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MATERIALDIENST Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen 70. Jahrgang 10 / 07 ISSN 0721-2402 H 54226 Gottesrede inmitten von Gottesvergessenheit Buddhas Wiedergeburt in Japan O - kawa Ryu - ho - und die „Wissenschaft vom Glück“ Verbot von Scientology? Im Herzen des Rosenkreuzes A.M.O.R.C.-Weltkonvent 2007 in Berlin „Größter evangelistischer Kreuzzug“ der Universalkirche vom Reich Gottes Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen

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Gottesrede inmitten von Gottesvergessenheit

Buddhas Wiedergeburt in JapanO- kawa Ryu-ho- und die „Wissenschaft vom Glück“

Verbot von Scientology?

Im Herzen des RosenkreuzesA.M.O.R.C.-Weltkonvent 2007 in Berlin

„Größter evangelistischer Kreuzzug“der Universalkirche vom Reich Gottes

Evangelische Zentralstellefür Weltanschauungsfragen

EZW, Auguststraße 80, 10117 BerlinPVSt, DP AG, Entgelt bezahlt, H 54226

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Wolf KrötkeGottesrede inmitten von GottesvergessenheitZur bleibenden Herausforderung der christlichen Verkündigung Gottesdurch den Atheismus 363

Franz WinterBuddhas Wiedergeburt in JapanO- kawa Ryu-ho- und die „Wissenschaft vom Glück“(Ko- fuku no kagaku) 372

Michael UtschVerbot von Scientology? 380

Rosenkreuzer„Liebe wird die Brücke sein“ – Ein Rückblick auf den Weltkonvent 2007 des A.M.O.R.C. in Berlin 383

Pfingstbewegung„Größter evangelistischer Kreuzzug“ in Deutschland 386

NeuheidentumTagung der Ludendorffer in Dorfmark sorgt erstmals für Aufsehen 388

Anthroposophie„Inmedia“ zum Verhältnis von Anthroposophie und Religion 390

In eigener SacheAbschied von Andreas Fincke 390

Tagung über die Qualität christlicher Gesundheitsangebote 391

INHALT MATERIALDIENST 10/2007

INFORMATIONENINFORMATIONEN

IM BLICKPUNKT

BERICHTE

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Robert KötterDie Soka Gakkai International – DeutschlandGeschichte – Struktur – Mitglieder 392

Daniel CyrankaLessing im ReinkarnationsdiskursEine Untersuchung zu Kontext und Wirkungvon G. E. Lessings Texten zur Seelenwanderung 393

Ursula CabertaSchwarzbuch Scientology 395

Frank-Rutger HausmannHans Bender (1907-1991) und das „Institut für Psychologie und Klinische Psychologie“an der Reichsuniversität Straßburg 1941-1944 396

Erich FollathDas Vermächtnis des Dalai LamaEin Gott zum Anfassen 398

INFORMATIONENBÜCHER

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Konfessionslosigkeit als gesellschaftlichesMilieu

Im Impulspapier „Kirche der Freiheit“ derEvangelischen Kirche in Deutschland ausdem Jahre 2006 wird die religiöse Situa-tion in Deutschland, auf die sich die Kir-che einzustellen hat, folgendermaßen be-schrieben: „Die gesellschaftliche Situationist günstig“.2 „Es wird neu nach Gott ge-fragt. Religiöse Themen ziehen hohe Auf-merksamkeit auf sich.[...] Eine in denzurückliegenden Jahrzehnten verbreiteteGleichgültigkeit gegenüber den im christ-lichen Glauben gegebenen Grundlagendes persönlichen wie des gemeinsamenLebens weicht (!) einem neuen Interessefür tragfähige Grundeinstellungen undverlässliche Orientierungen.“3

Diese Beschreibung ist – um es kurz zusagen – für den Osten Deutschlandsfalsch.4 Auch nahezu 20 Jahre nach demEnde des „real existierenden Sozialismus“sind über drei Viertel der Bevölkerung derneuen Bundesländer in einer nicht ernst-lich „religiös“ zu nennenden Weise „kon-fessionslos“. In Ost-Berlin gehören nur9,1 % der Bevölkerung der evangelischenKirche an; in manchen Stadtteilen sind esgerade einmal 2 %. Von einer „Wieder-kehr der Religion“ oder einer „Respiritua-lisierung“ der Gesellschaft, wie sie inWesteuropa beobachtet wird, kann hiernicht die Rede sein. Die Erwartung, dasssich die Menschen nach dem Zusammen-

bruch der vierzigjährigen atheistischenWeltanschauungsdiktatur wieder den Kir-chen oder sonst einer religiösen Lebens-orientierung zuwenden werden, hat getro-gen. Selbst Sekten fassen hier nicht Fuß,wie anfänglich befürchtet. Der OstenDeutschlands ist ein religiös dürres Landgeworden. Während sich die so genannten „Errun-genschaften“ des „Sozialismus“ im Eil-tempo verflüchtigt haben, ist eine beson-dere Art von Atheismus des überwiegen-den Teils der Bevölkerung seine gewisser-maßen erfolgreichste Hinterlassenschaft.Er hat ein gesellschaftliches Klima ge-schaffen, in dem das Leben ohne die Kir-che und ohne den Glauben zur Selbstver-ständlichkeit geworden ist. Der größte Teilder Bevölkerung hat sich auf die Dauer andas Leben ohne den Glauben an Gott ein-fach gewöhnt.Diese Gewöhnung aber hat im geistigenHaushalt der Menschen zu einem tiefgreifenden Traditionsabbruch der christ-lichen Überlieferungen und Lebensorien-tierungen und zur Entfremdung von denkulturellen Prägungen der Gesellschaftdurch das Christentum geführt. Christli-cher Glaube oder christliche Frömmigkeitkommen in den Familien nicht mehr vor.Schon die Großeltern, vielleicht sogar dieUrgroßeltern, waren nicht in der Kirche;die Nachbarn, Freunde und Arbeitskolle-gen sind es auch nicht. So ist ein hartwan-diges gesellschaftliches Milieu entstan-

IM BLICKPUNKTWolf Krötke, Berlin

Gottesrede inmitten von GottesvergessenheitZur bleibenden Herausforderung der christlichen VerkündigungGottes durch den Atheismus1

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den, das alles, was ausdrücklich mit „Reli-gion“ zu tun hat, von sich abweist. Dieses Milieu regeneriert sich über denUmbruch der Gesellschaft vor 18 Jahrenhinweg beständig selbst. Unterstützt wirddas bei der heranwachsenden Generationheute in nicht geringem Maße durch dieLehrerinnen und Lehrer an den Schulen,von denen die große Mehrheit nach der„Wende“ weitermachen konnte. Sie sindaus alter Gewohnheit selbstverständlichTrägerinnen und Träger atheistischerÜberzeugungen. Das Urteil z.B., dass Re-ligion „unwissenschaftlich“ sei und einervergangenen Zeit angehöre, findet hierimmer neue Belebung. Es ist darum ganzschwierig, den Religionsunterricht an denSchulen zu etablieren. Lehrer und Elternsind weitaus überwiegend der Meinung,dass er nicht an die Schule gehört, undüben einen dementsprechenden Druckauf die Politik aus.Es wäre jedoch verkehrt, angesichts desWiderstandes, der sich hier gegen die Bil-dungsaufgabe der Kirchen zeigt, die Glau-bensferne der konfessionslosen Bevölke-rung mit einer kämpferischen Wendunggegen den Glauben gleichzusetzen. VomFreiheits- und Emanzipationspathos deseuropäischen Atheismus ist der Gewohn-heitsatheismus, von dem wir hier reden,ziemlich weit entfernt. Dergleichen tref-fen wir heute eher weiter westlich an, wiez.B. jetzt gerade bei den so genannten„neuen Atheisten“ oder „brights“, welcheüber die Verderblichkeit von Religion undGottesglaube aufklären wollen.5 Die Kon-fessionslosigkeit im Osten Deutschlandsaber hat keine Aufklärungsinteressen. Siezeichnet sich vielmehr durch eine gänz-liche Gleichgültigkeit gegenüber demGottesglauben aus. Die Menschen ma-chen sich nicht mehr die Mühe, an dieFrage der Widerlegung des Gottesglau-bens oder die Begründung des Atheismusnoch irgendwelchen Schweiß zu ver-

schwenden. Für sie ist der Glaube an Gottunter die Schwelle der Konfliktfähigkeitgesunken. Charakteristisch ist die Äuße-rung von Jugendlichen bei einer Befra-gung auf dem Leipziger Hauptbahnhof.Auf die Frage, ob sie sich „eher christlichoder eher atheistisch“ verstehen, habensie geantwortet: „Weder noch, normalhalt.“6 Nur, was ist „normal“?

Perspektiven des Lebens ohne Gott

Die Frage, welche Grundüberzeugungenim konfessionslosen Milieu als „normal“gelten, ist für den kirchlichen Auftrag, ineiner konfessionslosen Umgebung vonGott zu reden, einigermaßen von Inter-esse. Denn die Klärung dieser Fragekönnte helfen, inmitten dessen, was imOsten Deutschlands von der konfessions-losen Bevölkerung als „normale“ Lebens-weise angesehen wird, den Ort zu finden,an den das Reden von Gott hier vorzüg-lich gehört. Doch trotz etlicher Umfragenin der konfessionslosen Bevölkerung undeiniger Erfahrungswerte ist es nicht ganzeinfach, das „Normale“ von Lebensein-stellungen ohne Gott, aber auch ohne ex-plizit atheistisches Bewusstsein, zu ermit-teln. Dennoch können wir einige Eck-punkte benennen, zwischen denen sichdas Leben abspielt, in dem Gott vergessenund der Atheismus als solcher uninteres-sant ist.Keine bedeutende Rolle – können wir alsErstes sagen – spielt die Weltanschauungdes dialektischen und historischen Mate-rialismus mehr, die den Menschen in so-zialistischen Zeiten einmal den Glaubenausgetrieben hat. Das komplizierte Kon-strukt einer Weltanschauung, nach der„die Materie“ sich in „dialektischenSprüngen“ bis auf das Niveau desmenschlichen Bewusstseins entwickelthat und zugleich den gesetzmäßigen Ver-lauf der Geschichte in „Klassenkämpfen“

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vorzeichnet, lebt heute nur noch in derKöpfen von ein paar alten Parteikadern.Aus den Diskursen unserer Zeit über dieGrundbedingungen unseres Daseins aufder Erde ist dieses Konstrukt mit Recht fastgänzlich verschwunden. Das „Normale“, von dem unsere Jugendli-chen in Leipzig geredet haben, ist zumanderen aber auch nicht die gänzlicheVerneinung aller überkommenen Werte,der Nihilismus. Zwar gibt es im konfessi-onslosen Milieu vor allem bei jungenMenschen einige Besorgnis erregendePhänomene von ethischer Verwahrlosung,die sich der Erfahrung der Sinnleere deseigenen Lebens verdanken. Die überDeutschland hinaus besonders sorgsamregistrierten Regungen von Rechtsextre-mismus im Osten Deutschlands gehörenhierher. Aber wir können sicher sein, dassdie überwiegend konfessionslose Bevöl-kerung damit nicht nur nichts zu tun ha-ben möchte, weil „Antifaschismus“ für siezur sozialistischen Sozialisation gehörte.Die atheistisch ausgerichtete Konfessions-losigkeit ist darüber hinaus weitaus über-wiegend von so etwas wie vom Geist ei-ner verträglichen Menschlichkeit gekenn-zeichnet, der alle Extreme zuwider sind.Das ist drittens darin begründet, dass derSozialismus, wie er in der DDR herrschte,bei den Menschen, die sich ihm anpass-ten, vor allem zur Verinnerlichung vonWerten der Gemeinschaftspflege geführthat. Dazu gehören Hilfsbereitschaft undSolidarität, die Hochschätzung des Wertesder Geborgenheit in der Gesellschaft,aber auch ein Sinn für Gerechtigkeit, sodass das konfessionslose Milieu durchausden gesellschaftlichen Frieden stabilisiert.Woran es diesem Milieu dagegen nachwie vor mangelt, ist die Innovationskraftder Möglichkeiten gesellschaftlicher Frei-heit in einer demokratischen, pluralisti-schen Gesellschaft. Das eigene, freie En-gagement für Ziele, die mit ganzheitlichen

Perspektiven den eigenen Lebensumkreisüberschreiten, wird eher nicht geschätzt.Da schwingt auch 18 Jahre nach demEnde des Sozialismus noch der Frust mit,einer totalitären Weltanschauung aufge-sessen zu sein, die nicht gehalten hat, wassie versprach. Institutionen, die weltan-schauliche Überzeugungen vertreten, ha-ben es darum schwer, Mitglieder zu fin-den. Die Parteien und Gewerkschaftenleiden darunter in vergleichbarer Weisewie die Kirchen. Aber auch eine program-matisch atheistische Vereinigung wie der„Humanistische Verband“ hat nur dieGröße einer Splittergruppe, obwohl dieserVerband den Anspruch erhebt, die ganzekonfessionslose Bevölkerung zu vertreten.Im konfessionslosen Milieu können wiraus den genannten Gründen so etwas wieeine Erschlaffung im Hinblick auf Fragenantreffen, welche die großen Herausfor-derungen des Menschseins im Globalen,aber auch in individueller Tiefe betreffen.Das passt mit dem zusammen, was einerepräsentative Studie der „Identity Foun-dation“ im vorigen Jahr über die spezifi-sche „Spiritualität in Deutschland“ her-ausgefunden hat.7 Danach sind 40 % derdeutschen Bevölkerung (mit einer neuenWortschöpfung) als „unbekümmerte All-tags-Pragmatiker“ zu bezeichnen. DieZahl weist aus, dass wir es hier mit einemPhänomen menschlichen Selbstverständ-nisses zu tun haben, das beileibe nicht aufden Osten Deutschlands beschränkt ist.Hier jedoch tritt es in großer Breite auf.Menschen verstehen sich demnach alsProdukt der Naturgesetze. Ihr Lebenssinnes ist, aus ihrem begrenzten Dasein, bis esnicht mehr geht, das Beste für sich, aberauch für die Kinder, zu machen und dannmöglichst schmerzlos aus dieser Welt zuverschwinden. Ob es freilich richtig ist, die Pragmatik ei-ner Lebensweise, die sich auf derartigeWeise mit den Grenzen des irdischen Da-

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seins zufriedengibt und sich darin aucherschöpft, „unbekümmert“ zu nennen,kann man fragen. Denn natürlich„bekümmern“ ein solches Leben auch dieProbleme, denen eine gemäßigt hedonis-tische Lebensauffassung, um die es sichhier letztlich handelt, schwerlich stand-halten kann. Das Scheitern in Beruf undGesellschaft, der Verlust gesellschaftlicherAnerkennung, das Erleben menschlicherBosheit, das Zerbrechen menschlicher Be-ziehungen, die Erfahrungen von Krankhei-ten des Leibes und der Seele und letztlichdes Sterbens setzen auch dem konfessi-onslosen Milieu zu. Derartige Erfahrungenrufen mindestens nach einer Ethik, die mitdem allen in einer die Menschlichkeit vonMenschen vertiefenden Weise umzuge-hen lehrt, statt es so lange wie möglich zuverdrängen und dann vor einem Scher-benhaufen zu stehen. Doch eine solcheEthik gibt es im konfessionslosen Milieuallenfalls als respektable Lebensweisheitvon Einzelnen. Die Pluralisierung und In-dividualisierung weltanschaulicher Posi-tionen, die in der heutigen Gesellschaftauch in das konfessionslose Milieu hineinwirkt, macht dieses Milieu zu einemChorus diffuser Stimmen. Eines eint allerdings den östlichen konfes-sionslosen Chorus. Gott oder die institu-tionalisierte Religion werden zur Bewälti-gung der Fundamentalprobleme desMenschseins nicht gebraucht. Die Ausein-andersetzung Dietrich Bonhoeffers mit ei-ner christlichen Apologetik, die „religi-onslosen Menschen“ (wie er das nannte)nachweisen möchte, dass sie Gott als Pro-blemlöser und „Lückenbüßer“ für die un-erledigten Fragen ihres Menschseinsbenötigen, ist deshalb noch immer aktu-ell.8 Wer mit der „message“ von Gott alsProblemlöser an die Türen des Milieusklopft, das ich hier geschildert habe, kanndamit rechnen, dass ihm die Türe vor derNase zugeschlagen wird. Nach Bonhoef-

fer geschieht das den christlichen Apolo-geten auch ganz recht. Er nannte es „un-vornehm“, also irgendwie schmuddelig,die Menschen durch das Herumwühlen inihren Schwachstellen zum Glauben pres-sen zu wollen.9 Vor allem aber fand er esGottes unwürdig, von uns wie ein Markt-produkt zum besseren Wohlfinden an dieMenschen verhökert zu werden. WennGlaube an Gott entsteht, dann muss ersich in der Freiheit einstellen, in der Gottkraft seines Geistes selbst begegnet undnicht aufgrund einer allzu menschlich insWerk gesetzten religiösen Mechanik.Was die evangelische Kirche in Wahr-nahme ihres Auftrages dafür tun kann, umdem freien Begegnen Gottes im konfessi-onslosen Klima den Weg zu bereiten, wieBonhoeffer das anderswo ausgedrückthat,10 ist darum das vorrangige Problem,das sich für diese Kirche in der Situationdes Ostens Deutschlands stellt: Was istvon Gott zu sagen und wie ist der Glaubean Gott im Leben und Verhalten der Chri-stenheit darzustellen, damit Menschen,die Gott längst vergessen haben und den-noch keine richtigen Atheisten sind, neuauf Gott aufmerksam werden können?Wie haben wir uns auf Menschen einzu-lassen, die durchaus humanistische Werterespektieren und dennoch „Alltagsprag-matiker“ sind, die sich vielfältig und diffusmit den Problemen ihres Daseins herum-mühen? Wie kann es möglich werden,dass solche Menschen, die auf diese Wei-se leidlich mit sich zufrieden sind, GottesGeist als lebendige Wirklichkeit wiederspüren? Das sind die dringlichsten Fragen,die sich für das Reden von Gott „inmittenvon Gottesvergessenheit“ stellen.

