26352 Stunden, Schlomo-Rülf-Platz

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15. OKTOBER 2007 17 . OKTOBER 2010 26352 STUNDEN SCHLOMO-RüLF-PLATZ 15. OKTOBER 2007 17 . OKTOBER 2010 26352 STUNDEN SCHLOMO-RüLF-PLATZ

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Seit Oktober 2007 hat sich ein vielköpfiges Studententeam mit und an dem Platz der ehemaligen Bergwerksdirektion beschäftigt. Ein Jahr davon war geprägt von intensivem Forschen und Laborieren: kurz- und langfristige Untersuchungen, Eingriffe, raumverändernde Vorschläge haben die Zustände und Bedingungen vor Ort mitverhandelt. In dieser Zeit wandelte sich die Basisstation von einem Schutzraum zu einem Ausstellungsort. Das Arbeiten an der Utopie hat einen Prozess in Gang gesetzt, den wir an diesem Punkt der Saarbrücker Bevölkerung überantworten. In Gestalt einer Publikation ist dieser aufreibende Prozess zu einem dauerhaften Beitrag in der Diskussion um Raum, Öffentlichkeit und Kunst geworden.

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15. OktOber 2007 17. OktOber 2010 26352 Stunden

SchlOmO-rülf-Platz

15. OktOber 2007 17. OktOber 2010 26352 Stunden

SchlOmO-rülf-Platz

»Ich glaube, daSS eS In allen geSellSchaften utOPIen gIbt, dIe eInen

beStImmten, realen, auf der karte zu

fIndenden Ort be-SItzen und auch eIne genau beStImmbare

zeIt, dIe SIch nach dem alltäglIchen

kalender feStlegen und meSSen läSSt.«

Michel Foucault

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Vom Vorplatz der Bergwerksdirektion zum

schlomo-rülf-platz

Wunsch und Sehnsucht, dass sich der aktuelle Zustand einerStadt durch eine Veränderung zum Besseren wandeln solle begleitet stets die Angst vor der möglichen Verschlechterung. Deshalb verhindern die Methoden zur Vermeidung dieser Ver-schlechterung oft auch eine wirkliche Verbesserung der urba-nen Verhältnisse und Zustände. Vorgeschobene Pragmatismen, Sach- und Ordnungszwänge verbauen und verschatten einenPlatz, verhindern den Gestaltungsspielraum der Zivilgesell-schaft, die das Recht hat, selbst bestimmt ihre Räume durch die Beteiligten zu verhandeln, Räume durch Verhandeln unddurch »Räumen« zu konstituieren, utopische Räume zu for- dern, um sich wenigstens grundlegende humane Freiräume offen zu halten. Wer auf dem Weg von Frankfurt nach Paris am Europabahnhof in Saarbrücken aus dem Hochgeschwindigkeitszug aussteigt, die Reichsstraße hinunter geht, Richtung Innenstadt, passiert linker Hand die Karl-Marx-Straße und kommt schließlich aufeinen kleinen Platz, der nie wirklich einen Namen hatte: der Vorplatz der Bergwerksdirektion. Der Platz ohne Namen bezieht sich auf ein Gebäude, das zwi-

schen 1887 und 1880 im königlich preußischen Rundbogen-stil von Martin Gropius gebaut wurde und für die wechselhafte Geschichte des Bergbaus, der Stahlindustrie und des Struktur-wandels im Saarland steht. Für den Investor Crédit Suisse wird das Gebäude vom ECE Projektmanagement zu einem Einkaufs-center umgebaut. Bezeichnender Weise sinkt die Bergwerks-direktion mit jedem Umbau tiefer in den Platz. … auf dem Symposium »Künstlerische Dynamik im urbanenRaum«, Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg, im November2008, wurde unter der Moderation des F.A.Z Architekturkriti-kers Dr. Bartetzko festgestellt, dass in der Bundesrepublik die Entwicklung und Realisierung zeitgemäßer, künstlerischer Arbeit im öffentlichen Raum in erster Linie von der Lokalpoli-tik verhindert wird. Es fehle zum einen die kritische Reflexion vergangener Entscheidungen, zum anderen der Mut, mit künstlerischen Mitteln die Angst- und Krisengesellschaft zurevitalisieren und neue Wege zu beschreiten. Hier ist das Engagement der Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz vorbildlich. In einer kontrovers geführten Debatte zur Gestaltung des Vorplatzes der Bergwerksdirektion, über dieauch ein Stück der zukünftigen Identität Saarbrückens ver-handelt wird, lädt sie die Studentinnen und Studenten der Hochschule der Bildenden Künste Saar zum Mitdenken und Mitarbeiten ein. Operativ haben wir neben den Baustellen derInvestoren, die den Platz neu einfassen und vom Rand her be-stimmen, die Chance mit künstlerischen Mitteln an einem Platz für Saarbrücken zu arbeiten, den Platz mit allen Beteilig-ten neu zu verhandeln… (Auszug aus: Pressemitteilung des

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S_A_R Projektbüros). Ein neues Straßenschild, täuschend echt, trägt den Namen »Schlomo-Rülf - Platz«. Schlomo Rülf war bis zu seiner Emigration 1935 Rabbiner in Saarbrücken. Für die circa 30 Aktivistinnen und Aktivisten, Studentinnen und Studenten der Hochschule der Bildenden Künste Saar, die seit dem Oktober 2007 an dem Platz arbeiten, verbindet sich mit dem Namen die Utopie einer urbanen Zivilgesellschaft, die ihren Plätzen ein menschliches Antlitz verleiht, die ihre Plätze so verhandelt, dass ein Spielraum bestehen bleibt, dessen un-mittelbare Nutzung durch die Beteiligten über Charakter und Charme einer Stadt Auskunft geben kann. Während sich die Randbebauung abgrenzt und Territorien nominiert, ist es die Aufgabe der künstlerischen Interventionen den Platz offen und frei zu halten! Er ist zu einer bestimmten Zeit der Ort, den Michel Foucault als Ort der Utopie bezeichnet. Diese Orte lösen die Utopie nie ein, jedoch würden sie ohne Utopie völlig andere Orte sein. Sie würden mit ganz anderen Mitteln und Methoden bearbeitet, das Resultat wäre ein Armseliges. Die Utopie ist notwendig um eine Realität zu schaffen, die ohne Utopie unerträglich wäre. Ist ein urbanes Wunder möglich? Das Wunder ist eine Frage des Trainings, sagt Carl Einstein. Die vorliegenden Beispiele geben einen Einblick in den Trainingsverlauf. Vielleicht mögen Sie sich daran beteiligen?

Georg Winter

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Bauplan für einen vielfältig nutzbaren Schutzraum »Fliegender Bau«; eine leichte Schräge der Gesamtkonstruktion stellt die bauliche Umgebung in Frage.

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S_A_R Projektgruppe / Prof. Georg Winter 4. April. 2008Handwerkergasse Rathausstr. 5266333 Völklingen

Ordnungsamt Stadt SaarbrückenFrau Schneider

Betr.: Genehmigung »Fliegender Bau« Ecke Faktoreistraße/BahnhofsStraße, HBKSaar

Guten Tag Frau Schneider,

hiermit bitten wir, die S_A_R Projektgruppe der Hochschule der Bildenden Künste Saar, um die Genehmigung für den Bau des temporären Büros. Wie mit Frau Kunz (Stadtpla-nungsamt) und Herrn Bischof (ECE) bei einem Treffen am 27. Februar vereinbart, ist der Standort Ecke Faktoreistraße/BahnhofStraße (siehe beigefügte Karte) vorgesehen.

Angaben zum »Fliegenden Bau«:Zeitraum: 11. April 2008 bis Ende Oktober 2009Größe: max. 3 x 5 m, Höhe max. 3 m

Beschreibung:Containerartiger Bau, Eingangstür verschließbar, Fenster, voraussichtlich klappbare Seitenwand, mobile Einheit

Standort:Ecke FaktoreiStraße/BahnhofstraßeDer Standort erschließt sich aus der Aufgabenstellung der ECE und der Stadt Saarbrü-cken, ein vertikales Element für den Platz vor der Bergwerksdirektion zu entwerfen. Um die bestmögliche Lösung für das »Vertikale Element« zu finden bedarf es der direkten Konfrontation mit dem Platz, seinen Strukturen und Gegebenheiten.

Sondernutzungsgebühr:Im gemeinsamen Interesse der Stadt Saarbrücken, der Hochschule (Projektgruppe) und der ECE bitten wir um eine Befreiung.

Nutzer: Teilnehmer der S_A_R Projektgruppe, Gäste

Nutzung: Schutzraum, Lager, Versammlungsstätte, Büro, Observatorium, Ausstellungsplattform

Mit freundlichen Grüssen

Die Projektgruppe

1918

erste massnahme. platz-Vermessung

Das Vermessen eines Platzes steht stets am Anfang baulicher Veränderungen und verursacht sowie veranschaulicht grundle-gende Missverständnisse: Durch die Übersetzung von Maßstäben entstehen paradoxe Wirklichkeiten und Verhältnisse. Abstrakte Größen und Messwerte bestim-men ab diesem Zeitpunkt die Richtungen und Dimensionen, in denen der Raum bedacht werden kann; ein erstaunlicher Grad an Künstlichkeit und Fantasie erleichtert den Umgang mit dem neuen, höchst synthetischen Gebilde.

