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www.friedensbildung-nrw.de 27 Unterrichtseinheiten „Entwicklung braucht Frieden“ 4. Einheit: (Süd-)Sudan 4. Einheit: (Süd-)Sudan Als sich nach langem Konflikt der Südsudan vom Sudan abgespalten hat, spielten sowohl die Religion (Islam vs. Christen- tum) als auch Bodenschätze (v.a. Öl) ein Rolle. Diese Einheit zielt auf das Verständnis des Verhältnisses zwischen Identität und Gewalt/Konflikt, d.h. dass nicht nur Entwaffnung, sondern auch Verständigung zu einer Lösung gehört. Ein Beispiel für diese Verständigungsarbeit stellt die transnationale Organisation Nonviolent Peaceforce (NP) mit einem Projekt der gewaltfreien Intervention in größerem Maßstab im Südsudan dar. Von deren Arbeit könnten nicht nur deutsche Friedensfachkräfte im Unterricht erzählen (Referentenpool Friedensbildung NRW), sondern es könnten auch weitere authentische, doch didaktisier- te Materialien wie eine Posterausstellung vorgestellt werden. Die Klasse bzw. der Kurs kann in der letzten Stunde diese und andere Materialien auf deren Website recherchieren, sich informieren und diskutieren, ob die Ausstellung ausgeliehen und aufgebaut werden soll. Die Stunde bzw. die Ausstellung zu Nonviolent Peaceforce verbindet die Einheiten zu (Süd-)Sudan und zu den Philippinen. Diese (Süd-)Sudan-Einheit bezieht sich vor allem auf das Fach Geschichte. Zeit Inhalt Methode Medium 1. Stunde: Sudan und Südsudan 5 Min. 15 Min. 5 Min. 20 Min. Einstieg: Was ist der jüngste Staat der Welt? Südsudan seit 2011 kurzer Abriss der Geschichte: Warum haben sich Su- dan und Südsudan gespalten? Zusammenfassung: Welche Konflikte wurden durch diese Spaltung gelöst, welche bleiben bestehen? Beziehung zwischen Südsudan, Sudan, Ägypten und Großbritannien; ethnische und religiöse Spannung; politische und ökonomische Ungerechtigkeit HA: Churchill und Sudan LehrerInnenimpuls – SchülerInnenreaktionen Präsentation Einzelarbeit Unterrichtsgespräch Einzelarbeit Tafel Film Mit offenen Karten – Südsudan – ein neuer Staat in Afrika (1/2) [youtube] Heft Tafel Arbeitsblatt Churchill 2. Stunde: Geschichte während der Kolonialisierung 5 Min. 10 Min. 30 Min. Churchill und Sudan: (ggf. lesen,) Fragen besprechen, Antworten sammeln. Was ist allgemeingültig, was ist zeitgebunden, was ist voreingenommen? Wie war die Beziehung zwischen Südsudan, Sudan, Ägypten und Großbritannien zu der Zeit? Kulturelle Spannung sowie deren Verstärkung durch Kolonialisierung als Ursachen des Konflikts Wer war Churchill? Militär, Politiker, Autor HA: Geschichte nach Unabhängigkeit Sudans (ggf. Einzelarbeit) Partnerarbeit Unterrichtsgespräch Arbeitsblatt Churchill SchülerInnennotizen aus voriger Stunde Arbeitsblatt Geschichte 3. Stunde: Geschichte nach der Unabhängigkeit Sudans 5 Min. 10 Min. 10 Min. 20 Min. Dekolonialisierung: Was tun die „Spieler“? Was geschieht anderen, wenn einer fällt? Was ist der „Ball“? Geschichte der Bürgerkriege: lesen, Fragen besprechen, Antworten sammeln. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Ursachen, Ver- lauf und Folgen beider Kriege. Unterrichtsgespräch Einzelarbeit Partnerarbeit Unterrichtsgespräch Karikatur Rugby Arbeitsblatt Geschichte Tafel

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Unterrichtseinheiten „Entwicklung braucht Frieden“ 4. Einheit: (Süd-)Sudan

