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2. Bericht „Zukunft Bildung in der Region Trier" Studie der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung für die Nikolaus Koch Stiftung. Trier/Berlin 30.06.2014

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2. Bericht

„Zukunft Bildung in der Region Trier"

Studie der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung für die Nikolaus Koch Stiftung.

Trier/Berlin 30.06.2014

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis .....................................................................................................................................3

Vorwort ....................................................................................................................................................5

Übersicht der Interviewpartner ...............................................................................................................6

Anonymisierungsschema der Interviews .................................................................................................7

Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................................................8

1. Querschnittsthema Inklusion ...............................................................................................................9

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht ...............................................................................................9

So sieht es vor Ort aus … ......................................................................................................................9

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 10

Das empfehlen wir … ............................................................................................................................. 13

2. Frühe Bildung, Betreuung und Erziehung ......................................................................................... 14

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht ............................................................................................ 14

2.1 Übergänge von der Familie zur Kita und von der Kita in die Grundschule ..................................... 15

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 15

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 17

2.2 Fachkräftesituation ......................................................................................................................... 19

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 19

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 20

2.3 Familienbildung ............................................................................................................................... 23

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 23

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 24

2.4 Sprachbildung .................................................................................................................................. 26

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 26

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 27

2.5 Das empfehlen wir … ....................................................................................................................... 29

3. Schule und Übergänge ins Berufsleben ............................................................................................ 30

3.1 Qualität an Schulen ......................................................................................................................... 30

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht ............................................................................................ 30

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 31

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 33

3.2 Übergang Grundschule – weiterführende Schule ........................................................................... 36

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht ............................................................................................ 36

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Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 39

3.3 Persönlichkeitsbildung, Motivation, Ausbildungsreife .................................................................... 42

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht ............................................................................................ 42

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 42

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 46

3.4 Berufsorientierung .......................................................................................................................... 51

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 51

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 53

3.5 Das empfehlen wir … ....................................................................................................................... 55

4. Aufwachsen in der Region Trier ........................................................................................................ 57

4.1 Familienfreundlichkeit ..................................................................................................................... 57

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht ............................................................................................ 57

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 57

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 59

4.2 Identifikation mit der Region ........................................................................................................... 61

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht ............................................................................................ 61

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 61

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 62

4.3 Chancengerechtigkeit von Jungen und Mädchen und Kindern und Jugendlichen im ländlichen

Raum ...................................................................................................................................................... 63

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht ............................................................................................ 63

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 63

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 66

4.4 Nachbarsprachenkompetenz .......................................................................................................... 70

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht ............................................................................................ 70

So sieht es vor Ort aus … ................................................................................................................... 70

Das braucht es aus Sicht der Akteure … ............................................................................................ 72

4.5 Das empfehlen wir … ....................................................................................................................... 74

Resümee ................................................................................................................................................ 75

Zentrale Handlungsempfehlungen .................................................................................................... 76

Kontakt .................................................................................................................................................. 78

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Vorwort Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung führte von Oktober 2013 bis Juni 2014 im Auftrag der Nikolaus Koch Stiftung eine Bedarfsanalyse „Zukunft Bildung in der Region Trier“ durch. Ziel war es, die großen Themenfelder Bildung und Aufwachsbedingungen in der Region Trier in den Blick zu nehmen und Handlungsempfehlungen für die Nikolaus Koch Stiftung zu formulieren. Die Region Trier umfasst in der Analyse die Stadt Trier und die Landkreise Trier-Saarburg, Bernkastel-Wittlich, Bitburg-Prüm und Vulkaneifel.

Im ersten Teil wurden in einer Daten- und Dokumentenanalyse Themenfelder ermittelt, in denen bereits heute besonderer Handlungsbedarf besteht bzw. für die zukünftig größerer Handlungsbedarf prognostiziert wird. Die Daten- und Dokumentenanalyse legten wir im Februar 2014 in einem ersten Zwischenbericht der Nikolaus Koch Stiftung vor. Aus der heterogenen Material- und Datenlage sowie deren Qualität, Aktualität und Aussagekraft wurde die thematische Relevanz einer Sekundäranalyse sichtbar. Ziel dieser war es, die identifizierten Themen und Handlungsfelder mit den Anforderungen aus der pädagogischen Praxis abzugleichen und zu schärfen. Die Ergebnisse der Daten- und Dokumentenanalyse dienen als Basis der Befragung im zweiten Analyseschritt.

Der vorliegende zweite Bericht „Zukunft Bildung in der Region Trier“ dokumentiert die in zwölf Experteninterviews und drei Gruppendiskussionen geäußerten Situationsbeschreibungen und Handlungsbedarfe unterschiedlicher Professionen im Handlungsfeld Bildung in der Region Trier.

Über die Auswahl der interviewten Expertinnen und Experten sowie der jeweiligen Zielgruppe der Gruppendiskussionen informierten wir die Nikolaus Koch Stiftung. Die Gespräche wurden entlang eines offenen Interviewleitfadens geführt. Dabei wurde der Blick der Befragten auf Defizite und Lücken im Handlungsfeld gelenkt. Die Auswertung der Experteninterviews und Gruppendiskussionen orientierte sich an den methodisch-methodologischen Fundierungen nach Meuser und Nagel.1 Diese zielen auf eine kommunikative Erschließung und analytische Rekonstruktion der jeweils individuellen Dimensionen des Expertenwissens ab.

Zu Beginn eines jeden Interviews wurden die Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmer nach den für sie aktuell wichtigsten Bildungsthemen in der Region Trier befragt. Aus den Antworten wurde deutlich, dass die Themen Inklusion, individuelle Förderung, Familienbildung und Berufsorientierung die regional größte Relevanz haben. Je nach Profession der Befragten wurden als weitere wichtige Themen in der Region die Flexibilisierung der Betreuungszeiten, die Notwendigkeit der Vernetzung für Teilhabegerechtigkeit, die Entwicklung der Realschule Plus, der Fachkräftemangel und der Akademisierungstrend genannt.

1 Meuser, M./Nagel, U. [2009]: Experteninterview und der Wandel der Wissensproduktion. In: Bogner, A. (Hg.):

Experteninterviews – Theorien, Methoden, Anwendungsfelder. 3. Auflage. Wiesbaden. S. 35–60.

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Zu Beginn steht in Kapitel 1 das Querschnittsthema Inklusion. In Kapitel 2 werden Handlungsbedarfe rund um das Themenfeld Bildung, Betreuung und Erziehung aufbereitet. Daran schließt sich in Kapitel 3 der Bereich Schule und Übergänge in das Berufsleben an. Kapitel 4 thematisiert das Aufwachsen in der Region Trier. Zu Beginn eines jeden Kapitels wird Bezug auf die Erkenntnisse des Zwischenberichtes gelegt. Es folgt eine Beschreibung der von den Interviewpartnern geschilderten Situation vor Ort und eine Darstellung des Handlungsbedarfes aus Sicht der Akteure. Zum Abschluss eines jeden Kapitels stehen unsere Empfehlungen.

Ein besonderer inhaltlicher Schwerpunkt in der Analyse wurde auf die von der Nikolaus Koch Stiftung prioritär genannten Themen Inklusion, Frühe Bildung, Betreuung und Erziehung und die Stärkung des mittleren Bildungsweges gelegt. Zitate aus den Interviews veranschaulichen das Bild der Akteure vom jeweiligen Handlungsfeld.

Für eine bessere Lesbarkeit wurden Füllwörter in den Zitaten, die den Inhalt der Aussagen nicht berühren, redigiert.

Übersicht der Interviewpartner

Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Experteninterviews Julia Klein, Agentur für Arbeit Trier, Teamleiterin Berufsberatung Jana Tannenhauer, Kreisverwaltung Bernkastel-Wittlich, Jugendscout2 Angelika Heber, Jugendamt Daun, Fachberaterin Kindertagesstätten,

Tagespflegebörse Erika Werner, Kath. Kindertagesstätte „Emmaus“ Gillenfeld (Kita gGmbH),

Standortleiterin, Bildungs- und Sozialmanagerin Bianca Monzel, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung gGmbH, Leiterin der

Regionalstelle Rheinland-Pfalz Angela Thelen, Diözesan-Caritasverband Trier, Abteilungsleiterin

Kindertageseinrichtungen Josef Winandy, Jugendamt Eifelkreis Bitburg-Prüm, Amtsleiter Rudolf Fries, Kommunales Bildungsmanagement (Lernen vor Ort), Projektleiter Angelika Birk, Bürgermeisterin Stadt Trier (Bündnis 90/Die Grünen), Dezernentin für

Bildung, Jugend, Soziales und Sport Marcus Kleefisch, Industrie- und Handelskammer Trier, Geschäftsbereich Ausbildung,

Federführer der Arbeitsgemeinschaft Aus- und Weiterbildung der IHK Rheinland-Pfalz Günther Behr, Handwerkskammer Trier, Geschäftsführer, Geschäftsbereiche

Ausbildung, Lehrverträge, Gesellenprüfungen, Ausbildungsberatung Dieter Lintz, Trierischer Volksfreund, Redakteur

2 Aufgabe der Jugendscouts ist es, gemeinsam mit Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren berufliche Perspektiven zu entwickeln.

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Gruppendiskussion mit Schulleiterinnen und Schuleitern sowie Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern – teilnehmende Schulen

Kurfürst-Balduin-Realschule plus Trier

Integrierte Gesamtschule Salmtal Realschule plus Traben-Trarbach Franziskus Grund- und Realschule plus Irrel Grund- und Realschule plus Kell/Zerf

Gruppendiskussion mit Elternvertreterinnen und Elternvertretern aus Kindertageseinrichtungen und Grundschulen – teilnehmende Einrichtungen

Kath. Kindertagesstätte „Emmaus“ Gillenfeld

Kindertagesstätte St. Marien Prüm-Niederprüm Kindertagesstätte Spatzennest e.V. Trier Grundschule Trier-Ruwer Regionalelternsprecher für die Region Trier

Gruppendiskussion mit Jugendlichen – teilnehmende Einrichtung Jugendzentrum Hermeskeil

drei Jungen und drei Mädchen im Alter von 12 bis 16 Jahren

Anonymisierungsschema der Interviews

[B1] – [B12] Kennzeichnung der Interviewpartner nach zufälliger Nummerierung [B1 Sch] – [B8 Sch] Kennzeichnung der Teilnehmenden an der Gruppendiskussion mit den

Schulleiterinnen und Schuleitern sowie Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern nach zufälliger Nummerierung

[B1 E] – [B6 E] Kennzeichnung der Teilnehmenden an der Gruppendiskussion mit den Elternvertreterinnen und Elternvertretern nach zufälliger Nummerierung

[B1 J] – [B6 J] Kennzeichnung der Teilnehmenden an der Gruppendiskussion mit den Jugendlichen nach zufälliger Nummerierung

[m/w] [männlich/weiblich] verwendete Abkürzung, wenn Zuordnung der Gesprächspartner der Gruppendiskussion nicht nachvollziehbar

[I] Interviewer

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Abkürzungsverzeichnis

Kita Kindertageseinrichtung BEE Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesstätten MBWWK Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz MIFKJF Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Rheinland-Pfalz NUBBEK Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit ÖPNV Öffentlicher Personennahverkehr PiK Profis in Kitas PISA Programme for International Student Assessment QuaSi Qualität im Situationsansatz RP Rheinland-Pfalz U3-Betreuung Betreuung der unter Dreijährigen U3-Plätze Plätze in Kindertageseinrichtungen für unter Dreijährige WiFF Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte

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These Inklusion gewinnt zukünftig immer

mehr an Bedeutung, an vielen Bildungsstandorten der Region wird sie jedoch noch nicht praktiziert.

Info-Text Im Rahmen der UN-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Menschen mit Behinderung hat sich die Bundesrepublik 2009 dazu verpflichtet, für alle Kinder eine gleichberechtigte Teilhabe im Bildungssystem zu gewährleisten. Inklusive Bildung meint, alle Kinder in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit anzuerkennen und ihnen chancengerechte Bildungsteilhabe zu ermöglichen. Dafür braucht es qualifizierte Fachkräfte und eine verbesserte Ausstattung. Zentral ist jedoch, dass alle Beteiligten, also Eltern, Fachkräfte, Träger, kommunale und politische Entscheidungsträger, eng zusammenarbeiten.

Die rheinland-pfälzische Landesregierung formuliert im Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention die Vision, dass alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderung in Zukunft gemeinsam Kindertagesstätten und Schulen besuchen können. Der Blick auf die aktuelle Situation zeigt, dass die Mehrheit der Kinder gemeinsam die Kita besucht, sich mit dem Übergang in die Schule jedoch oftmals die Wege scheiden. Das Land macht beim Vorhaben, längeres gemeinsames Lernen zu ermöglichen, kleine Fortschritte: Der Anteil der Schülerschaft mit Förderbedarf in Regelschulen ist in den letzten fünf Jahren von 16,9 % auf 23 % gestiegen. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die eine Förderschule besuchen, ist im selben Zeitraum mit 3,8 % jedoch gleichgeblieben. Die gemeinsamen Anstrengungen zeigen erste Erfolge, dennoch bleibt der Auftrag, den inklusiven Grundgedanken in den pädagogischen Alltag zu übersetzen, für alle Bildungsinstitutionen bestehen.

1. Querschnittsthema Inklusion

Erkenntnisse aus dem

Zwischenbericht

So sieht es vor Ort aus …

Der Begriff Nach Einschätzung der Gesprächspartner ist der Begriff der Inklusion „gewaltig“. Er „überfordert“, ist „angstbesetzt“, ihm fehlt „die Fassung“. Inklusion erscheint unrealistisch und unerreichbar und wird oftmals mit Integration verwechselt. Ein Bild davon, wie Inklusion vor Ort aussehen kann, fehlt zumeist. Die augenblickliche Situation wird als „unbefriedigend“ wahrgenommen.

[B1 Sch] „[Wir] brauchen nur die Startseite Inklusion auf dem Bildungsserver lesen. Da ist so oft der Begriff Inklusion verwendet, wo er nicht gemeint ist und wo ich [mich] jedes Mal, wenn ich mir das durchlese, […] frage: Wissen die es jetzt selber nicht besser, die es dahin schreiben, oder wissen sie, dass sie mogeln? Beides ist nicht gut. Da ist bestenfalls Integration mit gemeint.“

Herausforderungen der Inklusion in Kindertageseinrichtungen Die Pädagoginnen und Pädagogen in den Kindertageseinrichtungen versuchen, Inklusion umzusetzen, doch ihnen fehlen sowohl die

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entsprechenden personellen Rahmenbedingungen als auch die fachliche Qualifizierung und die fachliche Begleitung. Daraus resultieren Enttäuschungen für alle Beteiligten:

[B1] „[…] oftmals [stimmen] die Rahmenbedingungen […] nicht. Und dann entstehen ungute Situationen. Sowohl die Erwartungen der Teams, der Eltern und letztendlich des Kindes bleiben dahinter zurück und man versucht, […] irgendwie unter Aufbietung aller Kräfte was hinzubekommen.“

[B3] „Da haben wir eine Fachkraft in der […] Schule, das ist die Gehörlosenschule in Trier, und

die kommt regelmäßig einmal die Woche zu uns in die Einrichtung. Diese betreut das Kind. Sie leitet aber auch die Erzieherinnen an, wie sie mit dem Kind umgehen sollen und müssen und was sie in der Woche leisten können, damit das weitergeht mit dem Kind. Das funktioniert total gut. Zusätzlich zu den Heilpädagogenstunden und den Logopädenstunden. Aber das ist, glaube ich, etwas, wo man sagen muss, da müsste noch mehr passieren.“

[B2]: „Das hängt auch damit zusammen, dass wir nicht die ausreichende Kapazität an Personal haben, die sich damit auseinandersetzen. Gerade im Rahmen der Qualitätsentwicklung ist das ganz, ganz wichtig.“

Herausforderungen der Inklusion an Schulen Die Schülerschaft an den Grund- und weiterführenden Schulen ist sehr heterogen. Die Schulen stehen vor der Situation, dass in vielen Bereichen Ressourcen fehlen. Viele Kinder bringen unterschiedliche Probleme mit. [B11]: „[…] wir haben ja eine breite Masse von eben

Lernbehinderten, psychisch Behinderten und sozial Auffälligen.“ Auf der anderen Seite fehlt z. B. den Schulen des mittleren Bildungsweges die Leistungsspitze, um Inklusion in seiner Ganzheitlichkeit umzusetzen. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen wird Inklusion als [B3 Sch] „Mammutaufgabe“ wahrgenommen, bei der Lehrer, Eltern und Kinder gleichermaßen mitgenommen werden müssen.

[B1 E] „[…] sagen sie mal einer Elternschaft in der normalen Grundschule, ab morgen habt Ihr einen Autisten, ein Kind, das ganzheitlich entwicklungsgestört ist, ein schwerstbehindertes, mehrfach schwerstbehindertes, das Therapien in der Schule braucht, Beispiel Schwimmunterricht bräuchte […] das Infusionen kriegt usw. […].“

[B11] „[…] die Schulen werden überhaupt nicht in die Lage versetzt werden. Die klagen ja jetzt schon drüber und da habe sie Recht mit. Sie kriegen keinerlei verbesserte Rahmenbedingungen, keinerlei Lehrerzuwendungen usw. Was heißt keinerlei, aber jedenfalls nicht in dem Maße, um wirklich individuell je nach Begabung zu fördern.“

[B6 Sch] „[…] die Bandbreite ist immer größer geworden und wird auch immer noch größer. Nur wir haben die Ressourcen nicht, darauf so zu reagieren, wie wir es gern machen würden.“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Ein gemeinsames Inklusionsverständnis erarbeiten. Ein einheitliches Begriffsverständnis dessen, was Inklusion ist und wie Inklusion umgesetzt werden kann, ist im Bewusstsein der Akteure noch nicht verankert.

[B7] „Der Begriff Inklusion [ist] selbst den Akteuren, die unmittelbar damit zu tun haben, nicht so richtig klar ist. […] er wird immer durcheinandergeschmissen.“

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Erst wenn die an Inklusion Beteiligten wissen, was konkret Inklusion bedeutet, kann eine Haltungsänderung bei Lehrerinnen und Lehrern, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern gelingen, die dazu führt, dass Inklusion nicht als Belastung, sondern als Bereicherung verstanden wird. Damit Inklusion in den Einrichtungen gelebt werden kann, braucht es einen Konsens über ein gemeinsames Inklusionsverständnis, welches von allen Beteiligten mitgetragen wird. Ein Bewusstseinswandel kann durch Qualifizierungen und gemeinsame Fortbildungen gelingen.

[B2]: „[…] mit Lehrerschaft, mit Schulsozialarbeit, mit den Integrationshelfern […] schauen, was ist überhaupt die Aufgabe.“

Dem Eindruck, dass Regelschülerinnen und -schüler durch den Unterricht mit beeinträchtigten Schülerinnen und Schülern im Lernen behindert werden und die Pädagogen den Anforderungen in der Schule nicht mehr gerecht werden, muss aktiv begegnet werden. Fachveranstaltungen und Vorträge können das Bewusstsein für das Thema durch die Vermittlung von praktischem Wissen stärken.

Die Diskussion eines einheitlichen Begriffsverständnisses ist in der Region bereits angeschoben, jedoch [B7] „dauert [es] ein paar Jahre, bis sich [dieses] in den Köpfen durchsetzt“. Um in der Stadt Trier zu einem gemeinsamen Begriff der Inklusion zu gelangen und diesen mit Rahmenbedingungen und Maßnahmen zu flankieren, richtet die Stadt beispielhaft eine Stabstelle Inklusion ein. Ziel ist es, grundlegende Absprachen mit den relevanten Akteuren (Bildungseinrichtungen, Verwaltung und Zivilgesellschaft) zu treffen, um gemeinsam ein Verfahren der Umsetzung auf den Weg zu bringen. Für die Schaffung der passenden Rahmenbedingungen und Ressourcen sowie für die Wissensvermittlung sind sowohl der Bund als auch das Land und die Kommunen gefragt. Private Akteure können unterstützend wirken und die öffentlichen Anstrengungen begünstigen.

[B4] „Da [kann sich eine Stiftung] auf jeden Fall beteiligen und einbringen und dann sehr genau differenzieren und schauen, wo sie durch Engagement das auch noch beflügeln und unterstützen kann.“

Gute Praxis bekannt machen. Handhabbare Projekte können helfen, Standards für Inklusion festzuklopfen, auf deren Basis Pädagogen qualifiziert werden können. Gemeinsam mit der Praxis könnten [B 5] „laborartig modellhafte Bilder“ für Inklusion entwickelt, Erfahrungen gesammelt und Wissen gebündelt werden. Durch Beispiele guter Praxis können zugleich Ängste genommen und die beteiligten Akteure für die Umsetzung motiviert werden.

B1 „[…] wir haben zwar in der Theorie viele Papiere, was es alles bräuchte, aber wir haben keine praxisrelevanten Beispiele, wie es dann tatsächlich gehen kann.“

Durch die guten Praxisbeispiele können die Pädagogen für die individuellen Bedürfnisse der Kinder sensibilisiert und qualifiziert werden. Qualifizierungen einerseits und die Möglichkeiten einer externen Begleitung der Einrichtungen andererseits können die Qualität der Arbeit vor Ort erhöhen.

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[B3] „Fachveranstaltungen zu verschiedenen Bereichen, wie Kinder mit Sprachauffälligkeiten, Kinder mit Körperbehinderung, Kinder mit geistigen ..., also dass man einfach mal so verschiedene Bereiche abklopft […].“

Bildungspartner in Dialog bringen. Sowohl für die Entwicklung eines gemeinsamen Bewusstseins als auch für die Wirksamkeit von Good Practice sollten Kindertageseinrichtungen und Schulen sowie Schulen und außerschulische Professionen zukünftig noch besser miteinander kooperieren. In moderierten Sitzungen sollten sie an einen Tisch kommen, um über die Erfolgsfaktoren von Inklusion ins Gespräch zu kommen. Auf diese Weise kann die gesellschaftliche Akzeptanz für Inklusion von unten wachsen.

[B12] „[Es muss] einen Dialog […] um die baulichen Voraussetzungen, die Voraussetzungen über Schulsozialarbeit als eben auch die Voraussetzungen im Lehrerteam [geben].“

Zugleich muss sich Schule öffnen können und für die Arbeit in multiprofessionellen Teams sensibilisiert werden.

[B6 Sch] „[Inklusion] ist machbar, können wir als Lehrer leisten, wenn wir die Fähigkeiten hätten, unser Geld eigenständig zu verwalten. […] das Schulsystem braucht Hilfe von außen mit der Möglichkeit, freie Ressourcen neu einsetzen zu können […].“

[B2 Sch] „[…] das kriegen wir nicht hin, indem einfach ein paar Ressourcen anders verteilt werden, sondern es geht wirklich nur dadurch, dass Lernen anders organisiert wird und dass Andere mit ins Boot kommen. […] kommunale Bildungslandschaft […] das müsste der Ansatz sein.“

Aus Sicht der Expertinnen und Experten muss der Dialog mit den öffentlichen Partnern dahingehend gefördert werden, dass Ressourcen für die Umsetzung von Inklusion fokussiert eingesetzt werden können und die Einbindung weiterer Professionen in den Umsetzungsprozess gelingen kann.

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Das empfehlen wir … Neue Ideen und Konzepte entwickeln

Das Konzept „Gemeinsam Klasse“ – ein Programm der Nikolaus Koch Stiftung und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung – für Kindertageseinrichtungen

adaptieren Durch Good Practice ein glaubhaftes Bild von Inklusion vermitteln und dieses

transferfähig machen

Transfer guter Praxis und Qualifizierung Die öffentliche Hand unterstützen, die notwendigen Rahmenbedingungen

(Ressourceneinsatz, Koordinierung, Qualifizierung) für die Umsetzung von Inklusion zu ermitteln, und entsprechende Modellvorhaben auf den Weg bringen

Fach- und Lehrkräfte durch Wissensvermittlung qualifizieren

Kooperation verbessern, Akteure und Ressourcen zusammenbringen

Verantwortungsgemeinschaften zum Thema „Inklusion“ stiften und damit Kompetenzen und Ressourcen bündeln

Netzwerke auf kommunaler Ebene fördern und die Akteure darin unterstützen, Ressourcen und Eigeninteressen kommunal zu verhandeln

Diskussionen anregen/Agenda Setting

Die Akteure auf allen Ebenen unterstützen, ein einheitliches Begriffsverständnis zu

finden Einen öffentlichen Diskurs zum Thema „Was braucht Inklusion?“ initiieren Eine Haltungsänderung bei Lehrern, Eltern, Verwaltung und Zivilgesellschaft von

Berührungsängsten und Vorurteilen hin zu Freude an einer gelebten Inklusion herbeiführen

Den Dialog der öffentlichen Partner moderieren, um die Anpassung von Rahmenbedingungen vor Ort auf den Weg zu bringen

Einen Dialog zur Öffnung der Schulen für den Einsatz multiprofessioneller Teams in Gang setzen

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Info-Text: Erkenntnisse aus nationalen und internationalen Studien (z. B. NUBBEK, PISA) haben dazu beigetragen, die Erziehungs- und Bildungsqualität in Kindertageseinrichtungen stärker in den Blick zu nehmen. So wurden in Rheinland-Pfalz bereits 2004 die Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesstätten (BEE) überarbeitet und in der Folge die Initiative „Zukunftschancen Kinder – Bildung von Anfang an“ (damals MBWWK, heute MIFKJF) ins Leben gerufen. Das Landesprogramm fördert u. a. die qualitative Weiterentwicklung des Kita-Angebots z. B. durch die Verbesserung des Übergangs in die Grundschule, zusätzliche Sprachförderung sowie die Qualifizierung und Professionalisierung der Fachkräfte. Um Qualitätsentwicklungsprozesse weiterhin zu stärken, wurde 2008 die „Empfehlung zur Qualität der Erziehung, Bildung und Betreuung in Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz“ veröffentlicht, in der die Ziele der FBEE und des Landesprogramms nachhaltig verankert sind. Ferner hat die Teilnahme zahlreicher Kitas an unterschiedlichen Projekten zum Thema „Qualität“ (z. B. QuaSi, WiFF, PiK, Modellprogramme, wie Ponte und Mittel.Punkt) zu einer Professionalisierung der Fachkräfte sowie Auseinandersetzung mit der Erziehungs- und Bildungsqualität in Kitas geführt. Mit der jüngsten Initiative Kita!Plus (2012) hat sich die Landesregierung die Förderung von fairen Bildungschancen für alle Kinder zum Ziel gesetzt. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Eltern und die Vernetzung der Kita in den Sozialraum sollen dabei helfen, jedes Kind und seine Familie individuell zu stärken.

Thesen Die Qualität in Kitas muss gemeinsam mit den

Akteuren verhandelt und ausgehandelt werden. Dabei müssen die besonderen Bedürfnisse der Familien sozialraumorientiert in den Blick genommen werden.

Familienbildung ist ein zentraler Baustein für die Rahmenbedingungen eines guten Aufwachsens von Kindern. Der Anteil von Einrichtungen der Familienbildung pro 10.000 Kinder ist in der Region Trier, mit Ausnahme von Bitburg-Prüm und der Stadt Trier, bisher gering.

Jugendliche aus Spätaussiedler- und Flüchtlingsfamilien haben schlechtere Chancen auf einen gelungenen Bildungsverlauf als Jugendliche ohne Migrationshintergrund.

