Alle Rechte vorbehalten - univie.ac.at · 2013. 11. 2. · söhne Drusus und Tiberius 15 v. Chr....

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Alle Rechte vorbehalten Druck: Tiroler Graphik, Innsbruck, Innrain 27—29

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  • Alle Rechte v o r b e h a l t e n

    Druck: Tiroler Graphik, Innsbruck, Innrain 27—29

  • FESTSCHRIFTfür

    Universitätsprofessor

    Dr. Dr. h. c. RAIMUND VON KLEBELSBERG ZU THUMBURG

    anläßlich der Vollendung des 70. Lebensjahres

    Gewidmet von

    Tiroler Freunden, Kollegen,

    Mitarbeitern an den „Schlern-Schriften“

    und vom

    Universitätsverlag Wagner, Innsbruck

  • InhaltsverzeichnisSeite

    Zum Geleit 7

    G. Mutschlechner, Universitätsprofessor Dr. Dr. h. c. Raimund von Klebelsberg zuThumburg. Aus seinem Leben, von seinem Schaffen 9

    H. Bachmann, Zur Entstehung der Kirche St. Leonhard auf der Wiese bei Kundl.Zum Eigenkirchenwesen im Nordtiroler Unterland. Mit 2 Skizzen 21

    K. Fins terwalder , „Saum“ und „Faden“. Geländeformen und Grenzlinien in volks-tümlichen Namen 47

    L. Franz , Ein Bronzeschwert aus Hinterriß. Mit 4 Bildern (Tafel I) 55

    N. Grass, Barock-Heiliggräber in Tirol. Mit 4 Bildern (Tafel II—V) 59

    R. Heuberger, Die Einfügung des Ostalpenraums ins Römerreich 105

    H. Hochenegg, Tirolische Visitenkarten von Anno dazumal. Mit 7 Bildern (Tafel VI,

    VII) 121

    F. Huter , Die Anfänge von Bruneck. Mit 2 Bildern (Tafel VIII, IX) 125

    H. Kramer, Flottillenkrieg auf dem Gardasee. Ein Beitrag zur Geschichte der südlichen

    Grenzverteidigung Tirols 133

    O. v. Lu t t e ro t t i , Dürers Reise durch Tirol. Mit 15 Bildern (Tafel X—XVII) . . . . 153

    K. Moeser, Fischereiunterricht an den Spronser Wildseen 1498 159

    J. Ringler, Zur Thematik der Südtiroler Fayenceöfen des 16. und 17. Jahrhunderts.

    Mit 6 Bildern (Tafel XVIH—XXIII) 165

    K. Schadelbauer, Das Etschtal als deutscher Kaiserweg 173

    A. Sparber, Ein Brixner Fürstbischof in bewegter Zeit. Mit 1 Bild (Tafel XXIV) . . 187

    O. Stolz, Die Darstellung der politisch-administrativen Räume und Grenzen auf denLandkarten Tirols 207

    O. Graf Trapp, Tiroler Erinnerungsstücke an die Schlacht bei Sempach. Mit 10 Bildern

    (Tafel XXV—XXXIV) 215

    J. Weingartner , Tiroler Wirtshäuser und Wirtsfamilien 229

    H. v. Wieser, Der Name „Wattener Himmelreich“. Mit 2 Abbildungen im Text. . . 237

  • Die Einfügung des Ostalpenraums ins RömerreichVon Richard Heuberger1

    Ins helle Licht der Geschichte trat Tirol gemeinsam mit dem übrigen Ostalpen-raum und der schwäbisch-bayrischen Hochebene, als Augustus durch seine Stief-söhne Drusus und Tiberius 15 v. Chr. die Räter, die Vindeliker und die vier Stämmedes Wallis unterwerfen ließ, den bei diesem Feldzug eroberten Raum als römischenAmtssprengel einrichtete, das Königreich Noricum unter die Oberhoheit Romsbrachte und so die römische Reichsgrenze an die obere Donau verlegte. Diesesdenkwürdige und folgenreiche Geschehnis kann nur dann voll verstanden werden,wenn man es zusammen mit seiner Vorgeschichte in einem weiter gespannten Rah-men behandelt. Demgemäß wird hier zunächst dargestellt, wie sich das VerhältnisRoms zu den Alpen bis herab zu Cäsars Zeit entwickelte. Ist dadurch das Entstehender Voraussetzungen klargelegt, unter denen Augustus handelte, wird dann dieFrage untersucht, wie und warum der Kaiser den Ostalpenraum und dessen nörd-liches Vorland dem römischen Reich und damit der gesitteten Welt des Altertumseinfügte.

    I.

    Bei ihrem allseitigen Umsichgreifen auf dem Boden West- und Mitteleuropaswährend der Latènezeit, die um 450 v. Chr. begann, setzten sich die Kelten oderGallier u. a. auf der schwäbisch-bayrischen Hochebene und östlich von ihr fest,drangen während des 4. und gegen Ende des 3. Jahrhunderts östlich von Deutsch-tirol, das zur Gänze illyrisch blieb, in den Alpenraum vor und mischten sich hierbald mehr, bald weniger mit dessen illyrischer Bevölkerung2. Das gleiche geschahin der Ostschweiz und Vorarlberg3. Anderseits kamen, als Gallier in Oberitalieneinbrachen, Etrusker in die Gegenden südlich der Bündner Alpen4. Auch ließen sich

    1 Im Folgenden wird ohne Angabe des Verfassernamens auf Darlegungen hingewiesen, dievon mir stammen. — Abkürzungen: CIL. = Corpus inscriptionum Latinarum. — RE. =Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft; ein der Bandzahlbeigefügtes A deutet die Zugehörigkeit des Bandes zur zweiten Reihe dieses Sammelwerksan. — Montfort = Montfort, Zeitschrift für Geschichte, Heimat- und Volkskunde Vorarl-bergs. — Wopfner-Festschrift = Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Tirols, Fest-schrift zu Ehren H. Wopfners 1 (Schlern-Schriften 52, 1947).

    2 E. Polaschek, RE. 17/1 (1936), Sp. 971 f., P. Reinecke, Wiener prähistorische Zeitschrift 27(1940), S. 81, 83. Zur keltischen Besiedlung des Ostalpenraums neuerdings K. Willvonseder,Carinthia 1/143 (1953), S. 90—110. Zur Mischung von Kelten und Illyrern in Kärnten unddessen Nachbarschaft H. Müller-Karpe, Carinthia 1/141 (1951), S. 622 f., 630, 632, 634, 636,666 ff. Dafür, daß die vorrömischen Bewohner Deutschtirols durchwegs Illyrer gewesen seien,erklärt sich (gegen Willvonseder) Osmund Menghin, Schlern 26 (1942), S. 34f.

    3 F. Stähelin, Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 15 (1935), S. 341 f., 345 ff.4 Stähelin, Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 15, S. 340f.

  • 106 Richard Heuberger

    ins Potiefland eingewanderte Gallier, und zwar Kenomanen im unteren alpinen Etsch-tal nieder und erwuchsen hier zu einer eigenen Völkerschaft, deren Angehörige sichnach ihrer Hauptsiedlung Tridentiner nannten5. Die so entstandenen völkischenVerhältnisse fanden die Römer vor, als sie den Ostalpenraum und dessen nördlichesVorland eroberten. Wichtiger noch als das Vordringen der Kelten hierher war aberfür die Vorgeschichte dieser Eroberung das Auftreten der Gallier im Süden der Alpen.

