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Ethik in der Wirtschaft Seite 1 von 27 Dr. Andreas Fritzsche Ethik in der Wirtschaft Dr. Andreas Fritzsche 1. Was ist Ethik? Viele Akteure der Wirtschaft und Studierende verstehen unter Ethik ein System von Normen und Geboten, welches die Gesellschaft gesetzt hat und den Menschen anerzogen wird. Es ge- he hier um ein Dürfen oder Sollen, was eigentlich mit Wirtschaft nichts zu tun habe. Das ist allerdings ein Missverständnis oder zumindest nur die halbe Wahrheit. Durch Handeln entstehen persönliche und gemeinsame Gewohnheiten sowie Haltungen. Bräuche und Üblichkeiten stellen sich ein; eine Art und Weise des Umgangs und der Handha- bung wird mehr oder weniger reflektiert gelebt. Im Hinblick auf das wirtschaftliche Ziel rati- onalisiert Ökonomie diese Handlungen und Gewohnheiten aus der Perspektive der Effektivi- tät und Effizienz. Sie betrachtet und bewertet das Agieren aus einer zweckorientierten Per- spektive. Nun sind menschliche Handlungen grundsätzlich mehrdimensional und auch die Handelnden – natürliche Personen - sind mehr als nur Arbeitskräfte, denn sie führen neben und in der Arbeit ihr Leben, sie leben mit anderen zusammen. Auch Unternehmen – juristi- sche Personen - sind in regionale und gesellschaftliche Kontexte eingebetet und lassen sich sinnvoll nicht nur auf Ökonomie reduzieren. Moral und Ethik stellen Menschen und Unternehmen in größere Zusammenhänge, ziehen den räumlichen und zeitlichen Horizont weiter und kommen dadurch zu anderen Bewertungskrite- rien. Wie kann mein (unser) Leben gelingen? Was ist mein Ziel? Was verstehen wir unter einem „guten Leben“? Wie können wir – auch künftig - gut miteinander leben? Im Laufe der Zeit haben Personen und Unternehmen gute Gewohnheiten entwickelt oder übernommen. Sie leben diese ohne groß darüber nachzudenken. Das nennen wir Sitte oder Moral; und darauf verlassen wir uns. Erst wenn hier Ausrutscher passieren, wenn sich jemand nicht an die gute Sitte hält, bemerken wir sie und zwar als verdorbene Sitte oder schlechte Moral. Bisweilen versichern wir uns der guten Gewohnheiten in Lebenserfahrungen, Weishei- ten und Faustregeln. Ethik reflektiert Moral und gibt nachvollziehbare Gründe an. Ethik fragt mit Aufmerksamkeit zum Beispiel, was wir unter „gut“ und „böse“ verstehen, und warum wir zu dieser oder jener Antwort kommen. Das grundsätzliche Fragen und die Erweiterung des Horizontes irritieren den unternehmerisch Handelnden. „Was soll denn das?“ Aber ebenso irritiert fragt der Tischlermeister, der auf einmal seinen Handwerksbetrieb betriebswirtschaftlich betrachten und optimieren soll.

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Dr. Andreas Fritzsche

Ethik in der Wirtschaft Dr. Andreas Fritzsche

1. Was ist Ethik? Viele Akteure der Wirtschaft und Studierende verstehen unter Ethik ein System von Normen und Geboten, welches die Gesellschaft gesetzt hat und den Menschen anerzogen wird. Es ge-he hier um ein Dürfen oder Sollen, was eigentlich mit Wirtschaft nichts zu tun habe. Das ist allerdings ein Missverständnis oder zumindest nur die halbe Wahrheit. Durch Handeln entstehen persönliche und gemeinsame Gewohnheiten sowie Haltungen. Bräuche und Üblichkeiten stellen sich ein; eine Art und Weise des Umgangs und der Handha-bung wird mehr oder weniger reflektiert gelebt. Im Hinblick auf das wirtschaftliche Ziel rati-onalisiert Ökonomie diese Handlungen und Gewohnheiten aus der Perspektive der Effektivi-tät und Effizienz. Sie betrachtet und bewertet das Agieren aus einer zweckorientierten Per-spektive. Nun sind menschliche Handlungen grundsätzlich mehrdimensional und auch die Handelnden – natürliche Personen - sind mehr als nur Arbeitskräfte, denn sie führen neben und in der Arbeit ihr Leben, sie leben mit anderen zusammen. Auch Unternehmen – juristi-sche Personen - sind in regionale und gesellschaftliche Kontexte eingebetet und lassen sich sinnvoll nicht nur auf Ökonomie reduzieren. Moral und Ethik stellen Menschen und Unternehmen in größere Zusammenhänge, ziehen den räumlichen und zeitlichen Horizont weiter und kommen dadurch zu anderen Bewertungskrite-rien. Wie kann mein (unser) Leben gelingen? Was ist mein Ziel? Was verstehen wir unter einem „guten Leben“? Wie können wir – auch künftig - gut miteinander leben? Im Laufe der Zeit haben Personen und Unternehmen gute Gewohnheiten entwickelt oder übernommen. Sie leben diese ohne groß darüber nachzudenken. Das nennen wir Sitte oder Moral; und darauf verlassen wir uns. Erst wenn hier Ausrutscher passieren, wenn sich jemand nicht an die gute Sitte hält, bemerken wir sie und zwar als verdorbene Sitte oder schlechte Moral. Bisweilen versichern wir uns der guten Gewohnheiten in Lebenserfahrungen, Weishei-ten und Faustregeln. Ethik reflektiert Moral und gibt nachvollziehbare Gründe an. Ethik fragt mit Aufmerksamkeit zum Beispiel, was wir unter „gut“ und „böse“ verstehen, und warum wir zu dieser oder jener Antwort kommen. Das grundsätzliche Fragen und die Erweiterung des Horizontes irritieren den unternehmerisch Handelnden. „Was soll denn das?“ Aber ebenso irritiert fragt der Tischlermeister, der auf einmal seinen Handwerksbetrieb betriebswirtschaftlich betrachten und optimieren soll.

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2. Wo wird das praktisch? Diese Frage wird sofort gestellt, und darum seien ein paar Hinweise genannt. Nicht nur Arbeitskraft Unternehmen neigen dazu, mitarbeitende Menschen nur als Arbeitskräfte wahrzunehmen und zu bewerten. Das ist aber nur ein - wenn gleich ein ökonomisch sehr wichtiger – Aspekt. Mit-arbeiter führen ihr Leben vor, nach und auch während der Arbeit. Sie haben ihre Motive, Vor-lieben und möchten mit Entscheidungen, die sie heute fällen, auch in zehn Jahren noch gut leben können. „Die Arbeitskraft ist nur um den Preis einer Person zu haben; das ist der Unter-schied zwischen etwas und jemand.“ Ethik macht darauf aufmerksam: Menschen sind Perso-nen und nicht nur Funktionsträger. Unternehmenskultur Wenn Menschen zusammenarbeiten, wollen sie sich aufeinander verlassen können. Sie wol-len wissen, woran sie miteinander sind. Wenn sie sich dessen – bewusst und auch unbewusst - gewiss sind, haben sie festen Boden unter den Füßen und können sehr erfolgreich kooperie-ren, weil sie einander vertrauen können. An dieser Stelle reden Teams über immaterielle Gü-ter wie Gesundheit oder Würde der Person, sie sprechen über Tugenden wie Authentizität und unterhalten sich über ihre Wertschätzungen. Auf dieser Suche nach Verlässlichkeit kann Ethik als Hebamme sehr hilfreich sein und Vereinbarungen, zum Beispiel Spielregeln, generieren, die Konflikten standhalten und auch eine emotionale Verlässlichkeit bieten. Ethik schenkt der gelebten Unternehmenskultur Aufmerksamkeit und festigt sie. Motivation Geld1

1 „Die Geschichte von König Midas ist jedem wohlbekannt, der mit Hawthornes Tanglewood Tales groß gewor-den ist. Wegen seiner außergewöhnlichen Vorliebe für Gold gewährte ein Gott diesem ehrenwerten König das Vorrecht, dass alles, was er berührte, sich in Gold verwandelte. Anfangs war er entzückt; als er jedoch erleben musste, dass die Speisen in seinem Munde zu massivem Metall wurden, begann die Sache ihn zu beunruhigen; und als dann noch seine Tochter, der er einen Kuss gab, zur leblosen Goldsäule erstarrte, entsetzte er sich und bat den Gott, die Gabe wieder von ihm zu nehmen. Seither wusste er, dass Gold nicht das einzig Wertvolle ist.“ Bertrand Russell, Lob des Müßiggangs, Nobelpreis 1950, S. 123. Über den Stellenwert des Geldes geht manch einer einem Irrtum auf dem Leim. In erster Linie gehe es um Geldvermehrung. Darum würden wir arbeiten, wirtschaften und uns mühen. Bei Oswald von Nell-Breuning, dem alten Jesuiten und Erfinder des „Subsidiari-tätsprinzips“, habe ich eine andere Wertschätzung des Geldes gefunden. In erster Linie arbeiten wir, um die Produkte und Dienstleistungen herzustellen, die wir zum Leben benötigen; darüber hinaus benötigen Menschen sinnvolle Tätigkeitsfelder, eben Arbeit. Erst an zweiter Stelle steht das liebe Geld. Als knappes Gut ist Geld ein Hygienefaktor und evaluiert Prozesse; als Gewinn versetzt es Unternehmen in die Lage zu investieren. Geld ist gut, es ist ein Gut, und wir benötigen es, um die Wohnung, Bücher und so weiter und so fort mieten oder erwer-ben zu können. Übrigens wollte noch keiner Streicheleinheiten in der Lohntüte haben, da sind uns echte Euros ganz lieb. Nur verkehrt wird es, wenn Geld den ersten Platz einnimmt; dann wird es pervers (verdreht) und dia-bolisch (durcheinander geworfen). Gier – avaritia – heißt dieses Laster. Geld muss einfach stimmen – im wahrs-ten Sinn des Wortes.

ist kein Motivator, es ist ein Hygienefaktor und muss stimmen. Häufig reduziert Öko-nomie - oder die gesellschaftliche Wahrnehmung - Wirtschaft auf den Faktor Geld. Das ist eindimensional und zu kurz gegriffen. „Wer nichts will, von dem kannst du nichts wollen.“

Meine Empfehlung: Lassen Sie sich nicht verrückt machen. Entzaubern Sie Geld, sonst verwandelt sich Ihr Liebstes in Gold und ist tot. Geld muss stimmen – nicht mehr und auch nicht weniger.

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Darum kann die Frage nützlich sein: Was wollen wir – eigentlich und im Grunde genommen? Meines Erachtens möchte jeder einen sinnvollen Beitrag liefern, weil er ein gutes Leben füh-ren und Anerkennung gewinnen möchte. Ein anderer möchte seine Fähigkeiten zur Meister-schaft, zum Bestmöglichen führen, eben seine Sachen richtig gut machen. Das Gespräch über diese fundamentalen Fragen „Woran hängt dein Herz?“ „Was wollen wir eigentlich und im Grunde genommen?“ führt Ethik. Erfolg „Was ist Erfolg?“ Auf dem ersten Blick scheint das eine rein akademische Frage zu sein, denn die Antwort liegt doch auf der Hand. „Der Erfolgreiche hat Erfolg.“ „Dem Erfolg kann man nicht widersprechen.“ Hat jemand, der eine ökonomische Karriere vorzeigt, auch dann Erfolg, wenn ihm die Selbstachtung abhanden gekommen ist? Persönlich geht es hier um „work-life-balance“, die gegenwärtig als Schlüsselkompetenz geschätzt wird. Einseitigkeiten program-mieren hier den Misserfolg. Auch ein Team oder Unternehmen kann sich fragen: „Was ver-stehen wir unter Erfolg? Wie soll unser Erfolg aussehen? Was sind unsere Erfolgskriterien?“ Eine gemeinsame Vision des Erfolgs2

verbindet, orientiert und setzt Energie frei. In beiderlei Hinsicht gibt es in der Tat eine Ethik des Erfolgs.

