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Fragen der Hidschra (Auswanderung) Auszüge aus: „Die Regelung bezüglich des Verbleibens in den Ländern der Kuffar (Nichtmuslime) und die Ausrufung der Pflicht diesbezüglich in manchen Situationen.“ 1 Von Scheich ‘Abdul-‘Aziz ibn Muhammad ibn As-Siddiq Al- Hasani Al-Ghumaari 2 Von Scheich Abdullah bin Hamid Ali Übersetzt von H. Citlak www.ahlu-sunnah.de 1 Hukm al-iqaamati fi bilaad al-kuffaar wa bayaan wudschubihaa fi ba’d al-ahwaal, Mataabi‘ al-Bughaaz (‘Imaarah Venezuela Avenue Holland, Tangiers, Morocco). Zweite Publikation: 1416/1996. 2 Möge Allah zufrieden sein mit ihm! Einer der letzten großen Hadithgelehrten.

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Fragen der Hidschra

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Fragen der Hidschra (Auswanderung)

Auszüge aus:

„Die Regelung bezüglich des Verbleibens in den Ländern der

Kuffar (Nichtmuslime) und die Ausrufung der Pflicht

diesbezüglich in manchen Situationen.“ 1

Von Scheich ‘Abdul-‘Aziz ibn Muhammad ibn As-Siddiq Al-

Hasani Al-Ghumaari2

Von Scheich Abdullah bin Hamid Ali

Übersetzt von H. Citlak

www.ahlu-sunnah.de

1 Hukm al-iqaamati fi bilaad al-kuffaar wa bayaan wudschubihaa fi ba’d al-ahwaal, Mataabi‘ al-Bughaaz (‘Imaarah Venezuela – Avenue Holland, Tangiers, Morocco). Zweite Publikation: 1416/1996. 2 Möge Allah zufrieden sein mit ihm! Einer der letzten großen Hadithgelehrten.

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Teil I Ist die Auswanderung (Hidschra) aus

den nicht-muslimischen Ländern

Pflicht?

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cheich ‘Abdul-‘Aziz rahimahullahu ta’ala sagt:

Imam Ahmad überliefert mit einer authentischen Kette durch Muschaadschi‘ ibn

Mas’ud, dass er dem Propheten sallallahu ‘alayhi wa sallam - möge Allah ihn segnen

und Frieden schenken, einen seiner Neffen brachte, damit dieser ihm sein

Versprechen bezüglich der Auswanderung (Hidschra) gibt. Darauf sagte der

Gesandte Allahs sallallahu ‘alayhi wa sallam: „Nein! Gib es (dein Versprechen) dem Islam.

Denn wahrlich, es gibt keine Hidschra nach der Eroberung. Aber er wird unter denen

sein, welche ihnen (den Auswanderern) im Guten (in guten Taten) folgen.“

‘Aischa radiyallahu ‘anha erläuterte dies durch ihre Aussage:

„Es gibt heute keine Hidschra mehr. Die Gläubigen flohen mit

ihrer Din (Religion) zu Allah, dem Erhabenen, und zu seinem

Gesandten, aus Angst, (ihrer Religion) wegen verfolgt zu

werden. Heute aber hat Allah, der Erhabene, den Islam

manifestiert und die Gläubigen beten ihren Herrn an, wo auch

immer sie möchten.“3

Die Gelehrten sagen:

„Sie weist darauf hin, dass der Grund für die Hidschra die

Angst vor Verfolgung wegen der Religion (Din) ist (khauf al-

fitnah). Wenn man aber fähig ist, Allah, den Erhabenen, an

jedem Ort anzubeten, so ist sie (die Hidschra) nicht mehr

notwendig.“

Auch sagten einige der Imame:

„Wenn man fähig ist die Religion in einem Land der

Nichtmuslime offen zu praktizieren, so wird dieses Land

dadurch zu einem Sitz des Islam (dar al-islam). So ist das

Bewohnen (dieser Länder) besser, als sie zu verlassen, da man

sich erhofft, dass dadurch andere in den Islam eintreten.

Vielmehr wäre es gewichtiger, dort zu bleiben, statt

auszuwandern, wegen dem darin enthaltenen Nutzen für den

Islam und die Muslime.“

Dies hat zwei Gründe:

Der erste Grund: Es besteht die Hoffnung, dass durch die öffentliche Ausübung

des Islam die Nichtmuslime den Islam annehmen. Dies ist eines der größten Ziele

3 Bukhari, Kitab Manaaqib al-Ansaar.

S

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(Maqaasid) in der Schari’a4 und das Wichtigste, was aufrichtige Arbeiter tun können,

welche ihrer Religion treu sind.

Der zweite Grund: Durch die Möglichkeit, den Islam öffentlich zu praktizieren und

zur Einheit Gottes aufzurufen, ohne Angst vor Schikane, wird das Land ein

Wohnsitz des Islam für ihn und andere Muslime.5

Wenn man also auswanderte, so würde das Land zu einem Land des Krieges (Dar al-Harb).

Aus diesem Grund haben die Rechtsgelehrten (Fuqaha) gesagt:

„Es obliegt dem Muslim in dieser Situation, dort zu bleiben

und nicht auszuwandern.“

Der gebildetste Scheich der Schafi‘is6 in seiner Zeit, Ibn Hadschar al-Haythami rahimahullah,

sagt in Al-Fatawa al-Hadithiyya, 204, in der Antwort bezüglich einer Frage über den

Hadith, welcher besagt:

„Ich (der Prophet sallallahu ‘alayhi wa sallam) bin frei

(unschuldig) von jedem Muslim, der zwischen den

Muschrikin7 lebt.“

Darauf kommentiert er rahimahullah:

„Wenn du also sagst, dass die Aussage der Fuqaha – es ist

erlaubt, unter ihnen zu leben, solange man in Sicherheit ist –

diesem Hadith widerspricht, so würde ich antworten: Es

widerspricht dem nicht, denn sie legten fest, dass er in

Sicherheit ist, während er seine Religion offen zeigt. Wenn

man dort in Sicherheit ist, so ist in dem Leben zwischen ihnen

(den Nichtmuslimen) ein Nutzen für die Muslime, welcher

den Nachteil seiner Abwesenheit von ihnen überwiegt. So

erlaubten sie es für solche, damit der Ort, von dem er

auswandern würde, nicht zu einem Land des Krieges wird.