Hier nimmt sich das S_A_R Team des Ver-messungsrituals an und erarbeitet eine Basis für weitere Aktivitäten am Platz.

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fragen an passanten

Estragon: Mal sehen.Wladimir: Mal sehen.Estragon: Mal sehen.

Sie überlegen.Wladimir: Was sagte ich noch? Man

könnte da anknüpfen.Estragon: Wann?

Wladimir: Ganz am Anfang.Estragon: An welchem Anfang?

Samuel Beckett, Warten auf Godot

Im Rahmen der Ermittlung einer Grund-stimmung und Orientierung auf dem Platz fanden im Januar 2008 und im Mai 2008 Bürgerbefragungen statt. Im Zentrum der Fragen standen die emotionale und architektonische Lage des Platzes. Im Stil der klassischen Meinungs- und Marktfor-schung wurden für jede Frage drei verein-fachte Antwortmöglichkeiten angeboten.

Fragen stellen ist seit jeher eine der belieb-testen und verbreitetsten Kommunikati-onsstrategien. Die Frage bildet im Grunde genommen den Kern jeglichen verbalen Kontakts. Jede Fragetechnik allerdings ver-folgt ihr eigenes Ziel: Beim näheren Be-trachten ist dieses sehr viel seltener an die konkrete Antwort gebunden als man im Allgemeinen annimmt. Erwähnenswert sind beispielsweise die einfache rhetori-sche Frage oder auch die offene philosophi-sche Frage, mit der sich erstmals römi-sche Bürger, bezeichnenderweise auf ei-nem öffentlichen Platz, konfrontiert sahen. Die hier angewandte Fragetechnik versucht, komplexe Sachverhalte in ein-fache Evaluationsprinzipien: »Schön«‚ »Nicht schön«‚ »Nichts«/»Finde ich gut«, »Finde ich nicht gut«, »ist mir egal« zu übersetzen.

Diese Einteilung in vertraute Kategorien erleichtert es den Befragten, sich spontan zu äußern. Durch die intuitiven Reaktio-nen der Bürger entsteht wiederum ein Hilfsmittel für eine umfassende Orientie-rung: Anhand der Antworten bilden sich Verhältnisse, die den Ort selbst, im Sinne von einem Ort als belebtem Raum, neu strukturieren. In der bildlichen Darstel-lung des Antwortschemas erhalten die angewandten abstrakten Zählweisen und Rechenregeln eine räumliche Ausdeh-nung: Die mathematische Mengenlehre kann hier als geistige Stütze dienen, um so weit zu gehen, in Gedanken Mannschaf-ten zu bilden: »finde ich gut«, »finde ich nicht nicht gut«. Eine Auseinandersetzung hat sich in ihren Grundzügen materiali-siert (siehe Street Fight Exercise, Seite 30).

nicht schön

schön

nichts

40% 37,5% 22,5%

Umfrage 1Was halten Sie von dem Brunnen?

40% 12,5%47,5%

Umfrage 2Was halten Sie von der Umstrukturierung des

Platzes?

finde ich gut

finde ich nicht gut

das ist mir egal

40% 7,5%42,5% 10%

Umfrage 3Mit was assoziieren Sie Saarbrücken/das

Saarland?

schöne Landschaft

Bergbau

Schwenker

nichts

67,7% 22,6% 9,7%

Umfrage 4Würden Sie es begrüßen wenn auf dem Platz

mehr Öffentlichkeitsarbeit stattfinden würde?

ja

ist mir egal

nein

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Brunnenwasser

Materialien: Verschalungsmaterial, Beton, Klebeband, 200 ml Medizin-

flaschen, Brunnenwasser

7.00 Uhr Wasserentnahme aus der Saar

7.15 Uhr Abkleben mehrerer Aktionsfelder mittels schwarz- gelbem Klebeband im Brunnenbereich und dessen Umfeld

8.00 – 9.15 Uhr Erstellen einer Betonform im Brunnen zur Erzeugung und

Entname des Brunnenwassers

11.30 – 12.15 Uhr Bewässern und Einwirken

12.15 – 12.45 Uhr Abfüllen des Brunnen-wassers in kleine Medizinflaschen

Ziel ist es, dem Brunnen in einer temporä-ren Aktion Wasser zuzuführen und nach einer Einwirkungsphase das erzeugte Brunnenwasser zu entnehmen. Für die Er- zeugung und Sicherung des Wassers wird im Innenbereich der Brunnenanlage eine runde Form betoniert. Zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt die Abfüllung in kleine Medizinflaschen. Die Aktion »Brunnenwasser« ist eine Reaktion auf die Trockenlegung des signifikanten Brun-nenovals.

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rolllust Brunnensession

Der Platz vor der ehemaligen Bergwerks-direktion war seit dessen Neugestaltung vor circa zwölf Jahren aufgrund verschie-dener Voraussetzungen ein wichtiger Ort für die regionale Skateboardszene: direkt am Bahnhof, von daher gut zu erreichen. Guter Boden, welcher durch die luftige Lage besonders schnell trocknete. Gute Beleuchtung. Die leicht schräge Lage in Verbindung mit der Großräumigkeit des Platzes. Der Brunnen, über Herbst und Winter wasserlos, wird als Objekt nutzbar. »So war für mich schnell klar, dass es eine interessante Option sein könnte, diesen Platz und den Brunnen durch eine Adaption künstlerisch aufzuwerten und die Modellfähigkeit zu erforschen«.

Es wurden mit der Hilfe von »Scheinbar« zwei Holzkörper, eine einfache Sprung- rampe (Kicker) und eine Holzbox mit Me-tallkante (Curb), sowie eine Aussparung zur schraubfreien, temporären Befestigung am Brunnen gebaut. Am 27. April 2008 fand als Auftakt die Rolllust – Brunnenses-sion statt, bei der circa 20 Fahrer von mor-gens bis abends, zunächst den Platz und schließlich auch den Brunnen gemeinsam bearbeiteten, wobei die Box als Basis diente. Anschließend wurden die Körper (Obstacles) im S_A_R Basislager gelagert und es bestand über einen Zeitraum von zwei Monaten täglich die Möglichkeit, diese frei auf dem Platz zu verteilen und zu nutzen.

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strassen-kampf- üBungstreet fight

exercise

1 Stellungs- und Erkennungsfeld:Passiv-Bereich, Vorbereitung, Bereitschaft

2 Imponier- und Drohungsfeld:Zeigen, Brüllen, Einsatz von Megaphon

und Textschild

3 Interaktionsfeld: Aktiv, Zusammen-treffen, Schlagabtausch, Block/Schlag

Koordination, Instruktion: Bis zu max. 5 Personen pro Seite bereiten sich in Feld 1

vor. Helm an die Kopfgröße anpassen. Dachlatte zum Körper nehmen. Inhalt-liche Ausrichtung mit den Beteiligten

festlegen: für/gegen?, was/wen?

In Feld 2 positionieren sich die Kämpfer-innen und Kämpfer mit ihren Hilfsmit-teln. Je nach Dynamik kann ein Megaphon zum Skandieren eingesetzt werden. Auf das Textschild werden mit abwaschbarem Stift die Parolen und Zeichen geschrieben. Textbeispiel Gruppe 1: »Der Brunnen bleibt!« Gruppe 2: »Der Brunnen muss weg!« In Feld 3 kommt es dann zur Inter- aktion mit direktem Schlagabtausch. Es empfiehlt sich, vor allem für Anfänger, in Übereinkunft mit dem Gegenüber eine Block-/Schlagkoordination einzuhalten: Beim Block die Dachlatte mit beiden Hän- den zum Schutz waagrecht über den Kopf halten um den Schlag abzufangen. Den Schlag möglichst aus der Körpermitte he- raus senkrecht von oben nach unten in

die Mitte der waagrecht geblockten Dachlatte führen. Übung ist notwendig! Wichtig ist es dabei seinen Aktionsgrad nach hinten und zur Seite zu prüfen. Die Beteiligung an der Straßenkampfübung erfolgt auf eigene Gefahr. Versuchen Sie, solange es einen Spielraum gibt den Straßenkampf zu vermeiden.

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ÖffentlichesBrunnen-

frühstück

Mit Flugblättern wurden alle Interessierten zum Frühstücks- und Meinungsaustausch auf das Oval des stillgelegten Brunnens eingeladen. Die »round table« Situation mit Tischen und Stühlen war neben dem kostenfreien Frühstücken eine Gelegen-heit, über Möglichkeiten und Unmöglich-keiten der anstehenden Veränderungen des Platzes zu diskutieren oder bot einfach ein nicht kommerzielles Verweilen auf dem zum Abriss freigegebenen Brunnen-objekt an.

denn hIer ISt daS nIedrIge und nIchtIge

durch SIch SelbSt über SIch SelbSt

hInauSgewachSen, dIe tIefe hat gerade,

weIl SIe tIefe ISt, SIch In dIe höhe deS

geIStIgeren und SInn-vOlleren gehOben.

