantheon, die zu den Vatikanischen Museen gehörigen Sammlungen des Pio Cristiano und Pio Clementino sowie die antike Hafenstadt Ostia auf dem Programm. Die Beschäftigung mit diesen Stätten vermittelte einen lebendigen Eindruck der Geschichte Roms in der Kaiserzeit als einem Ort, an dem der christliche Glaube bereits in sehr früher Zeit Fuß gefasst hatte. Dem Römerbrief des Apostels Paulus lässt sich ent-nehmen, dass die stadtrömischen Gemeinden um die Mitte der 50er Jahre des ersten Jahrhunderts so fest etabliert waren, dass er sie darum bitten konnte, ihn bei seiner in Aussicht genommenen Spanien-mission zu unterstützen. Die zunehmend wichtige Rolle der stadtrömischen Gemeinde wird sodann durch weitere christliche Schriften vom Ende des ersten sowie aus dem zweiten Jahrhundert bestätigt, etwa durch den 1. Klemensbrief oder die Schriften Markions und Justins.

Auf unserer Studienfahrt standen im Blick auf das antike Christentum Kirchen wie San Clemen-te, Santa Maria in Cosmedin, Santa Maria Maggi-ore und Santa Sabina sowie die Katakomben un-ter Sankt Peter und San Sebastiano im Zentrum. Sie vermitteln einen anschaulichen Eindruck von spätantiken christlichen Bauten im Basilika-Stil und führen im Fall der unter San Clemente entdeckten Räume möglicherweise sogar zurück bis zu einer bereits im 2. Jahrhundert genutzten Hauskirche.

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Die Situation des gegenwärtigen Chris-tentums wurde durch Begegnungen mit dem Dekan der Evangelisch-lutherischen Kirche Italiens, Pfarrer Holger Milkau, und Monsig-nore Matthias Türk vom Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen ebenso lebendig wie durch Besuche in der Fakultät der Waldenser und der deutschen evangelischen Gemeinde Roms. Gemeinsam mit Pfarrer Jens-Martin Kruse gestalteten wir in der evangelischen Christuskirche den Gottesdienst am Sonntag Palmarum.

Fachkundige Führungen von Spezialisten wie Prof. Dr. Klaus Freyberger auf dem Forum Romanum und Prof. Dr. Arnold Esch und sei-

ner Frau in Ostia Antica trugen dazu bei, dass die Studienfahrt zu einem besonderen Erlebnis wurde, das die Geschichte des Christentums an einem seiner zentralen Orte lebendig werden ließ. Die vorliegende Dokumentation vollzieht dies in Ausführungen zu den einzelnen Orten und Gebäuden sowie in Berichten zu Begeg-nungen auf der Studienfahrt im Einzelnen nach. Allen, die daran mitgewirkt haben, sein ein herzlicher Dank ausgesprochen, in beson-derer Weise denen, die sich um die Gestaltung des Berichtes bemüht haben!

Ihr Prof. Dr. Jens Schröter

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INHALTBAUTEN DER RÖMISCHEN KAISERZEIT 7FLORIAN PRIESEMUTH UND MILENA HASSELMANN

SAN CLEMENTE & MEHR 13KATHARINA ENDE UND LEEN FRITZ

FORUM ROMANUM 19MIRIAM WOJAKOWSKA

DIE ANFÄNGE ROMS: VON DER GRÜNDUNG BIS ZUR KAISERZEIT 22MARIA SCHULZ

KAPITOL 28KASPAR RENNER

DIE KAISERFOREN 32SEVERIN BRODERSEN

DIE VATIKANISCHEN MUSEEN 37CHRISTINE JACOBI UND FRIEDERIKE KUNATH

„LUX LUCET IN TENEBRIS“ 45ALEXANDER DIETZ

OSTIA ANTICA 51SOPHIE KOTTSIEPER

„EVANGELISCH IN ROM“ 56KRISTINA HAGEN

DER ÖKUMENISCHE DIALOG: CHANCEN UND GRENZEN 63JOHANNES NONNENBROICH UND SIMON BERNINGER

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BAUTEN DER RÖMISCHEN KAISERZEIT FLORIAN PRIESEMUTH

In der römischen Kaiserzeit sollten die Bau-werke der Stadt Roms die Macht und den Ein-fluss des römischen Imperiums wiederspiegeln. So gehörte die bauliche Ausgestaltung Roms zu den Aufgaben der Kaiser. Anders als bei den Hellenen war in der römischen Architektur ne-ben der Schönheit auch immer die Funktionali-tät der Gebäude im Blick.

Domus AureaNach dem Brand Roms 64 n. Chr. ließ Nero

einen großen Palastkomplex, den Sueton wie folgt beschreibt, erbauen: „Sein Vestibulum war dergestalt, dass in ihm eine Kolossalstatue mit seinen Gesichtszügen stand, 120 Fuß hoch; es war von solcher Größe, dass die dreifache Säu-lenhalle eine Ausdehnung von einer Meile be-saß; ebenso fand sich darin ein See wie ein Meer, umgeben von Gebäuden, die den Anblick einer Stadt boten; zudem gab es abwechselnd Felder, Eingärten, Weiden und Parks, mit einer Menge von Vieh und wilden Tieren jeder Art. In den übrigen Teilen des Hauses war alles mit Gold, ausgesuchten Edelsteinen und Perlmutt ausge-legt; die Speisezimmer waren mit beweglichen Platten aus Elfenbein eingedeckt, und mit Röh-ren, um Parfüm darüber (über die Speisenden) auszugießen; vor allem einen runden Speisesaal, der sich ständig, Tag und Nacht drehte wie das Weltall; die Bäder waren mit Meerwasser oder Wasser aus der Albaquelle gespeist. Als er das so ausgestaltete Haus nach seiner Vollendung ein-weihte, soll er seine Zufriedenheit dadurch aus-

gedrückt haben, dass er sagte, nunmehr könne er anfangen, wie ein Mensch zu leben.“1 Nach Neros Tod wurde der Palast weitgehend um-gebaut. Zwischen 1999 und 2005 waren einige freigelegte Teile am Esquilinhang zu besichti-gen.

TrajansthermenDie Kaiserthermen auf dem Monte Oppio

(errichtet ca. 104-109 n. Chr.) sind neben den Ti-tus- Thermen gelegen und überbauen Teile der Domus Aurea (Palastbau Neros). Die Grundflä-che der Therme misst 330 x 315m. Die Grund-fläche des Hauptgebäudes 212 x 190m (40.000 qm). Die zentralen, für den Badebetrieb wichti-gen Räume lagen im Kern der Anlage, während zusätzliche Anlagen Einrichtungen und Ange-bote diese Mitte flankierten.

1 Zitiert nach König, Ingemar: Caput Mundi.

Rom – Weltstadt der Antike, Darmstadt 2009, 95f.

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CaracallathermenDie Thermenanlage hat eine Breite von 337

und eine Tiefe von 328m. An der Nordwestseite befand sich der Eingang durch eine Portikus. In den Nebenkammern werden Bibliotheksäle ver-mutet. Die Bauarbeiten wurden laut Ziegelstem-peln 212 n. Chr. unter Caracalla angefangen und dauerten bis 217 n. Chr. Die Portikus wurde erst unter Elagabal und Alexander Severus fertigge-stellt. Als im Jahre 537 n. Chr. die Wasserzufuhr abgestellt wurde, endete der Betrieb der Ther-men.

Amphitheatrum Flavium (Kolosseum)

Das Amphitheater besteht aus vier durch tus-kisch, jonisch und korithischen Säulen geglie-derten Stockwerken und steht auf einem fünf-ten unterirdischen Geschoß. Der äußere Ring ist etwa 50m hoch. Durch 80 Bögen im Erd-geschoß erreichte man die Treppen zu den fünf Rängen. Die Sitzplätze waren nach sozialer Stel-lung gegliedert. Die besten Plätze waren den Se-natoren vorbehalten, die Holzränge den Frauen. Der Eintritt war kostenlos. Bei einer Sitzfläche von 44cm fänden ca. 40.000 bis 45.000 Men-schen Platz. Einige Schätzungen reichen bis zu 75.000 Besuchern. Unter der Arena befinden sich Bedienungsgänge, wo Maschinerien, Käfi-ge für Tiere, Waffen, usw. untergebracht waren, die zur Durchführung der Spiele benötigt wur-den, und ein Zugang zum Ludus Magnus. Unter

Vespasian wurden die Arbeiten im Zentrum der Domus Aurea begonnen, wo sich zuvor ein von Nero künstlich angelegter See befand. Unter Ti-tus und Domitian wurden die Bauarbeiten fer-tiggestellt und 70 n. Chr. mit einem 100-tägigen Fest eingeweiht, bei dem allein 500 Tiere getötet wurden. Für die Nutzung eines riesigen Son-nensegels wurden Marinesoldaten in einer eige-nen Kaserne beauftragt. Ende des 5 Jhs. wurden die Gladiatorenkämpfe abgeschafft. Heute ist es ein Gedenkort für christliche Märtyrer und ein Symbol gegen die Todesstrafe.

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Ludus MagnusDie große Gladiatorenschule liegt neben dem

Kolosseum an der Via Labianca. In den recht-eckigen, dreistöckigen von Domitian errichte-ten Ziegelbau fand das Training der Gladiatoren statt. Auch diese Kämpfe waren dem Publikum zugänglich und in der römischen Bevölkerung beliebt.

PantheonDer Begriff „Pantheon“ bezeichnet die Ge-

samtheit aller Götter und wird oft als Bezeich-nung für ein Gebäude, in dem mehrere Götter verehrt werden, verwendet. In Rom steht das Pantheon auf dem Campus Martius und wurde in der Form, in der es heute zu sehen ist, um 120 n. Chr unter Hadrian errichtet. Eine noch heute sichtbare Inschrift am Giebel weist aber darauf hin, dass der ursprüngliche Bau aus der Zeit Agrippas stammt. Man geht davon aus, dass der Baubeginn um 25 n. Chr. war. In der Forschung wird bis heute kontrovers diskutiert, welche Funktion der ursprüngliche Bau hatte. Wahrscheinlich galt er einer ausgewählten An-zahl an Göttern, die Annahme, er sei lediglich dem Mars geweiht, weil er auf dem Marsfeld steht, ist besonders aufgrund der Bezeichnung „Pantheon“ nicht zu halten.

Der aus hadrianischer Zeit stammende Bau besteht aus einer rechteckigen Portikus, an die sich der Rundbau anschließt. Der Rundbau ist bewusst symmetrisch gestaltet, so entspricht

MILENA HASSELMANN

beispielsweise die Scheitelhöhe dem Durch-messer des Baus. Durch diese Symmetrie sollen Harmonie und Vollkommenheit, also die Ver-schmelzung von Himmel und Erde ausgedrückt werden. Der Innenraum ist geprägt von der Kassettendecke sowie von den 7 Nischen, die in die Mauern eingelassen sind, und die größten-teils als Grabstätten dienen. Begraben ist hier neben einigen italienischen Königen zum Bei-spiel der Maler Raffael, der 1520 im Alter von 37 Jahren starb.

Wie viele andere Bauten in Rom wurde das Pantheon in der Zeit nach Konstantin und bevor es in 608 n. Chr. durch Papst Bonifati-us IV in eine Kirche umgewandelt wurde, als „Steinbruch“ benutzt. So hat z.B. Papst Urban VIII die bronzenen Dachplatten abbauen und für Kanonen auf der Engelsburg nutzen lassen. Dies prägte das Sprichwort: „Quod non fece-runt barbari, fecerunt Barberini.“ Auch eine Bronzeplastik, die sich im Giebel oberhalb der Agrippas-Inschrift befunden haben muss, ist heute nicht mehr vorhanden.

Der Kuppelbau hat viele Künstler der Renais-sance beeinflusst, so z.B. Michelangelo beim Bau der Kuppel des Petersdoms. Bis 1873 besaß das Pantheon die größte Kuppel der Welt.

Circus MaximusDer Circus trägt seinen Titel zu Recht, da

er der größte Circus der Antike war. Er liegt in der Senke zwischen Palatin und Aventin. In der Republik und der Kaiserzeit war der Circus

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die bedeutendste Vergnügungsstätte der Römer. Heute noch sichtbar sind die Kaiserpaläste, die oberhalb des Circus gebaut wurden, um eine ideale Sicht auf das Geschehen zu haben.

Die Grundlegung für den späteren Circus legte der erste etruskische König im 6. Jahr-hundert v. Chr., indem er den Sumpf trocken-legte und einige Holztribünen aufstellte. Unter Caesar und Augustus nahm der Circus seine künstlerische Gestalt an und unter Trajan im 1. Jahrhundert n. Chr. wurde der Circus voll-ständig aus Stein erneuert. Im 4. Jahrhundert n. Chr. erhielt er seinen größten Ruhm und war am prunkvollsten geschmückt. Die letzten Spie-le wurden 550 n. Chr. ausgerichtet, somit war der Circus etwa 1000 Jahre in Betrieb gewesen.

Die Spiele waren meistens Wagenrennen, die in 7 Runden, um die sogenannte Spina, also die Mittelbegrenzung stattfanden. Um die Runden zu zählen wurden erst hölzerne Eier und später Delphine benutzt. Die Spiele zu besuchen stand allen frei, die Zuschauerränge waren jedoch nach sozialen Ständen sortiert. Neben dem sportlichen Spektakel stellten die Spiele immer auch ein gesellschaftliches Ereignis statt, nicht zu weit entfernt von großen Pferderennen im heutigen England.

Marcellustheater und Portikus der Octavia

Das Marcellustheater ist das erste freistehen-de Theater, es wurde nicht wie sonst üblich an

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einen Hang oder einen Berg gebaut. Das Thea-ter wurde um 17 v. Chr von Augustus begonnen und vier Jahre später beendet. Er hat es seinem verstorbenen Neffen Marcellus gewidmet. Wie an dem heutigen Bau noch gut erkennbar ist, hatte das Theater seitdem eine bewegte Bau-geschichte. Nachdem es, wie so viele Gebäude, im 4. Jahrhundert als Steinbruch genutzt wor-den war, zog im 13. Jahrhundert die römische Adelsfamilie Savelli in den Bau ein, sie nutzte das Theater als Festung und Wohnraum. Im 16. Jahrhundert gestaltet der Architekt Peruzzi, der im Pantheon begraben liegt, im Theater den Palst der Familie Orsini. Noch heute zählen die Wohnungen im Theater zu den begehrtesten und teuersten in ganz Rom. Im Laufe der Zeit wurden um das Theater herum viele kleinere Gebäude gebaut, die im 19. Jahrhundert alle ab-gerissen wurden, um die pompöse Wirkung des Theaters wieder zur Geltung kommen zu lassen.

Unweit des Marcellustheaters stehen die 5 übriggebliebenen Säulen der Portikus, die Au-gustus für seine Schwester Octavia hat bauen lassen. Die Portikus ist eine überdachte Säulen-halle, die für unterschiedliche Bauzwecke ge-nutzt wurde und sehr häufig vor große Gebäude gebaut wurde. Die Portikus hatte eine Größe von 132 x 119m und wurde 27 v. Chr. gebaut. Zu Zeiten Augustus war die Halle mit vielen Statuen und Plastiken geschmückt, über deren Verbleib nichts Genaues bekannt ist. Unter an-derem wurde an diesem Ort die erste Statue einer Frau ausgestellt. Im 18. Jahrhundert war

auf dem Gelände um die Portikus der zentra-le Fischmarkt der Stadt gelegen. In der Neuzeit lag in der Gegend bis 1943 das jüdische Ghetto. Noch heute finden sich hier viele jüdisch Läden und koschere Restaurants.

Die Aurelianische StadtmauerDie um 270 n. Chr. unter Kaiser Aurelian

gebaute Stadtmauer ist die zweite Stadtmauer Roms nach der Servianischen Stadtmauer, die im 5. Jahrhundert v. Chr. gebaut wurde. Rom hatte sich deutlich vergrößert und war zuneh-mend von den germanischen Völkern aus dem Norden bedroht. Der Bau der Mauer war also gleichzeitig ein politisches Eingeständnis, das selbst Rom zunehmend gefährdet war.

Die Mauer war knapp 19km lang und ihr Verlauf ist heute noch sehr gut nachvollziehbar. Bekannt geworden ist sie vor allem durch ihre vielen Türme. Im Laufe der Jahre wurde die Mauer, die zu Beginn etwa 6m hoch war, immer wieder erhöht, so dass sie heute zum Teil bis zu 11m hoch ist.

LiteraturArachne, Objektdatenbank des Deutschen Ar-chäologischen Instituts (DAI).König, Ingemar: Caput Mundi. Rom– Weltstadt der Antike, Darmstadt 2009.Fischer, Heinz-Joachim: Rom. Ostfildern 2011.

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SAN CLEMENTE & MEHR KATHARINA ENDE UND LEEN FRITZ

San ClementeAn dem ersten vollen Tag, den wir in der so-

genannten Ewigen Stadt verbrachten, waren die Straßen so gut wie leer, da es in Strömen goss. Die sich selbst draußen aufhaltenden Romani müssen mit Verwunderung auf unsere Gruppe geblickt haben, die eilenden Schrittes durch die engen Gassen von einem antiken oder früh-christlichen Monument zum nächsten drängte. Während dieses ersten Vormittags kamen wir auch an die Pforte der Basilika „San Clemente al Laterano“. Durch den Seiteneingang eintre-tend betraten wir den zweiten Kirchbau unse-rer Exkursion. Dies war ein großer Vorteil für uns, da wir noch nicht so viele Vergleichsbau-ten gesehen hatten und so die gesamte Schön-heit der aus dem 12. Jh. stammenden Basilika in uns aufnehmen konnten. Da die Seitenfassa-de keine sonderlich schöne Ansicht bot, waren vorerst die Erwartungen, die die Erhaltung und Pflege des Innenraumes anbelangten, nicht sehr hoch. Umso überwältigender war der Anblick, der sich im Innenraum der Oberkirche bot. Unsere Blicke fielen sofort auf den wunderbar gestalteten Fußboden, der von den führenden Marmordekorateuren, den Kosmaten, im Rom des 12. Jahrhunderts entworfen wurde. Später hörten wir, dass die Aufteilung und Ausgestal-tung des Innenraums einer klaren liturgischen Struktur entsprach, die das Mittelschiff in den Laienteil und den klerikalen Teil beginnend bei den einzigen Pfeilern des Baus teilten. Wir

begaben uns in den Innenhof, wo wir ein Re-ferat über die Entstehung der mittelalterlichen Basilika hörten. Anhand der Besichtigung der Kirche und den Erklärungen, war es viel inte-ressanter den Kirchbau wahrzunehmen als im Seminar in Berlin. Viele der bisher nur benann-ten Ausstattungsteile, wie Evangelienambo, Chorschranken, Papstthron, wurden zu Stein und damit auch liturgisch besser für uns be-greifbar. Wir erfuhren, dass die Innenausstat-tung zum Teil aus der Vorgängerkirche, die wir im Anschluss unterhalb besuchten, stammte. Die Programmatik der Kirche zeigte, dass Al-tes und Neues miteinander verbunden wurden, aber ein eigenes, neues Bild ergaben. Besondere Bewunderung brachten wir dem Apsismosaik dar, welches sich sehr von den anderen auf der Exkursion gesehenen durch neue Bildelemen-te unterschied, wie etwa durch die großflächig angelegte Ranke, die zuweilen als Sinnbild des Reformkirchbaukonzepts gedeutet wird. Nach ausgiebiger Besichtung des Innenraums stie-gen wir hinab in die unterste ergrabene Schicht und besuchten das Mithrasheiligtum, welches einzig aus einem kleinen Raum mit einem klei-nen Opferaltar bestand. Die schmalen, feuchten Gänge waren wenig einladend, so dass wir rasch wieder einen Zeitsprung nach oben in die ers-te Kirche vor Ort machten, deren sonst recht schlichter Innenraum durch detaillierte Fresken im Hauptschiff überzeugte. An dieser Stelle er-fuhren wir, dass in der Ikonographie zwei Arten von Nimbussen unterschieden werden. So er-

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hielten Menschen, die zum Zeitpunkt des Ent-stehens des Freskos noch lebten, einen eckigen Heiligenschein. Außerdem konnten wir Reste eines Freskenzyklus über Clemens I. sehen, dem die Kirche geweiht war. Mit diesem neuen Wis-sen ausgerüstet machten wir uns wieder auf den Weg durch den Regen.

