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Robert A. Dahl

Politische Gleichheit –ein Ideal?

Aus dem Englischen vonBarbara Steckhan, Thomas Wollermannund Gabriele Gockel, Kollektiv Druck-Reif

Hamburger Edition

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Vorwort

Mit diesem kleinen Bändchen kehre ich zu einem Themazurück, das mich seit langem bewegt und das ich auchin früheren Texten bereits häufig behandelt habe – poli-tische Gleichheit. Als Grundlage für die späteren Ausfüh-rungen werde ich in Kapitel zwei immer wieder auf dieseArbeiten zurückgreifen. Deshalb möchten Leser, denensie schon vertraut sind, dieses Kapitel vielleicht lediglichüberfliegen oder es gleich ganz überspringen, um sich demRest des Buchs zu widmen.

Wie ich bereits in früheren Arbeiten betont habe, ist dasVorhandensein politischer Gleichheit die Grundvoraus-setzung für Demokratie. Jedoch sind meiner Meinungnach ihre Bedeutung und ihr Verhältnis zur Demokratiesowie die Verteilung der Mittel, die einem Bürger zurEinflussnahme auf öffentliche Entscheidungen zur Verfü-gung stehen, bisher noch nicht hinlänglich untersuchtworden. Wie bei dem demokratischen Ideal selbst und imPrinzip bei den meisten Idealen gibt es bestimmte Grund-aspekte der menschlichen Natur und Gesellschaft, dieuns daran hindern, unter den Bürgern eines demokratischregierten Landes jemals vollständige politische Gleichheitherstellen zu können. Dennoch wurden seit Ende des18. Jahrhunderts in einem der tiefgreifendsten Verände-rungsprozesse der menschlichen Geschichte überall aufder Welt große Fortschritte im Hinblick auf Demokratieund Gleichheit erzielt.

Wie lässt sich dieser außerordentliche Wandel erklä-ren? Um ihn zu verstehen, müssen wir gewisse elemen-tare Eigenschaften untersuchen, die den Menschen zum

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Handeln zwingen – in diesem Fall zu einem Handeln, dasSchritte zur politischen Gleichheit unterstützt.

Diese elementaren Bestrebungen treffen auf eine Welt,die sich von der früherer Jahrhunderte einschließlich desletzten immer stärker unterscheidet. Wie wohlwollendwird die Welt des 21. Jahrhunderts der politischen Gleich-heit gegenüberstehen?

Wenn wir den Blick auf die Vereinigten Staaten rich-ten, lässt sich diese Frage nicht eindeutig beantworten. Inden letzten Kapiteln entwerfe ich zwei völlig unterschied-liche Szenarien – ein pessimistisches und ein hoffnungs-volles –, die ich beide für möglich halte. Im ersten treibenuns mächtige internationale und innenpolitische Kräfte ineine politische Ungleichheit von so hohem Maß, dass die-ser Prozess nicht mehr umkehrbar ist, unsere gegenwär-tigen demokratischen Institutionen ausgehöhlt werdenund das Ideal von Demokratie und politischer Gleichheitpraktisch bedeutungslos wird. Im zweiten, hoffnungsvol-leren Szenario führt ein elementares und starkes Bestre-ben der Menschen – der Wunsch nach Wohlergehen oderGlück – zu einem kulturellen Wandel. Auf die Erkennt-nis, dass die dominierende Kultur des Wettbewerbs undKonsums nicht zu größerem Glück führt, folgt eine Kul-tur des politischen Bewusstseins, die eine Bewegung zupolitischer Gleichheit unter den Bürgern der VereinigtenStaaten massiv unterstützt.

Welches dieser beiden Szenarien sich durchsetzenwird, bestimmen die zukünftigen Generationen amerika-nischer Bürger.

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I Einleitung

Über weite Strecken der Geschichtsschreibung wäre dieVorstellung, erwachsene Menschen hätten einen An-spruch, politisch gleich behandelt zu werden, von vielenals blanker Unsinn und von Herrschern als gefährlicheund subversive Forderung betrachtet worden, die unter-drückt werden muss.