Georg Simmel

3130

eine tafel decken –üBerlegungen

im anschluss an georg simmels

soziologie der mahlzeit

Fangen wir also ganz vorne an, bei den Vorbereitungen, die jedes gemeinsame Essen verlangt: Das passende Geschirr auf dem Tisch anzuordnen. Diese Geste erzählt von so manchem Umstand, der eine gemeinsame Mahlzeit prägt: Von der ganz bestimmten Anzahl von Essenden, für die der Tisch bereitge-stellt ist. Von den Tischsitten und dem Anlass der Einladung. Von der Erwartung und der Vorfreude, die fortlaufend wachsen,während, in zweckdienlicher und demokratischer Weise, Ge-decke verteilt werden. Außer der kreisrunden Fläche des Tellers, die dafür bestimmt ist, jedem einzelnen seine Portion vom Ganzen zuzuordnen und ihn milde in seine Grenzen zu weisen, spielt die Individua-lität des Gastes vorerst keine Rolle; sichtbar ist vielmehr eine symbolische Ordnung, die die Gleichheit und das gerechte Teilen plastisch werden lässt. Das Ziel der gedeckten Tafel ist es, fertig und bereit zu sein, durch schlichte Reize zu gefallen

und zu locken ohne je den Eindruck eines geschlossenen Kunstwerks zu erwecken: Die Schönheit des gedeckten Tisches besteht in seiner Einladung, in ihn einzubrechen, ihn im Auf-brechen und Auflösen zur Erfüllung seines Zwecks, zur Voll-kommenheit zu führen. Von was für einer Betriebsamkeit und Energie, von welch Geräuschen und welch einer Bewegung bleiben als Zeugen nur verdreckte Tellerstapel, leere Schüsseln und Schalen – ein stilles Bild, angefüllt mit lauten und beweg-ten Erinnerungen. Das Vorher und Nachher sind bloße bild-liche Randnotizen, denn weder der unberührte noch der ver-wüstete Zustand stehen für sich. Der Erstere kündigt schematische Rituale und eingeübtes Bei-einandersein an. Der Letztere steht eindeutig für das (inzwi-schen befriedigte) physiologische Bedürfnis und das gemein-same, rein stoffliche Interesse. Worauf der eine Zustand also noch wartet und woran der andere erinnert ist die Essenz dergedeckten Tafel: Sie entfaltet sich im Prozess, in der Beteili-gung, die den einen Zustand in den anderen überführt, in der freigesetzten und sofort wieder verschlungenen Energie. ImEinwirken und Verändern, im Teilen, Zerteilen, Verteilen er- füllt sich die mühevoll vorbereitete, mit Licht und Geschirr, Sitzmöbeln und Geräuschkulisse geschaffene Raumsituation. Bis es dazu kommt, ist der Raum angefüllt von der Erwartung und dem Anspruch, für eine kurze Zeit und eine intime Runde von Geladenen ein Szenario zu bereiten, das in sich überzeugt, perfekt ist. Kein Wunsch soll offen bleiben.Dass hierfür, heutzutage, meist die eigenen vier Wände den Raum bieten, scheint etwas Bezeichnendes über Gäste und

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Gastgeber zu sagen: Der Wunsch nach Idealem, nach einer ver- besserten Welt taucht am liebsten im Persönlichen, Kleinen auf. Die Vorstellung unserer Einflußmöglichkeiten lässt Ge- sellschaft auf eine übersichtliche und verbindliche Anzahl von Menschen schrumpfen; ebenso die Räume und Orte. Alleswas mit »unser« bestückt werden kann, liegt noch drin: unsere Küche, unsere Wohnzimmereinrichtung, unsere Freunde –bei der bewohnten Stadt, auch bei der Straße, will das »unser«nicht mehr so recht über die Lippen. Der ermessen/empfun-dene Handlungsspielraum beschränkt sich auf wenige Meter um den eigenen Herd (vgl. hierzu: Besuch des Ordnungsamts/Markieren des Handlungsspielraums, Seite 75); die Utopie und ihre Versuche suchen Unterschlupf im Eigenheim. Auf einem Platz zwischen Baustellen, in einer Durchgangspas-sage, ausgestellt, ungeschützt und offen, locken wir beideswieder hervor: Die Tafel wird im freien, ungeschützten Stadt-raum gedeckt. Alle sind geladen. Die Tür, die es aufzuschließengilt, fällt weg, Tischmanieren und Gespräche werden sich selbst überlassen. Eine auf Vertrauen und verbindliche Intimi-tät setzende Gesamtsituation sucht sich gerade die unvorher-sehbare Konstellation einer öffentlichen Einladung aus: Wieverhält sich Raum zwischen öffentlich und heimisch, zwi-schen intim und anonym? Der Prozess, der soziale Kern und das Wesen einer Mahlzeit, emanzipiert sich aus dem vorgegebenen, kalkulierbaren Sze-nario. Die Regie über die Beteiligten verliert ihre klaren An- weisungen. Bewegung und Betriebsamkeit weiten sich über den engen Tafelraum aus, Kommen und Gehen gesellen sich

zu Gabeln und Messern. Ohne das feste Gefüge von Raum undBeteiligten verselbständigt sich der Prozess, das gemeinsame Einbrechen in die Unversehrtheit der Tafel erfährt die Schön- heit der Beschleunigung. Der skulpturale Moment des warten-den Geschirrservices wird zum Gerät einer gemeinschaftlichen kinetischen Plastik die Vorhandenes eigenhändig strukturiert und zersetzt.Im Ritual der Mahlzeit begründen und bestätigen sich seit jeherVerhältnisse, Zugehörigkeiten, Gemeinschaften von Personen und Orten. Der Vorgang, sich als Teil von etwas (einer Gruppe) Teile eines Gleichen (einer Speise) einzuverleiben und zu Eigenzu machen, hinterlässt Bezüge. Das gemeinschaftliche Teilenübt sich selbst. Der dazugehörige Ort erhält neue Vorstellungen.

Geht man dem Gedanken nach, dass Orte erst dann Bedeutung erlangen und anfangen zu existieren, wenn eine Vorstellungvon ihnen existiert, so entsteht beim ungeschützt-prekären Tafeln neuer Raum: die Oberfläche einer Stadt wird geformt.

Mirjam Bayerdörfer

Vgl. hierzu/Quellen: Georg Simmel, Soziologie der Mahlzeit und

Hans Ottomeyer, Die öffentliche Tafel – Tafelzeremoniell in Europa

1300 – 1900.

Abbildung nächste Doppelseite: Mittwoch, 5. November 2008, Bürgercafé mit Kaffee, Kuchen und Musik.

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medien per-formance,

Bild saarland

Gestaltungsentwurf für die saarländische Presse

Die saarländische BILD-Zeitung war im Vorfeld des Wettbewerbs derart an ge-heimen Informationen interessiert, dass sie im Zuge der ersten Pressekonferenz ständig nach Bildern von den bisherigen studentischen Entwürfen fragte und diese abdrucken wollte. Nach harten Verhand-lungen mit den BILD- Journalisten gab ich dann doch zögerlich nach und erlaubte den exklusiven Abdruck meines exklusi-ven Entwurfs:

Für den Entwurf »Karussell der beleidig-ten Bergmänner« ist es vorgesehen, die sechs an der ehemaligen Bergwerksdirek-tion angebrachten Skulpturen von preußischen Politikern, Kriegsherren und Bergmännern abzugießen und in einem metallenen Karussell (mit Blechspielzeug-Ästhetik) aufzustellen. Das Karussell wird direkt vor dem Südosteingang der Berg-werks-Shopping-Mall platziert. Auf diese Weise werden die ehemaligen Kolonial-herren (Preußen) zusammen mit ihren gestylten Untertanen (saarländische Bergleute) auf den »Boden der Tatsachen« heruntergeholt und in einen, sich um sich selbst drehenden Zusammenhang gebracht. Der zeitgenössische Saarländer kann »Aug in Aug« an seinen Vorfahren und den ehemaligen Vorgesetzten die be-leidigte Mimik und Körperhaltung studie-ren – und zwar ohne sich selbst bewegen zu müssen.

wasserspendeAbbildung folgende Seite

Gezählt sind die Tage der sprühenden Fon-tänen und überquellenden Brunnen – Wasser im öffentlichen Raum entwickelt sich mehr und mehr zu einem Luxusgut.Die Aktion Wasserspende verkörpert in diesem Zusammenhang ein anarchisti-sches Moment der Aneignung und Vertei-lung des Wassers unter Zuhilfenahme öffentlicher Mittel: Ein von den Stadtwer-ken Saarbrücken entliehener Hydrant wurde an das städtische Wassernetz ange-schlossen. Aus ihm sprühte in einer Geste des Überflusses für einen begrenzten Zeit-raum Wasser in den, zu diesem Zeitpunkt bereits stillgelegten Brunnen. Vorbereitend waren, im Brunnenboden befindliche Abflussöffnungen mit Beton verschlossen worden, wodurch das Wasser im Brunnen verbleiben und genutzt werden konnte.

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entfernen!