4. Einheit: (Süd-)Sudan Als sich nach langem Konflikt der Südsudan vom Sudan abgespalten hat, spielten sowohl die Religion (Islam vs. Christen-

tum) als auch Bodenschätze (v.a. Öl) ein Rolle. Diese Einheit zielt auf das Verständnis des Verhältnisses zwischen Identität und Gewalt/Konflikt, d.h. dass nicht nur Entwaffnung, sondern auch Verständigung zu einer Lösung gehört. Ein Beispiel für diese Verständigungsarbeit stellt die transnationale Organisation Nonviolent Peaceforce (NP) mit einem Projekt der gewaltfreien Intervention in größerem Maßstab im Südsudan dar. Von deren Arbeit könnten nicht nur deutsche Friedensfachkräfte im Unterricht erzählen (Referentenpool Friedensbildung NRW), sondern es könnten auch weitere authentische, doch didaktisier-te Materialien wie eine Posterausstellung vorgestellt werden. Die Klasse bzw. der Kurs kann in der letzten Stunde diese und andere Materialien auf deren Website recherchieren, sich informieren und diskutieren, ob die Ausstellung ausgeliehen und aufgebaut werden soll. Die Stunde bzw. die Ausstellung zu Nonviolent Peaceforce verbindet die Einheiten zu (Süd-)Sudan und zu den Philippinen. Diese (Süd-)Sudan-Einheit bezieht sich vor allem auf das Fach Geschichte.

Zeit Inhalt Methode Medium1. Stunde: Sudan und Südsudan

5 Min.

15 Min.

5 Min.

20 Min.

Einstieg: Was ist der jüngste Staat der Welt?Südsudan seit 2011kurzer Abriss der Geschichte: Warum haben sich Su-dan und Südsudan gespalten?

Zusammenfassung: Welche Konflikte wurden durch diese Spaltung gelöst, welche bleiben bestehen?Beziehung zwischen Südsudan, Sudan, Ägypten und Großbritannien; ethnische und religiöse Spannung; politische und ökonomische Ungerechtigkeit HA: Churchill und Sudan

LehrerInnenimpuls – SchülerInnenreaktionenPräsentation

Einzelarbeit

Unterrichtsgespräch

Einzelarbeit

Tafel

Film Mit offenen Karten – Südsudan – ein neuer Staat in Afrika (1/2) [youtube]Heft

Tafel

Arbeitsblatt Churchill2. Stunde: Geschichte während der Kolonialisierung

5 Min.10 Min.30 Min.

Churchill und Sudan: (ggf. lesen,)Fragen besprechen,Antworten sammeln.Was ist allgemeingültig, was ist zeitgebunden, was ist voreingenommen?Wie war die Beziehung zwischen Südsudan, Sudan, Ägypten und Großbritannien zu der Zeit? Kulturelle Spannung sowie deren Verstärkung durch Kolonialisierung als Ursachen des KonfliktsWer war Churchill? Militär, Politiker, AutorHA: Geschichte nach Unabhängigkeit Sudans

(ggf. Einzelarbeit)PartnerarbeitUnterrichtsgespräch

Arbeitsblatt ChurchillSchülerInnennotizen aus voriger Stunde

Arbeitsblatt Geschichte3. Stunde: Geschichte nach der Unabhängigkeit Sudans

5 Min.

10 Min.10 Min.20 Min.

Dekolonialisierung:Was tun die „Spieler“?Was geschieht anderen, wenn einer fällt? Was ist der „Ball“?Geschichte der Bürgerkriege: lesen,Fragen besprechen,Antworten sammeln.Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Ursachen, Ver-lauf und Folgen beider Kriege.