Vertrauen senkt die Transaktionskosten In der Praxis handeln immer Personen und diese benötigen in ihrem Betriebssystem Vertrau-en. Warum ist das so? Wir Menschen müssen wissen können, dass es die anderen gut mit uns meinen, dass

sie uns nicht belügen und betrügen. Ohne diese Handlungsgrundlage können Men-schen, die ja zusammen ein Ziel erreichen wollen, nicht zielgerichtet arbeiten. Wie der Computer ein Betriebssystem benötigt, das unterschiedliche Rechenaktionen im Pro-zessor organisiert und synchronisiert, so benötigen kooperierende, handelnde Men-schen das Vertrauen, ein grundsätzliches Wohlwollen. Diese Einstellung gegenüber den anderen bildet das Fundament der Kooperation.

Handlungskontexte – insbesondere im Unternehmen – sind so komplex, dass eine Per-son schlicht und einfach nicht alles wissen kann. Auf die anderen sind wir angewie-sen. Qualitätsmanagement, Leitbilder, Basel II, Standardisierungen … wollen Sicher-

2 Die Meister des Marketings sagen: „Erfolg ist das Erreichen selbstgesetzter Ziele.“ Das ist richtig und falsch. Richtig ist, dass Erfolg mit Zielerreichung zu tun hat, und es in der Regel um Ziele geht, die wir uns selbst set-zen. Jedoch geben uns das Leben, die Wirklichkeit und andere Menschen Aufgaben, also Ziele, die wir uns gera-de nicht selbst gesetzt haben. Darum ist es für den Erfolgreichen ein Gebot der Klugheit, die Aufgaben zu erken-nen, die uns die Wirklichkeit gibt, sowie die eigene Berufung zu entdecken und den Handlungsspielraum zu erkunden. Unter Erfolg verstehen die meisten eine berufliche Karriere, öffentliche Anerkennung und eine gewisse Macht-fülle. „Freiheit für mich und Macht über andere“ lautet das Motto. Sicherlich sind Güter wie Karriere, Geld, Wohlstand und Anerkennung wichtige Güter, die doch erst ein angemessenes Gewicht erhalten, wenn sie Gütern wie Leben, Zuneigung, Achtung, Freundschaft sowie Schönheit und Gesundheit gegenübergestellt werden. Deut-lich tritt diese Wertrangordnung hervor, wenn wir die Zeitachse verlängern, also „nachhaltig“ diese Güter be-trachten und auch den Ressourcenverbrauch – z.B. einer beruflichen Karriere – in Betracht ziehen. Dem Erfolg-reichen gelingt sein Leben als Ganzes und er lebt in Freundschaft mit anderen und mit sich selbst. Kurzfristigen Zielen, die möglicherweise noch eindimensional sind, das Leben zu opfern, wird sich als zu kurz gegriffen und sinnlos herausstellen.

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heit organisieren, doch wissen wir ganz genau, dass diese nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen, wenn nicht ein gelebtes Vertrauen zugrunde liegt.

Die unternehmerischen Ziele und deren Erreichbarkeit kann kein Manager beweisen, auch wenn er viele gute Gründe und berechtigte Annahmen vortragen kann. Gut ist er beraten, wenn er es ermöglicht, dass die anderen ihm glauben können. Da helfen keine Appelle wie „wir müssen vertrauensvoll zusammenarbeiten“, wenn allein der Glaube an die handelnde Person und deren Lauterkeit fehlt. Eine gelebte Kultur des Vertrau-ens bewirkt das Wunder, dass der Aufsichtsrat, die Belegschaft und auch die Kund-schaft in schwierigen, nahezu aussichtslosen Situationen den verantwortlichen Perso-nen folgen – ja ihr folgen können. Warum? Weil sie sich als vertrauenswürdig erwie-sen haben und es wirklich sind.

Vertrauen bringt die Entscheider in Form, so dass andere ihnen folgen können; das sagen uns diese drei Tatsachen. Zum Handeln gehört Vertrauen - Vertrauen darauf, dass Gutes auch zu Gutem führt, wenigstens im Allgemeinen und auf lange Sicht. Denn nur dann hat Handeln überhaupt Sinn. Vertrauen informiert uns über den Kontext und den Sinn des Ganzen. Wie soll sonst der Bauer ans Werk gehen? Im Frühjahr legt er los, bestellt den Acker und sät. Er muss das tun, was an ihm liegt, und darauf vertrauen, dass seine gute Saat auch gute Ernte bringen wird. Und selbst wenn die gute Ernte ausbleibt, weil die Elbe Hochwasser hatte, welch andere Chance hätte er? Sicher ist nur seine Arbeit, seine Saat. Die Ernte ist unsicher, aber sehr wohl zu erwarten. Wenn wir handeln, vertrauen wir auf ein gutes Ende, selbst wenn es nicht eintritt. Sinnvoll können wir nicht anders.

3. Mensch und Menschen Die klassische europäische Ethik versteht den Menschen mehrdimensional und reduziert ihn eben nicht auf eine Funktion (z.B. Arbeitskraft) oder eine Dimension (z.B. Bedürfnisse). Viel-leicht lässt sich dieses Menschenbild durch einige Feststellungen skizzieren: Mit Herz und Vernunft Wir haben sowohl einen sinnlichen, als auch einen emotionalen und einen rationalen Zugang zur Wirklichkeit. Uns selbst und die Wirklichkeit nehmen wir ästhetisch, emotional und ratio-nal „wahr“ – mit den fünf Sinnen sowie mit Herz und Vernunft. So sind wir und so stellt sich uns Wirklichkeit dar. Marketing sieht uns Menschen übrigens genau so und spricht uns so an, denn Verkäufer wissen, dass Kaufentscheidungen emotional fallen, d.h. im Herzen entschie-den werden. Unsere Wertschätzungen und Wertungen erfolgen zuerst emotional. Darum ach-tet ethische Reflexion aufmerksam auf Gefühle, Stimmungen, Leidenschaften, Affekte und Emotionen – auf den Bauch oder das Herz - und bringt sie zu Wort. In diesen Wertschätzun-gen unterscheiden sich einzelne Personen ganz individuell, verfügen jedoch über einen recht

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großen gemeinsamen Bestand an Werten. Die Unterschiede springen schneller ins Auge, doch die Gemeinsamkeiten sind größer und tragfähiger.3

Der Mensch ist nur den Preis einer Person zu haben. „Der Mensch hat keinen Wert, denn diesen könnte man bezahlen, er hat eine Würde“, die mit nichts anderem verglichen und verwertet werden kann, die inkommensurabel ist. Auch in großen Strukturen (z.B. von Unternehmen mit ihren Sachzwängen) handeln immer Personen, und sie müssen sich und ihre Handlungen verantworten. Person – mit Ross und Reiter, Name und Adresse – werden wir durch die Ansprache anderer, durch den Kontakt mit anderen Men-schen: so lernten wir sprechen, so entdeckten wir uns selbst und so wurde uns auf die Sprünge geholfen. Der Mensch ist „das Lebewesen, welches das Wort4

An dieser Stelle tritt die Frage nach dem Gewissen

hat, und das gemeinschaftsbe-zogene Lebewesen“, so Aristoteles. Diese ausgehaltene Spannung zwischen Individualität und Sozialität nennen wir Person.

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auf - nach einem moralischen Fingerab-druck, der im Kontakt mit anderen Menschen, mit der Gesellschaft und in der persönlich indi-viduellen Lebensführung entsteht.

homo oeconomicus Die klassische Nationalökonomie entwickelte im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts ein Menschenbild, das der relativen Eigengesetzlichkeit der Ökonomie entspricht und Grundlage einer Theorie rationaler Entscheidungen sein kann. Der Utilitarismus des Engländers John Stuart Mill lieferte Vorarbeiten und der Italiener Vilfredo Pareto formulierte 1906 in seiner Volkswirtschaftslehre (Manuale di economia politica) den „homo oeconomicus“. Der „homo oeconomicus“ ist ein fiktiver Akteur im Kontext des Marktgeschehens, der über vollständige Informationen verfügt und völlig rational seine Interesse bzw. Ziel verfolgt. 3 Vgl. die Sinus-Studie www.sinus-sociovision.de. 4 auch: Sprache, Vernunft. 5 Zum Umfeld der Klugheit gehört das Gewissen. Oft wird das Wort „Gewissen“ in Anspruch genommen, und darum stellt sich die Frage, was nun das Gewissen sei. Was klagt uns an, was tadelt oder foltert uns? Was spornt uns an und bindet uns? Das Gewissen ist kein Orakel in uns, sondern eher ein Organ; und Organe können ver-kümmern, sie können aber auch durch intensivere Nutzung kräftig und gut ausgebildet sein. Wie eine Hand, schreiben gelernt hat und schreiben kann, und darin tüchtig ist, so wird das Gewissen durch gute Entscheidungen aktive Wirklichkeit in uns. Normalerweise richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf ein Ziel oder eine Handlung. Diese Konzentration kann andere Dimensionen ausblenden, Wirklichkeit reduzieren, die Wahrnehmung verzer-ren und unsere Wertungen einseitig werden lassen. So können wir Gutes wollen und trotzdem in die Irre gehen, sozusagen danebenliegen. Nachher wissen wir es häufig besser. Gewissen heißt auf Lateinisch „conscientia“, was man mit „Zusammen-Wissen“ oder „mit anderem verbundenes Wissen“ wiedergeben kann. Das Gewissen sieht mehrere Perspektiven und größere Zeiträume, es sieht das eine, augenblickliche Ziel im Kontext des ge-samten Lebens und nimmt weitere Aspekte der Handlung als nur diese eine Zielorientierung wahr. Daher kommt das Gewissen bisweilen zu anderen Wertungen als das augenblickliche Urteil, weil es umfassender den ganzen Menschen als Leib-Seele-Geist mit dessen ganzer Biographie „mit-weiß“ und in seiner Stimme aktive Wirklich-keit werden lässt. Das Gewissen ist die moralische Authentizität einer Person, ihr ethischer Fingerabdruck, der nicht einfach heute so und morgen anders sein kann, sondern eine Person bindet und dafür sorgt, dass sie auch noch morgen mit ihrer gestrigen Entscheidung leben kann. Das Gewissen sorgt dafür, dass wir es bei uns selbst aushalten können und dass die anderen wissen, woran sie mit uns sind. Darum wird es bisweilen unerbittlich aktiv.

