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3. Prinzip der virtuellen Arbeit
● Mit dem Satz von Castigliano können Verschiebungen für Freiheitsgrade berechnet werden, an denen Lasten an-greifen.
● Dabei werden nicht immer alle Terme der Formände-rungsenergie benötigt.
● Durch eine einfache Erweiterung können Verschiebungen an beliebigen Stellen und in beliebiger Richtung ermittelt werden.
● Das erweiterte Verfahren wird so formalisiert, dass nur die benötigten Ausdrücke berechnet werden.
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3. Prinzip der virtuellen Arbeit
3.1 Virtuelle Kräfte
3.2 Reziprozitätsgesetz
3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit
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3.1 Virtuelle Kräfte
● Mit Hilfe von virtuellen Kräften können Verschiebungen an beliebigen Freiheitsgraden berechnet werden.
● Aufgabenstellung:F
1
F2
Fk
Ml
u
ϕ
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3.1 Virtuelle Kräfte
– Die am Körper angreifenden Lasten sowie die zugehörigen Spannungen im Körper werden als bekannt vorausgesetzt.
– Gesucht sind die Verschiebungen oder Verdrehungen an Punkten, an denen keine Lasten angreifen.
– Die Lösung kann durch Superposition gefunden werden.
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3.1 Virtuelle Kräfte
● Lastfall A:
– Am Körper greifen die gegebenen Kräfte und Momente an.
– Sie verursachen die ge-suchte Verschiebung uA.
F1
F2
Fk
Ml
uA
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3.1 Virtuelle Kräfte
● Lastfall B:
– An dem Punkt, an dem die Verschiebung gesucht wird, wird eine fiktive Kraft FB in Richtung der gesuchten Verschiebung aufgebracht.
– Die fiktive Kraft wird als virtuelle Kraft bezeichnet.
– Sie verursacht die Ver-schiebung uB.
FB
uB
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3.1 Virtuelle Kräfte
● Überlagerung:
– Die Verschiebungen für Lastfall B und für den überlagerten Lastfall können mit dem zweiten Satz von Castigliano be-rechnet werden:
– Dabei sind σA und εA die Spannungen bzw. die Verzerrungen für Lastfall A und σB und εB für Lastfall B.
uAuB
=12
∂
∂ F B∫V
{ A
B }T
{ A
B }dV
uB=
12
∂
∂ FB∫V
{ B }T
{ B }dV
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3.1 Virtuelle Kräfte
– Ausrechnen ergibt:
– Das erste Integral hängt nicht von FB ab. Seine partielle Ab-leitung nach FB ist daher null.
– Mit
folgt für das zweite Integral:
uA=
12
∂
∂ F B ∫V { A }T
{ A }dV∫V
{ A }T
{ B }{ B }T
{ A } dV
{ B }T
{ A }={ B }T
{E } { A }={ B}T
{ A}={ A}T
{ B}
∫V
{ A }T
{ B }{ B}T
{ A}dV =2∫V
{ A }T
{ B}dV
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3.1 Virtuelle Kräfte
– Da σA nicht von FB abhängt, gilt:
– Da die Verzerrungen εB linear von FB abhängen, gilt für die Ableitung:
– Damit ist gezeigt:
uA=∫
V
{σ A }T
{∂ϵB
∂ F B }dV
∂B
∂ F B =1
F B B
uA=
1F B∫
V{ A }
T{ B }dV
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3.1 Virtuelle Kräfte
– Da für das praktische Rechnen oft FB = 1 verwendet wird, wird diese Gleichung auch als Einheitslastgesetz bezeich-net.
– Für Verdrehungen folgt entsprechend:
ϕA=
1M B∫
V
{σ A }T
{ϵB }dV
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3.1 Virtuelle Kräfte
● Anwendung auf Balken:
– Im Hauptachsensystem gilt:
– Bei langen schlanken Balken (L > 5h) kann der Beitrag des Querkraftschubs vernachlässigt werden.