Vielmehr ist es verpflichtend, dass er in diesem Fall dort

bleibt.“

So hat er also ausdrücklich verkündet, dass, wenn man vor Verfolgung/Zwietracht (Fitnah)

wegen seiner Religion sicher ist, und gleichzeitig offen das Wort des Tawhid (die Einheit

Gottes) verkünden und die Riten des Islam ausrufen kann, so ist es verpflichtend, dort zu

verweilen, damit dieser Ort nicht zum Land des Krieges durch die Auswanderung wird.

4 Wortwörtlich: ‚Weg zur ‚Wasserstelle‘‘; In Bezug auf Islam sind damit alle Lehren, die Allah offenbart hat, gemeint. Es ist auch der klare Weg der Rechtsschulen. Gemeint ist auch der Weg zu Allahs Ge- und Verbote. Die Schari‘a ist ein Oberbegriff, der alle Zweige des Islam umfasst. 5 Diese Aussage stammt von dem großen Schafi’i-Gelehrten des 5. Jahrhunderts, Imam Abu al-Hasan al-Maawardi (450 n.H – nach Hidschra). Siehe auch Fath al-Bari (Kommentar zur Sahih al-Bukhari) und Imam Nawawis Kommentar zu seiner „40 Hadith-Sammlung“. 6 Eine der vier Rechtschulen im Islam. Benannt nach Imam Muhammad ibn Idris asch-Schafi’i (radiyallahu ‘anh) 7 Alle, die Allah ta’ala etwas beigesellen.

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Dies ist klar und offensichtlich für diejenigen, welche über die Beweistexte (Nusus)

nachsinnen und die Kommentare der Imame bezüglich dieser Thematik kennen.

Dies ist, weil die Ahadith8, welche es bezüglich des Lebens in den Ländern der

Nichtmuslime gibt, so interpretiert werden, dass sie dann gelten, wenn man nicht die

Religion ausleben kann, Verfolgung fürchtet, sich wegen der Religion seines Lebens und

Besitzes nicht sicher ist.

Wenn der Muslim aber in der Lage ist, die Riten zu praktizieren, öffentlich die Einheit

Gottes (Tawhid) auszurufen, den Gebetsruf (Adhan) zum Gebet auszurufen, zu fasten und

andere Dinge zu tun, dann gibt es absolut (mutlaqan) nichts, dass dagegen spricht, dass er in

den Ländern der Nichtmuslime verweilt.9 Es gibt auch keinen Einwand (Haradsch) dagegen,

dass er in ihnen wegen eines Zieles verweilt, sei es Handel, Studium (qiraa’ah) oder Arbeit.

Niemand hat von einem Verbot gesprochen. Der Beweis hierfür ist, dass Allahs Gesandter

(sallallahu ‘alayhi wa sallam) denjenigen, welche zu ihm als Gläubige kamen, nicht befahl, die

Länder des Unglaubens (Dar al-Kufr) zu verlassen und in die Länder des Islam

auszuwandern, nachdem die Muslime sich niedergelassen und ihre Stärke zugenommen

hatte, sie fest verankert und vor Verfolgung aufgrund ihrer Religion sicher waren.

Tabarani rahimahullah überliefert mit einer guten (hasan) Überlieferungskette durch Hasan

ibn Saalih ibn Baschir ibn Fudaik, dass er sagte:

„Fudaik ging hinaus zu Allahs Gesandtem sallallahu ‘alayhi wa

sallam und sagte: „Oh Allahs Gesandter! Wahrlich, sie

behaupten, wer auch immer nicht auswandert, sei zerstört.“

So antwortete Allahs Gesandter sallallahu ‘alayhi wa sallam:

„Verrichte das Gebet, gebe Zakah

(Pflichtabgabe/Almosen), verlasse die Ungerechtigkeit

und lebe in dem Land deiner Leute, wo auch immer du

willst.“

Ahmad, Bazzaar und Tabarani berichten – und die Überlieferungskette von Ahmad ist gut

(hasan) – durch ‘Abdullah ibn ‘Amr, dass er sagte:

„Ein ernster und verwegener Nomade kam und sagte: ‚Oh

Allahs Gesandter! Wohin ist die Auswanderung? Zu dir, wo

auch immer du bist? In ein bestimmtes Land? Zu bestimmten

Leuten? Oder ist es so, dass sie endet, wenn man stirbt?‘ Er

(‘Abdullah) sagte: ‚Der Gesandte Allahs (sallallahu ‘alayhi wa

sallam) wurde still und sagte: ‚Wo ist der eine, welcher

bezüglich der Hidschra fragt?‘ Er antwortete: „Hier bin

ich, oh Gesandter Allahs!‘ Er (der Prophet) sagte: ‚Wenn du

8 Plural von Hadith – Überlieferungen vom Propheten (sallallahu ‘alayhi wa sallam) 9 Man beachte, wie Scheich ‘Abdul-‘Aziz hier erwähnt, was es bedeutet, die Religion öffentlich zu praktizieren. Wie er die Anwendung des islamischen Strafrechts – die Strafen werden Huduud genannt – nicht dazu zählt. Dies ist, weil die Anwendung der Huduud eine der Regeln ist, welche allein auf den Schultern des islamischen Staates ruht (al-Ahkaam as-Sultaaniyyah) und nicht auf dem einfachen Volk. Dies wird zu einem späteren Zeitpunkt noch näher behandelt, inschallah.