Die Schwierigkeiten und Chancen, Gottin Erinnerung zu bringen

Die geschilderte Situation, in welcher dergrößte Teil der Bevölkerung eines Landes

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so tief in der Gottesvergessenheit steckt,dass auch schon vergessen ist, wann undwo Gott vergessen wurde, wirft das christ-liche Zeugnis von Gott ganz auf die An-fänge des Bekanntmachens mit Gottzurück. Es kann dabei kaum an hilfreicheVorstellungen von Gott oder Traditionendes Glaubens an Gott anknüpfen. DasMaß an Unkenntnis über den christlichenGlauben ist in einem einmal vom Chris-tentum geprägten Lande geradezu er-staunlich. Daran ändern auch die Infor-mationen nichts, die Menschen heuteüber das Christentum und andere Religio-nen durch die Medien erhalten können.Was davon haften bleibt, sind in der Regelallerlei Merkwürdigkeiten eines religiösenPanoptikums; Merkwürdigkeiten, welcheglaubensferne Menschen darin bestätigen,dass sie damit glücklicherweise und mitRecht nichts zu tun haben. Auch derdurchaus ziemlich breiten Selbstdarstel-lung der Kirchen und ihrer Botschaft inden Medien geht es ähnlich. Sie haftetnicht im konfessionslosen Milieu. Diedringend nötigen Informationen über denGlauben an Gott haben nach aller Erfah-rung nur eine Chance, sich in lebensbe-wegende Informationen, in Begegnungenmit Wirklichkeit also, zu verwandeln,wenn sie persönlich, von Mensch zuMensch weitergegeben werden. Das ist auch ganz sachgerecht. Dennohne Kommunikation von Menschenbleibt das Bekanntmachen mit Gott in ab-strakten Mitteilungen und das notwendigeGespräch über Gott in theoretischen Dis-puten stecken. Mitteilungen und Disputewird es zwar auch geben, weil sich heutefür einen dem Glauben an Gott fernste-henden Menschen viele Fragen an denGottesglauben stellen. Aber das kann dereigentlichen Aufgabe des Bekanntma-chens mit Gott nur zugeordnet sein. DieseAufgabe jedoch besteht darin, Menschendamit vertraut zu machen, wie sich das

Erleben des Geistes, der Gott ist, auf daseigene Leben auswirkt. Damit tragen aberim Grunde alle, die sich Christinnen undChristen nennen, eine hohe Verantwor-tung dafür, in welchem Sinne das LebenGott entfremdeter Menschen für Gottgeöffnet wird, ja sogar auch, welche Vor-stellungen sie von ihm und seinem Wir-ken gewinnen. Denn wie wir heute mitGott bekannt machen und Menschen zurTeilnahme an unseren Erfahrungen einla-den, wird wenigstens Anstoß für die eige-nen, anfänglichen Gotteserfahrungen vonMenschen im konfessionslosen Milieusein. Das ist einerseits eine große Chance.Denn wo Menschen gar nichts mehr oderhöchstens Abseitiges von Gott wissen,kann und muss das im Zentrum stehen,was für den christlichen Glauben an Gottheute wirklich wesentlich ist. Im Unter-schied zum Herumprobieren im religi-ösen Allerlei nötigt das gottesvergesseneMilieu das christliche Gotteszeugnis gera-dezu zur Konzentration auf das Funda-mentale und Echte des Glaubens. Wirwerden darauf zurückkommen. Anderer-seits droht die Chance solcher Konzentra-tion aber auch vertan zu werden, wenn esgar nicht zu Begegnungen der konfessi-onslosen Menschen mit Glaubendenkommt, die ihren Glauben auch zu artiku-lieren vermögen. Diese Gefahr bestehtdurchaus. Wer dem konfessionslosen Mi-lieu zugehört, kommt nicht zur Ge-meinde. Das geschieht höchstens zufälligoder vereinzelt. Die meisten wissen garnicht, was dort gesagt und getan wird.Also müssten nicht nur die, die im kirch-lichen Dienst stehen, sondern alle Chris-tinnen und Christen, die im Alltag mit denMenschen zusammenleben und -arbeiten,die nicht zur Kirche kommen, dafür sor-gen, dass ihnen das Reden von Gott undder Glaube begegnet. Doch auch das ge-schieht nur vereinzelt. Denn das allge-

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meine Priestertum aller Glaubenden, wel-ches die Verantwortlichkeit aller Glau-benden für den Verkündigungsauftrag derKirche bedeutet, ist in der evangelischenKirche im Widerstreit zu ihrem Wesenpraktisch leider unterentwickelt. Diemeisten Glieder der Kirche sind gar nichtin der Lage, ihren Glauben zu artikulie-ren. Das muss sich in Zukunft ändern.Was dafür zu tun ist, stellt ein Thema fürsich dar. Aber selbst wenn sich das ändert,ist nüchternerweise nicht damit zu rech-nen, dass es zu einer baldigen massen-weisen Zuwendung zur Kirche und zumGlauben an Gott aus dem konfessionslo-sen Milieu heraus kommt. Die Menschenmüssen alle einzeln für den Glauben anGott gewonnen werden. Und das brauchtZeit. Ob sich in dieser Zeit nach und nachauch die so genannte „Wiederkehr derReligion“ als Assistentin bei der Öffnungdes konfessionslosen Milieus für denGottesglauben auswirken wird, ist schwerzu sagen. Wenn unter „Religion“ auchsolche Phänomene verstanden werden,die mit dem Gottesglauben gar nichts zutun haben, dann werden wir daran eherzweifeln. Denn natürlich trifft man „Reli-gion“ in einem weiten Sinne auch im kon-fessionslosen Milieu an. Dieses Milieu istin „Religion“ als einem Sinnsystem, daseine Art Glauben verlangt, sogar ausführ-lich geübt, sofern der Marxismus-Leninis-mus penetrant religiöse Züge hatte. DieRitualisierungen des Lebens, die er einge-führt hat, sind – wie z.B. die Jugendweihe –noch heute hoch geschätzt. Außerdemgibt es die Erscheinungen, die der „Wie-derkehr“ der Religion zugeordnet werden,auch im Osten Deutschlands en masse.Wolfram Weimer, der Chefredakteur derZeitschrift „Cicero“, rechnet dazu sogardas Vertrauen in den Supermarkt und indas Funktionieren der Technik.11 Aberauch die ekstatische Fußballbegeisterung

oder die irrationale Hingabe an Trendsund Personen der Unterhaltungsindustriegelten als Indizien für jene Renaissanceder Religion. In der christlichen Theologie werden wirjedoch eher geneigt sein, dergleichen alsPseudoreligion zu bezeichnen, welcheden Aberglauben wuchern lässt und dieÖffnung für echte Transzendenz tatsäch-lich geradezu blockiert. Aber selbst wennes sich um ein da und dort auch zu beob-achtendes Interesse für „Esoterisches“,„Spirituelles“ aller Art, Spiritistisches undsogar „Heiliges“ und anderes Geheimnis-volles handelt, ist damit noch längst nichtgesagt, dass Gott in das Blickfeld tritt. Ul-rich H. J. Körtner hat die Religion, um diees bei der „Wiederkehr der Religion“geht, regelrecht eine „Religion ohne Gott“genannt.12 Insofern sind Zweifel daran berechtigt, dass sich das konfessionsloseMilieu mit Hilfe derartiger „Religion“ vonalleine auflösen wird.Auf der anderen Seite ist aber auch nichtzu bestreiten, dass sich an jenem quasi-re-ligiösen Phänomen die unausrottbare Ten-denz von Menschen zeigt, mit ihrem Be-wusstsein alles zu überschreiten, was ihrraum-zeitlich-irdisches Dasein ausmacht.Das begründet auch ihre Bereitschaft, sichvon Dimensionen des Unverfügbaren, desTransrationalen, erhebend Höheren undGeheimnisvollen berühren zu lassen.Selbst bei der Verehrung von Pseudotrans-zendenzen, an denen der Schweißmenschlicher Erhebungen über das Erden-dasein klebt, bestätigen Menschen, dasssie nicht leben können, ohne – mit MartinLuthers Auslegung des Ersten Gebotes imGroßen Katechismus geredet – ihr Herz„auf etwas zu hängen“, das sie wie Gottbestimmt.13

Insofern kann keine Rede davon sein, dassMenschen durch das Vergessen Gottesauch die strukturelle Offenheit von GottesGeschöpfen für Gott verloren haben. Es

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steht zu erwarten, dass sie sich faktischwieder meldet, auch wenn das auf die dif-fuse Weise der „Wiederkehr der Religion“oder auf die problematische Weise einerErsatz- und Pseudoreligiosität geschieht.So gottesvergessen, wie das konfessions-lose Milieu im Osten Deutschlands seinmöchte, kann es auf die Dauer gar nichtsein. Darum ist die Erwartung auch be-gründet, dass das christliche Reden vonGott wie das aussagekräftige Leben derchristlichen Gemeinden mit Gott auf dieDauer eine gute Chance haben, Men-schen, die Gott vergessen haben, wiedermit dem vertraut zu machen, der wahrhaft„Gott“ zu heißen verdient.

Wegbereitung für Gottes Klarheiten

Unstrittig dürfte sein, dass die angedeu-tete Chance verspielt wird, wenn Men-schen, die Gott vergessen haben, durchdas Reden und Leben der Christenheitüberhaupt keinen klaren Eindruck davongewinnen können, worum es sich bei„Gott“ überhaupt handelt. Die Vielstim-migkeit, mit der in den Kirchen von Gottgeredet wird, ist zwar einerseits ein Aus-druck des Reichtums der WirklichkeitGottes, die mit Recht nach den unter-schiedlichsten sprachlichen Artikulatio-nen und anderen Ausdrücken des Glau-bens an sie ruft. Auf der anderen Seite istdiese Vielstimmigkeit für einen Außenste-henden aber auch regelrecht verwirrendund abschreckend, besonders wenn sie zuunterschiedlichen und sogar gegensätzli-chen Gottesbildern führt. Worauf soll einMensch, der gar nichts von Gott weiß,sich einlassen? Dass Gott allmächtig istoder dass er ohnmächtig ist, dass er einePerson ist oder eine unpersonale Macht,dass er die Welt regiert oder ihr freienLauf lässt, dass es der gleiche Gott ist, derin den Religionen verehrt wird, oder dassdies nicht der Fall ist?

Wir könnten die Liste, auf der steht, wasein Mensch, der Gott vergessen hat, ausdem Raum der Kirche und dann noch ausdem der Religionen heraus alles zu hörenbekommt, beliebig lang machen. Esleuchtet von selbst ein, dass sie ihm keinBekanntwerden mit Gott ermöglicht, dasGott für ihn selbst wichtig macht. Das reli-giöse Glied der Kirche sucht sich aus die-ser Liste im Zuge der für unsere Zeit cha-rakteristischen Privatisierung und Indivi-dualisierung des Glaubens bzw. der Reli-gion das ihm Passende heraus. Für den re-ligiös gestimmten Menschen ist sie viel-leicht ein religiöses Marktangebot, für denKonfessionslosen nicht. Er wendet sichvielmehr kopfschüttelnd wieder seinerAlltagspragmatik zu, wenn ihm nicht einWeg bereitet wird, sich an einer Stelle inder Fülle der Möglichkeiten, in der vonGott die Rede ist, zu verorten. Hier wird unsere oben getroffene Feststel-lung relevant, dass das gottesvergesseneMilieu die christlichen Kirchen geradezuauf das Fundamentale und Eigentliche deschristlichen Glaubens zurückwirft. DiesesFundamentale und Eigentliche ist aber,dass Gott in der Geschichte eines Men-schen – des Menschen Jesus von Naza-reth – begegnet und dass sein Geist dieseGeschichte beständig vergegenwärtigtund aktualisiert. Das christliche Redenvon Gott führt darum unausweichlich indie Begegnung mit diesem Menschen.„Wir müssen uns immer wieder sehrlange und sehr ruhig in das Leben, Spre-chen, Handeln, Leiden und Sterben Jesuversenken, um zu erkennen, was Gott ver-heißt und was er erfüllt“, hat DietrichBonhoeffer aus der Gestapohaft geschrie-ben.14

Ich wandle diesen Satz im Hinblick aufdas Bekanntmachen Gottes bei Men-schen, die Gott vergessen haben, folgen-dermaßen ab: Wir müssen in immerneuen Anläufen vom Leben, Sprechen,

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Handeln, Leiden und Sterben Jesu reden,um ein Verstehen dafür zu wecken, werGott ist und was er für unser Leben be-deutet. Im Grunde ist das ja die Aufgabe allerMission, wo immer sie auch stattfindet;und zwar von der ersten Stunde an, alsdie Christenheit in die nicht-christlicheWelt trat. In unserem Falle aber hat dasbeharrliche Reden von diesem Menschen,wenn es um Gott geht, noch einen eigen-artigen Vorzug. Es unternimmt nicht denVersuch, Menschen, die sich ganz immenschlich-irdischen Leben eingerichtethaben, von der Existenz irgendeiner„Überwelt“ zu überzeugen. Ein derartigerVersuch dürfte erfahrungsgemäß im kon-fessionslosen Milieu nur die alten Ressen-timents der atheistischen Religionskritikwecken, die eine derartige Welt für eine„Projektion“ des menschlichen Bewusst-sein (L. Feuerbach!) hält. Die Auseinan-dersetzung mit dieser These muss vonchristlicher Seite zwar ganz und gar nichtgescheut werden. Aber sie führt doch ge-genüber der Aufgabe, den Weg zur Erfah-rung des Geistes Gottes im Leben vonMenschen zu bereiten, auf eine Abstrak-tionsebene.Demgegenüber holt das Bekanntmachenmit Gott, welches mit dem Bekanntma-chen eines Menschen beginnt, Menschenbei den Erfahrungen ab, die sie mit einerrein diesseitig orientierten Lebensweisemachen. Im Leben, Reden, Verhalten, Lei-den und Sterben Jesu begegnet alles, wasauch Menschen mit einer solchen Lebens-weise umtreibt, erfreut und bekümmert.Was z.B. die Bergpredigt und die Gleich-nisse Jesu aussagen, was Jesu Handelnund Verhalten, seine Passion und vielesandere mehr zum Ausdruck einer über-wältigenden Menschlichkeit machen,kann sich darum mit den Erfahrungen ver-schränken, die Menschen heute in ihremLeben haben.

Im Unterschied zum Leben im VergessenGottes wird das, was Jesu Menschlichkeitausmacht, aber zu einer unausweichli-chen Erinnerung an Gott. Die Freiheit, inder er lebte und auftrat, die Gerechtigkeit,die er verkündigte, die Liebe, die Wahr-heit, die Ewigkeit und geistliche Macht,die ihn prägte, werden hier – um nur ei-nige Beispiele zu nennen – zugleich zuGottesbestimmungen. Das Verstehen derMenschlichkeit Jesu weitet darum die Ho-rizonte des menschlichen Lebens, die dieGottesvergessenheit festgeschrieben hat.Es wird zur Wegbereitung dafür, das Le-ben heute im Vertrauen auf die Gegenwartdes Geistes der Freiheit, der Liebe, Ge-rechtigkeit, Wahrheit und Macht zuführen, die Gott ist. Wir können auch sa-gen: Es wird zur Wegbereitung eines Le-bens in der Kommunikation mit Gott, inder Gott Menschen an seiner Freiheit, sei-ner Liebe, seiner Wahrheit, Gerechtigkeitund Macht Anteil gibt. Gott ist, wenn somit ihm bekannt gemacht wird, keine na-menlose, nebelhafte Überwelt, zu derMenschen sich in irgendwelchen religiö-sen Kraftakten emporarbeiten müssen. Erkommt ihnen vielmehr in lauter Konkre-tionen – ich sage: in lauter Klarheiten15 –nahe, die ihr Leben zu tiefer und wahrhaf-tiger Menschlichkeit erhöhen. Wo das er-lebt wird, erledigt sich der Satz „Ich brau-che Gott nicht, um Mensch zu sein“ vonalleine. Angesichts des geschilderten hartwandi-gen Milieus, das sich im Vergessen Gotteseingerichtet hat, ist noch einmal zu unter-streichen, dass auch dies keine Zauberfor-mel zur Überwindung der „Schwerhörig-keit für Gott“ (Benedikt XVI.) sein kann. Ingewisser Weise ist es sogar schwieriger alsder Versuch, durch Herumrudern in denreligiösen Möglichkeiten von Menschenden Hafen zu finden, in dem das Verges-sen Gottes aufhört. Denn auf dem be-schriebenen Weg muss ja nicht nur mit

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Gott, sondern zugleich auch mit einer Ge-schichte aus fernen Zeiten mit vielenheute befremdlichen und erklärungsbe-dürftigen Sachverhalten vertraut gemachtwerden. Doch dieser Schwierigkeit kanndas christliche Reden von Gott ohnehinnicht ausweichen. Sie gehört zum Be-kanntmachen mit dem biblischen, ge-schichtlichen Gott, das ohnehin keinHauruck-Unternehmen sein kann. Da gibtes Grade des Berührtseins, Etappen derWahrnehmung und Stufen des Vertraut-seins.16

Ein heute noch bemerkenswertes Beispielfür eine solche Etappe ist immer noch dieFunktion der Gottesrede während der„friedlichen Revolution“ in der DDR von1989, die in der evangelischen Kircheihren Konzentrationsort hatte. Da wurdedas Wort „Gott“ in den Klarheiten vonGerechtigkeit, Freiheit und Frieden einengeschichtlichen Moment lang geistes-mächtig zum Anwalt von Gerechtigkeit,Freiheit und Frieden für die Menschen indieser Gesellschaft. Auch dies – dass ein gewalttätiges Regimevor „Kerzen und Gebeten“ kapitulierte –ist in unserer schnelllebigen Zeit heuteschon fast vergessen. Aber es bleibt inmit-ten von Menschen, die sich wieder in ihrealte Lebensweise ohne Gott zurück-plumpsen ließen, ein Signal für den länge-ren Atem des Geistes, der von Jesus Chris-tus ausgeht. Zu ihm gesellen sich auchheute lauter kleine, neue Signale, von de-nen es viel zu berichten gäbe. Zur Resig-nation besteht also kein Anlass, weil dasErinnern Gottes nur so langsam voran-kommt. Die christlichen Kirchen sind imOsten Deutschlands zwar zur gesell-schaftlichen Minderheit geworden. Aberein Viertel der Bevölkerung, das auf denReichtum von Gottes Menschlichkeit kon-zentriert ist, hat gegenüber dem diffusenErscheinungsbild des konfessionslosenMilieus einen im Grunde uneinholbaren

Vorsprung. Wenn sich nur alle Christin-nen und Christen dessen auch bewusstwären und von diesem Vorsprung tatsäch-lich Gebrauch machten!

Anmerkungen

1 Überarbeiteter Vortrag bei einer Tagung der Evan-gelischen Akademie Mecklenburg-Vorpommern am17.06.2007 in Güstrow.

2 Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evange-lische Kirche im 21. Jahrhundert. Ein Impulspapierder EKD, Hannover 2006, 14.

3 Ebd. (Vorwort), 7.4 Vgl. hierzu ausführlich meine Aufsätze: Die christli-

che Kirche und der Atheismus. Überlegungen zurKonfrontation der Kirchen in den neuen Bundeslän-dern mit einer Massenerscheinung, in: Wege zumEinverständnis. Festschrift für Christoph Demke,Leipzig 1997, 159-171; Der Massenatheismus alsHerausforderung der Kirche in den neuen Bundes-ländern, in: Wiener Jahrbuch für Theologie, Band 2(1998), hg. von der Evangelisch-Theologischen Fa-kultät Wien, Wien 1998, 215-228; Wie weit kannEntchristlichung gehen? Deutemuster eines ostdeut-schen Phänomens, in: BThZ 18/2001, 285-298; DieKirche im Osten als gesellschaftliche Minderheit –Probleme und Chancen, in: Ines-Jacqueline Werk-ner / Nina Leonhard (Hg.), Aufschwung oder Nie-dergang. Religion und Glauben in Militär und Ge-sellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Frankfurta. M. 2003, 97-110; vgl. auch: Jahresschriften dessozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr,Strausberg 2003, 97-110.

5 Vgl. Kreuzzug der Gottlosen, in: Der Spiegel22/2007, 56-69.

6 Vgl. Monika Wohlrab-Sahr, Religionslosigkeit alsThema der Religionssoziologie, Pastoraltheologie90/2000, 152.

7 Vgl. www.identityfoundation.de.8 Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Erge-

bung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft,DBW 8, 454-456.

9 Vgl. ebd., 478.10 Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 152-162.11 Vgl. Wolfram Weimer, Credo. Warum die Rückkehr

der Religion gut ist, München 2006, 42.12 Vgl. Ulrich H. J. Körtner, Wiederkehr der Religion.

Das Christentum zwischen neuer Spiritualität undGottvergessenheit, Gütersloh 2006, 51-70.

13 So in der Erklärung des Ersten Gebotes im „GroßenKatechismus“, BSLK, 560.

14 Dietrich Bonhoeffer, Widerstand, a.a.O., 572.15 Vgl. hierzu mein Buch „Gottes Klarheiten. Eine

Neuinterpretation der Lehre von Gottes ‚Eigen-schaften’“, Tübingen 2001.

16 Dietrich Bonhoeffer hat von „Stufen der Erkenntnis“und „Stufen der Bedeutsamkeit“ geredet; vgl. Wi-derstand, a.a.O., 515.