u A=1
FB∫0
L
( N A N B
E A+
M yA M y
B
E I y+
M zA M z
B
E I z+k z
QzAQz
B
G A+k y
QyAQ y
B
G A+
M xA M x
B
G I T )dx
ϕA=1
M B∫0
L
( N A N B
E A+
M yA M y
B
E I y+
M zA M z
B
E I z+k z
QzA Qz
B
G A+k y
Q yA Qy
B
G A+
M xA M x
B
G I T )dx
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3.1 Virtuelle Kräfte
● Beispiel: Balkensystem
– Gegeben:● a = 500mm● E = 210000MPa● A = 480mm2
● Iy = 4·106mm4
● F = 10kN– Gesucht:
● Verschiebung uC und Verdrehung ϕ
B
2a
a
F
A
B
C
ϕB
uC
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3.1 Virtuelle Kräfte
– Lastfall A:● Gegebene Kraft
– Lastfall B: ● Fiktives Moment
2a
a
F
A
B
C
2a
a
A
B
C
M
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3.1 Virtuelle Kräfte
– Lastfall A:● Normalkraft
N
F
Nx1
x2
A B
C
-aF
Myx
1
x2
My
-aFA B
C
● Biegemoment
BalkenAB : N Ax1=F
BalkenBC : N Ax2=0
BalkenAB : M yA x1=−a F
BalkenBC : M yA x2=−a F 1− x2
a
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3.1 Virtuelle Kräfte
– Lastfall B:● Normalkraft:● Biegemoment:
– Verschiebung uC:
● Der zur Berechnung von u
C erforderliche Lastfall B
entspricht dem Lastfall A.
● Es gilt:
N B=0
BalkenAB : M yB=M
Mb
x1
x2
My
M
A B
C
BalkenBC : M yB=0
uC=1F
2 aN A
2
EA
1F ∫
A
BM y
A
2
E I ydx
1F ∫
B
CM y
A
2
E I ydx
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3.1 Virtuelle Kräfte
● Ausrechnen ergibt:
– Verdrehung ϕB:
● Die Normalkraft liefert keinen Beitrag. Es bleibt:
● Das gleiche Ergebnis folgt auch aus der in Kapitel 2.2 ge-wonnenen Formel, wenn dort am Ende M=0 gesetzt wird.
uC=1F
2 a F2
E A
1F
2 a a F 2
E I y
1F
a a F 2
3 E I y=
a3 FE I y
73
2 I y
A a2
ϕB=1M ∫
A
B M yA M y
B
E I ydx+
1M ∫
B
C M yA M y
B
E I ydx= 1
M2 a(−a F M )
E I y=−
2 a2 FE I y
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3.1 Virtuelle Kräfte
– Zahlenwerte:
ϕB=−2⋅5002 mm2
⋅104 N210000 N /mm2
⋅4⋅106 mm4 =−5,952⋅10−3
uC=5003 mm3
⋅10⋅103 N210000 N /mm2⋅4⋅106 mm4 7
3
2⋅4⋅106 mm4
480 mm2⋅5002 mm2 =1,488 mm⋅ 7
3
115 =3,571 mm
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3.2 Reziprozitätsgesetz
● Herleitung:
– Lastfall A: – Lastfall B:
FA
1
uA
1 uA
2
1
2
FB
2
uB
1 uB
2
1
2
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3.2 Reziprozitätsgesetz
– Für die Verschiebung uA2 von Lastfall A gilt:
– Eine entsprechende Beziehung gilt zwischen Momenten und Verdrehungen.
– Das Ergebnis ist das Reziprozitätsgesetz von Maxwell und Betti:
u2A F2
B=∫
V{ A }
T{ B }dV =∫
V{ A }
T{E } { B }dV
=∫V
{ A }T
{ B }dV =∫V
{ B }T
{ A }dV=u1B F1
A
u2A F2
B=u1
B F1A , ϕ2
A M 2B=ϕ1
B M 1A , u2
A F2B=ϕ1
B M1A
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3.2 Reziprozitätsgesetz
● Beispiel: Schubmittelpunkt
– Eine im Schubmittelpunkt M angreifende Kraft beansprucht einen Balken nur auf Biegung, nicht auf Torsion.
x
z
y
w
θ
F
M
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3.2 Reziprozitätsgesetz
– Verdrehung θA des Querschnitts infolge der Kraft F:
● Lastfall A: Kraft F● Lastfall B: Fiktives Torsionsoment M
xB
● Einheitslastgesetz:
– Verschiebung des Schubmittelpunkts M bei Belastung durch das Torsionsmoment M
xB :
● Reziprozitätsgesetz:
● Entsprechend folgt:
A=1
M xB∫
0
L M xA M x
B
G I Tdx=0 wegen M x
A=0
wB F=A M x
B=0 wB
=0
vB=0
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3.2 Reziprozitätsgesetz
– Ergebnis:● Wird ein Balken nur auf Torsion beansprucht, dann dreht sich
sein Querschnitt um den Schubmittelpunkt.