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das Gebet verrichtest und die Zakah zahlst, dann bist du

ein Auswanderer, selbst wenn du in Al-Hadrami stirbst.‘

Er (‘Abdullah) sagte: ‚Er meint ein Land in Yamaamah

(Jemen).‘“ 10

Und in einer der Überlieferungen heißt es:

„Hidschra bedeutet für dich das Unterlassen der

Unanständigkeiten (Fawaahisch), die, welche offensichtlich sind

und die, welche versteckt sind, das Gebet zu verrichten und

die Zakah zu zahlen. Dann bist du ein Auswanderer

(Muhadschir).“

Dies ist deutlich (nass) bezüglich dessen, was ich angenommen habe und wozu ich neige.

Genauso verhält es sich mit dem Hadith davor.

Es ist bekannt, dass Yamaamah in der Zeit des Gesandten Allahs sallallahu ‘alayhi wa sallam

ein Land des Unglaubens (Dar al-Kufr) war, da es bis zum Kalifat Abu Bakrs radiyallahu ‘anh

nicht erobert wurde.

Nach diesen klaren Zeichen ist es also nicht angemessen, noch weiter zu zweifeln, dumm

danach zu frönen, sinnlos zu sprechen und weitere Spekulationen bezüglich dieser

Thematik zu starten.

Ähnlich erlaubte Allahs Gesandter sallallahu ‘alayhi wa sallam es einer Gruppe von Leuten

auch, dass sie nach ihrem Eintritt in den Islam in Mekka verblieben, noch vor dessen

Eroberung. Unter ihnen war al-‘Abbas, sein Onkel, radiyallahu ‘anh, da sie keine Verfolgung

(Fitnah) fürchteten und geschützt davor waren, dass ihnen etwas angetan wird.

Darin liegt ein klarer Beweis für die „Nicht-Pflicht“ der Auswanderung aus den Ländern

des Unglaubens und des „Nicht-Verbots“ für das Verbleiben in ihnen, wenn die Muslime

sicher davor sind, aufgrund ihrer Religion verfolgt zu werden.

Imam Nasir as-Sunnah Muhammad ibn Idris asch-Schafi’i radiyallahu ‘anh sagt in Al-Umm

(4/84) in seinen Kommentaren bezüglich der Pflicht der Hidschra für diejenigen, welche sie

aushalten können:

„Sie ist lediglich für den, welcher wegen seiner Religion

verfolgt wird in dem Land, indem er den Islam annahm, denn

der Gesandte Allahs (sallallahu ‘alayhi wa sallam) erlaubte

einigen Leuten das Verweilen in Mekka, nachdem sie den

Islam angenommen hatten: Al-‘Abbas ibn ‘Abd al-Muttalib

und anderen – dies war, weil sie keine Verfolgung fürchteten.

Und er (der Prophet) ordnete seinen Soldaten an, denjenigen,

die den Islam annahmen, zu sagen: „Wenn ihr auswandert,

habt ihr, was die Auswanderer haben. Und wenn ihr dort

10 Dieser Hadith klärt darüber auf, dass die Bedeutung des offenen Praktizierens der Religion in einem Nicht-muslimischen Land nichts mit der Fähigkeit zu tun hat, die islamischen Strafen für Unzucht, Ehebruch, Diebstahl etc. durchzusetzen.

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verbleibt, dann seid ihr wie Nomaden.“ Und der Prophet

sallallahu ‘alayhi wa sallam erlaubt ihnen nur darin eine Wahl,

was für sie erlaubt ist.“

Schawkani überliefert in Nail al-Awtar 8/29 durch Abu Bakr ibn Al-‘Arabi Al-Maliki, dass

er sagte:

„Hidschra: Es ist das Verlassen des Haus des Krieges (Dar al-

Harb) in das Haus des Islams (Dar al-Islam). Es ereignete sich

zur Zeit des Propheten sallallahu ‘alayhi wa sallam und ging

weiter nach ihm für jeden, der Verfolgung fürchtete. Was ein

Ende gefunden hat, ist, dass man sich dorthin begibt, wo auch

immer er (der Prophet) wäre.“

Bayhaqi stellte aus diesem Grund in seinem Sunan ein extra Kapitel zusammen. Er nannte

es:

„Kapitel über die Erlaubnis im Land der Vielgötterei (Dar

asch-Schirk) zu verbleiben, wenn man keine Verfolgung

fürchtet.“

Darin erwähnt er Ahadith, welche darauf deuten, wofür er das Kapitel erdacht hat.

Ähnlich tat es auch Hafiz Al-Haythami mit einem Kapitel in Madschma‘ Az-Zawaaid für die

Ahadith, welche wir zusammen mit folgender Aussage erwähnten:

„Bezüglich dem, der die Religion verrichtet, wo auch immer er

ist.“

Er erstellte auch ein Kapitel dafür in einem anderen Themengebiet mit der Aussage:

„Bezüglich dem, der nicht ausgewandert ist und die Religion

und die Schari’a verrichtet.“

Hafiz Abu Bakr Al-Hazimi sagte sogar ausdrücklich, dass die Pflicht der Hidschra aus dem

Land des Unglaubens völlig aufgehoben ist, und dass die Hidschra nur zu Beginn des Islam

verpflichtend war, gemäß dem, worauf die Ahadith deuten. Daraufhin wurde es empfohlen

und nicht verpflichtend. [Entnommen aus den Seiten 11-15]

Andere Zitate (und Meinungen) von Gelehrten

Ibn Hazm sagt in Al-Muhallaa 12/124:

„Und die Aussage des Gesandten Allahs sallallahu ‘alayhi wa

sallam - „Ich (der Prophet sallallahu ‘alayhi wa sallam) bin frei

(unschuldig) von jedem Muslim, welcher zwischen den

Muschrikin lebt.“- erklärt, was wir bereits sagten, und zwar,

dass er sallallahu ‘alayhi wa sallam damit lediglich die Länder des

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Krieges meinte. Ansonsten (sehen wir nämlich), dass er seine

Stadthalter über Khaibar ernannte, während all seine

Bewohner Juden waren.