Mit der zunehmenden Ausbreitung demokratischerIdeen und Überzeugungen seit dem 18. Jahrhundert wurdeaus dem subversiven Anspruch fast schon ein Gemein-platz – bis dahin, dass autoritäre Herrscher, die ihn zwar inder Praxis generell von sich weisen, ihn aber in ihre pro-grammatischen öffentlichen Erklärungen aufnehmen.

Allerdings klafft auch in demokratischen Gesellschaf-ten zwischen dem Ziel politischer Gleichheit und ihrertatsächlichen Realisierung eine große Lücke, wie jederaufmerksame Beobachter der politischen Realität leichtfeststellen kann. In einigen demokratischen Ländern, un-ter ihnen auch die Vereinigten Staaten, scheint diese Kluftsogar zu wachsen, und zwar so weit, dass das Ideal derGleichheit ganz an Bedeutung zu verlieren droht.

Liegt das Ziel der politischen Gleichheit so weit außer-halb unserer menschlichen Grenzen, dass wir uns leichtererreichbaren Zielen und Idealen zuwenden sollten? Odergibt es in unserem begrenzten menschlichen SpielraumVeränderungen, die dazu beitragen könnten, die Kluftzwischen dem Ideal und der gegenwärtigen Realität be-trächtlich zu verringern?

Diese Fragen erschöpfend zu beantworten, würde denRahmen meines kleinen Buchs bei weitem sprengen. Da-

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her gehe ich bei dieser Abhandlung von folgender Prä-misse aus: Das demokratische Ideal setzt voraus, dasspolitische Gleichheit wünschenswert ist. Wenn wir an De-mokratie als Ziel oder Ideal glauben, müssen wir also im-plizit auch politische Gleichheit als Ziel oder Ideal an-streben. In mehreren meiner früheren Arbeiten habe ichgezeigt, warum diese Annahmen in meinen Augen höchstvernünftig sind und die Ziele zudem innerhalb mensch-licher Möglichkeiten liegen, so dass sie als realisierbar undrealistisch angesehen werden können.1 In Kapitel zweiwerde ich noch einmal meine Gründe für diese Ansichtdarlegen und von daher ausgiebig auf diese früheren Ar-beiten zurückgreifen.

In den anschließenden Kapiteln möchte ich einige wei-terführende Gedanken zur Bedeutung der politischenGleichheit als realistisches und realisierbares Ziel vorstel-len. Einen wichtigen Beleg dafür liefert die Weiterent-wicklung der »demokratischen« Systeme in der Geschich-te und die Ausdehnung der Bürgerrechte auf immer mehrMenschen. Zum besseren Verständnis der Ursachen fürdiesen außergewöhnlichen und historisch einzigartigenWandel hin zu politischer Gleichheit werde ich in Kapitelvier auf die Bedeutung verbreiteter – sogar universeller –menschlicher Neigungen hinweisen.

Wenn uns aber diese elementaren menschlichen Ei-genschaften und Fähigkeiten motivieren, an politischer

1 Vgl. insbesondere Robert A. Dahl, Democracy and itsCritics, New Haven 1989, S. 30–33, 83–134, und ders., OnDemocracy, New Haven 1998, Kap. 4–7, S. 35–80, sowie HowDemocratic is the American Constitution, New Haven 2001,S. 130–139.

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Gleichheit als erreichbarem (wenn auch nicht voll undganz realisierbarem) Ziel festzuhalten, müssen wir unsauch mit fundamentalen Aspekten des Menschseins undder menschlichen Gesellschaft befassen, die der politi-schen Gleichheit dauerhaft im Wege stehen. Dieser Auf-gabe widme ich mich in Kapitel fünf.

Wenn wir unsere Aufmerksamkeit anschließend derZukunft der politischen Gleichheit in den VereinigtenStaaten zuwenden, ersteht vor unseren Augen die realis-tische Möglichkeit, dass die politische Ungleichheit unterden amerikanischen Bürgern aufgrund wachsender Schran-ken immer mehr zunimmt. In Kapitel sechs werde ich die-ses Zukunftsmodell genauer untersuchen.