    Hier saßen in den noch heute nach ihnen benannten Landschaften die vorindo-germanischen Ligurer und die Veneter, die den Illyrern nahestanden. Der Raumzwischen diesen beiden Gebieten gehörte seit dem 6. Jahrhundert zum etruskischenMachtbereich. Seit etwa 400 erschienen nun keltische Schwärme in der Poebeneund südlich von ihr. Später ließen sie sich in Oberitalien dauernd nieder, so im Mai-ländischen die Insubrer, zwischen Oglio und Etsch die Kenomanen, in der Emiliadie Boier und die Senonen. Bis herab zur Mitte des 4. Jahrhunderts unternahmendie Gallier beiderseits des Apennins gegen Süden zu Plünderungszüge. So hattendie Senonen schon 387 das etruskische Kernland überrannt, die Römer an der Alliageschlagen und Rom genommen. Nachdem die Macht der Etrusker völlig zusammen-gebrochen war, begründeten die Römer endgültig ihre führende Stellung in Latium,vertrieben 284 die Senonen, griffen immer weiter um sich und einigten unter ihrerHerrschaft bald ganz Italien, d. h. nach dem Sprachgebrauch, der sich nunmehreinbürgerte, die Apenninenhalbinsel bis hinauf zur Arnomündung und zur Gegendvon Ancona. Am ersten punischen Krieg (264 bis 241), durch den sie Sizilien, Sar-dinien und Korsika gewannen, beteiligten sich die noch frei gebliebenen italischenKelten nicht. Bald darauf rüsteten jedoch die Insubrer und Boier, weil sie sichbedroht fühlten. Daraufhin schloß Rom 226 mit den ihm befreundeten Kenomanenund Venetern ein Bündnis, sowie mit den Karthagern einen Vertrag, der ihnenerlaubte, ihren Machtbereich auf der iberischen Halbinsel bis an den Ebro auszu-dehnen, um sie dadurch von einem Eingreifen in den bevorstehenden Krieg abzu-halten. Außerdem wurde auf dem römischen Forum nach etruskischem Vorbild einMenschenopfer verrichtet. Dies zeigt, daß die Römer die Lage für gefährlich an-sahen und daß ihnen damals noch immer der alte Gallierschreck in den Gliedernlag. Als dann die Insubrer, die Boier und die am Innenrand der Westalpen ansässigenTaurisker, verstärkt durch sogenannte Gaesaten, d. h. Kelten aus dem unterenRhonetal und den ihm östlich benachbarten Berggegenden6 225 wirklich angriffenund in Etrurien einfielen, erlitten sie bei Telamon eine vernichtende Niederlage.Drei Jahre nachher erlagen die Insubrer und 30000 Gaesaten den Römern bei Clasti-dium (Casteggio). Sobald dann Hannibal den zweiten punischen Krieg (218 bis 201)begonnen hatte, um durch ihn Rom auf dessen mittelitalisches Kerngebiet zurück-zudrängen, schlugen die Insubrer und Boier wieder los, fochten von nun an imVerein mit anderen italischen Galliern auf karthagischer Seite und befreitendadurch vorübergehend ihre Heimat. Allein die Sache der italischen Kelten war ver-loren, nachdem die Römer als Sieger und als Herren Spaniens aus dem Krieg her-vorgegangen waren. Die Insubrer und Boier empörten sich zwar noch 198 bis 191,wurden aber selbstverständlich überwältigt. Von nun an gab es eine römische Gallia

    5 Dazu u. a. Wopfner-Festschrift, S. 105, A. 6 und Veröffentlichungen des Ferdinandeums26—29 (1949), S. 246 f.

    6 Über die Gaesaten zuletzt Klio 31 (1938), S. 60—80).

  • Die Einfügung des Ostalpenraums ins Römerreich 107

    cisalpina, die staatsrechtlich außerhalb Italiens lag und sich von dessen Nordgrenzebis an die Alpen erstreckte7.

    Wie aus all dem erhellt, war es großenteils eine Folge des Auftretens von Keltenin der Poebene und südlich von ihr, daß Rom seine Herrschaft von Mittelitalienaus nordwärts bis an die Alpen ausdehnte. Nachdem das geschehen war, mußteweiterhin zwischen dem diesseitigen Gallien und Spanien eine Landverbindunggeschaffen werden. Diese war zwar einigermaßen durch das Bündnis Roms mitMassalia (Marseille) hergestellt, aber ständig durch die rings um die Seealpen an-sässigen Ligurer gefährdet, deren Siedlungsbereich sich von der unteren Rhoneaus auch beiderseits des Apennins südostwärts erstreckte. Deshalb wurde ihnenzunächst nach längeren Kämpfen 180 der Landstrich zwischen der Arnomündungund dem Golf von Spezia entrissen8. Die Notwendigkeit, das damit Begonnenezum Abschluß zu bringen, und der von C. Gracchus entworfene Plan, dem itali-schen Proletariat Auswanderungsmöglichkeiten zu eröffnen, führte hierauf zu einemrömischen Ausgreifen über die Alpen hinaus. Man bekriegte 125 bis 121 in Süd-frankreich ansässige Ligurer- und Keltenstämme, unterwarf dabei zuletzt die Allo-broger und bemächtigte sich dadurch des Landes zwischen den Pyrenäen und denWestalpen. So entstand die römische Gallia transalpina oder Narbonensis, zu dervon Anfang an Tolosa (Toulouse) und Genava (Genf) gehörten9.

    Das diesseitige Gallien unterstand lange Zeit gleich Italien den Konsuln, später,wohl infolge einer Verfügung Sullas vom Jahr 81, einem eigenen Statthalter10. Eserhielt schon 181 in Aquileia eine Kolonie. Städte latinischen Rechts mit ihnenangegliederten Völkerschaftgauen entstanden bald darauf im Süden des Pos, imNorden des Stroms dagegen erst auf Grund der Lex Pompeia vom Jahr 8911. Jederunterschied zwischen den Transpadanern und ihren südlichen Nachbarn fiel dannweg, als Cäsar jenen anstatt des latinischen das römische Bürgerrecht zuerkannte,das diese schon seit 89 besaßen12.

    Die Gallia cisalpina wurde gleich dem Territorium Aquileias vom Gebiet derIstrier durch den Isonzo geschieden und im Jahr 42 durch die damaligen Triumvirnmit Italien vereinigt. Ostwärts erstreckte sich dieses von nun an bis zum Formio(heute Risano, zwischen Triest und Capodistria), dann etwa seit 14 v. Chr.bis an die Arsia (jetzt Arsa in Istrien und an den Karst)13. Als Nordgrenze Italiens

    7 Über all das u. a. J . Vogt, Römische Geschichte l2 (1951), S. 10, 15, 22 f., 55 f., 62 f., 69,73—76, 115 f., 118, 120, 126 f., 132 und E. Kornemann, Römische Geschichte l3 (1954), S. 12,20, 29, 104—107, 133, 187, 191—195, 199 f., 206, 211—217, 235, 267 f.

    8 Kornemann, Römische Geschichte l3, S. 268.9 Th. Mommsen, Römische Geschichte 29 (1903), S. 160—164, ebenda 39 (1904), S. 224 f.10 Daß Sulla damals diese Statthalterschaft einrichtete und gleichzeitig die italische Grenze

    bis an den Rubico vorschob, nahm Mommsen, Römische Geschichte 29, S. 355, Anm. 1 an.Ihm schlossen sich z. B. J . Marquardt, Römische Staatsverwaltung l2 (1881), S. 219 und Fröh-lich RE. 4/2 (1901), Sp. 1561 an.

    11 Marquardt, Römische Staatsverwaltung l2, S. 14, 50 f.12 Mommsen, Römische Geschichte 29, S. 239, ebenda 39, S. 324. Cäsar machte die Transpa-

    daner durch ein Gesetz vom 31. März 49 zu römischen Bürgern; vgl. Kornemann, Römischegeschichte 23, S. 49.

    13 Über all das in Auseinandersetzung mit den früher geäußerten Ansichten jetzt A. Degrassi,Il confine nord-orientale dell'Italia Romana (Dissertationes Bernenses historiam orbis antiquinascentisque medii aevi elucubrantes, ser. 1, fasc 6, Bern 1957), S. 14-18,21 f., 24 f., 46-49,84-100.

  • 108 Richard Heuberger

    im weiteren Sinn betrachtete man hinwieder bereits seit der Wende vom 3. zum2. Jahrhundert die Alpen, in deren Osthälfte die südlichen Kalkalpen. Denn nachLivius XXI, 34, 8f. zeigte schon 218 Hannibal bei Beginn des Abstiegs von denAlpen seinen Soldaten Italien. Ferner erklärte nach Livius, XXXIX, 54, 12 derrömische Senat 183 die Alpen oberhalb Aquileias für eine prope inexsuperabilisfinis zwischen den Galliern und Italien. Polybios endlich, der, nach Italien ver-schleppt, 168 bis 150 in Rom lebte und hier freundschaftlich mit vornehmen Römernverkehrte, namentlich mit Scipio Aemilianus, sagt in seinem damals begonnenenGeschichtswerk, II, 14, 6, gegen Norden zu begrenzten die Alpen fast durchwegsItalien. Solange Rom ein Freistaat war, endete jedoch seine wirkliche Herrschaftschon am Fuß des Gebirges, so auf dessen Italien zugewendeter Seite im Tal derEtsch an der Berner Klause, in jenem der Adda oberhalb von Comum, in dem derDora Baltea bei Eporedia (Ivrea) und in jenem der Dora Riparia bei Ocelum (östlichvon Le Chiuse)14. Demnach trennten damals noch die Westalpen mit ihren unab-hängig gebliebenen Völkerschaften das diesseitige vom jenseitigen Gallien. Diesmachte sich nachdrücklich fühlbar. Den Weg über den Mont Genevre oder einenihm benachbarten Paß konnte Pompeius im Jahr 77 bei seinem Marsch nach Spanien,das sich, geführt von Q. Sertorius, im Aufstand gegen Rom befand, nur unter Kämpfenmit Bergstämmen benützen und dabei verbessern, soweit das erforderlich war15.Drei solche Völkerschaften stellten sich auch noch Cäsar entgegen, als er im Früh-jahr 58 auf dem nächsten Weg durch die Alpen, wahrscheinlich ebenfalls auf demüber den Mont Genèvre16 — von Ocelum aus ins Rhonetal vorrückte (BG. I. 10),um den Helvetiern entgegenzutreten, die ihre Heimat, das Schweizer Mittelland,verlassen wollten, und damit den Gallischen Krieg zu beginnen.