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Durch diese zwei Grundvoraussetzungen der Rationalitätsannahme und des Utilitarismus ent-steht ein berechenbarer und konstanter Mensch. Seine Präferenzen verfolgt er wertneutral und auf dem kürzesten Weg, in dem er auf Umwelteinflüsse wie zum Beispiel Marktpreise, Steu-ergesetze sowie knappe Ressourcen reagiert und in der Verfolgung seiner Ziele agiert. Mit minimalem Aufwand sucht er ein maximales Ergebnis zu erreichen. In Dilemmatasituationen betreibt er eine rationale Güterabwägung und trifft so seine Entscheidungen. Vorteile dieses Menschenbildes sind, dass auf dessen Basis zum Beispiel Warenkörbe und Harz IV Sätze festgelegt sowie die Einkommenssteuerprogression definiert werden können, und dass die Lohnausgabe für eine Arbeitskraft mit ihrer Wertschöpfung monetär verglichen werden kann. Im Grunde genommen basiert unsere soziale Marktwirtschaft auf diesem Men-schenbild, das Modellcharakter hat und nicht den Anspruch erhebt, ein vollständiges Men-schenbild zu sein. Intuitiv möchten die meisten Zeitgenossen diesem „homo oeconomicus“ widersprechen und werden sicherlich viele Argumente dazu finden. Bei aller Mangelhaftigkeit hilft dieses Men-schenbild m. E. hervorragend, unsere fast vollständig ökonomisierte Lebenswelt und auch ganz konkrete Personen zu verstehen – zumindest deren Argumente. Die Aufgabe Das Leben der Tiere lebt sich von selbst, sie arbeiten ein vorgegebenes, biologisches Programm ab. Den Menschen ist das Leben eine Aufgabe, sie können ihr Leben führen. Wenn Gene, soziale Umstände oder was auch immer uns total bestimmen würden, hörte hier die Frage der Ethik, aber auch der Wirtschaft auf. Was navigiert unser Leben, unsere Handlungen? Sind wir es? Wenn wir es sind, die navigieren, dann sind wir klug beraten, uns zu orientieren, den Kurs zu bestimmen und ihn zu halten. Vielleicht ist dieses Bild des Schiffes auf hoher See gar nicht so schlecht. Die Wirklichkeit, in der wir uns bewegen, nehmen wir sowohl mit ihren Untiefen als auch Fixsternen wahr; sie sollten wir gut kennen. Wohin die Reise geht und warum wir sie unternehmen, sollten wir ebenfalls wissen, oder wir lassen uns einfach treiben. Dann sollten wir die charakterlichen Eigenschaften haben, um das Steuer fest in den Händen zu halten, besonders wenn die Wellen über Bord schlagen. So erreichen wir den Hafen, so sind wir erfolgreich. Charakter: was ich bin. Kompetenz: was ich kann. Die angemessene Antwort auf diese Realität des Menschen sehe ich in der Tugendethik6

6 Das Handeln folgt dem Sein: agere sequitur esse. Wie wir sind, so handeln wir. Aus dem persönlichen Sein entspringen die Handlungen. Sind wir froh gemutet, so prägt diese Zuversicht in unsere Aktionen; sind wir mit uns selbst im Klaren, so fließt diese Ordnung in unsere Handlungen ein. Darum war für Sokrates die Aufmerk-samkeit und Sorge um sein inneres Sein so wichtig, dass er dafür manche Ablehnung hinnahm. Das hat mit einer egoistischen Suche nach Seelenheil nichts zu tun, denn nur derjenige, der mit sich selbst befreundet ist, kann auch mit anderen befreundet und langfristig erfolgreich sein. Es gibt eine Ethik des Erfolgs. Der in seinem Leben Erfolgreiche ist klug, gerecht, tapfer und maßvoll. Diese Charakterzüge bzw. Haltungen bewähren sich seit drei-

mit den vier Kardinaltugenden. Hier geht es um den Charakter und die innere Haltung der handelnden Person, die ihr in Fleisch und Blut übergegangen sind:

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Klugheit informiert über die Wirklichkeit, setzt sozusagen den Willen in Form, so dass die Person klar handeln kann.

Gerechtigkeit – eine feste Haltung des Willens – behält die anderen im Blick und gibt ihnen das, was ihnen zusteht.

Tapferkeit – ebenfalls eine trainierte Formung des Willens – überwindet Hindernisse, beherrscht zurückhaltende Emotionen wie Ängstlichkeit, Feigheit und hält standhaft Kurs.

Maß temperiert, versöhnt die Leidenschaften und hält die Begierden bei der Stange. Berufsethos Unternehmer, Mitarbeiter und große Teile der Öffentlichkeit beklagen den Werteverfall und, dass die deutsche Sitte verschwunden ist. Große Unsicherheit greift um sich: Was gilt? Wohin geht die Reise? Wer bin ich? Woran bin ich mit den anderen Menschen? Diese Situation der Orientierungslosigkeit einfach zu beklagen oder zu jammern, bringt auch nicht weiter und schon gar keine Lösung. Machen wir es wie der Joker im Kartenspiel. Der Joker kann jede Karte sein und darum muss er sich zwei Fragen beantworten: 1. Was wird hier gespielt? 2. wer bin ich in diesem Spiel? Das Berufsethos kann eine klare Antwort auf diese Orientierungsfragen geben und emotionale Zugehörigkeit stiften. Was ist Beruf? Auf jeden Fall kein Job, denn diesen könnte man wechseln wie Unterhosen, und einen Arzt, der seinen Beruf als Job versteht, würde keiner an seinen Blinddarm heranlas-sen. Beruf kommt von Berufung – da hat jemand einen Ruf gehört und folgt ihm, da hat je-mand sein Talent entdeckt und eine Kunstfertigkeit daraus gemacht, da widmet jemand sein Leben einer Aufgabe. Was ist „ethos“? Wenn wir handeln, wollen wir etwas bewirken – zum Beispiel ein Brillen-glas schleifen. Darüber hinaus hinterlässt eine Handlung in uns Spuren. Schleifen wir öfters ein Brillenglas, dann können wir das auch (mit verbundenen Augen), weil wir diese Fertigkeit erworben haben und schließlich kompetente Brillenschleifer sind. Handlungen hinterlassen im tausend Jahren in unserer abendländischen Zivilisation und beschreiben den sittlichen Charakter dessen, der sein Ziel zu erreichen sucht. Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß gestalten das praxisorientierte Denken und den handelnden Willen. Wer sich mit diesen Tugenden in Form bringt, dem wird auch sein Leben glücken; „age-re sequitur esse“ – das Tun folgt dem Sein. Wer ist der Erfolgreiche? Der Erfolgreiche ist erst mal ein Mensch mit Haut und Haaren, mit Leib, Seele und Geist, mit Talenten, Neigungen und Leidenschaften. Darin sind wir alle gleich. Ungleich sind wir in der ganz persönlichen Art und Weise der Talente, Neigungen und Leidenschaf-ten, auch in der konkreten Gestaltung des Leibes und der Seele sind wir schrecklich ungleich. Diese Gleichheit und Ungleichheiten sehe ich als Chance eines Reichtums. Wie können wir mit unseren unterschiedlichen Talen-ten wuchern? Tugendethik, welche Verstand und Wille zuverlässig gestalten möchte, führt Menschen zur festen Haltung und zu guten Gewohnheiten, so dass sie sich auf sich selbst verlassen können. Dadurch wird Höchstleistung möglich, die persönlichen Potentiale können realisiert werden. Tugendethik nimmt das innere Sein der Person in den Blick – etwas, was sie immer bei sich hat und die Basis jeglicher Praxis ist. Sie schaut auf den Charakter eines Menschen, sozusagen auf seine zweite Haut. Ist der Charakter gut gelungen, dann sieht dieser Mensch, was zu tun ist, und hat seinen Willen so im Griff, dass er tatsächlich das tut, was er will. Die vier Dreh- und Angelpunk-te des Charakters sind die Tugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Mut und Maß; sie qualifizieren das innere Sein eines Menschen. Ist dieses Sein in Ordnung, gelingen ihm seine Aktionen; ist der Charakter verdorben, misslingt die Praxis. Das Glück liegt im Handeln und die Qualität unseres Tuns folgt unserem inneren Sein – agere sequi-tur esse.

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Handelnden Spuren: Kompetenzen, Charakterzüge und Gewohnheiten. Das griechische Wort für Gewohnheit heißt „ethos“ – und da gibt es gute Gewohnheiten, wir nennen sie Tugend, und da gibt es auch schlechte Gewohnheiten, wir nennen sie Laster. Handeln mehrere Men-schen gemeinsam oder arbeiten sie zusammen, dann entstehen gemeinsame Gewohnheiten. Wenn wir sie fragen „Warum macht ihr das so und nicht anders? Warum ist euch das wichtig und jenes nicht?“, werden sie sagen „Das ist bei uns so üblich. Das ist bei uns so Brauch.“ Diese gemeinsamen Gewohnheiten nennen wir Brauchtum, Sitte und auf einen Berufsstand bezogen „Berufsethos“. Übrigens brauchen Menschen gemeinsame Gewohnheiten, um mitei-nander leben zu können, denn Menschen wollen immer wissen, woran sie miteinander sind, sie wollen einander vertrauen können. Warum einen Berufsethos? „Gesetze sind wie Zaunslatten; jede neue Latte schafft eine neue Lücke.“ Normen und Gesetze können Wirklichkeit nicht vollständig regeln. Auf die Haltung, die Einstellung und den Charakter kommt es an: Was bindet diese Person? Woran hängt ihr Herz? Wofür steht dieser Mensch? Einige Berufsstände wie Ärzte oder Kaufleute haben Ant-worten auf diese grundlegenden Fragen formuliert. Der Berufsethos des Arztes können wir im Eid des Hippokrates lesen und dort auch berufsspezifische Sätze finden. Den Berufsethos des ehrbaren Kaufmanns kann man auf die drei Worte reduzieren: „Sein Wort gilt.“ Neben tech-nisch, handwerklichen Fertigkeiten geht es um moralische Haltungen, um Tugenden und gute, gemeinsame Gewohnheiten. Werte bzw. Güter werden benannt, die – berufsbedingt - beson-ders schutzbedürftig sind. Zum Beispiel wird der Kaufmann durch Gier besonders gefährdet. Unterliegt ein Kaufmann diesem Laster, verfällt er der Schande; hält er der Versuchung stand, bewahrt er seine Ehre. Das Berufsethos verfügt also über die Sanktionen Ehre und Schande. Was an diesem Geschäft schandbar war, weiß der aufmerksame Kaufmann sehr wohl, und das muss ihm nicht erst ein Gesetz beibringen. Das Berufsethos liefert Sinnbezug und Identität. Damit können wirtschaftliche Akteure Glaubwürdigkeit bei Kollegen, Mitarbeitern, beim Kunden und der Öffentlichkeit gewinnen, was sich durchaus ökonomisch positiv darstellt. Obendrein liefert das Berufsethos für die Ausbildung des Nachwuchses ein moralisches Fundament, den jeder weiß, wohin der Hase läuft.

4. Prinzipien Moralische Prinzipien werden gern als Normen verstanden, die es abzuarbeiten gilt und von einem externen Programmierer herrühren. Genau so wie wir – sinnvoller Weise - das Gravita-tionsgesetz respektieren und nicht einfach mit dem Willen zum Fliegen aus dem Fenster springen, müssen wir die Wirklichkeit in moralischer Hinsicht respektieren. Es gibt morali-schen Prinzipien (Lebenserfahrung oder Weisheiten). Auf jeden Fall machen sie die handeln-de Person auf größere Horizonte oder grundlegendere Güter aufmerksam, wenn die Situation einen total in Beschlag nimmt.

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1. Maxime der Ethik: „Tu das Gute, und meide das Böse.“ Im Grunde genommen eine Binsenweisheit, die uns allerdings in der konkreten und praktischen Situation auffor-dert zu fragen, was hier und jetzt „gut“7 und „böse“8

2. „Schade niemals.“ ist.

3. Goldene Regel in den verschieden Varianten: „Handle so, wie du von anderen behan-delt werden willst.“ „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ „So, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus.“ „Man sieht sich im Leben immer zwei Mal.“ „Halte die anderen nie für dümmer, als du selber bist.“ Hier geht es um die Proportionalität der Ansprüche, Interessen, Perspektiven anderer: Respekt und Ge-rechtigkeit.