Santa SabinaNachdem wir uns in gewohnter Tradition

des ersten Tages im Regen aufgemacht hatten, erreichen wir schließlich völlig durchnässt die Basilika Santa Sabina. Diese wurde unter Papst Coelestin I. zwischen 422 und 232 gebaut. Sie wurde auf dem Aventinhügel errichtet, wo ei-ner alten Legende nach das Haus, der um das Jahr 125 getöteten Märtyrerin Sabina, stand. Die Basilika ist ein „echtes, altes Schätzchen“, wel-ches wir durch eine Aufgabe: „Finde den/die/das Rufenus!!“ in einer knappen halben Stun-de selbst erkundeten. Die Schlichtheit und der nicht renovierte Innenraum verschlugen uns die Sprache und zeigten uns in einer besonders an-rührenden Weise das wirkliche Alter und Ant-litz der Kirche. Dieses Phänomen kommt vielen Kirchenbauten aufgrund der Geschichte und der verschiedenen Umbauten leider abhanden. Hier sah man sehr schön wie ein alter Bau ohne das ganze „Tamtam“ heute aussehen würde. Die Wände wirkten wie abgeplatzte, vergessene Ge-schichten aus einer Zeit, die wir sonst nur aus Büchern kennen. In dieser Basilika hatten wir die Chance fast „unbearbeitete/unberührte“

Geschichte mit eigenen Händen zu begreifen. Man konnte die Schönheit und Farbenfreude der fast gänzlich zerstörten Mosaiken nur noch erahnen. Die Architektur zeichnete sich durch eine Besonderheit aus: Für antike Bauten dieser Zeit, ist es sehr ungewöhnlich, dass die Säulen und Kapitelle einheitlich sind. In Santa Sabina befinden sich jedoch 24 einheitliche, kannelierte Marmorsäulen in korinthischer Ordnung. Dies lässt darauf schließen, dass der Stifter wohlha-bend war, denn einheitliche Säulen und die pas-senden Kapitelle in dieser Menge zu kaufen war ein sehr kostspieliges Unterfangen. Mit den ver-wendeten Rundbögen, welche eine Verbindung zur oberen Fensterzone herstellen, wurde ein entscheidendes neues Stilmittel in die Architek-turgeschichte eingeführt.

Von besonderer theologischer Bedeutung ist das ehemalige Eingangstor der Basilika. Das hölzerne Eingangsportal zeigt die älteste uns bekannte Kreuzigungsdarstellung. Die Tür aus Zypressenholz aus dem Jahre 432 gilt als eine der ältesten existierenden Türen einer christli-chen Kirche. Die geschnitzten Bilder behandeln biblische Themen. Ursprünglich waren es 28 Bilder wovon heute noch 18 erhalten sind. Die Tafel mit der Kreuzigungsdarstellung befand sich an der äußersten, linken Türecke des sehr hohen Portals, sodass man sie leider nicht näher betrachten konnte.

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„Ad catacumbas“ unter San Sebastiano

Etwas außerhalb der Innenstadt an der Via Appia Antica besuchten wir zum ersten Mal auf unserer Exkursion eine Katakombe. Sie befindet sich unter der dem heiligen Sebastian geweihten Kirche, die aufgrund ihrer Bezeichnung „ad ca-tacumbas“ als Ursprungsort für die Namensge-bung „Katakombe“ gilt. Leider fiel die Führung sehr kurz aus, weshalb wir nicht so viel sehen

konnten. Nach dem ca. 6m tiefen Abstieg liefen wir zuerst lange Gänge, die von etlichen Grab-stellen in den Wänden gesäumt waren, entlang. Als wir durch die engen unterirdischen Stollen liefen, wurde uns bewusst, dass der lange Zeit weit verbreitete Mythos, dass sich die ersten Christen in Katakomben zu gottesdienstlichen Feiern und Versammlungen getroffen hätten, nicht glaubhaft ist. Nicht einmal zwei Personen können sich neben einander darin aufhalten. In

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einem ersten breiteren Raum wurden uns an den Wänden eingelassene Reste von Öllampen ge-zeigt, die in der Antike zur Ausleuchtung der Gänge genutzt wurden. Als nächstes wurden wir durch die langen, schmalen Gänge weiter zu einem großen Raum geführt, der drei Grabhäu-ser, die innen auch bemalt und mit Tonkrügen ausgestattet waren, geführt. Dies ist der Ort, der als im ursprünglichen Sinne „ad catacumbas“ bezeichnet wurde. Von ihm ausgehend wurde das Wort „Katakombe“ schon im frühen Mit-telalter für unter der Erde liegende Grabstätten gebraucht. An dieser Stelle wurden uns auch Graffiti gezeigt, auf denen sowohl Petrus auch als Paulus verehrt und angerufen wurden. Die-ser Ort der Verehrung der beiden Apostel wurde in der 2. Hälfte des 3. Jhs. n.Chr. einer Theorie zufolge deswegen eingerichtet, weil der regie-rende Kaiser den Christen verboten hatte, die ursprünglichen Grabstätten aufzusuchen. Auf schnellem Wege stiegen wir wieder hinauf und besuchten noch kurz die Kirche San Sebastiano, die durch eine halbplastische Deckengestaltung des Todes des heiligen Sebastians auffiel.

San Paolo fuori le mura Nachdem wir durch den Streik der römi-

schen, öffentlichen Verkehrsmittel mit einer Verspätung aus Ostia Antica schließlich in die Paulus-Basilika reinstolperten, begrüßte uns der Benediktinerabt Eduard Power. Dieser lud uns zur täglichen Abendvesper ein, welche die ansässigen Benediktinermönche gemeinsam

feiern. Die Andacht war eine sehr willkom-mene Quelle der Ruhe für uns. Nachdem wir eine Weile saßen, konnten wir erst die riesigen Ausmaße der Kirche richtig wahrnehmen. Im vorderen Teil der Kirche war ein kleiner Bereich abgesperrt in dem wir auf einfachen Holzbän-ken versuchten, den italienischen Gesängen der Mönche zu folgen.

Die Basilika wurde im Auftrag von Kaiser Konstantin über dem vermeintlichen Grab des Apostels Paulus errichtet und vermutlich 324 geweiht. Vorher war der Bereich ein Friedhof, welcher für den Bau der Kirche eingeebnet wur-de. Diese einzige noch intakte antike Großkir-che Roms wurde durch ein Feuer in der Nacht vom 15. zum 16. Juli 1823 stark beschädigt (1854 Wiederaufbau). Die heutige Basilika, die nach einem Entwurf von L. Poletti entstand, hält sich in ihren Dimensionen an das Vorbild der alten Kirche und wurde 1854 von Papst Pius IX. ein-geweiht.

Der Innenraum mit reichen Marmor- und Al-abasterarbeiten spiegelt mit einem Säulenwald, der die Basilika in fünf Schiffe unterteilt, die ursprüngliche Raumwirkung wider. Nach der Vesper wurden wir vom Abt durch die Kirche geführt und bekamen aufgrund der fortgeschrit-tenen Zeit nur einen kleinen Einblick in diese überdimensional große und geschichtsträchtige Kirche. Ein besonderes Augenmerk legten wir auf das vermeintliche Paulusgrab. Dieses wurde am 6. Dezember 2006 von vatikanischen Ar-chäologen als „offiziell gefunden“ ausgegeben.

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Der altrömische Sarkophag wurde exakt unter dem Epigraph „Paulo Apostolo Mart“ an der Basis des Hauptaltars der Basilika gefunden. Wir hielten kurz am Grab des Paulus inne und beteten gemeinsam ein Vaterunser.

Eine weitere Besonderheit der Kirche ist das lange Band von 265 Medaillons mit den Porträts der Päpste. Wenn kein Platz für ein weiteres Me-daillon vorhanden ist geht, der Legende nach, entweder die Welt unter oder Christus kommt wieder. Es wurden jedoch mittlerweile 25 wei-tere Plätze angelegt, als unter Johannes Paul II. nur noch drei freie Stellen vorhanden waren. Nach der Neuwahl des Papstes Franziskus sind heute nur noch 26 freie Plätze vorhanden.

Nach dieser imposanten Großkirche ging ein langer und ereignisreicher Tag zu Ende.

Das PetrusgrabEin besonderes Ereignis der Exkursion war

für uns der Besuch des Petrusgrabes unterhalb der Basilika San Pietro. Nach einer kurzen Ein-führung betraten wir die ersten Räumlichkeiten im Seitenflügel der Kirche auf heutigem Bo-denniveau, in denen verschiedene Modelle, die die Veränderung des Petrusgrabes innerhalb der ersten drei Jahrhunderte plastisch darstel-len sollten, aufgestellt waren. Dort erfuhren wir, dass das Petrusgrab nicht direkt ausfindig gemacht werden konnte, sondern hauptsächlich durch die Anordnung von weiteren Gräbern und Graffiti an der Wand lokalisiert wurde. Außerdem wurde spätestens im 2. Jh. n.Chr.

begonnen eine Nische an der verehrten Stelle auszubauen und damit als zu verehrenden Platz auszuweisen, der dadurch auch in der Literatur als Ort des Tropaion Petri erwähnt wurde. Nach dem letzten Hinweis, dass die Luftfeuchtigkeit der Katakomben sehr hoch sei, durchliefen wir mehrere Sicherheitsschranken und -türen, die uns schließlich hinabführten. Von der einstigen Nekropole, die durch Kaiser Konstantin für den Bau der Basilika zugeschüttet worden war, konnten wir nur einige Reste hinter Panzerglas sehen. Uns wurden zwei Grabkammern mit ei-ner Grundfläche von ca. 2*2 Metern gezeigt, die die Überreste von über einhundert Personen beherbergten. Zum Teil konnten wir noch Be-malungen an den Wänden der Grabkammern sehen, die uns an die in der Katakombe unter San Sebastiano erinnerten. Nach vielen Ecken und langen schmalen Gängen gelangten wir zu einer Stelle, an der man noch ein kleines Säul-chen der ausgebauten Nische erkennen konnte. Von da aus liefen wir in einen kleinen Raum, in dem wir uns ein kleines Loch ansehen soll-ten. Dieses wiederum war ein direkter Zugang zu dem dort vermuteten Grab Petri. Dort hatte man über ein technisch sehr schwieriges Unter-fangen Knochen finden können, die auf das 1. Jh. n.Chr. datiert werden konnten. Für uns je-doch blieb fraglich, ob es sich um die echten Knochen Petri handelte. Feststellbar ist jedoch zweifelsohne, dass Petrus an diesem Ort über viele Jahrhunderte hinweg verehrt wurde.

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FORUM ROMANUM MIRIAM WOJAKOWSKA

Am Mittwoch, dem 20.3.2013, wurden wir von Prof. Dr. Klaus Freyberger in einem aus-führlichen Rundgang durch das Forum Ro-manum geführt. Dabei erhielten wir nicht nur eine grundlegende Orientierung über Funktio-nen und Geschichte des Forums, sondern auch Einblicke in die archäologische Arbeit, die Prof. Freyberger an diesem Ort für das Deutsche Ar-chäologische Institut seit über zehn Jahren lei-tet.1

1. Kurze Informationen zur Wissenschaft der Archäologie

Die Archäologie ermöglicht als relativ junge Wissenschaft neue Erkenntnisse über die Anti-ke, deren Bild bisher vor allem von den litera-rischen Zeugnissen geprägt ist. Um materielle Zeugnisse zu untersuchen, kann sie zunehmend auf spezialisierte technische Möglichkeiten zu-rückgreifen. Bei dieser Analyse sind nicht nur Archäologen, sondern diverse Professionen be-teiligt, die erst als Team eine umfassende Doku-mentation des Befundes erstellen können. Das weitere Vorgehen besteht darin, die Entwick-lung des untersuchten Materials zu rekonstru-ieren und seine Funktion zu bestimmen. Für diese Interpretation ist die Archäologie stets im

1 Weitere Informationen und Kontaktdaten:

http://www.dainst.org/de/profile/klaus-stefan-freyber-

ger?ft=all. Vgl. zu diesem Bericht auch: Klaus Freyberger:

Das Forum Romanum. Spiegel der Stadtgeschichte des

antiken Rom, Darmstadt 22012.

Gespräch mit ihren Nachbarwissenschaften, wie etwa der Altphilologie und der Religions-wissenschaft, denn erst aus verschiedenen Pers-pektiven lässt sich ein kohärentes Bild zeichnen. Durch verbesserte Technik, neue Untersu-chungsmethoden oder andere Vergleichsfunde setzt sich der Deutungsprozess stetig fort.

2. Geschichte des Forum RomanumSchon Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. lassen

sich Funde auf dem Gebiet des Forums nach-weisen. Die Talsenke wird zunächst als Nekro-pole genutzt, darauf deuten Keramikfunde hin. Außerdem wird es mit der Gründung Roms in Verbindung gebracht, denn hier liegt das ers-te Heiligtum der Stadt, der Volcanal. Diesen sakralen Ort soll Romulus gestiftet haben. Im Heiligtum der Vesta befand sich das Palladium, sodass das Forum auch mit der Gründungssage von Äneas Flucht aus Troja sichtbar verbunden ist. Die Bedeutung des Areals zeigt sich auch darin, dass es mithilfe der Cloaca Maxima ent-wässert und somit großflächig nutzbar gemacht wird. Es entstehen öffentliche Gebäude wie die Regia, der Sitz des Rex Sacrorum und Pontifex Maximus. Dazu zählt auch das Comitium, ein Versammlungsplatz, auf dem politische Ent-scheidungen getroffen werden.

Im 5. Jahrhundert, zur Zeit der römischen Republik, entwickelt sich das Forum zum politi-schen Zentrum, es ist Ort von Festen und reprä-sentativen Veranstaltungen (z.B. Leichenpro-zessionen, Gladiatorenkämpfe). Mit wachsender

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Bedeutung Roms wachsen auch die Funktio-nen des Forums: Es wird nun auch für Handel, Geldgeschäfte und Gerichtsbarkeit genutzt. Davon zeugt beispielsweise der Tempel für Sa-turn, in dem die Staatskasse untergebracht war. In dieser Zeit siedeln sich auch aristokratische Wohnhäuser um das Gebiet des Forums an.

Ab dem 2. Jahrhundert ermöglicht der neue Bautyp der Basilika, vielfältige öffentliche Funktionen unter einem Dach zu erfüllen. Als Beispiel findet sich die Basilica Aemilia, deren typischer dreischiffiger Aufbau Läden, Bank- und Gerichtsräumen Platz bietet. Vom nach-träglich aufgebauten Terrassendach kann man das Forum und das Geschehen in der Basilika gut überblicken. Brandspuren lassen Schlüsse über die Einrichtung zu, die zumeist aus Holz bestand. Heute sind von diesem Gebäude Säul-enteile, Mauerstücke und Teile des Mosaikbo-dens erhalten, der allerdings zum Schutz mit Folie und Kieseln abgedeckt ist.

Das Forum entwickelt sich mit dem Nieder-gang der Republik im 1. Jahrhundert zum Re-präsentationsort einzelner Machthaber, damit

wird auch städtebaulich das Volk entpolitisiert und Macht von Einzelpersonen ausgeübt. Die-se Entwicklung gipfelt in der Divinisierung des Herrschers, die auch im Forum architektonisch erkennbar ist. Sowohl Neubauten als auch Reno-vierungsarbeiten dienen gezielt der Verehrung der Prinzipaten, die die Symbolik des Ortes für sich nutzten. Die Reiterstatuen oder Triumph-bögen sind dafür ein sichtbares Zeichen. Der gut erhaltene Titusbogen zeigt beispielsweise Titus Eroberung Jerusalems. Die Kaiser bauen neue Foren an das Forum Romanum an. Die-se Verbindung ist heute durch die Via dei Fori Imperiali unterbrochen. Alte Staatskulte werden zur Kaiserzeit dennoch aufrechterhalten oder genutzt, um die Bedeutung eines aufgebauten Kaisertempels zu steigern. Als Beispiel eines derartigen „Überbaus“ kann der Tempel für An-tonius Pius und Faustina gelten, der offenbar auf älterem Fundament errichtet wurde, das sich in seinem Material und seiner Bauart deutlich von den jüngeren Schichten abhebt.

Dieses Phänomen lässt sich auch für die letzte Bauphase des Forums unter kirchlicher Anwei-

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sung beobachten. So liegt etwa die Kirche Santi Cosma et Damiano über dem Tempel zu Ehren des Romulus, Sohn des Kaisers Maxentius, der vormals zum antiken Heiligtum Templum Pacis gehörte.

Das Forum zerfällt allmählich ab dem 7. Jahr-hundert n.Chr., weil es trotz einzelner Gegen-stimmen nur noch als Steinbruch für den Bau von Kirchen genutzt wurde. Die Ruinen verschütten und wachsen zu, sodass es zeitweise als Weide

genutzt wird. Damit hebt sich auch das Bodenni-veau um mehrere Meter, sodass nur noch wenige Säulen hervorragen. Erst im 18. Jahrhundert wird es Objekt archäologischen Interesses. Jedoch sind auch durch die ersten Grabungen, die mehrere Schichten auf einmal undokumentiert abtrugen, viele Zeugnisse verloren gegangen. In diesen jün-geren Entwicklungen zeigt sich ein verändertes Verhältnis zur Geschichte.

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DIE ANFÄNGE ROMSVON DER GRÜNDUNG BIS ZUR KAISERZEIT

MARIA SCHULZ

Aeneas floh von Troja nach Latium und gründete dort Lavinium. Sein Sohn Ascanius (oder auch Iulus genannt) erbaute die Stadt Alba Longa und herrschte als König über sie. Ihm folgte eine ganze Reihe albani-scher Könige bis auf Numitor, der von seinem Bruder Amulius der Herrschaft beraubt wurde. Der König Amulius hatte Angst, vom Thron gestoßen zu werden. Deshalb ließ er die Söhne seines Bruders Numitor, dem rechtmäßigen Thronfolger, töten und dessen Toch-ter Rhea Silvia zu einer Priesterin machen, sodass sie sich nicht vermählen konnte. Doch der Kriegsgott Mars verliebte sich in die schöne Jung frau und ver-mählte sich heimlich mit ihr. Bald darauf gebar sie die Zwillinge Romulus und Remus. Als der König Amulius dies bemerkte, lies er Silvia töten und die Zwillinge in den Tiber werfen. Der über die Ufer ge-tretene Fluss trieb das Behältnis, in dem die Kinder lagen, fort, bis es durch einen im Überschwemmungsge-biet stehenden Feigenbaum aufgehalten wurde. Durch das Wimmern der Kinder angelockt, nahm eine Wöl-fin sich ihrer an, trug sie in eine nahe gelegene Höhle und säugte sie. Nach einiger Zeit fand ein Hirt na-mens Faustulus die Zwillinge und brachte sie seiner Frau Acca Larentia, die sie aufzog. Als Faustulus von Silvias Tod hörte, wusste er, dass er die Enkel Numitors gerettet hatte, behielt dieses Geheimnis aber für sich, da er die Rache des Königs Amulius fürch-tete. In der ländlichen Gegend wuchsen Romulus und Remus zu kräftigen jungen Männern heran und eines Tages trafen sie auf den vertriebenen König Numi-tor, der sich dort auf ein Gehöft zurückgezogen hatte. Er erkannte, dass er den beiden unheimlich ähnlich sah und Faustulus gab zu, dass dies seine beiden En-

kel seien. Nun scharten Romulus und Remus viele Männer um sich, zogen nach Alba Longa und töteten den König Amulius. Aus Dank erlaubte Numitor ihnen, eine eigene Stadt zu gründen, und zwar dort, wo sie aufgewachsen waren. Sie entstand als Freistatt für alle, die anderswo ausgestoßen wurden. Romulus spannte zwei weiße Rinder vor einen Pflug und führte sie im Viereck um den Palatin herum. Die aufgewor-fene Erde sollten Wall und Graben kennzeichnen und an den Stellen, wo später die Tore sein sollten, hob Romulus seinen Pflug an und trug ihn. Doch dann entbrannte zwischen den Zwillingen, ein Streit, wer der Stadt den Namen geben und König sein sollte. Numitor riet ihm, den Willen der Götter durch den Vogelflug zu erkunden. Lange warteten die beiden, Romulus auf dem Berg Palatin und Remus auf dem Aventin, auf ein göttliches Zeichen. Dann umkreisten sechs Geier den Berg von Remus und er glaubte, dies sei das Zeichen, dass er König werden sollte. Aber kurz darauf überflogen den Berg von Romulus zwölf Geier unter Blitz und Donner. Aber Remus wollte dies nicht akzeptieren und verspottete seinen Bruder, indem er über die niedrige Mauer der neuen Stadt sprang, die Romulus aufgeschichtet hatte. Romulus empfand das als einen ungeheuren Frevel, sodass er seinen Bruder auf der Stelle mit dem Schwert erschlug und sagte: „So möge es jedem ergehen, der diese Mauer zu übersteigen wagt!“ So wurde Romulus König und gab der Stadt seinen eigenen Namen „Rom“.