Einleiten einer Bewegung vom

Einweiser weg

bewegung in richtung!

Einleiten einer Bewegung

in eine bestimmte Richtung

abfahren!

Einleiten oder Fortsetzen

einer Fahrbewegung

Senken!

Einleiten einer Abwärtsbewegung

ausladung vergrößern! ausladung verkleinern!

heben!

Einleiten einer Aufwärts-

bewegung

halt!

Beenden eines Bewegungsablaufes

achtung!

Beginn der Einweisung

halt – gefahr!

Schnellstmögliches Beenden

eines Bewegungsablaufes

abstandszeichen!

Anzeige einer Abstandsverringerung

langsam!

Verzögern und langsames Fort-

setzen eines Bewegungsablaufes

ende der einweisung!

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was passiertam platz Vor

der Bergwerks-direktion?

Saarbrücken, Vorplatz der Berg-werksdirektion, November 2008

Aktionswoche vom 3. bis 9. November 2008

Durch den Um- beziehungsweise Neubau zweier großer Einkaufszentren ist die Nutzung des Platzes durch die Bürgerin-nen und Bürger, auf Grund der Baumaß-nahmen, stark eingeschränkt. Bauzäune und Bauverkehr beschränken, bis zur Fertigstellung der Gebäude, die Nutzung des Platzes als öffentlicher Raum. Der Platz befi ndet sich im Moment in einer Zwischenphase. Es ändern sich nicht nur die vertraute Gebäudesituation und deren Nutzung auch der ganze Platz wird durch die Anhebung eine neue Form erhalten.Die Änderung der vertrauten Umgebung »Platz mit dem ovalen Brunnen« wurde zunächst von vielen Befragten als negativ empfunden. Was wird aus dem Platz ohne den Brunnen? Kann der Brunnen erhalten werden? Im Rahmen eines Gestaltungs-wettbewerbs arbeitet das Projektbüro S_A_R (Skulptur, Aktion, Recherche) der HBK Saar, Studentinnen und Studenten, mit dem Einsatz künstlerischer Mittel an Vorschlägen zur Neugestaltung des Platzes. Da es den alten Platz nicht mehr und den neuen noch nicht gibt, besteht die Chance, zunächst durch Recherchieren, Beteiligun-gen, temporäre künstlerische Aktivitäten, Aktionen, direkt in den Umbau einzugrei-fen, die Zwischenphase zu begleiten, mit dem Platz und der eingeschränkten Nut-zung zu arbeiten, Utopien und realistische Vorschläge abzuwägen und mit allen

Beteiligten zu verhandeln. Die Zukunft der Stadt wird an solchen Plätzen verhandelt. Wessen Interessen werden berücksichtig? Wer kann sich mit Ideen einbringen? Was kann die Kunst? Welche Chancen hat der öffentliche Raum? Für wen? Wem gehört die Stadt? In Form von Aktionen, Modellsi-tuationen, Stadtbetreuung, Interventio-nen, Untersuchungen und Bürgercafé arbeitet das Projekt-Team, direkt, mit und am Platz vor der Berkwerksdirektion dem derzeitigen »Schlomo-Rülff-Platz« in Saarbrücken. Eine Baustelle, an der Sie sich beteiligen sollten.

Programm Aktionswoche

Montag: Eröffnung des Bürgerbüros, Aus-stellungseröffung am Bauzaun, Stadtver-messung III, Strasznik/Straszny Soundper-formance, Wandgestaltung der Basisstati-on, Balanceakt.

Dienstag: Aufstellen von Podesten »um über den Zaun zu schauen«, Masut, S_A_R Büro-Sitzung, Pressegespräch, »Bewe-gungsformen im öffentlichen Raum«, Seminar im Eiscafé mit Susanne Jakob.

Mittwoch: Präsentation des Brunnenmal-buchs, Bürgercafé mit Kaffee, Kuchen und Musik, Einfall Rückfall – Aufstieg und Fall junge Kunst (Stunttraining), Engpass, Stadtvermessung IV, »Theodor W. Adorno«, Öffentliches Seminar mit Prof. Matthias Winzen.

Donnerstag: Erscheinen des Ordnungs-amts, Markierung des neuen Handlungs-spielraums, Räumen der Objekte vom Platz.

Freitag: Fröhliches Musizieren mit Gästen: Computer, Klarinette, Percussion, Stimme, BeatBox.

Samstag: Kressetransformation, Konzert: Rotwein und Pimpinelle.

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temporäre gedenkstätte am

schlomo-rülf-platz

Schlomo Rülf war ein angesehener Rabbiner der jüdischen Gemeinde

Saarbrücken von 1929 bis 1935. Er kehrte 1951 aus Palästina zurück um

ein Jahr der Gemeinde beim Wieder-aufbau behilflich zu sein.

Der Vorplatz der Bergwerksdirektion, deraufgrund seines Aufbaus als eigenständi-ger Platz angesehen werden kann aber keinen Namen trägt, wurde gewählt um am 11. November 2008 an das November-pogrom von 1936 zu erinnern.

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einfall rückfall -aufstieg und fall

junge kunst

Ein Beispiel performativen Arbeitens zu dem nicht unerheblichen Phänomen

der Gravitation

Die Gravitation verlangt täglich unseren vollen Körpereinsatz. Schon das Aufstehen ist erheblich. Mit dem Stehen beginnt die Labilität, aus der heraus wir mit den Anderen den Raum verhandeln. Stunt-Übungen stellen sich den Anforderungen des Alltags und den Herausforderungen der Kunst im Sinne Spinozas »der mensch-liche Körper kann (sich und) die anderen Körper auf viele Arten bewegen und auf viele Arten disponieren«. Fallvorschläge: Hang over/Head over, Cliffhanger, einfache Sprünge, alle Fälle, Home stunts, Einfall, Zwischenfall, Überfall.

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masut

Videostills MASUT-Einsatz 4. November 2008

Das »Mobile Analysis System for Urban Terrain« ist innerhalb weniger Minuten zu einer stationären und beweglichen Einheit zusammengebaut.

Städtebauliche Hindernisse und territo-riale Gegebenheiten können somit über-wacht und performativ befahren werden. Über den variabel höhenverstellbaren Mast bestimmt man die Kamerahöhe.

Das in einem 360° Schwenkbereich aufge-nommene Filmmaterial kann auf einem kleinen Bildschirm im Wagen direkt ge-sichtet und zur weiteren Analyse aufgezei-chnet werden.

Nach einer Experimentierphase von mehreren Monaten entwickelte sich aus MASUT das Stadtperiskop. Das Stadtperi-skop ermöglicht dem Passanten über ein Monokular den Umraum des Platzes aus einer Höhe von sechs Metern zu er-kunden.

Dieser Entwurf wurde im Rahmen des Wettbewerbs zur Neugestaltung des Vor-platzes der Bergwerksdirektion prämiert und soll 2010 realisiert werden.

5150

engpass

Soziale Skulptur im und zum öffentlichen Raum

Auf dem Weg vom Hauptbahnhof in die Fußgängerzone (Bahnhofstraße) wird der Passant von einem Bauzaun an den Groß-baustellen zweier neu entstehender Ein-kaufszentren vorbei geführt. Diese, den öffentlichen Raum erheblich beschneidende Absperrung, verengt sich etwas unterhalb zu einer Schneise, der Fußgängerstrom wird gestaucht und ge-lenkt, der einstmals vorhandene öffentli-che Platz ist zu einem Unplatz geworden.

Die Aktion Engpass steigert die verursach-te Enge im Stadtraum ins Extreme und ins Absurde: Weg und Zeit zum Überqueren und Durchschreiten des zugespitzten Punkts ziehen sich plötzlich in eine eigen- artige Länge. Drei sichtdurchlässige Wände aus rot- weißem Absperrband werden zwischen den Bauzäunen ge-spannt. In jede der Absperrungen ist jeweils eine Tür aus Dachlatten mit möglichst großem Abstandzur nächsten Tür integriert; durch den langsamen Aufbau fließt der Verkehr nach und nach immer mehr durch die von der Konstruktion vorgegebenen Wege. Nach Fertigstellung kann sich der Passant nur noch im Zick-Zack durch alle drei Türen und die sich bildenden Flure bewegen, um zur anderen Seite der Absperrung zu ge-langen. Der Weg durch die Engstelle wird dadurch um ein Vielfaches verlängert, ohne dass sich ein Nutzen erkennen ließe.An den Türen ist der Passant angehalten sich rücksichtsvoll zu verhalten, denn es kann immer nur eine Person hindurch gehen. Danach wird er in den Gängen der

Installation durch die sich bildenden Schlangen gebremst. Er ist inmitten einer Schikane, die räumliche Situation zwi-schen den Bauzäunen ist ins fast Unzumut-bare gesteigert. »Engpass« ist ein Experi-ment. Es befasst sich mit der Einengung und mit der Fremdbestimmung des Stadt-raums. Inwieweit kann eine Beschneidung des öffentlichen Raums erträglich bzw. legitim sein? Wie weit reichen Verständnis und Geduld des Vorübergehenden?