7 Zuallererst benutzen wir „gut“ ohne moralische Hintergedanken. Gute Schuhe wollen wir kaufen, um meinen damit Schuhe, die passen, schön aussehen und dem Fuß wohl tun. Ein gutes Messer muss scharf sein, also dazu taugen und fähig sein, wozu es gedacht ist: richtig und sauber schneiden. Wenn wir mit solchen Dingen umge-hen, dann wissen wir ganz genau, was dieses kleine und schrecklich abstrakte Wort „gut“ bezeichnet: stimmig, passend, schön, wohltuend, tüchtig, richtig, in Ordnung, wahrlich – und manchmal auch reichlich, wenn jemand „gut eingeschenkt“ hat. Die Umgangssprache zeigt ganz deutlich, dass und wie wir Urteile fällen, denn das Le-ben fordert Entscheidung und wir müssen wählen – und hoffentlich das Gute. Die moralische Ebene löst sich nicht von der sachlichen Ebene. Darum können und müssen wir bei den alltäglichen Urteilen anknüpfen. Die Wertung „gut“ verdient eine Sache oder Handlung, wenn sie der Wirklichkeit, ihrem Wesen oder ihrer Natur entspricht, in Ordnung ist und angemessen geschieht. Sie ist, wie sie sein kann und soll; die Wesensform ist erfüllt. Das nennen wir dann auch „schön und gut“ oder „sinnvoll“. Weitere Kriterien und Maßstäbe bleiben zu diskutieren. Wichtig ist allerdings auch, wie wir handeln und welche Haltung wir einnehmen. Mit der Haltung kommt die Moralität ins Spiel, denn die Güte einer Handlung zeigt sich u.a. im Respekt, in der Aufmerksamkeit, in der Wahrhaftigkeit und auch in der Demut des Handelnden. Dem Guten wird sein Handeln – mit großer Wahr-scheinlichkeit – gelingen. Nun sehen und wertschätzen unterschiedliche Menschen Gutes bisweilen unterschied-lich. Darum sind Differenzierungen auf der Ebene des Guten sinnvoll: 1. Was ist „gut“ für mich? Einer überar-beiteten und gestressten Frau wird ein Wochenende im Bett gut tun, für einen trägen, antrieblosen jungen Mann ist das gerade nicht gut. 2. Was ist „gut“ für uns? Hier haben wir schon viel größere gemeinsame Schnittmengen, weil es um Gemeinschaft geht. Einer Familie, die mit einem festen zinsgebundenen Darlehen ein Haus gekauft hat, wird steigende Inflation eher Freude bereiten als einer Familie, die ihr Vermögen angelegt hat. 3. Was ist „gut“ an sich? Auch der hartnäckigste Relativist (dem alles gleich gültig ist) wird Gesundheit als ein Gut an sich (unter anderen Gütern) ansehen; das sagt der gesunde Menschenverstand. Ob es allerdings das Gute schlechthin, das höchste Gut, gibt und welches es ist, bleibt offen. Summe: „gut“ ist das, was Leben lässt, was Leben fördert und ermöglicht. 8 Auch das Wort „böse“ benutzen wir bisweilen ohne moralische Hintergedanken. Vom „bösem Fuß“ sprechen wir, weil er schmerzt und Sorgen bereitet. Da ist etwas schlimm, unheilvoll und bereitet ein Übel, weil es schä-digt und Ärger verursacht. Etwas ist nicht in Ordnung, hat nicht das richtige Maß oder etwas fehlt. Auf der mora-lischen Ebene tritt „böse“ mit dem Wollen, mit dem Willen zutage. Ein böser Wille hat nicht nur seinen blinden Fleck, er ist gänzlich ohne Aufmerksamkeit und will sogar nicht wissen, was er tut. Hier geht es nicht um ein Vergessen oder ein unbewusstes Verdrängen; hier geht es um ein absichtliches Nicht-Hinsehen-Wollen, Nicht-Wahr-Haben-Wollen. Ein „böser“ Wille will nur sich selbst und sonst nichts. Das Ego steht unverrückbar im Mittelpunkt und alles andere kreist um dieses Gravitationszentrum; das Ego verleiht erst allem anderen – Situati-onen, Menschen, Dingen – Sinn und Würde. Diese Einstellung führt schließlich zur Empörung, dass alles nicht so ist, wie es sein soll; dass die Welt schlecht ist. Zwei Elemente fallen am „bösen Willen“ auf. Erstens stellt er die Dinge nicht an den richtigen Platz, wertet sie unangemessen, irrt sich in ihrer wahren Bedeutung und bringt sie durcheinander. Ob dem ein Wahrnehmungs- oder Bewertungsdefizit zugrunde liegt, sei dahingestellt. Zwei-tens sieht und wertet der „böse Wille“ die bunte und vielfältige Wirklichkeit eindimensional; zum Beispiel redu-ziert er Dinge nur auf ihren Geldwert. Diese Person wird einseitig, und das kann nicht gut ausgehen, weil Irrtum die Dinge auf den falschen Platz setzt und die Ordnung zerstört. Im Ergebnis gefährdet ein „böser Wille“ Leben und zerstört es vielleicht, denn er „lebt gegen die Natur“, wie es die Stoiker sagten. Der „böse Wille“ schädigt nicht nur die Welt, in der er sich bewegt, sondern korrumpiert und verletzt sich selbst. Seine Einstellung und Haltung wird deformiert. Insbesondere die Einseitigkeit verformt den Charakter dieser Person, die Einseitigkeit wird ihr zur Last. Summe: „böse“ ist das, was Leben behindert, zerstört und vernichtet.

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4. Kategorischer Imperativ (dritte Ausformulierung Kants): „Behandle den anderen nie nur als Mittel, sondern immer zugleich auch als Zweck an sich.“ Immer – und insbe-sondere im Unternehmen – gehen wir mittelbar miteinander um: als Kunde, Mitarbei-ter, Arbeitskraft, die Galle auf Zimmer 5 … Das geht nicht anders. Mit der Höflichkeit verfügen wir über die heilsame Möglichkeit, den anderen als „Zweck an sich“, als je-mand Inkommensurabeles (Unvergleichbares) und an sich Wertvolles anzuerkennen. Zum Beispiel haben es Ritterlichkeit und die Hager Kriegsrechtskonvention fertig ge-bracht, dem besiegten Feind – mit dem der Sieger ja machen kann, was er will – die Würde zu lassen und ihn respektvoll zu behandeln. Nicht viel mehr will das Gebot der Feindesliebe: Reduziere deinen Feind nie auf das (rein zufällige) Feind-sein-für-dich.

5. „Ich weiß, was ich nicht weiß.“ Wir sind keine Götter und können nicht alles wissen; sollten darum auch keine Götter spielen. Allerdings hat dieser Satz des Sokrates auch eine andere Seite: „Mühe dich um Wissen und prüfe genau, was du nur zu wissen meinst.“

Moralische Prinzipien respektieren eine Wirklichkeit, die nicht gleich ins Auge springt, und die doch wirkt. Es bedarf der Erziehung und Bildung9

, des kultivierten Umgangs miteinander, um diese Wirklichkeit wahrzunehmen. In der Regel tun wir das auch, weil es selbstverständ-lich ist. Trotzdem sind wir auf diesem Felde relativ sprachlos.

9 Erziehung soll den jungen Menschen in eine freundliche Welt einführen und in ihm Vertrauen wecken; sie soll ihn fähig machen, sich von der Auslieferung an den Reis des Augenblicks zu befreien, fähig, wirklich zu tun, was er will. Der junge Mensch soll lernen, sein Leben zu führen, statt gelebt zu werden und seine Möglichkeiten ins Spiel zu bringen. Die Aufgabe der Bildung dreht sich wiederum um Wirklichkeit, um die Welt, so wie sie ist. Bildung versetzt Menschen in die Lage, Wirklichkeit wahrzunehmen und zu differenzieren. Das klingt schrecklich abstrakt, ist aber schrecklich selbstverständlich und fast eine Binsenweisheit. Ein gebildeter Mensch realisiert, dass außer ihm noch ganz viel anderes in der Welt ist. Der Dumme lässt alles nur um sich selbst kreisen, sitzt permanent im Heimkino und bezieht alles auf sich; er kann einfach nicht von sich absehen. Das macht den Umgang mit ihm auch schwierig. Wenn jemand von Zahnschmerzen erzählt, wird der Dumme sagen: Ja, das ging mir auch schon so und sogar noch viel schlimmer. Der Gebildete kann schweigen und zuhören, weil er zur Kenntnis genommen hat, dass außer ihm noch etwas anderes in der Welt ist, dieses andere seinen eigenen Wert hat und dass es sich lohnt, dieses kennenzulernen. Die Welt muss nicht mehr um ihn und seine Befindlichkeit tanzen, er kann sich – ganz unbefangen – für sie interessieren. „Bildung nennen wir die Herausführung des Menschen aus der animali-schen Befangenheit in sich selbst, die Objektivierung und Differenzierung seiner Interessen und damit die Stei-gerung zu Freude und Schmerz.“ Robert Spaemann, Moralische Grundbegriffe, München 2004, S. 38. Eine gute Bildung hilft dem Menschen, seine Wahrnehmungen und Interessen zu differenzieren. In der Menge von Bau-werken kann er zwischen Häusern und Brücken, zwischen gut und schlecht gebauten Brücken unterscheiden und den Baustil erkennen. Um diese Differenzen wahrnehmen und das Urteilsvermögen schärfen zu können, gehen Menschen zur Schule; da will einiges gelernt und entdeckt werden, da geht es um Fakten und Einsichten, dem der Dumme nicht folgen kann, weil er immer fragen wird: Was kann ich damit machen? Bildung erschließt uns die Freude an der Wirklichkeit, am Detail und am feinen Unterschied, von dem man erst mal nichts hat – außer der Freude. Der Gebildete freut sich über eine gut gebaute Brücke, wird sich allerdings über Pfusch mehr ärgern als jemand, der davon keine Ahnung hat. Bildung hat es also mit Aufmerksamkeit für die Wirklichkeit, so wie sie ist, und auch ohne mich ist, zu tun. Menschen entwickeln Interessen, nehmen Welt und ihren Wertgehalt auf und differenzieren, das heißt, entwickeln Urteilsvermögen. Auf diesem Wege werden Fakten gelernt und ver-standen, Einsichten gewonnen und Entdeckungen gemacht. Bildung ist Selbsttätigkeit, in ihr sind Menschen äußerst aktiv und frei. Dass in der Bildung Kulturgüter vermittelt und Wissensbestände aufgenommen werden, ist selbstverständlich, aber nicht des Pudels Kern. Durch Bildung werden Menschen zu Menschen: sie nehmen Wirklichkeit auf und gestalten sich selbst.

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Dr. Andreas Fritzsche

Nachhaltigkeit und Zeit In keiner Rede darf dieses Wort fehlen. Was bezeichnet Nachhaltigkeit? Woher kommt es? Die Wiege des Gedankens steht in Sachsen und zwar in Freiberg. Der Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) schaffte dem Holzmangel, der durch den Bergbau ver-ursacht wurde, Abhilfe. Kontinuierlich forstete er die Wälder wieder auf und entnahm dem Wald nur so viel, wie nachwachsen konnte. 1713 schrieb er in seinem Buch „Sylvicultura oeconomica“:

„Wird derhalben eine gröste Kunst, Wissenschaft, Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen, wie eine sothane Conservation und Anbau des Holzes anzustellen (sei), dass es eine continuierliche, beständige und nachhaltende Nutzung gebe weiln es eine un-entbehrliche Sache ist, ohne welche das Land in seinem Esse [Dasein] nicht bleiben mag.“

Ein Forstwirt wird nur so viele Bäume fällen, wie er neu angepflanzt hat. Heute kann er Holz schlagen, weil seine Vorgänger Bäume gepflanzten, von denen sie selbst keinen Nutzen hat-ten. Wird dieses Prinzip missachtet, betreibt der Forstwirt Raubbau und betrügt nicht nur sei-ne Nachfolger, sondern auch das Gemeinwesen. Das Prinzip „Nachhaltigkeit“ macht auf das Volumen, die Tradition und zeitliche Reichweite aufmerksam: Zu holen ist nur das, was auch nachwachsen kann. Heute können wir leben und Güter nutzen, weil gestern Menschen uns zeugten und für

sich selbst nutzlose Güter erarbeiteten. Entscheidungen fallen ziemlich anders aus, wenn man die Folgen und ihre Reichweite

kurzfristig, mittelfristig oder langfristig bewertet. Wertungen und Beurteilungen fallen anders aus, wenn sich die angelegte Zeitschiene verkürzt oder verlängert. Nimmt man ein sehr großes Intervall an, fällt die Beurteilung einer Handlung anders aus als bis zum minimalsten Zeitlimit, wenn nur der Reiz des Augenblicks zählt. Da-rum entschleunigen wir bisweilen Entscheidungen und schlafen drei Nächte, ehe wir zum Beispiel Klage einreichen. Manchmal holen wir ganz tief Luft und zählen bis zehn, wenn wir spüren, dass der Zorn noch kocht. Geschwindigkeit soll herausgenommen werden, damit das Mütchen temperiert werden kann. Auf lange Sicht erscheint auch manch kurzfristiger Erfolg oder Gewinn als pure Dummheit; dann beurteilen wir den Steuerbetrug anders, empfinden ihn nur noch peinlich und würden manches dafür geben, um diesen Fauxpas aus der Welt zu schaffen. Ganz deutlich wird das Bewertungskriterium der Zeitschiene, wenn es um die Beurteilung von Unternehmen geht. Ein Manager, der für den kurzen Zeitraum von zwei Jahren einen Vertrag erhält, kann in dieser Zeit das Unternehmen richtig lukrativ, gewinnbringend machen und den Kapitaleignern optimale Rendite erwirtschaften. Trotzdem ist es gut möglich und sehr wahrscheinlich, dass das Unternehmen fünf Jahre später Insolvenz anmelden muss, weil die Substanz des Unternehmens verfüttert, weil Raubbau betrieben wurde. Diesen beschleu-nigten Gewinnerwartungen will das Prinzip „Nachhaltigkeit“ entgegenwirken.