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Diese Gründungssage zusammengetragen aus den Geschichten Vergils und Flavius bildet selbstverständlich nicht die wissenschaftliche Basis der Entstehung der Stadt, allerdings hat sie eine treibende Bedeutung für die Bürger und Bürgerinnen Roms insbesondere im ersten Jahr-hundert vor Christus. Doch zunächst soll der Blick auf 1300 vor Christus gerichtet werden.

Aus dieser Zeit nämlich stammen die ersten Funde der Stadt und zwar bei der Tiberfurt. In der mittleren Bronzezeit lassen sich Hirten-kulturen um das Velabrum – das Sumpfgebiet zwischen Palatin, Kapitol und Tiber – herum nachweisen. Etwa im 10 Jh. entwickelte sich eine weitere Kultur in der Nähe des Forum Romanums, da es dort Funde gibt, die auf eine Nekropole hinweisen. Allerdings konnten nicht nur Gräber, sondern auch Hütten an der Regia, dem Sitz der Könige, entlang nachgewiesen werden. In Bezug auf die Anhöhen siedelten die Menschen ab Mitte des 9. Jh., wohl zuerst auf dem Palatin und dem Quirinal. Auf beiden wurden Brandgräber aus dieser Zeit gefunden. Ein Jahrhundert später folgte die Besiedlung des Esquilin. Ab dem achten Jahrhundert treten die Etrusker und die Griechen in Italien auf. Ers-tere siedeln im Norden und letztere im Süden von Italien. Durch beide wurde eine neue Le-bensform kultiviert: die Stadt. Durch Funde von griechischer Keramik auf dem Forum Boarium kann davon ausgegangen werden, dass sich ein Hafen an der Tiberfurt befunden haben muss. Ebenfalls dort wurden etruskische Inschriften

aus dem sechsten und siebten Jahrhundert ge-funden, die auf Veji verweisen. Diese Stadt liegt nördlich von Rom und besaß sehr ergiebige Salinen, die die Stadt wirtschaftlich erblühen ließen. Das dort abgebaute Salz wurde von der rechten auf die linke Tiberfurt überführt und zu den Sabinern, den Bewohnern des Nachbarrei-ches, transportiert. Zugleich war die Furt eine Verbindung zwischen Etrurien und Kampa-nien und es ist aus diesen beiden wirtschaftli-chen und strategischen Gründen nachvollzieh-bar, dass die Etrusker ein Augenmerk auf diese Furt legten, um die Verkehrswege für sich zu sichern. Während sich die Etrusker ausbrei-teten, bildeten sich zwei Ansiedlungen im Be-reich der Höhen. Beide Siedlungen wurden von den Etruskern unterworfen und sie wurden als Fundament für eine etruskische Stadt genutzt. Der Name der Stadt leitet sich von dem etruski-schen Adelsgeschlecht Ruma, lateinisch Roma, ab, welches hauptsächlich an der Unterwerfung beteiligt war. Die Stadt Rom war entstanden. Zu dieser Zeit verbinden sich nun auch die beiden unterschiedlichen Entstehungsgeschichten. In der Liste der Könige Roms taucht Romulus als der Erste auf. Die Liste mit den sieben, manch-mal auch acht Königen ist sehr umstritten, da nur wenig als historisch gesichert gesehen wer-den kann.

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König Regierungszeit BesonderesRomulus 753–716 v. Chr. Laut der Legende soll Romulus die Stadt gegründet

haben.Titus Tatius (wird selten als König mitgezählt)

Laut einer Legende soll Frauenmangel in Rom geherrscht haben, sodass Romulus im Nachbarreich Sabinien die Frauen raubte (Raub der Sabinerinnen). Der König der Sabiner Titus Tatius soll daraufhin Romulus den Krieg erklärt haben, der aber durch die Sabinerinnen beigelegt werden konnte. Tatius wurde so zum Mitregent neben Romulus.

Numa Pompilius 715–672 v. Chr.

Tullus Hostilius 672–640 v. Chr.

Ancus Marcius 640–616 v. Chr. Soll nach antiker Tradition Ostia gegründet haben.L. Tarquinius Priscus 616–578 v. Chr. Priscus war der erste Etruskerkönig und militärisch

sehr erfolgreich, sodass das römische Gebiet vergrö-ßert wurde. Um das sumpfige Forum Romanum trok-ken zu legen, ließ er die Cloaca Maxima bauen. Auch ließ er einige Tempel errichten, z.B. Iupiter Optimus Maximus (Kapitol).

Servius Tullius 578–534 v. Chr. Tullius war der zweite Etruskerkönig und sehr beliebt beim Volk. Er strukturierte das Militär und die Be-völkerung neu und baute die Servianische Mauer.

L. Tarquinius Superbus 534–509 v. Chr. Superbus war der siebente und letzte König Roms und somit der dritte Etruskerkönig. Er ließ die Bauten seiner Vorgänger ausbauen (Cloaca Maxima, Servianische Mauer und Kapitol). Er soll ein tyran-nischer Herrscher gewesen sein und wurde nach der Vergewaltigung der Lucretia 509 aus Rom verbannt.

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Die Verbannung des Lucius Tarquinius Su-perbus gilt als Abgrenzung der Königszeit von der Republik. Bis die für die Republik typische Ämterstruktur ausgebildet war, dauerte es noch ca. 200 Jahre. Zwischen den Jahren 500 und 387 expandierte Rom sehr stark und konnte somit sein Machtgebiet ausbauen. Da Rom militärisch sehr erfolgreich war, war der eigentlich relativ kleine Rückschlag durch die Gallier 387 aus Sicht Roms ein herber. Nachdem die Kelten die Alpen überstiegen, zogen sie gen Süden herab. Das römische Heer trat den Galliern auf der Via Salaria etwa 15 km nördlich von Rom entgegen. Sie konnten nicht standhalten und die Gallier

siegten, sodass Rom eingenommen und geplün-dert wurde. Nur allein das Kapitol konnte ver-teidigt werden. Die Gallier sollen sieben Monate in Rom gewesen sein, da dann ein vertragliches Abkommen geschlossen wurden, in dem sich die Römer verpflichteten, große Mengen an Gold zu zahlen. Die Einnahme Roms durch die Gallier hat die Römer sehr geprägt, es wird so-gar von einer metus gallicus gesprochen, die erst 300 Jahre später durch Caesar aufgelöst wurde. Eine direkte Folge der Einnahme war der Bau einer neuen Schutzmauer, wobei es sogar Über-legungen gab, ins weniger als 10 Jahre zuvor er-oberte Veji umzusiedeln.

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Von diesem Zeitpunkt an geht die Expansi-on Roms immer weiter. Zwischen 264 und 146 führte Rom die drei punischen Kriege und konn-te seine Macht vom Stadtstaat zur Großmacht ausbauen. Es kam jedoch eine Krise. Das Mili-tärsystem erwies sich als nicht mehr praktikabel, da jeder Bürger verpflichtet war teilzunehmen und sich seine eigene Waffe zu kaufen. Es nütz-te zwar dem Heer, dass die Soldaten langjährige Erfahrung im Waffenhandwerk hatten, aller-dings brachte die Abwesenheit der Bauern durch die ständige Einberufung der männlichen Fa-milienmitglieder großen Schaden für ihre Höfe, sodass die Felder nicht mehr bestellt werden konnten. Auch traten die Patrizier immer mehr in Konkurrenz zu den einfachen Bauern, da sie durch ihre Kriegsbeute Ländereien erwerben konnten. „Die Schwächung des römischen Bau-ernstandes durch den Kraftakt der Welterobe-rung rührte an die Substanz des Staates. Nicht nur, daß Tausende ihr Leben lassen mußten, wesentlicher war, daß die Zukunftshoffnungen sanken und einen Geburtenrückgang bewirk-ten. So kam es zu der paradoxen Situation, daß der Mehrung des Reiches eine Minderung der römischen Bürger entsprach: Ihre Zahl ging von 337 000 im Jahre 164 auf 317 000 im Jahre 136 zurück.“ Diese Divergenz führte letztlich zur Krise, die die Bürgerkriege und den Untergang der Republik zur Folge hatten.

Um der Krise entgegenzuwirken, wollte der Volkstribun Tiberius Sempronius Gracchus 133 v. Chr. eine Landreform verabschieden, um so

die Kleinbauern zu stärken. Er wurde jedoch vom Senat erschlagen, nachdem er den Gegner seiner Reform von der Volksversammlung ab-setzen ließ. Zehn Jahre später unternahm sein Bruder einen erneuten Versuch, scheiterte aber ebenfalls. Er und seine 3000 Anhänger wurden verfolgt und getötet.

Von da an standen sich die beiden römischen Parteien Optimaten (römischer Adel und der Senat) und Popularen (plebejische Familien, re-formwillige Patrizier und einige Senatsmitglie-der) immer unversöhnlicher gegenüber.

107 v. Chr. wurde Gaius Marius, der späte-re Anführer der Popularen, mehrmals nachei-nander zum Konsul gewählt. Laut römischem Gesetz durfte sich eine zweite Amtszeit nicht direkt an die erste anschließen (Iterationsver-bot). Es hatte also schon diktatorische Grund-züge. Marius setzte eine Militärreform durch, die beinhaltete, dass es ein Berufsheer gab und dass Veteranen einen Anspruch auf Ackerland hatten.

Nachdem es innerhalb Roms zu immer mehr Konflikten zwischen Optimaten und Popularen kam, eskalierte die Situation. Sulla marschier-te mit seinem Heer in Rom ein und konnte die Herrschaft der Popularen beenden. Daraufhin ließ er sich zum Diktator ernennen, um so eine Neuordnung des Staatswesens zu realisieren. Er stellte die Macht des Senats wieder her und fes-tigte damit die republikanische Ordnung, um dann 79 v. Chr. zurückzutreten. Danach zähl-ten Pompeius und Crassus zu den wichtigsten

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Politikern und machten einige Reformen Sullas wieder rückgängig. Sie wurden 70 v. Chr. zu Konsuln gewählt. Als der Senat Maßnahmen zur Versorgung von Veteranen ablehnte, schlos-sen sich Pompeius, Crassus und Caesar zu einem Triumvirat zusammen. Nach Caesars Konsulat geht er in die Provinz und unterwirft Gallien bis an den Rhein, damit überflügelt er Pompei-us. Caesar wollte sich unbedingt das Konsulat für das Jahr 48 sichern, dabei kam es aber, da er abwesend war, zu einigen Unstimmigkeiten. Der Senat wollte sich allerdings nicht der Be-dingung eines einzelnen Bürgers beugen, sodass er abberufen wurde und als Privatperson nach Rom zurückkehren sollte. Caesar sah sich in sei-ner Würde verletzt und leitet militärische Maß-nahmen ein. Mit dem berühmten Schritt über den Rubikon, den Grenzfluss zwischen Cisal-pina und Italia, kämpfte er gegen die Republik. Er marschierte gegen Rom weiter nach Spanien, welches Pompeius als Unterstützung von den Optimaten erhalten hatte, um so ein Gegen-gewicht zu Caesar darzustellen. Caesar besieg-

te nach und nach alle ihm entgegenstehenden Heere und wurde so zum Alleinherrscher über Rom. Allerdings konnte er seine Machtstellung nicht sichern. Nach seinem Tod war die Repub-lik nicht mehr zu retten. Macht hatte die Person, die mehr Legionen hatte. Octavian, Großneffe Caesars, setzte den Principat ein, welches eine verschleierte Monarchie war, in der die alten republikanischen Institutionen und Ämter be-stehen blieben, der Princeps aber alle entschei-denden Gewalten in seiner Position vereinigte. Octavian übergab sich alle republikanischen Amtsvollmachten und erhielt den Ehrennamen Augustus. Das neue Kaiserreich war entstanden.

LiteraturBellen, Heinz: Grundzüge der römischen Ge-schichte, Bd. 1, Darmstadt 21995.Bleicken, Jochen: Geschichte der römischen Re-publik, München 51999.Nack, Emil/Wägner, Wilhelm: Rom. Land und Volk der alten Römer, Wien 1976.

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KAPITOL KASPAR RENNER

Im Anschluss an den Rundgang durch das Colosseum besichtigten wir am Mittwochnach-mittag das Capitol. Es hat eine besondere Bedeu-tung für die Geschichte der evangelischen Ge-meinde in Rom. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Ausübung des evangelischen Glaubens in Rom verboten. Eine Ausnahme galt ledig-lich für preußische Gesandte, die sich in Rom aufhielten, sowie für ihre Angehörigen. Von diesem kleinen Zirkel ausgehend wurden im frühen 19. Jahrhundert erste Gottesdienste ver-anstaltet. Ein wichtiges Ereignis war der Gottes-dienst anlässlich des dreihundertsten Jahrestags der Reformation am 9. November 1817. Dieser evangelische Gottesdienst wurde nicht nur in deutscher Sprache abgehalten, sondern war auch für eine größere Öffentlichkeit bestimmt. In den folgenden Jahren verstetigten sich diese Gottesdienste, so dass schließlich ein Gesandt-schaftsprediger, Heinrich Eduard Schmieder, nach Rom geschickt wurde. Die von Schmieder abgehaltenen Gottesdienste fanden zunächst je-doch nur im Gesandtschaftslokal Barthold Ge-org Niebuhrs statt. Dieses Lokal war im Marcel-lus-Theater untergebracht, das wir am Montag bereits besichtigt hatten. Niebuhrs Nachfolger, der Theologe und klassische Philologe Christi-an Carl Josias von Bunsen, hatte größere Plä-ne für die preußische Gesandtschaftskapelle. Es war seine Vision, die Gesandtschaftskapelle auf das Capitol zu verlegen. Am 9. Februar 1823 bezog er hier seine Dienstwohnung, im damals recht heruntergekommenen Palazzo Caffarel-

li. Damit verfolgte Bunsen nicht zuletzt eine geschichtsphilosophische Agenda. Diese ist in seiner mehrbändigen „Beschreibung der Stadt Rom“ geschildert: Palatin, Forum und Capitol erscheinen hier gleichsam als heilige Dreifaltig-keit der Stadt Rom. Das Capitol wird als „der höchste Götter Sitz“ beschrieben. Dies verweist uns auf den Jupitertempel, der während der rö-mischen Kaiserzeit auf dem Capitol errichtet wurde. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts dachte man, es sei die katholische Kirche Santa Maria in Aracoeli, die nun auf den Ruinen dieses Jupi-tertempels stehe. Entsprechend entwarf die jun-ge protestantische Gemeinde ihr angespanntes Verhältnis zur katholischen Kirche in Analogie zum Gegensatz zwischen urchristlicher Bewe-gung und römischem Staatskult – eine Art von „Urchristentums-Romantik“, die der romanti-sche Maler Ludwig Richter, der die Gesandt-schaftskapelle regelmäßig besuchte, auf den Punkt gebracht hat: „In Bezug auf die Pracht stand die kleine Protestantenkapelle zu der be-nachbarten, altehrwürdigen Kirche Ara Coeli, die auf den Fundamenten des capitolinischen Jupitertempels erbaut ist, vielleicht in einem ähnlichen Verhältnisse wie vor achtzehnhun-dert Jahren die versteckten oder nur geduldeten Locale der kleinen Christengemeinde zu jenem Jupitertempel.“1 Dieses Geschichtsbild verkehr-

1 Ludwig Richter, zitiert nach: Maurer, Golo:

Preußen am Tarpejischen Felsen. Chronik eines abseh-

baren Sturzes. Die Geschichte des Deutschen Kapitols in

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te sich jedoch bald ins Gegenteil. Die archäolo-gischen Grabungen auf dem Capitol, an denen Bunsen selbst maßgeblich beteiligt war, förder-ten zutage, dass es nicht die katholische Kirche Ara Coeli war, die auf dem Jupitertempel stand, sondern die preußische Gesandtschaftskapelle. So hatte man sich nun also auf den Trümmern des römischen Staatskults einzurichten. Für die Liturgie, die in der Gesandtschaftskapelle prak-tiziert wurde, war der von Bunsen erarbeitete „Versuch eines allgemeinen evangelischen Ge-sang- und Gebetbuchs“ wichtig. Dieser wurde zur Grundlage einer eigenständigen Capitolini-schen Liturgie. Sie wich in einem entscheiden-den Punkt von der Berliner Liturgie ab, die der preußische König Friedrich Wilhelm III. bei seinem Besuch in Rom im Jahr 1822 eingeführt hatte: Der Gesang wurde nicht mehr einem professionellen Sängerchor überlassen, sondern die Gemeinde aktiv beteiligt. Dies machte die besondere Attraktivität der Gottesdienste in der Gesandtschaftskapelle aus. Auch Katho-liken fühlten sich von der Liturgie angezogen. An den historischen Quellen lässt sich ablesen, dass die Beteiligung an den protestantischen Gottesdiensten gleichwohl begrenzt war. Die insgesamt 80 Stühle waren kaum je besetzt. Im Jahr 1835 hielten sich nach Bunsens eigenen Schätzungen ohnehin nur etwa 300 Protestan-ten in Rom auf, von denen wiederum knapp 100 auf Reisen waren. Für diese relativ kleine

Rom 1817-1918, Regensburg 2005, 57f.

Gruppe erfüllten die Gottesdienste in der Ge-sandtschaftskapelle jedoch eine wichtige iden-titätsstiftende Funktion. Man muss bedenken, dass dies lange Zeit der einzige Ort in Rom war, an dem protestantische Taufen (in deutscher Sprache) vollzogen wurden. Davon vermittelt uns heute noch der Taufstein einen Eindruck, den der dänische Künstler Bertel Thorvaldsen gestaltete. Auf dem Relief der Hauptansichtssei-te ist die Taufe Christi im Jordan zu sehen. Die quaderförmige Gestalt des Taufsteines erinnert an einen antiken Altar. Dies verdeutlicht ein oben angebrachter Blumenkranz. Jürgen Krü-ger und Michael Meyer-Blanck haben dies in ih-rem Reiseführer „Evangelisch in Rom“ zu einer historischen These zugespitzt: „Die Grundidee Thorvaldsens ist danach also die Überwindung des antiken Altares durch Anbringung christli-cher Szenen; die Taufe ersetzt und verdeckt im wörtlichen Sinne die antike Blumenspende oder andere Opferriten.“2 Heute befindet sich dieser Taufstein zusammen mit der Taufschale – aus der das Wasser für die Taufe von Bunsens jüng-sten Zwillingen, Theodor und Theodora, ge-schöpft wurde – in der evangelisch-lutherischen Christuskirche, die wir zum Abschluss unseres Aufenthalts am Sonntag besichtigten.