5352

stadtVer-messung iii, iV

5554

Von der foto-grafie üBer

die installation zur plastik in die stadt

Urbane Gestaltungsprozesse visualisieren

In Form einer analogen schwarz-weiß Foto-serie dokumentierte ich über den Zeitraumvon mehreren Monaten in loser Form das Geschehen vor Ort, wobei ich selbst durch die mehrgleisige Projektarbeit (Rolllust, Kresse, malen) zu einem festen Teil des Raumes wurde. Fünf Tage nachdem der Brunnen sowie ein grosser Teil des Plat-zes von einem massiven Holzzaun um-grenzt wurde, kopierte ich eine Auswahl von fünfzig Abzügen auf DIN A3 (Zeitungs-format) und installierte diese mit Krepp-und Isolierband über eine Fläche, welche den Maßen des Brunnens in etwa ent-sprach. Nachts zuvor bohrten Unbekannte eine Vielzahl von Schaulöchern in den Zaun, welche ich in einige Arbeiten inte-grierte. Folgend collagierte ich über mehrere Tage die Kopien teilweise so, dass Strich für Strich die Grenze zwischen Foto-grafie und Malerei, also dem Klischee ent-sprechend zwischen Realität und Fiktion, verschwamm. Durch den Einfluss des Raums, Menschen und Klima, war die In-stallation in einem steten Wandel, der sich durch Spuren auf den einzelnen Kopien unterschiedlich stark abzeichnete. Abfallende Stücke wurden gesammelt und auch die übrigen wurden nach zwei

Monaten restlos von der Wand entfernt und archiviert. Am 28. September 2008, einem öffentlichen städtischen Kunsttag, übertrug ich offiziell Ausschnitte einer Auswahl der Originalstücke mit Tapeten-kleister auf kleinformatige Leinwände (20 x 20 cm, 24 x 30 cm) und kolorierte diese teilweise nach.

Anfang November, im Rahmen einer ein-wöchigen S_A_R Aktionswoche, wurden diese Stücke von täglich 10.00 – 18.00 Uhr am Bauzaun ausgestellt.

malenMinimaler Materialaufwand (drei

Grundfarben und Gold in Acryl, Bleistift, Ölpastellkreide, Paketschnur, Pappe)

Kleines Format (angelehnt an Postkarte) – Serie – grundiert (grün = Kresse, blau =

Wasser, violett = scheinbar)

Figur gezeichnet – lasierend übermalt – mehrfach wiederholt – in Wurstpapier verpackt – ausgestellt und verkauft vor

Ort (10 bis 30 Euro).

Beobachtung und Empfindung fließen indie Variation eines abstrakt figürlichen, raumbezogenen Motivs, Facetten eines kol-lektiven Stadtbewusstseins werden visuali-siert und geteilt.

5756

karle - kresse

Kresse (lat. lepidium sativum), einjährige krautige Pflanze. Erreicht Wuchshöhen

von bis zu 50 Zentimetern. Die Stängel sind kahl, bläulich grün und

nach oben verzweigt. Die weißen bis rosa-farbenen Blüten sind zwittrig und viel-

zählig. Es werden Schoten gebildet.

Am 10. Mai 2009 ging ich morgens früh in den Baumarkt und kaufte 50 Liter Blumen-erde, drei Packungen Kressesamen undeine kleine Gießkanne, brachte diese Dinge im Einkaufswagen per Straßenbahn zum Brunnen. Ich verteilte im hinteren Brunnenbereich, an zwei oval geschwun-genen Innenseiten, über eine Länge von circa zwei Metern Blumenerde, wobei eine circa ein Meter breite Öffnung blieb. Anschließend füllte ich am nahe gelege-nen (circa 500 Meter) Flussufer der Saar fünf 1,5 Liter Plastikflaschen mit Wasser, säte die Samen und bewässerte mit der Gießkanne die Erde.Die Bewässerung der Nutzpflanze wurde vier mal täglich wiederholt. Bereits nach wenigen Tagen sprossen die Keimlinge aus der Erde und wurden sofort von den äußerst aggressiven Tauben attackiert, so verließ ich die schattige Position an der Box und baute meinen Maltisch direkt auf dem Brunnen auf, um als lebende Vogel-scheuche zu fungieren. Die Kresse wuchs über zwei Monate bis zur Blüte, wobei diese von den Bürgern auch in meiner Abwesenheit respektvoll behandelt wurde. Die Pflanze mit ihrem kräftig hellgrünen Farbton wurde kontinuierlich zu einem festen Bestandteil des urbanen Raumes. Als die Fußball- EM den innerstädtischen Raum übernahm und sich auch an diesem Platz regelmäßig unkontrollierbare Menschenmengen entluden, ließ ich die

Kresse verdorren, um aufbauend auf den getrockneten Resten eine zweite Generati-on zu pflanzen und mit Hilfe meines Assi-stenten Sandro aufzuziehen. Der Bau des Zaunes verhinderte eine weitere Pflege, wobei die Pflanze mit Hilfe gelegentlicher Regenschauer sich nicht vom Wachsen abhalten ließ. Durch bauliche Maßnah-men sowie dem unsachgemäßen Umgang verkümmerte diese jedoch und wurde im Rahmen einer gemeinsamen S_A_R Aktionswoche feierlich in eine 70er Jahre Joghurtmaschine transformiert.

5958

das Brunnen-malBuch

Der Brunnen bleibt!Der Brunnen muss weg!

Der ovale Brunnen, der zwischen Stadtund Bahnhof zum Anhalten und Verwei-len einlud, liegt heute hinter einem Zaunverborgen. Er wird im Zuge einer Platz-umgestaltung zerstört. Das Brunnenmal- buch ist eines von drei Souvenirs, welchedie ursprüngliche Situation des Platzesthematisieren. Seit April 2008 haben wirden Brunnen und die vor Ort stattfinden- den Veränderungen gleichermaßen for-

platzplätzchen

schend und dokumentierend begleitet und durch Aktionen in die jeweils vor-gefundenen Zustände eingegriffen. Das Brunnenmalbuch ist ein interaktives Souvenir und als künstlerischer Aufruf zum Ausmalen zu verstehen.

6160

s_a_r archiV für Verhaltens- und inter-

aktionsformen in Öffentlichen räumen,

s_a_r projektBüro

Der Begriff »öffentlicher Raum« vermittelt noch die Illusion, dass es einen Raum gibt, der für jedermann öffentlich zugäng-lich und verfügbar ist. Bei der Nutzung traditionell öffentlicherRäume wie beispielsweise Plätze, Straßen und Parks stößt manjedoch sehr schnell an Grenzen. Man macht die Erfahrung, dass es nicht einen demokratisch zugänglichen Raum, sonderndass es unterschiedliche Räume öffentlichen Interesses gibt, deren Zugangs-, Aufenthalts- und Nutzungsrecht ständig neu geregelt wird und immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Der »Raum für Alle« und mit ihm auch die darin enthal-tenen öffentlichen Objekte sind verstärkt in den letzten zwan-zig Jahren teils heimlich und verdeckt, teils offensiv, in unter-schiedliche Interessenssphären aufgeteilt worden. Diese Sphären öffentlichen Interesses können öffentlich, halb-öffentlich, scheinöffentlich und privat(-wirtschaftlich) sein. Dabei haben sie ein Faktum gemeinsam: sie sind meistens ge-

setzlich geregelt, administrativ erfasst und sie werden kontrol-liert. Der amerikanische Soziologe und Autor Mike Davis er-wähnt zu Beginn der neunziger Jahre in seinem Buch »City of Quarz« drei Instrumente, die im Kampf um den öffentlichen Raum eingesetzt werden: Stadtplanung, Architektur/Kunst und Polizei. (Davis 2006: 219) In der ersten Hälfte der neunziger Jahren wurden diese unglei-chen Paare um weitere Lenkungs- und Kontrollinstrumente er- weitert: Mit speziellen Gesetzen sowie Ausnahme- und Sonder-genehmigungen regulieren Legislative und Exekutive die Zugangs- und Nutzungsrechte im urbanen Raum, der immer mehr von privaten und kommerziellen Begehrlichkeiten ver-vereinnahmt wird. Parallel dazu beherrscht, als verlängerter Arm der Exekutive, eine weitaus wirkungsvollere Instanz das urbane Leben: In U-Bahnbereichen oder Kreuzungen ersetzen inzwischen mediale Augen die Präsenz der Polizei. Während die analoge und digitale Überwachung lange Zeit auf spezielle private, kommerzielle und halböffentliche Räume wie Banken und Museen, Kaufhäuser und Bahnhöfe beschränkt geblieben ist, fand Mitte der neunziger Jahre unter einer von diversen Interessen geleiteten Sicherheitshysterie eine deutliche Expan- sion der medialen Kontrolle in öffentliche Räume statt. Dieweithin sichtbare oder auch clandestine Installierung öffent-licher Überwachungssysteme bewirkt, neben einem vermeint-ichen Sicherheitsgefühl, vor allem eine Normierung und Ein-schränkung menschlicher Verhaltensweisen. Die Folge davon ist, dass ursprüngliche Qualitäten des urbanen Raumes, dieman mit Offenheit, Heterogenität und Vielfalt, Anonymität