Unterrichtsgespräch

EinzelarbeitPartnerarbeitUnterrichtsgespräch

Karikatur Rugby

Arbeitsblatt Geschichte

Tafel

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4. Einheit: (Süd-)Sudan Unterrichtseinheiten „Entwicklung braucht Frieden“

4. Stunde: Unabhängigkeit Südsudans5 Min.

5 Min.10 Min.15 Min.

10 Min.

Bedeutung der Volksabstimmung zur Unabhängigkeit für Südsudanesen?Schwierigkeiten der Spaltung und Unabhängigkeit sowie Lösungsversuche:UN-Peacekeeping-Missionen: lesen,Fragen besprechen,Antworten sammeln.Haltung von Deutschen zu Lösungsversuchen:Militärische oder politische Interventionen aus anderen Staaten hängen von deren ökonomischen Interessen ab?Nur militärische oder politische Interventionen durch andere Staaten sind effektiv?Militärische Interventionen in anderen Staaten sind nicht effektiv?Staaten mit vielen verschiedenen Kulturen sind nicht effektiv?

LehrerInnenimpuls

EinzelarbeitPartnerarbeitUnterrichtsgespräch

„Barometer“

Foto Volksabstimmung

Arbeitsblatt UN-Mission

Tafel

5. Stunde5 Min.

25 min.

15 Min.

Unbewaffnete zivile Peacekeeping-Mission:Nicht nur Staat, sondern auch Gesellschaft?Nonviolent Peaceforce!Grundsätze, Ziele, Mittel, Einsätze, Partner...

LehrerInnenimpuls

Gruppenarbeit

Unterrichtsgespräch

Recherche: Websitesnonviolent-peaceforce. de bzw. .org; Flyer, Bro-schüre, Ausstellung usw.Präsentation von Ausstel-lung in Schule?

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Winston Churchill: Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi

Winston Churchill

Winston Churchill (geboren 1874, gestorben 1965) war einer der bedeutendsten britischen Staatsmänner des 20. Jahr-hunderts. Bevor er Großbritannien als Premierminister durch den 2.Weltkrieg führte und im Anschluss für seine Dienste als „Verteidiger von höchsten menschlichen Werten“ vielfach ausgezeichnet wurde, galt der intellektuelle Autor als politischer Wechselspieler, der seine Ansichten und seine Partei mehrfach wechselte. Der in militärischen Eliteinternaten ausgebildete Soldat Churchill meldete sich freiwillig für die Besetzung des heutigen Sudan/Südsudan und schrieb ein Buch über die Koloni-alisierung des Sudans, die Gründe und den Verlauf des damaligen Sudan-Krieges sowie seine Erfahrungen währenddessen.

Heute ist das Buch „Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi“ (1889) weniger als Geschichtswerk, sondern mehr wegen sei-ner teilweisen Differenzierung von islamischer und kolonialistischer Politik, doch auch wegen seiner teilweisen Dämonisierung des Islams interessant.

Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi

Die Sudanesen zählen viele Stämme, aber klar zu unterscheiden sind zwei Hauptrassen: eingeborene Ureinwohner und die arabischen Siedler. Die Einheimischen sind Neger so schwarz wie Kohle. Es sind kräftige, mannhafte Wilde von einfachem Gemüt, und sie leben, wie wir uns prähistorische Menschen vorstellen: Sie jagen, bekämpfen sich untereinander, heiraten und sterben, ohne über ihr leibliches Wohl hinauszudenken und ohne eine höhere Macht zu fürchten außer den Geistern der Hexerei und des Ahnenkults, wie sie für Menschen auf niedriger Entwicklungsstufe charakteristisch sind. Sie lassen die Tugenden von Barbaren erkennen, sie sind mutig und aufrichtig. Ihre unzivilisierten Gewohnheiten werden mit ihrer beschei-denen Intelligenz entschuldigt, ihre Ignoranz bürgt für ihre Unschuld. Doch ihre Lobpreisung muß knapp ausfallen, denn obschon ihr Brauchtum, ihre Sprache und ihre äußerliche Erscheinung mit jedem Distrikt und Unterbezirk wechseln, ist doch die Geschichte aller ein Legendengewirr aus Zwietracht und Elend, sind sie alle ihrer Natur nach liederlich und grausam und in ihrem Umgang gleichermaßen von Mangel und Vernachlässigung geprägt.(..)