Es waren vor allem zwei historische Ereignis-se, die von der preußischen Gesandtschaftska-

2 Krüger, Jürgen und Meyer-Blanck, Michael:

Evangelisch in Rom. Der etwas andere Reiseführer, Göt-

tingen 2008, 111.

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pelle zur evangelisch-lutherischen Christuskir-che führten. Beide Ereignisse verbinden sich mit dem Jahr 1870/1871: In Rom war die Papst-herrschaft beendet und in Berlin das Kaiser-reich gegründet worden, mit der Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum deut-schen Kaiser. Ein Protestant war auf den Thron

gekommen. Unter Wilhelm II. begannen die Arbeiten an der Christuskirche, für die der Ar-chitekt Franz Heinrich Schwechten beauftragt wurde, der bereits den Bau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin verwirklicht hat-te. Dass die Christuskirche in Rom gleichsam als architektonisches Äquivalent der Berliner

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Gedächtniskirche konzipiert wurde, zeigt den besonderen kaiserlichen Repräsentationswil-len, der in diesem Projekt zum Ausdruck kam. Der Bau war jedoch noch nicht abgeschlos-sen, als Italien im Jahr 1915 in den Krieg ge-gen Deutschland eintrat. So erklärt sich, dass in der preußischen Gesandtschaftskapelle noch Gottesdienste unmittelbar bis zum ersten Welt-krieg stattfanden. Die preußische Topographie des Capitols hatte sich im Lauf des 19. Jahrhun-derts jedoch stark verändert. Diese Entwick-lung hat Golo Maurer in seiner Geschichts-darstellung „Preußen am Tarpejischen Felsen“ sehr anschaulich nachgezeichnet. Neben der preußischen Gesandtschaftskapelle, das im Pa-lazzo Caffarelli blieb, hatten sich um 1900 noch weitere Institutionen auf dem Capitol etabliert, wie etwa ein protestantisches Krankenhaus, das in der Casa Tarpea eingerichtet wurde. So konnten Protestanten auf ihrem gesamten Le-bensweg in Rom geistlich begleitet werden: Von der Taufe bis zum letzten Segen. Neben diesen religiös gebundenen Institutionen entwickelten sich wissenschaftliche Einrichtungen: Auf In-itiative von Carl Josias von Bunsen wurde das „Instituto di Corrispondenza Archeologica“ ge-gründet, dessen Ziel es war, über archäologische Forschungen zu berichten. Zu den namhaften Gastwissenschaftlern des Instituts gehörte etwa der klassische Philologe und Altertumswissen-schaftler Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. Schließlich wurde das Institut in das „Kaiserlich Deutsche Archäologische Institut“ umgewan-

delt, die Vorläuferinstitution des „Deutschen Archäologischen Instituts“ in Rom, dessen wis-senschaftlicher Direktor uns am Vormittag des gleichen Tages über das Forum geführt hatte. Auf dem Capitol hatte sich Ende des 19. Jahr-hunderts also gleichsam eine preußische Kultur-nation „en miniature“ eingerichtet.

Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen. Nicht einmal im Palazzo Cafferelli finden sich Hinweise darauf, dass hier einmal die preußi-sche Gesandtschaftskapelle untergebracht war. Aber die grandiose Aussicht, die Bunsen einst beschrieb, ist uns geblieben: „Von dem zweiten Stock dieses Palastes hat man eine Rundaus-sicht nach allen Seiten. Von Norden sieht man auf die eine Hälfte der Stadt mit den sie umge-benden Gärten und einen Halbzirkel der Berge, von Westen die andere Hälfte von Rom mit der [sic] Tiber, von Süden, wo die Winterwohnzim-mer sind, die Ruinen des alten Roms, die La-tinerberge, auf denen Frascati liegt, und einen Meeresstreifen, von Osten das rechts an unser Haus stoßende Capitol. Die Aussicht ist einzig in Rom, und soviel ich bis jetzt gesehen habe, in der Welt, aber wenig bekannt, da die Römer zu faul sind, den Berg zu steigen, und daher nicht da wohnen. Wir waren alle von dem Anblicke so überrascht und eingenommen, daß ich mich so-gleich entschloß, Alles daran zu setzen um dort zu wohnen.“3

3 Carl Josias von Bunsen, zitiert nach: Maurer,

Golo: Preußen am Tarpejischen Felsen. Chronik eines ab-

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DIE KAISERFORENSEVERIN BRODERSEN

Forum JuliumIm Auftrag Cäsars bemüht sich Cicero ab 54

v. Chr., ein geeignetes Gelände für ein neues Forum zu erwerben. Die Größe wird schon damals auf 160 mal 75 m festgelegt. Doch als Cäsar durch seinen Sieg im Bürgerkrieg 49 v. Chr. zum Alleinherrscher aufsteigt, ändern sich die Pläne noch einmal: jetzt handelt es sich nicht nur um das Forum Caesaris, weil es von Cäsar finanziert wird, sondern es soll auch zur Verherrlichung seiner Person und seines Geschlechts dienen.

Nachdem Cäsar vor der ersten Entscheidungsschlacht der Göttin Venus – der Ahnherrin seines Geschlechts – einen Tempel gelobt hat, wird das Cäsar-Forum ein langgestreckter Platz mit Portiken, dessen Abschluss ein Tempel der Venus bildet. Sinnigerweise ist die Venus aber nicht nur die Ahnherrin der Julier, sondern gilt auch als Mutter von Äneas. Der trojanische Prinz soll einst mit Vater und Sohn aus dem brennenden Troja geflohen und nach einigen Irrfahrten in der Nähe von Rom angelandet sein. Nachdem von ihm in direkter Linie die Zwillinge Romulus und Remus abstammen, gilt Äneas als der Ahnherr des römischen Volkes. Damit steht aber Venus als die Mutter von Äneas dem römischen Volk nicht ganz fern, so dass es scheinbar neben der indirekten Verherrlichung Cäsars auch noch andere Gründe für diesen Tempel gibt.

Dieser Tempel steht mit den Rücken an

die Hügelverbindung zwischen Kapitol und Quirinal und beherrscht den Platz. Das Innere des Tempels läuft auf eine Apsis zu, in der eine von Archilochos geschaffene Statue der Venus Genitrix steht. Weiterhin befinden sich darin eine Cäsarstatue sowie eine vergoldete Bronzestatue von Kleopatra. In der Mitte des Forums stand eine Reiterstatue Cäsars.

Das Forum diente also mit gewissen Umwegen über dessen Stammmutter zur Verherrlichung Cäsars. Vorbild waren die Kultstätten von vergöttlichten hellenistischen Königen. An seinem Vorbild orientierten sich auch die weiteren Kaiserforen …

AugustusforumWie Cäsar musste sich Augustus die nötigen

Gundstücke noch zusammenkaufen, denn er wagte es noch nicht zu enteignen, wie es später die Regel wurde. Aus diesem Grund wurde das Forum kleiner als ursprünglich geplant und musste sich auch den örtlichen Gegebenheiten anpassen. Etwa dem Argiletum, der Verbindungsstraße, die vom Forum Romanum wegführt. Das Forum ist 125 m mal 118 m groß und wurde im 2. v. Chr. eröffnet.

Sein Tempel ist dem Mars geweiht. Denn 42 v. Chr. in der Schlacht gegen Brutus und Cassius hatte Augustus diesem für den Fall eines Siegs einen Tempel gelobt. In dessen Allerheiligstem wurden später die Feldzeichen verwahrt. So erstaunt es auch nicht, dass das Augustusforum zum Zentrum für alle Vorgänge bzgl. Krieg

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und Triumph wurde: Der Senat versammelte sich für Beschlüsse über Krieg und Frieden, die Statthalter opferten auf dem Altar vor ihrem Aufbruch in die Provinz und später, als der Triumph allein dem Kaiser vorbehalten war, wurden den erfolgreichen Feldherren hier Statuen aufgestellt. Die Aussage des Forums war dezenter als bei Cäsar, aber ebenfalls klar, denn in der linken Apsis-Halle fand sich eine Statue von Äneas mit seinem Vater auf den Schultern. Von dort aus standen dann im Portikus bis zum Eingang dessen Nachfahren bis hin zu den prominenten historischen Mitgliedern

des julischen Geschlechts. Dies sollte der Rechtfertigung des dynastischen Anspruchs der Julier dienen.

In der rechten Apsishalle wiederum stand eine Statue von Romulus mit erbeuteten Waffen auf den Schultern. Von dort aus standen dann im Portikus bis zum Eingang die bedeutendsten Gestalten der Republik. Beide Linien schlossen dann in einer Augustus-Statue ab und wurden sozusagen in ihr zusammengeführt.

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Templum PacisVespasian errichtete hier einen Tempel zu

Ehren des Siegs über die Juden. Daher befanden sich hier wohl auch die Beutestücke aus dem Jerusalemer Tempel.

TrajansforumFür das letzte der großen Kaiserforen

mussten aus Platzmangel u. a. große Mengen an Erdreich am Quirinalshügel abgetragen werden, um einen Bauplatz zu erhalten. Neben Markthallen, einer großen Basilika und zwei großen Bibliotheken befand sich dort auch die so genannte Trajanssäule, die hier heute

noch steht und mit einem detaillierten Relief beeindruckt. Am Ende des Forums befand sich evtl. ein Trajanstempel. Gegenwärtig wird dies jedoch angezweifelt.

PalatinWegen seiner Nähe zum Tiber und den für

eine Verteidigung nützlichen Flanken ist der Palatin sehr gut für menschliche Siedlungen geeignet. So erstaunt es nicht, dass Romulus hier auch die Stadt Rom gegründet haben soll. 1948 wurden tatsächlich auch die Reste dreier eisenzeitlichen Hütten (9. Jh.) gefunden. Am Fuß des Palatin soll sich weiterhin die Grotte

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befinden, wo Romulus und Remus von der Wölfin gesäugt wurden.

Tempel der Magna MaterIm 2. Punischen Krieg wurde Rom nicht

nur in eine militärische und politische Krise gestürzt, sondern auch in eine religiöse, denn man versuchte angesichts der bedrohlichen Lage die Gunst der Götter zurückzugewinnen. Nach einem Orakelspruch wurde aus Kleinasien, wo die so genannte Magna Mater in Form eines schwarzen Steins verehrt wurde, ebendieser Stein herbeigeholt. Der anschließende Sieg über Karthago wurde dieser Gottheit zugeschrieben, so dass sie einen eigenen Tempel erhielt, der 191 v. Chr. eingeweiht wurde.

Zu Zeiten der Republik entwickelte sich der Palatin zu einem Wohnviertel für die römische Oberschicht, so lebte hier etwa Cicero. Das wichtigste Ereignis für den Palatin war aber, dass Augustus hier geboren wurde und später auch dort wohnen wollte ...

Haus des AugustusNach dem Sieg gegen Pompejus 36 v. Chr.

kaufte Augustus zahlreiche Häuser auf dem Palatin zur Erweiterung seines eigenen. Dabei versprach er jedoch auch, sie teilweise für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen und einen Apollo-Tempel zu bauen. In diesem Komplex sind heute einige beeindruckende Malereien zu sehen. Andere Kaiser schlossen sich Augustus an und wählten ebenfalls ihren Wohnsitz auf

dem Palatin. Am Ende der Kaiserzeit war der ganze Hügel schließlich zu einem großen Gebäudekomplex zu sammengewachsen: ein einziger Kaiserpalast. Daher wurde Palatium auch zur allgemeinen Bezeichnung des Kaiserpalastes. Eine Tatsache, die man noch heute in vielen europäischen Sprachen erkennen kann: Palast, palais, palace etc.

Palast des TiberiusDer Adoptivsohn des Augustus errichtete als

erster Kaiser einen richtigen einheitlichen Palast auf dem Palatin, der nach ihm immer wieder erweitert wurde. So reichte etwa auch Neros Domus Aurea bis hierher. Diese Anlage wurde dann jedoch im 16. Jh. mit den Farnesinischen Gärten überbaut.

Palast DomitiansUnübertroffen scheint jedoch der

Palast Domitians. Man kann dies an dem überschwänglichen Lob erkennen, dass das Gebäude etwa von dem Dichter Martial erhält, aber auch an der Tatsache, dass der Palast zwar restauriert und erweitert, jedoch nie ersetzt wurde. Die Bauleitung hatte Rabirius inne – einer der wenigen bekannten Architekten aus der Kaiserzeit. Gebaut wurde wohl mit Beginn der Amtszeit Domitians von 81 bis 92 n. Chr.

Die Anlage gliedert sich in drei Teile: Die Domus Flavia (der öffentliche Teil des Palastes), die Domus Augustana (der weitgehend private Teil) und ein Stadion.

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sehbaren Sturzes. Die Geschichte des Deutschen Kapitols

in Rom 1817-1918, Regensburg 2005, 27.

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DIE VATIKANISCHEN MUSEEN ROM ALS IDENTIFIKATIONSORT DER RÖMISCH-KATHOLISCHEN KIRCHE

CHRISTINE JACOBI UND FRIEDERIKE KUNATH

I. Die Geschichte der Vatikanischen Museen1. Der Ursprung im 16. Jh.

Die Geschichte der Vatikanischen Museen beginnt mit der Statue des Gottes Apoll, die 1489 ausgegraben und 1503 von Papst Julius II. im Hof des Palazetto del Belvedere seines Vor-gängers Papst Innozenz VIII. aufgestellt wurde. Dieser Statuenhof (heute „Cortile Ottagono“) wurde in den Folgejahren um weitere Statuen ergänzt, u.a. der berühmten Laokoon-Gruppe und den Torso vom Belvedere. Er war Gelehr-ten, Studenten und Künstlern zugänglich: Auch Michelangelo, Leonardo da Vinci, Raffael und Tizian wohnten und arbeiteten hier. Neben dem Statuenhof, der auch in dem heutigen Bau (aus dem 18. Jh.) gut erkennbar ist, stammt auch die „Scala Bramante“ aus der Zeit Julius II. Diese spiralförmige Rundtreppe ließ der Papst sich bauen, um direkt aus der Stadt – auch per Pferd – seine Sammlung zu erreichen. Schon zu Juli-us’ Zeiten meldeten sich Kritiker zu Wort, die die „eitlen Altertümer“ des heidnischen Gar-tens mißbilligten. Unter Pius V. (1566-1572), der die „heidnischsten“ Bildwerke aus dem Vatikan verbannte, endete mit verschlossenen Mauerni-schen die erste Phase der Museen.

2. Neuanfang und Ausweitung im 18. Jh.: Das Museo Pio-Clementino als öffentliches Museum

Als im 18. Jh. der Ankauf und die Ausfuhr von Antiken aus Rom überhandnahm, wurden

unter Clemens XIV. (1769-1774) bedeutende Sammlungen im großen Stil aufgekauft und da-für Räumlichkeiten auf dem Vatikanhügel her-gerichtet. Er und sein Nachfolger Pius VI. (1775-1799) ließen den Papstpalast (das Belvedere) museal umbauen und z.T. komplett neu gestal-ten. Kamine, Zwischenwände, Fresken, selbst Kapelle und Sakristei wurden entfernt und es entstanden Neubauten, die sich an antik-römi-schen Prachtbauten orientierten. Das Zentrum dieses „Museo Pio-Clementino“ wurde der zum „Cortile Ottagonale“ (achteckiger Hof) umge-baute Belvederehof, also der Anfangspunkt der päpstlichen Sammlungen. Noch immer sind hier neben anderen Statuen der Apoll und der Laokoon zu sehen. Eine zentrale Idee hinter der Gestaltung des Museums war, ein öffentli-ches, dem Publikum zugewandtes Museum zu schaffen und zugleich „eine öffentliche Samm-lung zur Garantie der Unveräußerlichkeit der Kunstwerke zu verwirklichen“: Diesen neuen, publikumsbezogenen Charakter kann man v.a. an dem unter Pius neugestalteten Eingang er-kennen – vorher ging man durch die Papstge-mächer in die Ausstellung, jetzt trat man über das „Atrio die Quattro Cancelli“ (Atrium der vier Tore) und die berühmte „Scala Simonetti“ ein. Die verschiedenen Eingänge sind noch an den Inschriften „Museo Clementino“ und „Mu-seo Pio“ zu erkennen.

Eine zweite Neuerung war, den Museums-raum im Zusammenhang der Sammlung zu denken. Die Räume wurden als klassisch inspi-

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rierte „Hülle“ für die antiken Kunstwerke ge-staltet, so die „Sala Rotonda“, die das Thema des Kassettengewölbes mit zentraler Öffnung wie beim Pantheon neu interpretiert, oder die „Sala a Croce Greca“ (Saal des Griechischen Kreuzes), die an Thermenräume erinnert. Auch die direkte Wiederverwendung antiker Funde kommt vor: So stammen die Mosaike des Fuß-bodens in der Sala Rotonda aus den ersten Jahr-zehnten des 3. Jh. n. Chr. Auch der Mosaikfuß-

boden im Maskenkabinett ist antik; die Mosaike stammen aus verschiedenen Bereichen der Villa Adriana in Tivoli.

3. Bis ans Ende der Welt (19.-20. Jh.)Am Beginn des 19. Jh. wurden für inzwischen

mehr als 1000 neu ausgegrabene Objekte mit dem Museo Chiaramonti und dem Braccio Nuo-vo weitere Museen eröffnet, die der klassischen Antike gewidmet sind. Dazu kamen weiterhin

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die Pinakothek sowie unter Gregor XVI. (1831-1846) das Etruskische Museum (1837), ermög-licht durch Forschungen zur Etruskologie und 1836-1837 durchgeführte Ausgrabungen in der Nekropole von Sorbo, das Ägyptische Museum (1839), dessen Funde zum Teil in Rom selbst und in Tivoli gefunden worden waren, und das Museo Profano Lateranense (1844).

Für das frühe Christentum besonders interes-sant ist das 1854 unter Pius IX. im Lateran eröff-nete Museo Pio Cristiano, das eine Vielzahl an frühchristlichen Sarkophagen und Inschriften beherbergt und sich heute zusammen mit weite-ren Museen in einem Neubau auf dem Vatikan befindet.

In der ersten Hälfte des 20. Jh. zeigen die Sammlungen einen ausgesprochen religiösen Charakter: 1927 wurde das Museo Missiona-rio-Etnologico eröffnet, das nach den Worten Pius’ XI. die Aufgabe übernehmen sollte, „die Anstrengungen all derer zu zeigen, die das Reich Gottes auf Erden zu erweitern trachten.“1 Die Sammlung enthält neben Dokumentationen nicht-christlicher Religionen/Regionen auch Zeugnisse christlicher Kunst aus Missionslän-dern.

Diese universelle Ausrichtung der Sammlun-gen setzt gewissermaßen eine Idee fort, die be-reits im 16. Jh. in ganz anderer darstellerischer Form im Papstpalast Gestalt angenommen hat-te: Die Galerie der Landkarten zeigt auf vierzig

1 Zitat bei Rossi S. 111.

Malereien topographische Karten von ganz Ita-lien, einzelnen Regionen, Inseln und Besitztü-mern der Kirche. Diese Darstellung der räum-lichen Präsenz der Römischen Kirche in Italien findet in den modernen Sammlungen, die die Präsenz der Kirche in allen Teilen der Welt be-zeugen, ihre Fortsetzung und Erweiterung.