Identifizierte Handlungsfelder Die Qualität an den Übergängen von den Kitas

zur Grundschule verbessern Fachkräften ein attraktives Arbeitsfeld bieten In den Ausbau von Kindertages-einrichtungen

zu Familienzentren investieren; bereits begonnene und zukünftige Investitionen der Jugend- und Gesundheitsämter in den Ausbau der sozialräumlichen Familienbildung in den Teilregionen begleiten, z. B. mit informellen Bildungsmaßnahmen, die die Erziehungs- und Familienkompetenzen fördern; die Qualität der Bildungs- und Erziehungs-partnerschaft in Kitas weiter verbessern und auf den Grundschulbereich erweitern

Mit Blick auf Migrantinnen und Migranten in Eltern- und Familienbildung investieren sowie Bildungs- und Erziehungs-partnerschaften stärken; Differenzen demokratisch kultivieren und das Miteinander der Nationalitäten, Religionen und Kulturen fördern

2. Frühe Bildung, Betreuung und Erziehung

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht

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2.1 Übergänge von der Familie zur Kita und von der Kita in die Grundschule

So sieht es vor Ort aus …

Der Übergang von der Familie zur Kita ist vielseitig. Der Übergang von der Familie in die Kita wird in der Regel mit der Eingewöhnung der Kinder realisiert. Nach Einschätzung der Expertinnen und Experten wird dabei der sozialräumlichen Herkunft und den familiären Rahmenbedingungen des Kindes zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

[B3] „Dass Familien in der Kita ankommen, man aber von der Kita gar nicht weiß: Wo kommt denn die Familie her? […] ich glaube, da könnte man das Bewusstsein schaffen, dass das auch ein Prozess ist, dass das nicht von heute auf morgen geht […] und dass man auch erstmal ankommen muss in der Kita, […] dass man auch ein bisschen Geduld mitbringen muss als Familie, dass sich da vieles verändert […].“

Besonders wenn Kinder sehr jung in die Einrichtungen kommen, sollte der Aufmerksamkeit gegenüber dem Kind und dessen familiären und sozialräumlichen Kontext eine besondere Relevanz eingeräumt werden. Die Haltung der pädagogischen Fachkräfte gegenüber den Eltern spielt hierbei eine besonders große Rolle.

[B6] „[…] das ist [von der] Haltung der Mitarbeiter zu den Themen [abhängig]. Wenn ich mich nicht mit den Themenbereichen auseinandersetze, wenn ich nicht selber dahinter stehe, dass auch Einjährige in der Kita betreut werden […], dann, denke ich, ist es ganz schwierig. Dann kann ich die besten Voraussetzungen haben.“

Das Bildungs- und Betreuungsangebot für unter Dreijährige wird der Nachfrage bislang nicht gerecht. Der quantitative Ausbau von U3-Plätzen in der Stadt Trier wird nach Ansicht der Expertinnen und Experten dem Bedarf der Eltern nicht gerecht.

[B1] „Was immer noch hinterherhinkt, ist der Ausbau selber. Wir haben ja noch lange nicht überall den Bedarf, den auch Eltern anmelden, weil man mit dieser 35-Prozent-Quote gemerkt hat, gerade im städtischen Bereich, dass das lange nicht hinkommt, dass teilweise 50, 60 Prozent Plätze gebraucht werden. […] der Bedarf [an U3-Plätzen] selber ist natürlich auch noch nicht gedeckt.“

[B5] „[…] was zum Beispiel immer noch […] in Trier dünn ist, ist der U3-Bereich […].“

Wenn Eltern keinen U3-Platz in einer Kindertagesstätte bekommen, sind sie auf die Kindertagespflege angewiesen. Aber auch die Kapazitäten in der Kindertagespflege sind in der Stadt Trier begrenzt.

[B5] „[…] Kindertagespflege […], ist total dünn in Trier.“

Als ein besonderes Spezifikum in der Stadt Trier kommt hinzu, dass die U3-Plätze, je nachdem in welchem Stadtteil sich die Kindertageseinrichtungen befinden, unausgewogen besetzt sind. Diese Unausgewogenheit ist jedoch nicht auf die pädagogische Qualität der

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Einrichtungen zurückzuführen, sondern vielmehr auf die soziale Lage der Bevölkerung in diesen Stadtteilen.

Ob die Einrichtungen auf die veränderten Anforderungen der U3-Betreuung sowie auf die zunehmend längeren Betreuungszeiten gut reagieren können, ist abhängig davon, wie gut die pädagogischen Fachkräfte auf die Situation vorbereitet sind. Nachdem bislang der Fokus auf dem quantitativen Ausbau von Betreuungsplätzen für unter Dreijährige lag, rückt die Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte nun in den Vordergrund.

[B5] „Also bisher ging es ja eher darum, überhaupt die Plätze zu schaffen, und jetzt spürt man einfach einen riesen Nachholbedarf an Qualifizierung, auch daran, Erfahrungen zu machen: Was brauchen wir eigentlich? […] es braucht eine sehr praxisorientierte, reflexiv angelegte Begleitung von qualitativer [Arbeit] in Krippen.“

Die Bildungskonzepte in den Kitas und den Grundschulen sind sehr unterschiedlich. Der Übergang von der Kita zur Grundschule gestaltet sich regional sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht von einem einmaligen Besuch der Vorschulkinder in der Grundschule bis hin zu monatlichen Besuchen.

[B2 E] „Bei uns wird dieses, Mainzer Unterrichtsspiel nennt sich das, auch im Vorschulbereich gemacht. […] Also das funktioniert relativ gut schon.“

[B2 E] „Also bei uns [ist das] eine super Zusammenarbeit. Die tauschen sich auch regelmäßig aus. Unsere Vorschulkinder gehen auch in die Grundschule rein einen Tag [und] schauen sich das schon mal an.“

[B1E] „Aber es gibt Schulen, da wird es überhaupt nicht gemacht.“

[B3 E] „Also in [Ort anonymisiert] ist es so, dass der Kindergarten mit der Grundschule ganz eng zusammenarbeitet. Da gehen die Grundschulkinder mindestens einmal im Monat in die 1. Klasse, haben da schon eine Stunde Unterricht mit der 1. Klasse […].“

Insbesondere von den Eltern werden die unterschiedlichen Bildungskonzepte in den Kindertageseinrichtungen und den Grundschulen mit Vorbehalten betrachtet. Der Ansatz der offenen Gruppenarbeit in den Kindertageseinrichtungen mit einer erhöhten Wahlfreiheit der Kinder stimmt nach Einschätzung der Befragten mit den Anforderungen, die die Grundschulen später an die Kinder richten, nicht überein. Die Eltern sehen hier die Gefahr einer Überforderung der Kinder, wenn diese mit den unterschiedlichen Systemen und Anforderungen nicht zurechtkommen.

[B3 E] „Die [Kinder] haben dort [in den Kitas] keine Zügel mehr und kommen dann in die Grundschule und plötzlich haben sie strenge Zügel. […] Ich habe ein Kind, […] [das] überhaupt nicht mehr gerne in die Schule geht, 1. Klasse schon, der total gefrustet ist, der eigentlich gar keine Lust mehr hat […]. Und das ist das, was ich kritisch sehe im Kindergarten. Die haben alle Freiheiten, können überall rumrennen, sind am Wuseln und Machen und plötzlich müssen sie sich an Regeln halten.“

[B5 E] „Meiner Meinung nach steht und fällt das offene Konzept mit der Umsetzung, wie das Team mit dem Konzept umgeht und wie das an die Kinder rangebracht wird. […] bei uns ist es so: Es gibt eine Freispielzeit, da haben die Kinder die Möglichkeit, alles zu machen, was sie wollen, und es gibt natürlich weiterhin feste Angebote […].“

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Die Auswirkungen der unterschiedlichen pädagogischen Ansätze in den Kindertageseinrichtungen und den Grundschulen auf das Kind werden aus der Sicht der Eltern nicht ausreichend berücksichtigt.

[B3 E] „Und das nächste ist, dass die Kinder natürlich noch, ich kann jetzt von dem Jüngsten sprechen, bestraft werden: Wenn sie dreimal rot3 haben […], dann dürfen sie in der Pause nicht raus, dann müssen sie in der Pause noch eine Strafarbeit leisten. Wo ich sage: Meine Güte, dann wird es doch noch schlimmer, [denn] der Kleine braucht Bewegung. Das ist nicht nur ein Kind. In dieser 1. Klasse sind mindestens fünf Kinder, die kann ich alle namentlich nennen, die sind alle so.“

[B1 E] „[…] das ist das, was ich fast tagtäglich von Eltern erfahre, deren Kind in der 1. oder 2. Klasse ist und dem man schon mit einem Schulverweis mit sechs oder sieben Jahren droht. Das geht ganz schnell. Im Kindergarten sind die Kinder das gewöhnt gewesen und das setzt sich dann weiter in der Schule fort. Bis zur 2. ist noch die Spielphase. In der 3. kommt dann der Hammer, da kommen die Noten usw., der Leistungsdruck, alles geht nach unten.“

Aus Sicht der Befragten muss sich die Schule bezüglich der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler zunehmend flexibler zeigen. Vorherrschend ist nach wie vor das Verständnis, dass die Kita die Kinder auf die Schule vorbereiten muss, und nicht, dass die Schulen die Kinder so aufnehmen, wie sie sind. Der Ursprung für diese Haltung wird in einem bestehenden Machtgefälle zwischen den Grundschulen und Kindertageseinrichtungen gesehen:

[B5] „Es herrscht immer noch grundsätzlich, übrigens sehr stark auch auf Seiten der Eltern, ein Verständnis vor, dass Kita auf Schule vorzubereiten hat […]. Da würde ich mir wünschen, dass sich das noch stärker in eine Richtung entwickelt, dass Schulen Kinder so aufnehmen, wie sie sind, und sich auf Kinder einzustellen haben und Kinder nicht auf Schule.“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Übergänge in ihrer Vielfältigkeit in den Blick nehmen. Transparenz schaffen. Im Bildungsverlauf eines Kindes gibt es zahlreiche Übergänge, deren Gestaltung den Bedürfnissen der Kinder noch nicht umfänglich gerecht wird. Übergänge im Bildungsverlauf sollten zukünftig in ihrer Vielfältigkeit und ihren Herausforderungen noch genauer in den Blick genommen werden, um diese für alle Kinder so gut wie möglich zu gestalten. Zugleich müssen sie für die Beteiligten transparenter gemacht werden.

[B3] „[…] wenn man [zivilgesellschaftlich] aktiv werden möchte, könnte man vielleicht generell nochmal darauf schauen. [Denn] es gibt ja nicht nur den Übergang von der Kita zur Grundschule, sondern es gibt den Übergang von der Familie zur Kita und dann von der Kleinkindgruppe zur Krippe zum Kindergarten und dann vom Kindergarten in die Schule und dann von der Schule in den Arbeitsplatz. Es gibt ja genug Übergänge im Kinder- und Jugendbereich, und dass man da nochmal einen Fokus drauf wirft: Was ist da möglich oder wie kann das gut gestaltet sein?“

[B3] „[…] ein Thema, was immer aktuell ist und was immer besprochen werden muss und was immer für Eltern transparent gemacht werden muss […].“

3 In der Schule wird ein Ampelsystem angewendet, welches das Verhalten der Kinder zurückspiegelt.

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Es braucht ein abgestimmtes Verfahren zwischen den Kitas und den Grundschulen. Nach Einschätzung der Experten müssen die Pädagogen in den Grundschulen und Kindertageseinrichtungen zukünftig enger zusammenrücken, zu einem gemeinsamen Bildungsverständnis gelangen und dadurch den Übergang von der Kita in die Grundschule in der Region Trier verbessern.

[B1 E] „Wir wären schon froh, wenn [sich] Schulleitungen aus dem Grundschulbereich jetzt mit den Kindergartenleitungen und dem Team mal auseinandersetzen würden.“

[B1 E] „Oder meine Frau, selbst im Kindergarten Erzieherin, hat dann gesagt gekriegt: Fangt ja nicht an, ABC zu lernen, da bringt ihr mein ganzes System in der Schule durcheinander. Solche Sachen, die sind längst überholt und passieren tagtäglich immer noch. Deswegen wäre es ganz gut, dass man sich früh genug austauscht […]. Das sind vertane Chancen.“

[B5] „[Es] ist eben immer wieder ein Machtgefälle zwischen Kita und Grundschule spürbar.“

Als Beispiele guter Praxis werden von den Befragten Tandemfortbildungen für Kindertageseinrichtungen und Grundschulen wahrgenommen.

[B1] „[…] zum Beispiel fände ich es wunderbar, wenn da verstärkt Tandemfortbildungen stattfinden würden zwischen Erziehern und Lehrern. Das hat aber oftmals schon eine strukturelle Hürde. Wenn eine Ganztagsfortbildung ist, dann haben die Lehrer oft ein Problem damit. Die Lehrer sind es oft gewöhnt, dass ihre Fortbildungen nichts kosten. Erzieher zahlen aber selbst. […] Also da mal zu überlegen: Wie könnte man die Kommunikation, den Austausch, auch das konzeptionelle Miteinander, das Verstehen voneinander fördern? Das ist ebenfalls ein Thema, wo man nicht müde werden kann und sollte.“

[B3 E]: „Also ich kann das wirklich nur wärmstens empfehlen, so wie das bei uns läuft. Das nennt sich, glaube ich, Tandem-Projekt, also wo die Grundschule und der Kindergarten zusammenarbeiten. […] Die Lehrer kennen ihre Kinder vorher, die Kinder kennen den Lehrer, die Kinder kennen die Schule schon. […] Das ist also wirklich ein ganz toller Übergang […].“

Trotz des unterschiedlichen öffentlichen und privaten Engagements wird in einer Vielzahl von Einrichtungen kein adäquates Übergangsmodell umgesetzt. Ein noch stärkerer Transfer gelungener Übergangsmodelle in die Region Trier wäre, so die Befragten, eine lohnende Investition:

[B5] „[…] was sicherlich helfen könnte, wäre nochmal ein stärkerer Fokus darauf, was dort schon alles Gutes erarbeitet worden ist, und dann ein Transfer dieser Ansätze.“

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2.2 Fachkräftesituation

So sieht es vor Ort aus …

Der Fachkräftemangel in den Kindertageseinrichtungen wird sich verschärfen. Der bundesweit vorherrschende Mangel an pädagogischen Fachkräften wird auch in der Region Trier zukünftig deutlich spürbar sein:

[B6]: „Also es wird immer kritischer.“

[B5] „[…] das sieht man daran, dass einfach Stellen schlechter nachbesetzt werden können, dass Stellen längere Zeit vakant bleiben, dass eben auch versucht wird Quereinsteiger zu finden. [...] was eher heißt, dass uns das jetzt die Möglichkeit gibt, nach Lösungen zu suchen, die vielleicht eine Dramatik, die in drei bis fünf Jahren da sein könnte, vermeidet.“

Nicht nur das Fehlen ausgebildeter pädagogischer Fachkräfte, sondern auch die Attraktivität des luxemburgischen Arbeitsmarktes, der den pädagogischen Fachkräften besondere finanzielle Anreize bietet, erschwert die Neubesetzung offener Stellen:

[B2] „Bei uns im Eifelkreis gehen sehr viele nach Luxemburg arbeiten, weil sie dort etwa ein Drittel mehr verdienen als hier im Eifelkreis. Bei Sozialarbeitern ist es das Doppelte. Auch bei den Erziehern. Das ist unser Problem.“

[B1 E]: „[…] Wir haben das Problem, dass wir durch diese Luxemburg-Lage hier im Trierer Raum unglaublich viele Fachkräfte haben, die abwandern, weil der Verdienst in Luxemburg höher ist. Also wir kriegen hier kurzfristig ein Problem, mittel- und langfristig kann sich das unter Umständen demografisch lösen […]. Wir hatten jetzt zwar noch keine Gruppenschließungen, aber es kann sein, dass das nicht so lang auf sich warten lässt, dass wir wegen mangelndem Personal tatsächlich Gruppen schließen.“

Nach Einschätzung der Befragten ist eine unzureichende Qualifikation der Erzieherinnen und Erzieher nicht unmittelbar für den Fachkräftemangel verantwortlich.

Die Weiterqualifizierung der pädagogischen Fachkräfte spielt fortwährend eine große Rolle. Laut den Befragten werden pädagogischen Fachkräften bereits viele Fortbildungen angeboten. Dennoch sind besonders in den Bereichen der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft, der Teamentwicklung und der Reflexion fortwährend Qualifizierungen erforderlich.

[B6] „[…] für mich ist diese Zusammenarbeit mit Familien ein ganz wichtiger Punkt – auch für die Bildungsmöglichkeiten der Kinder und daher ist das natürlich auch ein Qualitätskriterium.“

Als wesentliches Qualitätsmerkmal in Kitas werden die Haltung der Erzieherinnen und Erzieher gegenüber Eltern und die Einbindung dieser wahrgenommen. Hier sehen die Expertinnen und Experten nach wie vor einen besonderen Handlungsbedarf.

Die Bereitschaft der pädagogischen Fachkräfte sich weiterzubilden ist hoch. Die Bereitschaft der pädagogischen Fachkräfte zur Weiterbildung wird von den Befragten als sehr hoch eingeschätzt, obgleich die zeitlichen Ressourcen in der Regel knapp sind.

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[B4] „Also das ist bei Erzieherinnen und Erziehern sowieso anders als bei Lehrern zum Beispiel, dass da eine große Affinität und Bereitschaft zur Entwicklung und zur Bildung, zur Fortbildung besteht.“

[B12] „[….] meist sind sie sehr bildungswillig. Aber auch dann, wenn sie eigene Kinder haben oder eventuell noch einen Zweitjob, weil das Geld nicht reicht, dann ist natürlich wieder die Zeit für Vor- und Nachbereitung der Kitastunden und der Bildung knapp.“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Unterstützung der Einrichtungen auf dem Weg zu multiprofessionellen Teams. Um dem stärker werdenden Fachkräftemangel in der Region zu begegnen, wird die Öffnung der Kindertageseinrichtungen für weitere Professionen zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen.

[B1 E] „Da müssen wir jetzt ein bisschen mehr Kreativität [zeigen], wie man zum Beispiel interdisziplinäre Teams möglich macht. Da lässt die Fachkraftvereinbarung in Rheinland-Pfalz jetzt schon einiges mehr zu.“

[B5] „[…] was man tatsächlich überlegen kann, ist, mehr Quereinsteiger für Kitas zu gewinnen, also Stichwort multiprofessionelle Teams. Ich finde, dass man durchaus in den Gesundheitsberufen zum Beispiel gucken kann […] Physiotherapeuten oder ähnliche […], die man […] für eine Kita gewinnen kann. […] in multiprofessionellen Teams zu denken […], kann gleichzeitig auch eine Antwort sein auf einen noch stärker drohenden Fachkräftemangel.“

Jedoch fehlt es der Praxis an Ideen einerseits und praktischen Umsetzungsmöglichkeiten andererseits, wie andere Professionen passgenau in die Kindertageseinrichtungen integriert werden können.

[B5] „ […] bei dem Schlüssel Teamentwicklung ist zu gucken: Was kann jemand, der vom Ursprung zum Beispiel eine Physiotherapeutenausbildung hat, in einer Kita leisten, […] Stichwort Inklusion […].“

[B6] „[…] das geht jetzt durch die neue Fachkräftevereinbarung, dass man vielleicht in jeder Kindertagesstätte einen Ergotherapeuten anstellt. [Solche] Sachen sind […] mittlerweile möglich, nur die zählen dann zum normalen Personalschlüssel. Das ist […] die Schwierigkeit bei der ganzen Sache.“

Die Qualität der pädagogischen Arbeit in den Kindertageseinrichtungen durch Qualifizierungen erhöhen. Um die Qualität der Arbeit in den Kindertageseinrichtungen fortwährend zu verbessern und zu überprüfen, erkennen die Befragten die Notwenigkeit, die pädagogischen Fachkräfte in den Bereichen der

1. Bildungs- und Erziehungspartnerschaft, 2. der Teamentwicklung, 3. der internen Selbstevaluation sowie 4. der Beobachtung und Dokumentation gezielt zu unterstützen.

1. Das Angebot an Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema Bildungs- und Erziehungspartnerschaften scheint nach Einschätzung der Befragten in der Region Trier

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umfassend und vielfältig zu sein. Dennoch ist eine kontinuierliche Arbeit daran ein Thema, welches auch zukünftig nicht an Bedeutung verlieren wird.

Insbesondere die Haltung der Erzieherinnen und Erzieher gegenüber den Eltern ist für eine gelingende Bildungs- und Erziehungspartnerschaft von Relevanz. Die Expertinnen und Experten meinen, dass die pädagogischen Fachkräfte den Eltern auf Augenhöhe begegnen müssen, um sie als wichtige Ressource für eine qualitativ hochwertige Arbeit mit den Kindern einzubinden:

[B1] „Das ist […] ein Haltungsthema, was dahintersteckt: Wie sehe ich Eltern, auf Augenhöhe begegnen und nehme ich Eltern als Störenfriede wahr oder nehme ich die als Ressource wahr, die ich bewusst in der Einrichtung haben will. Also das ist ein immerwährendes Thema, das ist ein Dauerbrenner. […] an dem Thema sollte man nie aufhören zu arbeiten.“

[B3] „Wenn die Haltung nicht stimmt, dann brauche ich keine Erziehungspartnerschaft an die Tür zu schreiben. Und wenn ich als pädagogische Fachkraft weiß, das Wichtigste für das Kind sind die Eltern und ich muss mit den Eltern gut klarkommen, dass das gut funktioniert, dann kann ich da schon mal anders arbeiten, als wenn ich das nicht weiß. Wissen um vieles ist ganz wichtig.“

[B6] „Es steht aber auch nochmal für mich auch mit so einer Haltungsgeschichte im Zusammenhang, weil früher die Arbeit mit den Eltern so ein Anhängsel war, die man notgedrungen über Dinge informieren musste etc. pp. und die ich heute mitarbeiten lassen soll. […] Irgendwie zu diesem Perspektivenwechsel zu gelangen, da brauchen die Einrichtungen zum Teil noch Unterstützung bei.“

Eine besondere Rolle kommt hierbei den Leitungskräften zu.

[B7] „[…] sie brauchen qualifiziertes Personal für so was, vor allem Führungspersonal. Also wenn Sie sich angucken, wie eine Kita mit einer guten Leiterin, eine Grundschule mit einem guten Rektor, was die alles aus eigener Kraft machen können, und dann gucken Sie zur nächsten Grundschule, zur nächsten Kita einen Kilometer weiter, da passiert nichts dergleichen. Es hat ganz oft damit zu tun, dass die richtigen Leute an der richtigen Stelle sitzen, dass die auch gelernt haben zu motivieren und über den Tellerrand rauszugucken usw. Da ist noch Luft nach oben, der Weg kostet ja noch nichts. Ob jemand da seinen Job gut macht oder nicht […], macht ja in der Bezahlung keinen Unterschied aus.“

2. Teamentwicklungsprozesse sollten verstärkt die Haltungsfrage der pädagogischen Fachkräfte gegenüber den Eltern in den Blick nehmen.

[B5] „[…] trotzdem die Meinung ernstnehmen, sie ist nun mal da und darüber kann man diskutieren. Also Diskursräume zu öffnen, glaube ich, ist auch so ein Thema, das sich dann wiederum einbettet in eine Art von Teamentwicklungsprozessen.“

3. Ein weiteres Instrument, die Qualität der Arbeit in den Kindertageseinrichtungen weiter zu erhöhen, wird darin gesehen, die Selbstevaluation von Einrichtungen zu unterstützen. Dies kann geschehen durch die Entwicklung eines Instrumentariums, an Hand dessen sich die Einrichtungen über ihre Qualität bewusst werden können.

[B6] „Es gibt viele Einrichtungen, die qualitativ hochwertig arbeiten, die sich dessen aber gar nicht bewusst sind […]. Und da irgendwo in dem Bereich zu motivieren, könnte ein Punkt sein.

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[…] eine Selbstevaluation der Einrichtungen. Ich weiß nicht, ob man da irgendwelche Evaluationsinstrumente entwickeln könnte, die einfach zu handhaben sind auch für die Einrichtung […].“4

4. Als besonderes Handlungsfeld der Weiterqualifizierung wird der Dialog der pädagogischen Fachkräfte mit den Eltern über die Entwicklung der Kinder betrachtet. Hierfür brauche es Anstöße, wie Fachkräfte diesen Dialog reflexiv gestalten können.

[B12] „[…] das ist schon eine Herausforderung […] – eine ganz andere Form der Bildungsberatung. Indem man zum Beispiel lernt, auch mit Eltern, die vielleicht von sich aus nicht sehr gesprächig sind oder deren Sprache man nicht spricht, sich über den Bildungswerdegang der Kinder, also mit Fotos oder Zeichnungen des Kindes usw., zu unterhalten, dass es zu so einer Feedbackkultur kommt. […] auch wenn Eltern sich dem nicht öffnen oder man, wie gesagt, noch nicht mal die gleiche Sprache hat, muss man da Zeit und Ideen investieren, um das hinzukriegen.“

Zudem wird ein besonderer Bedarf in der Fortbildung der pädagogischen Fachkräfte im Bildungsbereich Beobachtung und Dokumentation der Kinder sowie im darauf aufbauenden Austausch mit den Eltern gesehen.

[B12] „Und auch die Beobachtung der Kinder, das ist ja Voraussetzung, dass man überhaupt einen Gesprächsgegenstand hat, ist natürlich etwas, weswegen wir die Erzieherinnen auch ständig fortbilden müssen.“

4 Ein solches Instrument wird nach Kenntnisstand der DKJS derzeit an der Universität Koblenz erarbeitet. Vgl. www.kita.rlp.de/index.php?id=673.

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2.3 Familienbildung

So sieht es vor Ort aus …

Familienbildung in den Kitas gewinnt an Bedeutung. Nach Einschätzung der Gesprächspartner steigt die Notwendigkeit, in den Kitas niederschwellige Angebote der Familienbildung vorzuhalten. Gründe für die Verlagerung des Angebotes von den Familienbildungsstätten in die Kitas sehen die Befragten darin, dass die bisherigen Angebote nicht flächendeckend, im ländlichen Raum schwer zu erreichen sind und die Hemmschwelle, diese zu nutzen, bei den Familien hoch ist.

[B1] „[Es wird] immer notwendiger […], dass die Familien nicht in diese Institutionen rein müssen, wenn sie […] Probleme haben, sondern dass es in der Kita eine niederschwellige Möglichkeit gibt.“

Familienbildung in Kitas heißt für die Befragten, dass sowohl Angebote der Elternbildung vorgehalten als auch niedrigschwellige Zugänge zu Hilfen für Familien geschaffen werden.

Die Relevanz der Elternbildung gründet sich auf dem Eindruck der Befragten, dass Eltern scheinbar das Feingefühl dafür, was gute Eltern ausmacht, verloren haben.

[B9] „[…] also einfach aus dem Bauch heraus zu entscheiden […]. Die sind so überfordert, die lesen einen Erziehungsratgeber nach dem anderen und da steht ja überall was anderes drin.“

[B5 E] „Eltern [sind] teilweise überfordert […]. Wie gehe ich mit meinem Kind um? […] es ist schon eine Verunsicherung bei den Eltern [da].“

Um die Rolle der Eltern zu stärken, werden Modelle der Familienkita5 und das Landesprojekt „Kita-Plus“ von den Interviewpartnern als sehr erfolgversprechend wahrgenommen.