Im letzten Kapitel beschreibe ich eine andere, einehoffnungsvollere Zukunft, in der ein von elementarenmenschlichen Bedürfnissen herbeigeführter kulturellerWandel eine substantielle Verringerung der politischen Un-gleichheiten bewirkt, die augenblicklich in der amerikani-schen Gesellschaft vorherrschen.

Welches dieser Modelle – oder welches andere – sichletztendlich durchsetzen wird, vermag ich nicht voraus-zusagen. Doch ich vertraue darauf, dass das Ergebnisdurch individuelle und kollektive Anstrengungen unsererund nachfolgender Generationen maßgeblich beeinflusstwerden kann.

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Inhalt

Vorwort 9

I Einleitung 11

II Ist politische Gleichheit einvernünftiges Ziel? 14Politische Gleichheit und Demokratie 17Die politischen Institutionen derrepräsentativen Demokratie 23Wachsende politische Gleichheit 34Ein kurzer Abriss der Entwicklungzu politischer Gleichheit 37

III Lässt sich politische Gleichheitverwirklichen? 43Reicht die reine Vernunft aus? 46Hinter dem Schleier des Nichtwissens 48

IV Emotionen spielen eine beträchtliche Rolle 51Was uns Kapuzineraffen zeigen … 51… im Hinblick auf das Verhalten vonMenschen 53Und die privilegierten Schichten? 58Der Lohn für politische Gleichheit 61

V Politische Gleichheit, die Naturdes Menschen und die Gesellschaft 661. Politische Mittel, Fähigkeiten und Anreize 672. Zeitliche Grenzen 71

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3. Das Dilemma der Größe 754. Die Rolle der Marktwirtschaft 805. Die Notwendigkeit nichtdemokratischerinternationaler Systeme 846. Krisen 89

VI Wird die politische Ungleichheitin den Vereinigten Staaten zunehmen? 93Der Maßstab für politische Ungleichheit 94

VII Warum die politische Ungleichheitabnehmen könnte 114Wir haben die Möglichkeiten –haben wir auch den Willen? 116Von der Konsumkultur zur Bürgerkultur 117Frühere Bewegungen gegen die herrschendeKultur 126Von der Konsumkultur zur Bürgerkultur? 131

Anhang 133Danksagung 138Über den Autor 141

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Über den Autor

Robert Dahl, Sterling Professor (emeritus) für politischeWissenschaft an der Yale University, war dort 40 Jahre inder Forschung und Lehre tätig und ist einer der einfluss-reichsten Politikwissenschaftler unserer Zeit. Seine Bü-cher zu grundlegenden theoretischen Fragen demokrati-scher Gesellschaften sind in zahlreiche Sprachen übersetztworden und haben weltweit Beachtung gefunden undDebatten ausgelöst.

Robert A. Dahl, 1915 – 2014, Sterling Professor für po-litische Wissenschaft an der Yale University, war dort 40 Jahre in der Forschung und Lehre tätig und einer der einflussreichsten Politikwissenschaftler unserer Zeit. Sei ne Bücher zu grundlegenden theoretischen Fragen demokratischer Gesellschaften sind in zahlreiche Spra-chen übersetzt worden und haben weltweit Beachtung gefunden und Debatten ausgelöst.

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Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbHMittelweg 3620148 Hamburgwww.hamburger-edition.de

© der deutschen Ausgabe 2006 by Hamburger Edition© der Originalausgabe 2006 by Yale University PressOriginaltitel: »On Political Equality«Umschlaggestaltung: Wilfried GandrasTypografie und Herstellung: Jan EnnsSatz aus Stempel Garamondvon Dörlemann Satz, LemfördeDruck und Bindung: Clausen & Bosse, LeckPrinted in GermanyISBN-10: 3-936096-72-4ISBN-13: 978-3-936096-72-9

1. Auflage September 2006