6564

in der Masse, Toleranz, geringe soziale Kontrolle und (Bewe-gungs-)Freiheit verband, in der Kontrollgesellschaft immer mehr verloren gehen. In gleichem Maße werden Elemente derGewaltenteilung, die einen wesentlichen Bestandteil demo-kratischer Öffentlichkeit ausmachen, in der Kontrollgesell-schaft immer weiter an Aufzeichnungssysteme delegiert – bis sie sich selbst irgendwann überflüssig machen. Neben dengesetzlich verankerten Normen und staatlich verordneten Re-gulierungsmechanismen bilden jedoch auch nicht-sprachliche Konventionen wie beispielsweise Rituale und Bräuche, so ge-nannte soziale Normen, die mit bestimmten Orten und Situa- tionen verknüpft sind, menschliche Verhaltensformen aus. Inwieweit Gesetze, Kontrollinstanzen, Rituale und Konven-tionen das Verhalten in den unterschiedlichen öffentlichenRäumen bestimmen, führt der Jurist und Politologe Martin Klamt in seinem 2007 erschienen Buch »Verortete Normen« aus, in dem er den Zusammenhang von Normen, Raum undKontrolle und deren Wirkung auf die subjektive Wahrneh-mung und das Verhalten der Raumnutzer ausleuchtet. (Klamt 2007:96)Geht man davon aus, dass es sich bei künstlerischen Praktikenim öffentlichen Raum häufig auch um derivate Positionenhandelt, so stellt sich die Frage, inwieweit sich künstlerische Handlungsspielräume durch Kenntnis nicht nur der histori-schen, stadtplanerischen und gesetzlichen Rahmenbedin-gungen, sondern auch der mit einem Ort verbundenen sozia-len Normen erweitern lassen. Für unsere Untersuchungen zum sozialen städtischen Raum ist eine Äußerung des franzö-

sischen Philosophen Henri Lefebvre von Bedeutung, der in seiner Schrift »The Production of Space« (Lefebvre 1991) die These vertrat, dass »Raum nicht nur durch soziale Interaktion entsteht, sondern auch aktiv gestaltet werden kann.« Für unsschließt sich hier eine weitere Frage an: Inwieweit können durch künstlerische Handlungen die Atmosphären, die Struk-turen und das Verhalten in öffentlichen Räumen beeinflusst oder gar verändert werden? Wie müssen diese Handlungen und Aktionen beschaffen und strukturiert sein, um nicht nur mediale Aufmerksamkeit, sondern auch eine gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten zu können? Diese Fragestellungen werden seit Sommersemester 2008 im Rahmen der Forschungsarbeit am S_A_R Archiv/S_A_R Projekt-büro in Zusammenarbeit mit Studenten erforscht. Parallel zuden Aktionstagen des Projektbüros S_A_R vom 3. November bis 9. November 2008 fand ein Seminar zumThema »Bewegungs-raum« in einer nahe gelegenen italienischen Eisdiele statt. Das Seminar hatte unter anderem die Funktion, die aktionistische Praxis am Platz vor der Bergwerksdirektion theoretisch zu fun-dieren. Hierbei wurde die generelle Nutzungsmöglichkeit un-terschiedlicher öffentlicher Räume ausgelotet. Speziell wurden die urbanen Funktionsräume, die der Fortbewegung dienen einer eingehenden Analyse unterzogen. Ausgangspunkt für diekünstlerische Auseinandersetzung mit dem urbanen Feld bil-dete eine Mindmap, die im Rahmen der bisherigen theore-tischen Auseinandersetzung und empirischen Forschungsar-beit entwickelt wurde. Das Schaubild zeigt exemplarisch dasAuseinanderfallen des öffentlichen Raums in diverse Teil-

6766

räume, die von unterschiedlichen Interessengruppen geprägt sind, sich ständig neu formieren und mit eigenen Symbolen und identitätsstiftenden Elementen belegt werden.

Abbildung unten: Mindmap öffentlicher Räume bildet den Ausgangspunkt für die mikrosoziologischen Untersuchungen des S_A_R Archivs für Verhaltens und Interaktionsformen in öffentlichen Räumen.

plädoyer für einen ort, an dem man sitzen, herumstehen und

liegen kann

Zwanzig Studenten drängen sich am 4. November 2008 im Hinterzimmer der italienischen Eisdiele um einen Tisch, um über den Zustand öffentlicher Räume und künstlerische Handlungsmöglichkeiten zu diskutieren. Anlass für das unge-wöhnliche Seminar, das von »Verhaltens- und Interaktions-formen in öffentlichen Räumen« handelte, boten die Aktions-tage, die vom 3. November bis 9. November 2008 vom S_A_R Projektbüro auf dem ehemaligen städtischen Terrain vor der Bergwerksdirektion organisiert wurden. Unter der Leitung von Prof. Georg Winter hatte das an die HBKSaar angliederte S_A_R Projektbüro unter dem Motto »Sculpture. Action. Research« schon im Frühsommer 2008 damit begonnen, den zwischen Bergwerksdirektion, Schlemmermeile und Bahnhofstraße gelegenen namenlosen Platz, den bis vor kurzem noch ein ova-ler Granitbrunnen zierte, mit unterschiedlichen künstleri-schen Praktiken zurück zu erobern. Die künstlerische Rückge-

69

Aufspaltung des öffentlichen Raums in diverse Teilöffentlichkeiten/Interessensräume mit unterschiedlichen öffentlichen Zugangs- und Nutzungsrechten, die immer wieder neu ausgehandelt werden.

Zunahme durch Globalisierung

Umwandlung und Verkauf von städt./staatl. Eigentum an

privatwirtschaftliche Nutzer/Investoren

GEW

ALTEN

TEILUN

G

Internet, Chat-Rooms

Medien, Wer-bung

Landschaft, Wüste

privat- öffentlich Balkon, Ein-

gangsbereich

städtische, staatliche Institution

Fußgängerzone, Straßen, Plätze

Ab/Ausschluss von Communities

residuelle Segregation

Ghettoisierung von Gesell-

schaftsgruppen migrant./demo-

graph./sozial

Fußgängerzone, Straßen, Plätze

Bahnhöfe, Flug-häfen,

Verkehrsmittel

Konsumräume, Passagen, Malls, Entertainment,

Center

Privatraum /sphäre mit

beschränktem, gesetzlich

zeichen-und kontrollarme

Räume

Bewegungsraum StVD

Parakulturelle Räume

halböffentliche Räume

privatwirt-schaftliche

scheinöffentlicheRäume

mediale, virtuelleRäume der

Kommunikation und Information

Erzeugung politischer

Öffentlichkeit

urbaneTeilöffentlich-

keitenInteressens-

räume

Abnahme an Zugangsrechten

Repräsen-tationsraum

urbane Brachen,Industriebrachen

Zunahme an Zugangsrechten

Verortung privater

Normen (Sennett)

Zunahme an KONTRO

LLE

HAUSRECHT

winnung, Sicherung und Bergung des Platzes waren miteinem enormen materiellen und zeitlichen Aufwand, mit Aus-dauer und physischer Präsenz verbunden. Das künstlerische Engagement artikulierte sich unter anderem in einem kiosk-artigen Habitat, in Straßenaktionen und theaterartigen Auf-führungen, in Konzerten, Open-Air-Kino und Bürgercafé, in Vorlesungen und Seminaren, in einem Skaterfestival, bei dem die urbanen Oberflächen abgefahren wurden und in einer betreuten Bauzaun-Ausstellung, die über vier Monate lang für jedermann zugänglich war.

Die 1996 eingeweihte »ovale Wasseranlage« im Herzen Saar-brückens zählte bis vor kurzem zu den klassischen Räumen öffentlicher Nutzung, da sie inmitten der verkehrsberuhigten Fußgängerzone, als Knotenpunkt verschiedener Wege und da-mit als zentraler Treff- und Rastpunkt funktionierte. Nach dem Verkauf der Bergwerksdirektion und der Überlassung der Gestaltungshoheit des angrenzenden Areals an einen Investor wurde der Platz zum exemplarischen Austragungsort von öf-fentlichen und privatwirtschaftlichen Interessen. Die Meinungen und Meldungen, die sich in den Medien, in Un-mutsbekundungen von Passanten über den »Ausverkauf der Stadt« und in Protesten politischer Gremien niederschlugen, spiegelten die Reaktionen einer noch funktionierenden demo-kratischen Öffentlichkeit. Während die Stadtverwaltung von der Privatisierung eine Aufwertung der Innenstadt (unter Ein-satz der vom Investor beauftragten Sicherheitsdienste) unddamit eine Steigerung des potenziellen Einkaufs- und Freizeit-

werts erhoffte, sind auf der anderen Seite demokratische Pro-zesse, die mit Information, Transparenz und Kommunikation verbunden sind, vernachlässigt worden. Der Stadtplaner und Architekt Andreas Feldtkeller weist in seinem Buch »Die zweckentfremdete Stadt« auf die Gefahren der Privatisierung öffentlicher Räume hin, die er im Ende der Kommunikation und in der Aushöhlung der demokratischen Gesellschaft sieht. Anstelle der normierten Investorenarchitektur, die im Zuge der Privatisierung die Innenstädte »globalisiert«, plädiert Feldtkeller für eine »Stadt mit Eigenschaften.« (Feldtkeller 1994: 137f.)