Dieses beigemischte Element (gemeint: arabische Siedler) verbreitete sich und verbreitet sich weiter im ganzen Sudan wie Wasser in einem trockenen Schwamm. Die Urbevölkerung nahm diesen Zuzug, den sie nicht zurückdrängen konnte, auf. Die stärkere Rasse zwang den Negern ihr Brauchtum und ihre Sprache auf. (..) In den nördlichen Distrikten, wo die ursprünglichen Einwanderer siedelten (..) sind die Araber des Sudan als eigene Rasse hervorgegangen. In entfernteren und schwerer zugäng-lichen Gebieten im Süden und Westen haben die arabischen Einflüsse die Negerrasse noch unverändert gelassen. (..) Die do-minierende Rasse der arabischen Eindringlinge sorgte unter der Urbevölkerung unaufhaltsam für die Ausbreitung ihres Blutes und Brauchtums, ihrer Religion und Sprache, während sie jene zugleich ausplünderte und versklavte.

Quelle: Churchill, Winston (2008) Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi, Die Andere Bibliothek, S. 45ff.

Fragen:

Diskutieren Sie das Bild der Araber und Afrikaner! Was ist allgemeingültig, was zeitgebunden, was voreingenommen?

Wie war die Beziehung zwischen Südsudan, Sudan, Ägypten und Großbritannien zu der Zeit? Gab es Parallelen zwischen dem Verhalten der Briten und dem Verhalten der Araber?

Wer war Churchill? Wie ist seine Rolle einzuschätzen?

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Geschichte nach der Unabhängigkeit des Sudan

Der erste Bürgerkrieg und die schwierige Unabhängigkeit 1956 bis 1983

Als am 1.Januar 1956 der Sudan offiziell in die Unabhängigkeit entlassen wurde, war der neue Staat bereits mit schwer-wiegenden Problemen belastet, die noch aus der Kolonialzeit stammten und für die folgenden Jahrzehnte die Entwicklung des Landes bestimmen sollten. In der Zeit des Britisch-Ägyptischen Kondominiums [gemeinsame Herrschaft] war der Sudan in zwei Teile gespalten. Während Ägypten und Großbritannien den arabisch geprägten Norden gemeinsam verwalteten, entstand im Süden eine rein britische Kolonialverwaltung. Diese Trennung angesichts unklarer ethnischer, religiöser und sprachlicher Grenzen sollte in den Jahren nach der Unabhängigkeit das Zusammenwachsen eines sudanesischen Gesamtstaates nachhaltig behindern.

Der Beginn der arabischen Dominanz: Die erste Republik

Die Entwicklung der beiden Landesteile war in den 20er- und 30er-Jahren des 20.Jahrhunderts sehr gegensätzlich verlau-fen. Auf wirtschaftlichem Gebiet sorgte der Baumwollanbau im Norden für bescheidenen Wohlstand. Basierend auf guten Bildungsmöglichkeiten etablierte sich eine Bürger- und Beamtenschicht, die zunehmend politischen Beteiligung einforder-te. Hinzu kamen islamische Sekten, die aufgrund ihres großen Zulaufs schnell auch politischen Einfluss erlangten. Aus den beiden bedeutendsten Gruppen, den Ansar und den Khatmiyya, gingen schließlich mit der Umma und der National Unionist Party (NUP) jene Parteien hervor, die jahrzehntelang das politische Leben im Sudan prägen sollten. Obwohl sie in zahlreichen Punkten unterschiedliche Auffassungen vertraten, stand doch für beide Gruppierungen fest, dass der gesamte Sudan nur als islamisch geprägter arabischer Staat existieren könne.