[B1] „ Eltern [sollten] einen selbstverständlichen Raum auch in der Kita bekommen, also mit ihren Themen und Belangen niederschwellig da auch Platz finden. Dass es Beratungsmöglichkeiten gibt vielfältiger Art.“

Ist die Familienbildung in der Kita verankert, können Bildungsbedarfe von Eltern leichter identifiziert und bedient werden. Angebote der Familienbildung wirken sich nach Aussage der Expertinnen und Experten somit auch positiv auf die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft aus.

[B2] „Die [Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit den Eltern] entwickeln sich in der Richtung stark oder gut, wenn die Familienbildung in der Kita verankert ist. Das heißt, dort werden regelmäßige Angebote durchgeführt, […] um im Rahmen dieser Gestaltung, dieser Arbeiten herauszufinden: Was bedrückt Eltern, was wollen sie?“

[B1] „Im Hinblick auf Familienorientierung ist natürlich das Thema Bildungs- und Elternpartnerschaft sofort in einem Atemzug. Von daher ist das immer ein Thema, das wichtig ist und das es braucht und wo man vielleicht auch mit neuen Methoden ansetzen könnte.“

5 Von besonderer Bedeutung war in diesem Kontext das gemeinsame Programm der Nikolaus Koch Stiftung und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung „Mittel.Punkt“ von 2011 bis 2013.

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Das Bewusstsein der Familien für eine gesunde Ernährung lässt nach. Familien, insbesondere in prekären Lebenslagen, scheint das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung verloren zu gehen. Die Befragten beobachten mit Sorge, dass die Ernährung der Kinder immer mehr von Fertigprodukten bestimmt wird. Oftmals scheitert eine gesunde Ernährung an der Fertigkeit der Eltern, auch mit begrenzten Mitteln ein schmackhaftes Essen frisch zuzubereiten. Die Zubereitung von zum Teil günstigeren frischen Speisen scheint für viele Familien nicht umsetzbar.

[B1] „Die […] kommen dann in die Einrichtung, haben […] Popcorn dabei oder eine Tüte Chips. Witzigerweise kostet die, statt dass sie ein Butterbrot machen […].“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Niedrigschwellige Hilfen für Familien in den Kitas verankern. Die Kindertageseinrichtungen werden von Familien als Einrichtungen mit einer hohen Verlässlichkeit wahrgenommen. Familien haben das Zutrauen, dass sie [B1] „sehr offen, frei, nicht reglementiert und auch nicht indoktriniert sein können“. Das Potential dieser Vertrautheit zu den Einrichtungen, in denen sie Präsenz zeigen, kann insbesondere für Familien in prekären Lebenslagen genutzt werden. Verknüpft man Familienberatung bzw. Hilfen für Familien eng mit der Kindertagesbetreuung, kann das Problem der Erreichbarkeit von Beratungsstellen gelöst werden.

[B1] „Wir fahren selber auch so Modelle, zum Beispiel, dass wir niederschwellige Angebote von Beratungen in den Kitas vorhalten. Das ist zum Beispiel Lebensberatung, das ist aber auch Schuldnerberatung.“

[B6] „Indem sie auch Unterstützung aus den Bereichen erhalten, wo sie eh hingehen, und das sind für mich ganz häufig die Kindertagesstätten und die Schulen. Weil es ganz häufig schwierig ist, die Leute auch zum Teil aufgrund des öffentlichen Nahverkehrs an irgendwelche Beratungsstellen, Kinderfrühförderung […] und was es da alles gibt zu verweisen, weil die einfach nicht hinkommen. […] Also Schaffung von Angeboten vor Ort, sage ich jetzt einfach mal.“

Niederschwellige Hilfen für Familien in Kitas müssen aus Sicht der Expertinnen und Experten in der Region Trier noch viel mehr in die Fläche gebracht und stärker vernetzt werden. Ziel muss es sein zu erkennen, was die Familien brauchen und welche Hilfestellungen gegeben werden können.

[B3] „Ich glaube, da müssten wir einfach noch irgendwie andere Ansprechpartner finden, die niedrigschwelliger angesiedelt sind. Beispielsweise in der Kita jemanden, der gerade für die Familien zuständig ist – zusätzlich zum normalen Personalschlüssel. Dass da jemand ist, der sich darum kümmern kann. Das sind oft Kleinigkeiten. Das ist oft ein Rezept beim Arzt besorgen oder ein Umzug, wir brauchen noch zusätzliche Materialien oder wir brauchen noch zusätzliche Mittel, einfach so in alltäglichen Sachen unter die Arme zu greifen, um überhaupt mal Ideen zu entwickeln.“

[B2] „[…] die Kita sollte Räumlichkeiten zur Verfügung haben, sodass bei Bedarf jederzeit dort beraten werden kann.“

Wie eine Verankerung der Jugendhilfe in den Kindertageseinrichtungen aussehen kann, wurde im Eifelkreis Bitburg-Prüm bereits beispielhaft erarbeitet.

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[B2] „Wir haben uns […] im Rahmen der Jugendhilfeplanung darauf verständigt. Die zentralen Anlaufpunktstellen für Familienbildung werden für uns die Kindertagesstätten sein und die Schulen. […] Sozialraum Kindertagesstätten heißt für uns im Eifelkreis, auf jede Kindertagesstätte kommen circa fünf bis zwölf Ortsgemeinden, die dann eine größere Fläche bilden. Das heißt, die Kinder müssen teilweise bis zu zwölf Kilometer bis zur Kita fahren. Darauf baut jetzt langsam und stetig die gesamte Jugendhilfe auf.“

Familienbildung in den Kitas der Region Trier etablieren. Nach Einschätzung der Befragten sollten Familienbildungsangebote allen Familien zugänglich gemacht werden. Die Kindertageseinrichtung erscheint den Befragten als der geeignetste Ort, diese dezentral zu verankern.

[B2] „Das Problem der letzten Jahre war, dass man eigentlich immer nur die Bildungsfernen im Blick hatte und die anderen dann wiederum vergessen hatte.“

Durch Bildungsangebote kann der Glaube der Eltern an ihre eigenen Fähigkeiten wieder gestärkt werden. Sich selbst in Erziehungsfragen vertrauen zu können und nicht den Erwartungen anderer entsprechen zu müssen, muss nach Einschätzung der Befragten bei Vielen neu gelernt werden. Um dieses Vertrauen zu stärken, brauche es für Eltern bedarfsgerechte Bildungsangebote, die zu der Situation der Familien passen. Da die Hemmschwelle von Eltern, Familienangebote zu nutzen, in Kitas geringer ist als bei klassischen Beratungsstellen, sollte das Potential der Kitas genutzt werden.

[B3] „[…] die niedrigschwellig zu erreichen sind […], kurze Wege haben und die auch von den Zeiten so sind, dass das nicht in Abendveranstaltungen ausartet oder dass es auch an verschiedenen Tageszeiten stattfindet. Weil oft Familien abends nicht auch noch oder gerade Eltern abends nicht aus dem Haus gehen können.“

Ein Erfolgsfaktor für eine gute Familienbildung sind nach Einschätzung der Befragten gute Referenten, die in den Kindertageseinrichtungen Angebote vorhalten.

[B2] „Das andere wäre, jeweils zu diesen Treffen […] einen Top-Referenten zu einem bestimmten Thema [einzuladen]. Wie kann man damit in der Kita mit den Eltern arbeiten […]? Die einfach mal so einen Input geben könnten und dann könnte sich wieder die gesamte Arbeitsgruppe damit intensiv beschäftigen in der Umsetzungsphase. Also ich merke das immer, wenn es nur aus der Praxis kommt, dann ist der Blick nicht breit genug.“

Die Wahrnehmung der Expertinnen und Experten ist, je dezentraler die Bildungsangebote stattfinden, umso effektiver sind sie und umso besser werden sie genutzt.

[B3] „Wir haben Eltern bei uns angesprochen: Wir würden gern teilnehmen, aber da müssen wir a) weit fahren und b) dann auch noch so lange, können wir das nicht in der Kita machen? Das haben wir auch gemacht. Wir haben die Sequenzen verkürzt, also wir haben keine zehn Abende, sondern wir haben dann fünf Abende angeboten und haben das vor Ort angeboten. Und da haben Leute teilgenommen, die wären nie nach Wittlich oder nach Daun gefahren.“

Ein besonderer Bedarf an Familienbildungsangeboten zeigt sich im Landkreis Vulkaneifel. Hier gibt es bislang keine Familienbildungsstätten.

[B6] „Der [Anteil der Einrichtungen der Familienbildung] ist gleich null. Es gibt keine Familienbildungsstätte.“

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Ein Weg, das Thema Familienbildung weiter voranzubringen, ist nach Einschätzung der Gesprächspartner auch die Finanzierung einer [B2] „Koordinationsstelle“ für dezentrale Familienbildungsangebote.

Zugänge zu gesunder Ernährung schaffen. 6 Nach Einschätzung der Befragten brauchen immer mehr Familien Unterstützung dabei, ihre Kinder gesund zu ernähren.

[B1] „Da erleben wir schon, dass Bedarfe sind, mit Menschen einfach schlicht und ergreifend das Kochen zu lernen. Auch mit begrenzteren Mitteln, aber doch ein nahrhaftes Essen schmackhaft zuzubereiten. Wir erleben in den Gegenden immer wieder, dass den Kindern eher Geld in die Hand gegeben wird für eine Tüte Chips oder sogar eine Tüte Chips oder Popcorn mitgegeben wird als Pausenbrot. Da ist schon das Thema Ernährung und auch Ranführen an das, was gesunde Ernährung bedeutet, dass das nicht immer teuer sein muss und dass das nicht immer im Bioladen einkaufen bedeutet.“

Ernährungsberatung in Kindertageseinrichtungen, Projekte des gemeinsamen Kochens, die Förderung von gemeinsamen Frühstücksbuffets oder auch das kostenfreie Essensangebot für Familien in prekären Lebenslagen sind Möglichkeiten, die von den Befragten in Betracht gezogen werden, um die Ernährungssituation von Kindern in den Familien und in den Kindertageseinrichtungen zu verbessern.

[B1] „[…] also ich würde in so was gehen wie: ein Frühstücksbuffet anzubieten in der Einrichtung und Eltern zu ermuntern anzuleiten oder zu motivieren, mit Kindern gesunde Ernährung kennenzulernen [oder] in Brennpunktgebieten es zu einer Selbstverständlichkeit werden zu lassen, dass das Essen für Kinder angeboten wird […], dass das einfach mit der Förderung abgedeckt wäre.“

2.4 Sprachbildung

So sieht es vor Ort aus …

Der Sprachförderbedarf in den Kindertageseinrichtungen hält an. Die Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen ist und bleibt in der Region Trier ein relevantes Bildungsthema.

[B1] „Also in der deutschen Sprachförderung gibt es ja einiges an Initiativen, die Kindern helfen über ganz basale Dinge, wie zum Beispiel Reimen oder Sprüche aufsagen […]. Das sind alles Themen, die sowieso in jeder Kita seit Jahr und Tag Thema sind. Die müssten vielleicht dann nochmal ein Stück intensiviert werden und dass die Zeit dann dafür auch da ist.“

Nach Einschätzung der Befragten haben immer mehr Kinder deutscher Herkunft Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Insbesondere bei Kindern aus Familien in prekären Lebenslagen ist ein niedriger Sprachstand zu beobachten.

6 Die im Juni 2014 veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung „Kita-Verpflegung in Deutschland“ deckt die Defizite in der Ernährung von Kindern in Kindertageseinrichtungen auf und bestätigt den besonderen Bedarf einer gesunden Ernährung von Kindern in Kindertageseinrichtungen.

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[B4]: „[…] im Sprachförderbereich, da haben wir ein echtes Problem, dass da die Dinge etwas konzentrierter laufen. […] der Sprachstand [ist] gerade von den Kindern aus den sozial schwachen einheimischen Familien ganz, ganz schlecht […].“

[B1]: „[…] wir haben immer mehr deutsche Familien, wo die Kinder Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache [haben].“

Als Gründe für den schlechten Sprachstand werden zum einen der Dialekt und zum anderen die Tatsache gesehen, dass in den Familien wenig gelesen wird. Zugleich scheinen Sprachdefizite von einer Generation zur nächsten weitergegeben zu werden. Denn nach Einschätzung der Expertinnen und Experten, haben die Eltern sprachauffälliger Kinder oftmals selbst keine gute Sprachentwicklung durchlebt.

Die Ansprache von Migranten ist nicht einfach. Zugleich ist Migration nicht gleich Migration. Migration ist in der Region Trier differenziert zu betrachten. Der Anteil der Migranten aus den westeuropäischen Nachbarländern wie Luxemburg, Frankreich und Belgien ist hoch. Eine sprachliche wie auch kulturelle Integration dieser Familien ist in der Regel unproblematisch. Anders stellt sich die Situation bei Familien aus Ost- und Südosteuropa bzw. allgemein bei Flüchtlingsfamilien unabhängig ihres Herkunftslandes dar. Letztgenannte Familien mit Migrationshintergrund sind in den Kitas schwer zu erreichen. Oftmals spielt auch die Religion der Familien eine Rolle, die eine Betreuung der Kinder in einer Kita nicht zulässt. Die Einrichtungen sehen sich vor der Herausforderung, die passenden Ansprachewege für diese Familien zu finden. Die Integration der Kinder mit Migrationshintergrund wird dadurch erschwert, dass diese in der Regel später die Kitas besuchen als gleichaltrige Kinder deutscher Herkunft. Die Möglichkeit, gezielt sowohl auf die sprachliche Entwicklung als auch auf die Bildungsbiografien der Kinder einzuwirken, wird durch den kürzeren Aufenthalt der Kinder in den Einrichtungen reduziert.

[B1] „Je früher die Kinder in eine Einrichtung kommen, umso besser sind sie dann sprachlich gewappnet, wenn es nachher in die Schule geht, und dort spielt das ja auch eine einschneidende Rolle.“

[B6] „Das heißt, diese frühe Bildung kommt den Kindern überhaupt nicht zuteil aufgrund der Religion der Eltern. […] Bei dieser einen Gruppe besteht tatsächlich die Schwierigkeit, dass die einfach nicht kommen.“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Sprachbildung auch bei Kindern deutscher Herkunft weiterhin fördern. Nach Einschätzung der Experten ist die Förderung der deutschen Sprache ein Thema, das noch viel Potential in sich birgt. Oftmals fehlt in den Kindertageseinrichtungen für eine intensive Sprachförderung jedoch die Zeit. Zugleich zeigt sich, dass reine Sprachförderungsmaßnahmen bisher nicht die erhoffte Wirkung erzielt haben. Bessere sprachliche Erfolge verspricht die alltagsintegrierte Sprachförderung:

[B6] „ […] da sind wir dran, dass […] den Erziehern die Wichtigkeit der sprachlichen Bildung im Alltag bewusst wird. Dass so reine Sprachfördermaßnahmen, das hat die Evaluation der Programme gezeigt, eigentlich nicht so die Wirkung erzielen, die man sich erhofft hat, sondern

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dass die alltagsintegrierte Sprachförderung das ist, was eigentlich viel besser zu Erfolgen führt.“

Neben einer intensiveren alltagsintegrierten Sprachförderung wird eine Möglichkeit, das Thema auch auf einer zivilgesellschaftlichen Ebene weiter voranzubringen, darin erkannt, Sprachförderung in gemeinsamen Programmen und Maßnahmen mit Eltern und Kindern umzusetzen.

Kinder mit Migrationshintergrund frühzeitig in die Kindertageseinrichtungen integrieren. Kindertageseinrichtungen können gezielt auf die Sprachentwicklung und die Bildungsbiografien von Kindern mit Migrationshintergrund reagieren, wenn diese frühzeitig eine Kindertageseinrichtung besuchen.

[B1] „Aber gerade für diese Kinder wäre es so wichtig, dass sie sehr früh in die Kita gehen. Also da Aufklärungsarbeit zu leisten mit den Eltern, dass das Sinn macht, was den Spracherwerb angeht, aber auch mit Kindern in Kontakt zu sein […].“

Jedoch bleiben Kinder aus Migrations- und Flüchtlingsfamilien tendenziell länger zu Hause als gleichaltrige Kinder deutscher oder westeuropäischer Herkunft. Diesen Familien muss verstärkt die Relevanz des Spracherwerbs und des Zusammenspiels der Eltern und der pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen verdeutlicht werden.

Eine gezielte Bildungsberatung für Familien mit Flüchtlings- oder Migrationshintergrund, die die besonderen Hintergründe der Familien in den Blick nimmt, kann hier die erfolgreiche Integration der Kinder in die Einrichtungen begünstigen, wenn es den pädagogischen Fachkräften gelingt, die Eltern in die Kindertageseinrichtungen einzubinden und das Potential ihrer Herkunft sichtbar werden zu lassen.

[B1]: „[…] da gehören eben die unterschiedlichen Herkünfte und die Sichtweisen, wie [die] Familie glaubt ihren Lebensentwurf zu gestalten, [dazu], dass die Kinder länger in der Familie sind. Das [gilt] es zu verändern oder da nochmal neu für zu werben, dass die Biografien auch in der Einrichtung geprägt werden und damit auch hier in unserer Gesellschaft besser klarkommen und zurechtkommen.“

Die Förderung des Miteinanders und das Zusammenspiel der Familien wie im Projekt „Mittel.Punkte“ werden als ein gelungener Ansatz wahrgenommen:

[B1] „[…] dass das eine Ressource für die deutschen Familien bedeutet in diesem Miteinander, Umgang miteinander, also dass das eine Win-Win-Situation werden kann.“

In Regionen mit einem hohen Migrationsanteil erkennen die Befragten vermehrt sprachliche Defizite in den Familien. Eine Chance, diese Schwierigkeiten zu überwinden, sehen die Expertinnen und Experten in Sprachkursen für Eltern und Kinder:

[B6] „Häufig ist es aber auch ein sprachliches Problem, wenn ich mir so Jünkerath, Stadtkyll, die Bereiche angucke. Die haben viele türkische Mitbürger, was für unsere Region eigentlich relativ untypisch ist […]. Das heißt Sprachkurse für Eltern und Kinder wäre eine gute Chance.“

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2.5 Das empfehlen wir …

Neue Ideen und Konzepte entwickeln Gemeinsame Sprachförderprogramme für Eltern und Kinder sowohl deutscher als

auch nichtdeutscher Herkunft initiieren Bildungsberatung für Familien mit Migrationshintergrund etablieren Kindertageseinrichtungen auf dem Weg zu multiprofessionellen Teams begleiten Bildungs- und Erziehungspartnerschaft auch im Hinblick auf Beobachtung,

Dokumentation und Reflexion weiter fördern

Transfer guter Praxis und Qualifizierung Gute Beispiele für Übergänge von der Familie in die Kita und von der Kita in die

Schule identifizieren und transferieren Gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen für pädagogische Fachkräfte und

Grundschulpädagogen fördern, ein gemeinsames Bildungs- und Qualitätsverständnis vor Ort schaffen

In die Teamentwicklung und -qualifizierung der einzelnen Einrichtungen investieren

Kooperation verbessern, Akteure und Ressourcen zusammenbringen

Lokale Bündnisse, in denen gemeinsame Qualitätsziele der Kindertageseinrichtungen und Grundschulen erarbeitet werden, auf den Weg bringen

Diskussionen anregen/Agenda Setting

Den öffentlichen Diskurs rund um die Übergangsgestaltung von der Kita in die Grundschule in Gang halten

Jugendhilfe, Kommunen und Kitas in einen gemeinsamen Dialog bringen, um Hilfen für Familien und Familienbildung dezentral in den Kindertageseinrichtungen zu verankern

Aktivitäten unterstützen Qualitativ gute Kindertageseinrichtungen in sozialen Brennpunkten in ihrer

Öffentlichkeitsarbeit unterstützen Angebote der Familienbildung finanziell fördern Projekte der gesunden Ernährung von Kindern fördern

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Info-Text: Schulreformen in Rheinland-Pfalz Die zentralen Herausforderungen, die die rheinland-pfälzische Schullandschaft prägen, sind: der demografische Wandel, der Rückgang der Schülerzahlen, die sinkende Akzeptanz für die Hauptschule und die Forderung nach mehr Durchlässigkeit und besseren Aufstiegs-chancen unabhängig von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler. Um den veränderten Anforderungen zu begegnen, hat die Landesregierung in den vergangenen Jahren damit begonnen, die Schulstruktur grundlegend umzugestalten. Seit dem Schuljahr 2013/14 sind nur noch fünf allgemeinbildende Schulformen in Rheinland-Pfalz vorgesehen: Grundschulen, Förder-schulen, Realschulen Plus, Integrierte Gesamtschulen sowie Gymnasien. Mit der Neuerung des Schulgesetzes 2008 wurde die schrittweise Zusammenführung der Haupt- und Realschulen zur neuen Schulform der Realschule Plus verabschiedet, die beide Abschlüsse unter einem Dach ermöglicht. Durch Angliederung einer Fachoberschule ist dort auch der Fachhochschulabschluss möglich. Mit der Gesetzesänderung wurde zudem die Integrierte Gesamtschule (IGS) als gleichwertige Schulform neben Gymnasien und Realschulen Plus anerkannt, die längeres gemeinsames Lernen ermöglicht. Trotz des verstärkten Ausbaus der IGS und der Einrichtung von Realschulen Plus sind aufgrund sinkender Schülerzahlen kurz- und langfristig Standorte von der Schließung bedroht. Dies birgt das Risiko, dass das wohnortnahe Schulangebot in vielen Regionen abgebaut wird.

These Unterschiedliche Anmeldezahlen in

den Grund- und Realschulen plus deuten darauf hin, dass der Ruf und die Qualität der Schulen unterschiedlich wahrgenommen werden. Dadurch stehen Schulen vor der Herausforderung, ihre Daseinsberechtigung zu legitimieren, andere hingegen überschreiten ihre Kapazitäten.

Identifizierte Handlungsfelder In der Stadt Trier zukünftige

Aktivitäten auf die Förderung von Bildungschancen in den benachteiligten Stadtgebieten fokussieren

Schulstandorte im ländlichen Raum fit für die Herausforderungen des demografischen Wandels machen, z. B. durch Qualitätsentwicklung der Standorte, Steigerung der Attraktivität, Ausbau der Ganztagsangebote, Vernetzung mit non-formalen und informellen Bildungsangeboten; die Interessen und Bedarfe der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich der informellen Bildungsangebote auch in den Ferienzeiten gezielt in den Blick nehmen; Teilhabechancen vor allem im ländlichen Raum ermöglichen und sichern

3. Schule und Übergänge ins Berufsleben

3.1 Qualität an Schulen

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht

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So sieht es vor Ort aus …

Die Schulwahl in Trier wird beeinflusst vom Image des Stadtteils und der dortigen Bewohner. Im Ergebnis der vorangegangenen Daten- und Dokumentenanalyse zeigte sich, dass in der Stadt Trier der erhebliche Unterschied in den Bildungsverläufen der Kinder und Jugendlichen vom Stadtteil abhängt, in dem sie aufwachsen. Insbesondere bildungsaffine Eltern versuchen, der in den Stadtteilen vorherrschenden Sozialstruktur zu entweichen, und melden spätestens mit dem Schuleintritt ihre Kinder in einem anderen Stadtteil an. Diese Einschätzung wird von den interviewten Expertinnen und Experten geteilt. Die Entscheidung für eine Schule wird nicht auf der Basis ihrer Qualität getroffen, sondern ist maßgeblich auch vom Ruf der Kinder abhängig, die diese Schule besuchen.

[B12] „[…] die Schule hat den Ruf, weil die Kinder den Ruf dort mitbringen. Es ist in den seltensten Fällen, dass mir gesagt wird, also die Pädagogik der Lehrkräfte ist dort überhaupt nicht gut.“

[B5] „Die pädagogische Qualität, glaube ich, von Schulen ist für Eltern, die selbst nicht Pädagogen sind oder sich großartig mit diesen Themen beschäftigen, kaum einsehbar. Worauf man sich dann eher verlässt, ist so was wie der Ruf einer Schule.“

Besonders in Trier Nord lässt sich eine [B4] „Flucht“ der Eltern hin zu Schulen in anderen Stadtteilen erkennen.

[B4] „[…] in Trier Nord zum Beispiel, […] dort [sind] die Kinder zwar in den Kindertagesstätten, also im vorschulischen Bereich, noch alle zusammen […] aus allen Schichten. Aber dann [wird] die Grundschule, die dort ist, von dem Bildungsbürgertum […] eher gemieden. [Wir] stellen fest, der Übergang aus dem Stadtteil bezogen auf die Bevölkerung im Stadtteil ist genauso groß wie woanders, aber von der Schule nicht. Das heißt also, die kommen da in der Schule gar nicht an.“

Die Qualität der Ganztagsangebote an den Schulen wird als sehr heterogen wahrgenommen. Der Anteil der Ganztagsschulen in der Schullandschaft hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Doch ist das Image der Ganztagsangebote vor allem bei den befragten Eltern nicht durchweg positiv besetzt. Dies bezieht sich zum einen auf die Flexibilität bei den Betreuungszeiten:

[B3] „Ganztagsangebote gibt es wohl von den Ganztagsschulen teilweise. Einige Eltern vermissen aber die Flexibilität. Es wird immer zurückgemeldet, dass man sein Kind die ganze Woche anmelden muss und dass man nicht flexibel sein kann, und das ist etwas, was viele Eltern sagen, wir wollen doch für unsere Kinder da sein, wir wollen, wenn es möglich ist. Dann gehe ich zwei Tage die Woche arbeiten, dann muss ich mein Kind die ganze Woche in der Ganztagsschule anmelden und da sind viele Eltern, die möchten das nicht. Oder die Kinder sind dann auch irgendwann in einem Alter, wo man sagt, das ist auch zu viel oder der Aufenthalt in der Schule ist einfach zu lang.“

Zum anderen sind die Befragten unzufrieden hinsichtlich der unzureichenden Hausaufgabenbetreuung bei gebundenen Ganztagsschulen:

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[B4 E] „[…] an Ganztagsschulen [ist] die Betreuung […] wohl auch sehr unterschiedlich […]. Ich kann mich aber nicht abends um halb sechs noch mit meinem Kind hinsetzen und den ganzen Abend Hausaufgaben machen. Kontrollieren ja, mit ihm das üben, wo er Schwächen hat, ja, aber alles machen? Dann sind wir beim Thema Familienfreundlichkeit.“

[B1 E] „[…] ich habe es von meinen eigenen Kindern erlebt, die kamen heim um halb fünf, da ging es dann los mit Hausaufgaben. Was habt Ihr denn in der Schule gemacht? Ja, da kamen wir nicht mit, da kamen wir nicht nach, da war nicht genug Zeit. […] Das steht auf der Homepage drauf, es ist Pflicht, es muss gemacht werden. Sie haben deswegen extra Lehrer und Wochenstunden zur Verfügung und das muss adäquat umgesetzt werden, damit nicht nachher die Kinder noch um acht Uhr schreiben müssen und müssten an sich für die Klassenarbeit lernen.“

[B12] „Oder es spielt eine Rolle, ob ein Hort an der Schule ist. Manche mögen keine ganztägige Schule, sondern dann lieber einen Hort. Aber man kann sagen, in Trier muss kein Grundschulkind um 13 Uhr nach Hause gehen.“

Schließt sich an das Ganztagsangebot am Nachmittag und Abend die Erledigung von Hausaufgaben an, führt dies nach Einschätzung der Eltern schnell zu einer Überforderung oder Demotivation der Schülerinnen und Schüler.