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Seit dem Jahr 2000 werden sukzessivedeutsche Übersetzungen der Werke desGründers der japanischen Neureligion Ko- fuku no kagaku, O- kawa Ryu-ho- 1, vorge-legt.2 Diese Bücher, von denen viele in Japan Bestseller waren, erweitern dasSpektrum der Übersetzungstätigkeit derGruppe, die bislang chinesische, koreani-sche, englische, brasilianische und fran-zösische Übertragungen der Texte vor-legte. Dieses rege Engagement steht imZusammenhang mit Verbreitungsbe-mühungen im deutschen Sprachraum, diebislang vor allem in Wien, Düsseldorf,Köln und Hamburg Früchte getragen ha-ben. Dies soll Anlass sein, die Geschichteder Gruppierung, die international unterder Bezeichnung The Institute for Re-search in Human Happiness firmiert, zu-sammenfassend darzustellen.

Zur Vorgeschichte der Bewegung: Botschaften aus der Geistwelt

Bei Ko- fuku no kagaku (wörtl.: „die Wis-senschaft vom Glück“) handelt es sich umeine der jüngsten Erscheinungen auf demlebendigen religiösen Markt Japans.3 DieGründung erfolgte 1986 und steht mit derPerson des O- kawa Ryu-ho- im Zusammen-hang. Dieser wurde – unter seinem Ge-burtsnamen Nakagawa Takashi – 1956 inder kleinen Stadt Kawashima auf der InselShikoku geboren.4 Seine Kindheit und Ju-gend verliefen in erfolgreichen Bahnen:

Nach der Schulzeit konnte er an einer derrenommiertesten Universitäten Japans,der Universität von Tokio, studieren. Ob-wohl das Studium an der juristischen Fa-kultät durchaus mit gewissen Schwierig-keiten verbunden war (er scheiterte an-fänglich an der Aufnahmeprüfung, absol-vierte diese jedoch ein Jahr später), gradu-ierte er schließlich 1981 und begannseine berufliche Laufbahn bei einergroßen japanischen Handelsfirma. Diesebislang innerhalb der Vorgaben der japa-nischen Gesellschaft als klassische Kar-riere eines sarari-man5 verlaufende Ent-wicklung erfuhr ab dem Anfang der 80erJahre eine wesentliche Wendung. Für den23. März 1981 behauptet O- kawa ein spi-rituelles Erlebnis gehabt zu haben, dasmittelbar zur Gründung der Religionsge-meinschaft führte. In Form des „automati-schen Schreibens“ wird ihm die Botschaft„gute Nachricht“ (jap. ii shirase) übermit-telt. Diese soll von einem der Schüler desbuddhistischen Religionsreformators Ni-chiren (1222-1282), Nikko- , stammen, wienach Befragung ebenfalls durch automati-sches Schreiben ermittelt wird. Nach die-sem ersten Erlebnis stellt sich bald Nichi-ren selbst ein, der ihm den für die weitereFolge fundamentalen religiösen Auftragerteilt, unter dem das weitere Schaffen O- kawas stehen soll: „liebe die Menschen,inspiriere die Menschen, vergib den Men-schen“ (jap. hito o aishi, hito o ikashi, hitoo yuruse).6 Schon im Juni 1981 soll ihm

BERICHTE

Franz Winter, Wien

Buddhas Wiedergeburt in JapanO- kawa Ryu-ho- und die „Wissenschaft vom Glück“(Ko- fuku no kagaku)

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die definitive Offenbarung seines wahrenWesens zuteil geworden sein: Der 1976verstorbene Gründer der neureligiösenBewegung GLA (God Light Association),Takahashi Shinji, teilt ihm mit, dass er nie-mand Geringerer als die „Wiedergeburtdes Buddha“ (shaka no sairai) sei.Die beschriebenen spirituellen Begegnun-gen veranlassen O- kawa sich einemFreund anzuvertrauen, der ihm weiterhel-fen soll. Im Zuge dessen kommt es baldzum Übergang vom automatischenSchreiben zur medialen Tätigkeit, d.h. O- kawa agiert als spirituelles Medium, daseinem Gegenüber Fragen beantwortet.7Dabei stellen sich bedeutende Persönlich-keiten der religiösen und philosophischenTraditionen, sowohl des Westens als auchdes Ostens ein, so u.a. Laotse, Sokrates,Jesus, Ku-kai oder Swedenborg. 1985 wer-den die ersten Publikationen greifbar, dieim Zusammenhang mit der Religionsge-meinschaft zu nennen sind. Unter demNamen des „interviewenden“ Freundes,Yoshikawa Saburo- ,8 werden so genanntereigen (wörtl.: „Geist-Wort“; d.h. „spiritu-elle Botschaften“) veröffentlicht. Dabeihandelt es sich um in Interviewform ange-legte Wiedergaben der Gespräche, die imKontext dieser medialen Sitzungen ent-standen sein sollen. Bemerkenswert ist,dass in den zitierten reigen-Texten derSelbstanspruch, nämlich eine Wiederge-burt Buddhas zu sein, noch keine Erwäh-nung findet. O- kawa erklärt dies damit,dass er erst später mit dieser vollen Wahr-heit an die Öffentlichkeit gehen wollte,um die Menschen nicht zu überfordern.9Religionsgeschichtlich kann man das hierpräsentierte Material in den Kontext derChanneling-Literatur einordnen, die im„New Age“ fundamentale Bedeutunghat.10 Japan kannte spätestens seit den70er Jahren eine ausgeprägte Rezeptiondieser Literatur und ihrer „Klassiker“, diedort in der so genannten seishin sekai-Be-

wegung („spirituelle Welt“) ihre Heimathat. Vergleichbare Kontakte mit einer „spi-rituellen Welt“ (reikai) haben zudem in-nerhalb der japanischen Religionsge-schichte durchaus ihre Tradition, insbe-sondere im Kontext der neureligiösen Be-wegungen, aber nicht nur in dieser.11 Sokann auf die umfangreichen Reikai mono-gatari des Deguchi Onisaburo- , Mitbe-gründer der bedeutenden neureligiösenBewegung O- motokyo- (begründet 1892)hingewiesen werden, eine Art Beschrei-bung seiner (spirituellen) Reisen durch dieGeistwelt. Explizite reigen-Texte im Sinneder Vermittlung durch Medien spielenauch bei einer weiteren bedeutenden ja-panischen Neureligion, der Shinyo-en,eine große Rolle.12

Vom spirituellen Medium zum wiedergeborenen Buddha

Der große Verkaufserfolg schon der erstenVeröffentlichung, des Buches Nichirensho-nin no reigen („spirituelle Offenbarun-gen des heiligen Nichiren“), der in kurzenAbständen weitere reigen-Publikationenfolgen (u.a. mit Jesus, Sokrates, Ku-kai,Amaterasuo-mikami, Deguchi Onisaburo- ),ist als die Keimzelle der weiteren Entwick-lung hin zur formellen Gründung einerReligionsgemeinschaft anzusehen. Es bil-det sich eine Studiengruppe dieser Texte,und O- kawa zieht immer mehr Interes-sierte an. Am 15. Juli 1986 gibt O- kawaschließlich seine bisherige berufliche Tä-tigkeit bei der japanischen Handelsfirmaauf, nennt sich ab nun O- kawa Ryu-ho- 3

und eröffnet am 6. Oktober 1986 das erste Büro von Ko- fuku no Kagaku im Toki-oter Stadtteil Nishi Ogikubo. Die Wer-bung erfolgt über die Bücher, die baldgroße Verbreitung finden, und mit Hilfeeiner intensiven Vortragstätigkeit. Bedeutend ist der zu beobachtende Wan-del im Selbstverständnis. Schon die ersten

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Publikationen, die nun unter dem NamenO- kawas veröffentlicht werden, präsentie-ren sich nicht mehr – wie die vorangegan-genen Texte – als Wiedergabe der media-len Sitzungen in Dialogform, sondern alsreigenshu-/reijishu-, in denen die spirituel-len Botschaften „gesammelt“ wiedergege-ben werden. Die Dialogform fällt weg,und O- kawa tritt als souveräner Vermittlerder Inhalte in Erscheinung. Dieser Wandelläutet bereits die weitere Entwicklung ein. Die junge Religionsgemeinschaft ent-wickelt sich gut in den ausgehenden 80erJahren und ihre Mitgliederzahlen steigenrasch an. In einem immer größeren Aus-maß kommt es zu einer inhaltlichen Ver-änderung: Der Charakter einer Studien-gruppe von gechannelten Informationenwird verschoben in Richtung des An-spruchs, eine explizit buddhistische Be-wegung zu sein. Dies zeigt sich am deut-lichsten in den zentralen Veröffentlichun-gen dieser Jahre, in den drei so genanntenho- /„Gesetzes“-Büchern, die als die funda-mentalen Texte bezüglich Kosmologie,Anthropologie und Ethik anzusehensind.14

Darin liegt der Schwerpunkt auf dem An-spruch O- kawas, als Wiedergeburt desBuddha eine neue, moderne Form desBuddhismus für die Gegenwart zu präsen-tieren. Zwar stehen diese Texte in gewis-ser Weise noch in der vorhergehenden„Channeling“-Tradition, jedoch ver-schiebt sich der Anspruch massiv, weilnun nicht ein beliebiges Geistwesen seineInhalte präsentiert, sondern niemand ge-ringerer als der Buddha selbst. Aus demanfänglichen passiven Channel wird soein souverän lehrender, wiedergeborenerShakyamuni des 20. Jahrhunderts. ImSelbstanspruch der Gruppe wird natürlichvon einer Kontinuität ausgegangen, je-doch stellt der Übergang, der in diesenVeröffentlichungen präsentiert ist, einebedeutende Änderung dar.15

Die Formierung einer buddhistischen Re-ligionsgemeinschaft wird auch durch dieHerausgabe von drei Bänden zentralerGebetstexte gefestigt. Es handelt sich da-bei um das so genannte Sho- shinho-go (inder englischen Übersetzung als „Dharmaof the Right Mind“ übertragen) und zweiBände Kigan. Im ersteren finden sich diezentralen Gebetstexte, in den beiden klei-neren Gebete zu besonderen Anlässen.Diese Texte sind an sich nur Mitgliedernzugänglich.

Die endgültige Festlegung: mehr als nurdie Wiedergeburt des Buddha

Ein weiterer Wandel lässt sich nun für dasSelbstverständnis O- kawas Anfang der90er Jahre vermerken. Die Behauptung,eine Wiedergeburt des Buddha zu sein,erfährt eine bedeutende Erweiterung, dieKo- fuku no kagaku explizit als neureligiöseBewegung mit universalreligiösem An-spruch erkennbar macht. In einer großenMassenveranstaltung des Jahres 1991, dieals Eru Kanta-re sengen („El Cantare De-klaration“) bezeichnet wird, verkündigt O- kawa die letzte Wahrheit über sein wah-res Wesen: Er ist die irdische Manifesta-tion eines Wesens namens El Cantare, dasseinerseits bereits einige Inkarnationenvor ihm getätigt hat, und zwar: auf dem(mythischen) Kontinent Mu als (König) LaMu, in Atlantis als (König) Thoth, in Grie-chenland als Ophealis und Hermes, imsüdamerikanischen Inka-Reich als (König)Rient Arl Croud, in Indien als Buddha undschließlich im modernen Japan als O- kawaRyu-ho- . Hinter dieser Inkarnationslinie istein deutliches religiöses System erkenn-bar: Von außen betrachtet erweist sich dieInkarnationslinie des El Cantare als großangelegter Gang durch die Geschichte(Geschichtsschreibung natürlich im Ver-ständnis der Gruppe unter Einbezug auchder mythischen Kontinente Mu, Atlantis

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etc.). Dabei muss betont werden, dass dieGruppe von ihrem Selbstverständnis herweiterhin als buddhistische Bewegung zuverstehen ist. Die angesprochenen Elemente erscheinenwie eine Erweiterung des ursprünglichenAnsatzes mit dem zusätzlichen Einbezugaller Zeiten, Epochen und Ebenen derMenschheitsgeschichte. Inhaltlich lässtsich auch hier auf die hohe Bedeutung derschon zitierten seishin sekai-Bewegungverweisen, die viele dieser Elemente be-reits enthält.16

O- kawa erscheint wie ein Ordner dieserdiffusen und oftmals verwirrenden Vielfaltan Angaben zu Atlantis, UFOs usw., derseinen Anhängern damit einen Leitfadenund Orientierung durch ein undurch-dringbares Dickicht bietet.17 Die ange-sprochenen Inhalte stehen im Mittelpunktder folgenden ausgedehnten Massenver-anstaltungen, die das Bild der Gruppe inJapan bis heute prägen. Ab 1991 bis Mitteder 90er Jahre präsentiert sich O- kawa in großen und detailliert insze-nierten Shows der Öffentlichkeit, womiter große mediale Aufmerksamkeit erregt.Diese beträchtliche Erweiterung desSelbstanspruchs ist das letzte Glied imWandel und festigt endgültig die univer-salreligiöse Dimension des Religionssys-tems. Auch hier wird im Nachhinein da-mit argumentiert, dass O- kawa bereits spä-testens ab Mitte der 80er Jahre Bescheidwusste, diese letzte Wahrheit jedoch erstspäter an die Öffentlichkeit tragenwollte.18 Dass es hier aber einen nachge-reichten Wandel im Selbstverständnisgibt, lässt sich am deutlichsten in denNeuausgaben der schon zitierten drei ho- /„Gesetzes“-Texte ablesen, die Anfangder 90er Jahre erschienen sind und diedargestellte Vorinkarnationslinie in einemAnhang präsentieren.19

Erweiterungen erfährt diese Angabe zuden Reinkarnationslinien v.a. ab Mitte der

90er Jahre durch eine starke Konzentra-tion auf die Gestalt des Hermes, eine dervorhergehenden Inkarnationen El Cante-res. 1994 erscheint eine nicht weniger alsvier Bände umfassende Biographie desHermes, die seine Geschichte „neu“ auf-grund des Einblickes O- kawas in die spiri-tuelle Welt schreibt. Diese ausführlicheDarstellung ist im Grunde genommeneine bunte Abenteuergeschichte, die dieGeburt des Hermes, der erst später fälsch-licherweise zum „Gott“ wurde, als Sohneines kretischen Königs, seine vielenAbenteuer und Kämpfe gegen böseMächte (wie den Minotaurus oder den alsMassenverführer und bösen Zauberer ge-zeichneten Prometheus), seine Liebe zurKönigstochter Aphrodite und schließlichseine spirituelle Erweckung und die Ein-sicht in seine wahre Natur (samt ausführ-licher Reise durch die „Geist-Welt“) be-schreibt. Die unmittelbar auf die Biogra-phie erfolgte Veröffentlichung einerManga-Fassung (eines Teils) dieses Ro-mans und die Fertigstellung eines auch in-ternational vermarkteten Animes um-schreiben auch das Genre, in das die Ge-stalt des Hermes hineintransformiertwurde.20

In die Zeit der intensiven Öffentlichkeits-arbeit Anfang der 90er Jahre fällt auch dererste Konflikt der jungen Religionsge-meinschaft mit der breiteren Öffentlich-keit: Ein bekanntes Skandalblatt, das Wo-chenmagazin „Friday“, lanciert im Som-mer 1991 einige sehr kritische Berichteüber den Religionsneuzugang und ihrenGründer, der als Psychopath, Schwindlerund Betrüger diskreditiert wird. Im Mittel-punkt steht dabei der „Vorwurf“, dass O- kawa sich Ende der 90er Jahre in psy-chotherapeutischer Behandlung befundenhätte. Die Gruppe reagiert auf diese Vor-würfe, die sich im Übrigen als haltlos er-weisen,21 geschlossen und scharf: DurchDemonstrationen und Massenfaxe und

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-telefonanrufe wird der herausgebende Ko-dansha-Verlag für mehrere Tageblockiert.Dieser Vorfall markiert einen wichtigenWendepunkt in der Entwicklung, weil Ko- fuku no kagaku damit in der öffent-lichen Wahrnehmung als entschlosseneund – sollte es notwendig erscheinen –durchaus aggressive Gruppe wahrgenom-men wurde.22 Die unmittelbare Folge wareine äußerst negative mediale Berichter-stattung über Ko- fuku no kagaku, die bei-spielsweise im Vergleich zur ungefährzeitgleich entstandenen Aum Shinrikyo- -Bewegung regelmäßig in journalistischenDarstellungen schlechter abschnitt.23 Diesgilt im Übrigen auch für die ersten Stel-lungnahmen japanischer Religionswissen-schafter, die die stärker asketische Orien-tierung der Aum Shinrikyo- -Bewegung alsZeichen für einen „ursprünglicheren“Buddhismus hervorhoben, während dem-gegenüber Ko- fuku no kagaku wie einegekünstelt konstruierte Religionsgemein-schaft erschien, die sich den Buddhismusnur aufsetzte.24

Die weitere Geschichte ab Mitte der90er Jahre

Ab Mitte der 90er Jahre kann eine gewisseKonsolidierung festgestellt werden. Auffäl-lig ist der Rückzug O- kawas aus der Öf-fentlichkeit. Die Massenveranstaltungenfinden ihr Ende, und der Gründer zeigtsich nunmehr nur in kleineren Kreisen,wobei wiederum Videoaufnahmen dieserVorträge in der Gruppe weitergereicht,resp. in den Versammlungen gezeigt wer-den. Bemerkenswert ist auch die beträcht-liche Erweiterung der drei grundlegendenho- /„Gesetzes“-Bücher durch eine ganzeReihe von neuen Büchern, so dass aktuellbereits mehr als zehn dieser Serie mit be-sonders autoritativem Charakter existie-ren. Ab Mitte der 90er tritt neben O- kawa

auch seine Frau O- kawa Kyoko mehr in Er-scheinung. Sie wird als „Vize-Präsidentin“bezeichnet und ist explizit für die Frauen-organisation innerhalb der Ko- fuku no ka-gaku, die so genannte „Aphrodite-Gesell-schaft“ (Afurodi-te-kai), zuständig. IhreBücher beschäftigen sich mit den Themen„Kindererziehung“ und „die Rolle derFrau“ (an der Seite ihres Mannes), wobeisich die Hauptpunkte nicht wesentlichvon den bereits aus O- kawa-Texten be-kannten unterscheiden. Dazu kommt ab 1996 der Bau der großenso genannten „temples“ (im Japanischenvon der Gruppe mit der Sammelbezeich-nung sho- ja benannt, ein aus der buddhis-tischen Tradition stammender Terminus).Der erste wurde 1996 in der im NordenTokios gelegenen Stadt Utsunomiya er-baut, bis heute finden sich über ganz Ja-pan verteilt mehr als 15 dieser großzügigausgestatteten und jeweils in sehr guterLage befindlichen Anlagen.25 2006 wurdein Hawaii der erste Tempel außerhalb Ja-pans gebaut.26 Die Anlagen bieten um ei-nen zentralen Verehrungsraum mit einerStatue El Cantares in seinen verschiede-nen Variationen Unterkunftsmöglichkeitenfür Teilnehmer an den „Seminaren“. Fürdie jeweiligen Regionen stellen sie dasZentrum dar, wobei zusätzlich zu diesenHauptzentren so genannte shibu („Büros“)in allen größeren und kleineren Städtenzu finden sind. Sie dienen ebenfalls alsTreffpunkt für – zumeist wöchentliche –Zusammenkünfte. Im Zentrum dieser Tref-fen stehen Gebetshandlungen (jeweils ausden drei grundlegenden Gebetsbüchern)und so genannte „Meditationen“, zumeiststille Einheiten der Reflexion über kurzeSinnsätze O- kawas. Im Zentrum des spiri-tuellen Lebens eines Mitglieds steht v.a.die Lektüre der Publikationen O- kawas, zuderen Kauf und Weitergabe man angehal-ten ist. In regelmäßigen Abständen kön-nen „Tests“ über den Inhalt abgehalten

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werden, die eine Art Fortschritt in derGlaubenslehre markieren. Im Vordergrundder Publikationen steht im Übrigen einesehr praktisch orientierte, einfache Le-benshilfe. Zentraler Gegenstand ist dabeieine Theorie der Unterscheidung zwi-schen einer „Liebe, die gibt“, und einer„Liebe, die nimmt“.27 Während in denmeisten Fällen „Liebe“ in einer missver-ständlichen Erwartungshaltung geübtwird, steht als Ideal die „reine“ „Liebe,die gibt“, als höchstes zu realisierendesZiel im Zentrum der ausführlichen undweitschweifigen Ausführungen. Im Vordergrund der Verbreitungs-bemühungen steht das publikatorischeSchaffen O- kawas: Seine Bücher, die seineBekanntschaft in Japan begündeten, wer-den auch im nichtjapanischen Ausland alsdas wichtigste Medium angesehen. Des-halb ist die Übersetzungsarbeit natürlichvon besonderer Bedeutung. Die Texte sol-len an Interessierte weitergegeben werdenund dann für sich selbst sprechen.