    Seit der Mitte des 2. Jahrhunderts gebrauchten die Römer, daher auch die Grie-chen, zusammenfassende Namen für ostalpine Nachbarn der Gallia cisalpina. Wiedurch Polybios und Cato Censorius bezeugt ist, nannte man damals Räter zunächstdie oberhalb von Comum und Verona beheimateten Leute, darunter jene, die imBergell und anderen Alpentälern saßen. Auch läßt sich zwar erst für die Zeit desAugustus quellenmäßig erweisen, daß die Bewohner der Ostschweiz und Inner-vorarlbergs ebenfalls als Räter bezeichnet wurden. Allein dieser Sprachgebrauchmuß sich spätestens schon um die Mitte des letzten Jahrhunderts v. Chr. ein-gebürgert haben17. Andrerseits nannten sich Taurisker jene Kelten, die am Ende

    14 Wopfner-Festschrift, S. 76—79.15 Dazu Partsch, RE. 1/2 (1896), Sp. 1608, H. Dessau, Geschichte der römischen Kaiserzeit 1

    (1924), S. 410 und F. Miltner, RE. 21/2 (1952), Sp. 2079 f.16 So u. a. H. Nissen, Italische Landeskunde 1 (1883), S. 157 f. und Stähelin, Die Schweiz

    in römischer Zeit3 (1948), S. 77.17 Wopfner-Festschrift, S. 72, 75 f., 93 f. Nach Cato (bei Plinius, NH. III, 134) gehörten die

    Kamunner (Val Camonica) zu den Euganeern, die Lepontier (Kanton Tessin) zu den (west-alpinen) Tauriskern. Strabon rechnet daher beide Stämme (IV, 6, 8, p. 206) irrigerweise zuden Rätern. Er unterscheidet sie denn auch an anderer Stelle von ihnen, da er IV, 6, 6, p. 204sagt, oberhalb von Comum wohnten einerseits die Räter und die Vennonen gegen Osten zu,andrerseits die Lepontier, Tridentiner (um Trient), Stoner (im Sarcatal) und mehrere andereVölkerschaften. Umstritten ist, wo die hier genannten Räter und Vennonen hausten. Deru. a. Schlern 21 (1947), S. 181 ff. ausgesprochene Gedanke, jene seien den im Veltlin ansässigenLeuten, diese den Venosten (im Vinschgau) gleichzusetzen, wird von E. Howald-E. Meyer,Die römische Schweiz (1940), S. 359 wohl mit Recht abgelehnt. Aber die hier vertretene Meinung,

  • Die Einfügung des Ostalpenraums ins Römerreich 109

    des 3. Jahrhunderts in die Südsteiermark, nach Oberkrein, Kärnten und Osttirolgekommen waren, wo sie mit der illyrischen Bevölkerung verschmolzen. Nachdemdann um die Mitte des nächsten Jahrhunderts unter Führung des Norikerstamms,dessen Vorort Noreia zwischen Villach, Klagenfurt und Neumarkt lag, das König-reich Noricum entstanden war, sprach man allmählich nicht mehr von Tauriskernund bezeichnete nun als Noriker alle, die im norischen König ihr Oberhaupt an-erkannten18. Das Königreich Noricum war ein lockerer Bundesstaat. Es erstrecktesich, ebenso wie in der frühen und mittleren Kaiserzeit die Römerprovinz Noricum,ostwärts bis in die Nähe des Alpenrandes, nordwärts bis an die Donau, westwärtsim Alpenvorland bis an den Inn, im Gebirge bis in die Nähe des Unterinntals sowiebis ins Brixner Becken (also bis an die Mittewalder Klause und den Kuntersweg),südwärts bis zu den Dolomiten, den Karnischen Alpen, den Karawanken, denJulischen Alpen und den Birnbaumer Wald19. Wie endlich der Vollständigkeit halbererwähnt sei, galten als Vindeliker zur Zeit des Augustus sowie auch noch nachherim engem Sinn vier an der Iller und westlich von ihr ansässige Völkerschaften,darunter die Estionen (Vorort Cambodunum — Kempten) und Brigantier (Haupt-siedlung Brigantium — Bregenz), im weiteren außerdem die Likaten (am Lech),die Katenaten (wohl nördlich oder nordwestlich von den Likaten), die Breunen(im mittleren Tiroler Inntal und an der Sill), deren östliche Nachbarn, die Genaunenund die Venosten, denen der Vintschgau seinen Namen verdankt20. Seit wann dieRömer den Vindelikernamen gebrauchten, wissen wir nicht. Gewiß ist aber wohl, daßer ursprünglich an den vier Völkerschaften haftete, die ihn im engern Sinn trugenund daß diese innerhalb der Vindeliker eine Einheit bildeten21. Dem hier und demoben S. 105 Gesagten zufolge hat man — diese Tatsache sei abschließend erwähnt —unter den Rätern, Tauriskern, Norikern und Vindelikern keine ihrem Volkstum nacheinheitliche Gruppen zu verstehen.

    die Vennonen hätten das ganze Veltlin samt dem Puschlav bewohnt, geht zu weit. Denn unseresWissens hatte keiner jener alpinen Urzeitstämme, die nur selten in der schriftlichen Über-lieferung erscheinen und daher mehr oder weniger unbedeutend waren, ein so weiträumigesGebiet inne, wie es das innerhalb des Gebirges von der Adda entwässerte ist. Im Hinblickhierauf wird anzunehmen sein, Räter hätten das untere Veltlin bewohnt, die Vennonen dasobere und das Puschlav.

    18 Über die ostalpinen Taurisker und die Noriker zuletzt Innsbrucker Beiträge zur Kultur-geschichte (Festschrift für H. Ammann 2, 1954), S. 161—171. Über die Lage Noreias und dar-über, daß unter Führung des Norikerstamms, dessen Hauptsiedlung es war, vor dem Jahr 113das Königreich Norikum entstand, R. Egger, Schriften zu den Klagenfurter Hochschulwochen1941, S. 7, 9 und Jahrbuch des oberösterreichischen Musealvereins 95 (1950), S. 135.

    19 Über die Grenzen des urzeitlichen und des römischen Noricums Polaschek, RE. 17/1,Sp. 977 f., 980—986. Über die norische Grenze auf dem Boden Tirols, Schlern 27 (1953),S. 522 ff., ebenda 28 (1954), S. 319—325. Mit Unrecht meint R. Egger, Jahrbuch des oberöster-reichischen Musealvereins 95, S. 135, bei der Nordgrenze des Königreichs Noricum sei nichtan die Donau zu denken, sondern eher an die heutige Grenze zwischen Oberösterreich undBöhmen, da sich, wie er S. 167, Anm. 2 sagt, nach Velleius Paterculus II, 109 die Nordgrenzejenes Reichs mit der Südgrenze der Herrschaft Marobods in Böhmen gedeckt habe. DennVelleius bezeugt dies nicht. Seine Worte quippe cum a summis Alpium iugis, quaefinem Italiae terminant, initium huius finium haud multo plus CC milibuspassuum abesse, beziehen sich ja nur auf den Machtbereich Marobods, nicht auch aufdas vorher neben Germanien und Pannonien genannte Gebiet der Noriker.

    20 Vgl. zuletzt Veröffentlichungen des Ferdinandeums 31 (1951), S. 252, 255, 258.21 Aus Verfassungs- und Landesgeschichte, Festschrift für Theodor Mayer, 2 (1955), S. 8.