Grundlegend anders sah die Situation im Süden des Sudan aus. Die drei Südprovinzen waren 1956 weder politisch oder gesellschaftlich noch wirtschaftlich auf die Unabhängigkeit vorbereitet. Nachdem ein flächendeckendes Schulsystem fehlte, mangelte es hier an einer ausreichenden Bildungsschicht. Hinzu kam, dass der Süden wirtschaftlich weit schlechter gestellt war als der Norden. Aus diesem Grund befürchteten die Südsudanesen innerhalb eines gemeinsamen Staates eine dauerhafte Benachteiligung durch den arabischen Norden, falls der Süden nicht vorher durch den Ausbau des Schulsystems und entspre-chende Wirtschaftshilfe gefördert würde. (…) Ab 1954 übernahmen sudanesische Beamte schrittweise die Verwaltung. Aus den Wahlen gingen erwartungsgemäß die großen nordsudanesischen Parteien NUP und Umma als Sieger hervor. (...) Unter Ministerpräsident al-Azhari (NUP) bildete sich ein erhebliches Missverhältnis bei der Besetzung wichtiger Verwaltungsämter. Nur acht der über 800 höheren Posten gingen an Männer aus den Südprovinzen. Für viele Südsudanesen waren die Beamten aus dem Norden nichts weiter als neue Kolonialherren, die versuchten, den Süden zu „arabisieren“. Die weiterhin katastro-phale wirtschaftliche Situation, das Ausbleiben spürbarer Verbesserungen aus dem Bildungssektor verbunden mit der Angst vor einer nachhaltigen Bevormundung durch den Norden sorgten bereits im Sommer 1955 – also noch vor der Unabhän-gigkeit – für Unruhen im Süden. Zum offenen Aufstand eskalierte die Lage durch die Meuterei südsudanesischer Soldaten in Torit. Diese hatten sich geweigert, gegen nordsudanesische Truppen ausgetauscht zu werden. Der aufgestaute Hass auf die „Araber“ entlud sich in den drauf folgenden Tagen, wobei mehr als 250 Nordsudanesen ums Leben kamen. Der massive Ein-satz der Armee und mangelnde Organisation auf Seiten der Aufständischen ließen den Widerstand rasch zusammenbrechen.

Die Regierung in Khartum wertete die Ereignisse als Beweis dafür, dass die Bevölkerung im Südan die Integration in einen einheitlichen Sudan ablehnte. Die Behörden verhängten fast 250 Todesurteile besonders gegen Christen und Intellektuelle, was viele Südsudanesen zur Flucht ins nahe Ausland bewegte. Weder südsudanesische Politiker in Khartum noch die Kolonial-herren in London und Kairo reagierten auf diese Entwicklung im Süd-Sudan, die als der Beginn des folgenden jahrzehntelan-gen Bürgerkriegs anzusehen ist.

Das Nord-Süd Dilemma bildete jedoch bei Weitem nicht das einzige Problem. Aufgrund seiner Abhängigkeit vom Baum-wollexport und des Verfalls des Weltmarktpreises dieses Produkts stürzte der Sudan in eine schwere Wirtschaftskrise, die Massenarmut und Hunger auch im Norden mit sich brachte. Die Regierung Khalil war nicht in der Lage, die Situation in den Griff zu bekommen und übergab im Oktober 1958 die Regierungsmacht praktisch widerstandslos an einen Militärrat unter Führung von General Ibrahim Abboud.

Die Eskalation des Nord-Süd-Konflikts

Die Machtübernahme Abbouds, der das Parlament auflöste und alle Parteien verbot, bedeutete zunächst das Ende aller Versuche, durch politische Verhandlungen eine Lösung der Nord-Süd-Frage zu erreichen. Abboud verfolgte vielmehr den Plan, einerseits den Süden durch verstärkten Druck gefügig zu machen und gleichzeitig durch Investitionen die Infrastruktur der Südprovinzen zu verbessern, um so eine der Ursachen für den Widerstand gegen die Regierung zu beseitigen. Während diese Bemühungen jedoch kaum wahrgenommen wurden, empfanden die Menschen im Süden die Umwandlung von Missions- in islamische Schulen und die Einführung des Freitags als alleiniger Ruhetag als weitere Schritte der Zwangsislamisierung und Arabisierung. Christen flohen zu Tausenden über die Grenze nach Äthiopien und Uganda. Gleichzeitig organisierte sich der bewaffnete Widerstand gegen die Regierung. (...) Angesichts der kompromisslosen Regierungspolitik schlossen sich ab 1963 mehrere Widerstandsgruppen zusammen und nahmen unter dem Namen Anya Nya den Kampf gegen das Regime in Khar-

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tum auf.