II. Die Kunst der Griechen, Römer, Christen und die Kunst der Renaissance

Wer im Rom des 1. oder 2. Jahrhunderts n. Chr. spazieren ging, konnte auf öffentlichen Plätzen und in den Gärten und Wohnhäusern wohlhabender Römer überall Marmorkopien griechischer Skulpturen mit teils mythologi-schen, teils alltäglichen Szenen bewundern. Die Kunst der Griechen wurde hoch geschätzt, und man bemühte sich erst gar nicht, eine eigen-ständige „römische Kunst“ dagegen zu setzen. Stattdessen entwickelte sich eine regelrechte Kopier-Industrie. Ein Spaziergänger hätte aber nicht nur vergeblich nach römischer Kunst, sondern auch nach Kunstwerken einer jungen Religion namens „Christentum“ gesucht. Dazu hätte er sich schon in die Katakomben verirren müssen, um auf Malereien mit christlichen Sym-bolen oder Sarkophag-Gestaltungen zu stoßen, die christliche Motive zeigen.

Davon konnten wir uns bei unserem Besuch der Vatikanischen Museen selbst überzeugen. Um uns nicht in den unzähligen Sälen (es gibt allein 25 verschiedene Abteilungen) und in der Fülle der Sammlungsstücke zu verlieren, be-

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schränkten wir unseren Besuch auf die Musei Pio Cristiano und Pio Clementino, die Stanzen des Raffael und die Cappella Sistina. Die Musei Pio Cristiano und Pio Clementino beherbergen jeweils bedeutende Antikensammlungen aus frühchristlicher bzw. griechisch-römischer Zeit. An ihnen wurde uns der Kontrast zwischen den Kunstäußerungen der griechischen Klassik und des Hellenismus einerseits und der ersten Chris-ten andererseits deutlich vor Augen geführt: Reiche Römer investierten ihr Vermögen in zahllose Marmorkopien griechischer Rundplas-tiken und Figurengruppen, sie pflegten einen ästhetisch interessierten, fast modernen Zugang zur griechischen Plastik.

Ganz anders präsentiert sich im Museo Pio Cristiano die frühchristliche Kunst. Die ver-folgte Kirche vor dem 4. Jh. brauchte interne Symbole als Identifikationsmerkmale, Monu-mentalkunst nach Art der Heiden war für sie aus-geschlossen. Erhalten haben sich deshalb „nur“ Katakombenmalereien und Sarkophag-Reliefs. In einer besonders beeindruckenden, immer wiederkehrenden Szenerie der Sarkophage ist Pilatus dargestellt, dem eine Wasserschüssel zum Waschen der Hände gereicht wird. Nicht das Waschen der Hände selbst wird gezeigt, son-dern ein zweifelnder, in sich gekehrter Pilatus vor der Wasserschale. Ein römischer Hamlet.

Kreuzesdarstellungen sucht man vergebens, stattdessen dominiert eine gleichnishafte Bil-dersprache mit Fisch, Christusmonogramm und der Darstellung Christi als „gutem Hirten“.

Das wichtigste Sammlungsstück des Museo Pio Cristiano ist denn auch die einzige überkomme-ne frühchristliche Rundplastik, die Jesus als ei-nen solchen „guten Hirten“ in ikonografischer Anknüpfung an den Götterboten Hermes Kri-ophoros (den „Widderträger“) zeigt. Stand das Schafträger-Motiv bereits nach paganem Ver-ständnis für Philanthropie und Fürsorge, so konnte die christliche Bildersprache in ihm zu-gleich die biblische Vorstellung vom guten Hir-ten wachrufen, ohne dabei sofort als „christlich“ identifizierbar zu sein.

War also die Symbiose zwischen grie-chisch-römischer Antike und christlicher Kunst in der Frühzeit vor allem äußeren Zwängen geschuldet, so wurde sie mit dem Beginn der Renaissance zu einem erstrebenswerten Ideal. In der Geschichte der Verbindung von Kirche und Kunst ragt das 16. Jahrhundert, das so genannte Cinquecento, heraus. In Italien erlebte die Be-schäftigung mit erhaltenen Kunstwerken der Antike eine Blütezeit. Als Sammler und Förde-rer griechisch-römischer und neuer Kunstwerke traten – neben den Herrschern der italienischen Stadtstaaten, etwa den Medici – die Päpste in Erscheinung, vor allem Julius II., Leo X. und Clemens VII. Als Mäzene und Bauherrn ließen sie die öffentlichen Plätze, Kirchen, Kapellen Roms und ihre Gemächer und Repräsentati-onsräume durch führende Renaissancekünstler gestalten und machten auf diese Weise Rom zu dem einzigartigen Zentrum der Kunst, als das die Stadt noch heute gilt.

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Ebenso wie die Schönheit des menschlichen Körpers entdeckte die Kunst der Renaissance die antike Vorstellung von der kalokagathia, d.h. den Zusammenhang zwischen Tugend, Schönheit und Göttlichkeit. Francesco de Ho-landa überliefert in seinem Diálogo da pin-tura, einem Gespräch mit Michelangelo über die Malerei von 1538, dass die Qualität und Schönheit des religiösen Kunstwerks die gläu-bige Verehrung fördere. Aber auch die Künst-

ler selbst wurden als gottgleiche Schöpfer ver-ehrt. Sie orientierten sich in ihrem Schaffen an den antiken Plastiken, die von den Renaissan-cepäpsten mit großer Leidenschaft gesammelt wurden. Ein Herzstück der Sammlung feierte 2006 ein 500jähriges Fundjubiläum: Die Lao-koongruppe, die den Archäologen Johann Jo-achim Winckelmann zu seinem berühmten Wort über die „edle Einfalt und stille Größe“ in der griechischen Kunst angeregt hat. Im Ja-

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nuar des Jahres 1506 wurde sie von dem Win-zer Felice de Fredis auf seinem Weinberg in der Nähe der Domus aurea Neros gefunden und sofort als die Skulptur identifiziert, die Plinius in seiner „historia naturalis“ um 77 n. Chr. er-wähnt hatte. Seit dieser zufälligen Entdeckung kann sich kaum ein Betrachter der Faszinati-on entziehen, die von der Gruppe ausgeht. Gezeigt ist der flüchtige Moment der Krisis, der Entscheidung zwischen Leben und Tod, die in der Erzählung nur Sekundenbruchteile andauert und im Marmor doch Jahrtausende

überdauert. Wie in der Pilatusdarstellung der christlichen Sarkophage bildet sich auch in der Laokoongruppe letztlich das Wesentliche, der eigentliche Gehalt der Geschichte ab: Die Ago-nie des trojanischen Priesters ist eine Allegorie auf den Untergang Trojas.

Den Besuch der Vatikanischen Museen kann nichts beeindruckender und würdiger abschlie-ßen als eine Besichtigung der Sixtinischen Ka-pelle, aber worüber man nicht schreiben kann, darüber muss man schweigen – und schauen!

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„LUX LUCET IN TENEBRIS“ALEXANDER DIETZ

„Lux luceat in tenebris“ dieser Spruch in Ver-bindung mit dem Bild einer Kerze, die vor ei-nem dunklen Hintergrund leuchtet, ist das Logo der Waldenser Kirche, der reformierten Kirche Italiens. In Rom begrüßt dieses Bild all jene, die an das Portal einer repräsentativen Kirche leicht abseits vom Vatikan, an der Piazza Ca-vour gelegen, kommen. Es ist das Zentrum der heutigen römischen Gemeinde der Waldenser. In der Dunkelheit leuchtet eine kleine Kerze, das Bild steht programmatisch für eine Kirche, die sich im allgegenwärtigen Katholizismus der Stadt Rom eine so ganz andere Tradition hat. Heute ist es die calvinistisch-reformierte Tradi-tion, freilich reicht sie weit darüber hinaus, bis ins Hochmittelalter. Allein daran wird deutlich, dass die Entwicklung der Waldenser nicht ge-radlinig verlief, es ist eher eine Geschichte der Metamorphosen, des Sich-Versteckens, Wan-delns und Anpassens. So lässt sich der Spruch: „Das Licht leuchtet in der Finsternis“ auch als Programm einer Kirche verstehen, die sich lange im Dunklen versteckt hat, deren Licht im wahrsten Sinne nur eine kleine Kerze sein konnte bzw. sein durfte. Das heutige Zentrum ist Rom, die Geschichte selbst beginnt aber weit abseits von Rom im Süden Frankreichs, in der Stadt Lyon. Gleichwohl werden die Waldenser erstmals schriftlich in Rom erwähnt. Sie treten als Gäste auf dem 3. Laterankonzil 1179 auf und bitten um Anerkennung ihrer Lehre.

Eine Erwähnung in Konzilsakten verweist zunächst darauf, dass es sich um eine eigene Be-

wegung mit einem spezifischen Profil gehandelt hat, die zum Zeitpunkt des 3. Laterankonzils schon eine gewisse Verbreitung gefunden hat-te. Den Rahmen für die Waldenserbewegung gibt der breite Strom an Armutsbewegungen, der ab Mitte des 12. Jahrhunderts im ganzen Abendland floss. Zwei historische Bewegungen spielen dabei eine Rolle. Zum einen entwickelte sich der Priesterstand im Zusammenhang mit den Reformen Gregors des Großen zu einer eigenen gesellschaftlichen Größe, die sich vom „einfachen Volk“ mehr und mehr entfernt. Zum anderen blühte die Wirtschaft in Norditalien und Südfrankreich auf, es begann eine Phase der Verstädterung, in deren Kontext eine so-ziale Schicht städtischer Armut entstand. Eine Spannung in der die Kirche den Bezug zu den Armen verlor. Ein Resultat dieser Krise war un-ter anderem die Laienbewegung der Katharer, die vor allem im Süden Frankreichs und in Nor-ditalien erfolgreich war. Sie propagierte Armut, eine dualistische Weltsicht und Askese, wetterte gegen die kirchliche Hierarchie und bildete eine eigene Kirche mit eigener Hierarchie.

In diesem Strom wanderte auch der Gründer der Waldenser, Petrus Waldes – der Vornamen Petrus wurde ihm von späteren Generationen gegeben, um ihn ganz nah an die Anfänge des Christentums zu rücken. Seine überlieferte Le-bensgeschichte expliziert – wie zahlreiche ähn-liche Heiligenlegenden – wie richtige Nachfolge und Jüngerschaft im Gegensatz zum verdorbe-nen Klerus aussehen kann, so wie sie der syn-

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optische Jesus zum Beispiel in der Perikope mit dem reichen Jüngling fordert. Der reiche Kauf-mann und Patrizier Waldes aus Lyon ändert nach einem Bekehrungs- bzw. Läuterungserleb-nis sein Leben, gibt seinen Reichtum auf und beginnt ein dienendes Leben. Er beginnt eine Tätigkeit als Wanderprediger, dabei predigt er in der Volkssprache, lässt eine Bibelübersetzung in seinem Lokaldialekt anfertigen, organisiert Ar-menspeisungen, beginnt erfolgreich Leute um sich zu scharen. Dieser gelebte Glauben scheint die Leute gerade in den ärmeren Bevölkerungs-schichten zu faszinieren.

Der predigende Waldes und seine Gefähr-ten scheinen sich auf den ersten Blick nicht von den katharischen Predigern auf den südfran-zösischen Marktplätzen zu unterscheiden. Die Laienpredigt steht im Mittelpunkt. Zu Laien ge-hören für Waldes auch Frauen. Der zentrale In-halt der waldensischen Predigt ist im Gegensatz zu den Katharern nicht in einem dualistischen Weltbild, sondern in einem wörtlichen Bibelver-ständnis zu suchen. Einen besonderen Bezug haben sie zu den biblischen Schriften, die stark sozialethisch geprägt sind, wie z.B. den großen Reden des Matthäusevangeliums oder dem Ja-kobusbrief. Die kirchliche Hierarchie wird von den Waldensern anerkannt, so dass sie bewusst in der offiziellen Kirche bleiben wollen. Gera-de deswegen stellen die Waldenser am Beginn ihres Wirkens ein probates Mittel des Lyoner Erzbischofs gegen die Katharer dar, weil sie die armen Bevölkerungsschichten erreichen und sie

nicht zu ihm in Opposition bringen.Nach anfänglich erfolgreicher Predigt für

die offizielle Kirche dreht sich die waldensi-sche Lage sehr rasch, im Jahr 1184 werden sie als Schismatiker verurteilt und im Jahr 1215 als Häretiker. Der Grund ist vor allem darin zu su-chen, dass die Waldenser an ihren konstitutiven Elementen der Laienpredigt und an der Verkün-digung durch Frauen festhielten, was die kirch-liche Hierarchie letztlich nicht dulden wollte. Davor gab es schon eine Reihe von Ausdifferen-zierungen innerhalb der Bewegung. Zu nennen sind zum einen die „Armen von Lyon“ in Süd-frankreich, die vor allem durch Betteln ihr Geld verdienten und als Wanderprediger umherzo-gen und zum anderen die „lombardischen Ar-men“ in Norditalien, die ihren Lebensunterhalt durch Handarbeit verdienten. Ein anderer Teil der Waldenser unter dem Theologen Durandus von Huesca schloss sich wieder der offiziellen Kirche an und lebten dort zunächst als „katholi-sche Arme“, später im Augustinerorden.

Nachdem die Waldenser als Häretiker verur-teilt waren, mussten sie vor der Inquisition flie-hen und in den Untergrund gehen. Die Struktur wandelte sich grundlegend. Diese erste Meta-morphose vollzieht sich zwischen den Jahren 1215 bis 1230. Solange wird von öffentlichen Predigten der Waldenser berichtet, danach wir-ken die Prediger nur noch im Verborgenen. In diesem Kontext verlieren die Einzelströmungen an Gewicht, gleichzeitig wird eine ausgeprägte Beichtfrömmigkeit entwickelt, so dass sich die

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Aufgabe Prediger von der Mission hin zur Seel-sorge verschiebt. Die kirchliche Beichte wird abgewertet, indem die geweihten Priester als unwürdig und sündig dargestellt werden, die Beichte der Laienprediger hingegen, die einen vollkommenen Lebenswandel suchen, wird als wahr und würdig charakterisiert. Weitere wichti-ge Charakteristika dieser Zeit sind ein intensives Bibelstudium mit einem wörtlichen Bibelver-ständnis, daraus folgend lehnten die Walden-ser zum Beispiel Eidesschwur, Ablass, Heilige, Fegefeuer etc. ab, was sich anhand zahlreicher

Inquisitionsprotokolle aufzeigen lässt. Zentrale Rückzugsorte, die von den verfolgten Walden-sern aufgesucht werden, sind vor allem in den französisch-italienischen Alpentäler zu finden, so im Piemont und den cottischen Alpen.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gab es noch größere Gruppen der Waldenser in den Berei-chen der heutigen Provence, Kalabrien und vor allem in den Tälern der Cottischen Alpen (Piemont), die damals zum Herzogtum Savoyen gehörten. Schon bald beschränkte sich ihr Vor-kommen aber nur noch auf drei piemontesische

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Täler, die sogenannten „Waldensertäler“. Hier ereignete sich die nächste Metamorphose, im Jahr 1522 kam sie in Form einer Predigt Guillau-me Farels (1489 – 1565). Erstmals kamen sie mit reformatorischem Gedankengut in Berührung und das läutete lang andauernde Dialoge ein. Im Jahr 1526 informierte sich eine waldensische Abordnung von Farel über die Reformation. Vier Jahre später reisten die waldensischen Pre-diger Morel und Masson mit einem Fragenkata-log nach Neuchâtel, Bern, Basel und Straßburg für vertieften Austausch mit den Reformatoren. Im Jahr 1532 kam es dann, im Zuge drohender Verfolgungen, zur „Synode von Chanforan“. In Anwesenheit Farels wurden 23 Artikel be-schlossen, mit denen sich die Waldenser an die Schweizer Reformation anschlossen. Die bisher kaum organisierte Bewegung bekam eine kirch-liche Struktur und verzichtete auf viele bisheri-ge Grundsätze (z.B. Wanderpredigt, Armut und Ehelosigkeit der Priester, Beichte, Ablehnung des Eids) zugunsten der Lehren der Schweizer Reformation. Genau genommen endet hier die spezifische Geschichte der Waldenser, wie schon im 16. Jahrhundert und auch in der modernen Sekundärliteratur immer wieder mit verbitter-tem Ton festgestellt wird. Die Grundlagen der mittelalterlich-waldensischen Spiritualität (z.B. der freie Wille) weichen einem strengen calvi-nistisch-reformatorischen Glauben. Die Synode von Chanforan ist verhältnismäßig gut durch das Verhörprotokoll des sich auf dem Rückweg von der Synode gefangen genommenen Pierre

Griot überliefert. Nach der endgültigen Zerstö-rung der Gemeinden in der Provence 1545 und regelmäßigen Verfolgungen in Piemont schlos-sen sich die Waldensertäler 1555 endgültig der Genfer Reformation an – das erste Kirchenge-bäude entstand, Geistliche kamen von nun an aus Genf. Als 1560 ein Edikt Herzog Emma-nuel Philiberts von Savoyen die reformatorische Predigt in seinem Land verbot, antworteten die Waldenser mit einer Verteidigungsschrift, wel-che die Confessio Gallicana (1559) einschloss, das calvinistische Glaubensbekenntnis der Hu-genotten, das heute noch das offizielles Glau-bensbekenntnis der Waldenser ist.

Das 17. Jahrhundert brachte trotz offizieller Duldung blutige Verfolgungen in den Walden-sertälern mit sich. Bei Massakern wie dem „Pas-que Piemontesi“ (piemontesisches Ostern, 1655) kamen tausende Waldenser ums Leben. Ab 1685 verschlimmerte sich die Lage so dramatisch, dass viele Waldenser gezwungen waren, aus den Tälern auszuwandern. Tief in ihr Kollektivge-dächtnis hat sich der „Glorieuse Rentrée“ einge-brannt. Im Jahr 1689 erkämpfte sich eine Grup-pe von ca. 600 Waldensern unter der Leitung des Pfarrers Henri Arnaud die Rückkehr in ihre Täler. Diese Neubesiedelung war aber nur von kurzer Dauer, bereits im selben Jahr erließ Her-zog Victor Amadeus II. ein Vertreibungsedikt und Arnaud wanderte mit einer großen Gruppe Waldenser erneut aus – über die Schweiz nach Deutschland, wo sie in protestantischen Herr-schaftsgebieten (Hessen, Württemberg u.a.) auf-

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genommen wurden und, da viele Gebiete nach dem dreißigjährigen Krieg brach lagen, rasch neue Siedlungen gründeten und angeblich die Kartoffel einführten. Erst nach der Säkularisati-on ab 1803 verloren sie ihre konfessionellen und sprachlichen Eigenheiten und gingen in den lutherischen Landeskirchen auf.

In Italien litten die wenigen verbliebenen Waldenser immer noch unter Verfolgungen, sodass weiterhin viele auswanderten. Erst am 17.2.1848 wurden den Waldensern, gemeinsam mit den Juden, offiziell die Bürgerrechte ge-währt. Sie durften jetzt frei ihren Beruf wählen und Grund erwerben. Dieses Datum ist heu-te ein wichtiger waldensischer Feiertag. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden viele Waldenser von der Erweckungsbewegung erfasst. Im Zuge dessen wanderten viele nach Südamerika aus, um dort zu siedeln. In Uruguay und Argentinien leben bis heute ca. 5000 Wal-denser. Außerdem wurde in den 1830er Jahren in Torre Pelice das Collegio Valdese gegründet und 1855 zur Hochschule (Facoltà Valdese di Teologia) ausgebaut. Diese zog 1860 nach Flo-renz und 1922 dann nach Rom in die Via Pietro Cossa 42, wo sie sich bis heute befindet. Sie ist die einzige Hochschule, an der man in Italien protestantische Theologie studieren kann und ist den Waldensern und den Methodisten un-terstellt. Die Waldenser gründeten ferner viele soziale Einrichtungen und Gemeinden in ganz Italien.