  • 110 Richard Heuberger

    Auf Grund dessen, was Strabon, IV, 6,8 f., p. 206 f. von den Norikern, Vindelikern,Lepontiern (im Kanton Tessin), Breunen, Genaunen und Rätern berichtet, sowie Cas-sius Dio, LIV, 22, nach einer Quelle aus augusteischer Zeit von den Rätern, mit denener zugleich auch die Vindeliker meint, herrschte und herrscht noch heute die Ansicht,all diese Völkerschaften, namentlich die Räter, seien stets räuberisch gewesen, hättenvon jeher ständig in die ihrer Heimat benachbarten Länder Plünderungszüge unter-nommen, dabei Grausamkeiten gegen die Italiker verübt und solche Einfälle insdiesseitige, desgleichen ins jenseitige Gallien, hätten schließlich Augustus dazu vor-anlaßt, im Jahr 15 durch den von Tiberius und Drusus geleiteten Feldzug gegendie Räter und Vindeliker die römische Reichsgrenze bis an die oberste Donau vor-schieben zu lassen22. Allein diese Auffassung ist irrig. Denn jene Angaben Strabonsund Dios, mit denen offenbar auch solche des Livius im verlorenen 138. Buch seinesGeschichtswerkes im wesentlichen übereinstimmten, entwerfen ein ganz verzerrtesBild, um den Feldzug des Jahres 15 als gerechten Krieg erscheinen zu lassen und ver-heerende Plünderungszüge der Räter oder gar der Vindeliker von einiger Bedeutungin die ihren Wohnsitzen nahen Gebiete, vor allem in die Gallia cisalpina fanden,unseres Wissens überhaupt nicht statt23. In Wahrheit war das diesseitige Gallien vonAnfang an durch die Räter ebensowenig bedroht wie durch die Taurisker und dieStämme der Westalpen. Das zeigt schon die Tatsache, daß Rom nördlich des Poszunächst nur die Kolonie Aquileia gründete. Denn diese lag weit im Osten undsollte, militärisch betrachtet, nicht die Nord- sondern die Ostgrenze der Galliacisalpina schützen24. In den Jahrzehnten, die der Gründung Aquileias folgten, wardenn auch das Verhältnis der Taurisker zu Rom meist recht gut, zum Teil sogarfreundlich. Nur bei dem Krieg, den 129 der Konsul C. Sempronius Tuditanus gegendie Japuden und Histrier führte, kam es zu einem römischen Vorstoß gegen dieTaurisker25.

    Das erste Erscheinen eines römischen Heeres im Innern des Ostalpenraums, zu-gleich das erste für uns greifbare Hervortreten des Königreichs Noricum und seinerBeziehungen zu Rom, fällt ins Jahr 113. Damals kämpfte der Konsul Cn. PapiriusCarbo, nach Stabon, V, 1, 8. p. 214, bei Noreia unglücklich gegen die Kimbern,wie andere Quellenzeugnisse lehren, auch gegen die Teutonen und Ambronen. Dereinzige ausführliche Bericht hierüber, der Appians, Kelt. 13, ist bloß auszugsweisedurch einen Byzantiner überliefert, spricht in dieser Fassung nur von den Teutonenund beruht anerkanntermaßen auf einer zuverlässigen alten Quelle. Diesem Bericht

    22 Vgl. z. B. Mommsen, Römische Geschichte 29, S. 167, ebenda 55 (1904), S. 14, V. Gardt-hausen, Augustus und seine Zeit 1/3 (1904), S. 1043 f., Haug, RE. 1 A/l (1914), S. 46, Stähelin,Schweiz in römischer Zeit3, S. 106 f.

    23 Wopfner-Festschrift, S. 95, 98—101, Montfort 2 (1947), S. 9 ff., Veröffentlichungen desFerdinandeums 31, S. 270 f. Schon deshalb ist die Ansicht ganz unhaltbar, verheerende Ein-fälle der Räter und Vindeliker, namentlich ins Po-Tiefland, seien der Anlaß zu dem Feldzuggewesen, den Drusus und Tiberius im Jahr 15 gegen sie führten, weil die Römer zur Zeit diesesKrieges schon längst die Talschaften im Süden der Lepontinischen, Bündner und Ortleralpen,der Töll bei Meran und des Kunterswegs beherrschten (s. u. S. 115 f.); weil also die Räter undVindeliker damals nicht mehr imstande gewesen wären, ins Potiefland einzufallen, selbstwenn sie das früher getan hätten.

    24 Mommsen, Römische Geschichte l9, S. 667, R. Egger, Schriften zu den KlagenfurterHochschulwochen, 1941 S. 9.

    25 Fluß.. RE. 5 A/l (1934), Sp. 5 f.

  • Die Einfügung des Ostalpenraums ins Römerreich 111

    zufolge besetzte nun der Konsul die Alpen dort, wo der Durchgang durch sie amengsten ist, um Italien gegen einen Einfall der Teutonen zu schützen, die plünderndim Norikerland erschienen waren, griff sie aber dann an, als von ihnen nicht unter-nommen wurde, was er befürchtet hatte, verfuhr dabei treulos und wurde voll-ständig geschlagen. Als Grund für sein Vorgehen gegen die Teutonen bezeichneteer deren Einfall ins Gebiet der Noriker, die Gastfreunde der Römer seien. Dies warjedoch nur ein nichtiger Vorwand, wie Appian durch die Bemerkung hervorhebt,zur Hilfeleistung seien die Römer ihren Bundesgenossen gegenüber verpflichtetgewesen, nicht aber gegenüber jenen, die mit den Römern nur in einem gewissenFreundschaftsverhältnis standen und von ihnen Gastfreunde genannt wurden. Carboverfuhr somit bei seinem Angriff auf die Germanen nicht nur treulos sondern auchrechtswidrig26 und die Noriker waren laut Appians Zeugnis im Jahr 113 nicht sociisondern nur amici populi Romani. Folglich hatte ihr König mit dem römischenSenat vorher einen Vertrag geschlossen, der ohne zeitliche Befristung beide Teilenicht zu gegenseitiger Waffenhilfe, sondern nur dazu verpflichtete, sich freund-schaftlich zu verhalten, einander Gastfreundschaft und Rechtsschutz zu gewähren27.Wie sich hieraus ergibt, ist die Annahme irrig, das Königreich Noricum sei durchjenen Freundschaftsvertrag ein römischer Vassallenstaat geworden und überhaupterst im Zusammenhang damit unter dem Druck Roms entstanden28.

    Dann begannen im Jahr 102 die Kimbern, Teutonen und Ambronen von Nord-ostgallien aus im Verein mit zwei Helvetierstämmen, den Tigurinern und Tougenernihren großen Angriff auf Italien. Dabei brachen die Kimbern gemeinsam mit denTigurinern auf, trennten sich auf der schwäbisch-bayrischen Hochebene von ihnen,rückten über den Brenner südwärts vor, zwangen den Konsul Q. Lutatius Catulus,seine Sperrstellung bei der Berner Klause zu räumen und erreichten so das Po-tiefland, wo sie dann am 30. Juli 101 in der Schlacht auf dem Raudischen Feld beiVercelli von Marius und Catulus vernichtet wurden. Die Tiguriner rückten in Kärntenein und blieben einstweilen im Klagenfurter Becken stehen29. Sie wichen hierauf, nachdem Untergang der Kimbern, von dem besten Legaten des Catulus, dem nach-maligen Diktator Sulla, angegriffen, kampflos zurück und zogen in die Westschweizab. Bei diesem Vorgehen gegen die Tiguriner und ihrer Verfolgung kam es auchzu Kämpfen der römischen Streitkräfte mit sechs Völkerschaften Noricums30. Dies

    26 Diese Auffassung herrschte offensichtlich auch bei den römischen Zeitgenossen Carbos.Liegen doch Anzeichen dafür vor, daß er wegen der Niederlage bei Noreia angeklagt wurdeund durch Selbstmord endete; vgl. Münzer, RE. 18/2 (1949), Sp. 1023 f.

    27 Über den Begriff und das Entstehen eines solchen Rechtsverhältnisses, Neumann, RE. 1/2(1896), Sp. 1832 f.

    28 Diese Annahme vertritt E. Swoboda, Carnuntum, seine Geschichte und seine Denkmäler2

    (1953), S. 20 f. Das älteste Denkmal, das die Anwesenheit eines Römers im Innern Noricumsbezeugt, der zu Bichl bei Matrei in Osttirol gefundene Büstenstein des Popaius Senator, wurdewahrscheinlich nicht schon nach dem Abschluß des römisch-norischen Freundschaftsvertragsgefertigt, wie Swoboda, a. a. O., S. 21 f. annimmt, sondern erst vor den letzten römischenBürgerkriegen; vgl. C. Praschniker und R. Egger, Anzeiger der Akademie der Wissenschaftenin Wien, phil. hist. Kl. 1938, Nr. 1—3, S. 22, 24, auch R. Noll, Kunst der Römerzeit inÖsterreich (1949), S. V.

    29 Über den germanischen Großangriff im Ganzen sowie über das Vorgehen der Kimbernund der Tiguriner zuletzt Veröffentlichungen des Ferdinandeums 31, S. 262—270.