Von einer straff organisierten und einheitlich geführten Untergrundarmee konnte freilich auch weiterhin nicht die Rede sein. Trotzdem errangen die Anya Nya-Kämpfer in der Folge einige Erfolge und destabilisierten zusehends den Süden. Die Regierung reagierte daraufhin mit dem rücksichtslosen Einsatz der Armee. Es kam zu Massakern an der südsudanesischen Zivilbevölkerung, denen Tausende Menschen zum Opfer fielen (...) Trotz aller militärischen und finanziellen Anstrengungen gelang es General Abboud nicht, den Aufstand im Süden zu beenden. Seine Wirtschaftspolitik zur Sanierung des Staatshaus-haltes war gescheitert. (...) Massive Bürger- und Studenproteste im Herbst 1964 läuteten schließlich das Ende des Abbout-Re-gimes und die Wiederherstellung einer demokratischen Ordnung ein. (...)

Mit der Machtübernahme der alteingesessenen, islamisch dominierten Parteien Umma und NUP war die Chance auf einen grundlegenden Wandel in Khartum vertan. Die neue Regierung schlug den gleichen Weg gegenüber dem Süden ein wie seinerzeit das Abbout-Regime: Islamisierung des Südens, Ablehnung der Selbstverwaltung und brutale Bekämpfung der Anya Nya.

[Nach innerparteilichen Auseinandersetzungen zwischen Umma und NUP scheiterte auch die Zweite Republik, die von einem Militärrat unter General Dschafar Mohammed al-Numeiri abgelöst wurde. Ein Großteil der Bevölkerung im Süden und Norden begrüßte den erfolgreichen Putschversuch des Militärs, der 1972 nach 17 Jahren Bürgerkrieg und mithilfe außenpo-litischer Finanzspritzen, wieder Bereitschaft zu Verhandlungen zwischen den verfeindeten Regionen mit sich brachte. Zuge-ständnisse zu Autonomierechten, eine selbstständige südsudanesische Regierung und Verwaltung, sowie ein Waffenstillstand hatten eine Normalisierung der Verhältnisse bis 1983 zur Folge. In der Verteilung der finanziellen und materiellen Ressourcen war der Süden jedoch weiterhin von der Zentralregierung in Khartum abhängig, sodass sich die wirtschaftliche Lage der Bevöl-kerung kaum verbesserte.

Numeiri schließlich kehrte 1983 zu den radikalen Forderungen einer Islamisierung des gesamten Sudans zurück und schränkte massiv den Einfluss der Regionalregierung ein. Ein zentraler Hauptgrund für den Ausbruch des 2.Bürgerkriegs war die Entdeckung von Erdölvorkommen im Süden, den die Regierung in Khartum ausschließlich für sich selbst nutzen wollte.]

[Der zweite Bürgerkrieg]

