„Raum für Kinderspiel!“ · 108 0 20 40 60 80 100 120 sehr schlecht schlecht ausreichend...
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„Raum für Kinderspiel!“Ausgewählte Ergebnisse der in
Ludwigsburg, Offenburg, Pforzheim, Schwäbisch‐Hall, Sindelfingendurchgeführten Studie
Prof. Dr. Baldo BlinkertFreiburger Institut für angewandte
SozialwissenschaftFachtagung in Ludwigsburg am 8.10.2014
„Was ist ein Aktionsraum?“
Ein Territorium außerhalb der Wohnung mit 4 Merkmalen:
• Gefahrlosigkeit – in dem Sinne, dass Kinder im Prinzip in der Lage sind, Gefahren zu erkennen und damit umzugehen.
• Zugänglichkeit – in dem Sinne, dass geeignete Spielorte erreichbar sind, in nicht zu großer Entfernung, nicht abgeschnitten durch unüberwindbare Barrieren oder unzugänglich aufgrund von Verboten
• Gestaltbarkeit – in dem Sinne, dass Kinder ein solches Territorium gerne nutzen, dass sie damit etwas anfangen können und sich nicht langweilen; dass es einen hohen Gebrauchswert hat
• Interaktionschancen – in dem Sinne, dass Kinder die Gelegenheit haben, mit anderen Kindern etwas zu unternehmen
Warum sind für freies Spielen nutzbare Räume im Umfeld der Wohnung wichtig?
• Bewegung: zentrales Bedürfnis, Notwendigkeit• Kontingenz: Unerwartetes, neue Erfahrungen, Herausforderungen
• Distanz zu Eltern, Wohnung: Selbständigkeit• Vielfalt: Anregungen zum Entdecken, Herstellen, Erzählen
• Begegnung mit Fremden: angemessenes Verhalten • Konflikte und Risiken: soziales Verhalten, Risikokompetenz
„Düstere“ Bilder von Kindheit
• „Verhäuslichung“• „inszenierte Kindheit“• „organisierte Kindheit“• „kontrollierte Kindheit“• „betreute Kindheit“• „verinselte Kindheit“• „Medienkindheit“• „bewegungsfaule, übergewichtige Kinder“
Stimmt das alles?
Aktionsraumqualität:Gefahrlosigkeit,Zugänglichkeit,Gestaltbarkeit
Interaktionschancen
Lebensqualität, Entwicklungs-
chancen von Kindern: autonome vs. heteronome
Kindheit
Kinderalltag:freies Spielen im
Wohnumfeld,„organisierte Kindheit“,
„Medienkindheit“
gesellschaftlicher, kultureller, ökonomischer Kontext;Stadtentwicklung
Grundidee zur Studie „Raum für Kinderspiel!“
Methoden der Studie „Raum für Kinderspiel“
• schriftliche Elternbefragung in den 5 Städten; ca. 5.000 Kinder erreicht
• strukturiertes Tagebuch in der Elterbefragung: was tun Kinder an 3 Werktagen und wie lange?
• Wohnumfeldinventar: Erfassung relevanter Merkmale des Wohnumfeldes durch Beobachtung –für ca. 2.500 Kinder
• Begehungen von Wohnquartieren mit Kindern; 4 in jeder Stadt: wie erleben Kinder ihr Wohnumfeld?
• Gespräche mit Experten aus den 5 Städten
sehr schlecht22%
schlecht5%
ausreichend16%
befriedigend12%
gut32%
sehr gut13%
Aktionsraumqualität in 5 Erhebungsorten von B.‐W.
Effektgrößen
Raumeffekt 0,534
Sozialraum‐effekt
0,441
Alter,Bewertungs‐effekt
0,437
Orientierungs‐effekt
‐0,182
Selektions‐effekt
‐0,517
Varianzerklärung: 73%
Zentrale These der Studie „Raum für Kinderspiel!“
Der Kinderalltag hängt im wesentlichen von der Aktionsraumqualität im Wohnumfeld ab.