    30 Über Sullas Denkwürdigkeiten als Quelle unseres Wissens von diesem Feldzug und überdessen Verlauf, Tiroler Heimat, NF. 16 (1953), S. 28—32, Schlern 27 (1953), S. 518 f.

  • 112 Richard Heuberger

    hatte jedoch keine weiteren Folgen. Das römische Heer zog nach Lösung seinerAufgabe ab und das Königreich Noricum behielt seine Unabhängigkeit. Auch bliebendessen Beziehungen zu Rom ungestört.

    Seitens der Alpenstämme drohte somit der Gallia cisalpina keine Gefahr. Dasselbegilt auch von der Narbonensis, und der Alpenraum war ein Gebiet, dessen Eroberungan sich keinen Vorteil versprach. Andrerseits hatte Rom im zweiten Jahrhundertund in der ersten Hälfte des darauffolgenden ständig Kriege zu führen, namentlichim Osten, und dehnte dadurch seine Herrschaft bis an den Euphrat sowie an dasarmenische Hochland aus. Auch erschütterten seit den Tagen der Gracchen innereKämpfe das römische Reich, lähmten es und bereiteten den Übergang von derRepublik zur Monarchie vor. Dies alles erklärt, daß die Römer bis herab zur Mittedes letzten Jahrhunderts v. Chr. ihren Machtbereich nirgends vom Vorgelände derAlpen aus in deren Inneres vorschoben und infolgedessen die Gebirgsübergängevom diesseitigen ins jenseitige Gallien tatsächlich noch nicht beherrschten, wie sichdarin zeigte, daß Pompeius im Jahr 77 beim Vormarsch gegen Sertorius nur unterKämpfen mit Bergstämmen von der Poebene aus in die Narbonensis gelangenkonnte, ebenso noch im Frühjahr 58 Cäsar bei Beginn des gallischen Krieges (s.o. S. 108).

    Allein gerade dieser Krieg führte zu einer völligen Änderung der Lage. Cäsarzwang zunächst durch den ersten der beiden Feldzüge des Jahres 58 dieHelvetier, als römische Untertanen ins Schweizer Mittelland heimzukehren undbeseitigte durch den zweiten das linksrheinische Germanenreich Ariovists. Derim Herbst 57 von Cäsar gemachte Versuch, sich durch einen Vorstoß seines Unter-feldherrn Servius Sulpicius Galba des Wallis und des Wegs über den Großen St. Bern-hard zu bemächtigen, mißlang allerdings31 und wurde nicht mehr wiederholt. IndesCäsar selbst konnte schon im Frühsommer dieses Jahres zwei neuausgehobeneLegionen aus der Gallia cisalpina auf den Kriegsschauplatz führen, ohne dabeiWiderstand zu finden (BG. II, 2, 1). Auch im weiteren Verlauf des Krieges benütztener und seine Streitkräfte immer wieder eine inneralpine Verbindung vom diesseitigenins jenseitige Gallien, wahrscheinlich den Weg über den Kleinen St. Bernhard32.Seitdem dann das ganze freie Keltenland 52/51 endgültig unterworfen worden war,bildete es die Römerprovinz Gallia comata, deren außeralpine Ostgrenze dem Rheinvon dessen Mündung an bis hinauf zum Bodensee folgte, obgleich die östlichstenHelvetiergaue die Herrschaft Roms anscheinend nur dem Namen nach anerkannten33.Die noch von unabhängigen Stämmen bewohnten Westalpen befanden sich alsojetzt zwischen drei römischen Statthalterschaften und trennten das diesseitige Galliennicht mehr, wie früher, als Verkehrsschranke vom jenseitigen.

    Zukunftspläne, deren Verwirklichung die Verhältnisse in den Alpen und derennördlichem Vorland noch weiter geändert hätten, entwarf Cäsar nicht, nachdemer durch die Siege über die Pompeianer und Republikaner im Bürgerkrieg der

    31 Darüber u. a. Stähelin, Schweiz in römischer Zeit3, S. 85—90.32 Nissen, Italische Landeskunde 1, S. 159.33 Wopfner-Festschrift, S. 95. Schon im Juni 57 hatte Cicero gesagt, Cäsar habe die Reichs-

    grenze an den Ozean und den Rhein verlegt, der nunmehr (in diesem Sinn) an die Stelle derAlpen getreten sei; vgl. M. Geizer, Das Reich, Idee und Gestalt, Festschrift für J. Haller(1940), S. 10.

  • Die Einfügung des Ostalpenraums ins Römerreich 113

    Jahre 49 bis 45 die unbeschränkte Alleinherrschaft errungen hatte. Die Annahme,er habe nunmehr danach gestrebt, aus dem römischen Reich im Geist Alexandersdes Großen eine Weltmonarchie zu machen, deren Aufgabe die Eroberung der gan-zen Oikumene sein sollte34, also auch des Alpenraums, hat die innere Wahrschein-lichkeit durchaus gegen sich und wird dadurch als irrig erwiesen, daß von derartigenGedanken Cäsars weder er selbst sprach noch einer seiner Zeitgenossen35. Auchdachte der Diktator in der Zeit zwischen der Schlacht bei Munda (17. März 45)und seiner Ermordung (15. März 44) nicht daran, die Reichsgrenze, wie früher anden Rhein, so nunmehr an die Donau zu verlegen36, rüstete damals vielmehr zu einemFeldzug, dessen voraussichtliche Dauer auf drei Jahre geschätzt wurde (CassiusDio XLIII, 51), gegen die zu den Dakern gehörigen Geten, die unter König Burebistasnördlich des Balkans und an der unteren Donau mächtig geworden waren37, vorallem aber gegen die Parther, um an ihnen die Niederlage des Crassus bei Karrhae(53 vor Christus) und dessen Tod zu rächen. Einen Teil seines Heeres, das eineGesamtstärke von 16 Legionen und 10.000 Reitern erreichen sollte, hatte Cäsarbereits über das Adriatische Meer nach Apollonia gesandt38, um sich gegen dieGeten zu wenden, später gegen die Parther (Velleius, II, 59, Appian, BC. II, 110,III, 25). Dabei wollte er nach Sueton, Divus Julius 44, zuerst die Daker (d. h. dieGeten) züchtigen, die das Land am Schwarzen Meer und Thrakien heimgesuchthatten, dann durch Kleinarmenien vorrücken und die Parther angreifen, eine Schlachtmit ihnen aber erst nach Erkundung ihrer Kampfweise wagen. Bei diesem Kriegwar es also Cäsar weder um ein Gewinnen der Donaugrenze zu tun, noch um weit-räumige Eroberungen. Nach Plutarch, Cäsar 58, soll er zwar nicht nur beabsichtigthaben, die Parther zu besiegen, sondern auch noch mit seinem Heer durch Hyrkanienan das Kaspische Meer zu gelangen (das damals noch als eine Bucht des Ozeansgalt), am Kaukasus vorbei nördlich des Schwarzen Meeres ins Gebiet der Skythenzu ziehen, durch Germanien und die ihm benachbarten Länder nach Gallien vor-zurücken, von da aus nach Italien heimzukehren und dadurch überall den Ozeanzur Reichsgrenze zu machen. Allein diese Angabe wurde schon längst als wertloserkannt39 und es läßt sich kaum begreifen, daß man sie trotzdem ernst nahm40

    oder erklärte, in ihr würden gewiß Cäsars Gedanken richtig wiedergegeben, es seinur fraglich, ob dessen Pläne wirklich ausführbar gewesen wären41. Denn PlutarchsErzählung steht nicht nur im vollen Widerspruch zu dem, was sich aus der sonstigenÜberlieferung ergibt, namentlich aus dem Bericht Suetons, sondern behauptet auchzur Gänze Unmögliches. So ist es z. B. selbstverständlich ausgeschlossen, daßCäsar glaubte, mit seinen 16 Legionen und 10.000 Reitern das ganze Partherreich,

    34 Diese Annahme vertrat Eduard Meyer, Cäsars Monarchie und das Prinzipat des Pompeius(1918), S. 466 ff.

    35 Vgl. H . S t rasburger , His tor ische Zeitschrift 175 (1953), S. 255—264.36 Wie Mommsen, Römische Geschichte 3 9 , S. 501 und ebenda 55 , S. 7 mein te .37 Über die Geten, ihr Emporsteigen unter Burebistas und darüber, daß sie (wie die Parther)

    ein Reitervolk waren, Weiß, RE. 7/1 (1912), Sp. 1330 ff., 1334.38 Meyer, Cäsars Monarchie, S. 469.39 Von Mommsen, Römische Geschichte 39, S. 501. Ebenso wie Mommsen urteilt jetzt

    Geizer, Das Reich, Festschrift für Haller, S. 11 f.40 Das tut z. B. Groebe, RE. 10/1 (1917), Sp. 253.41 Dies sagt Meyer, Cäsars Monarchie, S. 469, Anm. 2.Schlern-Schriften 150 8

  • 114 Richard Heuberger

    die weiten skythischen Steppengebiete, Germanien und dessen Nachbarländer er-obern zu können, noch dazu im Verlauf von drei Jahren.