Und wenn ein Muslim unter denen ist, welche unter dem

Schutz (des Islam) stehen (Ahl Adh-Dhimma), und sich in ihren

Städten befindet, während keine anderen (Glaubensgruppen)

sich mit ihnen vermischen, um dort zu regieren (imaaratin

‘alaihim) oder um dort Geschäfte mit ihnen zu machen, so

wird er nicht als Ungläubiger oder Sünder bezeichnet.

Vielmehr ist er ein guter Muslim und das Land ist ein Land

des Islam und kein Land des Schirk. Denn das Land wird dem

zugeschrieben, der Macht darüber hat, es regiert und

kontrolliert.“

Und er sagt weiterhin auf S. 125:

„Bezüglich dem, der in die Länder des Krieges flieht, wegen

irgendwelcher Unterdrückung, die er fürchtet, solange er

keinen Krieg gegen die Muslime führt, ihnen (den

Nichtmuslimen) nicht gegen sie (die Muslime) hilft und keinen

unter den Muslimen findet, der ihm Zuflucht gewährt, so

spricht nichts gegen dieses Individuum, denn er steht unter

Bedrängnis und Zwang.“

Ibn Taymiyya sagt in seinem Fataawa 28/204 bezüglich der notwendigen Auswanderung:

„Und in diesem Kapitel ist die Auswanderung aus dem Land

des Unglaubens und der Sünde in das Land des Islam und des

Glaubens. Denn wahrlich, es ist die Auswanderung von dem

Ort des Verbleibens zwischen den Ungläubigen und

Heuchlern, welche ihm nicht die Möglichkeit einräumen, das

zu tun, was Allah ta’ala (erhaben ist Er) ihm

befohlen/auferlegt hat.“

Hafiz As-Suhaili radiyallahu ‘anh sagt in Raud al-Anf, während er über die Auswanderung

nach Abessinien und die Unterhaltung zwischen Nadschaaschi, Dscha’far ibn Abi Talib

und seinen Gefährten spricht:

„Und unter den rechtlichen Aspekten (Fiqh), welche es

beinhaltet, sind: Aus dem Heimatland zu gehen, selbst wenn

es sich um Mekka mit all seinen Vorzügen handelt, wenn die

Flucht wegen der Religion ist. Selbst wenn die Flucht nicht in

ein Land des Islam stattfindet.

Denn wahrlich, die Abessinier waren Christen, welche den

Messias anbeteten. Sie sagten nicht, dass er „der Diener

Allahs“ ist. Dies geht deutlich aus dem Hadith hervor…

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Sie gingen fort von Allahs gesegnetem Haus, in ein Land des

Unglaubens. Aber ihr Handeln geschah aus Bedacht auf ihre

Religion und aus der Hoffnung heraus, mit ihrer Anbetung

Allahs in Ruhe gelassen zu werden, während sie Ihm in

Sicherheit und Gelassenheit gedenken.

Diese Regelung besteht weiterhin, wann auch immer das Böse

in einem Land Oberhand gewinnt und der Gläubige wegen

der Wahrheit belästigt wird, und er sieht, dass die Falschheit

die Wahrheit übermannt und sich erhofft, dass er in einem

anderen Land in Ruhe gelassen wird mit seiner Religion und

offen die Anbetung seines Herrn praktizieren kann, so ist die

Auswanderung verpflichtend für den Gläubigen. Dies ist die

Hidschra, welche nicht endet bis zum Tag der

Wiederauferstehung. Und Allahs ist der Osten und der

Westen. Wo auch immer man sich hinwendet, dort ist Allahs

Antlitz.“

Ibn Hadschar Al-Asqalani sagt in seinem Fath al-Bari (6/115) als Kommentar zu der

Aussage des Propheten sallallahu ‘alayhi wa sallam:

„Es gibt keine Hidschra nach der Eroberung.“

„Dies ist die Eroberung Mekkas. Oder aber es hat eine

allgemeine Bedeutung, so dass die gleiche Regel, wie die für

Mekka, auch für andere Orte gilt. So ist die Hidschra nicht

verpflichtend aus einem Land, welches die Muslime erobert

haben. Vor der Eroberung eines Landes befinden sich die

Muslime darin in einem von drei Zuständen:

Erstens: Für denjenigen, welcher fähig ist, auszuwandern, aber

nicht fähig, seine Religion offen zu zeigen und seine Pflichten

zu erfüllen, ist die Hidschra verpflichtend.

Zweitens: Für denjenigen, welcher fähig ist, auszuwandern,

aber auch fähig, seine Religion offen zu zeigen und seine

Pflichten zu erfüllen, ist sie (die Auswanderung) empfohlen,

um die Zahl der Muslime zu erhöhen und ihnen im Dschihad

gegen die Nichtmuslime zu helfen, um vor ihrem Verrat

(Ghadr) sicher zu sein und um Erleichterung davor zu

erlangen, Unanständigkeiten von ihnen zu sehen.

Drittens: Demjenigen, welcher nicht fähig ist, (Hidschra zu

machen), wegen einer Entschuldigung, wie z.B.

Gefangenschaft, Krankheit usw., ist es gestattet, zu bleiben,

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aber wenn er sich die Schwere der Auswanderung auferlegt, so

wird er belohnt.“11

Eine ähnliche Einteilung findet man in den Aussagen Ibn Qudamahs in seinem Al-Mughni

(10/514).

