(1706 – 1785) Magnificat

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Berner Münster Dienstag, 24. Juni 2008, 19.30 Uhr Mittwoch, 25. Juni 2008, 19.30 Uhr Baldassare Galuppi (1706 – 1785) Magnificat Antonio Vivaldi (1678 – 1741) Magnificat & Gloria Dorothee Mields, Sopran Margrit Hess, Mezzosopran Berner Kammerchor Berner Symphonie-Orchester JÖRG EWALD DÄHLER Leitung

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Berner Münster

Dienstag, 24. Juni 2008, 19.30 Uhr Mittwoch, 25. Juni 2008, 19.30 Uhr

Baldassare Galuppi (1706 – 1785)

Magnificat

Antonio Vivaldi (1678 – 1741)

Magnificat & Gloria

Dorothee Mields, SopranMargrit Hess, Mezzosopran

Berner Kammerchor Berner Symphonie-Orchester

JÖRG EWALD DÄHLERLeitung

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Baldassare Galuppi Magnificat

Baldassare Galuppi wurde am 18.Oktober 1706 auf der Insel Burano bei Venedig geboren, woher auchsein Beiname il Buranello stammt. Erste musikalische Unterweisungenerhielt er von seinem Vater, einemBarbier, der nebenbei in TheaternGeige spielte. Bereits im Alter von16 Jahren komponierte er seine ersteOper. Der Misserfolg spornte ihn zuintensiven musikalischen Studien an,namentlich in Komposition undCembalo. Sechs Jahre später gelangGaluppi dann der Durchbruch alsOpernkomponist. Von 1741 bis 1743wirkte er in London als compositoreserio dell’opera italiana und brachtemehrere eigene Opern heraus. 1765wurde er von der Zarin Katharina II.nach St. Petersburg berufen, wo erbis 1768 als Hofkomponist tätig war.

Obwohl der Ruhm Galuppis nament-lich auf sein Wirken als Opernkom-ponist zurückzuführen ist, widmete er sich auch anderen musikalischenGattungen mit grossem Erfolg. Ne-ben Orchesterstücken und Konzertenkomponierte er vor allem zahlreicheCembalosonaten. Zudem hatte er inseiner zweiten Lebenshälfte stetseinen oder mehrere offizielle Postenim Musikleben Venedigs inne. 1740 wurde er zum maestro del coro desOspedale dei Mendicanti ernannt.1748 wurde er zum vice maestro di

capella an der Basilica San Marco in Venedig berufen. 1762 rückte er an der Basilica zum maestro di capellaauf und wurde gleichzeitig zum maestro del coro des Ospedale degli Incurabili ernannt, was den Höhe-punkt seiner Laufbahn darstellte. Mit der Übernahme dieser angesehenen Ämter begann die letzte wichtige Phase seines musikalischen Wirkens. Bis zu seinem Tod am 3. Januar1785 entstanden vor allem Oratorien und weitere geistliche Werke.

Kaum überschaubares Werk Galuppi hat ein kaum überschauba-res Werk hinterlassen, von dem heu-te erst ein geringer Teil in prakti-schen Ausgaben zugänglich ist. Dank regelmässigen Aufträgen dervenezianischen Theater schrieb Ga-luppi gegen 100 Opern. Die Kom-position von über 30 Oratorien undMessen sowie weiterer geistlicherWerke geht auf sein vielfältiges praktisches kirchenmusikalisches Wirken zurück. Als maestro di ca-pella von San Marco und maestro di coro am Ospedale dei Mendicanti hatte Galuppi reichlich Gelegenheit, sein eigenes Schaffen zu erproben.

Von Galuppi sind vier Vertonungen des Magnificats überliefert. Nur das 1752 entstandene Magnificat in G-Dur ist ein mehrsätziges Werk in

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Als maestro di capella von San Marco und maestro di coro am Ospedale dei Mendicanti hatte Baldassare Galuppi Gelegenheit, sein kirchenmusikalisches Schaffen in der Praxis zu erproben.