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5. Werte – Güter – Ordnungen Das Wort Wert taucht erst im 18. Jahrhundert auf und kam von der Wirtschaft in die Ethik. Im Bankwesen und in der Wirtschaft spricht man von Wertschöpfung, Wertbereitstellung, Wertberichtigung usw. Deutlich wird daran, dass eine Sache erst zu einer wertvollen Sache wird, wenn sie von einem Menschen oder einer Gruppe wertgeschätzt wird. Durch Wert-schätzung erhält eine Sache einen höheren oder niederen Wert. Das klassische Beispiel dafür ist das Glas Wasser in der Wüste. Für einen Verdurstenden kann dieses Glas Wasser eine Mil-lion Euro wert sein, denn er möchte sein Leben erhalten10

. Damit will ich sagen, dass der Wert des Glases Wassers nicht in der Sache, sondern in der wertschätzenden Person liegt.

Drei Differenzierungen bzw. Ebenen sind angebracht: 1. Wert für mich. Weil wir Menschen bisweilen sehr unterschiedliche Neigungen, Vorlieben und Interessen haben, fallen unsere Wertschätzungen auch entsprechend unterschiedlich aus: Der eine mag Fußball, die andere erfreut sich über klassische Musik usw. Darum haben wir ganz persönliche, individuelle Werte, und die kann man recht leicht heraus finden: „Sag mir woran Dein Herz hängt, und ich sage Dir, wer Dein Gott ist.“ Glücklicherweise ist das so, denn so können wir Farbe in die Welt bringen und uns gegenseitig bereichern. 2. Wert für uns. Wenn Menschen in Familien oder Unternehmen zusammen leben bzw. arbei-ten brauchen sie – bei allem Respekt vor ihrer Individualität – gemeinsame Wertschätzungen oder sie lassen sich scheiden bzw. müssen Insolvenz anmelden. Zum Beispiel sollten in der Familie die weihnachtlichen Rituale oder das Briefgeheimnis eine annähernd gleiche Wert-schätzung erfahren. Auch im Unternehmen sollten die Zuneigung zum Produkt, Loyalität und Zuverlässigkeit eine gemeinsame Wertschätzung finden.11

3. Wert an sich – ein Gut. Dann gibt es noch eine Gruppe von Werten, nämlich die immer gelten, auch wenn sie augenblicklich keiner wertschätzt. Das sind die Güter. Zum Beispiel sind sauberes Wasser und Gesundheit Werte an sich. Das merken wir erst, wenn diese Güter abhanden gekommen sind. In der Demokratie spricht kaum jemand über Freiheit, in einer Diktatur diskutieren fast alle darüber. In der Jugend opfert man seine Gesundheit, um Geld zu verdienen; im Alter gibt man alles Geld aus, um die Gesundheit wieder zu erlangen. Das kennzeichnet Güter, und man kann auch sagen: objektive Werte.

Weil es nun viele, ja sehr viele Werte gibt, kommt alles auf die Wertrangordnung an: Welcher Wert, welches Gut sitzt auf dem Thron? Wofür geben wir alles her? Nach welchen Kriterien ziehen wir einen Wert vor und setzen einen zurück? Ordnung der Werte und Güter Weil Güter objektive Werte, d.h. von uns unabhängig sind, können wir eine Hierarchie auf-stellen. An erster Stelle stehen die seelischen Güter, an zweiter die leiblichen und an dritter

10 Selbst in Istanbul laufen solche Wasserverkäufer herum, weil es sich lohnt, Menschen Wasser zu verkaufen. Nur in Deutschland und schon gar nicht an einem verregneten Novembertag ist das Glas Wasser überhaupt etwas wert. 11 Vgl. Ulrich Hemel, Wert und Werte, München 2007.

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Dr. Andreas Fritzsche

Stelle die äußeren Güter. Soweit so gut, aber wie verhält es sich mit den individuellen, per-sönlichen und gemeinsamen, gesellschaftlichen Wertungen? Hier stellen wir doch persönliche und kulturelle Unterschiede, bisweilen sogar Widersprüche fest. Gibt es auch hier eine Rang-folge oder gar eine Hierarchie? Eine Ordnung der Werte kann man nicht so statisch feststel-len, wie die Ordnung der Güter, weil Werte mit Personen, Gemeinschaften und Kulturen ver-bunden sind.

Wenn Werte miteinander kollidieren, nehmen wir sie wahr und dann nehmen wir auch ihre unterschiedliche Höhe war.

Ein Wert entsteht durch Wertschätzung, er zieht jemanden an. Ein Briefmarkensammler findet diese kleinen Papierstücke attraktiv, wird von ihnen hingerissen und kann nicht wegschauen. Jemand anderes belächelt das vielleicht, aber dieses farbige, gummierte Papierstück erfährt vom Sammler eine sehr hohe Wertschätzung und wird für ihn zu einem sehr wertvollen Stück. Trotzdem wird auch der Briefmarkensammler zuerst seine Kinder aus einem brennen-den Haus retten und seine Briefmarkensammlung – zwar schweren Herzens – dem Feuer preisgeben, das heißt, er zieht seine Kinder diesen farbigen, gummierten Papierstücken vor, weil er in dieser kritischen Situation wahrnimmt, dass seine Kinder einen höheren Wert als seine Briefmarken haben. Im Konfliktfall bzw. in Entscheidungssituationen nehmen wir die unterschiedliche „Werthö-he“ wahr, wir sehen und spüren sie - in der Regel sogar schmerzlich. Kollidieren Werte mit-einander, ziehen wir einen vor und setzen ein anderen hinten an. Bei dieser Wertschätzung steuert uns zuerst das Gefühl, denn in Situationen reagieren wir zuerst emotional mit Angst, Freude, Ekel, Scham usw. Ob man das heute „Bauchgefühl“ oder Intuition nennt, sei dahinge-stellt, entscheidend dabei ist, dass wir so werten, wie wir sind und unser Leben führen. Das sollte das Beispiel vom Briefmarkensammler zeigen. Weil wir Menschen sind und miteinander sprechen können, entsteht solch eine Wertrangord-nung nicht ganz individualistisch, denn von der Mutter erlernten wir die Sprache, die ja auch Wertungen mitteilt, und unterhalten uns mit Freunden und anderen Menschen. Auf die Frage, wie man zu seinen Wertungen, zu seiner Wertrangordnung kommt, kann man auch die Ge-genfrage stellen „Ich könnte auch fragen: Wie haben sie sprechen gelernt?“ Auf jeden Fall kommt mit der Sprache und dem gemeinsamen Leben die Kultur bzw. Zivilisation zum Tra-gen. Von der Kultur werden Menschen in ihrer Wertschätzung geprägt, aber auch umgekehrt: Mit ihren persönlichen Wertungen – das Zurückstellen einiger und Vorziehen anderer Werte – gestalten Personen und Gruppen auch die Kultur, eben die gesellschaftliche Wertrangord-nung. In aller Deutlichkeit möchte ich feststellen: Unwerte gibt es nicht. Was wir als Unwert dekla-rieren, ist nichts anderes als ein Wert auf einen ihm unangemessen hohen Rang. Ein Beispiel: Geld hat einen Wert. Wenn allerdings Geld bei einer Person oder Gesellschaft auf einem un-angemessen hohen Rang platziert wird, dann bezeichnen wir diese Person als einen gierigen oder geizigen Menschen, weil er Dollarzeichen in den Augen hat und alles auf Geldwert redu-ziert. Trotzdem hat Geld einen hohen Wert, denn wir brauchen es, um unsere knappen Res-sourcen zu handhaben und Gerechtigkeit walten zu lassen. Nur darf Geld nicht die Sonne

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sein, die alles wachsen lässt. Das ist ein Irrtum, ein moralischer Fehler und schlecht. Es kommt auf die angemessene Wertschätzung und Platzierung an. Die klassische, europäische Ethik differenziert Güter in äußere, leibliche und seelische Güter. Was können wir uns darunter vorstellen? Äußere Güter sind zum Beispiel Anerkennung, Besitz oder Geld – etwas, das von außen uns zuteil oder zugeschrieben wird. Können wir Einfluss auf die äußeren Güter nehmen? Ja, aber nicht immer. Durch gezieltes Handeln gestalten wir, was um uns geschieht. Gewisse Umstän-de entziehen sich jedoch unserem Handlungszugriff wie zum Beispiel die Inflationsrate oder das Urlaubswetter. Trotzdem benötigen wir die äußeren Güter, um leben zu können. Leibliche Güter, wie Gesundheit und Haarwuchs, können wir durch gezieltes Handeln oder kluge Lebensführung intensiver als die äußeren Güter beeinflussen, und trotzdem bleibt auch in ihnen ein Rest unbeeinflussbar. Die seelischen Güter, wie Gelassenheit, Freundschaft und Charakterstärke, kann auch ein kranker Mensch trotz des Verlusts des leiblichen Guts Gesundheit wohl immer beeinflussen. Die wirklich wichtigen Güter sind die seelischen und sollten höchste Wertschätzung genie-ßen: Wie verhalte ich mich in Situationen, die ich nicht ändern kann?12

Weil nun Güter objektive Werte oder Werte an sich sind, ist es nicht sinnvoll, ihre Rangfolge zur Disposition zu stellen oder man stellt die Würde eines menschlichen Lebens in Frage. An erster und wirklich wichtigster Stelle der Wertrangordnung steht das Gut der Seele, das unter keinen Umständen gefährdet werden darf. Alles weitere erweist sich im Ernstfall als nachran-gig und kann einer Güterabwägung unterzogen werden. Interessanterweise sind sich hierin die Bibel13 und nahezu alle Philosophen14

einig.

12 Obendrein kommt noch eine Beobachtung, die mir mein Doktorvater aus der sowjetischen Kriegsgefangen-schaft nahelegte: Selbst wenn wir nahezu alles verloren haben, dann schleppen wir uns selber immer noch mit uns herum. In der Seele haben wir immer noch den Handlungsspielraum der Zustimmung, Ablehnung oder Em-pörung. Darum gebietet sich bei den seelischen Gütern maximale Aufmerksamkeit und wie gesagt die höchste Wertschätzung. 13 „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, und Schaden an seiner Seele nimmt? Um welchen Preis kann er seine Seele zurückkaufen?“ Matthäus 16,26. 14 Insbesondere bei Sokrates drehte sich alle Weisheitssuche um die Epimeleia, um die Seelsorge: „Mein Bester, du bist Athener, ein Bürger der größten und durch Bildung und Macht berühmtesten Stadt, und du schämst dich nicht, dich darum zu kümmern, wie du möglichst viel Geld und wie du zu Ehre und Ansehen kommst, doch um die Vernunft und Wahrheit und darum, dass du eine möglichst gute Seele hast, kümmerst und sorgst du dich nicht?" Sokrates in der Apologie 29 de.