11 Ibn Hadschar sagt bezüglich des Hadith: - „Ich (der Prophet sallallahu ‘alayhi wa sallam) bin frei (unschuldig) von

jedem Muslim, welcher zwischen den Muschrikin lebt.“ - „Dies wird so verstanden, dass es sich auf die bezieht, die ihre

Religion nicht frei ausüben können.“

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Teil II Ist ein Abkommen (Sulh) mit der

nicht-muslimischen Regierung

notwendig, bevor ein Muslim in

ihren Ländern verbleiben kann?

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Bevor wir uns mit der Thematik dieses Teiles befassen, sollten wir Folgendes beachten, um

den richtigen Kontext der Erläuterung von Scheich ‘Abdul-‘Aziz zu verstehen:

Er sagt auf Seite 22 seiner Abhandlung:

„Und die Gefährten radiyallahu ‘anhum – möge Allah mit ihnen

zufrieden sein, pflegten als Beweis für die Erlaubnis einer Sache,

die sie taten, die Tatsache anzuführen, dass der Qur’an

offenbart wurde, dies aber nicht verbot – wie es bei der

Angelegenheit des Coitus interruptus (al-‘Azl) geschah, dass

Dschabir (radiyallahu ‘anh) als Beweis für die Erlaubnis dessen

dergleichen, was wir eben erwähnten, hervorbrachte.

So ist die erste Stelle, an der Allah subhanahu wa ta’ala – gepriesen

sei Er, der Erhabene, die Thematik des Abkommens erwähnt,

ohne es in irgendeiner Weise zu verbieten oder zu rügen,

Seine Aussage in Surat al-Dschumu’ah:

„Doch wenn sie eine Handelsware oder ein Spiel sehen,

dann brechen sie sogleich dazu auf und lassen dich (im

Gebet) stehen.“ [62:11]

Bezüglich des Offenbarungsgrundes dieses Verses ist

Folgendes von Dschabir ibn ‘Abdillah in Bukhari und Muslim

überliefert:

„Während wir zusammen mit dem Propheten sallallahu ‘alayhi

wa sallam beteten, traf eine Karawane, beladen mit Essen, aus

Schaam (Damaskus) ein. So richteten sie (die beim Gebet

Anwesenden) ihre Aufmerksamkeit darauf, bis mit dem

Propheten sallallahu ‘alayhi wa sallam nicht mehr als 12 Mann

verblieben. Daraufhin wurde dieser (besagte) Vers

offenbart.““

Dann sagt der Scheich auf derselben Seite und der darauffolgenden:

„Es ist bekannt, dass Schaam zur Zeit des Gesandten Allahs

sallallahu ‘alayhi wa sallam ein Land des Unglaubens war.

Dennoch verbot er es den Gefährten nicht, dorthin zu fahren,

um Handel zu betreiben und verurteilte sie nicht deswegen,

wie es der Brauch des Qur’an ist. Denn wahrlich, niemals

erwähnt er eine Angelegenheit, welche verboten gehört, ohne

sie ausführlich zu erklären, wie es hier der Fall ist. Denn er

behandelte nicht die Thematik der Reise nach Schaam für

Handel, sondern lediglich den Tadel bezüglich ihres

Verlassens des Gesandten Allahs sallallahu ‘alayhi wa sallam zur

Zeit der Dschumu’ah Khutba (Freitagspredigt), und nicht

mehr.

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Wenn also das Reisen in das Land des Unglaubens verboten

gewesen wäre und dem Muslim nicht gestattet, so hätte Er

(Allah) ta’ala es bei dieser Gelegenheit (qissah) erklärt, da es

nicht passiert, dass die Erklärung einer Regel hinausgezögert

wird zu der Zeit, wo sie benötigt wird…“

Der Sachverhalt des Abkommens (Sulh)

Auf Seite 40 und 41 sagt der Scheich Folgendes:

„Und vielleicht wird man sagen, dass die Erlaubnis der

Gelehrten, in die Länder der Nichtmuslime eizutreten, auf

einer Bedingung basiert. Diese soll sein, dass es für die

Muslime einen Pakt der Sicherheit (Amaan) mit ihnen (den

Nichtmuslimen) gibt oder einen Vertrag (Mu’aahadah), so dass

derjenige, der unter ihnen lebt, sicher vor Misshandlungen ist.

Und wo gibt es diese (Abkommen) heute?

Die Antwort ist: Das Eintreten in die Länder der

Nichtmuslime mit dieser Bedingung einzuschränken, ist nicht

kritiklos (Fihi ma fihi).

Wenn aber die Gefährten in der Zeit des Gesandten Allahs

sallallahu ‘alayhi wa sallam nach Schaam gingen, um zu handeln

und Güter zurück nach Medina zu bringen, taten sie dies,

ohne dass es eine Übereinkunft (‘Ahd), einen Pakt der

Sicherheit (Amaan) oder Vertrag (Mu’aahadah) zwischen Allahs

Gesandtem sallallahu ‘alayhi wa sallam und den Römern in

Schaam gab. Dies deutet darauf hin, dass alles, was verlangt

wird, um in ihre (der Nichtmuslime) Länder einzutreten, die

Sicherheit (in der Praktizierung) der Religion, des Lebens und

des Besitzes ist, selbst wenn dies nicht auf einer Übereinkunft

oder einem Pakt basiert.

Dies ist es auch, was sein sallallahu ‘alayhi wa sallam Befehl an

die Gefährten, nach Abessinien auszuwandern, andeutet, denn

bei diesem Herrscher (Malik) wurde niemandem Unrecht

angetan. So sah also Allahs Gesandter sallallahu ‘alayhi wa

sallam diese Tatsache bezüglich Nadschaaschi12 als ausreichend

an (um Sicherheit für die Gefährten anzunehmen).