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Ospedali: Höhepunkte im Musikleben Venedigs

Harmonien untermalt werden.

Im Magnificat in G-Dur sind dem Chor die äusseren Sätze vorbehalten, während in allen dazwischenliegen-den Sätzen (auch) der Solo-Sopran ausführlich zum Zug kommt. Die Chorsätze sind im alten Stil geschrieben, Kontrapunkt-Abschnit-te wechseln mit homophonen Passa-gen ab. Die Solo-Sätze wirken trotz verschiedener schwieriger Sprünge und Figuren des Soprans mehrheit-lich einfach und elegant. Davon un-terscheidet sich nur der fünfte Satz: Das Gloria ist eine expressive Arie, deren harmonische Sprache, plötzli-che dynamische Wechsel und Melo-dieführung dem Stück mehr den Charakter weltlicher Opern- denn geistlicher Musik verleihen.

Form einer Kantate, während die an-deren Vertonungen wesentlich kür-zer sind. Neben stilistischen Unter-schieden weisen die vier Vertonun-gen auch Gemeinsamkeiten auf, wiedie amerikanische Musikwissen-schaftlerin Patricia Cahalan im Cho-ral Journal aufgezeigt hat: Sie sindalle für vierstimmigen Chor, Strei-cher, Oboen und Orgel komponiert.Sie weisen gegensätzliche Passagenauf, die ganze Sätze oder nur kurzeTeile in einzelnen Sätzen umfassen.Sie veranschaulichen Galuppis An-näherung an den Grundsatz der Viel-falt und Einheit und enthalten Bei-spiele von Tonmalerei, indem etwabeim Wort dispersit das Zerstreuenmusikalisch geschildert wird oderdie „gnadenreichen“ Textabschnittedurch expressive Melodien und

In Venedig wurden schon früh Häu-ser eingerichtet, in denen – zeitweise bis zu 6000 – Waisen, Findlinge unduneheliche Kinder betreut wurden.Diese Häuser wurden Spitälern ange-gliedert und daher als Ospedalibezeichnet. Ihr Unterhalt wurde ausöffentlichen Mitteln, Stiftungen undSpenden aus der Bürgerschaft be-stritten.

Der Chorgesang spielte aus religiö-

sen und pädagogischen Gründen eine wichtige Rolle in der Ausbildung. Allmählich bildeten sich Musiksemi-nare heraus, wobei man zwischen den Minderbegabten (di comun) und jenen, die im Chor und Orchester eingesetzt werden konnten (di coro), unterschied. Vier dieser Seminare erfreuten sich eines besonderen Ru-fes: La Pietà (Zur Barmherzigkeit), Gli Incurabili (Die Unheilbaren), L’Ospidaletto (Das kleine Hospital)

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und I Mendicanti (Die Bettler), diealle von Mädchen bewohnt waren.Die Konzerte fanden am Samstagabend und am Sonntag nach derMesse statt und waren glanzvolle Höhepunkte im Musikleben derStadt. Keiner der zahlreichen Vene-dig-Besucher versäumte es, sie zuhören; die Stuhlmieten trugen we-sentlich zum Unterhalt bei.

Ein Besucher äusserte sich 1739 ineinem Brief voller Begeisterung überdiese Konzerte und die musizieren-den Mädchen: „Daher singen sie wie

Engel und spielen Violine, Flöte, Or-gel, Oboe, Violoncello, Fagott, kurz, es ist kein Instrument so gross, um ihnen Angst einzuflössen. Sie wer-den klösterlich wie Nonnen gehalten. Sie allein führen Konzerte aus, jedes Mal in einer Besetzung von etwa vierzig Mädchen. Ich schwöre Ihnen, es gibt nichts so angenehmes als eine junge und hübsche Nonne zu sehen, weiss gekleidet, mit einem Granat-sträusschen über den Ohren, wie sie das Orchester leitet und mit aller An-mut und mit einer unvorstellbaren Genauigkeit den Takt schlägt.“

Ospedale dei Mendicanti (Bild von Canaletto)