[B3 E] „Also 5. und 6. Klasse, [mein Sohn] ist bilingual, hat also noch zusätzlich Vokabeln zu lernen […] der ist nach Hause gekommen [und] hatte teilweise so viele Hausaufgaben noch auf, die er nicht machen konnte in der Zeit, weil die wirklich bis 16:05 Uhr Unterricht hatten […] Er hatte dann kaum noch Lust zum Vokabeln lernen und hat teilweise bis abends um neun, halb zehn über Schulaufgaben gesessen. […] der hatte nur noch Frust auf die Schule. Das hat sich dann auch auf die Leistung ausgewirkt […] eine Ganztagsschule kommt für uns in keinster Weise mehr in Frage. Denn es kommen ja noch zwei Geschwister nach, aber die gehen jetzt woanders hin.“

Eltern sind für Schulen und Schulen sind für Eltern schwer erreichbar. Aus der Sicht der Befragten müssen Eltern ebenso wie in den Kindertageseinrichtungen auch in der Grundschule als Bildungs- und Erziehungspartner eingebunden werden. Jedoch steigt mit dem Schuleintritt der Kinder die Herausforderung, die Eltern von Seiten der Schule zu erreichen oder gut in die Schule einzubinden.

[B1 E] „Stellen Sie auch fest, dass sich immer mehr Eltern zurückziehen? In der Schule stelle ich das ganz gewaltig fest. Elternabend, Elternvertreter will keiner mehr machen. Es sei denn, er kann Vorteile für das eigene Kind rausschlagen, und das war es dann auch.“ [B4] „Also das Problem liegt [darin] und das wird auch ein Problem von Beratung sein, dass die Familien kaum erreichbar sind. Sie tauchen in den Schulen nicht auf bei den einschlägigen Angeboten und sie tauchen auch im Kindergarten nur schwerlich auf, allenfalls wenn sie die Kinder abholen.“

[B7] „Also Sie haben im Grunde genommen einen Teil der Bevölkerung, der diese Möglichkeiten, die vorhanden sind, einfach aus eigener Kraft wahrnimmt. Und Sie haben welche, da brauchen Sie eine sehr enge Vernetzung zwischen Bildungs- und Sozialarbeit.“

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Um die Schnittstelle zwischen Lehrern, Schülern und Eltern in der Schule gut zu besetzen, wird von den Befragten der Schulsozialarbeit eine wichtige Rolle zugewiesen. Jedoch wird der Bereich der Schulsozialarbeit [B7] „aus Kostengründen wieder ausgedünnt“.

[B1 E] „Oft fehlt es ja diesen Schulen gerade am Bereich der Schulsozialarbeiter. Das wäre wichtig, dann auch ein Team zu bilden oder eine Gruppe zu bilden zwischen Lehrern und Eltern und Schülern. Wäre auch wichtig, dass man da mal denkt, man ist eine Familie, wir müssen miteinander, nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten.“

[B2] „Schwierig wird es […], die Hilfe zur Erziehung teilweise an die Schulen zu verlagern. Dort sind eben die meisten. Wir haben […] auch erste Projekte laufen […]: Wie kann man gemeinsam daran arbeiten, damit zwei unterschiedliche Systeme, Jugendhilfe und Schule, gemeinsam versuchen, an einem Strang zu ziehen? Da sind wir aber erst in der Startphase mit vier Schulen. […] Weil die Erwartungshaltung eine andere ist aus der Schule. Die ist eine ganz andere. Und deshalb ist es dann so wichtig, dass man gemeinsam daran arbeitet und immer wieder konkret benennt: Wo sind unsere Aufgaben? Wo sind unsere Grenzen in der Jugendhilfe? Gleiches gilt auch für Schule […].“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Schulwahlentscheidungen in der Stadt Trier aktiv begegnen. Speziell in Trier Nord wie auch in Trier West dominiert die Situation, dass Eltern ihre Kinder nicht an der Einzugsschule anmelden, sondern stattdessen eine Schule in einem anderen Stadtteil für Ihre Kinder auswählen.

[B4] „[…] wir haben sehr wohl einen gewissen Tourismus in der Stadt und da müsste man nochmal etwas genauer hinschauen, wodurch der begründet ist. [...] Wir haben zwar eine Grundschulbezirkspflicht. Aber wir haben das untersucht: Die Grundschulbezirkstreue ist sehr unterschiedlich. Es gibt Stadtteile, wo die Menschen [ihre Kinder dann einfach] in andere Schulen [schicken] und nicht da bleiben, wo sie eigentlich hin müssten.“

Arbeitsgemeinschaften und Angebote der Freizeitgestaltung unabhängig vom Ganztagsangebot an Schulen unterstützen. Die Umsetzung des Ganztagsangebotes wird von zwei der interviewten Personen als eine „Billiglösung“ bewertet, die den Schülerinnen und Schülern nicht gerecht wird:

[B12] „Das müsste Bildungsziel der Landesregierung sein, dass die Schulen so ausgestattet werden, dass sie diese Angebote auch mit qualitätvollen Verträgen erfüllen können. Also dass das nicht auf Selbstausbeutung von Künstlern oder Sportfachleuten oder auch auf zu viel Zusatzarbeit für die Lehrkräfte hinausläuft, sondern dass das Angebot auf guten Füßen steht. Da ist also noch nachzuarbeiten. Da ist aber Rheinland-Pfalz nicht alleine, das machen viele Bundesländer, so Billiglösungen, und das ist natürlich nicht angesagt.“

[B1] „Ganztagsschulbetreuung [macht] lange nicht dieses qualitative Angebot aus [...] und [hat] auch nicht die Verlässlichkeit […]. Das ist […] die Billiglösung, das in der Schule aufzubauen. Die kriegen da, ich glaube, 12 Euro und dann sollen die da was machen in der Stunde. Aber damit werde ich den Kindern nicht gerecht.“

Aus Sicht der Befragten braucht es Verträge mit außerschulischen Partnern, die qualitativ hochwertige Angebote an Schulen unterbreiten, die für alle Schülerinnen und Schüler

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zugänglich sind. Auch Schülerinnen und Schüler, die nicht am Ganztag teilnehmen, sollten Arbeitsgemeinschaften besuchen können.

[I J] „Was würdet Ihr euch denn wünschen, was Schule noch so bieten sollte? [B3 J] Mehr Aktivitäten für die Schüler, zum Beispiel nachmittags noch AGs, nicht […] nur für die Ganztagsschüler, sondern allgemein. So was würde ich mir gerne wünschen. [B3 J] Ja, so Aktivitäten oder allgemeine Sportaktivitäten, die man zum Beispiel im Sportunterricht nicht macht oder so. Das finde ich schön. [B2 J] Ja, AGs. Das ist nicht so was, was man im Unterricht macht oder so. So eine Auszeit vom ganzen Lernen.“

Die Flexibilität der Horte gegenüber dem Ganztagsangebot wird vor allem von den Eltern sehr geschätzt, die nicht an allen Tagen eine Betreuung am Nachmittag benötigen und die tendenziell eine Überforderung der Kinder im Ganztag befürchten. Um Eltern, Schülerinnen und Schülern weiterhin die Wahlmöglichkeit offen zu halten, sollten Hortangebote dort ausgebaut werden, wo keine Ganztagsschulen sind.

[B1] „[…] wir haben das Modell des Hortes immer wieder ganz klar als ein hochqualifiziertes Angebot. […] bis vor kurzem stand es auf der Kippe, ob die Horte weiter gefördert werden oder ob man auf Ganztagsschulbetreuung geht, was lange nicht dieses qualitative Angebot ausmacht und auch nicht die Verlässlichkeit hat und vor allen Dingen in einem System stattfindet, die das lange nicht so gut können, wie es die Jugendhilfe kann […].“

Hilfen zur Erziehung, Familienbildung und Schulen enger miteinander verknüpfen. Hilfe zur Erziehung, Familienbildung und Schule sollte zukünftig, vor allem in den ländlichen Teilregionen der Landkreise, die in der Regel schwer erreichbar sind, enger miteinander verknüpft werden.

[B4] „[…] ich glaube, dass man sich schon damit beschäftigen muss, wie man diese Familien erreicht. Also Komm-Strukturen funktionieren auf keinen Fall und ich glaube, dass man sie über die etablierten Bereiche7 ansprechen muss.“

Um Eltern stärker in den schulischen Kontext ihrer Kinder zu integrieren, hat sich das Modell der Elterncafés als erfolgreich herauskristallisiert, obgleich es ein [B4] „mühsames Geschäft“ ist:

[B4] „Also wir haben ja auch die Elterncafés hier in Trier. Das geht in die Richtung, aber auch Beratungsangebote, die ansonsten vielleicht nur zentral im Jugendamt oder irgendwo vorgehalten werden. Das machen die Kollegen in Holland in der Schule und versuchen so, die Menschen noch mehr in die Schule zu kriegen und Zugang zu ihnen zu kriegen. Das haben wir hier versucht, wir versuchen es immer noch […]. Das könnte […] ein Weg sein, dass man noch mehr an Eltern herankommt. Aber das ist ein sehr mühsames Geschäft und ein Königsweg fällt mir dazu auch nicht ein, offen gestanden.“

Darüber hinaus müssen Schulen zukünftig noch besser in die Lage versetzt werden können, enger mit der Jugendhilfe zu kooperieren.

[B6 Sch] „Der einfachste Schritt wäre, die Jugendhilfe umzustrukturieren und die Möglichkeiten für Schule damit einzuarbeiten. Wenn wir an Schule schon sehen, das

7 Gemeint sind hier die Schulen.

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funktioniert nicht, wir brauchen Hilfe von außen, muss das nicht erst einen bürokratischen [Weg] gehen, der so lange dauert, dass das Kind dann noch weiter in dem Brunnen [fällt].“

[m Sch] „Ein Projekt, in das ich sofort einsteigen würde, [wäre] diese verstärkte Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule. Dass man einfach sagt: Wie können wir hier wirklich den Bildungsbegriff nochmal unterfüttern und Schule einfach nochmal anders gestalten?“

In diesem Kontext muss auch die Schulsozialarbeit weiter gestärkt und ausgebaut werden.

[B7] „[…] flankierende Angebote an Sozialarbeit, die in der Lage wären, die Leute dann auch zur Bildung oder die Bildung zu den Leuten zu bringen, laufen meistens über die Kommunen und sind infolgedessen hundsmiserabel finanziert. Das wäre für meine Begriffe ein Schwerpunkt, wo man den Kommunen auch helfen muss, entsprechend Kompetenz zu schaffen.“

Technische Innovationen an den Schulen fördern. Vor allem die befragten Eltern sehen die Notwendigkeit, Schulen mit neuer Technik auszustatten, z. B. Tablets oder Smartboards. Schultaschen könnten für die Kinder dadurch leichter werden und Unterrichtsausfälle könnten durch den Einsatz von Smartboards reduziert werden, indem eine zweite Klasse einer Unterrichtsstunde zugeschaltet wird.

[B2 E] „[...] Wenn ich jetzt am Gymnasium sehe, wie viele Rechner die zur Verfügung haben, um überhaupt was zu recherchieren oder anders zu arbeiten, was für kiloweise Bücher die mit sich schleppen. Ich kenne es aus Australien, die haben ihren kleinen Rechner, da sind die Bücher komplett als eBooks drauf, was die für kleine Taschen mit haben. Ich muss schon immer lachen, wenn das so heißt, die Schultasche soll nur zehn Prozent des Körpergewichts eines Kindes betragen […].“

[B1 E] „Die Smartboards sind dafür ausgestattet, Konferenzschaltungen zu machen, nur solche Smartboards stehen in keiner Schule. Man könnte dann auch den Unterrichtsausfall kompensieren. Wenn da kein Lehrer da ist […], mit der Nachbarschule zusammengeschaltet, gleicher Unterricht, […] wäre alles machbar."

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3.2 Übergang Grundschule – weiterführende Schule

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht

Der Trend geht zum Abitur.8 Der bundesweit zu verzeichnende Trend hin zu den Gymnasien vollzieht sich auch in der Region Trier, obgleich in den Landkreisen der mittlere Bildungsabschluss bislang dominiert. Aus den Interviews und Gruppendiskussionen geht deutlich hervor, dass der Besuch des Gymnasiums der favorisierte Bildungsweg ist, den Eltern für ihre Kinder anstreben. Es dominiert der Wunsch, den Kindern einen möglichst hohen Bildungsabschluss zu ermöglichen, um die Chancen auf einen erfolgreichen Berufseinstieg zu erhöhen:

[B1 E] „[...] die [Eltern] hätten am liebsten schon in der 1. Klasse den Stempel Doktor. [...] Also Abitur ist Minimum [...]. Ob es das nachher brauchen kann oder damit zurechtkommt, ist eine ganz andere Sache. Das ist das, was ich von vielen, vielen Eltern höre. Und wehe, es sind auf dem Weg […] Schwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten […] und das Ziel ist gefährdet, dann wird es schon kritisch. […] Mit dem Hauptschulabschluss, also Berufsreifeabschluss, da sind wirklich die wenigsten Eltern zufrieden.“

8 Der Anteil der Schulentlassenen mit Abitur lag im Jahr 2012 in Trier bei 41 %, in Trier-Saarburg bei 27 %, in Bernkastel-Wittlich bei 28 %, in Bitburg Prüm bei 33,3 %, in der Vulkaneifel bei 30,9 % (vgl. RP: 34,1 %). Der Anteil der Schulentlassenen mit Sekundarstufen-I-Abschluss lag demgegenüber in Trier bei 33,3 %, in Trier-Saarburg bei 46,7 %, in Bernkastel-Wittlich bei 47,8 %, in Bitburg Prüm bei 41,3 %, in der Vulkaneifel bei 47 % (vgl. RP: 41,6 %).

Thesen Der häufigste Abschluss, den Schülerinnen und Schüler in den Landkreisen der Region Trier

erreichen, ist der Sekundarschul-I-Abschluss. In der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen jedoch die Gymnasien an erster Stelle.

Die drohende Gefahr der Schließung von Bildungsstandorten ist eine zentrale Herausforderung in den Landkreisen.

Identifizierte Handlungsfelder Den Schwerpunkt der Bildungs- und Erziehungspartnerschaften auf den Grundschulbereich

erweitern; Bildungsgerechtigkeit durch eine stärkere Einbindung der Elternhäuser in den schulischen Kontext fördern; die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Jugendhilfe zur besonderen Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit erhöhtem Förderbedarf stärken; in den Ausbau und die Sicherung der Schulsozialarbeit investieren

In die Qualitäts- und Standortentwicklung, die Steigerung der Attraktivität und die Profilierung der Realschulen Plus investieren, um Überlastungen einerseits und Unterversorgung andererseits zu kompensieren und somit eventuelle Schulschließung durch Lenkung der Schülerströme zu vermeiden

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Auch die Schülerinnen und Schüler schätzen ihre individuellen Berufsaussichten mit einem Abitur besser ein als ohne Abitur und streben daher nach der Grundschule eher auf die Gymnasien und Integrierten Gesamtschulen zu als auf die Realschulen Plus.

[B1 J] „[…] wenn man das Abitur hat, denke ich, hat man einfach viel bessere Aussichten auf einen besseren Beruf. […] Also klar, wenn man kein Abi hat, kann man auch einen guten Beruf haben, aber wenn man Abitur hat, denke ich, kriegt man einen besseren Job.“

[B10] „Wenn man natürlich immer mehr erlebt, man hat bessere Chancen mit Abitur, dann wird [der Trend zum Abitur], glaube ich, auch weiter so laufen.“

Der Trend zum Abitur wird von den Expertinnen und Experten mit Skepsis betrachtet. Verstärkte Investition in die Fachoberschulen, die Integrierten Gesamtschulen und die beruflichen Gymnasien, die zum Abitur oder zur Fachhochschulreife führen, bewirken, dass in den ländlichen Regionen der Landkreise die Zahlen der Abiturientinnen und Abiturienten zukünftig weiter steigen werden. Standortsicherung der weiterführenden Schulen im ländlichen Raum wird nach Ansicht der Expertinnen und Experten oftmals mit dem Ausbau der Oberstufe und einem Angebot des Abiturs [B8] „für alle um die Ecke“ gleichgesetzt:

[B8] „[…] es gibt im Augenblick eine unheilige Allianz zwischen Eltern, Schulen, Kommunalpolitikern in Richtung Schulstandortsicherung und man glaubt, die Schulstandorte der weiterführenden Schulen nur sichern zu können, wenn man […] das Abitur für alle um die Ecke anbietet.“

Einen Grund für den [B8] „Akademisierungswahn“ und den damit verbundenen Trend zu den Gymnasien sehen die Befragten unter anderem in der öffentlichen Informationspolitik und den fehlenden Möglichkeiten der Schulen des mittleren Bildungsweges, in den Medien Präsenz zu gewinnen.

[B11] „[…] Stichwort OECD, die seit Jahren im Grunde genommen falsche bildungspolitische Erwartungen hegen.“

[m Sch] „Die Eltern wählen das und die öffentliche Darstellung der Realschulen Plus ist miserabel in meiner Wahrnehmung. […] da müssten Medien mit ins Boot, die anders berichten, die genauer hingucken. Das ist alles sehr oberflächlich, was Sie zu lesen kriegen. Wir haben ein Darstellungsproblem.“

In der öffentlichen Darstellung wird nach Einschätzung der Expertinnen und Experten zu wenig kommuniziert, dass Länder mit den höchsten Abiturienten- und Studierendenquoten schon heute die höchste Jugendarbeitslosigkeit aufweisen.

Brüche in den Bildungsbiografien der Schülerinnen und Schüler bleiben bei der Schulwahl unberücksichtigt. Die Expertinnen und Experten beobachten mit Sorge, dass mit dem Trend zu den Gymnasien der Blick auf die individuellen Fähigkeiten und Interessen der einzelnen Schülerinnen und Schüler vor den Wünschen und Zielen der Eltern in den Hintergrund gedrängt werden. Mögliche Brüche und deren Folgen in den Bildungsbiografien der Kinder bleiben bei der Entscheidung für das Gymnasium oftmals unberücksichtigt.

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[B1 Sch] „[...] also bei den 5ern9 [...] fährt man ein pädagogisches Konzept, das man mit sehr viel Mühe entsprechend aufgestellt hat. Und dann kommen, wie eben gesagt, im dicken Bauch der Sieben und Acht die Rückläufer von woanders, weil man sich vorher nicht die passenden Gedanken gemacht hat, sondern irgendwelche oder gar keine. Die kommen dann zurück und sind schwer zu integrieren.“

Kritisch wird von den Expertinnen und Experten gesehen, dass der Drang zu den Gymnasien die Schulen des mittleren Bildungsweges vor existenzielle Probleme in den Klassen 5 und 6 stellt.

[B6 (Sch)] „[...] die Zahlen sind so gering, dass wir um unsere Schulstandorte kämpfen. Ich mache mir keine Gedanken um unseren Standort, weil unser Bauch so dick ist. In der Sieben und Acht geht es halt los und dann können wir bis zum Ende führen und führen dann zum Teil Schüler wieder aufs Gymnasium zurück, weil wir da jetzt den Dreh gekriegt haben.“

Im Falle, dass die Kinder das Gymnasium nicht meistern, gehen die Eltern davon aus, dass das System die Kinder gut auffängt. Für eine gute pädagogische Arbeit an den Schulen des mittleren Bildungsweges sollten nach Einschätzung der Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler spätestens in der 7. Klasse an der für sie richtigen Schule angekommen sein.

[B6 Sch] „Ziel ist es, einen ausbildungsreifen Schüler von allen Schulen, die wir hier haben, ins Leben zu entlassen bei unseren Abschlussfeiern. Und da müssen wir für mich regional eine saubere Lösung finden, dass wir spätestens in der Sieben die Schüler haben, die wir bei uns in der Schule bis zum Ende führen.“

Das Image der Realschule Plus ist schlecht. Der Trend zu den Gymnasien wird durch das schlechte Image der Realschule Plus beflügelt. Der Ruf dieser ist sowohl bei den Eltern als auch in der öffentlichen Darstellung schlecht.

[B3 E] „Ich habe ja häufig Schüler beim Bewerbungsauswahlverfahren sitzen und führe Bewerbungsgespräche mit jungen Mädchen und Jungs, die sich bei uns bewerben. Ich schaue ganz klar im Vorfeld: Auf welchen Schulen waren die? Gymnasium darf auch deutlich schlechtere Noten haben. Da weiß ich genau, dass die einfach schon anders gelernt haben zu lernen. Realschule wird schon kritischer geguckt, also da müssen sie schon einen gewissen Notendurchschnitt haben, ansonsten werden sie gar nicht eingeladen und die prüfe ich auch ganz anders nochmal. Und wenn ich sehe Realschule Plus, da geht es dann richtig kritisch ins Gespräch rein. Da ist schon eine ganz klare Abstufung, wo ich schon weiß: Okay, meine Kinder sollten sich bemühen, dass sie wenigstens ein Abitur haben […].“

Nach der Zusammenlegung der Haupt- und Realschulen zu den Realschulen Plus hat sich bei den Eltern der Eindruck verfestigt, dass die Realschule Plus die neue Form der Hauptschule ist. Die Realschule Plus wird als [B7] „Restschule“ wahrgenommen:

[M E] „Man hat der Hauptschule einen anderen Namen gegeben.“

[B7] „Es gibt eine richtige Welle von Eltern, die ihre Kinder früher in die Realschule gegeben haben, die aber jetzt sagen: Oh, jetzt sind die ganzen Hauptschüler noch da und jetzt flüchten wir sozusagen aufs Gymnasium, damit da nicht alle in der Restschule hängen bleiben.“

9 Gemeint ist die 5. Klasse.

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[B8] „Die Gefahr besteht, dass die Realschule Plus dann auch als das angesehen wird, was die Hauptschule früher war.“

Der Prozess der Zusammenführung der Haupt- und Realschulen wird aus der Sicht der interviewten Eltern und Lehrkräfte folglich als mangelhaft wahrgenommen. Die Lehrkräfte hatten nicht ausreichend Gelegenheit, sich als Team zusammenzufinden und die neue Identität der Schule anzunehmen. Zugleich wurden Konkurrenzsituationen durch den Aufbau der Integrierten Gesamtschulen geschaffen. Unsicherheiten bei den Lehrkräften zur Konzeption der Realschule Plus sowie Standortunsicherheiten seitens der Schulen des mittleren Bildungsweges bleiben auch bei den Eltern nicht unbemerkt:

[B1 E] „Da hat man also drei Schularten10 gehabt, vom Gymnasiallehrer bis zum Hauptschullehrer drei verschiedene Besoldungsstufen, verschiedene Gehälter, verschiedene Wertvorstellungen. Das soll funktionieren ohne Vorbereitung? Kann nicht funktionieren. Deswegen ist der Ruf [der Realschule Plus] bei den Eltern negativ und [deswegen gibt es den] Run zu den Gymnasien und [die] platzen dann aus allen Nähten. Nicht, weil die gute Arbeit machen, die machen keine gute Arbeit.“

[M Sch] „Ich denke, als Realschule Plus haben wir das Kernproblem, dass wir in der Geburt der Realschule Plus so entstanden sind, dass man geguckt hat: Welche Schulen sind über? Die werden irgendwie zusammengewürfelt – mit oder in Trier besonders ohne Plan. Während in andere Schulformen, die jetzt Mitbewerber sind, wie die IGS, und neu gebaut wurden, relativ viel Material reingeflossen ist. Ich habe an Standorten, die ich ein bisschen kenne, den Eindruck, dass man nur die Reste hat, dass man dissoziierte Standorte hat, dass man keine Standortsicherheit hat, dass die deswegen Schwierigkeiten hatten, die Schule vernünftig weiterzuentwickeln, dass die Eltern teilweise sehen, ob die Schule erhalten bleibt oder nicht.“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Bildungsberatung bereits in der Grundschule ansetzen. In Folge der gesellschaftlichen Dominanz der Gymnasien und der mit den zurückliegenden Schulstrukturreformen aufgeworfenen Unsicherheiten stehen die Schulen des mittleren Bildungsweges heute vor der Herausforderung, die Elternschaft zu erreichen.

[B2 Sch] „Wir haben massiv Probleme, unsere Elternschaft zu erreichen. Das Interesse ist zu gering bei allem, was wir versuchen. […] da gibt es manchmal Elternabende, wo sich drei, vier Elternpaare verlieren bei einer Schülerschaft von vielleicht 50.“

[B1 E] „Stellen Sie auch fest, dass sich immer mehr Eltern zurückziehen? In der Schule stelle ich das ganz gewaltig fest. Elternabend, Elternvertreter will keiner mehr machen, es sei denn, er kann Vorteile für das eigene Kind rausschlagen und das war es dann auch.“

Nachdem die Schulstrukturreformen weitestgehend abgeschlossen sind, muss das Bewusstsein der Eltern darüber geschärft werden, was die einzelnen Schulformen bieten. Bei den Eltern gibt es eine große Unsicherheit hinsichtlich des Bildungserfolgs und des Bildungsverlaufs an den Schulen des mittleren Bildungsweges. Obgleich das Schulsystem viele Wahlmöglichkeiten bereithält, wissen die Eltern heute nicht, welche die beste Wahl für ihr Kind ist:

10 In diesem Fall ging es um die Zusammenlegung der Schularten zu einer Integrierten Gesamtschule.

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[B6 Sch] „Das heißt, wir haben ein gutes System und eine große Wahlmöglichkeit, die Eltern haben ganz viele Auswahlen. Das ist nur wieder, wie vieles bei uns in der Gesellschaft gerade, so kompliziert, dass die Eltern nicht mehr wissen wohin.“

Die Interviewpartner sind sich einig, dass Eltern eine Beratung für die richtige Wahl der Schule benötigen. Schon bei den Grundschulabenden müssen die Eltern über die Möglichkeiten der weiterführenden Schulen gut informiert werden. Einigen der Befragten erscheint es besonders wichtig, dass die Grundschulinformationsabende von unabhängigen Beratern durchgeführt werden. In Beratungsgesprächen müssen die Eltern darüber aufgeklärt werden, dass es nicht nur Gymnasien und Realschulen Plus gibt und dass nicht nur das Abitur der Weg zu einem höheren Berufsabschluss ist.

[B8 Sch] „[…] es gibt auch danach die Möglichkeit, mit der Berufsreife eine Ausbildung zu machen und damit den Realschulabschluss zu erreichen und nach diesem Realschulabschluss eventuell sogar Berufsoberschule zu machen und damit sein Fachabitur zu kriegen.“

Doch nicht nur bei den Eltern, sondern auch bei den Lehrern gibt es Unsicherheiten über das System der weiterführenden Schule. Um Klarheit zu schaffen, bedarf es Fortbildungen und eines intensiven Austauschs zwischen den Schulleitungen und den Kollegen der Grund- und weiterführenden Schulen.

[B6 Sch] „[...] um auch den Eltern klar zu sagen, auch bei den Grundschulabenden zu

empfehlen, es geht hier um die Schüler. [...] Mir wäre da eine interne Auseinandersetzung mit den Kollegen [und] Schulleitungen ganz, ganz wichtig, um hier den Eltern richtig gute Informationen geben zu können.“

[B6 Sch] „[...] aber diese Unsicherheit, welches System gerade funktioniert, ist riesig. Und die Kinder sind diejenigen, die es ausbaden müssen.“

Nach Einschätzung der Experten müssen die Lehrkräfte ausreichend mit den Möglichkeiten, die das neue Schulsystem jedem einzelnen Schüler bietet, vertraut gemacht werden. Verwirrungen darüber, was das rheinland-pfälzische Schulsystem ist, was es anbietet und was in den verschiedenen Schulformen die Schwerpunkte sind, müssen beseitigt werden. Das Wesen der Realschule Plus bzw. der Integrierten Gesamtschule muss den Lehrkräften, die sich selbst in der Multiplikatorenrolle befinden, klar sein.