Ausblick und Schlussbemerkungen

Man wird sehen, wie sich die Entwicklungder Gruppe in Zukunft gestalten wird.Dem Erfolg in Japan28 selbst steht eineeher schwierige Ausbreitungsbewegungaußerhalb des Ursprungslandes gegen-über. Viele Elemente der Lehre erscheinenNichtjapanern als allzu bunt; dazu kommteine weitere Betonung dieser Buntheitdurch den exzessiven Einsatz des Medi-ums Manga.29 Die insgesamt schon vierAnime-Streifen, die auch internationalvermarktet werden, lassen zudem eineimmer stärkere Zuwendung zu – in west-lichen Augen – befremdlichen Elementenerkennen. Beredtes Zeichen für diesesUnverständnis sind die im Internet zu fin-denden Rezensionen beispielsweise zumFilm „Hermes. Winds of Love“, einAnime, das einen Teil der „Biographie“

des Hermes aufbereitet und als internatio-nal vermarkteter DVD-Release veröffent-licht wurde. Durchgehend ist der Tenor er-kennbar, hier ein „Zuviel“ an religiöserBotschaft vor sich zu haben, mit dem manso recht nichts anfangen könne.30

Generell lässt sich bei den nichtjapani-schen Mitgliedern die Tendenz feststellen,sich anfänglich für diese Gruppe in einerMischung aus Buddhismus-/Japan-Begeis-terung und Interesse für „Geistwelt“ und„Meditation“ zu interessieren, dann je-doch von dem Allzuviel an bekanntenNew-Age-Inhalten (wie UFOs, AncientAstronauts-Thematik, mythische Vorzivili-sationen etc.) und deren Aufbereitung inden Publikationen der Gruppe eher abge-schreckt zu werden.31 Die weitere Ent-wicklung sowohl innerhalb als auchaußerhalb Japans bleibt abzuwarten.

Anmerkungen

1 Gemäß der japanischen Gepflogenheit gebe ich dieNamen in der Reihenfolge Familienname-Vornamewieder. Dazu ist anzumerken, dass ich durchge-hend die Eigenbezeichnung O- kawa Ryu-ho- ver-wende, obwohl O- kawa erst seit der formellenGründung der Gruppe, d.h. seit 1986, diesen Na-men trägt.

2 Eine unvollständige Liste der bereits vorhandenendeutschen Übersetzungen findet sich aufhttp://www.irhpress.co.jp/2german/index.html (Juni2007); dort werden allerdings nur die Haupttextegenannt, nicht die ebenfalls erschienenen Klein-schriften.

3 Für den allgemeinen Rahmen vgl. die aktuellen An-gaben bei Inken Prohl, Religiöse Innovationen. DieShinto- -Organisation World Mate in Japan, Berlin2006, 77-80; vgl. auch Ulrich Dehn, Neue religiöseBewegungen in Japan, EZW-Information 133, Berlin1996, 16ff.

4 Diese Kurzbiographie fußt auf den Selbstaussagen,die sich in seinen Büchern finden, v.a. im autobio-graphischen Anhang zu den Taiyo- no ho- („Gesetzeder Sonne“); in der deutschen Übersetzung: RyuhoOkawa, Das Gesetz der Sonne. Der Aufgang derbuddhistischen Sonne in unserer modernen Welt,Steyr 2001, 140-154. Eine Zusammenstellung sei-ner Biographie findet sich bei Trevor Astley, TheTransformation of a Recent Japanese New Religion:Okawa Ryuho and Kofuku no kagaku, JapaneseJournal of Religious Studies, 22/1995, 343-380:344-347; ausführlichere Informationen bietet auch

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Iris Wieczorek, Neue religiöse Bewegungen in Ja-pan, Eine empirische Studie zum gesellschaftspoliti-schen Engagement in der japanischen Bevölkerung(Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Hamburg359), Hamburg 2002, 144–147; von O- kawa selbstgibt es auch eine Beschreibung seiner „jungenJahre“ bis zur Gründung von Ko- fuku no kagaku, diesehr ausschweifend auch die philosophischen undweltanschaulichen Positionierungen festzulegenversucht. Es handelt sich dabei um das 2003 er-schienene Buch Wakaki hi no Eru Kanta-re („El Can-tare in seinen jungen Jahren“), das mir in seinerManga-Version zugänglich ist.

5 Im Japanischen übliche Bezeichnung für „(gut ver-dienender) Geschäftsmann“; eigentlich ein Schein-anglizismus (aus salary man).

6 Die Übersetzung der Ausdrücke richtet sich nachder deutschen Version des Buches Hito o aishi, hitoo ikashi, hito o yuruse (im japanischen Original er-schienen Tokio 1997), das in Wien 2003 erschien.

7 Der Übergang zu dieser neuen Form des Kontaktesist dabei für den „Interviewenden“ anfänglich eineregelrechte Erschütterung, die ihn „sprachlos“macht, zumal das Ereignis selbst von Licht- undWärmephänomenen begleitet ist. So in der ein-drücklichen Darstellung im Manga Wakaki hi noEru Kanta-re, 156, wo die (unvorbereitete) AnkunftJesu in O- kawa beim Gegenüber einen „Schock“(sho-geki) verursacht, der ihn schließlich zu Tränenrührt. Zudem ist der Vorgang begleitet von „blen-dendem Licht“ (mabayui hikari) und einer beträcht-lichen Wärmeentwicklung (ebd., 156).

8 Wie Anfang der 90er Jahre bekannt wurde, handeltees sich bei Yoshikawa Saburo- um den Vater O- ka-was. Von der Gruppe wird diesbezüglich vermittelt,dass man den Namen O- kawa nicht mit den anste-henden Thematiken in Verbindung bringen wollte,weil ihm dies bei seiner Tätigkeit in der Handels-firma möglicherweise geschadet hätte. Deshalb die-ses Versteckspiel. Vgl. Trevor Astley, a.a.O., 377.

9 Diese Argumentationsfigur der verzögerten Weiter-gabe von zentralen Inhalten findet sich in den Ei-gendarstellungen der Geschichte der Ko- fuku no ka-gaku immer wieder, so auch in Bezug auf die nochauszuführende Erweiterung des Vorinkarnations-schemas. Auf diese Weise können nachfolgendeKorrekturen im Glaubensschema gerechtfertigt wer-den.

10 Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Mat-thias Pöhlmann, Kommunikation mit dem Göttli-chen? Zum Phänomen „Channeling“, MD 10/2000,339-354; zur Bedeutung des Channeling im „NewAge“ vgl. v.a. auch die umfassende Darstellung beiWouter J. Hanegraaff, New Age Religion and Wes-tern Culture. Esotericism in the Mirror of SecularThought, New York 1998, 23-41, wo das Phäno-men des Channeling als wichtige Wurzel dieser re-ligiösen Erscheinung herausgearbeitet wird.

11 Wie bei Wouter J. Hanegraaff, a.a.O., bes. 24-27,ausgeführt wird, ist es vom religionswissenschaft-lichen Standpunkt aus äußerst schwierig, eine ein-

deutige Definition des Phänomens „Channeling“ inAbgrenzung zu anderen Formen von „Offenba-rung“ zu geben. Deshalb sind bei einer weiten Deh-nung des Begriffs viele vergleichbare Vorgänge inder Religionsgeschichte zu zitieren. Viele Interpre-tationen des Begriffs unterstreichen dessen „univer-salen“ Charakter; vgl. z.B. J. Bjorling, Channeling. ABibliographic Approach (Garland Reference Libraryof the Social Sciences 589; Sects and Cults in Ame-rica. Bibliographical Guides 15), New York/London1992, 3: “The phenomenon and practice of medi-umship have existed from antiquity.” Ähnlich argu-mentiert auch Jon Klimo, Channeling. Der Empfangvon Informationen aus paranormalen Quellen, Frei-burg 1988.

12 Vgl. dazu die Ausführungen zur Praxis bei Shinyo-en in der Darstellung von Monika Schrimpf in:Michael Pye/Katja Triplett (mit Beiträgen von Mo-nika Schrimpf), Streben nach Glück. Schicksalsdeu-tung und Lebensgestaltung in japanischen Religio-nen, Berlin 2007, 113-117.

13 Die Änderung des Namens ergibt sich durch Ersatzdes Zeichens für „Mitte“ am Anfang durch das Zei-chen für „groß“ und den Zusatz des Zeichens für„Gesetz“ (ho- ) am Schluss. Die Änderung des Na-mens bei der Gründung einer Religion ist ein durch-aus bekanntes Phänomen bei japanischen Neureli-gionen (und nicht nur dort) und steht hier in der Ei-gendarstellung in der Tradition der Annahme einesho-myo- (des „Gesetzes-Namens“) im Buddhismus.

14 Die Bücher tragen den Titel Taiyo- no ho- („Gesetzeder Sonne“), O- gon no ho- („Goldene Gesetze“) undEien no ho- („Gesetze der Ewigkeit“) und erschienenin knapper Reihenfolge von Juni bis August 1987.

15 Von einem nachgeraden „Bruch“ in der Traditionspricht deshalb Catherine Cornille, Canon Forma-tion in New Religious Movements. The Case of theJapanese New Religions, in: Arie van der Kooij(Hg.), Canonization and Decanonization. Paperspresented to the International Conference of the Lei-den Institute for the Study of Religions (LISOR) heldat Leiden 9-10 January 1997 (Studies in the historyof religions 82), Leiden u.a. 1998, 279-294: 288. Je-doch muss beachtet werden, dass O- kawa auchnach diesem Übergang noch seine Channeling-Ak-tivitäten fortsetzte und weiter mit Geistwesen kom-munizierte. Diese Texte werden allerdings nichtmehr öffentlich zugänglich gemacht, sondern nurgruppenintern publiziert, konkret seit den ausge-henden 90er Jahren in einer nun schon über 30-bändigen Neuausgabe, den Reigen zenshu- („Ge-sammelte spirituelle Offenbarungen“).

16 Vgl. Fukusawa Hidetaka, Die „spirituelle Welt“(seishin sekai) Japans – Einführung und Auseinan-dersetzungen, in: Hilaria Gössmann / Andreas Mru-galla (Hg.), 11. Deutschsprachiger Japanologentagin Trier 1999, Bd. 1: Geschichte, Geistesgeschich-te – Religionen, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirt-schaft, Hamburg 2001, 647-660.

17 Vgl. Inken Prohl, a.a.O., 80; zum Phänomen des„Okkultismus“ in Japan vgl. den Interpretationsan-

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satz bei Lisette Gebhardt, „Okkultismus“ als iden-titätsbildender Faktor oder warum es in Japan der-zeit en vogue ist, von den Geistern zu sprechen, in:Hilaria Gössmann / Andreas Mrugalla (Hg.), a.a.O.,703-714.

18 Vgl. die Angaben in einem Interview (datiert mitNovember 1991) im Buch: Ryuho Okawa, BuddhaSpeaks. Discourses with the Buddha Incarnate, To-kio 1995, 76f.

19 In den alten Ausgaben der 80er Jahre finden sichdiese Angaben noch in keiner Form.

20 Zum Einsatz von Mangas und Animes vgl. die An-gaben am Schluss dieses Beitrags (mit weiterführen-der Literatur).

21 Es handelte sich um eine – für japanische Verhält-nisse – nicht ungewöhnliche Namensgleichheit, dievon einem tendenziös recherchierenden Journa-listen zu einer Sensationsstory hochstilisiert wurde;vgl. Trevor Astley, a.a.O., 369.

22 Ebd., 371: „These actions, which marked a radicaldeparture for the group, were widely perceived assignalling an alarming shift in Kofuku no kagakufrom study group to aggressive activism.”

23 Iain Reader, Religious Violence in ContemporaryJapan. The Case of Aum Shinrikyo, Honolulu 2000,174: „This assault on (and, in the media’s eyes, at-tempt to censor the reporting of) a major publishingcorporation transformed Kofuku no Kagaku into thebête noire of the Japanese media …”

24 In diesem Zusammenhang sind v.a. die Stellung-nahmen des jungen Religionswissenschafters Shi-mada Hiromi zu nennen, der sich aber in einer sehrexpliziten Art und Weise für die Aum Shinrikyo-Be-wegung aussprach, was ihm nach dem Giftgasan-schlag seine akademische Anstellung kostete. Vgl.die Angaben bei Shimazono Susumu in seiner Re-zension zu Shimadas Buch Oumu: Naze shu-kyo- waterorizumu o unda no ka (Aum: Warum ReligionTerrorismus hervorbrachte), in: Japanese Journal ofReligious Studies 30/2002, 190-195 (mit wichtigenAnmerkungen zur Positionierung der Religionswis-senschaft in dieser schwierigen Problemstellung).

25 Vgl. die Liste auf http://www.kofuku-no-kagaku.or.jp/en/shoja/index.html (5. Juli 2007). Der großeTo-kyo- -Sho- shinkan befindet sich beispielsweise imBezirk Shinagawa; das Hauptbüro in Gotanda, diebeide zu den teuersten Bezirken Tokios zu zählen

sind. Das gleiche gilt auch für die weiteren Anlagenin Japan. Dazu fügt sich auch die Nachricht, dass O- kawa im Jahre 1991 einer der 100 größten Steuer-zahler Japans war; vgl. Trevor Astley, a.a.O., 348,mit einem Verweis auf die Tageszeitung YomiuriShinbun (vom 2. Mai 1992).

26 Der Hawaii-„temple“ präsentiert sich aufhttp://www.irh-hawaii.com/home.htm; der Bauselbst war im Übrigen von Kontroversen begleitet,weil sich Anwohner dagegen wandten, wie bei-spielsweise der Zeitungsnachricht auf http://starbul-letin.com/2004/05/22/features/story1.html (5. Juli2007) zu entnehmen ist.

27 Dies wird von O- kawa als die Essenz der schon zi-tierten Botschaft Nichirens: „liebe die Menschen,inspiriere sie und vergib ihnen“ bezeichnet und inder gleichnamigen Publikation breit ausgeführt.

28 Allerdings ist auch in Japan spätestens seit Beginndes 21. Jahrhunderts davon auszugehen, dass derrasante Anstieg der Mitgliederzahlen sein Ende ge-funden hat und eher von einer Stagnation und Kon-solidierung zu sprechen ist. Vgl. Inken Prohl,a.a.O., 77.

29 Der Einsatz dieses Mediums ist im japanischen Kon-text nichts Ungewöhnliches. Viele religiöse Grup-pierungen, insbesondere (aber nicht nur) die jünge-ren, greifen exzessiv auf diese Darstellungsformzurück. Es wurde sogar ein richtiggehender „Boom“religiöser Mangas, insbesondere seit den 80er Jah-ren, konstatiert. Vgl. zusammenfassend dazu InkenProhl, a.a.O., 23. Es muss bei der Interpretation be-achtet werden, dass diese Medien nicht alsschmückendes Beiwerk zu verstehen sind, sondernals fundamentale Vermittlungsinstanzen für die Ver-breitung religiöser Inhalte.

30 Vgl. z.B. die Rezension auf http://www.animeondvd.com/reviews2/disc_reviews/1011.php (5.Juli 2007) oder die zusammenfassende Bewertungauf http://animeworld.com/quicklooks/hermes.html(5. Juli 2007): „The big budget but little-known Her-mes is an odd combination of realistically re-inter-preted Greek myths and a rather odd, pseudo-reli-gion-heavy, Fantasiaesque take on other, relatedmyths, packaged as a shoujo fairy tale.”

31 Dies ist eine Beobachtung im Speziellen in Bezugauf die Situation der Wiener Gruppe, die ich aus ei-gener Anschauung seit dem Jahre 2000 gut kenne.

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Die verstärkten Aktivitäten der Sciento-logy-Organisation in Deutschland habenin den letzten Monaten dazu geführt, dassihre Gefährlichkeit erneut und – wie zuerwarten – kontrovers diskutiert wird. Seitüber einem Jahrzehnt sorgt diese Frageimmer wieder für engagierte Auseinander-setzungen in der Öffentlichkeit, in denParteien und in den dafür zuständigenFachgremien. Bereits Ende 1995 hatte derPolitologe Hans-Gerd Jaschke in einemGutachten die These aufgestellt, Sciento-logy sei eine neue Form des politischenExtremismus.1 Theorie und Praxis der Or-ganisation erfüllten alle Merkmale einertotalitären Organisation: ideologischer Al-leinvertretungsanspruch, rigider Dogma-tismus, hermetisch abgeschlossene Orga-nisationsstruktur, Führerkult und totaleUnterordnung der Mitglieder, dualisti-sches Freund-Feind-Bild, kollektivistischesDenken und eine ideologische Fachspra-che mit zum Teil neu definierten Begrif-fen. Dieses Gutachten bildete eine we-sentliche Stütze für den Beschluss der In-nenministerkonferenz im Juni 1997,Scientology vom Verfassungsschutz beob-achten zu lassen. Allerdings wurde dieBeobachtung mit nachrichtendienstlichenMitteln in manchen Bundesländern nacheinigen Jahren wieder eingestellt, weildort keine Erkenntnisse über verfassungs-feindliche Tendenzen der Organisationvorgelegt werden konnten. Zwischen2001 und 2005 wurde Scientology jedochausweislich der Verfassungsschutzberichteweiterhin in 11 der 16 Bundesländer be-obachtet.2 Durch die jüngst verstärktenAktivitäten der Organisation in Berlinwurde im Juni 2007 auch hier wieder dieÜberwachung aufgenommen, nachdem

sie durch ein Urteil des Verwaltungsge-richts seit dem Jahre 2001 ausgesetzt wer-den musste. Im August hat nun der Hamburger Innen-senator im Rahmen der Vorstellung desBuches seiner Mitarbeiterin Ursula Ca-berta („Schwarzbuch Scientology“, siehedie Besprechung in dieser Ausgabe desMD, 395f) ausdrücklich das Verbot dieserumstrittenen Organisation gefordert. DieGruppe dürfe nicht unterschätzt und ver-harmlost werden. Weil dort Menschen un-terdrückt und ausgenützt würden, müsseder Staat die Gesellschaft schützen. DieInnenministerkonferenz werde sich beiihrem nächsten Treffen im Herbst erneutmit einem möglichen Verbot befassen,kündigte der Hamburger Innensenator an.Überlegungen zur Durchführbarkeit einesScientology-Verbots sind vielfältig ange-stellt worden. Ein aktiver Protagonist istseit vielen Jahren der Rechtsanwalt IngoHeinemann, ehrenamtlich Vorsitzenderder Betroffeneninitiative „Arbeitsgemein-schaft Psychische Freiheit (AGPF)“. Er hatzahlreiche Fakten gesammelt, die nachseiner Ansicht einen Verbotsantrag erfolg-reich erscheinen lassen:3 PlanmäßigeStraftaten von Scientology wie Wucher,Betrug, Körperverletzung durch Hypnoseoder Nötigung seien nicht anders alsdurch ein Verbot abzuwenden, außerdembetreibe Scientology unerlaubt Heil-kunde. Die Demokratie und der Sozial-staat würden abgelehnt, und eine neueGesellschaft mit Mitgliedern ohne Grund-rechte werde angestrebt. Auch der oftmalsgesetzeswidrige Umgang mit Kritikernmüsse abgeschafft werden. Heinemanns Anliegen deckt sich mit ei-ner Initiative aus Bayern. Dessen Landes-

Michael Utsch

Verbot von Scientology?