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Antonio Vivaldi Magnificat & Gloria

Antonio Vivaldi wurde am 4. März 1678 als erstes von neun Kindern inVenedig geboren. Sein Vater war ur-sprünglich als Barbier tätig, wechsel-te aber bald zum Musikerberuf über:1685 erhielt er eine Anstellung alsViolinist in der Basilica San Marco.Antonio wurde noch am Tage derGeburt notgetauft; die als Grund ge-nannte Todesgefahr findet ihre Er-klärung vielleicht in ersten Sympto-men des angeborenen Brustleidens,über das Vivaldi später in einemBrief berichtet. Die von ihm alsstrettezza di petto beschriebeneKrankheit wird heute als Bronchial-asthma diagnostiziert.

Die Informationen über die ersteLebensphase Vivaldis beziehen sichfast ausschliesslich auf den Ausbil-dungsgang zu der ihm bestimmtenPriesterlaufbahn. Diese Ausbildungbegann 1693 mit dem Empfang derTonsur und der ersten der vierniederen Weihen und endete 1703mit der Weihe zum Priester. Vivaldiabsolvierte diese Ausbildung nichtals Zögling eines Priesterseminars, sondern gewissermassen als Lehrean einer Pfarrkirche. Sein Vater warsein erster und massgeblicher musi-kalischer Lehrer. Er dürfte ihn insehr frühen Jahren an das Violinspielherangeführt und ihm später auch dieGrundlagen des Kompositionshand-

werks vermittelt haben. Der Vaterwar nicht nur die beherrschende Autorität der Kindheits- und Jugend-jahre Antonios, sondern spielte auch in dessen späterem Berufsleben als Musiker eine wichtige und vielfäl-tige Rolle als Berater und Helfer.

Priesteramt als Grundstein für die Musikerkarriere Die Frage, aus welchen Beweggrün-den sich Vivaldi zugleich auf einen geistlichen Beruf sowie auf eine Mu-sikerlaufbahn vorbereitet hat, lässt sich nicht schlüssig beantworten. Vieles deutet darauf hin, dass erbzw. sein für ihn planender Vaterdas Priesteramt eher um den damit verbundenen gesellschaftlichen Sta-tus und Titel anstrebte, seine wahren Absichten hingegen auf den Musi-kerberuf ausgerichtet waren. Im Übrigen war das kirchliche Amt füreinen Musiker eine gute Voraus-setzung für eine erfolgreiche Karrie-re, hatte es ein prete an den Ospedali und selbst an den Theatern bisweilen leichter als ein einfacher sonador.

Ein Leben lang mit dem Ospedale verbunden1703 wurde Vivaldi als maestro di violino an das Ospedale della Pietà verpflichtet. Die Anstellung an derPietà markiert den Beginn einer le-benslangen Verbindung zu diesem

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Antonio Vivaldi ist vor allem als grosser Violinkünstler sowie als Instrumental-und Opernkünstler bekannt. Er hat aber auch ein bedeutendes Repertoire an geistlicher Musik hinterlassen.

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Institut, auch wenn es teilweiselängere Unterbrechungen gab undsich das Dienstverhältnis im Laufeder Zeit wandelte. Aus der erstenPhase seiner Tätigkeit an der Pietàdatieren die frühesten überliefertenZeugnisse seines kompositorischenSchaffens. Ab 1713 fiel die „Versor-gung“ der Pietà mit neuen kirchen-musikalischen Werken Vivaldi zu,der bisher Kompositionen nur fürbesondere kirchliche Anlässe ausser-halb Venedigs geschrieben hatte. Bis1717 entstand nahezu die Hälfte dererhaltenen geistlichen Werke, darun-ter acht Vesperpsalmen, fünf Motet-ten, sechs Introduzioni, das Magnifi-cat in seiner ersten Fassung (RV610), die beiden Gloria (RV 588 und 589), das Credo (RV 591) und dasOratorium Juditha triumphans.