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6. Praxis – Fälle (1) Authentizität, oder darf der Manager lügen? Intuitiv sagen wir „nein“, wollen zumindest selbst nicht belogen werden. Andererseits erleben wir die Trixerei und haben den Verdacht, dass man so weiter kommt. Damit das klar ist: Lüge ist die willentliche Täuschung des anderen durch verzerrte Darstellung der Wirklichkeit. Da-durch bekommt der andere keine Chance, angemessen und vernünftig zu handeln. Befürwor-ter der Lüge verweisen auf Sachzwänge und empfehlen das Agieren in verschiedenen Rollen, die nicht viel mit einander zu tun haben müssen. Gestritten wird, ob die Führungskraft wahrhaftig sein müsse oder nicht, ob sie lügen dürfe oder nicht, ob Verstellung angebracht sei oder nicht. Nicht nur Niccolo Machiavelli, sondern auch eine Reihe von Beratern empfehlen eine Inszenierungstechnik wie im Theater15

Die Alten kannten die Tugend „virtus veritatis“, die zum Umfeld der Gerechtigkeit gehört. Was ist damit gemeint, einfach nur Wahrhaftigkeit? Die Anderen haben ein Recht darauf zu wissen, woran sie mit mir sind. Das schulden wir einander. Die Führungskraft ist demzufolge gut beraten, in den verschiedenen Aktionen auch die Persönlichkeit durchscheinen zu lassen. Die Anderen, die Untergebenen, erspüren sowieso, was das für einer ist, und ob jemand nur spielt oder es ernst meint, ob jemand ein „doppeltes Gesicht“ hat. Da darf man die Anderen niemals für dümmer halten, als man selber ist. Freilich liegt ein gewisses Risiko in der Au-thentizität: Fehler, persönliche Macken und Schwächen können zutage treten. Aber die be-kommen die Anderen sowieso raus. Die Frucht der Authentizität ist Vertrauen, und Vertrauen senkt die Transaktionskosten. So gewinnt die Führungskraft die Kreativität, volle Leistungs- und Leidensbereitschaft der Mitarbeiter und auch die Kundschaft. Der Authentische erhält obendrein noch einen Lohn: Er kann im Einklang mit sich selbst leben.

: Der Job verlange, dass die Führungskraft perfekt die jeweilige Rolle spiele, die ihr der Regisseur im Drehbuch vorschreibt. Mal müsse die Führungskraft den knallharten Sanierer, den Händchen-halter oder den zielorientierten Teamleader spielen; auf Rollenpassung, auf den überzeugen-den Auftritt und auf die Wirkung beim Publikum komme es an – also auf den Schein und nicht auf das Sein. Falls es mal Schwierigkeiten mit dem Sein der Führungskraft, mit ihrem Personenkern oder Gewissen gibt, könne sie ja in der Freizeit für Ausgleich sorgen. Typisch sei der knallharte Sanierer, der sich sozial engagiert – und sein Gewissen beruhigt. Topmana-ger würden ihre Emotionen im Job ausblenden und sie ganz gezielt an anderer Stelle ausle-ben.

Eine Bemerkung sei noch gestattet: Manch einer meint, er sei ganz authentisch, wenn er sei-nen Emotionen freien Lauf lässt. Zum Beispiel wenn er zornig ist, dann macht er eben seinem Zorn in Beleidigungen oder Grobheiten Luft. Wegen der Verletzungen zur Rede gestellt, sagt dann jener, er sei eben authentisch und mache aus seinem Herzen keine Mördergrube. Freilich offenbart er – ganz authentisch – seine Unbeherrschtheit und seinen ungehobelten Charakter, nur ist Authentizität nicht die Einladung zum unflätigen Benehmen. Selbstbeherrschung, ver-

15 Vgl. Rainer Niermeyer, Mythos Authentizität, Frankfurt am Main 2010.

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standen als vernünftige Ordnung der Stimmungen und Gefühle, könnte ja auch zu seinem Charakter gehören und „ganz authentisch“ zutage treten. (2) Leitbilder Den Faden der Authentizität kann man weiterspinnen. Kunden, Mitarbeiter und auch die Öf-fentlichkeit möchten wissen, woran sie mit dem Unternehmen sind. Auch hier gilt: die ande-ren haben ein Recht darauf zu wissen, woran sie mit mir sind (virtus veritatis). Wofür steht das Unternehmen, und wofür nicht? Welchen Standards und Regeln unterwirft es sich? Im Umgang mit anderen Menschen, aber auch mit Firmen und Institutionen, fragen wir als erstes: „Was ist das für einer?“ Um handeln zu können, benötigen wir Verlässlichkeit, sozusagen festen Boden unter den Füßen. Leitbilder sollen Verlässlichkeit gewähren, und Orientierung nach innen und außen bieten. Ein gelungenes Leitbild nennt das Herzstück des Unternehmens, es beschreibt, was es leistet und was es nicht leistet. Hier wird sozusagen die Warum-Frage geklärt: Warum gibt es dieses Unternehmen? Das Herzstück des Unternehmens wird benannt. Des Weiteren nennt das Leit-bild die Prinzipien und Werte, denen sich das Unternehmen verpflichtet wissen will und die es lebt. Es formuliert den inneren Anspruch16

Allerdings sind hier nicht epische Breite, sondern lakonische Kürze angebracht – nur drei bis fünf Werte. Bitte verzichten sie auf Binsenweisheiten. Das wirkt altbacken und langweilt, und ist obendrein noch gefährlich: Wenn das Selbstverständliche erwähnt wird, ist es nicht mehr selbstverständlich.

. So kann eine emotionale Bindung der Mitarbei-ter und Kunden mit dem Unternehmen entstehen. Die Mitarbeiter erfahren die geltenden Spielregeln, können sich orientieren und ihr Handeln ausrichten.

Ob ein Leitbild Herzblut für die Firma in Bewegung setzt, eine Leistungskultur entfacht oder Leistung inspiriert, ist mir fraglich. Mir leuchtet das nicht ein. Eine feste Kooperationsbasis soll es bieten und die Beteiligten orientieren. Damit ist schon viel gewonnen, und daraus kann Motivation erwachsen. Nun werden viele Leitbilder in irgendwelchen Aktenordnern begraben. Woran liegt das?

Fehler Nummer 1: Allgemeinplätze, Artigkeiten, „political correctness“, Binsenweisheiten und „das haben wir auch“ sind überflüssig wie Wasser. Fehler Nummer 2: Die Geschäftsleitung schreibt ein Leitbild, oder lässt es schreiben, um den Mitarbeitern endlich mal zu sagen, wohin der Hase läuft. Dafür ist das Leitbild nicht die richtige Kommunikationsform, so wie der Liebesbrief eine andere literarische Gattung als das Protokoll ist, auch wenn beide auf Papier geschrieben sind. An der Entwicklung ei-nes Leitbildes müssen möglichst alle Anspruchsgruppen beteiligt werden – alle Mitarbeiter auf jeden Fall. Das ist zwar ein mühsamer und steiniger Weg. Dafür bringt er Wahrneh-mungen und Positionen aus allen möglichen Perspektiven ein. So wird das Leitbild der Wirklichkeit gerecht und kann orientieren. Freilich ist solch eine Leitbildentwicklung ein zielgerichteter und moderierter Prozess. Darum braucht keiner Angst zu haben, das Heft aus der Hand zu verlieren.

16 Vielleicht ist hier der Vergleich mit dem Grundgesetz angebracht.

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Dr. Andreas Fritzsche

Fehler Nummer 3: Die Beteiligten kommen zu keiner gemeinsamen Sicht der Dinge und einigen sich auf ein Kompromisspapier. Solch ein Kompromisspapier kann nie und nim-mer beatmet werden, weil weichgespülte Widersprüche nicht orientieren können. Fehler Nummer 4: Diskrepanz zwischen den Aussagen des Leitbildes und der gelebten Un-ternehmenskultur. Wenn die Mitarbeiter zum Beispiel schon Halbwahrheiten hinnehmen (müssen), dann kommt die im Leitbild propagierte Kultur der Offenheit als nackter Zynis-mus an; und Zynismus demotiviert gründlich.

Zur Navigation des Unternehmens ist das Leitbild sehr hilfreich. Allerdings müssen der Weg zum Leitbild sauber und die Aussagen ehrlich sein. Anderen Falls lässt man es lieber, spart damit Mühe und richtet keinen Schaden an. (3) Kündigung Trennung und Kündigung kommen im Leben einfach vor, und darum ist es mühselig, über Sinn und Unsinn von Kündigungen zu diskutieren. Die Aufgabe besteht darin, Kündigungen so zu handhaben, dass das Leben gut weitergeführt werden kann. „Gib jedem jederzeit die Chance, unter Wahrung seines Gesichts den Raum verlassen zu können“, lautet die Maxime. Das ist leicht gesagt, denn die Trennung ist ein tiefer Einschnitt ins Leben und geht an die Existenz eines Menschen. Darum antworten die meisten auf die Trennungsbotschaft mit Exis-tenzangst und lassen sich vom Selbsterhaltungstrieb navigieren, also von Emotionen und nicht von der Vernunft. Kündigung, was ist damit gemeint? Einmal kann der Arbeitgeber kündigen – entweder ver-haltensbedingt oder betriebsbedingt. Dann kann aber auch der Arbeitnehmer kündigen – ganz offen mit einem Brief oder still und heimlich mit der „inneren“ Kündigung. Es gilt also, die Situation zu erkennen und dann den entsprechenden Weg einzuschlagen. Auf jeden Fall muss mit aller Sorgfalt und Diskretion die Kündigung vorbereitet werden: wahrnehmen, beraten, entscheiden und dann kommunizieren. Dem geltenden Recht, und das sind in Deutschland viele Gesetze und in der Regel auch ein Tarifvertrag, will zur Geltung verholfen werden, die Kosten wollen kalkuliert sein und die Gründe dargelegt werden. Dann erst geht es in das Trennungsgespräch17

Im zweiten Schritt der Trennung folgt die Neuorientierung. Dafür gibt es viele Methoden. Wichtig dabei ist das Ziel, dem gekündigten Menschen Zukunft und ein „gutes Leben“ zu ermöglichen; und das ist nicht nur ein Ideal, sondern eine Gerechtigkeitspflicht. Die Kündi-

. Die Botschaft muss deutlich und couragiert im Indikativ aktiv gesagt werden, denn wir Menschen vertragen fast alles, wenn es uns nur klar und persönlich mitgeteilt wird. Bei diesem Gespräch ist es sinnvoll, gedanklich die Seite zu wechseln: Wie geht es dem jetzt? Wo sind jetzt seine Gedanken und Gefühle? Auf jeden Fall agiert nun im Gekündigten die erste biologische Aufgabe „Selbsterhaltung“ und Emotionen dominieren. Diesen Reaktionen – Weinen, Wut, Starre, Brüllen … - kann man Raum und viel Zeit geben, denn so eine Botschaft will verdaut werden. Manch einer ist danach in der Lage, die Kündigungsgründe aufzunehmen, wovon man nicht ausgehen sollte, denn in emotionalen Turbolenzen nehmen Menschen nichts wahr und schon gar nicht mit Vernunft.