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regierung hat im November 2002 denBundesinnenminister aufgefordert, einvereinsrechtliches Ermittlungsverfahreneinzuleiten.4 Darüber hinaus liegt min-destens eine juristische Dissertation vor,die sachlich darlegt und begründet, aufwelchem Weg diese „verfassungsfeind-liche Bekenntnisgemeinschaft“ verbotenwerden könne.5Alle Initiativen haben jedoch bisher nichtdazu geführt, auf höchster politischerEbene rechtliche Schritte einzuleiten unddie Organisation zu verbieten. Denn trotzmancher Teilerfolge in zahlreichen Ge-richtsprozessen konnten zwei wichtigeFragen bisher juristisch noch nicht ein-deutig geklärt werden. Die Scientology-Gemeinschaft bezeichnet sich selbst als„Kirche“ bzw. „Religionsgemeinschaft“.Eine Vereinigung wird jedoch nicht da-durch, dass sie sich selbst als Religionsge-meinschaft definiert, auch als solche aner-kannt. Vielmehr muss sie in ihrem äuße-ren Erscheinungsbild, ihrem geistigen Ge-halt und ihrem dauerhaften Handeln reli-giös oder weltanschaulich geprägt sein.Ob dies bei Scientology der Fall ist odernicht, ist bisher jedoch nicht gerichtsfesterwiesen. Bisher wurde der verfassungs-rechtliche Status von Scientology nochnicht abschließend geklärt – dazu gibt eswidersprüchliche Gerichtsurteile.6 DasBundesarbeitsgericht hat in einer Ent-scheidung aus dem Jahr 1995 die Auffas-sung vertreten, dass Scientology keine Re-ligions- bzw. Weltanschauungsgemein-schaft sei, dies im Jahr 2003 jedoch offengelassen. Diese Unbestimmtheit erklärtsich dadurch, dass diese Streitfrage bisherals nicht entscheidungserheblich für diekonkreten Rechtsstreitigkeiten angesehenwurde, weshalb dazu auch noch keinendgültiges Urteil gefällt werden musste.Allerdings hat die Bundesregierung jüngstbekräftigt, dass sie Scientology nicht alsReligions- bzw. Weltanschauungsgemein-

schaft ansehe.7 Fraglich ist weiterhin, obdie Scientology-Lehren von der Organisa-tion nur als Vorwand für eine ausschließ-lich wirtschaftliche Zielsetzung benutztwerden. Auch hier liegen unterschiedlicheArgumentationen und Gerichtsurteile vor.Während manche kirchlichen Weltan-schauungsbeauftragten die Forderungnach einem Scientology-Verbot unterstüt-zen, sind andere skeptischer. EZW-Refe-rent Andreas Fincke warnte in der jüngs-ten Debatte vor Hysterie. Zwar müsseman sich sachlich mit den Thesen dieserhochproblematischen Gruppe auseinan-dersetzen. Aber nur weil eine obskureIdeologie die Bundesrepublik unterwan-dern wolle, hieße das ja noch lange nicht,dass sie das auch schaffe.Der Verbotsvorschlag des Hamburger In-nensenators fand im Bundestag wenigUnterstützung. In der gegenwärtigen poli-tischen Situation scheint ein Verbot der-zeit nicht durchsetzbar zu sein. Viele Poli-tiker meinen, dass zwar das Welt- undMenschenbild von Scientology den Wer-ten des Grundgesetzes widersprächen,dass dies aber für ein Verbot nicht ausrei-che. Wenn ein Verbotsantrag gestelltwerde, dann müsse er auch erfolgreichsein. Dazu müsse erst eine lückenloseÜberwachung der Organisation gewähr-leistet sein. Der Kenntnisstand über dieaktuellen Tätigkeiten, die Struktur der Or-ganisation und den Umgang mit ihrenMitgliedern sei zu gering.8Es stimmt: Für manche ist Scientologyeine Projektionsfläche für alles Fremde,Bedrohliche und Abgelehnte – ein „Real-symbol für Systemkritik“9. Erst im Augustdieses Jahres musste ein großer Zeitungs-verlag eine Unterlassungsverpflichtungs-erklärung unterzeichnen. In einem Zei-tungsbericht war der Eindruck erwecktworden, es gäbe eine aktuelle Verbindungzwischen der Direktvertriebsfirma Herba-life und Scientology, was nicht der Fall ist.

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Auch in anderen Wirtschaftszweigen tau-chen immer wieder Gerüchte über eineangebliche Scientology-Mitgliedschaftauf. Solche Gerüchte müssen skeptischbetrachtet und sorgfältig geprüft werden.Es sind mehrere Fälle bekannt geworden,wo diesbezügliche Gerüchte gezielt voneiner Firma gestreut wurden, um die Kon-kurrenz schlechtzumachen und Kundenan die eigene Firma zu binden.Allerdings ist gerade bei ScientologySchein und Sein nicht einfach auseinan-derzuhalten. Dieser Eindruck wurdejüngst durch die Enttarnung eines angeb-lichen hochrangigen Scientology-Ausstei-gers bekräftigt. Christian Markert hattesich im Juni dieses Jahres an deutscheBehörden gewandt und um Hilfe gebeten.Als angeblich siebenjährigem Mitglied mitgeheimem Insiderwissen wurde dem 36-jährigen Deutschen beim Ausstieg aus derOrganisation geholfen. Er präsentiertesich auf einer Podiumsveranstaltung derBerliner CDU-Fraktion zum Thema Scien-tology und gab zahlreiche Interviews inPrintmedien und im Fernsehen. Auch derbaden-württembergische Verfassungs-schutz befragte ihn und war angeblichvon der Richtigkeit seiner Angaben weit-gehend überzeugt, bis er von findigenJournalisten als notorischer Hochstaplerund Betrüger entlarvt wurde.Wenn ein Verbotsantrag scheitern würde,wäre das für die juristisch geschickte undweltweit tätige Organisation ein Triumph,den sie nach Strich und Faden ausnutzenwürde. Ihre angebliche Opferrolle wärebestätigt. Zudem wäre das ein willkom-mener Beleg ihrer These von der Diskrimi-nierung religiöser Minderheiten inDeutschland. Ein Blick auf den Rechtsra-dikalismus zeigt die schwierige juristischeLage. Auch die NPD konnte sich 2003 ei-nem Verbot entziehen. Seitdem wird poli-tisch relativ erfolglos darüber gestritten,wie man dem rechten Gedankengut am

besten beikommen könne. Ein Verbotscheint jedenfalls nicht das probate Mittelzu sein. In einer demokratischen Verfas-sung ist das Verbot einer ideologischenGemeinschaft heikel und ein allerletztesMittel, Gefahr vom Bürger abzuwenden.Wäre im Umgang mit Scientology nichteher die Verbesserung niedrigschwelligerAufklärungs- und Beratungsangebote an-gemessen? Bei der Scientology-Organisation tritt dieSchwierigkeit hinzu, dass sie außer in ih-rer „Kirche“ in zahlreichen anderen Berei-chen wie Bildung, Wirtschaft, Unterhal-tung und Lebenshilfe aktiv ist – oft ohnedie wahre Herkunft zu benennen. Derkomplexen Organisationsstruktur dürftemit einem Verbot der „Scientology-Kir-che“ schwer beizukommen sein, weil sichdann vermutlich ihre Aktivitäten auf an-dere Zweige verlagern würden.Auch ein Blick in die Geschichte zeigt,wie sensibel mit dem Thema der Mei-nungs- und Religionsfreiheit umgegangenund wie sorgfältig ein Verbot begründetwerden muss. 1961 wurde der „Bund fürGotterkenntnis“ verboten, weil er sich mitseinen aggressiven antisemitischen Äuße-rungen gegen die verfassungsmäßige Ord-nung richtete. Nachdem er sich 1970 indie „Weltanschauungsgemeinschaft Gott-erkenntnis Mathilde Ludendorff“ umbe-nannt und etliche Gerichtsprozessedurchgefochten hatte, musste das Verbot1977 aufgrund von Verfahrensfehlern auf-gehoben werden.10

Große Teile der Öffentlichkeit scheinenfür die Gefährlichkeit der Scientology-Or-ganisation sensibilisiert zu sein. Einezweite neue Niederlassung dieser Gruppein Berlin musste schon nach wenigen Wo-chen wieder geschlossen werden, weil dieHauseigentümer Nachteile für die ande-ren Mietparteien fürchteten und erfolg-reich dagegen klagten. Im Berliner Senatwerden derzeit Überlegungen angestellt,

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das Informations- und Beratungsangebotfür Betroffene von Sekten und Psycho-gruppen zu verstärken und dafür eineneue Stelle einzurichten. Das ist zu be-grüßen, weil damit endlich zumindest aufeine der Handlungsempfehlungen der En-quetekommission „Sogenannte Sektenund Psychogruppen“ reagiert wird, diedieses schon vor neun Jahren geforderthatte. Auch die Aufklärungsarbeit derkirchlichen Weltanschauungsbeauftragtenträgt nicht unwesentlich zu der gebotenenWachsamkeit bei. Ein erfolgreiches Scien-tology-Verbot erfordert hinreichend über-zeugende, gerichtsfeste Beweise. Solangediese nicht vorliegen, ist die Aufklärungs-und Beratungsarbeit wichtiger denn je.

Anmerkungen

1 H.-G. Jaschke, Scientology – Eine Gefahr für dieDemokratie – Eine Aufgabe für den Verfassungs-schutz?

2 „Rechtliche Fragen zu Religions- und Weltanschau-ungsgemeinschaften“, Wissenschaftlicher Dienstdes Deutschen Bundestages Nr. 05/07 vom 29. Ja-nuar 2007.

3 www.ingo-heinemann.de/Verbot.htm (20.08.2007).4 www.stmi.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz/

extremismus/detail/05320/. Diese Forderung resul-tiert aus einem von der Landesregierung in Auftraggegebenen Gutachten (H. Küfner, N. Nedopil, H.Schöch, Gesundheitliche und rechtliche Risiken beiScientology, München 2002).

5 A. Diringer, Verbotsmöglichkeit einer verfassungs-feindlichen Bekenntnisgemeinschaft, Frankfurt2003. In seiner aktuellen Publikation zum Themagreift der Jurist diesen Sachverhalt nicht auf (vgl. A.Diringer: Die Brücke zur völligen Freiheit? Organi-sationsstruktur, Dogmatik und Handlungspraxis derScientology-Organisation. EZW-Texte 188, Berlin2007).

6 Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundesta-ges Nr. 05/07 (vgl. Anm. 2).

7 Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundesta-ges Nr. 05/07 (vgl. Anm. 2).

8 Der EZW-Text Nr. 188 liefert dazu gründliche Ana-lysen (A. Diringer: Die Brücke zur völligen Frei-heit?, vgl. Anm. 5).

9 H. Hemminger: Scientology ist überall: Eine „Sekte“wird zum Realsymbol für Systemkritik, in: MD1/2001, 1.

10 Vgl. K. Hutten: Verbotsgefahr besteht weiter, in:MD 15/16, 1971, 186.

INFORMATIONEN

ROSENKREUZER

„Liebe wird die Brücke sein“ – Ein Rück-blick auf den Weltkonvent 2007 desA.M.O.R.C. in Berlin. (Letzter Bericht:3/2001, 84ff, vgl. auch 9/2004, 338) Miteiner „Logen-Konvokation“, in deren Mit-telpunkt „eine Botschaft des ImperatorsFrater Christian Bernard“ stand, ging am19. August der Weltkonvent 2007 des An-tiquus Mysticusque Ordo Rosae Crucis(A.M.O.R.C) in Berlin zu Ende. Die welt-weit sehr aktive Rosenkreuzerorganisationträgt im Deutschen die Bezeichnung DerAlte und Mystische Orden vom Rosen-kreuz. Nach eigenen Angaben hat derA.M.O.R.C. weltweit etwa 250 000, inDeutschland rund 2 500 Mitglieder. In 38deutschen Städten bestehen jeweils rosen-kreuzerische Studiengruppen.A.M.O.R.C., der 1917 von Harvey Spen-cer Lewis (1883-1939) gegründet wurde,versteht sich als eine „philosophisch-mys-tische Vereinigung, die sich zum Ziel ge-setzt hat, die höheren Gesetze der Naturund den Kosmos zu erforschen“. In einerneuen Broschüre stellt sich die Gruppe alseine „Nachfolgeorganisation der Rosen-kreuzer des 17. Jahrhunderts“ vor. Sie willals „Initiatenorden“ einen Einweihungs-weg lehren, der den Studierenden „zugrößerer Erkenntnis und eigener Gotteser-fahrung“ anleiten soll. Dies soll über dieInitiationspraxis und die Einweihung inverschiedene Gradstufen bzw. Erkenntnis-stufen vermittelt werden. Als vorrangigesZiel wird das Studium der Mystik genannt.Damit sollen die geistigen Fähigkeiten desEinzelnen entwickelt und geschult wer-den.Der Weltkonvent 2007, der vom 16. bis19. August 2007 stattfand, unterstrichnoch einmal dieses Anliegen. Rund 1 800

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Mitglieder aus zahlreichen Ländern warenin das Berliner Tempodrom gekommen,um an den vier Tagen „mystische Unter-weisungen“ aus den weltweiten Jurisdik-tionen zu hören, Meditationen und Ri-tuale („Konvokationen“) zu erleben unddie innere Gemeinschaft zu stärken. ImProgrammheft stand zu lesen: „Dann kön-nen wir erspüren, was es heißt, im rosen-kreuzerischen Geiste zusammen zu kom-men und miteinander beizutragen, dassdieser Weltkonvent zu einem würdigenund nachhaltigen Erlebnis für jeden Ro-senkreuzer werden wird.“ Im Internetwurde vorab ein Grußwort desA.M.O.R.C.-Weltpräsidenten ChristianBernard (Jg. 1951), der innerhalb der Or-ganisation den Titel „Imperator“ führt, ver-öffentlicht, aus dem das esoterischeSelbstverständnis des Rosenkreuzerordenshervorgeht: „Während die Ursprünge un-seres Rosenkreuzertums traditionell aufdas alte Ägypten zurückgehen, liegen dieQuellen seiner gegenwärtigen Geschichtegrößtenteils in Deutschland. Es ist alsoeine Reise ins Herz des Rosenkreuzes...“ Während die meisten Vorträge für Gästezugänglich waren, blieben drei Veranstal-tungen auf den Kreis der A.M.O.R.C.-Mit-glieder beschränkt: Es handelte sich dabeium die Pronaoskonvokation bzw. Logen-konvokation sowie um den sog. „großenT.M.O.-Konventikel mit Botschaft des Im-perators“. Im Programmheft hieß es: „Nurfür TMO-Mitglieder! Bitte entsprechendeRitualkleidung – Kragen bzw. Schärpen –bereithalten.“Parallel dazu fand an den Tagen ein um-fangreiches Kinderprogramm statt. ImFoyer des Tempodrom wurden Bücher desA.M.O.R.C., Ritualgegenstände sowieCDs zum Verkauf angeboten. Die 45-Mi-nuten-Vorträge, die jeweils von den Groß-meistern (Frauen und Männern) der welt-weiten Jurisdiktionen gehalten wurden,enthielten auch meditative Elemente, um

das Gehörte durch praktische Übungenzu vertiefen. Die Veranstaltung wirkte in technischerund organisatorischer Hinsicht gut vorbe-reitet. Es gab Simultanübersetzungen inmehrere Sprachen. Die Teilnehmer zeig-ten sich sehr diszipliniert. Auf pünktlichesErscheinen zu den Vorträgen legten dieVeranstalter großen Wert. 30 Minuten vorVeranstaltungsbeginn wurden die Türenfür den Einlass geöffnet und zeitnah ge-schlossen. Das Programmheft vermerkte:„Der Einlass nach Beginn der Veranstal-tung ist nicht mehr möglich, wofür wir umVerständnis bitten.“ Parallel zu den lau-fenden Veranstaltungen gab es ein eigenesKinderprogramm, das im „Raum der vierElemente“ stattfand. Geboten wurde denKleinen neben Malen und Basteln aucheine Kinderkonvokation und Gebete fürden Frieden. Bereits am Vorabend des Kongresses hat-ten die Veranstalter zu einem öffentlichenVortrag für Mitglieder und Gäste in dasBerliner Tempodrom eingeladen: Groß-meister Maximilian Neff sprach vor rund500 Zuhörern über „Mythos, Lehre, Philo-sophie der Rosenkreuzer“. Bei seinenAusführungen wurde das Selbstverständ-nis dieser Rosenkreuzervereinigung nocheinmal deutlich: Im Zentrum steht der„Weg der Einweihung“, der als „Weg derEvolution des Geistes“ betrachtet wird.Dabei klang auch das Thema „Karma undReinkarnation“ an, das zwar vomA.M.O.R.C. nicht offiziell vertreten wird,jedoch zum festen Bestandteil der Weltan-schauung dieser Rosenkreuzergruppegehört und in den Vorträgen des Weltkon-vents immer wieder anklang. Mit der Ein-weihung – so Neff – vollzieht sich dasHeilwerden des Menschen mithilfe vonRitualen und einer „kosmischen Ausrich-tung“. Der Mensch würde zwei Ebenendes Seins angehören – der materiellenund der geistigen Welt. Allerdings würde

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er nicht im Einklang mit seinem wahrenWesen leben. Nur die Seele, die in dieserPerspektive als wichtigster Bestandteil desmenschlichen Wesens gilt, sei in der Lage,Gotteserfahrungen zu sammeln. DerMensch müsse daher seine Intuition ent-decken und sie mit Meditation und Kon-templation schulen. In Abgrenzung zurEsoterik-Szene – hier war gar von„Pseudo-Esoterikern“ die Rede – stellteNeff heraus, dass es sich bei der im rosen-kreuzerischen Sinne angestrebten Er-leuchtung um einen langsamen Weghandle. Anschließend erläuterte der deut-sche A.M.O.R.C.-Großmeister die ver-schiedenen Ebenen und Einweihungen.Auf einer ersten Stufe, die die drei sog.Neophytengrade oder Atriumgrade (alsStufen zum Portal des Tempels) umfasst,mache der „Neophyt“ erste Erfahrungenmit seiner Intuition, wodurch sich das in-nere Wesen des Menschen mitteile. Damiterhalte der Einzelne Zugang zum Wissenvon Vergangenheit und Zukunft (Rein-karnation). Auf der zweiten Stufe, mit derinsgesamt neun Tempelgrade folgen, über-schreite der Kandidat die Stufen der Inspi-ration, womit er die geistige Essenz derDinge zu erfassen beginne. Mit der Auf-nahme der Lehre habe die Veredelung desLebens begonnen. Die dritte Stufe sei –wie Neff weiter ausführte – der Liebe zu-geordnet. Hier erfahre der Mensch in denHochgraden die Einheit, und er ahne denEinklang mit dem Göttlichen. Es kommedabei zur Vermittlung der Lehre, wonachäußere Erfahrungen den Spiegel des inne-ren Geistes darstellten. Weitere Einzelhei-ten über Inhalte und nähere Ziele dieses„mystischen Erkenntnisweges“ wurden in-des nicht mitgeteilt. Der Konvent wurdemit einer Eröffnungszeremonie feierlicheröffnet und am vierten Tag mit einerSchließungs-Zeremonie beendet.Zu Beginn des Kongresses beschrieb „derGroßmeister für die USA und das eng-

lischsprachige Amerika“, Frau Julie Scott(Jg. 1958), den Gründer des A.M.O.R.C.in ihrem Vortrag „Harvey Spencer Lewis –Kosmische Mission erfüllt“ als Visionär. Sohabe er Zugang zu den mystischen Geset-zen, zu Visualisation, Meditation undKonzentration erlangt und sich damitganz in den Dienst an anderen gestellt.Unterbrochen wurden die eher hagiogra-fischen Ausführungen der US-Amerikane-rin über den Werdegang Spencers durchpraktische Übungen. Das Publikum solltedreimal tief ein- und ausatmen. Dannsetzte Julie Scott mit den Worten ein: „Ro-senkreuzer sandten uns gute Gedanken,bevor wir geboren wurden. Öffnen Siesich für gute Gedanken früherer Rosen-kreuzer. Hören Sie gute Wünsche für denwahren inneren Frieden. Danken Sie fürdies gewirkte Vermächtnis. Senden SieGedanken an zukünftige Rosenkreuzer!Senden Sie nun Ihre Botschaft!“ Weiterepraktische Übungen unterbrachen immerwieder ihre Ausführungen: Mit geschlos-senen Augen sollten die Zuhörer ihre ei-gene kosmische Aufgabe erkennen: „Wirsind der Kanal für die göttliche Intelli-genz!“ Die Teilnehmer wurden aufgefor-dert, bequem zu sitzen, drei Atemzüge zunehmen und sich beim Ausatmen jeweilszu entspannen. Insgesamt sieben Malsollte dabei ein lang gezogenes „Aaau-umm“ intoniert werden. Dadurch würde,so Julie Scott, die Zirbeldrüse angeregtwerden. Die Teilnehmer sollten sich aufden Mittelpunkt des Gehirns konzentrie-ren: „Stellen Sie sich vor, Sie steigen zumkosmischen Sanctum auf!“ Den Abschlussbildete das gemeinsam gesungene Lied„Oh Liebe, die die Angst vertreibt undFreude über uns verströmt, befreie undbeschütze uns“.Im weiteren Programm folgten weitereVorträge mehrerer Großmeister der unter-schiedlichen, nach Kontinenten aufgeteil-ten Jurisdiktionen. Über „Emanuel Swe-