MagnificatDas Magnificat Vivaldis ist im we-sentlichen in zwei Fassungen über-liefert: Die frühere (RV 610) ist mitder späteren (RV 611) in den meis-ten Chorpartien identisch. In der spä-teren Fassung hat Vivaldi jedoch diesolistischen Partien sowie einenChorsatz durch schwierige Arien fürfünf Solistinnen ersetzt. GewisseMusikwissenschaftler betrachten RV611 wegen ihrer virtuosen Arien alsein Zugeständnis an den Geist derZeit und deshalb als die schwächereFassung, attestieren dagegen derkürzeren, nicht virtuosen Fassung„aus innerster Notwendigkeit ge-schrieben“ worden zu sein. Freilichmuss Virtuosität nicht a priori ver-

werflich sein. Zudem gehen die zwei Fassungen auf unterschiedliche Auf-führungsgegebenheiten zurück: Die neuen, ausgedehnten Arien sind aufdie erstklassigen Solistinnen des Ospedale della Pietà zugeschnitten, die Vivaldi die Ausarbeitung des Werks wahrscheinlich überhaupt erstermöglichten.

Die Chorsätze zeichnen sich durch geraffte Prägnanz, klare Diktion undfesselnde Thematik aus. Hymnische Akkorde kennzeichnen die Sätze Magnificat und Suscepit Israel. Die besonders dramatischen Verse Fecitpotentiam in bracchio suo und De-posuit potentes de sede et exaltavithumiles werden durch schlagkräftige Instrumentation bzw. durch einen kühnen Unisono-Satz dargestellt. Das abschliessende Gloria patrigreift auf den Werkanfang zurückund mündet in die obligate Schluss-fuge.

GloriaVon Vivaldi sind zwei Vertonungendes Gloria erhalten. Die erste (RV 588) war trotz ihrer elf Sätze und beinahe halbstündigen Dauer ver-mutlich Teil einer vollständigen Messvertonung. Dagegen plante derKomponist die zweite Vertonung des Gloria (RV 589) als eigenständigesWerk in der Art einer konzertanten Messe. Beide Stücke sind während der ersten Tätigkeitsphase Vivaldis am Ospedale della Pietà entstanden; beim zweiten Stück weist die Solo-Besetzung für drei Frauenstimmen

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Mit dem Ospedale della Pietà blieb Vivaldi – wenn auch mit Unterbrüchen – sein Leben lang verbunden.

auf die Aufführungsgspraktiken des Ospedale hin. Die grosse Beliebtheit des zweiten Gloria ist darauf zurück-geführt worden, dass es das ammeisten zugängliche und unmittelbarverständliche geistliche Werk Vival-dis ist – die Vier Jahreszeiten seinerGattung.

Das zwölfteilige Gloria RV 589 be-ginnt mit einem fanfarenartigen, von Oktavsprüngen geprägten Motiv inD-Dur, das in seinem Ausdruck anden dritten Satz des Concerto Herbstaus den Vier Jahreszeiten erinnert. Dieses Motiv bleibt in der Orchester-

begleitung des festlichen, homophon gesetzten Einleitungschors ständig präsent; der dominierende Streicher-klang wird in den Ecksätzen des Werks durch Oboen und Trompeten bereichert. Das wehmütig aus-schwingende Et in terra pax homi-nibus des Chors ist eine inbrünstige Bitte um Frieden auf Erden. Das fol-gende kontrapunktische Laudamuste-Duett der beiden Soprane hat dem Text entsprechend einen freudigen und heiteren Charakter. Der homo-phone Chorsatz Gratias agimus tibiführt den Chor nach wenigen Takten zum Fugato Propter magnam glo-

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riam tuam. Das Domine Deus ist ein Dialog zwischen dem Solo-Sopran und der Solo-Oboe (oder auch Solo-Violine). Nach dem stürmischenDomine fili unigenite des Chors folgteine ruhige Betrachtung: Im DomineDeus, Agnus Dei wird die Altistin vom Solo-Cello und dem Continuobegleitet, Chor und Streichertutti be-halten sich Einwürfe vor. In weiträu-migen homophonen Bogen gestaltetder Chor das Qui tollis peccata mun-di, worauf ein vom Orchester ener-gisch angerissenes Qui sedes addexteram Patris für die Altistin folgt.Das kurze Quoniam tu solus Sanctusdes Chors führt durch die Wahl derTonart D-Dur, das charakteristischeOktavmotiv sowie die Klangberei-cherung durch Oboen und Trompe-ten zurück zur Einleitung. Die FugeCum Sancto Spiritu setzt einenglanzvollen Schlusspunkt.