76
33
26
126
3
3365
27 24
9 7 2 130
10
20
30
40
50
60
70
80
sehr sc
hlecht
schlecht
ausreichen
d
befriedigend gut
sehr gut
Insgesam
t
Prozen
t
Aktionsraumqualität
Prozent der Kinder, die NICHT draußen ohne Aufsichtspielen
5,6,7 Jahre
8 u. 9 Jahre
Aktionsraumqualität: Wie spielen Kinder draußen?
15
34
54
7680
105
24
6571
89
99
109
0
20
40
60
80
100
120
sehr sc
hlecht
schlecht
ausreichen
d
befriedigend gut
sehr gut
Min. p
ro Tag
Aktionsraumqualität
Draußen ohne Aufsicht ‐Aktionraumqualität
5,6,7 Jahre
8 u. 9 Jahre
95
78 79
6355
39
6761
4739
31
19
0
20
40
60
80
100
120
sehr sc
hlecht
schlecht
ausreichen
d
befriedigend gut
sehr gut
Min. p
ro Tag
Aktionsraumqualität
Draußen unter Aufsicht ‐Aktionsraumqualität
5,6,7 Jahre
8 u. 9 Jahre
39%
0%
44%
90% 30%
10%
67%
18%
92%
0% 50% 100% 150% 200% 250% 300%
schlecht, sehr schlecht
gut, sehr gut
Prozent (>100 da Mehrfachangaben)
Aktio
nsraum
qualitä
t
Wo können Kinder regelmäßig ohne Aufsicht spielen?
nirgendwo
private Räume (Hof, Garten)
halböffentliche Räume (Schulhof, Schwimmbad)
öffentliche Spielplätze
öffentliche Räume (Straße, Plätze, Anlagen…)
Alternativen zur zentralen These
• Alternative 1: Wenn Kinder viele Kurse und Veranstaltungen besuchen („organisierte Kindheit“), spielen sie seltener draußen ohne Aufsicht.
• Alternative 2: Je attraktiver die Binnenräume von Kindern sind, desto seltener spielen sie draußen.
• Alternative 3: Wenn Eltern ein starkes Sicherheitsbedürfnis oder eine starke Lernorientierung haben, spielen Kinder seltener draußen.
keine15%
1 Veranst.24%
2 Veranst.35%
3 u. mehr V.26%
Zahl der besuchten Kurse u. Veranstaltungen Wenn Angebote genutzt werden:
Bewegung, Sport 70%
Musische Angebote 50%
Kompetenz‐erweiterung 14%
Alternative 1: „organisierte Kindheit“ verhindert freies Spielen im Umfeld der Wohnung
5065 72 73
01020304050607080
keine eineVeranstaltung
zweiVeranstaltungen
drei und mehrVeranstaltungen
Min. p
ro W
oche
regelmäßig pro Woche besuchte Kurse/Veranst.
Zeit draußen ohne Aufsicht ‐ Besuch von Kursen/Veranstaltungen
Alternative 1: „Organisierte Kindheit“ verhindert freies Spielen im Umfeld der Wohnung
Anzahl d. regelm. Besuchten Kurse/ Veranstaltungen
Zeit draußen ohne Aufsicht+
???Eta=0,114
Anzahl d. regelm. Besuchten Kurse/ Veranstaltungen
Zeit draußen ohne Aufsicht+
Ressourcen der Familie
Soziale Sortierung: Günstiges
Wohnumfeld
Eta=0,333
0%20%40%60%80%100%
sehr ungün
stig
ungünstig
mittel
günstig
sehr gün
stig
Ressourcen d. Familie
Ressourcen d. Familie und Aktionsraumqualität
sehr gut
gut
befriedigend
ausreichend
schlecht
sehr schlecht
Eta=0,241
16 41 60 82 90 108
020406080
100120
sehr sc
hlecht
schlecht
ausreichen
d
befriedigend gut
sehr gut
Min. p
ro Tag
Aktionsraumqualität
Zeit draußen ohne Aufsicht u. Aktionsraumqualität
Eta=0,469X
42%29%
17%8% 6%
8%13%23%30%35%
0%10%20%30%40%50%60%70%80%90%
100%
sehr ungün
stig
ungünstig
mittel
günstig
sehr gün
stig
Ressourcen d. Familie
Besuch von Veranst./Kursen ‐Ressourcen d. Familie
drei undmehrVeranstaltungen
zweiVeranstaltungen
eineVeranstaltung
keine
Ausstattung: Kinderzimmer, Geräte
(u.a. CD‐Player..)