    II.Cäsar hat also weder uferlose Eroberungen geplant noch auch nur daran gedacht,

    sich aller Länder zu bemächtigen, die südlich der Donau liegen. Er hat aber nichtnur die Westalpen dem römischen Durchgangsverkehr erschlossen, die im Ostenvom Rhein begrenzte Provinz Gallia comata eingerichtet und den Kampf um dieStaatsverfassung zugunsten der Monarchie entschieden, sondern auch den Trans-padanern das Vollbürgerrecht verliehen und dadurch die Vereinigung des diesseiti-gen Galliens mit Italien vorbereitet, die dann im Jahr 42 von den damaligen Trium-virn vollzogen wurde (s. o. S. 107). Hierdurch waren die Voraussetzungen dafürgeschaffen, daß Cäars Großneffe und Adoptivsohn, C. Julius Cäsar Octavianus,der seit dem zu Brundisium mit Antonius geschlossenen Vertrag (Oktober 40) dieWesthälfte, seit der Schlacht bei Aktion (2. September 31) die Gesamtheit desrömischen Reiches beherrschte und seit der Begründung des Prinzipats (16. Jänner 27)den Ehrennamen Augustus trug, sämtliche Alpenstämme zu römischen Untertanenund die Donau zur Reichsgrenze machte.

    Früher als das römische Ausgreifen auf die inneralpinen Talschaften begann dasauf den Donauraum. In den Jahren 35 bis 33 schob Oktavian durch seine Feldzügegegen die Japuden, Pannonier und Dalmater die Grenze des römischen Illyricumsallerwärts bis an die Save, die Drina und den Drin vor, um das ganze Gebiet wirklichzu beherrschen, das ihm durch den Vertrag von Brundisium zugefallen war42 unddadaurch die eigene Macht gegenüber der des Antonius zu verstärken42a. Er führtedabei zugleich aus, was schon Cäsar hatte tun wollen, hatte anfangs auch imSinn, wie einst Cäsar, die Daker anzugreifen, abgleich das Reich des Burebistasnach dessen Tod (um das Jahr 40) zerfallen war, gab diesen Gedanken aberinfolge der wachsenden Spannung mit Antonius auf43. Nachdem Oktavian dann dietatsächliche Kaisergewalt erlangt hatte, plante er nicht einen Vorstoß an die untereDonau, wie vordem Cäsar. Allein M. Licinius Crassus eroberte als Prokonsul vonMakedonien 29/28 zum Mißvergnügen Oktavians auf eigene Faust in Kämpfen mitden Bastarnern, Mösern und andern Völkerschaften das Land zwischen dem Balkanund der Donau44.

    Die Eroberung der Alpen verherrlicht das 7/6 vom römischen Volk und Senat zuLa Turbia (bei Monaco) errichtete Tropaeum Alpium. Seine im vollen Wortlautbei Plinius, NH. III, 136 f. überlieferte Inschrift (CIL. V, 7817), verzeichnet allenamhaften, sub ductu auspiciisque des Augustus, also seit dem 16. Jänner 27mit Waffengewalt bezwungenen gentes Alpinae. Dabei werden deren Namennicht gemäß dem Zeitpunkt ihrer Unterwerfung und dem Verlauf römischer Feld-züge aneinandergereiht45, sondern, soweit möglich, in geographischer Ordnung46.

    42 Mi l tner , K l io 30 (1937), S. 200—206 .42a Darüber und über die Bedeutung Illyricums, namentlich die militärische, E. Swoboda,

    Octavian und Illyricum (1932), S. 8—17.43 K o r n e m a n n , Römische Geschichte 2 3 , S. 103.44 D a r ü b e r Groag, R E . 13/1 (1926), S p . 272, 275—280.45 Wie u . a. bei Howald-Meyer , Römische Schweiz, S. 359—362, a n g e n o m m e n wird.46 Genaueres h ie rüber Montfor t 2 , S. 152 ff., 155.

  • Die Einfügung des Ostalpenraums ins Römerreich 115

    Die Inschrift nennt nun die Salasser (im Tal von Aosta), die Lepontier (im KantonTessin, nördlich des Monte Ceneri), die Kamunner (in der Val Camonica) und dieTrumpiliner (in der Val Trompia), übergeht dagegen alle anderen Völkerschaften,die südlich der Penninischen, Lepontinischen, Bündner- und Ortleralpen, der Töll(bei Meran) und des Kunterswegs saßen. Diese Bergstämme fügten sich somit ent-weder mehr oder weniger freiwillig nach und nach der Herrschaft Roms, endgültigerst zur Zeit des Augustus47 oder sie wurden bereits vor dem 16. Jänner 27 mitWaffengewalt bezwungen. Daß dies geschah, ist jedoch ganz unwahrscheinlich.Denn während der Wirren, die dem Tod Cäsars zunächst folgten, kann es selbst-verständlich noch nicht geschehen sein und Oktavian, der nachher den Befehl zueinem Vorrücken römischer Streitkräfte in die Alpen gegeben haben müßte, war bis36 durch den Kampf mit Sextus Pompeius in Anspruch genommen, 35 bis 33 durchseine eigenen Feldzüge in Illyricum, dann bis 30 durch die Vorbereitung sowie dieFührung des Krieges gegen Antonius und hielt sich hierauf bis zum Sommer 29 inÄgypten sowie in Asien auf48. Vor seiner Erhebung zum Augustus hätte Oktavianalso gewiß erst im Jahr 28 an ein Erobern inneralpiner Täler denken können unddaß er gerade damals daran dachte, ist weder bezeugt noch wahrscheinlich. Manist daher zweifellos mit Recht der Meinung, das erste von ihm angeordneteUnternehmen solcher Art sei jenes gewesen, das im Jahr 25 durchgeführt wurde.Damals vernichtete Aulus Terentius Varro Murena die Salasser, die als Bewohnerdes Hochtals der Dora Baltea die Wege zu den beiden Bernhardpässen vom Po-tiefland aus beherrschten, und aus dem Gebiet dieses Stammes wurde das derneuangelegten, zu Italien gehörigen Kolonie Augusta Praetoria (Aosta)49. Im Zu-sammenhang damit dürften die Lepontier ihre Freiheit verloren haben50. Die Trum-piliner können nicht wesentlich später unterworfen worden sein. Denn da in einerInschrift (CIL. V, 5027) vom Dos Trento aus dem Jahr 23/22 der Legat M. Appuleiuserscheint, der wohl eine Legion befehligte51, beherrschten die Römer damals schondie Gegend von Trient und daher offenbar auch die ihr benachbarten, nördlich derVal Trompia gelegenen Bergtäler. Diese Talschaften wurden andrerseits nicht vielfrüher dem römischen Machtbereich eingefügt. Sagt doch Strabon IV, 6, 6, p. 204,erst zur Zeit des Augustus seien wie die Lepontier, so auch die Tridentiner, die

    47 Wopfner-Festschrift , S. 76—79. Gegen die Salasser h a t t e Oktavian schon in seiner Früh-zeit zuerst Antist ius Vetus vorgehen lassen, dann im J a h r 34 Messala Corvinus; vgl. Gardt-hausen, Augustus 1/1, S. 330.

    48 Kornemann, Römische Geschichte 23, S. 99 f., 105—108.49 Gardthausen, Augustus 1/2, S. 709, Stähelin, Schweiz in römischer Zeit3, S. 105.50 Dies vermutet u. a. W. Öchsli, Mitteilungen der antiquarischen Gesellschaft, Zürich 26

    (1903), S. 66.51 So u. a. P. v. Rohden, RE. 2/1 (1896), Sp. 258. Mit Recht hält H. Groag, Prosopographia

    imperii Romani 1 (1933), S. 185 f. an der herrschenden Ansicht fest, daß die Inschrift 23/22gefertigt wurde, obgleich H. Dessau, Inscriptiones Latinae selectae 1 (1892), S. 24 bemerkte,das könne möglicherweise erst nachher geschehen sein, spätestens im Jahr 5. Denn als dieReichsgrenze durch den Krieg des Jahres 15 an den Donauoberlauf vorgeschoben wurde,war Tridentum auch nach Dessau, Geschichte der römischen Kaiserzeit 1 (1924), S. 412schon längst im Besitz der Römer und ein kaiserlicher Legat kann folglich nur vorher in dieserGegend gewaltet haben. Es ist daher kaum zu verstehen, daß Dessau, a. a. O., S. 412, A. 2 sagt,die in Rede stehende Inschrift sei vielleicht etwas jünger, wenn auch sicher älter als 5 v. Chr.