In mancher Hinsicht steht das Gloriader Instrumentalmusik nahe. Die bei-den Arien Domine Deus und Quisedes sowie das Duett Laudamus tefolgen der Ritornell-Form und unter-scheiden sich damit grundsätzlichvon der Da-capo-Arie der zeitgenös-sischen Oper. „Es handelt sich beiden Solisten also um keine Darstel-ler, die in eine Rolle schlüpfen undeinen individuellen Affekt zum Aus-druck bringen, sondern um Stimmen,die den Gesetzmässigkeiten der In-strumentalmusik gehorchen. DieseBeobachtung lässt sich auf das ganzeWerk übertragen: Der grosse Reich-tum der Kontraste und musikalischen

Mittel scheint weit mehr der inneren Logik eines grossangelegten, mehr-sätzigen Concerto grosso zu folgen als von dem Aufbau und Gehalt des Textes inspiriert zu sein.“ (MetzlerOratorienführer) Dieses instrumenta-le Denken erklärt sich auch aus derChronologie: Das Gloria entstandkurz nach dem grossen Erfolg des L'estro armonico und noch vor Vi-valdis Durchbruch als Opernkom-ponist.

Die Tonart D-Dur, der festliche Be-ginn und Schluss mit Trompeten-klang und die Art der Verteilung des Textes auf Chor und Solisten folgen zeittypischen Schemata. Die innere Geschlossenheit, die Vivaldi durch die motivische Verzahnung derNummern erreicht, und das durchge-hend hohe kompositorische Niveau machen dieses Gloria zu einer derbedeutendsten geistlichen Vokal-kompositionen des frühen 18. Jahr-hunderts.

Verzücktheit und Mystik Antonio Vivaldi ist vor allem als grosser Violinist sowie als Instru-mental- und Opernkünstler bekannt. Er hat aber auch ein bedeutendes Repertoire an geistlicher Musik hin-terlassen. Seine Stellung als musi-kalischer Leiter am Ospedale della Pietà – 1735 erfolgte seine Wieder-anbindung an das Waisenhaus in derFunktion eines maestro dei concerti– verpflichtete und regte ihn zu einem vielseitigen kirchenmusikali-schen Schaffen an. Dieser Umstand

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veranlasste den britischen Vivaldi-Forscher Michael Talbot zu folgen-der Bemerkung: „Es war also keinschlechter Streich des Schicksals,dass der rothaarige Priester sozusa-gen durch einen historischen Zufallin die Verlegenheit kam, geistlicheVokalmusik schreiben zu müssen,und dann darin eine besondere Bega-bung entwickelte. Glühende Be-geisterung, Verzücktheit und Mystik: Diese Eigenschaften brechen aus denPartituren hervor. Es ist fast Ironie,dass Vivaldis geistliche Musik kaum

dramatisch ist. In ihr lassen sich kei-ne Kunstgriffe finden, die dem ver-minderten Septakkord auf superbosin Bachs Magnificat oder den Ham-merschlägen des Conquassabit ca-pita in Händels Dixit Dominus ver-gleichbar wären. So hat es den An-schein, als ob Vivaldi in der Kir-chenmusik Würde und Ernst suchte, für die ihm sein Leben als Virtuose und Opernunternehmer, als chro-nisch Kranker und Globetrotter zu wenig Zeit liess.“

Folco Galli

Blick auf den Hauptaltar der Chiesa della Pietà.