Ein geeigneter Lösungsweg wäre aus Sicht der Befragten eine unabhängige Bildungsberatung. Diese sollte möglichst niederschwellig ansetzen und bereits vor dem Übergang gewissenhaft über den nächsten Schritt informieren. Dabei ist es von Bedeutung, sowohl die beratenden Personen in ihrer ressourcenorientierten Arbeitsweise zu stärken als auch die regionalen Gegebenheiten zu berücksichtigen.

[B4] „[…] da wäre ein Betätigungsfeld auch unter dem regionalen Aspekt, also wie kann jetzt hier Trier und das Umfeld dafür sorgen, dass Eltern noch besser informiert werden über die Möglichkeiten für ihre Kinder?“

Als Ausgangspunkt der Bildungsberatung sollte ein erweiterter Bildungsbegriff dienen, um die non-formale und informelle Bildung in die Begrifflichkeit zu inkludieren (siehe dazu auch Teilhabe- und Chancengerechtigkeit). Dadurch sollten für die Schule auch Möglichkeiten der

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Zusammenarbeit erkennbar werden. Einen weiteren Punkt stellt eine effiziente Werbekampagne in den unterschiedlichen Projekten dar. Es sollten neben der Schule Projekte angeboten werden, um das erweiterte Bildungsverständnis zu unterstützen. Hierfür ist es relevant, die Lehrkräfte entsprechend zu qualifizieren und finanzielle Mittel zu akquirieren.

Die Durchlässigkeit des Bildungssystems voranbringen. Bei den Eltern gibt es ein starkes Empfinden, dass das Kind aufs Gymnasium gehen muss, dass es ansonsten keine Chance habe im Leben. Ein späterer Wechsel von der Realschule Plus auf das Gymnasium nach Klasse 10 erscheint sehr schwer. Dem zweiten Bildungsweg haftet das Image an, der Weg für diejenigen zu sein, die es im ersten Anlauf nicht geschafft haben. Dementsprechend ist die Zahl der beruflich qualifizierten Studenten in Deutschland gering.

Aus der Sicht der Expertinnen und Experten braucht es mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem – sowohl in Bezug auf die Erreichbarkeit höherer Bildungsabschlüsse über den Weg der Mittleren Reife als auch in Bezug auf die Verbesserung der Möglichkeiten der individuellen Förderung:

[B8] „Das hätte vor allem psychologische Gründe, dass man sagt: Dann machst du erstmal eine Ausbildung und dann hast du immer noch ohne Zeitverluste diese Möglichkeit, erstmal einen sicheren Job zu haben. Dich über eine berufliche Aufstiegsfortbildung sozusagen Richtung Karriere zu begeben oder dann das Studium zu machen. [...] wichtig ist, dass man sagt: Wir fördern die Stärken und fördern die Durchlässigkeit. Dass man auch Eltern sagt: Es ist kein Stigma, wenn dein Kind nach der 10. Klasse zum Beispiel eine Lehre macht [...].“

Die Teambildung der Lehrkräfte an fusionierten Schulen fördern. Nach Einschätzung der Gesprächspartner braucht es einen Imagewandel der Realschule Plus. Man muss von dem Eindruck wegkommen, dass es sich um eine „Restschule“ handelt. Zugleich sollte in der Region klar kommuniziert werden, dass ein:

[B7] „[...] ordentlicher mittlerer Abschluss an der Realschule einem hier in vielerlei Hinsicht beruflich durchaus weiterhilft und relativ sichere Perspektiven bietet […], bessere möglicherweise als ein gescheiterter Versuch am Gymnasium [...].“

Den Eltern sowie Schülerinnen und Schülern muss bewusst gemacht werden, welchen Wert der mittlere Bildungsabschluss hat. Ebenso braucht es mehr positive Öffentlichkeitsarbeit für die Realschule, damit sich die Wahrnehmung der Realschule Plus in der Gesellschaft wandelt.

[B3 E] „Ein bisschen Öffentlichkeitsarbeit von den Schulen, was da so passiert, dass das einfach mehr publik gemacht wird. Es gibt ja auch viele Vorurteile in den Köpfen. Da bin ich nicht ausgenommen.“

Auch die Heterogenität der Lehrerschaft, d. h. der Förder-, Grundschul-, Hauptschul-, Realschul- und Gymnasiallehrer, sowie der externen Professionen an den Schulen muss stärker in den Blick genommen werden. Unterstützungsbedarf sehen die Experten darin, wie die Schulen diese Heterogenität intelligent nutzen können. Weiterbildungen und Teamqualifizierungen sind Maßnahmen, die den Imagewandel unterstützen können.

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These Die Region Trier ist schon heute mit einem Fachkräftemangel konfrontiert, so z. B. in den

Pflege- und Gesundheitsberufen, bei den pädagogischen Fachkräften und den Landwirten. Berufsorientierung muss zukünftig stärker auf die regionalen Bedarfe zugeschnitten werden.

Identifizierte Handlungsfelder Die Ausbildungsreife bzw. Berufsreife der Schülerinnen und Schüler insbesondere an

den Realschulen Plus fördern (außerschulische Trainings, Qualitätsentwicklung an Schulen); gezielte Investition in die Berufsorientierung der Schülerinnen und Schüler, um die Wahl passgenauer Ausbildungswege zu unterstützen, Brüche zu verhindern und Bildungsbiografien zu ebnen; Verbesserung des Images, der für die Region besonders relevanten Berufe, wie Landwirte und Handwerker sowie kaufmännische Berufe

Schülerinnen und Schüler befähigen, eine ihren Kompetenzen und ihren Neigungen entsprechende Berufswahl zu treffen

3.3 Persönlichkeitsbildung, Motivation, Ausbildungsreife

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht

So sieht es vor Ort aus …

Den Betrieben fehlen die Auszubildenden. In der Region Trier ist schon heute ein Fachkräftemangel zu spüren. Dieser zeigt sich sowohl in der beruflichen Erstausbildung als auch auf der Meisterebene und in den größeren Betrieben bei den Akademikern. Der Ausbildungsmarkt zeigt sich auf Grund seiner Nähe zu Luxemburg günstig. Dennoch stehen Arbeitgeber in der Region vor der Herausforderung, Ausbildungsplätze, die mit einem Berufsreife- oder Mittlere–Reife-Abschluss zugänglich sind, gut abzudecken. Schon heute können Ausbildungsplätze oftmals nicht besetzt werden.

[B7] „[...] hier werden [...] viele Leute in qualifizierten und durchaus attraktiven Berufen gebraucht, die nicht unbedingt ein Abitur haben müssen oder ein Studium absolvieren müssen.“

[B11] „[…] wir brauchen natürlich weiterhin Akademikernachwuchs, völlig klar. Wir brauchen aber deutlich weniger in dem Maße, in dem wir jetzt ausbilden […]. Aber wir brauchen vor allen Dingen den Mittelbau, also die beruflich Qualifizierten.“

[B8] „[…] dass damit die duale Ausbildung, die eigentlich nach wie vor für viele junge Menschen eine sehr gute Basis mit guten Aufstiegschancen darstellt, auf der Strecke bleibt, sprich quantitativ und qualitativ immer mehr ausgeblutet wird.“

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Die Ausbildungsreife der Schülerinnen und Schüler des mittleren Bildungsweges lässt nach. Eine der größten Herausforderungen für die Arbeitgeber in der Region zeigt sich nach Einschätzung der Befragten darin, dass die Zahl der ausbildungsreifen Absolventinnen und Absolventen mit einem Berufsreife- oder Mittlere-Reife-Abschluss rückläufig ist:

[B11] „[Die Unternehmen] stellen fest, dass uns dieser Mittelbau immer mehr verloren geht. Das obere Drittel der sehr Guten [...] entschwindet uns zunehmend und das untere Drittel derjenigen, die immer schon Probleme hatten, […] das wird tendenziell größer.“ [B7] „Mit qualifiziertem Personal meinen die Leute, die halbwegs richtig rechnen und schreiben können und in der Lage sind, mit bestimmten technischen Vorgängen umzugehen. […] da fehlt es bei Etlichen an Grundkenntnissen […].“ [B9] „Denen fehlt Fachwissen, also einfach schulisches Allgemeinwissen.“

Gemessen wird die Ausbildungsreife von den Expertinnen und Experten zum einen am Notendurchschnitt, zum anderen anhand von Kompetenzen im Rechnen und Schreiben, der Lernbereitschaft und Motivation für den Beruf sowie der kommunikativen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Je nach Berufsbild entscheiden auch technische oder handwerkliche Kompetenzen über die jeweilige Ausbildungsreife. Auf die veränderten Kompetenzen, die die Jugendlichen heute mitbringen, versuchen die Betriebe bereits mit individualisierten Auswahlverfahren zu reagieren, so dass neben dem Notendurchschnitt auch die Motivation der Jugendlichen und die Teamkonstellation in den Betrieben eine zunehmend stärkere Rolle spielen.

[B10] „[…] die Betriebe versuchen, sich auch ein bisschen anzupassen und zu gucken: Passt der Jugendliche denn bei uns rein, ist der motiviert? Dann kann auch schon mal eine Schulnote abweichen […].“

Wird ein Ausbildungsvertrag geschlossen, liegt die Herausforderung für die Betriebe und die Auszubildenden darin, die Lehre erfolgreich zum Ende zu führen. Dies ist aus Sicht der Befragten keine Selbstverständlichkeit.

[B11 ] „Die einen brechen von sich aus ab und dann gibt es [das] natürlich, das ist wieder das Thema Ausbildungsreife, dass der Unternehmer nach einiger Zeit sagt: Nein, mit dem kann ich nichts anfangen.“

Die Anforderungen an eine individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler in den Realschulen Plus sind gestiegen. Besonders bei Schülerinnen und Schülern, die eine Berufsreife anstreben, zeigt sich in den neu gebildeten Realschulen Plus die Herausforderung, dass auf diese nicht mehr in dem Maße eingegangen werden kann, wie dies in der eigentlichen Hauptschule noch möglich war. Schüler mit besonderem Förderbedarf bleiben entsprechend der Beschreibungen aus den Interviews zunehmend „auf der Strecke“.

[B3 Sch] „[...] wir drohen, unser altes Klientel aus dem Auge zu verlieren und per Auftrag des Ministeriums zu sehr die Aufstiegsorientierung in den Blick zu nehmen. Das haben wir jetzt in den ersten Jahren gemacht mit bescheidenem Erfolg oder beziehungsweise mit dem Misserfolg, dass uns unten vom Verhalten her viele Schülerinnen und Schüler wegbrechen.“

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[B2 Sch] „Wir haben ja als Hauptschule das Instrument der Arbeitsweltklassen entwickelt und die werden mit den Realschulen Plus abgeschafft. Das war ein Instrument, Schülerinnen und Schüler zum Schulerfolg zu helfen mit einem erhöhten Praxisanteil, die im normalen System gescheitert sind. Ab 2015 wird es diese Klasse nicht mehr geben.“

Die einstigen Klassenfrequenzen wurden zu Ungunsten der Hauptschüler angehoben, spezielle Förderprogramme wurden abgeschafft. Eine individuelle Förderung, insbesondere der ehemaligen Hauptschülerinnen und -schüler ist unter den neuen Bedingungen somit nach Einschätzung der Lehrkräfte nicht mehr in vollem Umfang möglich.

[B2 Sch] „[…] die Bildungsschere geht immer weiter auseinander. Und die Bildungsverlierer? Früher haben sie sich in der Hauptschule und Förderschule gesammelt und jetzt droht es, dass sie sich in der Realschule Plus sammeln.“

Hauptschüler haben es schwer auf dem Ausbildungsmarkt. Aus den Interviews wird deutlich, dass es die Hauptschülerinnen und -schüler nach wie vor schwer haben, auf dem Ausbildungsmarkt anzukommen.

[B 10] „[…] oft [liegt] eine Ausbildungsreife vor, trotzdem noch nicht hoch genug, um tatsächlich eine Chance zu haben.“

Dies hängt vor allem damit zusammen, dass der Hauptschulabschluss bei den meisten Betrieben heute nicht mehr gefragt ist. Die Wahrnehmung der Expertinnen und Experten, die die Jugendlichen mit Hauptschulabschluss in Ausbildung vermitteln, ist, dass die Angebote für Geringqualifizierte abnehmen.

[B9] „[…] was regional die Betriebe fordern, wenn man die Ausschreibungen sieht, auch den Kontakt, den sie dahin haben, da ist der Sekundarabschluss I schon eher das, was notwendig ist. [...] ja, also die einfacheren Berufe, die eben mit einem Hauptschulabschluss einwandfrei zugänglich sind. Das ist schon schwierig und natürlich auch diese ganzen abgestuften Sachen, Helferberufe zum Beispiel, so diese Nischen, die nehmen immer mehr ab.

Jedoch wird diese Beobachtung nicht einstimmig geteilt. Nach Einschätzung eines Teils der Befragten ist es nach wie vor möglich, mit einem Hauptschulabschluss einen Ausbildungsplatz in der Region zu finden. Auch für Schüler mit erhöhtem Förderbedarf bietet der Ausbildungsmarkt Nischen. Voraussetzung ist jedoch hier eine Bestätigung durch den Psychologischen Dienst.

[B10] „[Auch mit Berufsreifeabschluss kann man] in eine Ausbildung einmünden, wenn man die gesamte Ausbildungsreife mitbringt, also auch, ich sage mal, intellektuell und von den Softskills her.“

[B8] „[…] wir haben bestimmte Berufe, die in den theoretischen […], aber auch praktischen Anforderungen etwas reduziert sind. [...] Das ist aber für viele junge Menschen durchaus eine echte und gute Chance, auch Erfolgserlebnisse zu haben […]. Um überhaupt eine Lehre machen zu können, muss eine Bestätigung durch den Psychologischen Dienst der Arbeitsagentur da sein, die sogenannte PSU [psychosoziale Untersuchung]. Da stellen wir fest, dass diejenigen, die dahingeschickt werden, auch oft diese Bescheinigung bekommen.“

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Ausbildungsreife und Lernmotivation sind eng miteinander verknüpft. Eine mangelnde Ausbildungsreife hat aus Sicht der Interviewpartner vielfältige Ursachen und ist nicht allein im Notendurchschnitt begründet. Wesentlich dafür, was Schülerinnen und Schüler in der Schule an Kompetenzen erwerben, sind die Haltung und die Motivation dieser zum Lernen.

[B3 J] „[...] also selber merkt man ja, dass man mehr lernen muss.“ [B1 J] „Also in unserer Klasse ist das so. Da sind ein paar einzelne Leute, die lernen einfach gar nichts [...]. Die interessiert das ehrlich gesagt nicht.“ [B6 J] „Ich komme in der Schule nicht weiter, weil ich da einfach keine Lust drauf habe.“ [B10] „[…] ich glaube schon, dass die das Handwerkszeug genug mitkriegen, aber dass es nicht mitgenommen wird […].“

Wie viel die Schülerinnen und Schüler aus dem Unterricht tatsächlich mitnehmen, hängt im Wesentlichen auch davon ab, wie sehr die Unterrichtsinhalte die Interessen der Schülerinnen und Schüler wecken und wie sehr sie die Lebenswirklichkeit in den Blick nehmen:

[B3 J] „Nee. Also Chemie geht noch. Wenn man Versuche macht, dann ist das okay. Aber den normalen Stoff finde ich langweilig und Physik komme ich gar nicht mit klar.“

[B2 J] „In Französisch [...] gucken [wir] französische Filme und wir lesen auch französische Lektüre. Also da denke ich nicht, dass das langweilig ist. Aber Physik und Chemie ist auch nicht so meins.“

Ein Kernelement der Ausbildungsreife sehen die Experten in der Persönlichkeitsbildung, die die Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Entwicklung durchlaufen. Vor allem in den Elternhäusern werden hier seitens der Befragten Defizite ausgemacht, welche die Schulen zunehmend ausgleichen müssen.

[B2 Sch] „[...] mein Thema ist dann eher Persönlichkeitsbildung. Die sind irgendwie, weil sie mangelnde familiäre Anregungen haben, weil sie mangelnde Vorbilder haben, nicht stabil genug innerlich. Die sind nicht erfüllt genug von der Idee, was sie überhaupt mit ihrem Leben anfangen wollen.“

[m Sch] „Die müssen eine persönliche Reife entwickeln, die ist Bestandteil von dieser Berufsreife. Aber ich würde den Begriff weiterfassen. Also die kriegen oft zu wenig sonst wo mit an Persönlichkeit.“

[B8] „[...] die Elternhäuser [...] funktionieren [nicht mehr so], wie sie könnten und sollten [...] junge Menschen [kommen] mit diversen Problemen in die Schulen [...] und wir [müssten] diese jungen Menschen gezielt erst mal fördern [...], um Benachteiligungen und Defizite auszugleichen und […] Voraussetzungen für die Wahrnehmung von Bildungschancen zu schaffen. Dazu allerdings sind die Schulen weder strukturell noch organisatorisch noch inhaltlich noch finanziell vorbereitet.“

Bei einer unzureichenden Persönlichkeitsbildung bleibt eine Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht aus. Nach Einschätzung der Expertinnen und Experten

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zeigt sich dann, dass die Vorstellungen der Jugendlichen von dem, was sie können, und dem, was sie vom Berufsleben erwarten, auseinanderklaffen.

[B9] „Die wollen am liebsten alle direkt einen Chefsessel und keine Überstunden. [Sie] finden es auch nicht gut, wenn sie nur kehren müssen als Azubi [...]. Das hört man ja überall, dass den Jugendlichen heutzutage so dieser Leistungswille fehlt, dass die […] so erzogen werden [...]. Die meisten möchten am liebsten neben Mamis Haus den Betrieb stehen haben und dort arbeiten und dann nur bis um 12 bitte, wenn es geht.“

[B11] „[…] die Kompetenz, dass ich selber einschätzen kann, was will ich, was kann ich und was erwartet mich da draußen. Das sind die beiden großen Themen, Berufsorientierung muss vernünftig funktionieren und ich muss ein Eingangsniveau von Ausbildungskompetenzen haben und das ist nach wie vor schwierig.“ [I5 J] „Was sind bei euch so richtig angesagte Berufe?“ [B5 J] „Fußballer. Rennfahrer, Michael Schumacher. [...]“ [I5 J] „Was sind überhaupt nicht angesagte Berufe? [...]“ [B6 J] „Postbote.“ [B5 J] „Doch, bei der Deutschen Post geht es. Die verdienen viel.“ [B6 J] „Müllabfuhr.“ [B5] „Die verdienen auch viel.“ [B4] „4.000.“ [B5 J] „4.000, genau, dann würde ich da sofort anfangen.“

Folgen einer unzureichenden Persönlichkeitsbildung sind nach Einschätzung der Befragten auch eine mangelnde Bereitschaft zu Leistungsfähigkeit und Durchhaltevermögen, insbesondere bei Schülerinnen und Schülern im unteren und mittleren Bildungsbereich.

[B9] „Also wir versuchen in der Beratung [...] immer ganz klar zu machen, dass es um ihre eigene Zukunft geht, dass sie das […] weder für ihre Eltern noch für uns tun, sondern dass es um sie selber geht und dass sie das tun, damit sie eigenständig ihre Existenz sichern können und halbwegs autonom leben können und sich auch mal was leisten können, eine Familie gründen können.“

[B9] „Es fehlt denen eben nur an Kompetenz, das auch so durchzuziehen. Also so ein Durchhaltevermögen ist so eine Kompetenz, die ist dünn bei unserem Klientel, das ist tatsächlich so.“

[B8 Sch] „[...] eine bequeme Haltung, die erlebe ich bei einigen Schülern: Ach ja, mein Papa besorgt mir dann noch was, weil dort ist immer noch was frei. Und da denke ich: Muss man einfach frühzeitiger ansetzen. Auch diese Eigenverantwortung von den Schülern, dass sie das wirklich selbst in die Hand nehmen.“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Persönlichkeitsbildung durch eine frühe Interessensfindung stärken. Um präventiv einer mangelnden Berufsreife entgegenzuwirken, sollten die Schülerinnen und Schüler des mittleren Bildungsweges nach Einschätzung der Befragten schon frühzeitig befähigt werden, eine persönliche Reife zu entwickeln. Dabei sollte Berufsorientierung als [B1 Sch] „das Fenster aus der Schule raus“ bereits in den Klassen 5 und 6 mit einer reflektierten [B1 Sch] „Stärkenanalyse“ beginnen.

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[B1 Sch] „Also wenn wir einen Wandertag haben, können wir auch [...] auf irgendeinen Ökobauernhof laufen und [...] uns dort angucken [...]: Was hat denn der Bauer da für eine Arbeit [...]? Und mit den Kindern reflektieren und dann einschätzen lernen: Wie sehr hat mich das interessiert? Wie toll fand ich das? Wie gut kann ich mir vorstellen, dass ich da nochmal gerne hingehe [...]? Also solche praktischen Dinge, das wäre dann Berufsorientierung mit kleinen Kindern in Klassenstufe 5 und 6 [...]. Dadurch bilde ich Persönlichkeiten, [...] indem ich ihnen Gelegenheit gebe, sich selber zu reflektieren, sich selber besser kennenzulernen und aus sich selber dann etwas zu machen. Kinder, die ein überbordendes, unbegründetes Selbstbewusstsein haben, die kennen wir auch alle. Aber daraus ein begründetes Selbstbewusstsein zu machen, ein Bewusstsein seiner selbst, was ich kann und wo ich gut bin und wo ich gerne weiter hingehen möchte, dieses Selbstbewusstsein kann man dadurch hervorragend anbahnen.“ [B8 Sch] „Erlebnisorientierte Arbeit machen, wie gesagt, auch mal raus zu Exkursionen oder solche Sachen dann auch, wo Kinder wirklich Interessen finden und auch ihre Stärken bzw. Schwächen sehen […]. Aber da denke ich mir, da müssen wir im 4. Schuljahr an die Eltern irgendwie ran, denn Kinder, wie gesagt, entscheiden das noch nicht.“

Die Schulen müssen nach Einschätzung der Befragten noch besser in die Lage versetzt werden, die Stärken der Schülerinnen und Schüler individuell fördern zu können.

[B1 E] „Und deswegen sage ich, eine solche Schule muss die Stärken in erster Linie fördern. Da kriegen wir super Genies. Und die Schwächen müssen auf ein Mindestmaß, dass das Kind existieren kann, damit zurechtkommt draußen. Aber was muss ein Mathematik-Genie, sage ich jetzt mal, noch eine eins haben in Deutsch, wenn er genau weiß, er schafft das nie, mit tausend Stunden Nachhilfe [...]. Aber man kann mit wenig Nachhilfe seine Mathestärke fördern oder seine künstlerische Ader oder seine Stimme [...]. Aber das ist bei uns nicht gewollt.“

Mit einem frühzeitigen Beginn der Berufsorientierung im Sinne einer Stärken- und Interessensanalyse kann es aus Sicht der Befragten den Schulen zukünftig besser gelingen, die Jugendlichen auf den späteren Übergang von der Schule zum Beruf vorzubereiten.

[B8 Sch] „Wenn die richtigen Schüler schon in der 5. Klasse da sind, kann man mit der Interessensfindung bei den Schülerinnen und Schülern beginnen.“ [B6 Sch] „[...] ein Schüler muss erstmal wissen, welche Stärken und Schwächen er überhaupt hat, und damit können wir nur in der 5 anfangen. Und wenn man da ein sauberes Konzept für die Schulen hinbekäme, da wünsche ich mir so was wie eine Begleitung, weil auch das ein ganz schwieriges Thema ist [...]. Und für die Schulen einen Kernrahmenplan, den wünsche ich mir.“

[B9] „[…] das ist ja ganz oft so, 8. bzw. 9. Klasse, dass es plötzlich heißt: So, ihr müsst euch jetzt für eine Ausbildung entscheiden und ihr müsst jetzt ein Praktikum machen [...]. Ich denke, das muss viel früher ansetzen und […] versuchen, bestimmte Kompetenzen zu fördern, die wichtig sind, um im Berufsleben zurechtzukommen und überhaupt eine Ausbildung durchzuhalten. Das sollte meiner Meinung nach schon ab Klasse 5 bzw. 6 passieren. Natürlich sind die noch sehr klein, aber auch da, finde ich, die Zeit ist schnell rum und es gibt Projekte, die schon so früh ansetzen […].“

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Neben der o. g. Stärkenanalyse und Interessensfindung muss auch eine Sensibilisierung für die spätere Ausübung eines Berufes frühzeitig in der 5. Klasse präventiv beginnen. Die Bedeutung eines guten Schulabschlusses sollte bei den Schülerinnen und Schülern bereits früh im Bewusstsein verankert werden.

[B9] „[…] was bedeutet denn eine Arbeit, ein Beruf, was bedeutet das für mein späteres Leben, wie wichtig ist das denn […]? Ich denke, das kann ein Schüler in der 5. Klasse auf jeden Fall kognitiv erfassen, wie wichtig es ist, eine Ausbildung zu absolvieren, eine gute Ausbildung zu haben oder einen guten Schulabschluss […].“

Die Einbindung außerschulischer Kräfte an den Schulen fördern. Ein wesentliches Instrument zur Verbesserung der Persönlichkeitsbildung an den Schulen sehen die Befragten darin, die Schulen für außerschulische Kräfte zu öffnen und den Schülerinnen und Schülern damit einen Einblick in die Vielfältigkeit der Berufs- und Arbeitswelt zu verschaffen.

[B2 Sch] „[…] wir können ihnen [den Schülerinnen und Schülern] nicht Eltern ersetzen, die sich nicht kümmern und die keine Vorbilder sind. Aber wir können denen möglicherweise irgendwelche charismatischen Personen von außerhalb der Schule bieten, wo die andocken.“

[B6 Sch] „[…] sehe ich eine ganz wichtige Tendenz darin, außerschulische Kräfte in die Schule zu bekommen [und] unsere Lehrer fortzubilden, dass außerschulische Kräfte nichts Böses sind. [...] Ich würde sagen, öffnet die Schule gegenüber außerschulischer Kompetenz zugunsten der Schüler!“

[B2 Sch] „Wir haben ein Projekt am Laufen, Wandelgarten, da ist ein Künstler tätig an unserer Schule. Die bearbeiten mit einer Gruppe von 15 Schülern ein Grundstück, was verwildert war, ein Don-Bosco-Haus, und das ist der Knaller. Die Schüler kommen mit leuchtenden Augen zurück, der Künstler und der Gartenbauer sind hochzufrieden, weil die so engagiert arbeiten, und da sind regelrechte Kracher drin an Schülern in dieser Gruppe, die im Unterricht nur nerven, nur stören […] und da so richtig aufgehen [...]. Wenn wir jetzt einfach nur so diesen klassischen Fokus von Schule betrachten, einfach nur so diesen Bildungsauftrag Richtung Berufsorientierung, höhere Bildungsabschlüsse usw., dann ist das wichtig und richtig. Aber bei vielen Schülern sehe ich das so, zumindest bei unserer Klientel, da greift das nicht, da brauchen wir zusätzlich andere Dinge und da brauchen wir [...] Personen aus dem Leben. Lehrer sind keine Personen aus dem Leben. [...] Und wenn es gelänge, Schulen zu öffnen und solche Leute zusätzlich zu den Lehrern, dann wäre viel gewonnen […] man müsste den Kolleginnen und Kollegen die Angst nehmen, weil die ja helfen und nicht sabotieren.“

[B8] „[Man müsste] diesen jungen Leuten wirklich eine individuelle Förderung zuteilwerden lassen in der Schule, auch mit externen Partnern. Aber es müsste ein Konzept da sein, dass auch überprüft wird, um zu sehen, wie das funktioniert […].“

Schule und Wirtschaft besser miteinander verzahnen. Damit Schulen noch besser auf die Anforderungen reagieren können, die die Ausbildungsbetriebe an die Absolventen richten, braucht es nach Einschätzung der Befragten eine bessere Vernetzung zwischen Schule und Ausbildung. Die Schulen wollen sich nicht allein als Zulieferer für die Wirtschaft verstanden sehen. Vielmehr braucht es einen qualitativen Austausch zwischen den Institutionen, um zielorientiert die Ausbildungsreife der Schülerinnen und Schüler zu fördern.