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das Stück in die bekannte Ringparabel,die im Sinne einer überkonfessionellenbzw. religionsübergreifenden A.M.O.R.C.-Perspektive interpretiert wurde. Am Endeerhielt jeder Besucher ein Glas Sekt, umnach einem „Toast“ des deutschen Groß-meisters auf den „Orden“ anstoßen zukönnen. „Ein multikultureller Abend mitmystischer Note“ schloss sich daran un-mittelbar an. Er beschränkte sich jedochweitgehend auf den Besuch des im Foyeraufgebauten reichhaltigen Abendbuffets. Dem kritischen Beobachter wurde schnelldeutlich, dass der esoterische Weg vonA.M.O.R.C. in der Entwicklung und Schu-lung der intuitiven Fähigkeiten des Einzel-nen besteht. Zahlreiche intuitive Übun-gen, die die Vorträge begleiteten, ließendies sinnfällig erkennen. Unübersehbarwar insbesondere, dass sich die Weltan-schauung dieser geschlossenen Rosen-kreuzergruppe weniger aus einem christ-lichen denn aus einem gnostischen Welt-und Menschenbild speist. Der theoso-phisch geprägte Karma- und Reinkarnati-onsgedanke spielt in dem System einewichtigere Rolle, als dies offiziell vertre-ten wird. Manches erinnerte an freimaure-rische Ritualistik, die jedoch beiA.M.O.R.C. stark von esoterischem bzw.theosophischem Geist durchdrungen ist.Damit erweist sich diese Rosenkreuzer-gruppe nicht mehr als christlich-mystisch,sondern vielmehr als esoterisch-synkretis-tisch geprägt.

Matthias Pöhlmann

denborg und seine Botschaft für die Ge-genwart“ sprach der Großmeister fürSkandinavien, die Norwegerin Live Söder-lund (Jg. 1963). Mehrere Personen trugenin einer Art feierlicher Prozession mehrereBücher Swedenborgs zu einem auf derBühne befindlichen Tisch. Dort wurdensie in Stapeln abgelegt. Live Söderlundschilderte kurz den Lebenslauf des schwe-dischen Visionärs. In ihren Ausführungenkonzentrierte sie sich auf das Berufungser-lebnis Swedenborgs und stellte dabei des-sen Intuition heraus: Ganz imA.M.O.R.C.-Sinne wurde er als Prototypfür den Initianden eines esoterischenSchulungsweges – einer „heiligen Mis-sion“ – vorgestellt: „Swedenborg fandsein eigenes inneres Licht und teilte es an-deren mit.“ Swedenborg habe die Kirche,nicht aber die Bibel in Frage gestellt. Eineeigenwillige Erklärung lieferte die Vortra-gende im Blick auf die Tatsache, dass inSwedenborgs Werk die Reinkarnations-lehre fehle. Darüber sei sie persönlichenttäuscht. Doch sie lieferte eine schlichtewie überraschende Erklärung: Die Rein-karnationslehre sei eine der Wahrheiten,über die die Engel ihm nicht zu sprechenerlaubt hätten. „Swedenborg lebte zurEhre des Universums und zum Guten desGanzen.“ Abschließend wurden dieBücher Swedenborgs in einer feierlichenProzession von Mitwirkenden wieder vonder Bühne getragen. Der Weltkonvent bot neben den Vorträgenvon zwölf Großmeistern auch drei in-terne, nur Mitgliedern von A.M.O.R.C. zu-gängliche Veranstaltungen. Am letztenAbend kam das von einem Ordensmit-glied verfasste Theaterstück „Moses – oderdie zärtliche Gleichgültigkeit der Welt“ –infolge technischer Probleme allerdingsmit einer Stunde Verspätung – zur Auf-führung. Auf der Bühne unterhielten sichCharlotte von Stein, Lessing und Schillerüber die Religion. Schließlich mündete

PFINGSTBEWEGUNG

„Größter evangelistischer Kreuzzug“ inDeutschland. (Letzter Bericht: 6/2007,223ff) Am 29. April dieses Jahres trafensich im Bürgerhaus des Frankfurter Stadt-teils Sindlingen ca. 400 Mitarbeiter, Mit-glieder und Sympathisanten der brasiliani-

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schen neupfingstlerischen Universalkir-che vom Reich Gottes (URG) zu ihrem„größten evangelistischen Kreuzzug“ inDeutschland. Aus den Gemeinden derURG in Hamburg, Berlin, Würzburg,Stuttgart und München kamen sie zu die-ser ersten deutschlandweiten missionari-schen Veranstaltung. Das Publikum be-stand überwiegend aus portugiesischspra-chigen Einwanderern brasilianischer, por-tugiesischer und afrikanischer Herkunft.Große Sensation und Attraktion der Veran-staltung war die Anwesenheit des Grün-ders und weltweiten Hauptbischofs derURG, Edir Macedo. Mit dem unbeschei-denen Titel „Größter Evangelist des Jahr-hunderts“ wurde seine Teilnahme in ei-nem Flyer angekündigt. Die URG ließdurch die im selben Flyer abgedruckteEinladung „Leiden Sie unter finanziellen,familiären, gesundheitlichen oder emotio-nalen Gefühlsproblemen? Kommen Sie!“bereits im Vorfeld erkennen, worum es beidiesem „evangelistischen Kreuzzug“ ging:um die Lösung dieser Probleme oder – inder theologischen Sprache der Universal-kirche formuliert – um Befreiung von ih-nen und um das Erlangen eines erfülltenund erfolgreichen Lebens.Die Veranstaltung war hinsichtlich ihresVerlaufs, ihrer Bestandteile und ihres In-halts im Großen und Ganzen ein typi-scher Gottesdienst dieser brasilianischenKirche: Ein langes Gebet um die Befreiungvon „bösen Geistern“, eine fast einstün-dige Ansprache von Bischof Macedo, Ab-gabe von Geldspenden, Verteilung vonkleinen Dosen mit dem „gesegneten Oli-venöl aus dem Heiligen Land“ (Israel) etc.Eine Abweichung von der gottesdienst-lichen Praxis der URG und zugleichHöhepunkt der Veranstaltung war der Auf-ruf zur „Entscheidung für Jesus“, den Bi-schof Macedo an seine Ansprache an-schloss. Er rief alle Anwesenden dazu auf,nach vorne vor die Bühne zu treten und

die Entscheidung zu treffen, „entregar avida para Jesus“, d.h. „das Leben in JesuHände zu legen“. Solche „Bekehrungsap-pelle“ sind in den Gottesdiensten derURG sonst nicht üblich. Eine weitere Ab-weichung von der gottesdienstlichen Pra-xis war der Verzicht auf Dämonenaustrei-bung während der Veranstaltung. Exorzis-men im Altarraum sind sonst ein fester Be-standteil des Gottesdienstes der Kirchevon Bischof Macedo. Es wurden lediglichin einem abgetrennten Flur vor Beginn derVeranstaltung Exorzismen bei einzelnenMenschen durchgeführt.In seiner Ansprache wiederholte BischofMacedo die wesentlichen Eckpunkte deroptimistischen und pragmatischen „Wohl-standstheologie“ seiner Kirche: Durch Ge-horsam gegenüber dem Wort Gottes inder Bibel und durch die Abgabe desZehnten lebe der Mensch als treuer Part-ner Gottes und erfülle damit alle Bedin-gungen für ein erfülltes und erfolgreichesLeben. Die Aufforderung zur Abgabe desZehnten und anderer Geldspenden recht-fertigte Bischof Macedo mit seiner altbe-kannten Argumentation: Das Geld sei das„Blut“ der Kirche, d.h. das lebensnotwen-dige Mittel für ihre Ausbreitung. Deswe-gen habe Gott die Abgabe des Zehntengeboten und mit der Zusage finanziellenWohlstands verbindlich verknüpft. „WolltIhr reich werden“, fragte Macedo dasPublikum, dann „gebt den Zehnten ab“!Unter Berufung auf die biblischen StellenMaleachi 3,10 und Lukas 6,38 nannte erdie Abgabe von Geldspenden „das ein-zige Mittel, um Gott zu prüfen“. Dasheißt, wer den Zehnten und andere Spen-den treu abgebe, könne Gott zur Rechen-schaft ziehen und von ihm ein Leben inWohlstand, Gesundheit und Glück for-dern. Mit Macedos Worten: „Gott mussdich segnen“.Durch diese erste missionarische Veran-staltung in Deutschland hat die URG vor

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Menschen Hilfestellungen beim Umgangmit ihren typischen Migrantenproblemengeben.Auch wenn ihr Wirkungsbereich und ihreAttraktivität auf dem deutschen „Markt“religiöser Angebote noch sehr beschränktsind, hat die URG mit dieser ersten öffent-lichen missionarischen Veranstaltung ihrstarkes Sendungsbewusstsein unter Be-weis gestellt und gezeigt, dass sie inDeutschland Fuß gefasst hat und sichhierzulande ausbreiten will und kann. Mitihrer fragwürdigen Wohlstandstheologieund ihren sektiererischen, antiökumeni-schen Zügen ist sie nicht nur eine neueHerausforderung für die Landeskirchen,sondern zunächst auch eine starke Kon-kurrenz für andere brasilianische Migran-tengemeinden.

João Carlos Schmidt, Aalen

allem gezeigt, dass sie sich auf dem deut-schen „Markt“ kirchlich-religiöser Ange-bote allmählich etabliert. Die Veranstal-tung vermittelte den Eindruck, dass dieURG in Deutschland gut funktionierendeGemeinden mit vielen engagierten Mitar-beitern und Mitgliedern bzw. Sympathi-santen hat. Die Anreise nach Frankfurt,die erregte und enthusiastische Teilnahmean der Veranstaltung und die sehr positiveReaktion auf den Spendenaufruf sind Zei-chen dafür, dass viele Teilnehmer einenBezug zur URG als sinnstiftende religiöseGemeinschaft haben und bereit sind, siedurch ihr Engagement in Gestalt von Mit-arbeit und Spenden zu unterstützen. Ge-spräche mit einem Mitarbeiter, einem Ein-wanderer aus Mosambik, und mit einigenMitgliedern vor und während der Veran-staltung haben diesen Eindruck verstärkt.Die überwiegende Teilnahme portugie-sischsprachiger Menschen zusammen mitanderen Beobachtungen – z. B. dass dieVeranstaltung in Portugiesisch abgehaltenund nur eine sehr schlechte Übersetzungins Deutsche geboten wurde – deutendarauf hin, dass die URG noch stark denCharakter einer „Migrantenkirche“ hat,die eine relativ begrenzte Gruppe er-reicht, nämlich Brasilianer, Portugiesenund Afrikaner aus ehemaligen portugiesi-schen Kolonien. Die portugiesische Spra-che sowie bestimmte religiöse und kultu-relle Denkkategorien sind für die Etablie-rung der URG unter dieser Bevölkerungs-gruppe von Vorteil. Die Arbeit und dieAusbreitung der URG werden auch da-durch erleichtert, dass sie Pastoren undandere Mitarbeiter aus ihren Gemeindenaus Portugal ohne bürokratische Hürdenhierzulande einsetzen kann und zudemihre von Spanien aus ausgestrahlten Fern-sehprogramme auch hier über Satellitempfangen werden können. Es ist außer-dem zu vermuten, dass die Botschaft derURG und die erlebte Gemeinschaft den

NEUHEIDENTUM

Tagung der Ludendorffer in Dorfmarksorgt erstmals für Aufsehen. Der völ-kisch-deutschgläubig orientierte Bund fürGotterkenntnis (Ludendorff) (vgl. MD7/2003, 267) wurde 1951 gegründet undhat seine Wurzeln in mehreren Vorgänger-organisationen um Mathilde (1877-1966)und Erich Ludendorff (1865-1937). Von1961 bis 1977 war er wegen verfassungs-feindlicher Tätigkeiten und Zielrichtungenverboten und wird nach wie vor in mehre-ren Bundesländern vom Verfassungs-schutz beobachtet. Die heutigen Mitglie-derzahlen werden vage auf einige hundertgeschätzt; die Literatur spricht von einerÜberalterung der Mitglieder. Während siein den Zeiten des Verbots bis in die späten1960er Jahre hinein regelmäßig für Veröf-fentlichungen sorgten, sind die Luden-dorffer gegenwärtig ein eher unauffälligesPhänomen. Es ist still um sie geworden,obwohl sie weiterhin existieren und ihre

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Vereine, einen eigenen Verlag (VerlagHohe Warte) sowie einige Ahnenstätten(z. B. Hilligenloh bei Hude im Oldenbur-gischen) betreiben. Sie bieten auch regel-mäßig Veranstaltungen an, vor allem Son-nenwendfeiern in Schleswig-Holstein,aber auch Tagungen und Vorträge, unteranderem in Dresden oder Berlin.Auf der Internetpräsenz (www.luden-dorff.info) präsentiert man offen einenVeranstaltungskalender, der, wie jedesJahr, auch für 2007 eine Ostertagung inder kleinen Gemeinde Dorfmark im nie-dersächsischen Landkreis Soltau-Falling-bostel vorsah. In der Vergangenheit be-merkte die Bevölkerung in Dorfmark zwarstets, dass zu Ostern eine Gruppe Men-schen im Hotel „Deutsches Haus“ ein-kehrte (bis vor einigen Jahren wurden so-gar öffentliche Gebäude wie die Schulezur Verfügung gestellt), doch wurde dentraditionell gekleideten Besuchern, die alsangenehme und freundliche Feriengästegalten, kaum Beachtung geschenkt. Doch dieses Jahr, am 15. März 2007, ludder Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB)zu einer Informationsveranstaltung zurjährlichen Ostertagung der Ludendorfferin ein Gasthaus in Dorfmark ein und botden Bewohnern und Interessierten dieMöglichkeit, sich mit Hilfe eines Vortragsdes Weltanschauungsbeauftragten derHannoverschen Landeskirche, JürgenSchnare, ein genaueres Bild vom demBund für Gotterkenntnis zu machen. DerIdeologie der Ludendorffer wurde unterden ca. 70 anwesenden Interessierteneine ablehnende Haltung entgegenge-bracht; man fürchtete sich vor dem Be-such einer Gruppe, deren Ideologie anti-demokratische und rassistische Tendenzenvermuten lässt. Die Diskussionsbeiträgezeigten, dass zumindest im Dorfbild wäh-rend der Ostertagung bei den ca. 100jährlichen Besuchern von keiner Überal-terung der Gruppe gesprochen werden

kann, da vor allem Familien mit Kindernanreisen. Durch den „Arbeitskreis für Le-benskunde“ der Ludendorffer, der sichnach Lehrplänen von 1930 richtet, gibt eszahlreiche Angebote gerade für Kinder,beispielsweise Sommercamps, wie ein be-sorgter Großvater aus eigener Erfahrungzu berichten wusste. Seine Enkel würdenganz im Sinne der Ludendorff’schenGrundideen erzogen, die Eltern ließen indieser Hinsicht keine Gegenposition zu.Trotz des Alters der Schriften der MathildeLudendorff, die nach wie vor im eigenenVerlag unter Führung eines Schwieger-sohns Mathilde Ludendorffs (Franz vonBebenburg) in Frakturschrift gedruckt wer-den, scheinen sich immer noch Menschendamit identifizieren zu können; in Dorf-mark sieht man darin weniger ein religiö-ses als ein politisches Problem. In den ver-gangenen Jahren hätten sich gelegentlichPersonen, die eindeutig aus der (neo-)nationalsozialistischen Szene bekanntsind, unter den Ostergästen befunden – soz.B. Steffen Hupka, der im vergangenenJahr vor Ort auf einem Büchertisch eigeneSchriften anbot. Nicht zu überprüfen sindVermutungen, dass die Ludendorffer überbemerkenswerte finanzielle Mittel verfü-gen, mit denen möglicherweise andereGruppen mit eventuell weitaus stärkeremFokus auf das rechte politische Spektrumunterstützt werden könnten. Da es lautAussage des DGB in der LüneburgerHeide, wo der beschauliche Ort Dorfmarkliegt, bereits zahlreiche „braune Kame-radschaften“ gibt, hat der DGB zusammenmit den Bürgern und den ansässigen Orts-vereinen in diesem Jahr einen ersten Auf-klärungs- und Protestschritt gegen denBund für Gotterkenntnis gewagt, dessenBeginn mit dem Diskussionsabend ge-macht wurde. Parallel zur Ostertagung derLudendorffer, bei der es um Themen wie„Friedrich Schiller und die Aufklärung“,die Frage, „Was ist deutsch?“ oder die

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Feier des „130. Geburtstages der Philoso-phin Mathilde Ludendorff“ ging, wurdefür den diesjährigen Karfreitag zu einerfriedlichen Mahnwache aufgerufen. Etwa100 Interessierte fanden sich in Dorfmarkein und zeigten berechtigten Handlungs-bedarf aufgrund der offensichtlichen Ak-tualität des Ludendorff’schen Phänomens.

Jeanette Schröter, Hannover

ANTHROPOSOPHIE

„Inmedia“ zum Verhältnis von Anthropo-sophie und Religion. In der Ausgabe 169vom August 2007 leitet Sebastian Gron-bach den Newsletter der anthroposo-phisch orientierten Info3-Verlagsgesell-schaft „inmedia“ mit einigen Überlegun-gen zu Spiritualität und Religion ein. Erspricht von seiner Erfahrung mit Jugendli-chen, bei denen „Themen wie Erleuch-tung, Transzendenz oder Bewusstseinser-weiterung mit größter Selbstverständlich-keit erörtert wurden – traditionell religiöseBilder von Engeln oder anderen übersinn-lichen Wesen hingegen werden besten-falls freundlich als Kuriosität belächelt;verstanden werden sie nicht“.Gronbach macht einen „Trend zur Trans-Religion“ aus, in der Glaube „durchSelbsterfahrung auf einer höheren Ebenebestätigt“ wird. Im Anschluss an einenepd-Bericht über eine Studie an der Uni-versität Bielefeld berichtet er, dass vieleMenschen, die heute der Religion denRücken kehren, doch Spiritualität suchen.Und dann kommt der Schlenker zur An-throposophie: Sie enthält, was dort ge-sucht wird: „Trans-Religion“. „Anthropo-sophie ist trans-religiös. Sie bedient sichhäufig tradierter religiöser Bilder, um aufdie spirituelle Wirklichkeit hinter diesenBildern zu verweisen. Wer das Symbolmit der Wirklichkeit verwechselt, degra-diert (!) Anthroposophie zur Religion“.