  • 116 Richard Heuberger

    Stoner (an der Sarca) und mehrere andere (ihnen benachbarte) Stämme UntertanenRoms geworden. Kaum später als die Trampiliner wurden die Kamunner gewaltsambezwungen, auf alle Fälle schon vor dem Jahr 16; wie daraus zu schließen ist, daßCassius Dio, LIV, 20 zu diesem Jahr meldet: „Die Kammunioi und die Vennioi,Alpenvölker, griffen zu den Waffen, wurden aber von P. Silius (Nerva) unterworfen.Die Pannonier drangen gemeinsam mit Norikern in Istrien ein, erlitten aber durchSilius und dessen Unterfeldherrn Verluste und baten um Frieden.“ Denn laut dieserAussage griffen die Kamunner und die Vennier, mit denen die im obern Veltlin undim Puschlav ansässigen Vennonen gemeint sind52 zwar zu den Waffen53, fielenaber nicht in römisches Gebiet ein wie die Pannonier und Noriker. Die Kamunnerwaren also damals den Römern bereits Untertan, ebenso wie die Vennonen undbenützten gleich diesen nur den pannonisch-norischen Einbruch dazu, sich zuempören.

    Wie sich aus CIL. V, 5050 ergibt, wurden der städtischen Gemarkung von Comumdie Bergaleer (im Bergell) angeschlossen, jener von Tridentum die Anaunen (imNonsberg), die Sinduner und Tulliasser54. Ebenso verfuhr man damals auch sonstmit südalpinen Völkerschaften. Sagt doch Plinius, NH. III, 134, zu den Euganeern,die das latinische Recht besäßen, gehörten die Trumpiliner, die Kamunner undmehrere ähnliche den benachbarten Munizipien zugeteilten Stämme. Wenn er dannfortfährt, Cato halte die Lepontier und Salasser für Taurisker, so liegt hierin selbst-verständlich kein Hinweis darauf, daß die Gebiete dieser Völkerschaften nicht zu

    52 Die Vennier sind ohne Zweifel gemäß der bei Howald-Meyer, Römische Schweiz, S. 359vertretenen Ansicht, den Vennonen gleichzusetzen, den Bewohnern des obern Veltlins und desPuschlavs (s. o. Anm. 17), nicht, wie Schlern 21, S. 181, 184 und zuletzt Veröffentlichungen desFerdinandeums 31, S. 272 angenommen wurde, den Venosten. Denn diese können nichtin Beziehungen zu den Kamunnern gestanden sein, da der Vintschgau durch gewaltige Hoch-gebirge von der Val Camonica getrennt und mit ihr durch keinen Übergang verbunden ist.Einen Anlaß, gemeinsam mit den Kamunnern loszuschlagen, hatten ferner die Vennier nurdann, wenn sie nicht den Vinschgau bewohnten, sondern eine weiter südlich gelegene, derVal Camonica benachbarte, mit ihr durch einen Paß verbundene Alpentalschaft, und diesalles paßt nur auf das Veltlin, von dem aus der Apricapaß (1181 m) in die Val Camonicahinüberführt. — Mit Unrecht werden jedoch bei Howald-Meyer, a. a. O., die Vennier-Vennonenden Vennoneten des Tropaeum Alpium gleichgesetzt und damit deren Wohnsitze ins alpineAddatal verlegt. Denn die Vennoneten des Tropaeum saßen nördlich von den Suaneten(am Hinterrhein) und den Rugusken oder Rigusken (im Oberengadin), ebenso wie nach Ptole-maeus, II, 12, 2 die Vennonten. Das Gleiche gilt von den Vennonensern, die Plinius, NH. III,134 gleich den Saruneten (d. h. den Suaneten) als Anwohner der ortus Rheni bezeichnet;vgl. Stähelin, Schweiz in römischer Zeit3, S. 19 und ebenda Anm. 6, sowie Montfort 2, S. 153 ff.Um die Annahme zu halten, die Vennoneten der Siegesinschrift seien nicht den Vennontendes Ptolemaeus gleichzusetzen, sondern als Bewohner des Veltlins zu betrachten, muß dennauch bei Howald-Meyer, S. 362, vorausgesetzt werden, Plinius habe NH. III, 136 f. bei Wieder-gabe jener Inschrift die Vennonten weggelassen, was allerdings auffällig sei.

    53 Mit Unrecht wurde öfters, so bei Howald-Meyer, Römische Schweiz, S. 359 angenommen,die Trumpiliner hätten das gleiche getan, weil sie auf dem Tropaeum Alpium unmittelbar vorden Kamunnern genannt sind. Denn die Reihung der Stammesnamen in der Siegesinschrifterlaubt, wie oben erwähnt, keinen Schluß auf den Verlauf römischer Feldzüge und Dio läßtP. Silius nur die Kammunier und Vennier bekämpfen.

    54 Da die Nordgrenze Italiens seit Augustus auf der Töll und im Bereich des Kunterswegslag (s. u. Anm. 56), saßen die Sinduner und Tulliasser südlich davon. Näheres über ihre Wohn-sitze läßt sich derzeit nicht mit Sicherheit ermitteln; vgl. A. Solmi, Rivista Raetia 12 (1934),S. l l ff.

  • Die Einfügung des Ostalpenraums ins Römerreich 117

    Italien geschlagen wurden. Vom Land der Salasser wissen wir, wie oben erwähnt,daß es nach deren Ausrottung als Territorium von Augusta Praetoria innerhalbItaliens lag. Die Lepontier und die im alpinen Addatal ansässigen Vennonen wurdengleich ihren Nachbarn italischen Stadtgebieten angeschlossen55.

    Das Ergebnis und daher jedenfalls auch der Zweck dessen, was dem oben Gesagtenzufolge im Jahr 25 und bald nachher römischerseits im Mittelstück der Alpen unter-nommen wurde, war somit bloß eine Vorschiebung der Grenze Italiens bis zurHöhe der Penninischen, Lepontinischen, Bündner und Ortleralpen, sowie bis zurTöll bei Meran und zum Kuntersweg56. Andrerseits hatten die Feldzüge Oktaviansvon 35 bis 33 und die des Crassus von 29/28 nur das Ziel und den Erfolg gehabt,das Herrschaftsgebiet Roms bis an den Drin, die Save, die Drina und das untersteStück der Donau auszudehnen (s. o. S. 114). Mit der durch dies alles geschaffenenSachlage begnügte sich der Kaiser ein Jahrzehnt lang. Damals plante er also nochnicht, gemäß der im Altertum herrschenden Ansicht, große Flüsse seien die bestenLandmarken, die Donau allerwärts zur Reichsgrenze zu machen und daher u. a.das Innere der Ostalpen samt der schwäbisch-bayrischen Hochebene zu erobern.Das zu tun beschloß und begann Augustus erst, nachdem der Prinzipat voll ausgebaut,das Verhältnis zu den Parthern im Verhandlungsweg geregelt, Nordspanien erobert,die Gallia comata völlig befriedet und in ihr die römische Verwaltung straff ein-gerichtet worden war57. Nunmehr sollte zunächst das Reichsgebiet bis an den Donau-oberlauf ausgedehnt werden, um an ihn Streitkräfte verlegen zu können, diebisher in Oberitalien gestanden hatten, was aus innerpolitischen Gründen wünschens-wert schien58, und um den Angriff auf das freie Germanien vorzubereiten, dessen Zieldas Erreichen der Elbegrenze war59. Was der Herrscher wünschte, geschah, sobald er

    55 Nach der herrschenden Lehre wurden das Lepontierland und das Veltlin samt dem Pusch-lav zu Italien geschlagen, nach Howald-Meyer, Römische Schweiz, S. 187 f. und Stähelin,Schweiz in römischer Zeit3, S. 110 f., 164, zu Rätien. Gegen diese Ansicht hinsichtlich des Lepon-tierlands, Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 19 (1939), S. 249—260 und G. Wielich,Bollettino storico della Svizzera Italiana (1946), S. 9 ff., 13 ff. Gegen die Ansicht, das Veltlinsei mit Rätien vereinigt worden, nicht mit Italien, Veröffentlichungen des Ferdinandeums 31,S. 272, Anm. 59. Diese Ansicht wurde vor allem auf grund der Annahme vertreten, die Venno-neten des Tropaeum Alpium hätten das Veltlin bewohnt, was sich als irrig erweisen läßt (s. o.Anm. 52).