Ähnlich verhält es sich mit dem bereits Erwähnten von Abu

‘Ubaid in Kitab al-Amwaal. Es deutet darauf, dass diese

Bedingung nicht beachtet wird, da ‘Umar die vollen

Farmsteuern (‘Uschr)13 von denen nahm, welche sich aktiv im

12 Der Titel des Herrschers von Abessinien war „Nadschaschi“ 13 Die Steuer auf die Erzeugnisse von Farmen war 10%. Aus diesem Grund wird sie „Al-‘Uschr“ genannt – Das Zehntel.

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Krieg befanden (Ahl al-Harb), da sie das Gleiche taten, wenn

die Muslime in ihr Land kamen.

Das Gleiche gilt bezüglich dessen, was Abu ‘Ubaid durch

Ziyad ibn Hudair überliefert, nämlich, dass sie die

Farmsteuern von den Leuten des Krieges (Ahl al-Harb)

nahmen, so wie sie auch uns Verachtung entgegen brachten

(Yu’affiruunanaa), wenn wir zu ihnen kamen. Gemeint ist, dass

sie mit den Kaufleuten der Muslime tückisch (muraaghamah)

umgingen und der Umgang allgemein nicht von Begeisterung

gekennzeichnet war (laa mudschaamalah).

Daraus resultierend lässt sich sagen, dass diese Bedingung,

welche die Fuqaha stellten, keine Grundlage hat. Es ist

vielmehr ein Verlassen der passenderen Analogie (Istihsaan)14

und nicht mehr. Aber selbst wenn man die Meinung nimmt,

dass es notwendig ist, so existiert solch eine Übereinkunft

heute.

Denn wahrlich, alle islamischen Länder sind mit den

Europäern und Amerikanern durch Verträge verbunden,

durch welche die Einwanderer vor Misshandlungen,

Unterdrückung und dem Entzug ihrer Rechte geschützt sind.

Dies ist allgemein bekannt und bedarf keiner weiteren

Erklärung.

Es ist also nicht möglich, jemanden aufgrund dieser Sache

davon abzuhalten, in den Ländern der Nichtmuslime zu

verweilen, es ist nicht gestattet, diese Meinung zu haben und

keiner nutzt es als Beweis für seine Rechtsmeinung (Fatwa)

bezüglich Untersagung (Man‘) und Verbot (Tahrim), außer

dem, der nicht gut prüft und nicht sehr bewandert ist in der

Untersuchung der Meinungen der Rechtsgelehrten.“

14 Istihsaan ist ein Mittel des Idschtihad. Die sprachliche Bedeutung ist „etwas als gut erachten“. Die fachspezifische Defintion ist: „Sich von einer als angemessen angesehenen Analogie (Qiyas Dschali) zu einer weniger passenden Analogie (Qiyas Khafi) abwenden oder sich von einer allgemeinen Regel (Hukm Kulli) zu einer außergewöhnlichen Regel (Hukm Istithnaai) abwenden, aus einem bestimmten Interesse (Maslahah) heraus, welches dieses Abwenden notwendig macht.“ Im obigen Fall wäre die als angemessen angesehene Analogie die, dass man nicht die Bedingung stellt, dass ein Pakt der Sicherheit zwischen den Muslimen und Nichtmuslimen bestehen muss, da der Prophet (sallallahu ‘alayhi wa sallam) dies nie von jemandem verlangte, da die Atmosphäre in den nicht-muslimischen Ländern, in welchem zu seiner Zeit Muslime lebten, nicht feindlich war. Die weniger passende Analogie in diesem Fall wäre es, auf einen Pakt der Sicherheit zu bestehen. Das Interesse der Sicherheit der Person, Religion und des Besitzes war es, was die Juristen dazu veranlasste, sich von der angemesseneren Analogie abzuwenden an Orten, wo die Atmosphäre gegen die Muslime feindlich war, wie z.B. in Andalusien (ehemals von Muslimen erobertes Gebiet Spaniens) nachdem die Ungläubigen die Muslime vertrieben und die Kontrolle über das Land wiedergewonnen hatten. Ein Muslim könnte sich dort nur aufhalten, wenn die herrschenden Mächte dort für die Muslime die Sicherheit gewährleisten würden, ihre Religion nach den Bedingungen der Regel nach Istihsaan zu praktizieren. Diejenigen, die auf diesen Istihsan bestehen, um darauf zu beharren, dass ein Pakt existieren muss, sei gesagt, es gibt keinen ‘Idschma (Konsens) unter den Rechtstheoretikern (Usuliyun), dass Istihsaan ein legitimes Mittel ist. Dies also von jedem Muslim zu verlangen, unabhängig von seiner Rechtsschule oder den Umständen in der Welt heute, wäre nicht gerecht.

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Teil III Ist ein Sultan oder Kalif notwendig,

um die in Islam festgesetzten

Strafen (Huduud) zu vollziehen?

Und umfasst „fähig sein, die Religion

offen auszuleben“ in den

nichtmuslimischen Ländern auch

die praktische Ausübung des

Strafrechts?

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Zitate von Gelehrten

Imam an-Nasafi rahimahullah sagt in seinem ‘Aqaid:

„Die Muslime müssen einen Imam (d.h. Kalif) haben, um

Rechtsurteile anzuwenden und das Strafrecht durchzusetzen,

ihre Grenzen (Thuguur) zu sichern, die Streitkräfte

vorzubereiten, die (Pflicht)-Almosen (Sadaqaat) einzunehmen,

die Rebellen (Mutaghalibah), Diebe (Mutalassisah) und Banditen

(Quttaa At-Tariiq) zu verdrängen, das Freitagsgebet (Dschuma‘)

und die Festtagsgebete (‘Ayaad) durchzuführen, die

Streitigkeiten zwischen den Dienern (Allahs) zu lösen, die

Zeugnisse bezüglich der Rechte der Menschen anzuerkennen,

um die jungen Männer und Frauen ohne

Erziehungsberechtigte (Wali) verheiraten zu können, die

Beute zu teilen und wegen anderer Dinge als diese.“

Imam Taftazani rahimahullah sagt in seinem Scharh al-‘Aqaid (dem Buch Nasafis), das