Hier wird wieder einmal der Anspruchvon Anthroposophie formuliert, über denReligionen zu stehen, ihren wahren Ge-halt aufzunehmen und auf ihn zu verwei-sen – ohne jene „traditionell religiöse(n)Bilder“, die – s.o. – „bestenfalls freundlichals Kuriosität belächelt“ werden. Anthro-posophie wird somit dargestellt als jeneBewegung, die auf der Höhe der Zeit steht– während die Kirchen, die Religionen ei-ner vergangenen Epoche angehören. Daskonnte man auch schon bei Rudolf Stei-ner lesen. Ein Dialog auf Augenhöhe istmit Vertretern solcher Ansprüche kaum zuführen.

Jan Badewien, Karlsruhe

IN EIGENER SACHE

Abschied von Andreas Fincke. Dr. An-dreas Fincke scheidet aus dem Dienst inder Evangelischen Kirche in Deutschland(EKD) und der Evangelischen Zentralstellefür Weltanschauungsfragen (EZW) ausund übernimmt zum 1. Oktober 2007eine neue Aufgabe in der EvangelischenKirche Berlin-Brandenburg-schlesischeOberlausitz. Er wird im Arbeitsbereich derPröpstin und stellvertretenden Bischöfin,Friederike von Kirchbach, als theologi-scher Referent im Konsistorium tätig.Nach Studium, Vikariat in der Evangeli-schen Kirche der Kirchenprovinz Sachsenund einer vierjährigen Assistentur amLehrstuhl für Ökumenik und allgemeineReligionsgeschichte an der Martin-Luther-Universität zu Halle-Wittenberg bei Pro-fessor Dr. Helmut Obst kam er am 1. Sep-tember 1992 als Mitarbeiter zur EZW.Durch seine Dissertation über das Jesus-bzw. Christusbild des Neuoffenbarers Ja-kob Lorber hatte er sich bereits auf ein fürdie christliche Weltanschauungsarbeitwichtiges Thema (Christlicher Glaube undNeuoffenbarungen) eingestimmt. Von

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1992 bis 1996 war er zuständig für denArbeitsbereich „Religion und Weltan-schauung in den neuen Bundesländern“.Er repräsentierte die Arbeit der EZW, dieihren Hauptsitz bis 1996 in Stuttgart hatte,in der „Außenstelle Berlin“. Gleichzeitignahm er eine koordinierende Funktion imArbeitsbereich „Sekten- und Weltan-schauungsfragen der ostdeutschen Lan-deskirchen“ wahr mit allen dazu gehören-den Aufgaben, u. a. Publikations-, Vor-trags-, Beratungstätigkeit. Durch seineAusbildung und seine persönliche Erfah-rung in der DDR-Diktatur war er für dieseAufgabenstellung prädestiniert. Mit dem Umzug der EZW von Stuttgartnach Berlin 1996/97 veränderte sich seinAufgabenschwerpunkt. Die Referatsbe-zeichnung seines Arbeitsfeldes lautetenunmehr: „Christliche Sondergemein-schaften“. In das Zentrum seiner Beob-achtungen und Forschungen traten Religi-onsgemeinschaften wie Jehovas Zeugenoder die Mormonen, die sich im dezidier-ten Gegenüber zu den christlichen Kir-chen verstehen, ebenso solche, die sich inWandlungsprozessen befinden – wie dieNeuapostolische Kirche – und darumbemüht sind, ihre langjährige Isolation ge-genüber den in der Ökumene verbunde-nen Kirchen zu überwinden. AndreasFincke ist ein hervorragender Kenner die-ser Gemeinschaften, und zwar gleicher-maßen in geschichtlicher und gegenwarts-bezogener Perspektive. Er hat das Ge-spräch mit ihnen gesucht, interne Diskus-sions- und Wandlungsprozesse kontinu-ierlich beobachtet, beschrieben und ihreBedeutung in der religiös-weltanschau-lichen Gegenwartskultur in zahlreichenPublikationen und in den Medien darge-stellt. Sein besonderes Interesse an der weltan-schaulichen und kirchlichen Situation inden neuen Bundesländern hat ihn alsEZW-Referent auch nach seinem Referats-

wechsel fortwährend begleitet. Zu einemganzen Spektrum von Themen (Jugend-weihe, Konfessionslosigkeit, Selbstver-ständnis atheistischer Verbände) hat ersich immer wieder in der kirchlichen undgesellschaftlichen Öffentlichkeit pointiertzu Wort gemeldet und wird dies hoffent-lich weiter tun. 1999 beauftragte ihn dasKuratorium der EZW mit der stellvertre-tenden Leitung der Einrichtung. Seit dieserZeit war er – zusammen mit CarmenSchäfer – bis 2006 verantwortlich für dieRedaktion der Zeitschrift Materialdienst.Auch an der inhaltlichen Vorbereitung,Organisation und Leitung zahlreicher Ta-gungen, durch die die EZW mit einembreiten Publikum (aus Kirche, Gesellschaftund Wissenschaft) kommuniziert, war erintensiv beteiligt.Durch sein Engagement, seine differenzie-rende Urteilsfähigkeit und seine Bereit-schaft zum selbstkritischen Dialog mit ei-nerseits atheistischen und andererseits„sektiererischen“ Kirchenkritikern hat erwesentlich mit dazu beigetragen, die Ar-beit der EZW im kirchlichen und gesell-schaftlichen Kontext zu profilieren. DieEZW dankt ihm sehr herzlich dafür undwünscht ihm für seinen weiteren beruf-lichen und persönlichen Weg alles Guteund Gottes Segen.

Reinhard Hempelmann

Tagung über die Qualität christlicherGesundheitsangebote. Auf dem Gesund-heitsmarkt werben immer mehr Ärzte undTherapeuten mit einem christlichen Profil.Was macht aus theologischer Perspektiveseriöse christliche Gesundheitsangeboteaus? Dazu findet vom 23. bis 25. Novem-ber 2007 eine Tagung der EvangelischenAkademie zu Berlin in Kooperation mitder EZW statt, zu der wir herzlich einla-den. Ein Programm senden wir gerne zu.

Michael Utsch

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Robert Kötter, Die Soka Gakkai Interna-tional – Deutschland. Geschichte – Struk-tur – Mitglieder, REMID-SchriftenreiheBand 11, Marburg 2006, 85 Seiten, 12,50Euro.

Eine aktuelle, ausführlichere Darstellungder Soka Gakkai (International, SGI) undinsbesondere ihres deutschen Zweigeswar überfällig. So ist diese Arbeit, die alsreligionswissenschaftliche Magisterarbeitbei Manfred Hutter in Bonn entstand,höchst willkommen. Nachdem immernoch manche deutschsprachigen Äuße-rungen zur Soka Gakkai von Polemik ge-prägt waren, ist Kötters Heft durchgängigreligionswissenschaftlichem Duktus ver-pflichtet und wird damit hoffentlich Maß-stäbe setzen. Die Arbeit ist geteilt in einen historisch-systematischen Teil (13-33), der dieGeschichte der Soka Gakkai (SG) seitihrem Entstehen 1937 (hier übernimmtKötter nicht die SG-interne Datierung auf1930) nachzeichnet, ihre Verbindung zurNichiren-Shoshu bis zum November1991 und die Entwicklung der SGI unterihrem Präsidenten Daisaku Ikeda, der bis1979 auch SG-Präsident war und dessenstarker Persönlichkeit und Rolle der letzte,kurze Abschnitt dieses Teils des Buchsgewidmet ist. Der größere zweite Ab-schnitt (Kapitel 4 bis 8) arbeitet mit Me-thoden der empirischen Religionssoziolo-gie und gibt zu weiten Teilen die Resultateeiner groß angelegten Fragebogenaktionunter den deutschen SG-Mitgliedernwieder, die in Kooperation mit der SGI-Ddurchgeführt und deren Kosten sogar vondieser getragen wurden. Die Briefaktion(insgesamt 30 Fragen) lehnt sich, so Köt-ter, an frühere Untersuchungen in denUSA (Hammond / Machachek) und Groß-

britannien (Wilson / Dobbelaere) an undergänzt sie um eine Frage nach der An-sicht der Befragten über Präsident Ikeda.Die Aktion musste allerdings mit demProblem umgehen, dass es einen Rücklaufnur von den engagierten und aktiven Mit-gliedern gab, wodurch das Ziel einerrepräsentativen Untersuchung unterlaufenwurde. Die SGI-D hat, so Kötter im Anschluss anUntersuchungen von Martin Baumann,weithin den Charakter einer Diaspora-Gemeinschaft abgestreift: Entscheidend istnicht mehr die Abhängigkeit von Japan,die große Mehrheit der Mitglieder sindDeutsche und es hat eine erhebliche Assi-milation an die deutsche Gesellschaftstattgefunden. Kötter kommt zu demErgebnis: „Viele der Gläubigen inDeutschland sind engagierte, mobile Men-schen, die in der Gesellschaft erfolgreichsind“ (68). Er weist auf interne Reformenund Strukturveränderungen mithilfe einerentsprechenden „Reformgruppe“ hin, die„Lösungsansätze formulieren sollte“ (71).Hier wären allerdings etwas konkretereAusführungen hilfreich gewesen.Kötter bezieht sich sehr stark auf dieneuere religionssoziologisch orientierteLiteratur zur SG, mit seinem eigenenAkzent auf dem deutschen Zweig der SGI,und befasst sich nicht ausdrücklich mitfrüheren deutschen Arbeiten zur japani-schen SG. Hier wären Werner Kohler(1962), Heinrich Dumoulin (1970), dereine erste deutschsprachige Zusammen-fassung des berüchtigten Skakubuku Kyo-ten vorlegte, und Peter Gerlitz (1977) zunennen gewesen. Bedauerlich ist, dass sienicht einmal im Literaturverzeichnis er-wähnt werden. Auch wäre in Anbetrachtder neueren philosophischen Annäherun-gen der SG an den Mainstream-Buddhis-mus zu fragen, ob die Beziehungsprob-leme zwischen DBU und SGI-D wirklichüberwiegend mit „unterschiedlich(en) …

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BÜCHER

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Ziele(n) und Grundvorstellung(en)“ (70)zu tun haben und nicht eher mitdeutschen Übernahmen der alten Polemikdes japanischen Zen-Buddhismus gegendie Konkurrenz durch die Nichiren-orien-tierten Schulen. Es liegt – ungeachtet dieser kritischenHinweise im Detail – eine sehr verdienst-volle Studie vor, die deutschsprachigenLesern eine andere Form des Buddhismusvorstellt, die abseits der Mönchsrobenund der Versenkung im Lotossitz im Alltaggelebt wird. Die Präsenz einer alltags-nahen buddhistischen Religionsgemein-schaft, die die Anliegen und Probleme derMitglieder bei regelmäßigen Treffen undGesprächen ernst nimmt und sie aufar-beitet, wird hier in zahlreichen Facettenausgeleuchtet. Damit schließt Kötter in er-freulicher Weise methodisch zur interna-tionalen empirischen Forschung zu neuenreligiösen Bewegungen auf.

Ulrich Dehn, Hamburg

Daniel Cyranka, Lessing im Reinkarna-tionsdiskurs. Eine Untersuchung zu Kon-text und Wirkung von G. E. Lessings Tex-ten zur Seelenwanderung, Vandenhoeck& Ruprecht, Göttingen 2005, 522 Seiten62,– Euro.

Daniel Cyranka legt mit diesem opulentenBuch die überarbeitete Fassung seinerDissertation vor, die er im Fach Ökumenikund Religionswissenschaft bei Prof. Dr.Helmut Obst an der TheologischenFakultät der Universität Halle-Wittenbergangefertigt hat. Ausgangspunkt der Unter-suchung ist die Beobachtung: „LessingsName findet sich fast überall dort, woman sich mit dem Thema Reinkarnationauseinandersetzt, an prominenter Stelle“(13). Cyranka will die immer wiedergenannten Texte Lessings anhand ihrerWirkungsgeschichte im Reinkarnations-

diskurs sichten und fragen, in welchemhistorischen Kontext sie zur Zeit ihrer Ab-fassung standen. Der Autor vermeidet (lei-der) eine Definition von „Reinkarnation“– die derzeitigen Konzepte seien zuvielfältig: „Eine allgemeine Bestimmungdessen, was mit dem Begriff Reinkarna-tion gemeint sein soll, scheint angesichtsdieser Lage nicht möglich zu sein. Nurkonkrete Kontexte können konkreten Auf-schluss über die jeweilige Art und Strukturder Vorstellung geben“ (15). Für ihn istReinkarnation ein „Sammelbegriff“ – je-doch zitiert er Helmut Obst: „Zu den The-men christlicher Theologie im drittennachchristlichen Jahrtausend wird derReinkarnationsglauben gehören“ (ebd.).Das Buch ist klar gegliedert: I. Lessing imSeelenwanderungs- und Reinkarnations-diskurs (19-203), II. Lessings Texte zurSeelenwanderung (205-455) und III.Auswertung (457-467). Zwei Anhänge,ein umfassendes Literaturverzeichnis undein Personenregister runden den Band ab. Teil I widmet sich der Rezeptionsge-schichte in drei verschiedenen Strängen:im Zusammenhang von Esoterik und an-deren alternativen Religions- und Weltan-schauungsformen, im Diskurs von Reli-gionsgeschichte und Theologie, im Zu-sammenhang der Lessingforschung.Cyranka gräbt dabei viele historischeBelege aus, die bislang nur wenigen Fach-leuten bekannt gewesen sein dürften. Erzeigt, wie es im nichttheologischen Bereichneben Lessing eine ausgeprägte Diskus-sion der Seelenwanderung gegeben hat(u.a. Schlosser, Herder, Jean Paul, AllanKardec), die Ähnlichkeiten zu Lessingaufweist, ohne sich aber auf ihn zubeziehen. Das ändert sich erst im späten19. Jahrhundert mit den Arbeiten vonFranz Hoffmann, dem Belgier de Rappardund Wilhelm Hübbe-Schleiden und denAntworten auf eine Ausschreibung derZeitschrift „Sphinx“ (1887), die der Autor

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referiert. Hier wird die Erziehungsschrift„als Prototyp für eine Beschreibung derReinkarnationslehre eingeführt“ (63). Vonda an durchzieht der Name Lessing denDiskurs – verstärkt durch Rudolf Steinerund Friedrich Rittelmeyer bis in dieGegenwart hinein. Ein weitergehendes In-teresse an Lessing selbst findet der Autorhier jedoch nicht. In Theologie und Religionsgeschichte(88ff) ist das anders: Hier wird Lessing seitdem Erscheinen der Erziehungsschrifteiner oftmals scharfen Kritik unterzogen,wie Cyranka an heute unbekannten Au-toren wie Christoph Heinrich Schobeltoder dem Dresdener GarnisonspredigerJohann Traugott Müller zeigt, aber auchan Herder und Fichte, dem IndologenSchomerus, an Tillich, Hirsch, Benz undder gegenwärtigen Diskussion unter Ein-beziehung der apologetischen Bestreitun-gen von Reinkarnation im Kontext derAuseinandersetzung um die moderne Eso-terik. Die Lessing-Forschung lässt der Autor mitder Edition durch den Bruder Karl GotthelfLessing beginnen, der in zuvor unediertenFragmenten zeige, dass Lessing das ThemaSeelenwanderung nicht zufällig aufgewor-fen habe. „In den letzten Jahren seinesLebens war auch eine seiner Lieblingsideendie Seelenwanderung“ (150). Die neuereLessingforschung berühre das Thema See-lenwanderung, gehe jedoch nur selten ex-plizit auf diesen Komplex ein.Als Fazit formuliert Cyranka, dass deresoterische Diskurs mit einem ver-schwommenen Reinkarnationsbegriff anLessing herangeht, zwar gerne den Na-men benutzt, aber keine weitergehendeInterpretation seiner Texte anstrebt. Dietheologische und religionsgeschichtlicheLiteratur reagiert nach dem 2. Weltkriegauf Lessing in Steiners Interpretation undauf dem interreligiösen Hintergrund, teilsmit apologetischer Abgrenzung, teils „mit

einer gewissen pluralistischen Dialog-bereitschaft“ (190). Die Lessingforschungdagegen nimmt bis heute kaum wahr,dass Lessings Name „im westlichen Re-inkarnationsdiskurs eine herausragendeStellung hat“ (191) – wie auch ihre Ergeb-nisse seit dem Zweiten Weltkrieg keinenEingang in die theologischen Auseinan-dersetzungen um Reinkarnation gefundenhaben (193). Cyranka untersucht im zweiten Hauptteilvier Texte Lessings, die im Reinkarnations-diskurs zitiert werden: Briefäußerungenzu den philosophischen Aufsätzen KarlWilhelm Jerusalems, (207-252), doku-mentiert in Anhang 1 (469-473); dieSchrift „Die Erziehung des Menschen-geschlechts“ samt zusätzlicher Äußerun-gen Lessings (253-405), im Anhang 2beigegeben (475-492); Anmerkungen zuCampes „Philosophischen Gesprächen“(407-421); Notizen zu Bonnets „Palin-génésie philosophique im Zusatz zum„Fragment über die Sinne“ (423-455).Diese Texte prüft der Verfasser metho-disch: Er beginnt jeweils mit dem „exter-nen Kontext“, schließt Untersuchungenzum „internen Kontext“ an, um sichdanach dem Text selbst zuzuwenden. EineErgebnissicherung schließt jedes Kapitelab. Diese Untersuchungen enthalten vieleDetails und beabsichtigen, die weitge-hend unverbunden nebeneinanderstehen-den literaturwissenschaftlichen, theolo-giegeschichtlichen, historischen und phi-losophischen Diskurse zu verbinden. Cyranka ordnet die kurzen Sätze Lessingsin der Erziehungsschrift seinen zentralenAussagen über „positive Religionen“ zu –als Notwendigkeit in der Geschichte, „mitderen Hilfe ,einzig und allein’ der ,menschliche Verstand jedes Orts’ sichentwickeln könne“ (397f). In der Erzie-hungsschrift findet er einen „dreistufigenReligionsbegriff“, in dem „Offenbarungals Erziehung“ erfahrbar wird: Auf einen

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vorgeschichtlichen Ur-Monotheismusfolgt „die Geschichte der jüdisch-christ-lichen Offenbarung als Einführung derpositiven Religion“ und danach die„Zukunft des neuen, ewigen Evangeliumsals Ausblick auf vernünftige Religion“ –mit „vernünftiger Unsterblichkeitslehre“(362). Lessings Fragen nach der Seelen-wanderung sind „Thema der vernünftigenReligion“ (401), die als „geschichtlichesPhänomen“ beschrieben wird und „ver-nünftig begründet“ sein muss (405). In derAuseinandersetzung mit Bonnet hebtCyranka hervor, dass Lessing hier die See-lenwanderungshypothese als „psycho-physische Höherentwicklung“ (451ff) ver-steht, die keine Rückkehr auf die Erdemehr kennt. In dem kurzen III. Teil (457ff) fasst der Au-tor seine Ergebnisse zusammen: LessingsÄußerungen seien nicht systematisch aufeine bestimmte Konstruktion von Seelen-wanderung festzulegen. Er habe vielmehrauf unkonventionelle Art Theologiegetrieben und könne nicht für eine be-stimmte Form weltanschaulicher For-mulierung des Reinkarnationsdiskursesvereinnahmt werden. Seine Popularität indiesem Rahmen stamme von seinem„Fortschritts- bzw. Evolutionskonzept“, indas er seine Aussagen über die Zukunftdes Menschen nach dem Tod stelle. „Derunumkehrbare Fortschritt und die in derUnendlichkeitsvorstellung liegende Frei-heit für das Individuum sind dieGrundpfeiler aller … Konzepte, in denenLessings Name auftaucht“ (466). Damitwird Lessing zum Vordenker einesDiskurses über Reinkarnation, der auswestlicher Perspektive geführt wird, auchwenn er außerchristliche Traditioneneinbeziehen will: Er ist Teil „des west-lichen, vom Evolutions- und Fort-schrittsparadigma geprägten Denkens“.Cyranka legt ein Buch vor, das viele As-pekte der Diskussion um Lessings Stellung

im Reinkarnationsdiskurs erhellt und erst-mals systematisch den Kontext derskizzenhaften Aussagen einbezieht, ohneden Aufklärer zu vereinnahmen. Sowohlin der detaillierten Diskussion der Rezep-tion als auch in der Untersuchung derTexte werden Maßstäbe für die weitereBehandlung des Themas gesetzt. Dabei istder gute Stil des Autors hervorzuheben, esist ein Vergnügen, ihm bei seinen Erkun-dungen zu folgen. Es bleibt zu hoffen,dass der große Umfang des Buches keineLeser abschreckt!