    56 Darüber, daß seit Augustus Italien auf den Bergen im Süden des Vintschgaus und auf derTöll an Rätien, im Bereich des Kunterswegs an Noricum grenzt, Schlern 27 (1953), S. 522 bis 528.

    57 Darüber u. a. Kornemann, Römische Geschichte 23, S. 120 f., 133 f., betreffs Galliensauch E. Stein, Die kaiserlichen Beamten und Truppenkörper im römischen Deutschlandunter dem Prinzipat (1932), S. 1.

    58 Mommsen, Römische Geschichte 55, S. 16.59 E. Ritterling, Bonner Jahrbücher 114/15 (1906), S. 176, 178, Dessau, Geschichte der

    römischen Kaiserzeit 1, S. 409, 414. Mit Recht lehnt Dessau, ebd., S. 460, die VermutungGardthausens, Augustus 1/3, S. 1049 f. ab, erst nachdem des Augustus Mitregent M. VipsaniusAgrippa im März 12 gestorben war, sei auf Anregung der kaiserlichen Stiefsöhne, namentlichdes Drusus, der Plan entworfen worden, die Elbegrenze zu gewinnen. Denn Drusus führteschon im Jahre 12 seinen ersten germanischen Feldzug unter Benützung eines vorhergegrabenen Kanals, der den Rhein mit der Zuydersee verband, nachdem gründliche Vorberei-tungen stattgefunden hatten; vgl. Dessau, a. a. O., S. 414—418. Es nimmt denn auchKornemann, Römische Geschichte 23, S. 139 f. an, diese Vorbereitungen seien schon 16—13getroffen worden, Drusus habe bald, nachdem er im Jahr 13 die gallische Oberstatt-halterschaft übernommen hatte, den Auftrag erhalten, zwecks Vorschiebung der Reichsgrenze

  • 118 Richard Heuberger

    sich für drei Jahre (16 bis 13) nach Gallien begeben hatte. Das Königreich Noricummußte im Jahr 16 oder im Jahr 14 die Oberhoheit Roms anerkennen60, sofern essich ihr nicht nur unter dem Druck der Verhältnisse allmählich fügte61. Wichtigernoch war, was sich westlich von Noricum ereignete. Im Sommer 15 unterwarfenDrusus und Tiberius die noch frei gebliebenen Räter und die Vindeliker, indemjener von Süden, dieser von Westen her in die schwäbisch-bayrische Hochebenevorstieß62, während gleichzeitig Heereseinheiten, die ihren Angriff vom Genfer Seeher begannen, die vier Keltenstämme des Wallis besiegten63. Hierauf machte manaus dem bei diesem Feldzug eroberten Raum und dem nordöstlichsten Stück desSchweizer Mittellands einen militärisch verwalteten Amtssprengel64, innerhalb des-sen drei Teilgebiete von einander unterschieden wurden, nämlich Rätien (Ostschweiz,Vorarlberg, schwäbisch-bayrische Hochebene westlich der Iller), das Vindelikerland(Vintschgau, oberstes Eisacktal, Nordtirol mit Ausnahme seines östlichsten, zuNoricum gehörigen Stücks, Flachland zwischen Iller und Inn) und die Vallis Poenina(das Wallis)65.

    bis an die Elbe in Germanien einzurücken, und als er das zum erstenmal tat, einen Feldzugsplanin die Tat umgesetzt, den vielleicht Agrippa entworfen hatte.

    60 Das geschah nach der von Polaschek, RE. 17/1, Sp. 976 f. und Miltner, Klio 30, S. 207 bis211 für zutreffend gehaltenen Angabe des Cassius Dio, LIV, 20 im Jahre 16, nach R. Egger,Jahrbuch des oberösterreichischen Musealvereins 95, S. 138 im Jahr 14.

    61 Wie E. Saria, Historia, Zeitschrift für alte Geschichte 2 (1950), S. 442 annimmt.62 Über diesen Feldzug zuletzt Veröffentlichungen des Ferdinandeums 31, S. 272—277.

    Hier wird S. 277 bei Begründung der Ansicht, das Heer des Drusus habe den Alpenhauptkammauf dem Weg über den Brenner überschritten, nicht auf dem über das Reschenscheidecku. a. gesagt, der Vintschgau sei schon von P. Silius Nerva erobert worden. Da dies nicht der Fallwar (s. o. Anm. 52) und der Reschenscheidekweg nicht unbeachtet bleiben konnte, wird an-zunehmen sein, ihn habe ein nicht von Drusus selbst befehligter Teil seines Heeres benützt.

    63 Diese Völkerschaften wurden, weil auf dem Tropaeum Alpium genannt, nach dem 10.Jänner 27 gewaltsam unterworfen, und nur wenn das im Jahr 15 geschah, ist die im folgendenerwähnte Tatsache zu verstehen, daß man nach dem Krieg dieses Jahres das Wallis, durch dasder verkehrswichtige Weg über den Großen St. Bernhard von Italien in die Gallia comataführte, zum Amtssprengel Rätien-Vindelikien schlug, mit dem es bloß durch den belanglosenBergpfad über die Furka und den Oberalppaß verbunden war. Unzulässig ist die zuletzt vonStähelin, Schweiz3, S. 110, Anm 1. erwähnte Vermutung, möglicherweise sei damals noch diealpine Rhone dem obersten Rhein gleichgesetzt und ihr Tal unter dem Einfluß dieses Irrtumsmit Rätien-Vindelikien vereinigt worden. Kannte doch schon im Jahr 57 Cäsar den alpinenOberlauf der Rhone; vgl. Festschrift für Th. Mayer, 2, S. 12. Wie sich hieraus ergibt, wurde dasWallis im Jahr 15 erobert. Dafür, daß die römischen Streitkräfte hierbei vom Genfer See herangriffen, spricht die Wahrscheinlichkeit, nicht, wie bei Howald-Meyer, Römische Schweiz,S. 195 angenommen wird die Reihenfolge, in der die Inschrift des Tropaeum Alpium dievier Walliser Stämme anführt; vgl. Stähelin, Klio 27 (1934), S. 342.

    64 Militärstatthalter dieses Amtssprengeis war bis 6 oder 9 n. Chr. der Befehlshaber desLegionslagers Oberhausen (bei Augsburg), dann ein Präfekt, der dem Oberkommando derrömischen Rheinheere unterstand; vgl. z. B. Stein, Beamte und Truppenkörper im römischenDeutschland, S. 19.

    63 Über die Grenze zwischen Rätien und Vindelikien zuletzt Schlern 23 (1944), S. 95f.Über die Westgrenze Rätien—Vindelikiens und der früh kaiserzeitlichen Provinz Rätien,Prähistorische Zeitschrift 32/5 (1953), S. 49—54. Über die Nord- und die außeralpine Ost-grenze Rätien im Altertum und Frühmittelalter 1 (Schlern-Schriften 20, S. 75, 78, 315). Überdie Ost- und Südgrenze auf dem Boden Tirols, Schlern 27, S. 522—528 und ebenda 28 (1954),S. 319—323. Daß die Grenze gegen Italien westlich von Tirol durch die Bündner und dieLepontinischen Alpen gebildet wurde, ergibt sich aus dem oben Gesagten.

  • Die Einfügung des Ostalpenraums ins Römerreich 119

    Somit waren nunmehr die ganzen Ostalpen und ihr nördliches Vorland dem Macht-bereich Roms eingefügt. Hierauf beendete im Jahr 12 ein letzter Feldzug gegen dieLigurer66 die Unterwerfung der Alpenstämme. Vor allem brachten aber die Römerin den Jahren 14 bis 10/9 die Verlegung der Reichsgrenze an die Donau zum Abschluß,indem sie das Gebiet zwischen der außeralpinen Save und der Donau eroberten,das dann die Statthalterschaft Pannonien bildete, und diesen Erfolg durch einenKrieg gegen die Daker sicherten67.

    Es war ohne weiteres vorauszusehen, daß es viel mehr Zeit und Blut kostenwerde, Pannonien zu erobern als das Räter- und Vindelikerland; ebenso, daß sichdas norische Königreich als fügsam erweisen werde. Darin liegt gewiß der Haupt-grund dafür, daß Augustus die Vorschiebung der Reichsgrenze an die obere undmittlere Donau mit dem Feldzug seiner Stiefsöhne gegen die Räter und Vinde-liker sowie mit der Umwandlung Norikums in einen römischen Vasallenstaat begann.

    Anschrift des Verfassers: Univ.-Prof. Dr. Richard Heuberger, Innsbruck, Erzherzog-Eugen-Straße 9.

    66 Über ihn u. a. G. Oberziner, Le guerre di Augusto contro i populi Alpini (1900), S. 130 ff.67 Miltner, Klio 30, S. 211—226.