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[m Sch] „Man müsste mehr vernetzen. Ich denke, die Rückmeldungen fehlen zum Teil von den Ausbildungsbetrieben, was heißt, die Schüler sind nicht ausbildungsreif oder ausbildungsfähig. Dass wir daran ansetzen können: Was müssen wir da noch ändern? Wo fehlt es? Das ist mir so ein bisschen ein Dorn im Auge, dass das trotz Kooperationsvertrag nicht so funktioniert, dass wir einfach die Kontakte nicht so haben können, warum auch immer. Ich würde mir mehr Informationen wünschen! Was ist mit unseren Schülern, die wir abgegeben haben […]?“ [B6 Sch] „Ich wünsche mir eine gemeinsame Verantwortung statt nur eine Verantwortung, Schule. Ich bin kein Zulieferbetrieb für die Wirtschaft. Ganz wichtiger Punkt. Sondern ich habe einen Auftrag als Schule. Und Wirtschaft kommt immer nur dann auf Schule zu, wenn sie Probleme haben. […] dann rufen die bei uns an, […]: Wir brauchen noch Dachdecker, wir brauchen noch dies, noch das. Wenn aber keine Arbeitsplätze da sind, ist Schule nicht interessant. Das ist eine finanzielle Verantwortung, das ist eine moralische Verantwortung, das ist ein Mitwirken am Schulleben, an unserem Bildungsauftrag.“ [B1 Sch] „[...] wenn man durch eine Zusammenarbeit in dem Bereich Wirtschaft und Schule, Schule und Wirtschaft dann etwas erreichen kann, ist doch gut. […] Wir haben jetzt insgesamt zehn offizielle Schulpartnerschaften mit solchen Betrieben geschlossen und die kommen zu bestimmten Themen in die Schule.“

Schulerfolg aktiv gestalten. Die Expertinnen und Experten sind der Überzeugung, dass Schulen frühzeitig Präventionsmaßnahmen ergreifen müssen, um ein mögliches Schulversagen von Schülerinnen und Schülern zu verhindern. Das Modell der Arbeitsweltklassen an den Hauptschulen wird als ein Erfolgsmodell betrachtet. Dieses wurde jedoch im Zuge der Schulreformen abgeschafft. Der neu eingeführte Praxistag, ein freiwilliges Angebot für Schülerinnen und Schüler, greift den Pädagogen nicht weit genug und kann das vorherige Angebot nicht ersetzen.

[B8 Sch]: „[Der Praxistag für Hauptschülerinnen und -schüler] ist wirklich ein freiwilliges Angebot und da sehe ich ein ganz großes Defizit: erstens [die] Schüler zu motivieren, gerade [die] schwächeren Schüler, sich eine Praktikumsstelle zu suchen. Die, die das wollen, die finden das auch, die suchen rechtzeitig eine Stelle. Aber gerade bei den schwächeren Schülern ist es ein unheimlicher Angang, weil sie teilweise auch die Unterstützung nicht finden, sich nicht zu orientieren wissen, und da denke ich, da müsste auch von oben nochmal irgendwie eine Maßnahme erfolgen.“

Besonders Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Förder- und Unterstützungsbedarf bleiben bei diesem Angebot zurück. Aber auch darüber hinaus fehlen den Schulen die Ressourcen, Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Förderbedarf individuell so zu fördern, dass ein Schulversagen ausgeschlossen werden kann.

[B3 Sch] „[…] wir [sind] sehr häufig mit Scheitern konfrontiert […], dass wir Jugendlichen im Grunde überhaupt keine Chance geben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die gehen von einer Ersatzleistung in die nächste. Das heißt, die haben unter diesen Bedingungen überhaupt keine Chance, jemals tatsächlich auf eigenen Beinen zu stehen […]. Das Schielen nach oben ist okay, aber ich muss gleichzeitig auch nach unten gucken und schauen, wie kann ich da entsprechend fördern, damit ich dieses Heer von Kindern und Jugendlichen, die

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ich dann in die Perspektivlosigkeit entlasse, minimiere. Und dies ist sehr stark. Nur will diese Zahlen niemand sehen, die kriegen Sie auch nicht diskutiert und das finde ich skandalös.“

[B8] „[Wir müssen] diese jungen Menschen gezielt fördern […], um Benachteiligungen und Defizite auszugleichen und die Voraussetzungen für die Wahrnehmung von Bildungschancen zu schaffen. Dazu allerdings sind die Schulen weder strukturell noch organisatorisch noch inhaltlich oder finanziell vorbereitet. Das wird ein Riesenproblem sein, die jungen Leute mit Förderbedarf unterschiedlichster Art, die in die Schulen kommen. Das beginnt schon im Kindergarten, in der Grundschule, in der Sekundarstufe I geht das weiter, machen was sie tun können, es werden Dinge outgesourct wie Schulsozialarbeit, zum Teil auch Berufsorientierung. Aber im Grunde genommen [findet] die individuelle Förderung, die auf dem Papier steht, nicht statt.“

[B2 Sch]: „Also Arbeitsweltklassen, möchte ich nochmal unterstützend sagen, sind ein präventiver Ansatz, wo zu einem sehr frühen Zeitpunkt, wenn sich abzeichnet, hier ist Schulversagen angesagt oder kein Schulerfolg in Sicht, dass man da intervenieren, ansetzen kann und neue Zugänge schafft. Das ist an unserer Schule ein Erfolgsmodell. Wir haben sehr hohe Abschlüsse, auch in Ausbildung hinein. Daher kann man sagen, das ist ein Erfolg, und genau diesen Präventionscharakter oder diesen Gedanken brauche ich auch. Ich brauche Instrumente, wo ich zu einem sehr frühen Zeitpunkt ansetzen kann. Und da habe ich individuelles Fördern, ich habe den präventiven Gedanken drin, also alles das, was von Politik immer wieder propagiert wird, habe ich da par excellence. Und das mit einer guten Trefferquote! Das tritt man im Grunde in die Tonne, weil man dann sagt: Wir haben da was anderes, das passt konzeptionell nicht in die Realschule Plus […]. Nur setzt der am Ende der Schulzeit an und ist, was Präventionsgedanken angeht, was völlig anderes. Also da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Auch das kriegt man nicht vernünftig diskutiert.“

Um präventiv arbeiten zu können, benötigen Schulen passgenaue Instrumente, mit denen sie bereits frühzeitig einem Scheitern von Schullaufbahnen begegnen können.

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3.4 Berufsorientierung

So sieht es vor Ort aus …

Die Vielfalt der Ausbildungsberufe ist den Jugendlichen nicht bekannt. Nach Einschätzung der Expertinnen und Experten hat die Praxisorientierung in den Schulen des mittleren Bildungsweges in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Diese Auffassung wird vor allem von den befragten Schulleiterinnen und Schulleitern sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen unterstrichen. Die Qualität der Berufsberatung wird von einigen der befragten Expertinnen und Experten jedoch mit Vorbehalt bewertet.

[B9] „[...] natürlich gibt es Berufsberatung, die an die Schulen geht […]. Aber inwiefern diese tatsächlich eine qualitativ hochwertige Berufsberatung leisten, das wage ich zu bezweifeln [...]. Mir kommt es zumindest oft bei denjenigen, die hier sitzen, so vor, als wenn es nicht thematisiert wird, weil viele mit Berufswünschen kommen, wo sie gehört haben, da verdient man viel Geld. Die Klassiker: Ich will Verkäufer werden oder ich würde gern bei Dr. Oetker arbeiten, weil das ein großes Unternehmen hier ist, und ich habe gehört, die bezahlen ganz gut. Und das ist auch alles. Danach entscheiden die, was sie werden wollen. Oder sie wollen halt im Einzelhandel arbeiten, weil sie meinen, da haben sie die besten Chancen mit ihrem Hauptschulabschluss, und haben aber dann eine Fünf in Mathe. Also die haben sich mit diesem Berufsbild dann null auseinandergesetzt.“

[B8 Sch] „Berufsorientierung [...] finde ich ganz wichtig, vor allem den Bezug zur Praxis herzustellen. Da denke ich mir, da muss noch viel mehr gearbeitet werden.“

Insbesondere das Wissen über die Palette der Ausbildungsberufe ist bei den Jugendlichen nicht umfänglich vorhanden. Die Kenntnis der Berufe beschränkt sich vielfach auf einige wenige Berufe.

[B10] „[...] da spielen [...] Medien eine große Rolle, dass es In-Berufe gibt. Ich glaube, die haben schon die Möglichkeit, sich da auch sehr gut zu informieren über die Berufe, aber ob das immer im Einzelnen so explizit stattfindet, ist die Frage. [...] die Top Ten der Ausbildungsberufe sind doch sehr stark verfestigt seit den letzten Jahren. [...] Ich sage hauptsächlich im kaufmännischen Bereich, also Verkauf, Einzelhandel, und auch Büroberufe. Das sind die drei meistnachgefragten und dann kommen: Kfz-Mechatroniker, Tischler und Maler bzw. Lackierer, medizinische Fachangestellte.“

In der Gruppendiskussion mit den Jugendlichen bestätigte sich die eingeschränkte Kenntnis der Berufe unter den Jugendlichen. Ebenso kann ein Bild der Berufe, die bei den Jugendlichen weniger gefragt sind, wie bereits im Zwischenbericht dargelegt, skizziert werden:

[I J] „[...] was kennt ihr für Berufe? Erzählt mal.“ [B3 J] „Also allgemeine Bürojobs, Verwaltungsfachangestellte, Bürokauffrau, Bankkauffrau, dann Mechatroniker, Spanungsmechaniker, so Allgemeines.“ [B2 J] „Eigentlich hat sie alles gesagt. Hier in der Umgebung sind so Jobs, die jeder macht oder die öfter angeboten werden.“ [B5 J] „Wieso zeigst du auf mich? Sag nicht Hartz IV, ich schwör's dir. Maler- und Lackiererfirmen gibt es ja hier sehr viele. Holzerei wollte ich gerade sagen [...].“ [B5 J] „Schreiner, genau, gibt es hier auch noch welche. Und dann noch halt eben Verkäufer und so.“ [B6 J] „Fensterbauer. Und Automechatroniker gibt es hier auch viel.“

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Ebenfalls in der Gruppendiskussion mit den Jugendlichen zeigte sich, dass die Eltern auf die Berufsorientierung der Jugendlichen sehr heterogen einwirken. Die Einschätzung der Expertinnen und Experten, dass vor allem im unteren Leistungsbereich der Schülerinnen und Schüler eine Unterstützung der Eltern gering ausfällt, kann durch nachfolgenden Auszug aus der Gruppendiskussion mit den Jugendlichen bestätigt werden:

[I J] „Welche Rolle spielen eigentlich eure Eltern bei der Berufsorientierung?“ [B5 J] „Nichts. [Keine.] Die sind froh, wenn ich einen Job finde. Nein, sie konnten mir nicht helfen, weil ich ja nicht wusste, was ich werden will.“ [B6 J] „Meine Mutter wusste, dass ich was mit Autos machen will.“ [B3 J] „Also meine Eltern haben mir auf jeden Fall sehr geholfen.“ [B2 J] „Also bei mir steht der Beruf noch nicht so im Raum. Ich bin ja erst in der 8. Klasse. Aber wenn ich dann sage, ich will mal das oder das werden, dann sagen meine Eltern: Ja, das ist gut! Oder halt eben nicht so gut. Oder die schlagen mir vor: Willst du nicht mal das werden oder das versuchen. Aber so wirklich nachgedacht darüber habe ich noch nicht.“ [B1 J] „Die haben mir eigentlich schon ziemlich geholfen, aber dann habe ich mich doch für das Abitur entschieden.“

Berufsorientierung an den Gymnasien findet kaum statt. An den Gymnasien findet in der Sekundarstufe I eine Berufsorientierung, wie sie an den Schulen des mittleren Bildungsweges und den Integrierten Gesamtschulen praktiziert wird, nicht statt.

[B2 J] „Also ich bin jetzt in der 8. Klasse und wir haben so was eigentlich noch gar nicht gemacht, mit dem Beruf und was wir werden wollen. Also ehrlich gesagt nicht.“ [B1 J] „Also wir müssen das eigentlich selber machen, da gibt es nicht irgendwie große Hilfen, weil man ja auf dem Gymnasium das Abitur erst mal anstrebt [...]. Ich glaube auch, bei uns auf der Schule ist das gar nicht so, dass jemand kommt und uns da mal berät. Ich denke, das wäre schon besser, wenn das so wäre.“

Die Agentur für Arbeit bietet Absolventinnen und Absolventen mit einer Allgemeinen Hochschulreife die Möglichkeit, sich über die Berufsvielfalt zu informieren. Unterstützt werden diese Informationen durch eigene Recherchen und die Begleitung seitens der Eltern. Generell haben Abiturientinnen und Abiturienten gute Aussichten auf einen Ausbildungsplatz in der Region.

[B8] „Diese jungen Leute orientieren sich dann natürlich eher an Weiße-Kragen-Berufen, kaufmännische Berufe, Bankkaufmann. Solche Dinge sind prädestiniert vom Sozialprestige her […]. Wenn gewerbliche Berufe, dann natürlich eher BASF, also Großbetriebe, als in einem kleinen Handwerksbetrieb. Wenn jemand Abitur gemacht hat und das auch in der Familie als sozialer Aufstieg gesehen wird und dann eine Handwerkslehre beginnt, dann muss er sich fast rechtfertigen.“

Problematisch erscheint insgesamt die Gewinnung von Abiturientinnen und Abiturienten für die duale Ausbildung. Hier fehlt in den meisten Fällen die obere Leistungsspitze:

[B8] „[...] im Handwerk ist das große Problem, dass dann, wenn sich überhaupt jemand noch für eine Lehre interessiert, eher weniger ins Handwerk geht. [Das] hat auch viel mit

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Sozialprestige usw. zu tun und [dass] wir deswegen vor allem auch qualitativ den Nachwuchs nicht mehr bekommen, den wir unbedingt bräuchten. Das merken wir heute schon sehr massiv, wenn wir uns den Notenspiegel in den Gesellen-, aber zum Teil auch schon in den Meisterprüfungen anschauen. Da höhlen wir die berufliche Bildung immer mehr aus und kriegen auf der anderen Seite wachsende Zahlen an Studienabbrechern und auch an prekär beschäftigten Akademikern.“

[B11] „Die [Studienabbrecher] kommen eben leider im Moment noch nicht zu uns, sondern nehmen sogar ein zweites Studium auf und sind natürlich nur ganz schwer auf den Pfad der dualen Ausbildung zu bringen."

Auf dem regionalen Arbeitsmarkt gern gesehen werden junge Erwachsene, die sich nach einem Studienabbruch bewusst für eine Ausbildung entscheiden.

[B8] „Aber es gibt eben die [...] Sorte von Studienabbrechern, die sagen: Das ist nichts für mich, jetzt mache ich mal eine Lehre [...]! Die dann hochmotiviert, die wissen, warum sie es tun, und sind für uns hochinteressant, oft auch die Besten ihrer Klasse. Und die können dann sehr genau abschätzen, wo ihre Chancen über eine Meisterprüfung und vielleicht auch Selbstständigkeit liegen.“

Die größte Hürde stellt sich für die jungen Erwachsenen, die ein Studium nicht abschließen und nach einer Zwangsexmatrikulation eine Ausbildung beginnen müssen.

[B8] „Also da erleben wir im Augenblick die tollsten Dinge, wie junge Menschen zu uns kommen, achtes Semester, völlig orientierungslos, überfordert und erkundigt sich, zwangsexmatrikuliert, was man tun könnte, ist aber vom Selbstwertgefühl so niedrig, dass er sich kaum traut, selber eine Bewerbung um eine Lehrstelle an den Betrieb zu schreiben.“

Eine unzureichende Berufsorientierung an den Gymnasien zeigt sich als besonders problematisch, wenn es zu diesem späten Zeitpunkt zur Auswahl einer passgenauen Ausbildung kommt.

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

In der Berufsorientierung die Vielzahl der Berufe in den Blick nehmen. Aus Sicht der Befragten ist es wichtig, den Transfer von der Schule in die Ausbildungsberufe gut zu organisieren. Die Schülerinnen und Schüler haben oftmals keine Vorstellung über die Vielzahl der Ausbildungsberufe. Ziel sollte es daher sein, das Wissen bezüglich die Vielfalt der Ausbildungsberufe zu erhöhen.

[B7] „Das heißt, wichtig wäre, diesen Transfer von der Schule in die Ausbildungsberufe vernünftig zu organisieren. Mir sagen die Leute von den Kammern: Oft haben die Jugendlichen gar keine Ahnung, was es an Ausbildungsberufen noch alles gibt, die für sie in Frage kämen. […] Das heißt, das sind Schüler, die sich im Prinzip im nächsten halben Jahr entscheiden müssen für einen Beruf und kennen aus diesem Spektrum von 400 Ausbildungsberufen, die es in der Region gibt, zehn.“

[B11] „Was man machen müsste, ist, generell beiden Fraktionen, also Jungen und Mädchen, die Vielfalt und die Breite des Angebots aufzeigen und die von diesem schrecklichen Es-gibt-nur-fünf-Berufe-Schema wegkriegen. Nur das kriegen Sie mit allen Girls und Boys Days scheinbar auch nicht hin, weil das auch tief in den Genen drin zu sitzen scheint.“

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Berufsorientierung auch an den Gymnasien stärker verankern. Um auch Abiturientinnen und Abiturienten die Vielfalt der Ausbildungsberufe und die Potentiale einer Berufsausbildung in der Region Trier näherzubringen, sollte eine Berufsorientierung auch in der Sekundarstufe I der Gymnasien verankert werden.

[B10] „[...] würde ich vielleicht sagen, dass da die Berufsorientierung aus meiner Sicht schon ein bisschen früher anfangen könnte. Das erleben wir manchmal, dass in der Mittelstufe, wenn jemand das nicht schafft mit dem Abitur, dass derjenige dann halt noch nicht so besonders gut orientiert ist.“

[B11] „[...] wir brauchen gerade in der Industrie viele Abiturienten, die eine duale Ausbildung machen. Und wenn aber immer mehr Abiturienten sagen, jetzt haben wir das Abi und jetzt wollen wir auch studieren, dann geht uns diese obere Bandbreite für die duale Ausbildung verloren. Die Konsequenz ist, dass die Unternehmen nicht mehr richtig Gute kriegen und dann auf dem Markt gucken müssen, was noch da ist. Und dann stellen sie Leute ein, die vielleicht nicht so geeignet sind. Das ist dann ein trading down in jedweder Hinsicht [...]. Das ist das Thema Berufsorientierung, das ist überhaupt noch nicht befriedigend gelöst.“

Transparenz über die Vielzahl der Berufsorientierungsangebote schaffen. Aus Sicht der Expertinnen und Experten braucht es eine bessere Verzahnung der Angebote der Berufsorientierung. Die Zahl der Akteure, die im Bereich der Berufsorientierung aktiv sind, ist hoch. Infolgedessen fällt es den Schulen zunehmend schwerer, aus der gegebenen Vielfalt das für die Schülerinnen und Schüler passendste Orientierungsangebot auszuwählen. Um den Hürden der Entscheidung zu begegnen, wäre die Schaffung von Koordinierungsstellen der Berufsorientierung sinnvoll.

[B10] „Da gibt es teilweise sogar zu viel Information, was wieder verwirrend ist, und an anderen Stellen vielleicht auch zu wenig. Das ist schwierig, da den richtigen Weg zu finden. Da wäre es, glaube ich, sinnvoll, irgendwo eine übergeordnete Koordination zu haben […].“

Individualisiertes Lernen auch an den Berufsschulen fördern. Die Relevanz des individualisierten Lernens steigt auch an den Berufsschulen. Diese haben ein breites Begabungsspektrum abzudecken. Um einerseits Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Förderbedarf zum erfolgreichen Berufsabschluss zu bringen und andererseits attraktiv für Abiturientinnen und Abiturienten zu sein, müssen Berufsschulen noch stärker in die Situation gebracht werden, die individuellen Begabungen der Auszubildenden zu fördern.

[B8] „[…] da liegt ein Schlüssel für die Zukunft […], dass […] der schulische Teil tatsächlich in Richtung Individualisierung geht. Individuelle Förderung, das heißt, dass wir […] diejenigen, die schlechte Eingangsvoraussetzungen mitbringen, so fördern mit Stütz- und Förderunterricht, dass sie […] die Lehre bestehen können, dass wir aber auch den stärkeren jungen Menschen Aufstiegsperspektiven eröffnen, indem wir ihnen hochwertige Zusatzangebote machen. […] wir brauchen Projekte, Ansätze, [um die] einzelnen jungen Menschen [zu] fördern […], auch in Richtung Studierfähigkeit beispielsweise parallel zu einer Ausbildung.“

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3.5 Das empfehlen wir … Neue Ideen und Konzepte entwickeln

Eine Qualitätsoffensive an den Ganztagsschulen starten

Schulen auf dem Weg zu einem qualitativ hochwertigen Ganztagsangebot, welches den Bedürfnissen der Schulen, der Schüler und der Eltern gerecht wird, begleiten

Mit einer unabhängigen Bildungsberatung Transparenz über das Bildungssystem schaffen; bereits in den Grundschulen ansetzen

Das Wissen über die Vielfalt der Ausbildungsmöglichkeiten bei Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften durch eine unabhängige Bildungsberatung erhöhen

Berufsorientierung und Beratung (auch psychologische) für Studienabbrecher oder

Exmatrikulierte auch an der Universität Trier etablieren

Transfer guter Praxis und Qualifizierung Maßnahmen zur Persönlichkeitsbildung an den Schulen fördern und reflektierte

Stärken- und Interessensanalysen bereits in der Orientierungsstufe unterstützen Good Practice für die Prävention von Schulversagen identifizieren und in die Region

transferieren

Good Practice für individualisiertes Lernen an den Berufsschulen identifizieren und in die Region transferieren

Wissen über das rheinland-pfälzische Bildungssystem bei den Lehrkräften verankern Teamqualifizierungen an den Realschulen Plus sowie den Integrierten Gesamtschulen

fördern

Kooperation verbessern, Akteure und Ressourcen zusammenbringen

Die Bildungsinstitutionen im Stadtteil zusammenbringen und vernetzen und ihre Identifikation als Schul- bzw. Bildungsgemeinschaft stärken, um gemeinsam aktiv zur

Entwicklung der Schule im Stadtteil beizutragen Den Aufbau eines Netzwerkes zur Qualitätsentwicklung an Ganztagsschulen in der

Region unterstützen Schulen des mittleren Bildungsweges dabei unterstützen, sich für außerschulische

Kräfte zu öffnen Schulen dabei unterstützen, Wege zu finden, um die Eltern als die wichtigsten Partner

der Jugendlichen in der Berufsorientierung stärker einzubinden Ganzheitliche Kooperationen von Grund- und weiterführenden Schulen vorantreiben

Diskussionen anregen/Agenda Setting

Vertreter der Schulen und der Jugendhilfe in einen Dialog bringen, um Angebote

besser zu verzahnen Gespräche zur Flexibilisierung des Ressourceneinsatzes an den Schulen mit der

Schulverwaltung moderieren

Den Dialog zwischen Schule und Wirtschaft stärken, um zielgerichteter die Ausbildungsreife der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen

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Einen Dialog mit der Schulverwaltung, den Gymnasien und den Kammern führen, um Berufsorientierung auch an den Gymnasien zu verankern

Einen öffentlichen Diskurs über die Durchlässigkeit des Bildungssystems anstoßen

Aktivitäten unterstützen

Qualitativ gute Schulen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit unterstützen

Die Anschaffung von neuem technischen Equipment an Schulen fördern

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Thesen Die Region Trier ist mit dem demografischen Wandel konfrontiert. Durch eine

Verbesserung der Familienfreundlichkeit sollen Familien in der Region gehalten bzw. neue Familien angezogen werden. Hierfür müssen die vorhandenen Strategien stärker auf die Belange der Familien zugeschnitten werden.

Die Landkreise bieten Kindern und Jugendlichen insgesamt sehr günstige Bedingungen des Aufwachsens. In der Stadt Trier besteht hier Nachholbedarf.

Identifizierte Handlungsfelder Zukünftige Aktivitäten auf die Förderung von Bildungschancen in den benachteiligten

Stadtgebieten fokussieren Im Sinne der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf den Ausbau der

Ganztagsbetreuung in Kindertageseinrichtungen und Schulen voranbringen; Vernetzung der schulischen Bildung mit Angeboten des non-formalen und informellen Lernens; Unterstützung des Ausbaus von Kitas zu Familienzentren; Förderung des qualitativen und quantitativen Ausbaus der Ganztagsschulen und der koordinierten Betreuungsangebote in den Ferienzeiten; Angebote zur Stärkung der kompetenten Familie durch Verbesserung der Kommunikation und des gegenseitigen Verstehens schaffen

4. Aufwachsen in der Region Trier

4.1 Familienfreundlichkeit

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht

So sieht es vor Ort aus …

Der Stadt Trier fehlt ein familienpolitisches Profil. Nach Einschätzung der Befragten fehlt der Stadt Trier bislang ein klares familienpolitisches Profil. In der Verwaltung gibt es bislang keine Zuständigkeit für das Thema Familie, sodass es schwierig ist, das Thema Familienfreundlichkeit in den allgemeinen Diskurs zu bringen. Für die Bildungseinrichtungen der Stadt erhöht sich dadurch die Anforderung, systematisch auf die Bedarfe von Familien einzugehen.

[B4] „Sie [Stadt Trier] stellt sich nicht wirklich dar und sie hat auch keine wirkliche Zuständigkeit innerhalb der Verwaltung für das Thema Familie.“

Es mangelt an passenden Orten und Angeboten für Jugendliche in der Stadt Trier. In der Stadt Trier fehlt es für Jugendliche im Nachmittagsbereich an non-formalen Bildungsangeboten und an Orten, an denen sich Jugendliche aufhalten können. Allein der Ausbau der Ganztagsschulen und die Angebote der Musikschulen und Bibliotheken genügen nicht, um den Bedarf der Jugendlichen an Freizeitmöglichkeiten zu bedienen. In der Vergangenheit stellten die Pfarreien wichtige Anlaufstellen für Jugendliche dar. Seitdem das

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Bistum jedoch Einsparungen vorgenommen hat, klafft hier nach Einschätzung der Befragten eine Lücke, die bislang nicht geschlossen wurde. Zugleich fehlt es an Orten, wie Parkanlagen oder Freiflächen, an denen sich Jugendliche am Nachmittag aufhalten können.