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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit
● Ausgangspunkt:
Lastfall A:
F1
A
1k
2 3
F2
A
F3
A
FlA
Lastfall B:
F1
B
1k
2 3
F2
B F3
B
FkB
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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit
– Betrachtet werden zwei Lastfälle A und B.
– Mit σA werden die Spannungen für den Lastfall A bezeich-net.
– Mit εB werden die Verzerrungen für Lastfall B bezeichnet.
– Mit εkB werden die Verzerrungen für den Lastfall bezeichnet,
bei dem nur die Last FkB von Lastfall B wirkt, die am Punkt k
angreift.
– Für die Verzerrungen εB gilt: B=∑k
kB
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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit
● Verschiebungen für Lastfall A:
– Für jeden Punkt k gilt:
– Summation über alle Punkte ergibt:
● Prinzip der virtuellen Arbeit:
– Sei nun Lastfall B der tatsächliche Lastfall und Lastfall A ein beliebiger virtueller Lastfall.
ukA F k
B=∫
V{ A }
T{ kB }dV
∑k
ukA Fk
B=∑k∫V
{σ A }T
{ϵ kB}dV=∫V
{σ A }T
{ϵB } dV=∫V
{ϵ A }T
{σB } dV
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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit
– Die zum Lastfall A gehörenden Verschiebungen sind virtuel-le Verschiebungen. Virtuelle Verschiebungen können alle Verschiebungen sein, die die Lagerbedingungen erfüllen.
– Die virtuellen Verschiebungen werden im Folgenden mit u und die zugehörigen Verzerrungen mit ε bezeichnet.
– Wird der obere Index B für den tatsächlichen Lastfall weg-gelassen und werden zusätzlich noch Momente berücksich-tigt, dann gilt:
∑k
uk Fk+∑l
ϕ l M l=∫V
{ ϵ }T
{σ } dV
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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit
● Gleichgewicht:
– Wenn das Prinzip der virtuellen Arbeit für einen freigeschnit-tenen Körper betrachtet wird, dann sind als virtuelle Ver-schiebungen alle Starrkörperbewegungen möglich.
– Da Starrkörperbewegungen vR keine Verzerrungen verursa-
chen, gilt:
– Für Starrkörpertranslationen folgt daraus das Kräftegleich-gewicht und für Starrkörperrotationen das Momentengleich-gewicht.
∑k
vRk F k+∑l
ϕRl M l=0
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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit
– Bei den Starrkörperrotationen ist zu beachten, dass im Rahmen der linearen Theorie die für kleine Winkel lineari-sierten Gleichungen zu verwenden sind.
● Verallgemeinerung:
– Einzelkräfte und Momente sind als Resultierende von Ober-flächenkräften und Volumenkräften zu verstehen.
– Unter Verwendung von Oberflächenkräften und Volumen-kräften lautet das Prinzip der virtuellen Arbeit:
∫S
[ u ]T
[ t ] dA∫V
[ u ]T
[ f ] dV =∫V
{ }T
{ } dV
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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit
● Im Prinzip der virtuellen Arbeit sind die folgenden drei Be-dingungen enthalten:
– Globales Gleichgewicht:● Für den freigeschnittenen Körper ist das Kräftegleichgewicht
und das Momentengleichgewicht erfüllt.
– Lokales Gleichgewicht:● Für jedes infinitesimale Element des Körpers ist das Kräfte-
gleichgewicht und das Momentengleichgewicht erfüllt.
– Spannungsrandbedingungen:● Am Rand stimmt der Spannungsvektor mit den vorgegebenen
Lasten überein.
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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit
● Anmerkungen:
– Mit etwas Höherer Mathematik (Partielle Integration, Inte-gralsatz von Gauß) lässt sich das Prinzip der virtuellen Ar-beit leicht aus den Spannungsdifferenzialgleichungen, den Randbedingungen und den kinematischen Beziehungen für die Verzerrungen herleiten. Die Herleitung ist unabhängig vom Materialgesetz.
– Alle Energiemethoden können aus dem Prinzip der virtuel-len Arbeit gewonnen werden.
– Das Prinzip der virtuellen Arbeit ist die Grundlage der Me-thode der finiten Elemente.