Die Last des zweiten Bürgerkriegs trugen nicht die schwer greifbaren Milizen, die den Regierungstruppen immer wieder herbe Verluste beibrachten, sondern die Zivilbevölkerung. (...) Es kennzeichnet die Auseinandersetzungen seit 1983, dass alle beteiligten Gruppen unter angeblich „feindlichen“ Sudanesen wüteten – und dies zunächst weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit. Der zweite Bürgerkrieg begann mit Angriffen von Stammesmilizen auf Garnisonen und Stützpunkte der Regierung im Süden. Präsident Numeiri entsandte Truppen in das Krisengebiet, um dort Einheiten von zweifelhafter Loyalität abzulösen. Zwischen den einrückenden Soldaten und örtlichen Verbänden flammten Kämpfe auf. Meuternde Armeesoldaten flohen in unzugängliche und unkontrollierbare Regionen, um sich ihrer Verlegung in den Norden zu entziehen. Sie legten den Grundstein für die nicht-arabische und nicht-muslimische Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA), die sich unter ihrem Anführer John Garang die Vertreibung der Regierung in Khartum zum Ziel machte und die Autonomie des Südens anstrebte. Ihre Milizen, der militärische Arm der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee, bekämpften in den folgenden 22 Jahren wech-selnde Regierungen in Khartum. (...) Bis zum Friedensabkommen von Naivasha, wo am 9.Januar 2005 der Nord- und Süd-Sudan eine friedliche Lösung des Konflikts vereinbarten, gingen (...) die Kämpfe weiter, begleitet von Gräueltaten auf allen Seiten, umfangreiche Flüchtlingsbewegungen und unermesslichem Leid für die betroffenen Zivilisten.

Quelle: Chiari, Bernhard (Hg.) (2008) Sudan - Wegweiser zur Geschichte, Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh; Seite 39-49, 51f.

Aufgaben:

Was sind die Ursachen der Bürgerkriege?

Was sind die Folgen der Bürgerkriege?

Hätten Nord- und Süd-Sudan den ersten Bürgerkrieg besser beenden können?

Wurden Nord- und Süd-Sudan im zweiten Bürgerkrieg international unterstützt? Warum?

Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Ursachen, Verlauf und Folgen beider Bürgerkriege?

Der Herausgeber ist Mitarbeiter des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Warum gibt wohl ein Mitarbeiter der Bundeswehr ein Buch über die Geschichte des Sudan heraus?

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Unterrichtseinheiten „Entwicklung braucht Frieden“ 4. Einheit: (Süd-)Sudan

UN-Missionen

Nachdem fast 40 Jahre Bürgerkrieg im Sudan herrschte, galt es eine friedliche Lösung zwischen den verfeindeten Grup-pen zu finden. 2005 schlossen die Regierung des Sudan und die südsudanesische Sudan People‘s Liberation Movement/Army (SPLM/A) das sogenannte Comprehensive Peace Agreement (CPA) zwischen Nord- und Südsudan, das die Forderungen der SPLM/A nach einer südsudanesischen Regionalregierung, Macht- und Reichtumsteilhabe und einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Südsudan nach sechs Jahren beinhaltete. Die Vereinten Nationen (United Nations - UN) entsendeten insgesamt vier Friedensmissionen in den Sudan, um die Region zu stabilisieren – nachfolgend werden Ihnen drei vorgestellt. Mithilfe eines Berichts der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) kann nachvollzogen werden, welche Schwierigkeiten bei der Friedenssicherung auftraten und immer noch auftreten:

UNMIS

Überwacht wurde die Umsetzung der Bestimmungen des CPA vertragsgemäß von der Friedensmission UNMIS (United Na-tions Mission in Sudan, 2005-2011), der einzigen von vier Friedensmissionen im Sudan, die bisher beendet wurde. UNMIS war insofern erfolgreich, als es im Zeitraum ihrer Überwachung nicht zu einem erneuten anhaltenden Kriegsausbruch zwischen Nord- und Südsudan kam. Außerdem hat UNMIS die Volksabstimmung im Südsudan im Januar 2011 über eine Abspaltung erfolgreich organisiert und logistisch unterstützt. Dennoch gelang ihr weder der Schutz der Zivilbevölkerung vor Angriffen von bewaffneten Gruppen innerhalb des Südsudan noch die Unterstützung des Aufbaus des südsudanesischen Staates in ausrei-chendem Maße. Der Staat reicht bei weitem nicht in alle ländlichen Regionen des südsudanesischen Territoriums hinein und ist nicht in der Lage, die Bevölkerung mit grundlegenden Leistungen zu versorgen.