Zu diesen Eigenschaften zählen auch das Zulassen sozialer Mikromilieus und demokratischer Prozesse, die sich nicht inder restriktiven Einschränkung von Aufenthalts- und Hand-lungsmöglichkeiten und in der Ausgrenzung weniger zah-lungskräftiger Bevölkerungsgruppen äußert, sondern in all-gemeinen Zugangs-, Aufenthalts- und Nutzungsrechten. In gleichem Maße gehören jedoch auch das Zulassen von Vielfalt, Offenheit und Toleranz, Diskursivität und Vitalität zu den im Schwinden begriffenen Qualitäten städtischen Lebens. »…« Sitzen und Gehen, Flanieren und Treffen, Essen und Kaufen, Flirten und Demonstrieren muss möglich sein – möglichst gleichzeitig –, sonst entsteht kein »öffentlicher Ort«, nur »deutsche Fußgängerzone«! (Kaschuba 2003)

Susanne Jakob, 2009

7170

Literatur Davis, Mike (2006): City of Quarz, Ausgrabungen der Zukunft,

4. durchgesehene Auflage, Berlin, Hamburg.

Feldtkeller, Andreas (1994): Die zweckentfremdete Stadt, Wider die

Zerstörung des öffentlichen Raums, Campus Verlag

Frankfurt/ New York.

Kaschuba, Wolfgang (2003): Repräsentationen im öffentlichen Raum, in:

Wolckenkuckucksheim 8. Jg., Heft 1.

Klamt, Martin (2007): Verortete Normen. Öffentliche Räume, Normen,

Kontrolle und Verhalten. Verlag für Sozialwissen-

schaften, München.

Lefebvre, Henri (1991): The Production of Space/ La production de

L`espace (franz. 1974), Malden/Oxford.

»Die Kunst ist nicht, wie das Convenu will, Synthesis, sondern zerschneidet die Syn-thesen mit derselben Kraft, die sie bewerk-stelligte« T.W. Adorno, Ästhetische Theorie

Adorno-Seminar am 05.11.2008, um 18:00 Uhr, Schlomo-Rülf-Platz, Saarbrücken.

72

ordnungsamt

Abbildungen Seite 82 bis Seite 85

Am Donnerstag kommt Besuch vom Ordnungsamt Saarbrücken. Grund dafür sind Beschwerden von Ladenbesitzern und Anwohnern, die am Vortag durch die In-stallation »Engpass« kurzzeitig gehindert waren, mit ihren Kraftfahrzeugen die Fußgängerzone zu durchfahren. Nach ersten Annäherungsversuchen durch das gegenseitige Aufnehmen der Personalien wird bemängelt, dass sich noch Überreste der Aktion an den hölzernen Bauzäunen befänden. Da sie als verbleibende Skulptu-ren nicht den Qualitätsvorstellungen des Ordnungsamtes entsprachen, werden diese in der Folge entfernt. Als Konsequenz und Verwarnung (unsere Kompetenzen des weiteren nicht mehr zu überschreiten) wird uns jegliches nicht abgesprochene Agieren auf dem Vorplatz untersagt und als Handlungsraum ein Radius von drei Metern um das Projektbüro mit den Behörden ausgehandelt. Ein mit Straßen-kreide gezogener Aktionsradius zeugt für kurze Zeit von dieser Begegnung und den erschwerten Arbeitsbedingungen. Die Klage wird in den folgenden Wochen zurückgezogen.

strasznik / straszny

Die Soundperformance bedient sich der Mittel des Field- und des Life Recordings. Beide Techniken werden kombiniert, ihre Erzeugnisse dabei über Lautsprecher wiedergegeben; ein Mikrofon nimmt die Geräusche des Platzes, der Passanten und der Baustelle auf, welche mit Computer gemischt, bearbeitet und neu abgespielt werden. Instrumente wie Sprache, Klari-nette, Saxophon und Electronics erwei-tern das Spektrum. Klänge unterschiedli-chen Ursprungs verbinden sich zu einem Klangkörper, der Vergangenes, Aufgenom-menes und Gegenwärtiges »Live« vereint.Weiterer Verlauf der Performance: Ein mit Kieselsteinen und Münzgeld befüllter Be-tonmischer wird hinzugezogen und per Mikrofon abgenommen; der erzeugte Rhythmus mischt sich mit den Geräuschender Baustelle und bringt sie zu neuer Geltung. Der tatsächliche und imaginäre elektronische Fluss quer über den Platz schafft eine körperliche Verbundenheit zwischen den performierenden Elemen-ten: Die Anordnung von Mischstation, Betonmischer, Mikrofon und Beleuch-tung, von Performer und Publikum wird mit dem abnehmenden Tageslicht zur audiovisuellen Skulptur.

7574

»der nagel«

Ein städtebauliches Objekt auf dem Vorplatz der Bergwerksdirektion.

Aufgabenstellung zum Wettbewerb für Studierende der HBKSaar im

Wintersemester 2007/2008

Geplante Maßnahmen: Baumreihe und Fahrradständer an Stelle des Bushalte-platzes. Platanen analog Begrünung der Bahnhofstraße und Reichsstraße.

Geplante Maßnahmen: Ergänzung beider-seits der Trierer Straße »Boulevard« im Endausbauzustand.

Geplante Maßnahmen: Sitzgelegenheiten zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität. Unterstützung der Platzform; Sitzstufen der Treppenanlage laden zum Verweilen ein.

Geplante Maßnahmen: Formale Fassung des Platzes. Vereinheitlichung der Gefälle-situation, Behindertengerechter, ebenerdi-ger Zugang in das künftige Center. Defini-tion der südlichen Platzkante durch groß-zügige Sitzstufen.

Veränderungen in der Kernstadt: Europa-bahnhof. Erweiterung der Saargalerie. Berliner Promenade. Verlagerung der Pas-santenströme erfordert Neuordnung des Platzes.

Aufgabenstellung: Entwicklung eines städtebaulichen Objekts im Schnittpunkt der Blickachsen (der »Nagel«). Adressie-rung des Platzes über das zu entwickelnde Objekt (»CI«). Berücksichtigung der städte-baulichen Situation. Gelenkfunktion des Platzes. Höhensituation des Platzes.

Bedeutung der Gebäude, Wegebeziehun-gen, Blickbeziehungen.

Anforderungen: Grundfläche bis circa 3 x 3 m, Höhe bis circa 6 m. Berücksichtigung der zukünftigen Wegebeziehungen. Berücksichtigung der Blickbeziehung BahnhofStraße/Eingang Bergwerksdirekti-on. Einhaltung eines Kostenbudgets von 25.000,00 Euro. Kostenneutralität hinsicht-lich der Betriebskosten, alternativ Klärung der Kostenübernahme (sponsoring ?), Du-rabilität, insbesondere gegen Witterung und Vandalismus.

Forderungen: Maßstäbliche Darstellung in Grundriss/Ansicht/Schnitt einschließlich der städtebaulichen Einbindung. Perspek-tivische Darstellung. Modell im Maßstab 1:66B. Begründung/Erläuterungsbericht. Kostenschätzung

Termine: 12.12.2007 Startkolloquium. Nach Bedarf Zwischenkolloquium.Mitte Mai 2008 Präsentation der Grund-idee. Dezember 2008 Jurysitzung, Präsentation. Bis Ende August 2009 Fertigung. Bis Ende September 2009 Aufstellung.

(Auszug aus den Wettbewerbsvorgaben)

7978

der fünfte paVillon –»normally

i don’t do this kind of stuff!«

Neue Ausstellungsreihe des

S_A_R Projektbüros, Eröffnungsausstellung von

Frederic Ehlers,25. Juni bis 2. Juli 2009

Unter dem Titel »Der Fünfte Pavillon« star-tet das von Prof. Georg Winter initiierte und betreute S_A_R Projektbüro an der Hochschule der Bildenden Künste Saar eine neue Ausstellungsreihe in der Saar-brücker Innenstadt. Im »fliegenden Bau« auf dem Vorplatz der Bergwerksdirektion, den Studierende während der vergange-nen Semester als Stadtlabor nutzten, wird nun alle zwei Wochen eine neue Ausstel-lung eröffnet, die jeweils eine Woche lang zu sehen ist. Der Auftakt der neuen Ausstellungsreihe wird bestritten mit Frederic Ehlers Präsen-tation »Normally I don’t do this kind of stuff (Drawings, Pix, Collages and other Stuff)«. Der Schwerpunkt von Ehlers Arbei-ten liegt in der künstlerischen Recherche und in der prozessorientierten kreativen Entwicklung. Das Endprodukt als abge-schlossenes Werk spielt eher eine unter-geordnete Rolle. »Die Ausstellung wirkt daher wie eine große Skizzensammlung: bunt und persönlich, kindisch, humorvoll und ziemlich chaotisch, aber mit vielen Parallelen zwischen den verschiedenen Arbeiten, die Raum schaffen für abstruse und komplexe Geschichten«.