In der Zeit des Faschismus gab es erneut Re-pressionen gegen die Waldenser, da das faschis-tische Regime eng mit der katholischen Kirche zusammenarbeitete; Waldenser wurden unter staatliche Beobachtung gestellt und durften kei-ne öffentlichen Ämter bekleiden, die französi-sche Sprache wurde verboten. Viele schlossen sich der Resistenza an, was wiederum ihren Ruf verschlimmerte („I valdesi sono tutti ribelli“, „die Waldenser sind alle Rebellen“). 1948 wur-den zwar alle Religionen vor dem italienischen Staat gleichgestellt, allerdings ist bis heute die katholische Kirche durch vielzählige Privilegien auf besondere Weise mit dem Staat verbunden und die waldensische Kirche kämpft um offizi-elle Anerkennung. 1975 schlossen sich Walden-ser und Methodisten in Italien zu einer Kirche zusammen. Dabei blieb ihnen das waldensische Wappen erhalten: Ein Kerzenleuchter, auf der Bibel stehend, mit der Umschrift „lux lucet in tenebris“ (Apk 1,5): „Das Licht leuchtet in der Dunkelheit“. Sieben Sterne verweisen auf die sieben Gemeinden, die ebenfalls in der Johan-nesapokalypse erwähnt werden.

LiteraturGabriel Audisio: Die Waldenser. Die Geschichte einer religiösen Bewegung, München 1996.Euan K. Cameron: Art. Waldenser, in: TRE 35 (2003), 388–402.

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OSTIA ANTICASOPHIE KOTTSIEPER

Am Freitag, dem 22. März, besuchten wir das Ausgrabungsgelände der antiken Stadt Ostia, der ursprünglichen Hafenstadt des an-tiken Rom, gemeinsam mit Dr. Arnold Esch, dem langjährigen Direktor des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Rom. Es hat sich dabei als gut erwiesen, für diese große Anlage fast einen gesamten Exkursionstag einzuplanen, da die fachlich interessanten und reizvoll präsentierten Ausführungen von Herrn Esch und seiner nicht minder versierten Ehe-frau einen breiten Raum einnahmen. Dem für diesen Tag angesetzten Streik der öffentlichen Verkehrsmittel Roms entgingen wir durch frü-hestmögliche Ausreise aus dem Stadtgebiet, die gewonnene Zeit versüßte uns der Sonnenschein und fleißiges Chorproben. Nach einer kurzen allgemeinen Einleitung zur Lage und Geschich-te Ostias, die an das bereits gehaltene Referat in Berlin anknüpfte, begannen wir den Rundgang mit Herrn und Frau Esch. Über den östlichen Eingang schritten wir unter der kundigen Füh-rung voran, wobei wir alle Regionen der Stadt (I–V) durchschritten. Im Folgenden kann nur ausschnittsweise vorgegangen werden.1

Der Ursprung des Namens der Stadt ist un-

1 Die Darstellung orientiert sich in diesem Ab-

schnitt, teilweise wörtlich, an http://de.wikipedia.org/w/

index.php?title=Ostia_Antica&oldid=109149009 abgeru-

fen am 12. 12. 2012 sowie http://www.ostia-antica.org/

abgerufen am 12. 12. 2012.

klar, zum einen verweist er auf lat. os, „die Mün-dung“, zum anderen aber auch auf ostium, „der Eingang“. Der Name Ostia Antica (Altes Os-tia) wird zur Unterscheidung vom in den 1920er Jahren neugegründeten Stadtteil Ostia verwen-det. Der nordöstlich anschließende moderne Stadtteil wird nach den Ausgrabungen ebenfalls Ostia Antica genannt. Die Lage der Stadt ist mit ca. 23 km südwestlich des römischen Stadt-zentrums und 5 km flussaufwärts der heutigen Tibermündung zwischen der Via del Mare und dem Tiber anzugeben. Geschichtliche Anfänge lie-gen in der legendarischen Verankerung in rö-mischer Tradition – Ancus Marcius, der vierte König von Rom, soll Ostia im 7. vorchristlichen Jahrhundert als Kolonie gegründet haben, was jedoch durch die bisherigen archäologischen Befunde nicht gestützt werden kann – und die Errichtung erster Bauten (Castrum und Capi-tol) im 4. Jahrhundert nach dem Sieg der Römer über ihre Nachbarstadt Veji, was als archäolo-gisch gesichert gelten kann.

Ostia war daher wohl ursprünglich ein Mi-litärlager, von dem aus sowohl Rom geschützt und verteidigt als auch der Seehandel kontrol-liert werden konnte. Mit Letzterem entwickelte sich das Militärlager bald zur Hafenstadt und zu einem starken Stützpunkt der Flotte Roms. Schon im 3. Jahrhundert v. Chr. war es einer der Haupthäfen Roms und wird in dieser Funktion mehrmals in historischen Berichten erwähnt. Unter Tiberius wurde das Forum eingerichtet, wegen akuter Verlandung wurde bereits um die

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Zeitenwende unter Claudius deshalb ein großer, künstlicher Seehafen gegraben, der unter Nero im Jahr 54 eingeweiht wurde, erweitert wurde der Hafen sodann unter Trajan (Trajansbecken „Portus“). Ostia erlebte vor allem im 2. Jahr-hundert seine größte Blüte. Aus dieser Periode stammen die meisten noch heute erhaltenen öffentlichen, aber auch privaten Gebäude. Die Hafenstadt hatte in dieser Zeit ca. 50.000 Ein-wohner. Wichtigstes Handelsgut war Getreide, das aus Afrika nach Rom eingeführt wurde. Ein erkennbarer Niedergang setzte ein, als Kaiser Konstantin im Jahr 314 Portus zur colonia erhob (ihm also sozusagen die Stadtrechte verlieh) und Ostia wenig später gemeinsam mit Portus, das sich nun zur eigenständigen Stadt entwickelte, der Stadt Rom als Portus Romae eingemeindete.

Seit der Hohen Kaiserzeit war Ostia Bischofs-sitz. Nach alter Tradition befindet sich in Ostia die Titelkirche des Dekans des Kardinalskollegi-ums, des Kardinalbischofs von Ostia. Die Mut-ter des heiligen Augustinus von Hippo, Monika, starb dort 387 auf der Heimreise nach Nordaf-rika. Augustinus gibt in diesem Zusammenhang eine Beschreibung des Lebens im spätantiken Ostia in seinen Confessiones. Im Verlauf des 5. Jahrhunderts begann die Stadt Rom – um 300 noch eine Millionenmetropole – aus unter-schiedlichen Gründen zu schrumpfen. Während der Kämpfe um Rom zwischen den Ostgoten und den oströmischen Truppen diente Ostia um 540 noch einmal als Versorgungshafen für die Ewige Stadt. Doch da Rom auf zuletzt nur noch

15.000 Einwohner schrumpfte, bedurfte es da-nach keines großen Hafens mehr: Nach dem Ende der Völkerwanderungszeit war Ostia, in dessen Umland zudem in Folge der Verlandung der Tibermündung Sümpfe entstanden waren, was zu häufigen Malariaepidemien führte, kaum noch bewohnt.

Als Hafen von Rom hatte die Stadt auch Institutionen, die ihr eigen waren. Eine dieser Organisationen war die Annona, deren Aufgabe es war, Rom mit Nahrung zu versorgen. Die-ses waren private Unternehmen, die vom Staat kontrolliert und von diesem später übernom-men wurden. An der Spitze der Annona stand der Quästor, der dem Präfekten der Annona von Rom unterstand. Der Quästor überwachte die Verschiffung und Verteilung von Waren. In der Stadt gab es auch verschiedene Vereinigungen von Handwerkern, die bedeutende Versammlungs-häuser und zahlreiche Inschriften und Monu-mente hinterließen.

Aus antiken Quellen ist bekannt, dass die Stadt in mindestens fünf Regionen (I–V) unter-teilt war. Der genaue Umfang dieser Regionen ist nicht sicher. Die erste Region war jedoch wahrscheinlich das Zentrum der Stadt und die ältesten Stadtteile westlich davon. Die zweite Region befindet sich östlich davon und ist zum großen Teil ausgegraben. Die anderen Regionen liegen im Süden und ganz im Westen und sind nur zum Teil ausgegraben.

Die Stadt besaß eine Reihe von bedeutenden Tempeln. Es kann dabei zwischen eher staatli-

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chen Gotteshäusern wie dem Kapitol und eher privaten Anlagen wie den zahlreichen Mithräen oder einer Synagoge unterschieden werden.

Der bedeutendste Tempel von Ostia war si-cherlich das Kapitol, das den römischen Haupt-göttern Jupiter, Juno und Minerva geweiht war. Es befindet sich im Stadtzentrum, nördlich vom Forum. Seine Ruinen waren wohl immer sicht-bar und hatten deshalb stark unter Steinraub zu leiden. Schon für das 15. Jahrhundert gibt es Be-richte, dass Marmor von dort fortgetragen wur-de. Der Tempel stand auf einem hohen Podium. 21 Stufen führten zu dem eigentlichen Tempel hinauf. Vor ihm stand ein marmorner Altar mit einem Waffenfries.

Der Tempio Rotondo („Rundtempel“) wurde

schon 1802 bis 1804 ergraben und ist heute lei-der schlecht erhalten. Er besteht aus einem gro-ßen Vorhof und dem eigentlichen Tempelbau, der rund angelegt ist. Sein prominenter Ort in der Mitte der Stadt und seine Größe lassen kei-nen Zweifel daran, dass es ein wichtiger Kultbau in der Stadt war.

Als große Stadt im Römischen Reich hatte Ostia eine Reihe von bedeutenden Thermenan-lagen, die teilweise reich mit Marmor, Mosaiken und Skulpturen ausgestattet waren. Einige von ihnen scheinen sogar durch kaiserliche Unter-stützung erbaut worden zu sein. Zu den wich-tigsten Thermen zählten die Forumsthermen, die Mithrasthermen, die Neptunsthermen und die außerhalb gelegenen Seebadthermen.

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Das Theater steht am Decumanus Maximus in der Mitte der Stadt. Von einer Inschrift ist be-kannt, dass ein erster Bau unter Augustus von Agrippa errichtet wurde. Zu dieser Zeit fasste das Theater maximal 3000 Zuschauer, jedoch wurde es später mehrfach vergrößert. Die Reste des jetzigen Baues stammen aus dem späten 2. Jahrhundert. Das Theater ist aus Ziegeln erbaut. Der Zuschauerraum und der Bühnenbereich waren einst reich mit Marmor verkleidet. Die Orchestra hatte einen marmornen Fußboden und die Bühne fünf Nischen, die auch mit Säu-len aus Marmor geschmückt waren. Davon ist heute so gut wie nichts mehr erhalten. Das The-ater wurde noch im späten 4. Jahrhundert reno-viert. Der Bau in seiner heutigen Form wurde nach der Ausgrabung restauriert und wird wei-terhin für Aufführungen genutzt.2

Das Forum befand sich im Zentrum der Stadt. Es wurde vor allem unter Hadrian an der Stelle eines älteren Forums neu erbaut. Unter Hadri-an und später wurde der Platz von vier bedeu-tenden Gebäuden dominiert. Der Decumanus Maximus teilte das Forum in zwei Hälften. Der ganze Platz war einst reich mit Statuen ge-schmückt. Alle angrenzenden Gebäude hatten Säulengänge zum Forum hin.

Durch Inschriften sind mehrere Feuer be-zeugt, die die Stadt erfassten. Aus diesem Grund gab es eine gut organisierte Feuerwehr. Die Ka-

2 Bei unserer Chorprobe konnten wir uns von

der guten Akustik selber überzeugen!

serne der kaiserlichen Stadt- und Feuerwache (Caserma dei Vigili) wurde unter Domitian er-richtet, unter Hadrian aber völlig neu erbaut. Der Platz der Korporationen (Piazzale delle Corpo-razioni) befindet sich direkt hinter dem Theater und wurde mit diesem unter Augustus erbaut. Er ist ca. 110 × 80 m groß. Der Platz wird von einem Portikus gerahmt, hinter dem sich wiede-rum 70 kleine Räume befinden. In diesen und davor fanden sich viele Mosaiken mit Hinweisen auf Handel. Die Inschriften nennen Korporati-onen, Reeder und Händler. Die Erläuterungen des Paares Esch, unserer Grabungsführer, ha-ben uns diese schönen Relikte sehr eindringlich erschlossen. In der Mitte des Platzes wurde un-ter Domitian ein Tempel errichtet. Die Funkti-on dieser Anlage ist unsicher. Vielleicht handelt es sich um Büros von Organisationen anderer Hafenstädte, in denen der Handel diskutiert und besprochen wurde.

Als Haupthafen von Rom hatte Ostia eine Reihe von großen Speicheranlagen, in denen Ge-treide, Wein, Öl und andere Waren zwischenge-lagert wurden, bevor man sie in die Hauptstadt verschiffte. Einige dieser Anlagen hatten wohl mehrere Stockwerke. Die wichtigsten Speicher, die Grandi Horrea, lagen im Zentrum der Stadt und wurden schon unter Claudius errichtet und in der Folgezeit mehrmals renoviert und erwei-tert.

In Ostia lässt sich besonders gut die Entwicklung der römischen Hausarchitektur von der späten Republik bis in das 4. Jahrhundert

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verfolgen. Am Ende des 1. Jahrhunderts erleb-te Ostia den Beginn seiner Blütezeit und viele neue Bürger zogen in die Stadt. Dadurch wurde der Grund und Boden begrenzt und teuer und es wurden neue Haustypen benötigt. Hier ist vor allem die Insula zu nennen. Es handelt sich um ein mehrstöckiges Mietshaus, in dem eine große Zahl an Bewohnern untergebracht wer-den konnte. Die meisten Atriumhäuser der Stadt wurden nun abgerissen und durch solche mehr-stöckigen Mietshäuser ersetzt. Die Mietshäuser erlebten in Ostia im 2. Jahrhundert ihre Blüte-zeit. Im 3. Jahrhundert scheinen viele Bewohner die Stadt verlassen zu haben. Die Mietshäuser verfielen und wurden nicht weiter repariert oder wieder aufgebaut. Im 4. Jahrhundert wurden wieder zahlreiche neue Wohnbauten errichtet, wobei in dieser Zeit kein Platzmangel mehr herrschte und das Einzelhaus wieder dominier-te. Viele von ihnen sind reich ausgestattet und demonstrieren den Wohlstand ihrer Bewohner. Diese Häuser haben meist nur ein oder zwei Ge-schosse und orientierten sich ganz nach innen.

Die Stadt wird mehrmals in antiken Quel-len im Zusammenhang mit dem Christentum genannt. Es gibt nur wenige Bauten, die als Kirchen angesprochen werden können. Im In-nern des Stadtgebietes konnte eine große drei-

schiffige Basilika mit Atrium und Baptisterium nachgewiesen werden. Es handelt sich mit größ-ter Wahrscheinlichkeit um die Bischofskirche Ostias, die auf eine Stiftung Konstantins zu-rückgeht. Bemerkenswert ist außerdem die im 1. Jahrhundert errichtete Synagoge, die außerhalb der Stadtmauern gelegen ist und eines der ältes-ten bekannten jüdischen Bethäuser außerhalb Palästinas ist.

LiteraturDini, Caterina (Hg.): Ostia Antica. Un Tuffo Nella Storia – Immerse yourself in History, Rom 2007. Meiggs, Russell: Roman Ostia, Oxford 21973. Rieger, Anna-Katharina: Heiligtümer in Ostia (Studien zur antiken Stadt 8), München 2004.Schaal, Hans: Ostia. Der Welthafen Roms, Bre-men 1957.Steuernagel, Dirk: Kult und Alltag in römischen Hafenstädten. Soziale Prozesse in archäologi-scher Perspektive (PAwB 11), Wiesbaden 2004.Verduchi, Patrizia (Hg.): Atlante di Ostia antica. Compagnia Generale Ripreseaeree Aerofoto-grammetrica Nistri, Venedig 1995.

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„EVANGELISCH IN ROM“KRISTINA HAGEN

„1510 fui Roma, ubi est sedes Diaboli“ – „1510 war ich in Rom, am Sitz des Teufels“,1 schreibt Martin Luther 1540, dreißig Jahre nach seinem Aufenthalt in Rom. Freilich ist dieses Bild ge-prägt durch persönliche Erfahrungen, die der junge Luther mit der damaligen römisch-ka-tholischen Kirche gemacht hat. Dennoch er-scheint es häufig so, dass die gegenwärtige protestantische Meinung über die Stadt, in der sich der Katholizismus bis heute in voller Pracht repräsentiert, nicht weit von der des Reformat-ors vor rund 500 Jahren entfernt ist. Doch wie kommt es zu solchen Urteilen, oder vielmehr: was ist überhaupt dran an derartigen Verurtei-lungen? Dieser Frage sollte in Rom nachgegan-gen werden. Neben der Entstehung des Chris-tentums im stadtrömischen Kontext sollte auch die Bedeutung der Stadt für das Verhältnis von römisch-katholischem und reformatorischem Christentum einen Schwerpunkt im Seminar und auf der Exkursion darstellen. Dazu wur-de schon im Seminar ein Referat zum Thema „Evangelisch in Rom“ präsentiert. Dabei war es mir – als Referierende – ein Anliegen, die Stadt in einem Lichte zu präsentieren, das nicht rein negativ konnotiert ist.

Ob die Begründer des liberalen Pietismus

1 Vgl. Martin Luther: Traktat „Wider das Baps-

tum zu Rom vom Teuffel gestifft“ (1540), hier entnom-

men aus: Jürgen Krüger/Michael Meyer-Blank: Evange-

lisch in Rom. Der etwas andere Reiseführer, Göttingen

2008, 27.

Richard Rothe ( Januar – Juni 1828 in Rom) und August Tholuck (Mai 1828 – April 1829 in Rom) oder Dietrich Bonhoeffer (im April 1924 in Rom) und auch der eben genannte Martin Luther, sie alle waren doch inspiriert und, ob nun negativ oder positiv, auch fasziniert von den in Rom gemachten Erfahrungen und Be-gegnungen. Dietrich Bonhoeffers Dissertation von 1927 „Sanctorum Communio. Eine dogma-tische Untersuchung zur Soziologie der Kirche“ ist beispielsweise nicht unwesentlich von den in Rom mit dem Katholizismus gemachten Er-fahrungen geprägt.2 In Rom, so verzeichnet es sein Reisetagebuch, erkennt der achtzehnjährige Bonhoeffer bereits, dass die Landeskirchen im damaligen Deutschen Reich längst nicht mehr im „protestantischen Sinne“ agieren. Er zeigt sich fasziniert von der katholischen Messe, die seines Erachtens um ein vieles besser als der „abscheuliche Vortrag“ in den Kirchen seiner Heimat sei. Der Protestantismus könne seiner Zeit nur als „Sekte“ im Gegenteil zur pompö-sen Römischen Kirche bezeichnet werden, so schreibt er.3 Das Kirchenthema als Schlüssel zur Evangelischen Theologie bei Bonhoeffer drängt sich ihm bereits in Rom auf. Im Kirchenkampf nimmt er dann, zehn Jahre später, die Frage nach der „sichtbaren Kirche“ wieder auf.

Rom und die dortige Präsenz der katholi-schen Kirche lassen bis heute fragen: „Was ist

2 Vgl. a.a.O., 41.

3 Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Italienreise 1924, 61.