Jan Badewien, Karlsruhe

Ursula Caberta, Schwarzbuch Sciento-logy, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh2007, 207 Seiten, 17,95 Euro.

Schwarzbücher gehören zur Gattung derEnthüllungsliteratur. Unmoralische, ille-gale oder gar kriminelle Machenschaftensollen enttarnt werden. Schwarzbücherwie die über den Kommunismus oder denSatanismus ziehen eine hohe Aufmerk-samkeit auf sich, weil sie auf Missständehinweisen, Fehlentwicklungen analysie-ren und meist auch Handlungsempfehlun-gen enthalten. An diese Tradition knüpftdas vorliegende Buch an. Seine Verfasserin ist die Leiterin der „Ar-beitsgruppe Scientology“ der HamburgerInnenbehörde, Ursula Caberta; ihre Auf-gabe besteht darin, die Öffentlichkeit überdie umstrittene Organisation zu informie-ren. War sie bisher vor allem durch kämp-ferische Reden öffentlich in Erscheinunggetreten, will sie nun mit ihrem Buch Fak-ten vorlegen, um die politische und ge-sellschaftliche Gefährlichkeit von Sciento-logy zu belegen. Der Erscheinungstermindes Buches lag günstig, war doch unterstarker medialer Beachtung wenige Mo-nate zuvor die neue „Scientology-Kirche“in Berlin eröffnet worden. Auch dass die

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Scientology-Organisation (vergeblich)versuchte, das Erscheinen juristisch zuverhindern, wusste der Verlag für Werbe-zwecke zu nutzen. An Scientology schei-den sich immer wieder die Geister, wasjüngst die kontroverse Debatte um dieStauffenberg-Rolle von Tom Cruise deut-lich gemacht hat. Bei der Buchvorstellung unterstrich UrsulaCaberta, dass nun genug Beweismaterialvorliege, um diese extremistische Grup-pierung bald verbieten zu können. Leiderwerden die auch von den Medien hoch-gepuschten Erwartungen nicht erfüllt,denn das Buch liefert wenig neue Fakten.Zudem ist der Schreibstil holperig, undzahllose grammatikalische und orthogra-phische Fehler trüben den Lesefluss. Beimanchen Zitaten fehlen die Quellenanga-ben, und eine innere Struktur lässt dasBuch gänzlich vermissen. Eher handelt essich um eine Ansammlung abschrecken-der Geschichten rund um das Sciento-logy-Thema. Wichtige und drängende Fra-gen wie etwa der Streit um den Status der„Scientology-Kirche“ als Religionsge-meinschaft werden nur oberflächlich ge-streift. Ohne Zweifel hat die Autorin durch ihre15-jährige Beschäftigung mit Scientologyvielfältige Erfahrungen mit der Organisa-tion und tiefe Einblicke in die verschie-densten Aktivitäten gewonnen. Diese Er-fahrungen haben sich in dem Buch nie-derschlagen: Namen von Tarnorganisatio-nen, verbreitete Anwerbestrategien, be-dauernswerte Geschichten von be-drückenden Kindheitserlebnissen in die-ser Gruppe, höchst aggressiver Umgangmit Kritikern und vieles mehr. Aber dashat man irgendwie alles schon einmal ge-lesen und gehört: die Irreführung mit demE-Meter im Auditing, die obskuren Thetan-Vorstellungen, die merkwürdigen Hub-bard’schen Lernvorstellungen, die Verein-nahmung von Prominenten, der Elite-Drill

auf Scientology-eigenen Schiffen.Schlimm genug, aber eben bekannt. Wasder jetzigen Diskussion gut tun würde,wäre kein Schwarzbuch, sondern einenüchtern-sachliche Zusammenstellung derFakten. Die in diesem Buch gegebenen Hinweisewerden vermutlich nicht ausreichen, dieVerfassungsfeindlichkeit der Organisationgerichtsfest zu belegen. Pauschale Aussa-gen wie „menschenverachtendes politi-sches System“ und „politischer Extremis-mus“, die im Schlussteil zu finden sind,reichen eben als Argumente nicht aus, umden für eine Demokratie zentralen Grund-satz der Meinungsfreiheit außer Kraft zusetzen. Die Autorin hat kein „kritischesSachbuch“ zum Thema vorgelegt, wie esder Klappentext weismachen will, son-dern viele erschütternde Schicksale undeigene Erfahrungen im Umgang mit einerskrupellos zielstrebigen ideologischenGruppierung beschrieben.

Michael Utsch

Frank-Rutger Hausmann, Hans Bender(1907-1991) und das „Institut für Psy-chologie und Klinische Psychologie“ ander Reichsuniversität Straßburg 1941-1944, Ergon Verlag, Würzburg 2006, 172Seiten, 29,00 Euro.

Hans Bender, einer der Väter der wissen-schaftlichen Parapsychologie, wäre 2007hundert Jahre alt geworden – Anlass fürdas Freiburger „Institut für Grenzgebieteder Psychologie und Psychohygiene“(IGPP), seinen „Pionier“ in einem Festaktzu würdigen. Auch der „Materialdienst“hat schon auf diesen runden Geburtstaghingewiesen (vgl. MD 4/2007, 153ff).In seiner Publikationsreihe „Grenzüber-schreitungen“ hat das IGPP eine Untersu-chung des Freiburger Romanisten Frank-Rutger Hausmann herausgebracht, die

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sich mit Benders Zeit an der „Reichsuni-versität“ Straßburg beschäftigt. Nach derBesetzung und faktischen Annexion desElsass durch das nationalsozialistischeDeutschland 1940 sollte die StraßburgerUniversität zu einem „Bollwerk des deut-schen Geistes“, sprich: des NS-Ungeistes,umfunktioniert werden und nicht wenigerals die „Entthronung der Sorbonne“ in Pa-ris bewerkstelligen (26) – kein Wunder,dass Hans Bender die Mitwirkung an die-sem Projekt einer „nationalsozialistischenMusteruniversität (...) im nachhinein pein-lich“ war (12). Dennoch, oder gerade des-halb, stellt sich die Frage, wie sich Benderin den vier Jahren seiner Elsässer Zeit ver-halten hat. Es ist das große Verdienst dieses Buchs,dass es – gestützt auf eine sehr intensiveAuswertung des Quellen- und Archivma-terials – zu einem ebenso fairen wie aus-gewogenen Urteil kommt, was BendersEinstellung zum Nationalsozialismus be-trifft, und dies auch über die Jahre inStraßburg hinaus: „Um seine eigene Kar-riere nicht zu gefährden, machte er demNS-Regime gegenüber gewisse Zuge-ständnisse wie SA- und Parteieintritt oderdie gelegentliche Erteilung personenbezo-gener Auskünfte und fachlicher Vorschlä-ge. Die politischen Gleichschaltungs-maßnahmen akzeptierte er kommentar-los, da sie ihn nur indirekt betrafen. In einer Mischung aus Naivität, Nichtwissen-wollen, und Opportunismus verhielt ersich nicht anders als der überwiegendeTeil seiner Kollegen, die sich ihrerseitsnicht von der Masse der deutschen Volks-genossen unterschieden“ (62). Insofern seiBender im Entnazifizierungsverfahren zuRecht als „Mitläufer“ eingestuft worden.In den letzten Jahren ist es etwas in Mode gekommen, ausgehend von Hein-rich Himmlers Begeisterung für allerleiObskurantismus, dem Nationalsozialis-mus einen okkultistischen Zug zu unter-

stellen. Frank-Rutger Hausmann kann nunaber gerade am Beispiel Benders zeigen,dass im polykratischen System des Natio-nalsozialismus mit seinen oft gegenläufi-gen Strömungen vor allem stark anti-ok-kultistische Tendenzen wirksam waren.Hans Bender bekam dies 1935 zu spüren,als ihm von der Parteipresse unterstelltwurde, er würde sich unter dem Deck-mantel der Wissenschaft okkultistisch be-tätigen. Möglicherweise hat diese Erfah-rung dazu beigetragen, dass sich Benderdem NS-Regime gegenüber nicht geradedurch großen Widerstandsgeist auszeich-nete, um es einmal so zu formulieren.So lässt denn auch Benders StraßburgerVorlesungstätigkeit wenig auf sein Inter-esse an parapsychologischen Phänome-nen schließen; ihnen widmete er sich,wenn überhaupt, dann nur „im Stillen“(84). Paranormale Phänomene hatten ineiner nationalsozialistischen Psychologie,die ausschließlich am „gesunden“ Men-schen interessiert war, keinen Platz. Aller-dings gelang es Bender mit Hilfe des el-sässischen Verlegers Friedrich Spieser, ein– wenn auch bescheiden ausgestattetes –„Grenzwissenschaftliches Institut“ aufzu-bauen. Diese private Einrichtung befasstesich u.a. mit der radiästhetischen Suchenach Erdöl, so dass man der grenzwissen-schaftlichen Betätigung wenigstens denAnstrich der „Kriegswichtigkeit“ gebenkonnte. Es gibt im Übrigen keine Hin-weise darauf, dass sich Bender an natio-nalsozialistischen Verbrechen, wie sieetwa die „Versuche“ mit Häftlingen desnahen KZ Natzweiler-Struthof darstellen,beteiligt hätte.So leistet Frank-Rutger Hausmannsäußerst gründliche und lesenswerte Aufar-beitung der Straßburger Jahre Hans Ben-ders einen sehr wichtigen Beitrag zumThema „Geschichte der deutschen Para-psychologie“. Es wird nichts beschönigtund nichts dramatisiert, sondern auf einer

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soliden wissenschaftlichen Basis differen-ziert argumentiert. Dass dem Buch eineCD-ROM mit interessanten Dokumentenbeigefügt ist, erhöht seinen Wert. Mankann daher dem IGPP zu diesem Werknur gratulieren.

Christian Ruch, Baden/Schweiz

Erich Follath, Das Vermächtnis des DalaiLama. Ein Gott zum Anfassen, CollectionRolf Heyne, München 2007, 320 Seiten,19,90 Euro.

Der Autor, ein Spiegel-Redakteur, hat seit20 Jahren Tibet, die buddhistischen Pilger-stätten in Indien und den Dalai Lamamehrfach besucht. Follaths Buch gehörtweder in die Kategorie Beweihräuche-rungsliteratur noch in die der Hasslitera-tur; es hebt sich wohltuend von der Masseder euphorischen bzw. stigmatisierendenTexte ab und wirft einen Blick kritischerSympathie auf den obersten Repräsentan-ten des tibetischen Buddhismus und seineEntourage. Die tragische Geschichte derTibeter, die immer mehr zu einer Minder-heit im eigenen Land werden, muss seit50 Jahren als gnadenloser Prozess der Si-nisierung beschrieben werden, dessenbrutaler Höhepunkt die Zerstörungswutder sog. revolutionären Garden war. Da inden Schulen nur noch chinesisch unter-richtet wird, beherrscht die junge Genera-tion nicht mehr die Sprache der Vorfah-ren. Das ist beabsichtigt und macht auchdie Verständigung mit Exiltibetern schwie-rig bis unmöglich. Der „kulturelle Geno-zid“ treibt mitunter seltsame Blüten. Zwarwird die Hauptstadt Lhasa, in der meis-tens bittere Kälte herrscht, zusehends ineine gesichtslose Betonwüste verschan-delt, aber um den Touristen südländischesFlair vorzugaukeln, haben die Chinesenbesonders robuste Palmen aufgestellt. Siesind aus Plastik und werden wie die

schrillen Karaoke-Bars nachts bunt ange-strahlt. In Dharamsala, dem „Little Lhasa“ ge-nannten indischen Exil des Dalai Lama,herrscht eine „spirituellere“ Atmosphäre.Hier tagt das demokratisch gewählte Exil-Parlament. Tibetische Flüchtlinge suchenund erhalten meist auch Unterstützungvom Büro des Dalai Lama. Westliche In-teressierte, Romantiker, Esoteriker, Althip-pies und Hollywood-Größen beschäftigensich mehr oder weniger ernsthaft mitbuddhistischen Praktiken und Lehrenbzw. mit dem, was sie darunter verstehen.Auf dem Jahrmarkt der religiösen Billigan-gebote wird jeder Wunsch erfüllt. Nichtselten muss der Dalai Lama als Projekti-onsfläche für Hoffungen und Träume her-halten. Er scheint mit den Erwartungen zuspielen, schlüpft in verschiedene Rollenund hinterlässt ein nach landläufigen Vor-stellungen widersprüchliches Bild. Einmalist er intellektueller Gesprächspartner,dann okkulter Zeremonienmeister, der einStaatsorakel befragt. Er übt den Spagatzwischen Dämonenglaube und Neuro-wissenschaft. Banalitäten folgen auf philo-sophischen Tiefsinn. Gegen den Wider-stand der eigenen rebellischen Jugendverteidigt er das Prinzip der Gewaltlosig-keit und obwohl er eine pazifistische Poli-tik vertritt, ist er in den Augen der chine-sischen Regierung ein gefährlicher Um-stürzler. Er schätzt seine Vorgänger imAmt, aber ironisiert zugleich das Modellder Tulkus, der bewusst reinkarniertenWürdenträger, zumindest was seine Per-son betrifft. Die Aufforderung zur Toleranzsteht in Kontrast zur dogmatischen Verur-teilung des Shugden Kults. Follaths Stärke ist die Aktualität der Be-richterstattung. Der Autor ermöglicht Ein-blicke in die real existierenden Verhält-nisse von „big and little Lhasa“ im Jahr2007 und schildert eine facettenreichePersönlichkeit, die sich nicht zuletzt

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durch Selbstkritik auszeichnet. So warsich der Dalai Lama nicht zu schade, dieAudienz und das Empfehlungsschreibenfür Shoko Asahara, den Gründer der terro-ristischen Aum Shinrikyo, nachträglich alsgroßen Fehler zu bezeichnen. Auch dieteilweise barbarischen Zustände im tibeti-schen Feudalsystem werden nicht bagatel-lisiert. Zugleich räumt Follath mit Vorur-teilen beispielsweise gegenüber dem um-strittenen Kalachakraritual auf und zeigtdie reflektierte Einstellung des Dalai Lamazu Themen wie Konversion, Divergenzensowie Konvergenzen zwischen Christen-tum und Buddhismus und die Zukunft destibetischen Tradierungssystems.Im kommentierten Literaturverzeichniswählt Follath anschauliche Bilder für diebizarren Tiraden der Trimondis: „WahreRenegaten joggen nicht, sie laufenAmok.“ Das Ehepaar Victor und VictoriaTrimondi hat vielfache Häutungen hintersich. Nach der Phase der Mao-Begeiste-rung rollten sie dem Dalai Lama den rotenTeppich aus, um ihm schließlich „weltex-klusiv“ eine buddhokratische Verschwö-rung zu unterstellen. Die Standardwerkeder eigentlichen Buddhismusforschungdarf man im Literaturverzeichnis nicht er-warten und man findet sie auch nicht. DieVerweise auf Hans Wolfgang Schumannreichen nicht aus. So fehlen in Bezug aufdie tibetische Variante des Buddhismusz. B.: Karl-Heinz Golzio / Pietro Bandini,Die vierzehn Wiedergeburten des DalaiLama, München 1997; Regina und Mi-chael von Brück, Die Welt des tibetischenBuddhismus, München 1996; Michaelvon Brück, Religion und Politik im Tibeti-schen Buddhismus, München 1999. Undnoch immer unerreicht: Perry Schmidt-Leukel, Den Löwen brüllen hören. ZurHermeneutik des christlichen Verständnis-ses der buddhistischen Heilsbotschaft, Pa-derborn 1992.

Harald Baer, Hamm

Dr. theol. Jan Badewien, geb. 1947, Pfarrer, Di-rektor der Ev. Akademie Baden und Landes-kirchlicher Beauftragter für Weltanschauungs-fragen, Karlsruhe.

Harald Baer, geb. 1949, Pädagoge und Diplom-Theologe, Referent für Sekten- und Weltan-schauungsfragen bei der KSA – Katholisch-Sozi-alethische Arbeitsstelle, Hamm.

Prof. Dr. theol. Ulrich Dehn, geb. 1954, Profes-sor für Missions-, Ökumene- und Religionswis-senschaften an der Universität Hamburg.

Dr. theol. Reinhard Hempelmann, geb. 1953,Pfarrer, Leiter der EZW, zuständig für Grund-satzfragen, Strömungen des säkularen und reli-giösen Zeitgeistes, pfingstlerische und charis-matische Gruppen.

Prof. em. D. Dr. theol. Wolf Krötke, geb.1938,em. Professor für Systematische Theologie derHumboldt-Universität zu Berlin.

Dr. theol. Matthias Pöhlmann, geb. 1963, Pfar-rer, EZW-Referent für Esoterik, Okkultismus,Spiritismus.

Dr. phil. Christian Ruch, geb. 1968, Historiker,Mitglied der Katholischen Arbeitsgruppe „Neuereligiöse Bewegungen“, Baden/Schweiz.

Dr. theol. João Carlos Schmidt, geb. 1967, Pfar-rer der evangelisch-lutherischen Kirche Brasili-ens, wohnt derzeit in Aalen (B.-W.).

Jeanette Schröter, geb. 1982, Studentin der Reli-gionswissenschaft und Germanistik an der Uni-versität Hannover, Praktikantin bei der Arbeits-stelle für Weltanschauungsfragen Hannover.

Dr. phil. Michael Utsch, geb. 1960, Psychologeund Psychotherapeut, EZW-Referent für reli-giöse Aspekte der Psychoszene, weltanschau-liche Strömungen in Naturwissenschaft undTechnik.

Dr. Dr. Franz Winter, geb. 1971, Forschungs-aufenthalte u.a. in Kyoto und Tokio; Doktorat inKlassischer Philologie und Religionswissen-schaft, Mitarbeiter der österreichischen Bundes-stelle für Sektenfragen, Wien.

AUTOREN

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Herausgegeben von der Evangelischen Zentralstellefür Weltanschauungsfragen (EZW), einer Einrichtungder Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD),im EKD Verlag Hannover.

Anschrift: Auguststraße 80, 10117 Berlin Telefon (0 30) 2 83 95-2 11, Fax (0 30) 2 83 95-2 12Internet: www.ezw-berlin.deE-Mail: [email protected]

Redaktion: Matthias Pöhlmann, Carmen Schäfer, Ulrike LiebauE-Mail: [email protected]

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Bezugspreis: jährlich € 30,– einschl. Zustellgebühr.Erscheint monatlich. Einzelnummer € 2,50 zuzügl.Bearbeitungsgebühr für Einzelversand. Abbestellungensind nur mit einer Frist von 6 Wochen zum Jahresendemöglich. – Alle Rechte vorbehalten.

Bei Abonnementwunsch, Adressenänderungen, Abbe-stellungen wenden Sie sich bitte an die EZW.

Druck: Maisch & Queck, Gerlingen/Stuttgart.

IMPRESSUM

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ST Zeitschrift fürReligions- undWeltanschauungsfragen

70. Jahrgang 10/07

ISSN

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Gottesrede inmitten von Gottesvergessenheit

Buddhas Wiedergeburt in JapanO- kawa Ryu-ho- und die „Wissenschaft vom Glück“

Verbot von Scientology?

Im Herzen des RosenkreuzesA.M.O.R.C.-Weltkonvent 2007 in Berlin

„Größter evangelistischer Kreuzzug“der Universalkirche vom Reich Gottes

Evangelische Zentralstellefür Weltanschauungsfragen

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