17 Vgl. Laurenz Andrzejewski, Trennungs-Kultur, München 2004.

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gung ist einer der tiefsten Einschnitte in das Leben eines Menschen, das eben nicht zerstört werden darf. Vielleicht zeigt sich sogar in der Trennung eine Chance, sein Leben gelingen zu lassen, und darum können diese Chancen gesucht und realisiert werden. Wenn die Kündigung schlecht und einfach feige stattfinden, sind die Schäden gigantisch. Der Gekündigte nimmt Wissen und Kunden mit, kann in Sabotageakten Rache üben oder Kündi-gungsschutzklage einreichen. Dabei eskalieren nicht nur die Kosten, auch das Image des Un-ternehmens nimmt Schaden und die Unternehmenskultur geht den Bach runter. Die Verblie-benen fahren Dienst nach Vorschrift, wollen auf jeden Fall nicht auffallen und reduzieren ihre Aktivität nach dem Motto „Bloß keine Fehler machen.“ Die Selbstbewussten sagen sich: „Das lass ich mit mir nicht machen“, kündigen selbst und suchen sich einen neuen Arbeitgeber, das heißt, die Leistungsträger hauen ab, denn sie wissen, was sie wert sind. Dann hat das Unter-nehmen ein richtiges Problem: die Leistungsträger sind geflohen und die anderen machen ängstlich Dienst nach Vorschrift. Es lohnt sich also, die Trennung nicht nur juristisch wasser-dicht, sondern moralisch gut zu machen. (4) Der ehrbare Kaufmann: Sein Wort gilt. In Krisen stellen Menschen grundsätzliche Fragen - z.B.: „Was ist die richtige Haltung, Ein-stellung eines Betriebswirts?“ „Was hat sich bewährt und genießt allgemeine Anerkennung?“ „Worauf kann ich mich verlassen?“ Darum darf es nicht verwundern, dass gegenwärtig über den „ehrbaren Kaufmann“ gesprochen und geschrieben wird. Im Mittelalter (insbesondere in Italien und in der Hanse) tauchen sogenannte Tugendkataloge in Handelsbüchern auf und beschreiben das Ethos eines guten, tüchtigen Kaufmanns. Ethos meint die Summe von gefestigten Charakterstärken, die grundlegende Haltung und Einstel-lung, ein persönliches Leitbild. Was heißt Ehre? Ehre meint die öffentliche Anerkennung und Achtung. Die Ehre des hansea-tischen Kaufmanns lag in den Tugenden Ehrlichkeit, Sparsamkeit, Mäßigkeit, Ordnung, Ge-nügsamkeit, Fleiß, Demut und Treue im Wort. In einem Satz formuliert, kann man sagen „Sein Wort gilt.“ Weitere Tugenden werden genannt: Treu und Glauben, Redlichkeit, Auf-richtigkeit und Schweigen, Weitblick, Gerechtigkeit, Mut und Entschlossenheit, Barmherzig-keit, Mäßigung, Gemütsruhe, Ordnung, Reinlichkeit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Das Gegenteil der Ehre, die Schande, wurde auch formuliert. Die Schande des Kaufmanns tritt im Wucher und Glücksspiel zutage, denn hier offenbaren sich seine Laster, z.B. die Gier. Aus dem historischen Ethos „eines ehrbaren Kaufmanns“ kann für die Gegenwart ein Leitbild gewonnen werden, welches Orientierung, Identität, Sinnbezug und ein klares Wertekonzept bietet. Im Kernbestand geht es um Glaubwürdigkeit und Vertrauen als Basis von Interaktio-nen zwischen Kaufmann und Kunde, Unternehmer und Mitarbeiter, Berufsgruppe und Öffent-lichkeit. In der Ausbildung bzw. Erziehung neuer Mitarbeiter bietet der „ehrbare Kaufmann“ neben den fachlichen und praktischen Elementen das tragende, moralische Verhaltensmuster.

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Dr. Andreas Fritzsche

Was steht dem „ehrbaren Kaufmann“ entgegen? Was behindert dieses Ethos? Neben den per-sönlichen, individuellen Schwächen behindern Bürokratie, juristischer Formalismus, man-gelndes Unrechtsbewusstsein, die rein „wissenschaftliche“ Lehre an den Hochschulen, ver-dorbene Sitten in einzelnen Unternehmen und der Gesellschaft das Leben dieses Ethos’. Letztlich sprechen diese Hindernisse nicht gegen ihn, sondern zeigen eher die Notwendigkeit solch eines Leitbildes auf. Einen Menschen, dessen Wort gilt, schätzen wir geschäftlich und privat, und diese Anerken-nung darf schon einer Mühe wert sein. (5) Führen und Führung Einerseits füllt die Literatur zum Thema „Führung“ ganze Bibliotheken, andererseits ist das Thema der Führung in Deutschland durch den „Führer“ noch vermintes Gelände. Da oben-drein Führung mit Machtausübung zu tun hat und Macht für die meisten Menschen etwas ganz schlimmes ist, neigen viele Menschen dazu, ihre Führungsaufgabe nicht wahr- und an-zunehmen. Genau dann steht der Machtmissbrauch in der Tür. Anders gesagt: Führung ist Machtausübung. Die Mutter hat Macht über ihre Kinder; die Leh-rerin übt Macht auf die Schüler ihrer Klasse aus und der Bereichsleiter hat Macht über seine Teamleiter und deren Mitglieder, denn sie geben nicht nur Feedback, sondern beurteilen und werten Menschen. Wie gesagt, wird diese Führungsaufgabe nicht angenommen, läuft die Machtausübung ohne Reflektion und damit ohne Navigation18. Zur wesentlichen Aufgabe der Führung gehört die Reflektion der Entscheidungskriterien, und diese Reflektion darf nicht verhindert werden. Grundvoraussetzung einer guten Führung ist demnach, dass eine Person seine Führungsaufgabe mit Entschiedenheit und Aufmerksamkeit annimmt. „Wer führen will, muss bereit sein, Macht zu wollen, Macht auszuüben und auch die Macht zusammenzuhal-ten.“19

Vielleicht hilft hier ein Blick in die klassische Ethik. Aristoteles unterscheidet in der „Politik“ zwischen guter und schlechter Herrschaft. Die gute Herrschaft zielt auf das bonum commune, auf das Gemeinwohl; und die schlechte Herrschaft zielt auf das bonum privatum, auf den Ei-gennutz des Machtbesitzers

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Thomas von Aquin fragt noch grundlegender: Was rechtfertigt die Herrschaft von Menschen über Menschen? Nur die Sorge um das bonum commune, denn dafür können nicht alle Men-schen im gleichen Maße zuständig sein, dazu bedarf es geeigneter

. Damit haben wir ein knallhartes Kriterium zur Unterscheidung, das sich auch auf Unternehmen übertragen lässt: Hat der Chef seine Kariere im Blick oder müht er sich um das Unternehmenswohl?

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18 Die nichtangenommene Führungsaufgabe äußert sich in der Regel darin, dass sich solche „Führungskräfte“ über ihre Mitarbeiter auslassen und beklagen.

und legitimierter Perso-

19 Christoph Kumpf 20 „So sieht man denn, dass alle diejenigen Verfassungen, die auf den gemeinen Nutzen abzielen, richtige sind nach dem Maßstäbe des Rechtes schlechthin, und dass dagegen diejenigen, die nur auf den eigenen Vorteil der Regierenden abzielen, sämtliche fehlerhafte Verfassungen und Entartungen der richtigen sind; sie sind despoti-scher Art, der Staat ist aber eine Gemeinschaft freier Leute.“ Aristoteles, Politik, 1. Buch, Stuttgart 2008. 21 „Herrschen heißt Menschen führen – und zwar mit Vernunft und Pathos. Der Herrscher muss vollkommen tu-gendhaft sein.“ Aristoteles, Politik, 1. Buch, Stuttgart 2008.

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nen. Obendrein kommt noch die Tatsache, wenn alle für alles zuständig sind, ist faktisch kei-ner mehr zuständig. Wenn der Bäcker für seine Backstube verantwortlich ist, dann wird diese gepflegt; wenn alle dafür verantwortlich sind, verkommt die Backstube.22

Jeder von uns hat Erfahrung mit Führung gemacht. Darum lohnen sich die Fragen: Wie haben Sie gute Führung erlebt? Wie haben Sie schlechte Führung erlebt? Wie stellen Sie sich eine gute Führung vor? M.E. muss an dieses Thema mit diesen lebensweltlichen Fragen zuerst herangegangen werden und das aus zwei Gründen: (1) Für viele Menschen sind einige Führungselemente emotional belastet, so dass sie darüber nicht mehr rational (mit kühlem Kopf und klarem Verstand) nachdenken können. Das muss ins Wort gehoben werden. (2) Der Weg der Erkenntnis geht über die Sinne und Emotionen ins Allgemeine und darum ist es klug, mit dem Konkreten zu beginnen und die Gemeinsamkeiten abstrakt herauszufiltern. Frage: Wie haben Sie gute Führung erlebt? Antworten: Das Team konnte eigenständig arbeiten. Ein positiver emotionaler Stil in freund-schaftlicher Atmosphäre herrschte und jeder handelte aus der Gewissheit, dass er etwas Gutes tue. Der Chef setzte knallharte Grenzen, förderte und forderte anspruchsvoll. Frage: Wie haben Sie schlechte Führung erlebt? Antworten: Mit dem Belohnungssystem Geld wurde navigiert. Konkurrenzdenken dominierte im Team und einige wurden ausgegrenzt, abgekapselt. Eine Atmosphäre der Angst herrschte. Ohne Blick auf die Person überforderte die Führungskraft und leistete sich emotionale Ent-gleisungen; sie lebte Fehlhaltungen – gleichgültig, strukturlos, ängstlich, abwesend, selbst-süchtig, launisch, misanthropisch und antriebslos. Frage: Wie stellen Sie sich eine gute Führung vor? Antworten: Die Führungskraft benötig die Eigenschaften bzw. Charakterzüge – sachlich, durchsetzungsfähig, motivierend, überzeugend, mit Freude engagiert, inspirierend, boden-ständig, entschieden, zielorientiertes Denken und Handeln, authentisch, unterstützend, loyal und verantwortlich. Mit den Untergebenen geht er gerecht um, d.h. jede Person erfährt den 22 „Das gesellige Leben eine Notwendigkeit, damit der eine von dem andern unterstützt werde und Verschiedene damit beschäftigt seien, durch ihren Verstand die verschiedenen Erkenntnisse zu finden, der eine in der Heilkun-de, der andere auf diesem, der andere auf jenem Gebiete. Der augenscheinlichste Beweis dafür liegt wohl darin, dass es allein die Eigentümlichkeit der Menschen ist, sich der Sprache zu bedienen, durch die der Einzelne alles, was er auf seinem Gebiet erfasst hat, restlos dem anderen mitzuteilen vermag. Andere Geschöpfe können das, was sie empfinden, nur im Allgemeinen ausdrücken, wie der Hund durch Bellen, dass er zornig ist, und andere Tiere auf die verschiedenste Art. Demnach ist der Mensch mehr als jedes andere in Herden lebende Geschöpf, wie Kraniche, Ameisen und Bienen, dazu bestimmt, sich den anderen mitzuteilen. … Wenn es also der natürli-chen Bestimmung des Menschen entspricht, in Gesellschaft mit vielen zu leben, so muss unter den Menschen etwas sein, wodurch die vielen gelenkt werden. Wären nämlich viele Menschen zusammen und jeder nur auf das bedacht, was ihm selbst angemessen erscheint, so würde die Gesellschaft nach entgegengesetzten Richtungen auseinander geraten, falls nicht eben jemand da wäre, der für das Sorge trägt, was das Wohl der Gesellschaft betrifft. So würde sich ja auch der Leib des Menschen und jedweden Geschöpfes auflösen, wenn es nicht eine gemeinsame leitende Kraft im Körper gäbe, die auf das gemeinsame Wohl aller Glieder bedacht ist. Das meint Salomo wohl, wenn er (Sprüche 11, 14) sagt: „Wo kein Regent ist, zerstreut sich das Volk.“ Thomas von Aquin, Über die Herrschaft der Fürsten. De regimine principum., 1. Kapitel, Stuttgart 2006.