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evangelisch – im Sinne des Evangeliums?“ Das zeigen die Berichte von Luther, Rothe, Tholuck und Bonhoeffer, und auch unsere gemachten Erfahrungen in Rombestätigen es.

Fasziniert von der Pracht der Architektur und des Interieurs römischer Kirchen und be-eindruckt von den antiken Stätten wie Ostia Antica oder dem Forum Romanum, legten wir unser Augenmerk auch auf das protestantische Profil Roms. Sei es die Treppe am Piazza del Popolo, die bald in „Martin-Luther-Stiege“ unbenannt werden soll, oder die Wohnung des ehemaligen preußischen Gesandten Barthold Georg Niebuhr, in dessen Wohnung über dem Marcellus-Theater 1819 die ersten Gottesdienste in deutscher Sprache abgehalten wurden, oder auch der Besuch im Palazzo Cafarelli auf dem Capitol, in dem sich die erste evangelische Ka-pelle vor dem Bau der eigenen Christuskirche in

Rom befand: immer wieder standen auch Stati-onen des „Evangelisch in Rom“ auf dem Pro-gramm.

Im Seminar wurden die Geschichte und das Leben der Evangelischen in Rom referiert. Da-bei lag der Schwerpunkt auf dem Gemeindele-ben der Evangelischen Christusgemeinde in Rom und der Evangelisch Lutherischen Kirche Italiens (ELKI). In Rom selber besuchten wir dann sowohl die Christuskirche als auch die ELKI. Bei anregenden Gesprächen wurde uns von Holger Milkau, dem Dekan der ELKI, die Situation der Evangelischen in Rom und Italien vor Augen geführt. Dabei wurden interessante Aspekte des „Kirche-Seins“ in Italien, beispiels-weise das italienische Kirchensteuerprinzip des „otto per mille“, erklärt. Anders als andere deut-sche Gemeinden im Ausland zeichnen sich die deutschsprachigen Gemeinden in Italien gerade

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dadurch aus, dass sie nicht Teil der EKD sind, sondern in Italien zu einer eigenen „lutheri-schen“ Kirche gehören. Auch wenn die EKD immer noch Pfarrer entsendet, die Bezahlung und Organisation erfolgt durch die ELKI und deren eigene Synode. Somit kann die Christus-gemeinde, anders als viele andere Auslandsge-meinden, noch profiliert „evangelisch in Rom“ sein, da der „Heimatcharakter“, den viele andere Auslandsgemeinden zu erfüllen haben, in Rom nicht so eine zentrale Rolle spielt. „Evangelisch in Rom“ oder auch in Italien bedeutet aber auch, ein Diaspora-Dasein zu führen. Das Gemeinde-gebiet der Christusgemeinde beispielsweise er-streckt sich, wie die anderen evangelischen Ge-meindegebiete auch, weit über Rom und Lazio hinaus bis nach Sizilien. Demnach gestaltet sich auch das Gemeindeleben in den Gemeinden in vielem ganz anders als hier in Deutschland, wo die Kirche meist in unmittelbarer Umgebung zu finden ist.

Mit im Gebäude der ELKI sitzt seit 2007 auch das Centro Melantone. Dieses im Jahr 2002 von der Waldenser-Fakultät und der ELKI begrün-dete Zentrum will Plattform für verschiedene wissenschaftliche Aktivitäten sein. Dabei soll der Bezug zu Rom und der Ökumene im Mittel-punkt stehen. Für Studierende aus ganz Europa bietet es die Möglichkeit, in Rom zu studieren. Die Veranstaltungen finden meist in der Wal-denser-Fakultät oder im Jesuitenseminar Ger-manicum et Hungaricum statt. Wohnplatz bie-tet das Gebäude der ELKI oder das Konvikt der

Waldenser, das im Herzen der Stadt liegt.4 Ne-ben dem Studienjahr gibt es aber auch Angebote für ausgebildete Theologen und Religionspäda-gogen, die sich auf Tagungen und bei Vorträ-gen weiterbilden können. Studierende können bei einem zweiwöchigen Sommerkurs in einem Seminarprogramm – bestehend aus Vorträgen und Referaten, Besichtigungen von (christli-chen) Baudenkmälern und Gesprächstermi-nen sowie Ausflügen – ebenfalls am Studium in Rom teilhaben. Unterstützer dieses Projekts sind die EKD, die Christuskirchengemeinde und die Landeskirche Württemberg. Seit 2003 besteht in Tübingen ein Freundeskreis, der das „Centro“ ebenfalls unterstützt. Studienleiter/in ist in der Regel ein/e Theologe/in aus einer Gliedkirche der EKD (jeweils vom 01.10. bis 30.06. des Folgejahrs). Momentan ist dies Ulrike Eichler, feministische Theologin aus Bochum. Sie lernten wir bei einem interessanten Abend in der Waldenser-Fakultät kennen, wo wir bei itali-enischen Köstlichkeiten erfuhren, was es für die Waldenser bis heute bedeutet, jahrhundertelang eine kirchliche, lange Zeit unterdrückte Minder-heit zu sein, und wie das Verhältnis von Kirche und Staat in Rom bei den protestantischen Be-wohnern Roms wahrgenommen wird. Bei die-sem Begegnungsabendmit den Professoren der Fakultät kam es zudem zu einer Begegnung mit Teilnehmern des Studienjahres aus Deutsch-land, die über ihr Studium in Rom berichteten.

4 Siehe Bericht über die Waldenser.

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Den „evangelischen Höhepunkt“ auf der Rom-Exkursion bildete schließlich der Gottes-dienst in der evangelischen Christuskirche. Dort gestalteten die Exkursionsteilnehmer gemein-sam mit Pfarrer Kruse den Palmarum-Gottes-dienst. Prof. Dr. Schröter hielt die Predigt, ein Teil der Gruppe beteiligte sich an der musika-lischen und einige bei der liturgischen Ausge-staltung. Im Anschluss an den Gottesdienst bestand die Möglichkeit, beim „incontro“, dem Treffen der Gemeinde nach dem Gottesdienst, mit den Gemeindemitgliedern, die oft von weit her kommen, in Kontakt zu treten. Zudem wurde die Kirche besichtigt. Bezeichnend für selbige ist ihr „protestantisches Profil“ mitten in Rom. Nicht nur ihr roter Kirchturm, der angeblich vom Vatikan aus sichtbar sein soll,5 setzt sich von anderen Kirche Roms ab, son-dern auch die pointiert protestantische Profi-lierung des Baustils innerhalb klassischer römi-scher Architektur macht sie für Rom einzigartig (evangelisch). Sie versucht eine Adaption an das römische Stadtbild zu sein und zeichnet sich zu-gleich durch viele kleine Feinheiten als dezidiert „evangelisch“ in Rom aus. So erinnert beispiels-weise das Apsismosaik an der Decke unmittel-bar an die Mosaike römischer Kirchen wie in St. Clemente. Bei einer genaueren Betrachtung fällt aber auf, dass das „solus Christus“ das

5 Vgl. Krüger/Meyer-Blank, Evangelisch in

Rom, 170.

Mosaik prägt. Jegliche Heiligen-Darstellungen sind verschwunden. Die 1922 eingeweihte Kir-che zeichnet sich auch nach außen als „protes-tantisch“ aus. Die Kirchenfront wird dadurch geziert, dass zwischen den beiden Stadtheili-gen-Figuren Paulus und Petrus in ihrer Mitte „allein Christus“ zu sehen ist. Die Christuskir-che ist ein wilhelminischer Bau mitten in Rom. Wilhelm II. war es, der die Planung maßgeb-lich durchführte und durch seinen Architekten Franz-Heinrich von Schwechten, der auch die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ausgestalte-te, ein protestantisches Denkmal in Rom errich-tete. Maßgeblich gefördert wurde dieses Projekt vom Gustav-Adolph-Werk. Bereits 1883, zum 400. Geburtstag Martin Luthers, kamen erst-mals Forderungen nach einer „Lutherkirche“ in Rom auf. Ein Teil der Inneneinrichtung ist von den Frauenkreisen der „Lutherstätten“ finan-ziert worden, so sind beispielsweise die Glocken vom Wittenberger Frauenverein gesponsert. Sie haben denselben Klang wie die Glocken der Schlosskirche in Wittenberg. So kann man mo-mentan, zur Restaurierungszeit der Wittenber-ger Schlosskirche, nur in Rom den Klang der „Luther-Glocken“ genießen. Und dies, obwohl nach Luther dort doch der Teufel ansässig sein soll … In der Kirche findet sich zudem auch In-ventar, welches noch aus der Gesandtschaftska-pelle auf dem Capitol stammt. Hier ist besonders das Taufbecken, das von 1819 bis 1915 in der Gesandtschaftskapelle auf dem Capitol stand, zu nennen. Es stammt von dem dänischen Bild-

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hauer Bertel Thorvaldsen und ist ein Geschenk des preußischen Gesandten Josias von Bunsen zur Taufe seiner Zwillinge. In der Taufschale sind zwei wichtige theologische Aussagen ent-halten, zum einen ein Auszug aus einem Tau-flied von Bunsens und zum anderen das Taufge-dicht von Papst Sixtus III. (432 – 440) aus den fünften Jahrhundert, das im Original im Bap-tisterium von St. Giovanni in Laterano steht. Es wird so ein bewusster Bezug zu einem der frühsten Tauforte Roms hergestellt und auf die eine gemeinsame Taufe hingewiesen. Der Tauf-stein weist, wie so manches Relikt aus dem frü-hen Christentum in Rom, unübersehbar auf die gemeinsamen Traditionen und Wurzeln, auf die sich sowohl die katholische als auch die evange-lische – und orthodoxe – Konfession besinnen. Bei einem Besuch von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2010 wurde ihm ein Foto der Taufschale

überreicht.6 Die Christuskirche, in die 1983 erst-mals ein Papst einen Fuß in eine evangelische Kirche setzte, ist somit auch ein Wegbereiter des ökumenischen Dialogs in der Stadt, in der die katholische Kirche omnipräsent zu sein scheint.

Die Freude über das Einende wird jedoch im-mer wieder durch den Schmerz des Getrennt-seins getrübt. Am letzten Tag der Exkursion mussten wir dies bei einer Begegnung im Vati-kan mit Monsignore Türk , einem Mitarbeiter des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen in Rom, der für den Dialog mit dem Lutherischen Weltbund und den Alt-Katholiken beauftragt ist, selber spüren. Bei konkreten An-fragen zur „Einheit der Kirche“ wurde uns deut-lich gesagt, dass die römisch-katholische Kirche

6 Vgl. Jürgen Krüger/Jens-Martin Kruse: Unus

fons, unus spiritus, una fides. Ökumene in Rom – Ecume-

nismo a Roma, Karlsruhe 2010, 36 und 206.

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dies nur unter der Bedingung erdenken könne, wenn auch protestantische Kirche sich zur ka-tholischen Kirche und dem Papst bekenne. Es war traurig zu sehen, wie radikal all die positi-ven ökumenischen Erfahrungen der Exkursion – zum Beispiel beim Auffinden der sichtbaren gemeinsamen Traditionen, bei beeindruckenden ökumenischen Begegnungen wie bei der Vesper der Benediktiner in St. Paolo furi di mura, wo in den Fürbitten für uns gebetet wurde oder aber die Berichte über die gute Verbindung mit dem Vatikan von Pfarrer Kruse, die Hoffnungen auf eine Einheit der Kirchen wachsen ließen – von offizieller Seite in Frage gestellt wurden. Ein-heit in Vielfalt – ob das geht: man weiß es nicht. Rom ist ein Beispiel von einender Vielfalt; aber solange die römische Kirchenleitung allein den Anspruch erhebt, die Vielfalt zu einen, kann es keine wirkliche Einheit in Vielfalt geben

Der Besuch in Rom, der von der Einführung Franscescos I. nach dem überraschenden Rück-tritt seines Vorgängers geprägt war, hat viele gemeinsame Wurzeln von Evangelischen und Katholischen sichtbar gemacht, er hat aber auch eindrücklich gezeigt, wie verschieden sich die Konfessionen der einen Kirche Jesu Christi seit der Reformation entwickelt haben. Ich persön-lich kann abschließend für mich sagen, dass ich

aus gutem Grund evangelisch bin und bleiben werde, wobei ich aber trotz der negativen Er-fahrungen mit der katholischen Kirchenleitung in Rom nicht müde werden will, den gemein-samen Weg zu verfolgen. Rom ist sicher nicht, wie Luther sagte, „der Sitz des Teufels“. Es müs-sen nur einige „teuflische Elemente“ noch aus der Welt geschafft werden, damit die Kirche, die nach Eph 4,5 einen Herrn, einen Glauben und eine Taufe hat, existieren kann. Manch ein Vorurteil muss dazu auf beiden Seiten immer wieder überwunden werden, Akzeptanz des Un-terschieds muss gefunden werden und vor allem braucht es Mut und Zuversicht nicht zu resignie-ren, wenn es scheint, dass der Teufel mal wieder seinen Sitz in Rom gefunden hat, und auch hier und da in den eigenen Reihen unbiblisches Un-wesen treibt.

LiteraturBonhoeffer, Dietrich: Italienreise 1924.Krüger, Jürgen/Kruse, Jens-Martin: Unus fons, unus spiritus, una fides. Ökumene in Rom – Ecumenismo a Roma, Karlsruhe 2010.Krüger, Jürgen/Meyer-Blank, Michael: Evan-gelisch in Rom. Der etwas andere Reiseführer, Göttingen 2008.

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Die 13. Seminarsitzung trug den Titel „Der ökumenische Dialog: Chancen und Grenzen: Gemeinsame Erklärung der Rechtfertigungs-lehre von 1999; „Dokumente wachsender Über-einstimmung“; der Papstbesuch in Deutschland 2011“ und beschäftigte sich folglich mit dem Ökumenischen Dialog, fokussiert auf den der deutschen evangelischen Landeskirchen (speziell der lutherischen) mit der römisch-katholischen Kirche. Der Ökumenische Dialog zwischen den diversen Kirchen ist in der Quellensammlung „Dokumente wachsender Übereinstimmung“ dokumentiert, die im Seminar vorgestellt wur-de. Als herausragendes Dokument der jüngeren Vergangenheit, das aus diesem Dialog erwach-sen ist, wurde ferner die Gemeinsame Erklä-rung zur Rechtfertigung besonders gewürdigt.

Das Zweite Vatikanische Konzil: Startschuss für die Ökumene

Das Zweite Vatikanische Konzil – oder das „Ende der Gegenreformation“? So erwägt es bereits 1964 der lutherische Theologe Johann Christoph Hampe1, wenn er als Zeitzeuge von evangelischer Warte aus das Konzil der rö-misch-katholischen Kirche auf sein ökumeni-sches Potential hin befragt. Mit seiner program-matischen Frageperspektive legt Hampe bereits nahe, dass mit den Lehrentscheiden, welche

1 Hampe, Johann Christoph: Ende der Gegenre-

formation? Das Konzil. Dokumente und Deutung, Stutt-

gart/ Berlin 1964.

DER ÖKUMENISCHE DIALOG: CHANCEN UND GRENZENJOHANNES NONNENBROICH UND SIMON BERNINGER

die Konzilsväter auf dem 21. Konzil in der Ge-schichte der römisch-katholischen Kirche ver-abschiedet haben, ein Kurswechsel innerhalb der römischen-katholischen Kirche begründet worden ist, dessen gewichtigstes „Aggiornamen-to“ für das evangelische Christentum sicherlich „die Öffnung der katholischen Kirche für die ökumenische Bewegung auch auf der Ebene des kirchlichen Lehramts“2 bedeutet.

Ohne Zweifel „verheutigte“ die römisch-katholische Kirche ihr Selbstverständnis als „einzige Kirche Christi, die wir im Glaubens-bekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen“ (Lumen Gentium 8), dahingehend, als dass sie nunmehr auch „au-ßerhalb ihres Gefüges mehrere Elemente der Heiligung und der Wahrheit“ (Lumen Gentium 8) anerkennt, die „keineswegs ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles“ (Unita-tis redintegratio 3) sind. Die neu gewonnene Sicht auf „einige, ja sogar sehr viele und bedeutende von den Elementen oder Gütern […] außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kir-che“ (Unitatis redintegratio 3) , die „als geeignet anzusehen sind, den Zutritt zur Gemeinschaft des Heiles zu öffnen“ (Unitatis redintegratio 3), verbürgt das Konzil in der vielzitierten subsistit-in-Formel: „unica Christi Ecclesia […] subsistit in Ecclesia catholica“ (Lumen Gentium 8). Die

2 Oldemann, Johannes: Einheit der Christen

– Wunsch oder Wirklichkeit? Kleine Einführung in die

Ökumene, Regensburg 2009, 64.

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offizielle Übersetzung des Kirchenlateins – „ist verwirklicht in“ – mag dabei dem eigentlich Ge-meinten nur annäherungsweise gerecht werden: Die eine Kirche Jesu Christi erschöpft sich nicht in der katholischen Kirche, wobei sich freilich ein jedes der außerhalb ihrer selbst existierenden „Mittel des Heiles […] von der Fülle der Gna-de und Wahrheit herleitet, die der katholischen Kirche anvertraut ist“ (Unitatis redintegratio 3). Es gibt also „echte Kirchlichkeit außerhalb der römisch-katholischen Kirche, und diese Kirch-lichkeit hält zwar die Frage nach der katholi-schen Einheit durch sich selbst wach, erhält aber ihren Wert nicht erst beim Zustandekommen der Einheit. Wenn Worte einen Sinn haben, be-deutet dies eine deutliche Selbstrelativierung der Kirche“3, weil sie die eine und einzige Kirche Jesu Christi in sich selbst zwar nach wie vor am umfänglichsten, aber nicht mehr ausschließlich vertreten sieht.

Weil das Konzil also einerseits lehrt, nicht mehr allein von der einen Kirche Jesu Christi zu zeugen, andererseits aber diese eine Kirche Jesu Christi weiterhin umfänglichst abzubilden beansprucht, ergibt sich in der logischen Konse-quenz die Befürwortung der Einheitsbemühun-gen: „Die Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen zu fördern ist eines der Haupt-ziele des Heiligen Ökumenischen Zweiten Va-

3 Pesch, Otto Hermann: Das Zweite Vatikani-

sche Konzil. Vorgeschichte – Verlauf – Ergebnisse – Wir-

kungsgeschichte, Kevelaer 32011, 220.

tikanischen Konzils. Denn als eine einige und einzige ist die Kirche von Christus, dem Herrn, gegründet worden, und doch stellen sich meh-rere christliche Gemeinschaften den Menschen als das wahre Erbe Jesu Christi dar“ (Unitatis redintegratio 1).

Mit der neugewonnenen Sicht auf die nicht-katholischen Gemeinschaften, die „ohne Zwei-fel tatsächlich das Leben der Gnade zeugen“ (Unitatis redintegratio 3), liefern die Konzilsväter einen Lehrbeitrag, der im Vergleich zu vorigen Lehraussagen tatsächlich wie das längst überfäl-lige, nunmehr lehramtlich abgesegnete „Ende der Gegenreformation“ erscheint: So legte noch 1928 Pius XI. den nichtkatholischen Christen in seiner Enzyklika Mortalium animos nahe, „von den Meinungen abzulassen, die auch heute noch der Grund dafür sind, dass sie als irrende Schäf-lein außerhalb des einen Schafstalls Christi ste-hen“. Ähnlich auch Papst Pius XII. 1943 in sei-ner Enzyklika Mystici Corporis, worin er von den nichtkatholischen Christen gleichermaßen for-dert, „sich aus jener Lage zu befreien, in der sie ihres eigenen Heiles nicht sicher sein können“. Vielmehr lädt er dazu ein, „in die katholische Einheit einzutreten“.