[B 5] „[…] das Angebot in der offenen Kinder- und Jugendarbeit [wird] immer mehr zusammengestaucht […]. Was wiederum heißt, dass Jugendliche sich ihre Plätze suchen, wie zum Beispiel im Palastgarten. Da werden sie aber wieder weggescheucht, weil sie den Rasen dreckig hinterlassen. Sie halten sich auf den wenigen Spielplätzen, die wir haben, auf, da werden sie auch weggescheucht, weil das die Spielplätze für die Kinder sind. Dann suchen sie sich solche Orte wie die Treviris-Passage. Das sind dann aber auch eigentlich Bushaltestellen. Das stört wieder die Leute, die mit dem Bus fahren wollen. Also es gibt einfach wenige Orte für Jugendliche.“

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestaltet sich in der Region schwierig. Obgleich die Landkreise und die Stadt Trier erhebliche Investitionen in den Ausbau sowohl der U3-Betreuungsangebote als auch der Ganztagsplätze in Kindertageseinrichtungen getätigt haben und der Ausbau der Ganztagsschulen in der Region weiter voranschreitet, ist es nach Einschätzung der Befragten für viele Familien schwer, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren.

Bezüglich der Öffnungszeiten der Kitas und der Grundschulen fehlt es noch immer an Flexibilität in den Einrichtungen. Die Betreuungszeiten decken nicht in ausreichendem Maße die Arbeitszeiten der berufstätigen Eltern ab.

[B6 E] „[…] flexible Öffnungszeiten, das ist [...] ein Thema, was bei uns gerade aktuell ist, weil die Einrichtung freitags früher schließt und das einigen Eltern nicht so passt, weil nicht jeder auch freitags früher freimachen kann im Job. Das ist auch ein Riesenproblem.“

[w E] „[...] es gibt ja auch Mütter, die arbeiten gehen, auch hier in der Region mittlerweile. Bis 16:00 Uhr ist manchmal ganz schön knapp. […] 16:30 Uhr auch. Da muss ich mit Überschall nach Hause fahren.“

[w E] „[…] ich als Lehrerin zum Beispiel habe bis 15:45 Uhr manchmal Unterricht. Um 16:00 Uhr schließt die Betreuung. Dann komme ich fast immer zu spät oder ich muss meinem Kind, was in der 1. Klasse ist, dann schon sagen, du musst heute schon mal alleine nach Hause gehen. Fördert zwar auf der einen Seite die Selbstständigkeit, aber auf der anderen Seite habe ich als Mutter ein ganz schlechtes Gefühl.“

Insbesondere alleinerziehende Eltern stehen vor der Herausforderung, in den Randzeiten zu arbeiten, da die Betreuung der Kinder in diesen Zeiten nicht gewährleistet ist. Auch von Arbeitgeberseite ist aus Sicht der Befragten noch zu wenig Flexibilität bei den Arbeitszeiten gegeben. Eine Abstimmung der Arbeits- und Betreuungszeiten ist für viele Familien nach wie vor schwierig.

[B3] „Im Bereich Familienfreundlichkeit noch längere Öffnungszeiten von den Einrichtungen, weil die sind nicht unbedingt überall so, dass Eltern auch ohne schlechtes Gewissen zur Arbeit fahren können.“

Auch im Bereich der Kindertagespflege fehlt es bislang an passenden Angeboten. Diese gestaltet sich häufiger über Nachbarschaftshilfe als über eine organisierte Betreuung.

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[B5] „Es gibt wenig organisierte Kindertagespflege. Wenn, dann baut das noch auf Nachbarschaftshilfe auf, da, wo man seine Nachbarn kennt. Das ist im Stadtbereich eher weniger der Fall.“

Als eine besondere Hürde für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird die Betreuung der Kinder in den Ferienzeiten wahrgenommen. Gerade für Schulkinder gibt es in der Region Trier nur wenige passende Angebote für die Betreuung in den Ferienzeiten. Angebote sind entweder gar nicht vorhanden: [B3] „Nein, es gibt keine Hortangebote [für die Ferienzeiten in der Vulkaneifel]". Oder sie sind nicht mit den Arbeitszeiten der Eltern vereinbar, zum Teil schlecht erreichbar oder zu teuer.

[B2 E] „[…] der zeitliche Ansatz stimmt nicht. Ich kann nicht morgens um halb neun mein Kind in eine Ferienbetreuung geben und müsste eigentlich um acht Uhr auf der Arbeit stehen.“

[B3 E] „Also wir haben sehr viel Ferien, so viele Urlaubstage haben wir gar nicht im Jahr. Wenn man die Kinder dann in der Zeit, die man arbeiten ist, unterbringt, kostet das einen Haufen Geld. […] es gibt viele Eltern, die können sich das nicht leisten. […] ich sehe einige Kinder, […] die würden das zum einen brauchen, können sich es nicht leisten, und ich sehe die Kinder […] den ganzen Tag rumlaufen, egal ob die an der Verkehrsstraße unten sind oder wo auch immer.“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Ein familienpolitisches Profil für die Stadt Trier entwickeln. Der Bereich der Familienfreundlichkeit muss nach Meinung der Expertinnen und Experten in der Stadt Trier eine eigene Verantwortlichkeit bekommen. Es muss [B4] „sanfter Druck“ auf operativer Ebene ausgeübt werden, um die Entwicklung eines familienpolitischen Profils auf den Weg zu bringen.

[B4] „[…] da muss man zu einer Entscheidung kommen, wie man sich ein familienpolitisches Gesicht geben will […]. Also man muss niemanden überzeugen, aber es könnte trotzdem auf der operativen Ebene mehr passieren […].“

Aus Sicht der Befragten sollten die in der Stadt Trier Verantwortlichen dabei begleitet und unterstützt werden, Ideen zu entwickeln, wie Familienfreundlichkeit konkret aussehen kann. Dies kann zum Beispiel durch ein moderiertes Gespräch mit den Akteuren umgesetzt werden.

[B5] „[…] was wir tun [müssten], ist, das Thema setzen. […] verschiedene Akteure an einen Tisch bringen und quasi moderierend, begleitend, beratend, unterstützend zu Lösungen zu kommen.“

Räume und Angebote für Jugendliche in der Stadt Trier erschließen. In der Stadt Trier braucht es Orte und Flächen, an denen sich Jugendliche im Freizeitbereich aufhalten können, ohne mit der Bevölkerung der Stadt Trier in einen Konflikt zu geraten. Mit Vertretern der Stadt Trier und der freien Jugendhilfe sollte erörtert werden, welche [B5] „Plätze es beispielsweise gibt, die brachliegen“, die gemeinsam mit den Jugendlichen gestaltet werden können, [B5] „[…] damit sie einerseits so eine Art zweite Heimat […] finden und gleichzeitig auch eine Verbundenheit entsteht […].“ Ein besonderer Schwerpunkt sollte nach Einschätzung der Befragten hier auf Stadtteile wie Trier West und Trier Nord gelegt

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werden. Konkret bedarf es in diesem Kontext auch der Klärung der Nutzungsbedingungen der Skaterhalle in Trier-West bzw. der Schaffung eines alternativen Areals für die Jugendlichen.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf über breitere Betreuungsangebote in allen Lebensphasen fördern. Betreuungsangebote müssen nach Einschätzung der Befragten in der Region Trier noch stärker an die Bedarfe der Familien angepasst werden und kontinuierlich über alle Lebensphasen der Kinder und Jugendlichen hinweg gewährleistet sein.

[B4] „[…] da muss man gerade nochmal bei Alleinerziehenden schauen, dass sie bevorzugt in die Betreuungssysteme kommen, die ihre Bedürfnisse abdecken. [Da muss] die Kinderbetreuung noch punktgenauer laufen [...].“

Nach Einschätzung der Befragten muss das Personal der Bildungseinrichtungen dahingehend sensibilisiert werden, differenzierte Angebote vorzuhalten, damit Familien individuell die für sie passenden Angebote wählen und nutzen können.

[B7] „[...] es nützt nichts, wenn es im Kindergarten eine gute Versorgung gibt über die normalen Schulzeiten hinaus, dann in der Schule wiederum nicht mehr. Also wenn Eltern nicht langfristig planen können. Ich glaube alles, was an Angeboten da sein muss, muss so gestrickt sein, dass es auch über 10, 15 Jahre wahrnehmbar [ist].“

[B7] „Wichtig ist, dass man ein breites Angebotsspektrum hat, das dann jeder für sich, so wie es für den Einzelfall maßgeschneidert ist, eben nutzen kann.“

Hierfür müssen die Bedarfe der Familien in der Region und in den jeweiligen Institutionen ermittelt werden. Aufbauend auf die Bedarfsanalyse sollten Maßnahmen entwickelt werden, die darauf abzielen, Familien punktgenau zu unterstützen.

Ein breites, erreichbares und finanzierbares Angebot der Ferienbetreuung ermöglichen. Die Betreuungsangebote für Kinder in den Ferienzeiten sind aus Sicht der Befragten defizitär. Für Schulkinder braucht es ein breiteres Angebot in den Ferienzeiten, damit die Kinder berufstätiger Eltern gut und sicher betreut sind. Die Befragten sehen vor allem die öffentlichen Träger in der Verantwortung, Angebote zu gestalten. Nur so können Eltern in den Ferienzeiten entlastet werden.

[B3] „Die [Angebote in den Ferienzeiten] werden auch nicht von öffentlichen Trägern angeboten. Es könnte ja auch eine Betreuung in den Schulen stattfinden […].“

Da die derzeit gegebenen Ferienbetreuungsangebote Familien zum Teil vor finanzielle Herausforderungen stellen mit der Folge, dass diese von einem Teil der Kinder nicht wahrgenommen werden können, braucht es für Familien mit geringen Einkommen finanzielle Entlastungen in diesem Bereich.

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These Viele Teilregionen nutzen die positiven Effekte der Vernetzung der schulischen

Bildung mit informellen und non-formalen Bildungsangeboten noch nicht.

Identifizierte Handlungsfelder Umweltbildung für Kinder und Jugendliche weiter etablieren; das intensivere

Miteinander der Generationen in den Dörfern fördern; Engagement für die Region und die Bereitschaft, sich mit der Region zu identifizieren, stärken

4.2 Identifikation mit der Region

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht

So sieht es vor Ort aus …

Jugendlichen mit einem Berufsreife- oder Mittlere–Reife-Abschluss bleiben bevorzugt in der Region Trier. Nach Einschätzung der Befragten bleibt ein Großteil der Jugendlichen nach dem Berufsreife- oder Sekundarstufe-I-Abschluss in der Region. Sowohl die Identifikation mit der Region als Lebens- und Arbeitsraum als auch die Peer-Group11, die Nähe zur Familie und zum Teil auch die Angst vor Fremdem hält die jungen Menschen in der Region. Aus den Aussagen der Jugendlichen, die an der Gruppendiskussion teilgenommen haben, geht hervor, dass für diese kurz- bis mittelfristig ein Verlassen der Region in Frage kommt. Langfristig möchten sie sich hingegen in der Region verwurzeln. Es wird deutlich, dass sie das Leben in der ländlichen Region Trier schätzen und der Großstadt vorziehen.

[B2 J] „Ehrlich gesagt bin ich froh! Ich bin zufrieden mit der Umgebung hier und ich weiß auch nicht, ob eine Großstadt oder eine normale Stadt was für mich wäre, weil ich doch lieber in einem Dorf wohne.“

[B3 J] „Aber ich bin schon froh, dass ich eher hier im ländlichen Bereich lebe. Ich finde es viel schöner als in einer Großstadt. Man wohnt zum Beispiel nicht so anonym.“

[B1 J] „Also ich glaube, ich würde auch lieber hierbleiben. Ich würde schon gern ein Jahr mal ins Ausland gehen, aber dann würde ich auch wieder hierhin zurückkommen.“

Für Schülerinnen und Schüler mit einem höheren Bildungsabschluss stellt sich die Herausforderung, eine passgenaue Arbeit in der ländlichen Region zu finden. Nach Einschätzung der Experten sind die beruflichen Aussichten für Schüler mit höheren Abschlüssen in den ländlichen Bereichen der Region begrenzt. Für Absolventinnen und Absolventen, die die Region Trier zum Studium verlassen, ist eine Rückkehr zum Teil schwierig, da die Beschäftigungsmöglichkeiten für Akademikerinnen und Akademiker in bestimmten Professionen begrenzt sind. 11

Gleichaltrige Gruppe.

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[B6] „[…] es ist ganz schwierig für junge Menschen, die von hier aus ein Studium angehen, später wieder zurückkehren zu können, weil es keine Arbeitsplätze gibt beziehungsweise die Arbeitsplätze häufig mit sehr weiten Fahrtwegen verbunden sind. […] die Situation [ist] so, dass die jungen Menschen mit einer Hochschulausbildung eigentlich nie zurückkommen. Was bleibt, sind die Leute, die ortsnah eine handwerkliche Ausbildung machen.“

[B11] „Ob die Rahmenbedingungen alle stimmen, [...] ob die Möglichkeiten für intelligente Absolventen da sind, hier auch gehalten werden zu können, das ist das Thema Fachkräftesicherung.“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Die Identifikation mit der Region weiter stärken. Aus Sicht der Expertinnen und Experten müssen identitätsstiftende Institutionen, wie Vereine und Dorfgemeinschaften, in ihrer Arbeit unterstützt werden. Non-formale Bildungsanagebote bieten jungen Menschen die Möglichkeit, sich mit der Region zu identifizieren und eine Bindung aufzubauen. Durch eine starke Bindung an die Region, z. B. durch Freunde und Familie, fühlen sich die jungen Menschen eher motiviert, in der Region zu bleiben bzw. nach einem Studium in die Region zurückzukehren.

[B11] „Ich meine, die Identifikation muss ja irgendwo herkommen, die kommt ja nicht aus dem hohlen Bauch, sondern muss gelebt werden, dann bin ich wieder beim Elternhaus. Wenn man in einer intakten Umgebung aufwächst, wenn man seitens der Eltern Möglichkeiten bekommt, seine Potentiale auszuspielen, wenn man auf eine gute Schule kommt, wenn man aber auch in einem dörflichen oder in einem ländlichen Verbund aufwächst, wo man zum Beispiel durch das Thema Vereine, ganz wichtig, rangeführt wird an so eine Dorf- und Verbandsgemeinschaft, dann entwickelt man auch eine Identität für eine Region [...]. Und deswegen ist es ganz wichtig [...], dass sich die Dörfer nicht entvölkern [...], dass die Vereine geschützt und gestärkt werden. Damit entwickelt sich Identifikation.“

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These Die gezielte Förderung von Jungen und Mädchen verliert in der Region Trier nicht

an Aktualität. Vor allem in den ländlichen Teilregionen der Landkreise ist die Erreichbarkeit

non-formaler und informeller Bildungsangebote mit dem ÖPNV problematisch.

Identifizierte Handlungsfelder Bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt bei den Bildungsbiografien von Jungen

und Mädchen ansetzen, denn starke Jungen brauchen starke Mädchen; schon im Grundschulalter Grundlagen für gelingende Bildungsübergänge, z. B. durch gezielte Angebote für Jungen und Mädchen im Bereich der formalen und informellen Bildung, schaffen; Aktivitäten auf die Nutzung der intrinsischen Lernmotivation der Kinder dieses Alters fokussieren

Zugänge zu informellen Lernwelten für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien schaffen, Teilhabe vor allem für Haupt- und Förderschüler ermöglichen

4.3 Chancengerechtigkeit von Jungen und Mädchen und Kindern und Jugendlichen im ländlichen Raum

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht

So sieht es vor Ort aus …

Es fehlt an männlichen Pädagogen in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen. Die Bedeutung von männlichen Pädagogen in der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung sowie in der Primarstufe wird von den Befragten vor allem für die Stärkung von Jungen als sehr hoch angesehen. Dennoch gelingt es in der Region Trier kaum, Männer in den Kindertageseinrichtungen zu binden bzw. für den Beruf des Grundschulpädagogen zu motivieren. Auf Grund der geringen Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten in den Kindertageseinrichtungen ziehen die männlichen Pädagogen andere Arbeitsfelder in der Jugendhilfe vor. Im Bereich der schulischen Bildung streben sie in der Regel eine direkte Berufslaufbahn in der weiterführenden Schule an.

[B1 E] „Männer […] in Kitas, das ist eine Berufsgruppe, die so gut wie nicht vorhanden ist, weil

der Bereich zu unattraktiv auch vom Verdienst ist. Die, die die Erzieherausbildung dann machen, gehen in den Schichtdienst in den stationären Jugendhilfebereich und verdienen dann dort mehr […].“

Infolgedessen mangelt es an männlichen Vorbildern sowohl im Kindergarten als auch in der Grundschule.

[B8] „[…] ich würde schon sagen, das Bildungssystem ist verweiblicht, es fehlen männliche Vorbilder […].“

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[B4] „[…] wir haben eigentlich nicht identifizieren können, wo Aufgaben sind, die die Stadt selbst in die Hand nehmen kann, um hier grundlegende Verbesserungen herbeizuführen, sondern da landen wir immer wieder bei den grundsätzlichen gesellschaftlichen Themen […].“

Unterschiedliche familiäre Strukturen, wie beispielsweise alleinerziehende Mütter, verstärken diese Diskrepanz. Im weiblich dominierten Umfeld von Familie, Kita und Grundschule werden die Bedürfnisse von Jungen nicht adäquat berücksichtigt, da Frauen bzw. weibliche Lehrpersonen fehlende Systemanpassungen oder auch Verhaltensweisen von Jungen möglicherweise nicht nachvollziehen können:

[B3] „Ich finde, Männer sind ganz, ganz wichtig für Jungs, weil die einfach anders ticken und weil die ein anderes Verständnis auch für Jungs haben […].“

Der Zugang zu non-formalen und informellen Bildungsangeboten ist nicht für alle Kinder gewährleistet. Um von gerechten Teilhabechancen für alle Kinder, Jugendlichen und ihre Familien sprechen zu können, braucht es Angebote der informellen, formalen und non-formalen Bildung, die für jeden zugänglich sind.

[B3] „Die brauchen Kitas vor Ort oder Schulen vor Ort und die brauchen auch Freizeitmöglichkeiten vor Ort. Das ist ganz wichtig. Und die brauchen auch Entlastung in Situationen, mein Kind ist krank oder [in] Ferienzeiten.“

Nach Einschätzung der Expertinnen und Experten sind die informellen und non-formalen Bildungsangebote für Kinder, Jugendliche und deren Familien in der Region zu gering oder nicht passgenau.

[B5] „Was auch, finde ich, einfach das Stadtbild [in Trier] extrem prägt, ist, dass die Innenstadt wenig Raum für Kinder gibt. Es gibt einfach wenig Parks, wenig Spielplätze

und die, die es gibt, sind nicht schön. […] Also es ist sogar so, dass man eher immer den Eindruck hat, Kinder stören fast im Stadtbild […].“

Aus Sicht der befragten Jugendlichen gibt es eine ungleiche Verteilung der Angebote für Mädchen und Jungen.

[B1 J] „Also ich finde jetzt, für Jungs gibt es eher Sachen als für Mädchen, wenn man mal so vergleicht. Es gibt fast in jedem Ort einen Fußballverein oder so, […] zum Beispiel einen Verein, wo nur Mädchen Fußball spielen, gibt es hier, glaube ich, gar nicht. Was ich nicht so sonderlich gut finde.“

Zugleich scheint es für Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien viele Zugangsbarrieren für die bestehenden Bildungsangebote in der Region zu geben. Infolgedessen kommen Kinder aus benachteiligten Familien nicht selbstverständlich mit non-formalen Bildungsangeboten in Berührung.

[B3] „Also es gibt so eine Schicht an Kindern, da ist das normal, dass Kinder an solchen Veranstaltungen teilnehmen oder in solchen Vereinen sind, und es gibt eine große Schicht Kinder, da wird sich überhaupt kein Kopf gemacht oder das ist einfach auch zu teuer, dass Kinder daran teilnehmen können.“

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Trotz einer bereits bestehenden differenzierten Preisgestaltung bei kulturellen Veranstaltungen haben benachteiligte Familien Hemmungen, zum Beispiel kulturelle Angebote zu nutzen. Eine Zugangsbarriere ist hier bereits die erwartete Kleidung im Theater.

[B1] „Also wenn man sich anguckt, was heute bei uns Standard ist und selbstverständlich ist, das ist für benachteiligte Familien noch eine riesen Hürde und ein riesen Tabu. Also selbst wenn es verbilligte Theaterkarten gibt, ist die Schwelle, das Theater zu übertreten mit dem, was man dann an Kleidung hat und so was, einfach auch noch riesig.“

Auch die Kostenfrage bleibt ein entscheidender Faktor bei der Beantwortung der Frage, warum die Chancen auf Teilhabe häufig ungerecht verteilt sind. Zum einen geht es um die Diskussion, wer die Schaffung neuer und Erhaltung vorhandener Bildungsangebote finanziert, und zum anderen, wie sich alle Kinder, Jugendlichen und deren Familien kostenpflichtige Angebote leisten können.

[B5] „Aber jenseits eben der formalen Bildung weist Trier wenig an Angeboten auf, also die Stadt. […] Einrichtungen werden geschlossen, es entstehen aber keine neuen, sondern die sind dann einfach geschlossen. Man sagt dann zwar immer, naja, die Ganztagsschule wird es schon retten, aber das ist trotzdem ein Einschränken von Angeboten an der Stelle […]. Auch jenseits der kirchlichen Angebote ist es so, dass die Jugendeinrichtungen eben massiv mit ihrem Überleben zu kämpfen haben […].“

[B1] „Das sind ja alle Aktivitäten in Sportvereinen oder auch sonstige Freizeitaktivitäten, die sofort immer die Hürde der Kosten haben.“

Die Unterstützung benachteiligter Familien durch das Bildungspaket, eine zu beantragende Zuzahlung für die Vereins- oder Teilnahmegebühren für jedes Kind, erhöhen die Teilhabechancen aus Sicht der Experten nicht signifikant.

[B3] „Diese Zusatzgelder. Ganz ernsthaft, also jetzt sage ich, so eine Familie stellt […] einen Antrag und dann […] a) müssen sie den Antrag stellen und b) müssen sie eh noch Geld dazu zahlen. […] Die Kinder nehmen nicht teil, weil das einfach nicht so funktioniert.“

Die Erreichbarkeit der Bildungsangebote im ländlichen Raum ist problematisch. Eine der größten Herausforderungen, um von gerechter Teilhabe für alle Familien sprechen zu können, ist die Abschaffung von Zugangsbarrieren in ländlichen Regionen. Im Gegensatz zu den Städten fehlt es in den ländlichen Regionen an gut erreichbaren Angeboten für Familien. Es müssen häufig weite Wege in Kauf genommen werden, um beispielsweise einer Freizeitaktivität nachzugehen.

[B6] „In den kleinen Orten ist es fast nicht möglich, in den Vereinen grundsätzlich was für Kinder anzubieten, weil es oft nur zwei, drei Kinder in einem Dorf sind. Die schließen sich zwar schon zu Spielgemeinschaften zusammen […], aber das sind dann teilweise auch schon sieben, acht, neun Dörfer und die Tendenz ist steigend, dass man bald so eine ganze Verbandsgemeinde braucht, um noch eine Kinderfußballmannschaft zum Beispiel zustande zu kriegen.“

[B9] „Es gibt infrastrukturell hier enormen Aufholbedarf und ich glaube, dass das für viele Jugendliche tatsächlich ein Problem ist. Selbst wenn es diese Angebote geben würde in breiter Zahl, also auch da, denke ich, ist Ausbaubedarf da, dass die die

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teilweise nicht erreichen können. Teils finanziell und teils aber wirklich auch, wenn sie hinkommen, kommen sie abends nicht mehr zurück.“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Jungen durch männliche Vorbilder stärken. Für die Verbesserung der Chancengerechtigkeit von Jungen sind männliche Vorbilder in der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung sowie in der Primarstufe essentiell. Dafür muss nach Einschätzung der Befragten grundsätzlich das Berufsbild der pädagogischen Fachkräfte aufgewertet und die Entlohnung attraktiver werden.

In den Einrichtungen sollte eine Bedarfsanalyse durchgeführt werden, um die Bedürfnisse der Jungen zu analysieren und im Anschluss spezifische Anlässe zu organisieren. Dabei sollte

[B5] „[ein] sensibler Blick für ihre Kompetenzen, ihre Interessen, ihre Wünsche, ihre Nöte und auch eine Kultur in Einrichtungen, die stärker auf Vielfalt und nicht auf Homogenisierung setzt, [geschaffen werden].“

Die Schule sollte als Ort der Vielfalt definiert werden, Geschlechterstereotypen sollten möglichst vermieden werden. Die Unterstützungsangebote müssen in Abhängigkeit von der Persönlichkeit angeboten sowie unterschiedliche und individualisierte Formen des Lernens transparent gemacht werden. Als Beispiel guter Praxis ist „Junge Junge“, das gemeinsame Programm der Nikolaus Koch Stiftung und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung hier zu nennen.

Ein spielerisches Vorgehen und Aktivitäten, bei denen sich die Kinder austoben können, sollten dazu dienen, ein Frustrationspotential zu vermeiden. Lehrpersonen sollten dahingehend ausgebildet werden. Zukunftsträchtige und vertretbare Projekte mit angemessenem Aufwand sollten von öffentlichen Trägern übernommen werden. Wichtig dabei ist es,

[B4] „[…] Ansätze zu entwickeln, die in der Praxis erprobt worden sind und die auch hier wieder einem Wissenstransfer zur Verfügung gestellt werden könnten […]. Und es braucht gleichzeitig […] Qualifizierungsangebote, Vernetzungen, Peer-Learning-Angebote – Anlässe zur Qualifikation von Fachkräften, die […] sich dann mit ihrer eigenen Haltung auseinandersetzen.“

Diese Programme müssen bezüglich ihrer Nachhaltigkeit untersucht werden und stets beide Geschlechter sowie deren kulturellen Hintergrund fokussieren. Es ist wichtig, kulturelle Faktoren zu erkennen, um nicht alle Eigenschaften auf Geschlechterstereotype zu projizieren.

Projekte jenseits der Mittelschichtenorientierung fördern. Bei der Gestaltung neuer Bildungsangebote bzw. der Anpassung der vorhandenen, ist eine Haltungsänderung genauso erforderlich wie kreative Lösungsideen bspw. über Beteiligung der Akteure.

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[B1] „[Das Initiieren] neuer Formen von kulturellen Projekten, die nicht diesem – ich sage das immer so gerne – Bildungsbürgertumsanspruch genügen, zum Beispiel ein Zirkusprojekt und solche Sachen, wie auch die Möglichkeit mit zu organisieren [ermöglichen es], damit auch kulturelle Erfahrungen zu machen.“

[B5] „Man kann Bildung auch viel breiter fassen und durchaus auch Angebote, die in den Stadtteilen vorhanden sind, als Bildungsangebote identifizieren, auch wenn der Mittelschichtbürger sagen würde, komisch, was hat das denn mit Bildung zu tun, wenn jemand zum Beispiel weiß, wo er sein Brot herbekommt, wie er zum Bäcker geht, wie er einkauft, wie er vielleicht sein Zimmer neu gestaltet, die Wände tapeziert oder […] die kleine Parkanlage irgendwie ein bisschen mit pflegt oder eine Wand mit Graffiti besprayt.“

Stiftungen können als Schnittstelle zwischen Entscheidungsträgern und Familien Verständnis und Engagement fördern und Haltungsarbeit vorantreiben.

[B5] „Man kann […] Kulturarbeit, Haltungsarbeit […] fördern. Also man kann quasi initiieren, dass es jemanden gibt, der die verschiedenen Akteure zueinander bringt und eben die Offenheit auf beiden Seiten versucht entstehen zu lassen, moderiert und begleitet.“

Bei der Gestaltung passgenauer Angebote müssen auch Faktoren wie geschlechtsspezifische Unterschiede und Öffnungszeiten berücksichtigt werden.