Zeit draußen ohne Aufsicht+
49 6072
0
10
20
30
40
50
60
70
80
nein ja, zusammen mitGeschwistern
ja, für sich allein
Min. p
ro Tag
eigenes Zimmer?
Draußen ohne Aufsicht ‐ eigenes Zimmer
Alternative 2: Je attraktiver die Binnenräume von Kindern sind, desto weniger spielen sie draußen (es kommt deshalb zur „Verhäuslichung“)
???
Eigenes Zimmer: 70%Mit Geschwistern: 26%Kein eig. Zimmer: 4%
Ausstattung: Kinderzimmer, Geräte
(u.a. CD‐Player..)
Zeit draußen ohne Aufsicht+
Ressourcen der Familie
Soziale Sortierung: Günstiges
Wohnumfeld
0%
20%
40%
60%
80%
100%
sehr ungün
stig
ungünstig
mittel
günstig
sehr gün
stig
Ressourcen d. Familie
Eigenes Zimmer ‐ Ressourcen d. Famlie
ja, für sichallein
ja, zusammenmitGeschwistern
nein
Eta=0,282
0%20%40%60%80%100%
sehr ungün
stig
ungünstig
mittel
günstig
sehr gün
stig
Ressourcen d. Familie
Ressourcen d. Familie und Aktionsraumqualität
sehr gut
gut
befriedigend
ausreichend
schlecht
sehr schlecht
Eta=0,241
16 41 60 82 90 108
020406080
100120
sehr sc
hlecht
schlecht
ausreichen
d
befriedigend gut
sehr gut
Min. p
ro Tag
Aktionsraumqualität
Zeit draußen ohne Aufsicht u. Aktionsraumqualität
Eta=0,469X
Sicherheitsbedürfnis der Eltern
Zeit draußen ohne Aufsicht‐
8374 74
61 54
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
nein, aufkeinen Fall
eher nein vielleicht,unsicher
eher ja ja, aufjeden Fall
Min. p
ro Tag
"Muss man besorgt sein`"
Draußen ohne Aufsicht ‐ Sicherheitsbedürfnis
Alternative 3: Je stärker Eltern sicherheitsorientiert (oder lernorientiert) sind, destoweniger können Kinder draußen ohne Aufsicht spielen
Lernorientierung
Sicherheitsbedürfnis der Eltern
Zeit draußen ohne Aufsicht‐
Ressourcen der Familie
Soziale Sortierung: Günstiges
Wohnumfeld
Eta=0,276
0%20%40%60%80%100%
sehr ungün
stig
ungünstig
mittel
günstig
sehr gün
stig
Ressourcen d. Familie
Ressourcen d. Familie und Aktionsraumqualität
sehr gut
gut
befriedigend
ausreichend
schlecht
sehr schlecht
Eta=0,241
16 41 60 82 90 108
020406080
100120
sehr sc
hlecht
schlecht
ausreichen
d
befriedigend gut
sehr gut
Min. p
ro Tag
Aktionsraumqualität
Zeit draußen ohne Aufsicht u. Aktionsraumqualität
Eta=0,469<<|0,10|
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Ressourcen d. Familie
Muss man besorgt sein? ‐ Ressourcen d. Familie
ja, auf jeden Fall
eher ja
vielleicht, unsicher
eher nein
nein, auf keinenFall
Lernorientierung
Struktur‐ und Messmodell für „freies Spielen“
Standardisierte Gesamteffekte
Aktionsraumqualität 0,761
Alter 0,545
Ressourcen d. Familie 0,248
Sicherheits‐/Lerndispos.d.Eltern
‐0,221
Geschlecht 0,000
Varianzerklärung 83%
Zusammenfassung
• Die wichtigste Bedingung für freies Spielen, für die Zeit, die Kinder draußen ohne Aufsicht verbringen, ist die Aktionsraumqualität – diese hängt in hohem Maße von den Bedingungen im Wohnumfeld der Familie ab.