Kalifat kommentierend:

„Es gehört zu den Angelegenheiten, welche der normale

Bürger dieser Ummah (Gemeinschaft der Muslime) nicht auf

sich nimmt. Wenn also gesagt wird, warum es nicht

ausreichend sei, jemanden zu haben, der die Macht in der

Region besitzt und worauf die Pflicht basiert, jemanden zu

bestimmen, der die alleinige Oberaufsicht (Ar-Riaasat al-

‘aammah) hat, so sagen wir: Weil es zu Streitigkeiten und

Auseinandersetzungen führt, welche wiederum in Unordnung,

sowohl in religiöser wie auch weltlicher Hinsicht münden, wie

wir es in unserer heutigen Zeit beobachten können.“

Er sagt auch:

„Wenn gesagt wird, dass es ausreichend sei, jemanden zu

haben, der die Macht (Schaukah) und alleinige Herrschaft

besitzt, sei es ein Imam oder etwas anderes, denn sicherlich

erreicht man auch so die Regelung der Sicherheit, wie es

schon zur Zeit der Türken war, so sagen wir: Wahrlich! Man

erreicht eine gewisse Ordnung in den weltlichen (Dunya)

Angelegenheiten, aber die Angelegenheiten der Religion,

welche wichtiger sind und die große Stütze des Staates, wären

gestört.

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Scheich Nuh ‘Ali Sulaimaan Al-Qudaat15 sagt in seinem Scharh (Kommentar) von

Dschawharat at-Tawhid:

„Es ist bekannt, dass der noble Qur’an und die prophetische

Sunnah Urteile und Regeln enthalten, welche die gesamte

Gesellschaft betreffen und keiner ist fähig, sie durchzusetzen,

außer die herrschende Autorität (Daulah). Dies sind

Rechtsbeschlüsse (qadaa) auf den verschiedensten Gebieten,

wie Vergeltung (Qisaas), bestimmte Bestrafungen (Huduud),

Verträge, der Schutz der Religion und der Gesellschaft durch

Dschihad, Erfüllung des gesellschaftlichen Rechts, Verbreitung

des Islam in allen Regionen der Welt und andere

Bestimmungen, welche das Individuum allein nicht fähig ist,

durchzuführen.

Allahs Gesandter sallallahu ‘alayhi wa sallam etablierte den

islamischen Staat mit seiner Auswanderung nach Medina, der

Erleuchteten (Stadt). Deswegen ist die Auswanderung der

Beginn der islamischen Geschichte, da es der Beginn der

Etablierung des islamischen Staates ist. Allahs Gesandter

sallallahu ‘alayhi wa sallam war der Führer des islamischen

Staates, der Redner der Freitagspredigt, der Richter bei

Streitigkeiten, der Kommandant im Krieg usw., und er konnte

dies nicht vor der Auswanderung und Gründung des

islamischen Staates tun. So war also die Gründung des

islamischen Staates notwendig (Daruuri), damit die islamischen

Urteile, welche Allah für die Menschen bestimmt hat,

angewandt werden konnten. Allah subhanahu wa ta’ala sagt:

‚Und wer nicht nach dem richtet, was Allah

herabgesandt hat - das sind die Ungläubigen‘16 [5:44]

Nach dem Dahinscheiden des Propheten sallallahu ‘alayhi wa

sallam beeilten sich die Gefährten, einen Führer für den

islamischen Staat zu bestimmen. Sie waren sogar durch diese

Sache von der Angelegenheit der Vorbereitung des Propheten

sallallahu ‘alayhi wa sallam und seiner Beerdigung abgelenkt,

trotz ihrer leidenschaftlichen Liebe für ihn, weil sie durch den

Propheten sallallahu ‘alayhi wa sallam verstanden hatten, dass

diese Angelegenheit nicht hinausgezögert werden darf.

Dadurch haben die Leute der Sunnah ihren Beweis für die

Pflicht der Ernennung eines Führers für die Muslime erhalten,

welcher ein Vertreter des Propheten sallallahu ‘alayhi wa sallam

15 Er ist der ehemalige Oberste Richter und Mufti der jordanischen Streitkräfte und ein Doktor in der Schari’ah (Islamisches Gesetz). 16

Siehe hierzu die Artikel im Bereich ‘Aqidah von Ibn Qayyim, Tafsir von Qurtubi und Ibn Kathir.

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in der alleinigen Herrschaft der religiösen und weltlichen

Angelegenheiten ist. Sie nannten ihn Kalif des Gesandten

Allahs, Amir al-Mu’minin (Führer der Gläubigen) und Imam

der Muslime (Imam al-Muslimin). All dies sind Namen für

einen Bevollmächtigten. Er ist der Führer der islamischen

Nation.