8180

der fünfte paVillon –

amore ohne schinken, sinn

ohne zweckAusstellung, 23. bis 30. Juli 2009,

Cornelia Fachinger und Philipp Neumann

Im Zeitraum einer Woche hatten Passan-ten die Möglichkeit, im Fünften Pavillon der HBK Saar an einer Meinungsumfrage zur Veränderung des Baustellenbildes der ehemaligen Bergwerksdirektion in der Innenstadt Saarbrückens teilzunehmen. Ausgangspunkt war der Vorschlag, die Holzkonstruktionen über dem Eingangsbe-reich, welche zum Schutz der beiden Arbeiterstatuen angebracht wurden, mit Fotografien mythologisch angelehnter Darstellungen zu versehen.

Die Abgabe der Stimme erfolgte nach Be-trachtung des Vorschlags als Fotomontage und der zugehörigen Ausdrucke in Ori-ginalgröße. Für den Vorgang des Wählens wurden eine Sitzmöglichkeit und ein Tisch mit Wahlurne bereitgestellt. Die Urne (Karton, 20 x 20 x 20 cm) mit circa 80 Stimmzetteln bleibt ungeöffnet. Dieses geschlossene Gefäss, gefüllt mit öffentlicher Meinung, ist das Produkt unserer Auseinandersetzung mit der Wandlung der Saarbrücker Bergwerksdi-rektion und der Frage nach Sinn und Zweck von Meinungsumfragen sowie der Wertigkeit ihrer Ergebnisse.

8382

der fünfte paVillon – tropisch 1

Performance, 13. August 2009, 16.00 bis 18.00 Uhr

Mirjam Bayerdörfer und Daniela Nadolleck

Versuchsanordnung: Tropisches Klima, im besonderen das Äquatorialklima zeichnet sich aus durch stetig hohe Temperaturen und eine ungewöhnlich hohe Luftfeuchtig-keit, empfunden als feuchte Hitze. Bei einer Jahresmitteltemperatur von 25°C und einer Luftfeuchtigkeit von 95% ge-deiht eine Vielfalt von Pflanzen- und Tierarten.

In dem geschlossenen Versuchsraum be-mühen wir uns, über einen Zeitraum von 90 Minuten, ähnliche klimatische Verhält-nisse herzustellen. Während dieser Zeit berichtet die Anzeige auf dem Monitor über die Lage im Innern.

Um 18.00 Uhr laden wir Sie ein, das Errei-reichte persönlich zu überprüfen und den Versuchsraum durch die Hintertür zu be-treten. Für erfrischende Getränke ist ge-sorgt.

Versuchsdurchführung: Wir starten bei knapp 80% relativer Luftfeuchtigkeit und 20°C. Ein Bodenbrett bricht unter der ab-rupten Belastung; von mitgebrachten 8 Litern Wasser trinken wir die Hälfte; als die Besucher hereinkommen, zeigt das Hygrometer 100% und 21,5°C: Es röche wie im Zoo, sagt man uns.

8584

der fünfte paVillon –

tempmahplast grüsst das saarland

Vernissage/Finissage, 9. September 2009, 17.00 Uhr, Nadine Kiesé

Auf einer Tour durch die saarländischen Städte Merzig, Neunkirchen, Saarlouis und St. Wendel wurde das stürzende Tempmahplast in Fotoserien dokumen-tiert.

Das Tempmahplast ist eine mobile und temporäre Mahnmalplastik, ein Fixpunkt des Gedenkens. Damit das Tempmahplast seine Funktion erfüllen kann, muss es errichtet und nach dem Akt des Geden-kens wieder abgebaut/gestürzt werden.

Für die eintägige Ausstellung »Tempmah-plast grüßt das Saarland« entstanden Daumenkinos aus den Fotoreihen. Auf dem Schlomo-Rülf-Platz wurden diese zu-sammen mit dem aufgestellten Tempmah-plast gezeigt – für die Dauer der Austel-lung mit zwei Eisenstäben in einem Sockel verankert und standfest gemacht. Diese gaben nach und verbogen sich, als die Plastik mit Hilfe einer Nylonschnur zum Stürzen gebracht wurde und in einer langsamen Bewegung zu Boden fiel.

8786

der fünfte paVillon –

style`n´lookperformance

Performance, 20. August 2009, 20.00 UhrAnna Kautenburger

Carola Blau von Studio Beauté führt sie in die Welt der dekorativen Kosmetik, mit einer style`n´look performance am 20. August 2009 um 20.00 Uhr, im Fünften Pavillon der HBK Saar. Vergessen Sie Ihren Alltag und wenden Sie sich den schönen Seiten des Lebens zu. http://www.youtube.com/CarolaBlau

8988

index index

georg winter

[email protected]

Vom Vorplatz der Bergwerksdirektion zum Schlomo-Rülf-Platz, Seite 10 Straßenkampfübung/Street fight

exercise, Seite 28 Was passiert am Platz vor der Bergwerksdirektion?, Seite 44

daniela nadolleck

[email protected]

Wasserspende, Seite 39 Einfall Rückfall – Aufstieg und Fall

junge Kunst, Seite 48Der Fünfte Pavillon – Tropisch 1, Seite 84

somprot sirirat (Big)

[email protected]

hyun ju do

[email protected]

deng runxia

[email protected]

nadine kiese

[email protected]

Aktion: Temporäre Gedenkstätte Schlomo-Rülf-Platz, Seite 46

steffi westermayer

[email protected]

Öffentliches Brunnenfrühstück, Seite 30

tanting

[email protected]

mirjam BayerdÖrfer

[email protected]

Eine Tafel decken, Seite 32Der Fünfte Pavillon – Tropisch 1, Seite 84

alexander karle

[email protected]

Rolllust Brunnensession, Seite 26 Malen, Seite 56

Von der Fotografie über die Zeichnung zur Plastik in die Stadt, Seite 57

Karle Kresse, Seite 58

Birgit kÖrner

[email protected]

dieter call

[email protected]

Brunnenwasser, Seite 24Stadtvermessung III, Seite 54

Das Brunnen-Malbuch, Seite 61

anja Voigt

[email protected]

Brunnenwasser, Seite 24Das Brunnen-Malbuch, Seite 61

katharina ritter

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Masut, Seite 50

wojtek Bajda

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Strasznik/Straszny, Seite 74

susanne jakoB

[email protected]

S_A_R - Achiv für Verhaltens- undInteraktionsformen in

öffentlichen Räumen, Seite 64Plädoyer für einen Ort an dem man sitzen, herumstehen und

liegen kann, Seite 69

phillip neumann

[email protected]

Der Fünfte Pavillon – Amore ohne Schinken, Seite 82

martina wegener

[email protected]

Fragen an Passanten, Seite 22

nikolaus schrot

[email protected]

Engpass, Seite 52

anna kautenBurger

[email protected]

Der Fünfte Pavillon – Style‘n‘LookPerformance, Seite 88

9392

index impressum

jan engels

[email protected]

Masut, Seite 50

inkyung choi

[email protected]

Stadtvermessung IV, Seite 55

arne menzel

[email protected]

Medienperformance BILD Saarland, Seite 38

cornelia fachinger

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Der Fünfte Pavillon – Amore ohne Schinken, Seite 82

christine reisen

[email protected]

Fragen an Passanten, Seite 22

caroline streck

[email protected]

martin stoll

Fliegender Bau: Entwurf,Realisation, Seite 14

lena hennig

[email protected]

Platzplätzchen, Seite 60

frederic ehlers

[email protected]

Der Fünfte Pavillon – Normally I don‘t do this kind of stuff, Seite 80

franz helffenstein

[email protected]

Achtung Halt, Seite 42

Redaktion: S_A_R ProjektbüroDaniela Nadolleck, Georg Winter,

Nikolaus Schrot, Mirjam Bayerdörfer

Textbeiträge: Georg Winter, Susanne Jakob, Mirjam Bayerdörfer und alle

Beteiligten

Bildrechte bei den Projekt-verantwortlichen, außer Seite 51/56

Oliver Dietze,

Gestaltung: Binger/Stoll, SaarbrückenDruck:

Auflage: 1000 Stück

Copyright: S_A_R Projektbüro, 2010

http//:www.sar.hbksaar.de

Mit freundlicher Unterstützung und in Kooperation mit:

Diese Publikation wird in Kooperation mit der ECE, der Credit Suisse, der Landes-hauptstadt Saarbrücken, der Hochschule der Bildenden Künste Saar vom S_A_R Projektbüro herausgegeben. Sie erscheint als Teil des städtebaulichen Gestaltungs-wettbewerbs: »Der Nagel« Ein städtebauli-ches Objekt auf dem Vorplatz der Berg-werksdirektion, Wettbewerb für Studie-rende der HBK Saar im Wintersemester 2007/2008.

Vielen Dank an die BürgerInnen der Landeshauptstadt Saarbrücken, an Frau Oberbürgermeisterin Charlotte Britz, anFrau Baudezernentin Rena Wandel-Höfer, an Herrn Markus Bischoff, an Frau Kunz und ganz besonders an Herrn Prof. Ivica Maksimovic.

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