[B5 J] „Ich sehe hier auch viele Leute, zum Beispiel ich sehe den Lukas, meine Freunde, die sagen auch die ganze Zeit zu mir: Was sollen wir denn machen? Mythos [der Jugendclub im Ort] hat erst um fünf Uhr auf. […] Es geht einfach nur um mehr Freizeitbeschäftigung. Zum Beispiel am Wochenende oder so, da ist zu.“

Bildungspartner vor Ort vernetzen. Die Vernetzung aller Akteure, die im Bereich der Bildung, Betreuung und Erziehung involviert sind, von der Verwaltung bis hin zu den Eltern, ist notwendig, damit ein funktionierendes System entstehen kann, das für alle dieselben Teilhabechancen sichert, und Ressourcen effektiv genutzt werden.

[B2] „Sie müssen vernetzen mit den Hauptamtlichen, Sie müssen mit den Ehrenamtlichen, Sie müssen mit den Vereinen, Sie müssen mit den Schulen, Sie müssen eigentlich mit jedem. Also es ist ein riesen Spinnennetz, damit das funktioniert.“

[B3] „Ich könnte mir vorstellen, dass Eltern aktiv werden, dass aber auch beispielsweise Pfarrgemeinde oder Vereine, Menschen in Ehrenamt das machen würden.“

Eine koordinierende Stelle könnte diesen Prozess erleichtern und Synergieeffekte nutzbar machen.

Finanzielle Unterstützung bieten. Neben der Schaffung passgenauer Angebote sollten die Preise günstig gehalten werden, ohne dass das Angebot entwertet wird.

[B5] „[…] indem man die Angebote möglichst kostengünstig macht. Kostenfrei würde ich noch nicht mal sagen, weil wir […] ja auch durch verschiedene Studien [wissen], dass […] etwas, das nichts kostet, […] dann auch schnell als Geringschätzung wahrgenommen wird.“

Die Förderung einzelner kleinerer Projekte kann die Teilhabechancen erhöhen.

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[B5] „Man kann Einzelangebote finanzieren, so was wie eine Reduktion von Eintrittsgeldern […]. Man kann so was machen wie eine Spielplatzgestaltung unterstützen, man kann verschiedene Bildungsangebote finanzieren oder umsetzen [….].

Patenschaften für Kinder benachteiligter Familien könnten die Beteiligung steigern. Dabei ginge es um die Unterstützung sowohl bei organisatorischen als auch bei finanziellen Fragen.

[B3] „Das könnte ich mir vorstellen, dass man vielleicht Patenschaften übernimmt zu sagen: Okay, ich bin dein Pate und ich finanziere den Musikverein oder ich finanziere dir ein Musikinstrument oder ich bringe dich immer zum Sport, zum Fußball und ich bezahle auch den Beitrag.“

Die Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher müssen als Wissensträger und Praktiker vor Ort in den Prozess der Optimierung der Bildungsangebote zur Erhöhung der Teilhabegerechtigkeit mitgedacht werden.

[B12] „Da haben wir zum Teil dann auch Dank Stiftungsaktivität mal an wenigen Schulen mit einem Intensivkurs der Musikschule die Chorbildung der Lehrkräfte gefördert […].“

Kulturelle Angebote erreichbar machen. Für die Familien außerhalb der Großstädte muss der Zugang zu kulturellen Angeboten sichergestellt werden. Um dies zu gewährleisten, sollten Bildungsangebote auch dezentral, d. h. nicht nur in den größeren Städten, angeboten werden.

[B3] „Ich glaube, dass Veranstaltungen auch vor Ort stattfinden müssen, also nicht nur in den Großzentren, aber auch dass zumindest mal ab und zu Angebote geschaffen werden, wo […] ein Bus rundfährt und sagt, wir sammeln alle ein und alle können teilnehmen.“

[B1] „Oder auch in die Stadtzentren, in die Bürgerhäuser und was es da an Orten gibt, die auch bekannt sind. [Orte,] von denen man weiß, was einen da erwartet.“

Aus Sicht der Befragten müssen die Angebote wieder mehr zu den Menschen kommen. Durch das Angebot passgenauer Veranstaltungen vor Ort erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass daran teilgenommen wird.

[B5] „Und wenn man möchte, dass eben die Familien auch Angebote annehmen jenseits dieser unsichtbaren Grenzen, die so die Stadtteile von der Innenstadt trennen, dann braucht es so eine Art von Abholkultur. Also dieses Hingehen, Mitnehmen. Weil darauf warten, dass sie kommen, da kann man lange warten, das wird nicht passieren.“

Für den Fall, dass es nicht realisierbar ist, Bildungsangebote vor Ort anzubieten, sollte die Erreichbarkeit anderer Orte sichergestellt werden, das heißt der ÖPNV ausgebaut oder durch Kooperationen Wege verkürzt werden.

[B7] „Also wird man sich aus meiner Sicht darauf konzentrieren müssen, eine Infrastruktur zu schaffen, die den Transport organisiert, die Leute dahin bringt, in diesem Fall dann primär Kinder und Jugendliche dahin bringt, wo die entsprechenden Angebote gemacht werden können.“

[B6 E] „Man kann sich auch auf halbem Weg treffen, dass man eine Kooperation mit einer Schule oder mit mehreren Schulen trifft, wo man sagt, okay, wir treffen uns zwischen Trier und

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Prüm irgendwo in der Mitte, dann haben beide den halben Weg, in der und der Schule. Das wären schon mal so erste Schritte, die man, was das betrifft, in die Richtung gehen könnte.“

[B5] „[…] es braucht einfach eine Form von Brücken, die quasi beide Wege miteinander verbinden. Also eine Gehstruktur von Angeboten in die Ortsgemeinden, aber auch eine Kommkultur seitens der Ortsgemeinden in die Gemeinde, die eben die Angebote vorhält. Also beides. Ich glaube, nur auf eins oder nur auf das andere zu setzen, ist zu verkürzt.“

Auch digitale Bildungsangebote können helfen räumliche Distanzen zu überwinden.

[B5] „Was man aber überlegen könnte, […] ist, ob nicht auch Digitalisierung da ein Stück weit helfen kann, also so was wie Onlineberatung zum Beispiel, also Zugang zu Beratungsstellen über digitale Formen […].“

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These Die Region ist mit einem hohen BIP, einer geringen Arbeitslosenquote sowie einem

geringen Anteil an SGB-II-Empfängern wirtschaftlich gut aufgestellt. Die räumliche Nähe zu Luxemburg wirkt positiv auf die Region. Sehr gute Kenntnisse der Nachbarsprache können den Standortvorteil weiter erhöhen.

Identifizierte Handlungsfelder Den Zugang zum Erwerb nachbarsprachlicher Kompetenzen in Kitas und

Grundschulen weiter ausbauen; das durchgängige Sprachenlernen des Französischen als erste Fremdsprache an den Übergängen v. a. zu den weiterführenden Schulen und den beruflichen Schulen fördern; deutsch-französische Kooperationen von Kindergärten und Schulen weiter voranbringen, um das interkulturelle Lernen und das Sprachpotential der Kinder und Jugendlichen zu fördern.

4.4 Nachbarsprachenkompetenz

Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht

So sieht es vor Ort aus …

Die Relevanz nachbarsprachlicher Kompetenzen in der Region ist abhängig von der Nähe zu Luxemburg und Frankreich. Die Relevanz des Erwerbs französischer Sprachkompetenzen in der Region Trier wird maßgeblich von der Nähe zur luxemburgischen und zur französischen Grenze bestimmt. In grenznahen Gebieten, wie dem Eifelkreis Bitburg-Prüm und dem Landkreis Trier-Saarburg und der Stadt Trier, werden nachbarsprachlichen Kompetenzen ein deutlich höherer Stellenwert zugesprochen als in der Vulkaneifel oder dem Landkreis Bernkastel-Wittlich.

[m Sch] „Also bei uns in Irrel sind wir vier Kilometer von der Grenze entfernt. Da ist gerade Französisch ein ganz wichtiges Thema. Denn für den Arbeitsmarkt in der Gegend ist es wichtig, dass die Kinder Französisch sprechen und in Luxemburg dann arbeiten gehen können, wo man bekanntermaßen das Doppelte für‘s gleiche Arbeiten verdienen kann.“

[B1 Sch] „Mit 44 Kilometern Abstand verliert das exponentiell an Bedeutung.“

Der Erwerb französischer Sprachkompetenzen wird durch verbesserte Perspektiven auf dem luxemburgischen Arbeitsmarkt motiviert. In grenzferneren Regionen spielt das Erlernen der französischen Sprache dann eine Rolle, wenn höhere Bildungsabschlüsse angestrebt werden.

[B3 J] „[…] viele gehen nach Luxemburg, weil es dort bessere Arbeitschancen und besseres Gehalt gibt. Deswegen wäre es gut, wenn man Französisch sprechen könnte. Oder manche fahren ja sogar nach Frankreich arbeiten.“

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[B1 Sch] „[…] wer bei uns Französisch als Wahlpflichtfach wählt, hat höhere Bildungsziele.“

[B3 J] „[…] ich habe mir gedacht, falls ich mal das Abitur mache, brauche ich wahrscheinlich Französisch, und da habe mir gedacht, bevor ich mir ein Wahlpflichtfach hole wie Kochen oder Computer, hole ich mir lieber Französisch.“

Es fehlt an Kontinuität an den Übergängen. In den grenznahen Landkreisen und in der Stadt Trier werden in den Kindertageseinrichtungen vereinzelt französische Sprachangebote unterbreitet. Größte Hürde für das Angebot in den Kindertageseinrichtungen ist die Einstellung pädagogischer Fachkräfte mit muttersprachlichen Kompetenzen.

[B2] „Also wir [haben] den Beschluss des Jugendhilfeausschuss seit 2004, flächendeckend Französisch in den Kindertagesstätten anzubieten. Das ist theoretisch. Wir haben tatsächlich aber maximal zwei Drittel, die geeignetes Personal finden. Das hängt mit der Bezahlung zusammen. Wir wollen, dass es auf jeden Fall Muttersprachler sind oder zumindest aus dem frankophonen Bereich kommen.“

Voraussetzung für eine Förderung der französischen Sprache in der Kindertageseinrichtung ist es, mit dem Lernen der Sprache auch in der Grundschule fortzufahren. Dies entspricht jedoch nicht überall der Realität.

[B2] „Das größere Problem ist aber das Aufbauende, dass die Grundschulen [das] nicht

adäquat fortführen […].“

[B3] „[…] wir haben noch nie eine Französischsprachkraft gehabt. Es ist auch nicht so, dass das hier in der Schule weiter gelehrt wird […].“

Auch am Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule ist nach Einschätzung der Befragten der kontinuierliche Prozess des Sprachenlernens nicht gewährleistet oder die Motivation, Französisch in der weiterführenden Schule fortzuführen, lässt bei den Schülerinnen und Schülern nach.

[B2] „[Sprachkompetenzen auf mittlerer Ebene] müssten im schulischen Bereich kontinuierlich nachhaltig weitergeführt werden. […] Das ist nicht der Fall.“

[B11]: „[…] de facto ist es auch hier so, dass das Thema Französisch zunächst mal eine Aufmerksamkeit gewinnt und man sich dafür interessiert. Aber spätestens dann in der 5., 6., 7. Klasse [geht] das wieder drastisch nach unten […] und Englisch [steht] im Vordergrund […].“

Französische Sprachkenntnisse sind auch für den mittleren Bildungsweg relevant. Die Bedeutung französischer Sprachkenntnisse wird von den Befragten vor allem im Hinblick auf den luxemburgischen Arbeitsmarkt als hoch eingeschätzt. Während ein Teil der Befragten den luxemburgischen Arbeitsmarkt und damit verbundene Sprachkenntnisse auch für Absolventen des mittleren Bildungsweges für bedeutsam erachtet, wird dies von anderen als überbewertet und zum Teil auch nicht umsetzbar wahrgenommen.

[B7] „[…] die Voraussetzung Französisch in Luxemburg gilt heute nicht mehr nur für Akademiker.“

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[B10] „Was halt definitiv oft stattfindet, ist, dass Jugendliche sich entweder für eine Ausbildung in Luxemburg interessieren, aber vor allem für eine Arbeitsaufnahme nach einer Ausbildung und da sind dann immer Sprachkenntnisse auch ein Thema. […] wenn Interesse für Luxemburg besteht, ist eher das Problemfeld, dass das Französisch nicht ausreichend vorhanden ist.“

[B8] „Französisch-Kenntnisse sind nicht unser Hauptproblem […]. Wir haben viele […], die in Luxemburg arbeiten […], die kommen auch gut ohne Französisch aus in Luxemburg.“

[B9] „Ich halte das auch für sehr übertrieben, das wird teilweise auch tatsächlich hier

gefordert. Ich glaube, dass diese Ansprüche […] für viele einfach nicht erfüllbar sind und auch

nicht werden, auch nicht mit entsprechender Förderung.“

Wird eine Ausbildung oder eine Arbeitsaufnahme im Nachbarland angestrebt, so scheitert dies oftmals an den fehlenden Französischkenntnissen. Insgesamt beherrschen nach Einschätzung der Befragten zu wenige Jugendliche in der Region Französisch. Dadurch verringern sich deren Chancen auf dem luxemburgischen Arbeitsmarkt.

[B11] „[…] de facto ist es so, dass viel zu wenige Jugendliche wirklich Französisch sprechen können und damit die Chance haben, in der Region zu arbeiten. […] die Region […] wächst nicht zusammen […].“

Das braucht es aus Sicht der Akteure …

Ein kontinuierliches Sprachangebot in den grenznahen Landkreisen der Region Trier schaffen. Nach Auffassung der Expertinnen und Experten ist es Aufgabe von Stiftungen, die Politik für die hohe Relevanz der französischen Sprache in der Region zu sensibilisieren. So sollen Programme für eine qualitative Förderung der Nachbarsprache im schulischen Bereich weiter finanziert und durchgeführt werden können.

[B2] „Wir hatten vor vielen Jahren das große Problem, dass man politisch auch hier „Lerne die Sprache des Nachbarn“ [ein Programm des Landes Rheinland-Pfalz] einsparen wollte. Und wir konnten es mit dem Kita-Bereich aufzeigen, wie wichtig es ist.“

Nach mehrheitlicher Einschätzung der Befragten ist es sinnvoll, bereits in der Kindertageseinrichtung mit dem Fremdsprachenlernen zu beginnen. Vor allem bei den Eltern muss hierfür frühzeitig ein Bewusstsein geschaffen werden, dass das Lernen der Nachbarsprache eine hohe Relevanz sowohl für das spätere Arbeitsleben als auch für die individuelle Lebensgestaltung in der Großregion habt.

[B7] „[…] die Frage, ob ich in zehn Jahren möglicherweise damit am Arbeitsmarkt einen Vorteil habe, ist für einen Zehnjährigen nicht so wahnsinnig interessant. Ich halte das für einen zentralen Punkt, dass da noch viel mehr Bewusstseinsarbeit passieren muss.“

Damit sich der frühzeitige Beginn mit einer Fremdsprache später auszahlt, braucht es ein kontinuierliches Angebot der französischen Sprache. Dieses muss so gestaltet sein, dass es auf den Kenntnissen aus den Kindertageseinrichtungen aufbaut und sich in der schulischen Bildung kontinuierlich fortführt.

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[B7] „Das müsste also vom Angebot her so konstant wie möglich sein, weil ich mir denke: Wer in der Kita schon damit zu tun hatte, Spaß dran hat und die Angst davor verliert, dem fällt es auch wesentlich leichter, in der Schule damit weiterzumachen.“

[B11] „Nachbarschaftssprachenkompetenz […] ist natürlich auch noch eine ganz wichtige Sache. Ich würde sagen, an der Stelle könnte [man] vielleicht [zivilgesellschaftlich] nochmal einen Akzent setzen.“

Beim Übergang auf die weiterführende Schule tendieren die Schülerinnen und Schüler oft dazu, Englisch als erste Fremdsprache fortzusetzen. Das Potential französischer Sprachkenntnisse in der Region wird dabei nicht erkannt.

[B2] „[…] was uns eigentlich bewegt, dass insbesondere die Kinder, die nicht zum Gymnasium wechseln, die ins Handwerk wechseln und in Luxemburg tätig sind, die bräuchten dringend auch diese Nachhaltigkeit.“

Um die Schülerinnen und Schüler dazu zu motivieren, die französische Sprache weiter zu lernen, sollte nach Einschätzung der Jugendlichen und der Eltern der Unterricht attraktiver gestaltet werden:

[B3 J] „[…] hauptsächlich wird bei uns Grammatik durchgenommen. Das finde ich ziemlich schade. Das wäre mal spannender, wenn man zum Beispiel einen französischen Film oder so gucken oder lesen würde. […] Wie man das zum Beispiel in Englisch macht, da guckt man ja auch Filme oder liest Bücher.“

[B3 E] „Aber dieser Leistungsdruck, der in der Schule herrscht, der führt dazu, dass absolute Blockaden da sind, dieser Druck. Wenn die mit den Sprachen anders arbeiten würden, damit viel lockerer arbeiten würden, spielerisch, wäre das für viele Kinder überhaupt kein Problem.“

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4.5 Das empfehlen wir … Neue Ideen und Konzepte entwickeln

Die Bildungseinrichtungen in der Region begleiten, die regional spezifischen

Bildungs- und Betreuungsbedarfe der Familien zu ermitteln, und Maßnahmen für passgenaue Angebote in den Bildungseinrichtungen entwickeln

Bildungsberatung auch mit Blick auf den Fremdsprachenerwerb in Grenzregionen

fördern

Transfer guter Praxis und Qualifizierung Geschlechterstereotype durch Qualifizierungen der Lehrkräfte abbauen

Die Etablierung kontinuierlicher Sprachangebote des Französischen in den grenznahen Landkreisen der Region Trier unterstützen

Kooperation verbessern, Akteure und Ressourcen zusammenbringen

Bildungspartner vor Ort vernetzen Mit Verwaltung, Trägern der freien Jugendhilfe und Jugendlichen Freizeitorte in der

Stadt Trier für junge Menschen identifizieren und gestalten

Diskussionen anregen/Agenda Setting

Die öffentliche Hand dabei unterstützen, Schulen zu Orten der Vielfalt zu entwickeln Sprachrohr für die Attraktivitätssteigerung des Berufsbildes der Erzieherinnen und

Erzieher in der Region sein

Die öffentliche Verwaltung in der Stadt Trier unterstützen, ein familienpolitisches Profil zu erarbeiten

Den Aufbau von Ferienbetreuungsangeboten in den Schulen gemeinsam mit den

schulischen Akteuren und der Schulaufsicht verhandeln und unterstützen Auch in Schulen die Identifikation mit der (Groß-)Region vorantreiben

Aktivitäten unterstützen Projekte jenseits der Mittelschichtenorientierung fördern Teilhabe an kulturellen Angeboten im ländlichen Raum fördern Den Zugang aller Kinder zu non-formalen und informellen Bildungsprojekten fördern Teilhabegerechtigkeit in der Ferienbetreuung durch finanzielle Unterstützung sozial

benachteiligter Familien erhöhen Non-formale Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche in Vereinen und Initiativen

der freien Jugendhilfe der Region unterstützen Projekte unterstützen, die die Attraktivität für das Erlernen der Nachbarsprache bei

Jugendlichen am Übergang zu den weiterführenden Schulen erhöhen

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Resümee

Der vorliegende Bericht spiegelt in großem Facettenreichtum die aktuelle Lage und Handlungsbedarfe im Bildungsbereich in der Region Trier wider. Er beruht auf einer Analyse bestehender Dokumente, der Befragung von Schlüsselpersonen, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften.

Wir möchten abschließend die Themen benennen, die auf der Basis der Analyse dieser Daten ein besonderes Augenmerk erfordern:

Inklusion: Inklusion ist das große Thema, das derzeit die Akteure in den Kindertageseinrichtungen und Schulen am meisten bewegt. Der Begriff ist gewaltig und den Akteuren fehlen Bilder, wie sie Inklusion umsetzen können. Unterstützungsbedarfe zeigen sich auf vielen Ebenen, angefangen von der Schaffung eines einheitlichen Begriffsverständnisses bis hin zu konkreten Umsetzungsschritten.

Familienbildung, Erziehungs- und Bildungspartnerschaft: Die Verankerung der Familienbildung in den Kitas und Schulen gewinnt insbesondere im ländlichen Raum an Bedeutung. Kooperationsmöglichkeiten zwischen Jugendhilfe, Kitas und Schulen müssen ausgebaut und die Akteure im Handlungsfeld in Dialog gebracht werden. Kita und Schule können auf diesem Wege flexibler Hilfestellung gewähren sowie Eltern durch konkrete Angebote der Eltern- und Familienbildung besser erreichen.

Berufsorientierung: Die Vielzahl der Berufe ist den Jugendlichen nicht umfänglich bekannt. Dies betrifft nicht nur die Schulen des mittleren Bildungsweges, sondern auch die Gymnasien. Berufsorientierung findet an letzteren nicht statt. Um die Bandbreite der Ausbildungsberufe einerseits und das Potential der in Deutschland besonderen dualen Bildung andererseits herauszustellen, sollte der Berufsorientierung an Gymnasien und auch an Hochschulen eine stärkere Rolle zukommen. Dies trägt der Situation Rechnung, dass Gymnasiasten auch nach der 10. Klasse die Gymnasien verlassen bzw. Studienabbrecher in die Situation geraten, auch zu einem späteren Zeitpunkt einen passenden Ausbildungsberuf wählen zu müssen.

Individuelle Förderung und Öffnung der Bildungseinrichtungen für multiprofessionelle Teams: Eine wesentliche Voraussetzung für Bildungserfolg in einer umfassenden Dimension ist im positiven Sinne ein „Selbst-Bewusstsein“ der Kinder und Jugendlichen – also eine Kenntnis und Reflexion der eigenen Stärken und Schwächen, ein Bewusstsein über die eigenen Interessen und die eigene Motivation. Diese Kompetenzen begünstigen nicht nur das Erreichen eines guten Schulabschlusses, sondern sind auch die Voraussetzung für einen erfolgreichen Übergang in berufliche oder akademische Ausbildung und schließlich ins Erwachsenenleben. Schulen können dies unterstützen durch die Einbindung außerschulischer Professionen, durch die Öffnung zur Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung individueller Lehr- und Lernsettings. Dieses umzusetzen,

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stellt viele Schulen vor große Herausforderungen, weil damit ein grundlegender Perspektivwechsel verbunden ist. Die Schulstrukturreform trägt zu dieser Schwierigkeit noch erheblich bei.

Bildungsberatung und Profilierung der Realschule Plus: Der Ruf der Realschule Plus ist sowohl in der öffentlichen Darstellung als auch bei den Eltern schlecht. Der konstituierende Prozess der Zusammenlegung der Schulformen zur Realschule Plus wird als mangelhaft beschrieben, Eltern nehmen diese Schulform als die „neue Hauptschule“ wahr. Dies verstärkt den Trend zu den Gymnasien. Nach den Reformen brauchen die Schulen Zeit und professionelle Begleitung zur Profilierung, Teambildung und Qualifizierung in der neuen Schulstruktur. Das Bewusstsein für die einzelnen Schulformen und für deren Potentiale muss sowohl bei den Lehrkräften als auch bei den Eltern gestärkt werden. Hierfür müssen Angebote der Bildungsberatung, die bereits in den Grundschulen ansetzen und bis zum Berufsabschluss greifen, etabliert werden.

Übergang Kita – Grundschule: Der Übergang von der Kita zur Grundschule ist nach wie vor ein relevantes Thema, welches vor allem nach Einschätzung der Eltern weiteren Entwicklungsbedarf zeigt. Als Ursache für Komplikationen am Übergang werden die zum Teil nach wie vor vorherrschenden großen Unterschiede im Bildungsverständnis zwischen Kita und Grundschule gesehen. Kommen die Schülerinnen und Schüler mit der Unterschiedlichkeit der Systeme nicht zurecht, kommt es zu Überforderungen; die Lernmotivation und die Freude am Lernen gehen verloren. Abgestimmte Verfahren und Transparenz für alle Beteiligten sind relevante Handlungsfelder.

Zentrale Handlungsempfehlungen

Folgende zentrale Handlungsempfehlungen im Kontext der oben genannten Schwerpunkte möchten wir aussprechen:

Neue Ideen und Konzepte entwickeln Die Bildungseinrichtungen in der Region begleiten, die regional spezifischen

Bildungs- und Betreuungsbedarfe der Familien zu ermitteln, und Maßnahmen für

passgenaue Angebote in den Bildungseinrichtungen entwickeln

Mit einer unabhängigen Bildungsberatung Transparenz über das Bildungssystem schaffen; bereits in den Grundschulen ansetzen

Durch Good Practice ein glaubhaftes Bild von Inklusion vermitteln und dieses

transferfähig machen

Transfer guter Praxis und Qualifizierung Maßnahmen zur Persönlichkeitsbildung an den Schulen fördern und reflektierte

Stärken- und Interessensanalysen bereits in der Orientierungsstufe unterstützen

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Kooperation verbessern, Akteure und Ressourcen zusammenbringen

Lokale Bündnisse, in denen gemeinsame Qualitätsziele der Kindertageseinrichtungen und Grundschulen erarbeitet werden, auf den Weg bringen

Verantwortungsgemeinschaften zum Thema „Inklusion“ stiften und damit Kompetenzen und Ressourcen bündeln

Den Aufbau von Ferienbetreuungsangeboten in den Schulen gemeinsam mit den

schulischen Akteuren und der Schulaufsicht verhandeln und unterstützen Schulen des mittleren Bildungsweges dabei unterstützen, sich für außerschulische

Kräfte zu öffnen Ganzheitliche Kooperationen von Grund- und weiterführenden Schulen vorantreiben

Diskussionen anregen/Agenda Setting

Jugendhilfe, Kommunen und Kitas in einen gemeinsamen Dialog bringen, um Hilfen für Familien und Familienbildung dezentral in den Kindertageseinrichtungen zu verankern

Vertreter der Schulen und der Jugendhilfe in einen Dialog bringen, um Angebote

besser zu verzahnen Gespräche zur Flexibilisierung des Ressourceneinsatzes an den Schulen mit der

Schulverwaltung moderieren

Den Dialog zwischen Schule und Wirtschaft stärken, um zielgerichteter die Ausbildungsreife der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen

Einen Dialog mit der Schulverwaltung, den Gymnasien und den Kammern führen, um

Berufsorientierung auch an den Gymnasien zu verankern

Aktivitäten unterstützen Qualitativ gute Schulen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit unterstützen

Den Zugang aller Kinder zu non-formalen und informellen Bildungsprojekten fördern

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Kontakt Geschäftsstelle Berlin Deutsche Kinder- und Jugendstiftung gemeinnützige GmbH (DKJS) Ansprechpartnerin: Dr. Stefanie Hildebrandt Tempelhofer Ufer 11 10963 Berlin Tel.: 030 - 25 76 76 – 0 Fax: 030 - 25 76 76 – 10 E-Mail: [email protected] Regionalstelle Rheinland-Pfalz Deutsche Kinder- und Jugendstiftung gemeinnützige GmbH (DKJS) Ansprechpartnerin: Bianca Monzel Paulinstraße 61 54292 Trier Tel.: 0651 - 14 53 36 8 – 0 Fax: 0651 - 14 53 36 8 – 21 E-Mail: [email protected] www.dkjs.de