Eine solche „Rückkehr-Ökumene“, basie-rend „auf der Überzeugung, dass die Einheit der Kirche nie verlorengegangen, sondern in der katholischen Kirche erhalten und bis heute bewahrt worden sei“4, hat das Konzil nunmehr

4 Oldemann, Johannes: Einheit der Christen

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überwunden, wenngleich weiterhin gilt: „Nur durch die katholische Kirche Christi, die die all-gemeine Hilfe zum Heil ist, kann man die ganze Fülle der Heilsmittel erlangen. Denn einzig dem Apostelkollegium, dem Petrus vorsteht, hat der Herr, so glauben wir, alle Güter des Neuen Bun-des anvertraut, um den einen Leib Christi auf Erden zu bilden“ (Unitatis redintegratio 3). Gegen-über dieser in der katholischen Kirche vorhan-denen Fülle der Heilsmittel sind die außerkatho-lischen Wirklichkeitselemente der einen Kirche Jesu Christi „mit jenen Mängeln behaftet“ (Uni-tatis redintegratio 3), die „in der Lehre und bis-weilen auch in der Disziplin wie auch bezüglich der Struktur der Kirche“ (Unitatis redintegratio 3) begründet sind. „Mängel“ – lat. defectus – meint also keine Wertung der Gläubigkeit und Fröm-migkeit der einzelnen Glieder dieser kirchlichen Gemeinschaften mehr, sondern eine Einschät-zung der strukturellen und sakramentalen Aus-

– Wunsch oder Wirklichkeit? Kleine Einführung in die

Ökumene, Regensburg 2009, 60.

stattung dieser kirchlichen Gemeinschaften selbst. Indem diese Mängel behoben werden, entsteht so viel an Gemeinsamkeit, dass dann auch die Communicatio in sacris, die gottesdienst-liche, besonders eucharistische Gemeinschaft vollzogen werden kann, weil sie nach katholi-schem Verständnis Ausdruck der Einheit, nicht Weg der Einheit darstellt.

Reibstein PetrusamtDiesen Weg hin zur wachsenden Gemein-

samkeit geht die katholische Kirche seither im „Dialog der Liebe“ und im „Dialog der Wahr-heit“ mit den verschiedenen Konfessionen. Der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen führt heute mit 16 verschiedenen christlichen Konfessionen einen Dialog auf Au-genhöhe, wobei sich in den Jahren nach dem Konzil bis heute das katholische Kirchenver-ständnis mit dem Petrusamt an seiner Spitze als die wohl größte Herausforderung auf dem Weg zur Einheit herausgestellt hat. Entsprechend

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kommt schon Paul VI. nur zwei Jahre nach dem Zweiten Vatikanum 1967 zu der wachen Ein-schätzung, dass sein Amt „das größte Hinder-nis auf dem Weg der Ökumene“ darstellt. Sein Nachfolger, Johannes Paul II., bringt 1995 in seiner Ökumene-Enzyklika Ut unum sint das Wesentliche seines Amtes dahingehend auf den Punkt, als dass Gott den Bischof von Rom „als immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit eingesetzt hat“, ermu-tigt gleichzeitig aber alle Theologen – katholisch wie nichtkatholisch, ein Verständnis vom Petru-samt auszuarbeiten, mit dem sich alle Christen anfreunden können. So hat es in den vergange-nen Jahren viele Vorschläge gegeben, auch sei-tens einiger evangelischer Landesbischöfe, die sich – ausgehend von der Feststellung, dass der Papst in bestimmten Situationen wie etwa dem Irakkrieg automatisch als Sprecher der Christen wahrgenommen wird – vorstellen können, den Papst sogar explizit dazu zu berufen. Bischof Friedrich Weber kann sich zum Beispiel vorstel-len, dass eine Synode, die von den Kirchen der Welt beschickt wird und der Geistliche und Lai-en angehören, den Bischof von Rom zum Spre-cher der Christenheit wählt – und mehr noch, „nämlich dass dieses Sprecheramt rotiert. Dann wären zum Beispiel mal der Erzbischof von Canterbury, der Patriarch von Konstantinopel oder die eine und andere Repräsentantin einer wichtigen christlichen Konfession an der Rei-

he“5, gleichwohl für ihn im Anschluss an Rein-hard Frieling gilt: „Es geht um eine Gemein-schaft mit, aber nicht unter dem Papst“, der für die Protestanten „ein Mitbruder in einer beson-deren Verantwortung für eine Weltkirche“ sei.6

Der Papst-Besuch in Deutschland im Sep-tember 2012

Die deutschen Laien, Theologen und Kir-chenvertreter – ob katholisch, evangelisch oder orthodox – sahen dann im September 2012 der Apostolischen Reise Benedikts XVI. in sein Heimatland schon allein deshalb erwartungs-voll entgegen, weil sein Deutschland-Besuch unter dem Motto „Wo Gott ist, da ist Zukunft“ auch ökumenische Begegnungen mit Vertretern der EKD im Augustiner-Kloster Erfurt sowie Vertretern der Orthodoxen Kirche in Freiburg vorsah – die Benedikt XVI. entgegen der offizi-ellen Planung schließlich auch ausführlicher ge-staltete, als ursprünglich vorgesehen war. Ent-sprechend groß waren die Erwartungen, bis hin zu der hie und da geäußerten Vermutung, der Papst würde am klösterlichen Studienort Mar-

5 Weber, Friedrich: Gefahr des Provinzialismus.

Gespräch mit Bischof Friedrich Weber über die evange-

lische Sicht des Papstamtes und das Pontifikat Benedikts

XVI. In: Zeitzeichen 9 (2012), 40.

6 Vgl. Interview mit Bischof Müller: Gefahr des

Provinzialismus. Gespräch mit Bischof Friedrich Weber

über die evangelische Sicht des Papstamtes und das Ponti-

fikat Benedikts XVI. In: Zeitzeichen 9 (2012), 39-42.

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tin Luthers in Erfurt angesichts des bevorste-henden 500. Jahrestages der Reformation 2017 Luther gar rehabilitieren.

Benedikt XVI. griff diese Erwartungshal-tung schließlich selbst auf: „Im Vorfeld des Papstbesuchs war verschiedentlich von einem ökumenischen Gastgeschenk die Rede, das man sich von diesem Besuch erwarte. Die Gaben, die dabei genannt wurden, brauche ich nicht einzeln anzuführen. Dazu möchte ich sagen, dass dies ein politisches Missverständnis des Glaubens und der Ökumene darstellt.“ In der Tat war es eine überzogene Erwartungshaltung, der Papst möge bei einem Besuch auf einer nationalen Ebene Fragen entscheiden, die die ganze Kir-che betreffen. Stattdessen hat er auf den Kern der Ökumene verwiesen: „Unser erster ökume-nischer Dienst in dieser Zeit muss es sein, ge-meinsam die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen und damit der Welt die Antwort zu geben, die sie braucht. Zu diesem Grundzeug-nis für Gott gehört dann natürlich ganz zentral das Zeugnis für Jesus Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott, der mit uns gelebt hat, für uns gelitten hat und für uns gestorben ist und in der Auferstehung die Tür des Todes aufgerissen hat. Liebe Freunde, stärken wir uns in diesem Glau-ben! Helfen wir uns, ihn zu leben. Dies ist eine große ökumenische Aufgabe, die uns mitten ins Gebet Jesu hineinführt.“ Gottesfrage und Christozentrik als Kern der Ökumene sind nach Benedikt XVI. also Gebot der Stunde – denn wenn sich die Konfessionen hier einander näher

kommen, werden sie auch einander näherkom-men: Ökumene kann umso mehr in die Brei-te wachsen, wenn sie in die Tiefe wächst. Das heißt: Je mehr wir uns auf Christus konzentrie-ren, je mehr wir ihm näher kommen, je klarer wir den Glauben an Jesus Christus den Gottes-sohn bekennen, desto einfacher wird Ökumene.

Bezogen auf das Treffen des Papstes mit Ver-tretern der EKD in Erfurt war es zweifelsfrei ein organisatorischer Regiefehler, die Begeg-nungen auf zwei Orte im Augustinerkloster zu verteilen. Zwischen der Begegnung im Kapitel-saal und dem öffentlichen Gottesdienst in der Klosterkirche und auch den jeweiligen Reden Benedikts XVI. gab es keine Verbindung. Die größere Öffentlichkeit wusste damit auch nichts von der Atmosphäre, in der die Begegnung im kleinen Kreis stattgefunden hatte. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Rede des Pap-stes im Kapitelsaal, dann wird deutlich, dass sie durchaus Potenzial für weiterführende Frage-stellungen enthält, die sich daraus entwickeln lassen.

Dokumente wachsender ÜbereinstimmungWie weit die Ökumene tatsächlich schon in

die Tiefe gewachsen ist, bezeugen die „Doku-mente wachsender Übereinstimmung“. Sie sind eine mittlerweile auf vier Bände angewachsene Quellensammlung zu den Ergebnissen des öku-menischen Dialogs, in der Zeit seit dem Beginn der Ökumenischen Bewegung, konkret 1931, bis 2010, erschienen im Bonifatius-Verlag. Der vierte

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Band erschien 2012, ein Ende des Projektes ist nicht abzusehen. Das Projekt dokumentiert theo-logische Übereinstimmungen zwischen den Kir-chen auf bilateraler Ebene. Die hierfür gegebene Einschränkung, auf die die Herausgeber in Band 1 hinweisen ist die Festlegung auf „in interkon-fessionellen Lehrgesprächen auf Weltebene“ erar-beiteten Texte. Hierbei wird in den Bänden eins bis drei wie folgt unterschieden: Unter A finden sich Dokumente zum Konsens zwischen den Kir-chen und weltweiten christlichen Gemeinschaf-ten“; B liefert die Texte zum Dialog zwischen der Römisch Katholischen Kirche mit westlichen christlichen Gemeinschaften; „C“ dokumentiert den Dialog zwischen dem Ökumenischen Rat der Kirchen mit der Römisch Katholischen Kir-che. In Band vier, erschienen 2012, ändert sich mit einem Wechsel in der Herausgeberschaft die althergebrachte Aufteilung. Die Grundstruktur bleibt dabei erhalten, die Gliederung wird aller-dings geändert. Die Römisch Katholische Kirche

verliert gegenüber den anderen Kirchen ihren Sonderstatus. Teil A und B werden neu sortiert, früher fand man unter A Gliedkirchen des ÖRK und unter B derer Gespräche mit der Römisch Katholischen Kirche. Jetzt gibt es eine neue Auf-teilung nach Status und Trägerschaft der Doku-mente.

Im Unterschied zu anderen Quellensammlun-gen formulieren die Herausgeber der Dokumen-tation in der Einleitung zu Band 1 ein Ziel ihrer Arbeit: Die Dokumentation soll zum Erreichen theologischer Übereinstimmungen dienen. Die Verschiedenheit zwischen den einzelnen Posi-tionen muss nicht aufgehoben, sondern so weit überwunden werden, dass Gemeinschaft entste-hen kann. Ein Schwerpunkt liegt auf bilateralen Gesprächen. Deren Merkmal ist dabei, dass dabei die eigene Identität besser betont werden kann. Es handelt sich um offizielle kirchliche Gesprä-che, die meisten sind Lehrgespräche zwischen den Kirchen. Trotz des Vorzugs, so die Heraus-

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geber, ist eine Wechselbeziehung zwischen bilate-ralem und multireligiösem Dialog notwendig, da man dem bilateralen Gespräch unterstellt, dass es die Konfessionalität fördere. Tatsächlich handelt es oft über Konkreta gelebter Kirchlichkeit. Die Gefahr einer Isolation des Dialogs ist dabei nicht von der Hand zu weisen.

Die gemeinsame Erklärung zur Rechtferti-gungslehre

Ein herausragendes Ergebnis des ökumeni-schen Dialogs in der jüngeren Vergangenheit war die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtferti-gungslehre“, die 1999 von Vertretern der beiden Dialogpartner, der Römisch Katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbunds, zusammen mit der „gemeinsamen offiziellen Festlegung“ und dem „Annex zur Gemeinsamen offiziellen Fest-legung“ offiziell angenommen wurde. Die kir-chengeschichtliche Bedeutung des Dokuments wird sehr unterschiedlich bewertet. Festzustellen ist eine Publikationsfülle zur GER in den Jahren 1998 bis 2000, sowie einzelne sich auf sie bezie-hende Veröffentlichungen in den Folgejahren. Exemplarisch seien die epd-Dokumentationen 23/98 und ZTHK Beiheft 10 (1998) genannt, die sich ausschließlich mit der GER befassen. Für die Resonanz in der deutschsprachigen evange-lischen Theologie sei zudem die Stellungnahme der Hochschullehrer aufgeführt, die von 255 Do-zenten der Evangelischen Theologie unterzeich-net wurde. Aus genannter epd-Dokumentation sollen exemplarisch drei Stimmen zu Wort kom-

men. R. Brandt untersucht die einzelnen Be-gründungen zur Zustimmung zur GER durch die unterzeichnenden Gliedkirchen des luthe-rischen Weltbunds. Dabei stellt er drei Typen von Zustimmung fest. Zum einen Zustimmung ohne den bestimmten Artikel, also Konsens in einigen der genannten Grundwahrheiten. Das drückt sich aus in Zustimmung zur Deutung, worin die Unterschiede zwischen den Dialog-partnern liegen, sowie einer Zustimmung zur Behauptung, dass es einen Konsens in Grund-wahrheiten gebe, ohne die einzelnen folgenden Thesen zu teilen. Ferner gibt es Kirchen, die dem gesamten Text der Erklärung zustimmen, Zuletzt solche, die nur These 41, dem Ziel, dass Lehrverurteilungen aus dem 16. Jahrhundert nicht mehr träfen, zustimmen. Brandt proble-matisiert diesen Befund indem er unterstreicht, dass der LWB kein Mandat in Lehrfragen hat und fragt, ob er Einstimmigkeit oder Magnus Konsensus für sein Dokument erzielen möchte.

D. Wendebourg ist eine scharfe Kritikerin des Textes. Ihr Beitrag trägt den Titel „Einspruch gegen die GER“. Das mag überraschen, immer-hin war sie Kommissionsmitglied bei der Erstel-lung des Textes. Ihre Unterüberschrift lautet da-her: Kritik auf Basis eigener Mitarbeit. Zunächst kritisiert sie das Verfahren der Entstehung der GER. Stärkstes Argument ist dabei das bereits von Brandt genannte, dass der LWB seine Kom-petenzen klar überschritt. Ferner, so Wende-bourg, wurde bei der Entstehung des Textes die kirchliche Öffentlichkeit zunächst außen vor

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gehalten und ältere, ähnliche Voten ignoriert. Die Verbindlichkeit des Dokuments ist für bei-de Seiten, so Wendebourg, aufgrund ihrer unter-schiedlichen Ekklesiologie höchst unterschied-lich. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass die GER die Absicht formuliert, dass der erreichte Konsens dazu führen soll, dass Lehrverurtei-lungen aus dem 16. Jahrhundert nicht mehr tref-fen. Solche Lehrverurteilungen im Rahmen der Rechtfertigungslehre wurden auf dem Tridenti-num tatsächlich formuliert, evangelischerseits fehlen sie aber. Einzig in der Konkordienformel sind Verurteilungen enthalten, diese ist aber nur für wenige lutherische Kirchen Bekenntnistext. Ein weiterer Kritikpunkt ist für Wendebourg die Methode des differenzierten Konsens. Sie kritisiert, dass der Konsens dem Dissens stets vorgeordnet und normativ ist. Die konfessionel-len Positionen sind immer nur von der Konsens-formel her zu verstehen. Das wird den einzelnen Positionen aber nicht gerecht, die ja nicht nur Lehrvariante sein wollen. Zuletzt kritisiert Wen-debourg die Folgelosigkeit der GER. Als Grund liefert sie These 18 des Dokuments. Für refor-matorische Kirchen sei es unmöglich, Dissens bei der Rechtfertigungslehre festzustellen und den Gesprächspartner als Kirche im Vollsinn anzuerkennen. Die Rechtfertigungslehre bleibt status confessionis.

Als letzte Position sei O.H. Pesch genannt, römisch katholischer Theologe und Lutherfor-scher. Pesch ist ein überzeugter Befürworter der GER. Er sieht in der Erarbeitung des Doku-

ments einen Meilenstein für den Ökumenischen Dialog. Wenn, so Pesch, die Rechtfertigungsleh-re bisher als status confessionis kirchentrennend war, so seien durch die GER die Voraussetzun-gen für eine Überwindung des konfessionellen Gegensatzes geschaffen.

Woher rührt die sehr unterschiedliche Be-wertung der GER? Hauptdiskussionspunkt ist in der Regel die Methode des „differenzierten Konsens“, die in der GER angewandt wurde. Hierdurch sollen Übereinstimmungen festge-stellt, Dissens erklärt werden. Wenn, so die Be-fürworter, der Dissens methodisch überwunden würde, könne man zugleich die Konfessionali-sierung überwinden. Kritiker halten diese Ar-gumentation für naiv, werfen den Verfechtern vor den ekklesiologischen Wert der kirchentren-nenden dogmatischen Aussagen zu verkennen. Für die Kirchen der Reformation steht und fällt das Kirchesein mit dem Artikel von der Recht-fertigung. Für die Römisch-Katholische Kirche ist er einer unter vielen. Es ist allerdings fest-zustellen, dass die 1999 durchgeführte Methode sich zurzeit im ökumenischen Gespräch durch-gesetzt zu haben scheint.

Unabhängig von den vielen Möglichkeiten der Bewertung der GER muss das angestrebte Projekt heute als gescheitert gelten. In der Ge-meindewirklichkeit spielt die GER heute keine Rolle, auf den theologischen Diskurs an den Hochschulen hat sie keinen Einfluss. Hinzu kommt, dass sie schon sehr früh nur in Deutsch-land Beachtung fand.

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Am letzten Tag der Romexkursion wurde die GER wieder Gegenstand unseres Interes-ses, beim Treffen mit Monsignore Dr. Matthias Türk, Mitarbeiter des Päpstlichen Rates zur För-derung der Einheit der Christen in Rom, des-sen Präsident seit 2010 Kurt Kardinal Koch ist. Sein Arbeitsbereich betrifft den internationalen Dialog mit dem Lutherischen Weltbund und den Alt-Katholiken. Monsignore Türk stellte uns zunächst den hierarchischen Aufbau der rö-misch-katholischen Kirche vor. Angesichts de-ren transparent gewordener Komplexität wur-den die innerkatholischen Forderungen nach einer Kurienreform verständlich. Nach einer kurzen Einführung in die verschiedensten Ar-beitsfelder der einzelnen Gremien des Vatikans gab uns Türk eine detaillierte Vorstellung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Dabei vertrat er erwartungsgemäß die offizielle katholische Lehrmeinung, die be-sonders bei unseren Anfragen, die teils vor dem

Hintergrund persönlicher Erfahrungen mit den Herausforderungen konfessionsverschiedener Lebenswirklichkeiten getroffen wurden, nur be-dingt auf Gefallen stieß. Wieder zeigte sich, dass der Dialog der Wahrheit bezüglich sakramenta-ler und struktureller Kirchenwirklichkeit zwar kein einfacher ist, dass die römisch-katholische Kirche doch aber bemüht ist, diesen Dialog zu führen. Nach dem Gespräch mit Monsignore Türk war einmal mehr deutlich, wie der heutige Stand der katholischen Kirche zur Ökumene ist: „Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken oder aushandeln. Er ist die Grundlage, auf der wir leben. Nicht durch Abwägung von Vor- und Nachteilen, sondern nur durch tieferes Hinein-denken und Hineinleben in den Glauben wächst Einheit“ – Worte von Papst Benedikt XVI. in Erfurt, die schon im Vorfeld unserer Rom-Exkursion während des Seminars angeklungen sind und sich bei der Begegnung mit Monsigno-re Türk konsequent bestätigten.

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