Einen Kalif zu bestimmen ist eine gemeinschaftliche Pflicht

(Fard Kifaayah) für alle Muslime seit dem Ableben des

Propheten sallallahu ‘alayhi wa sallam bis zum Eintreten der

Stunde. Wenn also die Leute mit Einfluss (Ahl al-Hall wa al-

‘Aqd) – d.h. die berühmten/wichtigen Leute (Wudschahaa an-

Naas) – sie (die Pflicht zur Bestimmung eines Führers)

erfüllen, so fällt die Sünde auch von den anderen ab…“ 17

Imam al-Baidschuri18 sagt in seinem Kommentar zu Dschauharah:

„Unter Beweisen durch die Schrift (Schar‘), welche auf die

Pflicht dessen (das Kalifat) hindeuten, ist, dass der göttliche

Gesetzgeber (Schaari‘) die Durchsetzung der Strafen (Huduud),

die Sicherung der Grenzen und die Versorgung der

Streitkräfte angeordnet hat. Dies wird nur durch einen Imam

erfüllt, an den man sich bezüglich der Staatsangelegenheiten

wendet…“ 19

Imam Ibn Taymiyya sagt:

„Bezüglich Seiner (subhanahu wa ta’ala) Worte:

„und wenn ihr unter den Menschen richtet, dass ihr mit

Gerechtigkeit richtet.“ [4:58]

Wahrlich, das Richten unter den Menschen sind die

festgelegten Strafen (Huduud) und die Rechte (Huquuq). Es

sind zwei Kategorien: Die erste Kategorie sind die

festgelegten Strafen und Rechte, welche nicht wegen

bestimmter Leute sind. Vielmehr ist ihr Nutzen für die

Allgemeinheit der Muslime oder eine Gruppe von ihnen,

während aber alle sie benötigen. Sie werden die festgelegten

Strafen Allahs und die Rechte Allahs genannt, so wie die

Strafe (Hadd) für Banditen, Diebe, denen, die sich

ungesetzlichen Geschlechtsverkehrs schuldig gemacht haben,

usw. Es betrifft auch die Urteile bezüglich des Vermögens,

welches der Sultan beaufsichtigt (Amwaal Sultaaniyah),

17 Zitat aus Al-Mukhtasar Al-Mufid fi Scharh Dschauharat At-Tawhid, Dar Ar-Raazi, ‘Amman, Jordanien 1420/1999, S. 220-221 18 Er ist Ibrahim ibn Muhammad ibn Ahmad, der Schafi’i Gelehrte. Er starb im Jahr 1277 n. H. 19 Tuhfat Al-Murid Scharh Dschauharat At-Tawhid, Daar Al-Kutub Al-‘Ilmmiyah, 1422-2001, S. 220.

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Stiftungen (Auqaaf) und die Testamente (Wasaayaa), welche

nicht für eine spezielle Person sind.

Dies sind mitunter die wichtigsten Angelegenheiten der

Regierung (Wilaayah). Deswegen sagte ‘Ali ibn Abi Talib

(radiyallahu ‘anh):

„Die Menschen müssen eine regierende Autorität (Imaarah)

haben, sei sie rechtschaffen oder nicht.“ Darauf wurde gesagt:

„Oh, Führer der Gläubigen! Die rechtschaffene kennen wir,

aber was ist mit der nicht rechtschaffenen?“ Er sagte darauf:

„Die festgelegten Strafen werden durch sie durchgesetzt. Die

Straßen sind durch sie sicher. Der Feind wird durch sie

bekämpft und die Beute durch sie geteilt.“ 20

Imam Al-Maawardi benennt in Al-Ahkaam As-Sultaniyah zehn Aufgaben eines Kalifen.

Darunter erwähnt er:

„…die Durchsetzung der festgelegten Strafen (Huduud), so

dass die von Allah als unverletzlich eingestuften Dinge

geschützt bleiben und die Rechte des Dieners sicher sind vor

Verlust und Verbrauch.“ 21

All diese Zitate zeigen deutlich, dass die Durchsetzung der Huduud eine Aufgabe ist, die auf

den Schultern des Kalifen lastet und nicht auf denen des einfachen Muslims. Die Aufgabe

des einfachen Muslims ist es, durch die Leute mit Einfluss (Ahl al-Hall wa al-‘Aqd), welche

sie und ihre Sorgen repräsentieren, einen Kalif zu bestimmen. Wenn niemand den Kalifen

bestimmt – nach den Bestimmungen für die Ernennung eines Kalifen, festgelegt durch die

Schari’a – so lastet diese Sünde auf allen Muslimen, bis sie es tun.

In Abwesenheit des Kalifen aber darf kein Muslim oder eine Gruppe von Muslimen es auf

sich nehmen, die Huduud auf andere anzuwenden, denn dies kommt dem gleich, die Arbeit

eines anderen zu machen, der mit seinem Arbeitgeber vertraglich festgelegt hat, dass nur er

diese Arbeit verrichten darf.

Was dies nun für Muslime bedeutet, die in den nichtmuslimischen Ländern leben, ist, dass

es keine Bedingung für das Verweilen in diesen Ländern ist, dazu fähig zu sein, die Huduud

durchzusetzen. Was dies ferner unterstützt, ist folgender Hadith:

Imam Nasaai berichtet über Abu Sa’id, dass ein Nomade den Gesandten Allahs sallallahu

‘alayhi wa sallam) bezüglich der Hidschra befragte. Er sallallahu ‘alayhi wa sallam sagte:

„Barmherzigkeit sei mit dir! Wahrlich, die Angelegenheit der Hidschra ist

schwerwiegend. Hast du irgendwelche Kamele?“ Er antwortete: „Ja.“ Der Prophet

sallallahu ‘alayhi wa sallam sagte darauf: „Und zahlst du dafür die Almosen (Zakat)?“ Er

20 Aus As-Siyaasah Asch-Schar’iyah Islah Ar-Raa’i War-Ra’iyah von Ibn Taymiyya, Daar Al-Kutub Al-‘Ilmmiyah, S. 65 21 Al-Ahkaam As-Sultaniyah, Daar Al-Kutub Al-‘Ilmmiyah, 1405/1985, S. 18

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sagte: „Ja.“ Der Prophet sallallahu ‘alayhi wa sallam antwortete: „Dann arbeite jenseits des

Meeres. Denn wahrlich, Allah subhanahu wa ta’ala wird niemals irgendeine deiner

Werke aufgeben.“

Bemerke, in diesem Hadith gestattete der Prophet sallallahu ‘alayhi wa sallam diesem Mann,

außerhalb der muslimischen Länder zu leben, obgleich diese Länder nicht die Huduud

anwandten.