UNISFA

Die UNIFSA (United Nations Interim Security Force for Abyei) wurde im Juni 2011 in umkämpfte Grenzgebiete zwischen Nord- und Südsudan entsandt und soll dort mit ausschließlich äthiopischen Soldaten die Gewalteskalation und Vertreibung der Zivilbevölkerung eindämmen und die Grenzregion Abyei entmilitarisieren. UNIFSA hat eine Schutzverantwortung für die im Grenzgebiet lebenden Menschen und dort tätigen humanitären Hilfsorganisationen. Seit der Unabhängigkeit des Südsu-dan haben die Spannungen im Grenzgebiet allerdings weiter zugenommen.

UNMISS

Die UNMISS (United Nations Mission in the Republic of South Sudan) wurde nach der Unabhängigkeit des Südsudan im Juli 2011 eingerichtet, baut auf der Infrastruktur von UNMIS auf und soll[te] ein Jahr lang bestehen, um Frieden und Sicherheit zu festigen und die Grundlagen für Entwicklung zu schaffen. UNMISS zielt wie zuvor UNMIS auf die Stabilisierung des Staates, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Südsudan ab und soll dadurch Sicherheit für die Staatengemeinschaft und die Region herbeiführen.

Schwierige Bedingungen für die UN-Missionen

Der überwiegende Teil der Gesellschaft sowohl im Südsudan als auch in der Republik Sudan ist misstrauisch gegenüber dem Staat. Dies liegt an der Geschichte des Sudan, in der Machthaber die Volksgruppen immer wieder gegeneinander ausge-spielt, in die eigenen Taschen gewirtschaftet und einflussreiche Posten mit Günstlingen oder mit ehemaligen Gegnern zwecks deren Ruhigstellung besetzt haben. Die anhaltende entwicklungspolitische Vernachlässigung ländlicher Regionen in beiden Ländern trägt ebenfalls nicht dazu bei, Vertrauen in Staat und Regierung zu erhöhen. Wegen der starken Bevölkerungsbe-wegungen, schlecht funktionierenden Sicherheitskräften und der leichten Zugänglichkeit von Kleinwaffen entzünden sich im Südsudan heftige Spannungen an Land-, Wasser- und anderen Ressourcenkonflikten und entladen sich in tödlicher Gewalt. Dazu kommt eine neu entfachte Form patriarchalischer Unterdrückung mit tiefen Trennlinien zwischen Geschlechtern und Generationen. Bewaffnete Machtkämpfe zwischen Milizenführern und der SPLA bilden weitere Bedrohungen der Sicherheit.

In der Republik Sudan endeten die sechs Jahre der Machtteilung mit neu aufgeflammten Gewaltkonflikten in den Regi-onen, die während des Bürgerkrieges unter SPLM/A-Kontrolle gewesen waren. Diese regionalen [...] Widerstandsgruppen [...] kämpfen zunehmend gegen die Regierung unter Präsident Omar el-Bashir, gegen den der Internationale Strafgerichtshof wegen seiner Verantwortung für die getöteten Zivilist/innen in Darfur einen Haftbefehl verhängt hat. Solange bewaffnete Wi-derstandsgruppen Bürgerkrieg als Lösung und Regimewechsel als Ziel ansehen, ist es fraglich, ob UN-Friedensmissionen wirk-sam tätig werden können. Sie können unter Umständen dazu beitragen, ein sichereres Umfeld zu schaffen und den Raum für politische Lösungen zu öffnen. Im Fall von UNAMID ist dies nicht geschehen. UNMIS war dagegen ein Beispiel dafür, dass erst politische Verhandlungen die Grundlage für eine von beiden Konfliktparteien anerkannte Friedensmission legen konnten.“

Quelle: http://sicherheitspolitik.bpb.de/index.php?page=friedensmissionen-im-sudan-und-suedsudan

Aufgaben:

Beschreiben Sie die Hauptaufgabe(n) der jeweiligen Missionen! Bewerten Sie die Missionen!

Haben sich bestimmte Staaten an den Missionen besonders beteiligt? Haben diese bestimmte Ziele?

Sollten bestimmte Staaten intervenieren oder nicht? Sollte nur die UN intervenieren? Wie könnte besser interveniert werden?

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