• Aufgrund von sozialen Sortierungen variiert die Qualität des Wohnumfeldes in hohem Maße mit den Ressourcen der Familie.
• Straßenkindheit ist unter den Bedingungen moderner Stadtentwicklung nicht mehr ein Unterschichtphänomen , sondern eher für Kinder aus wohlhabenden Mittelschichtfamilien beobachtbar.
• Kinder aus Familien mit ungünstigen Ressourcen sind in mehrfacher Hinsicht benachteiligt– Schwierigkeiten im Schulsystem– Sie leben häufiger in Wohngebieten mit ungünstigen Bedingungen – können
weniger ohne Aufsicht draußen spielen – Sie nutzen seltener anregende Kurse und Veranstaltungen, die eine
Kompensation für ein ungünstiges Wohngebiet sein könnten
Kindheitstypen
„autonome Kindheit“ Kinder, die viel unternehmen, in hohem Maße selbständig sind und durch die Nutzung von Angeboten aus den Bereichen Bewegung/Sport, musische Tätigkeiten und Kompetenzerweiterung ihren Erfahrungsraum erweitern und viele Anregungen erhalten. 55% der Kinder in unserer Stichprobe entsprechen diesem Typ.
„heteronome Kindheit“ Kinder, die wenig selbständig unternehmen können, viel von den Eltern beaufsichtigt und/oder in einer Einrichtung betreut werden und wenige Anregungen durch die Teilnahme an Kursen und Veranstaltungen erhalten. 45% der Kinder lassen sich diesem Typ zurechnen.
Variieren mit: Alter, Ressourcen d. Familie und sehr deutlich mit der Aktionsraumqualität
Standardisierte Gesamteffekte
Aktionsraumqualität 0,743
Alter 0,543
Ressourcen d. Familie 0,454
Sicherheits‐/Lerndispos.d.Eltern
‐0,145
Geschlecht 0,000
Varianzerklärung 93%
Struktur‐ und Messmodell für „autonome Kindheit“
26%43%
54%68%
80%
54%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
5 6 7 8 9 gesamtAlter d. Kinder
"autonome Kindheit" "heteronome Kindheit"
Alter
26%43%
51% 52%62%
54%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
sehr ungün
stig
ungünstig
mittel
günstig
sehr gün
stig
gesamt
Ressourcen d. Familie
"autonome Kindheit" "heteronome Kindheit"
Ressourcen
16%32%
43%64% 73%
85%
54%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
sehr sc
hlecht
schlecht
ausreichen
d
befriedigend gut
sehr gut
gesamt
Aktionsraumqualität
"autonome Kindheit" "heteronome Kindheit"
Aktions‐raumqualität
Vorschläge ‐ Konsequenzen
• Allgemeine Prinzipien:– Kinderpolitik ist nicht nur Sozialpolitik, sondern auch Raumpolitik
– Kontinuierliches Monitoring (u.a. Quartiersprofile, „Soziotopentest“)
– Gegenstand einer raumbezogenen Kinderpolitik: die ganze Stadt
– Partizipation: Kinder und Eltern
• Konkrete Vorschläge
Konkrete Vorschläge
Geeignete Parameter: Verteilung von Chancen in der Stadt; Wohnumfeld: Beseitigung von Gefahren und Zugänglichkeit zu attraktiven Orten; Gestaltbarkeit: Gebrauchswert der Stadt; Attraktivität von Spielorten• Chancenverteilung: Wohnraumpolitik (Wohnungsangebot); „Subjektförderung“
• Gefahren, Zugänglichkeit: Verkehrsberuhigung, Spielstraßen; Übergang Wohnung‐Straße
• Gestaltbarkeit, Gebrauchswert: Vernetzung (bespielbare Wege); „funktionale Unbestimmtheit“