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notwendigen Respekt und die konkrete Person wird individuell nach Aufgabe und Stellung gewürdigt; sie ist auch zur kritischen Kommunikation fähig. „Hart in der Sache, fair zur Per-son.“ In ihrer Person lebt die Führungskraft die Unternehmenskultur.

Das Handeln folgt dem Sein: agere sequitur esse. Tugendethik23

o Klugheit: Wirklichkeit wahrhaben wollen und Zukunft gestalten.

, welche Verstand und Wille zuverlässig gestalten möchte, führt Menschen zur festen Haltung und zu guten Gewohnheiten, so dass sie sich auf sich selbst und auf andere verlassen können. Dadurch wird Höchstleistung möglich, die persönlichen Potentiale können realisiert werden. Tugendethik nimmt das innere Sein der Person in den Blick – etwas, was ein Mensch immer bei sich hat und die Basis jeglicher Praxis ist. Sie schaut auf den Charakter eines Menschen, sozusagen auf seine zweite Haut. Ist der Charakter tugendhaft, dann sieht dieser Mensch, was zu tun ist, und hat seinen Willen so im Griff, dass er tatsächlich das tut, was er will. Die vier Dreh- und Angelpunkte der inneren, persönlichen Haltung sind die soge-nannten Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Mut und Maß; sie qualifizieren das innere Sein eines Menschen. Ist dieses Sein vernünftig geordnet und im Gleichgewicht, gelingen ihm seine Aktionen; ist der Charakter verdorben, misslingt die Praxis. „Das Handeln folgt dem Sein (agere sequitur esse).“

o Gerechtigkeit: Die Anderen und das Ganze im Blick behalten. o Tapferkeit: Hindernisse bewältigen. o Maß: Sich selbst beherrschen können und seine Balance finden.

Das Unternehmen bewegt sich im Markt und ist selbst ein Teil des Marktes. Dem Unterneh-mer stellt sich hier die Frage „Was ist hier los?“ und „Wer bin ich?“ Wirklichkeit will hier aufgenommen werden und das in doppelter Hinsicht: Marktanalyse und Unternehmensphilo-sophie. Die Klugheit gibt an dieser Stelle drei Aufgaben: beraten, entscheiden und kommuni-zieren. Ziele werden festgelegt, das Handlungskonzept beschlossen und in „smart“en Projek-ten kommuniziert. „Wir denken, um handeln zu können.“ Dann kann die Praxis folgen. Die Klugheit empfiehlt einen mittel- oder langfristigen Zeithorizont, denn die meisten Fehler passieren aus Eile. Auch in zehn Jahren soll das Unternehmen existieren und am Markt beste-hen können. Kurzfristige Gewinnziele können in der Tat den Eignern Geld beschaffen, plün-dern in der Regel das Unternehmen aus und richten es zugrunde. Der Unternehmer ist gut beraten, sich von der Klugheit “in Form“ setzen zu lassen.24

Der nächste Aspekt des Führens, der sich an der Tugend der Gerechtigkeit orientiert, kann so beschrieben werden: die Anderen haben ein Recht darauf zu wissen, woran sie mit dem Un-ternehmer sind. Die Anderen sind Unternehmensleitung, Kunden, Mitarbeiter und gesell- 23 Vgl. Klaus Berger, Andreas Fritzsche, Christoph Kumpf, Ethik des Erfolgs, Gnadenthal 2009. 24 Im Bild der Seefahrt gesprochen: Der Kapitän erfasst das Meer, das Wetter, sein Schiff mit Mann und Maus; er kennt das Ziel, hat den Kurs entschieden und kann mit den Navigationsinstrumenten etwas anfangen. Die Mannschaft kann ihn verstehen und jeder weiß, was er zu tun hat. Der Kapitän kennt seine Leute und weiß, dass sie einen sinnvollen, wertvollen Beitrag bringen wollen und dass sie Orientierung suchen.

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schaftliche Öffentlichkeit. Die Wünsche dieser Gruppen widersprechen sich bisweilen, sind jedoch im Großen und Ganzem gleich: Sicherheit, Erfolg, Beständigkeit, Souveränität und Fürsorge. Führen heißt hier, dem Anderen das geben, was ihm zusteht. Wie soll das geschehen? Was heißt das präzis? Das sagt die Klugheit des Unternehmers. Die Maxime kann nur sein: Behal-te die Anderen im Blick und gewähre ihnen das, was ihnen zusteht! Das mag banal klingen und wie eine Binsenweisheit wirken, ist es aber nicht, denn beständig laufen wir Gefahr, nur uns selbst im Blick zu haben und Wirklichkeit alleinig aus der Vorgesetztenperspektive gelten zu lassen. Lass den Anderen als Anderen gelten, respektiere ihn! Respektiere ihn vor allem da, wo keine Sympathie vorhanden ist! Gute Unternehmer nehmen den politischen, sozialen Kontext wahr und führen darin das Un-ternehmen, sie verstehen sich als gesellschaftliche Akteure. Leider fällt dieses Handlungsfeld erst im Skandal auf, wenn – zum Beispiel – Korruptionsaffären die Medien interessieren oder ein Bebauungsplan Bürgerprotest mobilisiert. Unternehmenserfolg braucht die Akzeptanz der Öffentlichkeit, den guten Ruf vor Ort. Eine Wohnungsgesellschaft kann – zum Beispiel – in dem Stadtteil, in dem sie sehr viele Wohnungen vermietet, der Bürgerbücherei die Kaltmiete schenken. Das ist kein Almosen, sondern schafft eine Win-Win-Situation, denn es steigert unter anderem auch die Qualität der Wohnungen. So verstandene soziale Gerechtigkeit führt den Unternehmer und das Unternehmen in eine Vertrauenssituation. Dann lassen sich auch leichter konfliktträchtige Aufgaben lösen. Normalerweise verstehen wir Gerechtigkeit nur als „soziale Gerechtigkeit“. Das ist richtig, die Ausschließlichkeit aber ist falsch. Gerechtigkeit hat eine sozialpolitische und sozialethi-sche Dimension, und hier sprechen wir dann über Institutionen und Verteilungsschlüssel. Zu allererst ist Gerechtigkeit jedoch eine Tugend und zwar die Tugend des Stärkeren, der Macht besitzt, ausübt und führt, denn er kann anderen etwas geben und gebietet über sie. Der Füh-rende muss darum den beständigen und festen Willen haben, anderen das zu geben, was ihnen zusteht, und von ihnen das abverlangen, was sie leisten können. Das ist die Gerechtigkeit des Führenden. Wie kann das geschehen? Führen heißt „authentisch sein“. Die Anderen – die externe und interne Kundschaft – haben ein Recht darauf zu wissen, woran sie mit dem Unternehmer sind: das nennen wir Authentizität (virtus veritatis). Die Lüge verhindert die Wahrnehmung der Wirklichkeit und verbietet sich darum, denn der Angelogene kann nicht mehr angemessen handeln, weil er nicht in Form ist, weil er falsch informiert wurde. Auch eine Notlüge ist im-mer noch eine Lüge, sagt zumindest die deutsche Sprache. Die offene und konsistente Kom-munikation setzt die Akteure in Form und ist der Königsweg; sie schafft Vertrauen als Hand-lungsbasis und sammelt Kreditpunkte für schwierige Situationen. „Vertrauen senkt die Trans-aktionskosten.“ Führen heißt, mit Augenmaß gerecht sein und Billigkeit walten lassen. Das Zerrbild hieße „Gerechtigkeit muss sein, und wenn daran die ganze Welt zugrunde geht.“ Verholzte Gerech-tigkeitsmaßstäbe regulieren nicht angemessen. Wenn sie herrschen, dann zieht Kälte ein und die Prinzipienreiterei beginn. Das darf es nicht sein, denn ganz konkreten Personen und Gruppen sollen wir gerecht werden. Mit Augenmaß, Billigkeit und angemessenem Handeln können wir das erreichen – und dann bisweilen „eine Fünf gerade sein lassen.“

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Mit Führung ist eine Pflicht verbunden: Freundlichkeit. In der Freundlichkeit leben wir den Respekt, den wir voreinander haben. Oder will der Unternehmer den Ruf eines launigen Chefs pflegen, bei dem morgens jeder fragt: „Wie ist er heute drauf? Gehe ich ihm heute bes-ser aus dem Weg?“ Um das in aller Deutlichkeit zu sagen: Verleumdung, Ehrabschneiderei, falsche Freundlichkeit, Scheinheiligkeit und Witzlosigkeit zerstören das soziale Miteinander und die innere Güte eines jeden – sie machen uns kaputt.25

Der feste und beständige Wille zur Gerechtigkeit gestaltet den sinnvollen, guten Machtge-brauch: das heißt „Menschen führen“.

Die meisten Lügen passieren aus Feigheit, und zwar aus der Feigheit, drei unangenehme Mi-nuten auszuhalten. Beim Thema Kündigung oder Trennungsgespräch ziehen sich einige Ma-nager ins Formale oder Arbeitsrechtliche zurück. Das ist zwar korrekt, hinterlässt aber trotz-dem eine verheerende Botschaft bei den Mitarbeiten – vor allem bei den Leistungsträgern. In solchen Situationen ist Tapferkeit angebracht. Fast alle Menschen verkraften mittelfristig eine niederschmetternde Nachricht und entwickeln selbst Energie, sie zu bewältigen. Es muss ih-nen nur - vis a vis - gesagt werden. Das ist Aufgabe des Führenden. Das erfordert Freimut, Courage und Standhalten, also: Freimut und Zuversicht versus Feigheit und Lüge. Übrigens hilft hier Klugheit: sich beraten, entscheiden und informieren. Tollkühnheit oder Übermut ignorieren Risiken und Gefahren. Auch wenn sie couragiertem Handeln zum Verwechseln ähnlich aussehen, sind sie nicht wirklich tapfer und mutig. Der Tapfere kennt die Gefahren sehenden Auges, kann ihnen darum standhalten und seinen Mann stehen. Risikoanalyse hat darum mit Feigheit nichts zu tun, sondern ermöglicht erst couragier-tes Handeln und schützt vor Überheblichkeit, schützt den Unternehmer sozusagen vor sich selbst. Das ist das Gebot der Klugheit, das freilich in Fleisch und Blut übergehen sollte. Der beständige Wille, sich über Chancen und Risiken zu informieren, führt zum Mann oder zur Frau mit Eigenschaften und Rückgrat. Diesen suchen die Mitarbeiter, diesem können und wollen sie sich anvertrauen. Bei dem Draufgänger können sie das nicht. Noch einmal: die Risiken kennen und ihnen darum mit couragiertem Handeln standhalten – das ist die Haltung des erfolgreichen Unternehmers. Durch Praxis gestalten wir uns selbst, formen unseren Willen, unseren Charakter. Wenn das gelingt, können wir uns in jeder Situation auf uns selbst verlassen. So gewinnen wir innere Souveränität und Freimut – den Mut zu Innovation und Veränderung, die Kraft, uns beruhi-gen zu können, und auch die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten. Der Unternehmer mutet sich einiges zu. Die Alten nannten diese Tugend im Kontext der Tap-ferkeit „Hochgemutetheit“ – der Mann mutet sich etwas zu. Diese Hochgemutetheit steht in Spannung zur Demut. Wie die Worte im Deutschen sagen, haben beide mit Mut/Tapferkeit zu tun. Obwohl sie wie Gegensätze wirken, sind sie jeweils die andere Seite der Medaille. Demut „erdet“ die Hochgemutetheit und macht sie dadurch richtig stark. Ohne Respekt vor der Wirk-lichkeit, so wie sie ist, werden Unternehmer ihre anspruchsvollen Ziele nicht erreichen. Mir steht an dieser Stelle ein Bild vor Augen. Demut heißt im Lateinischen „humilitas“. In dem 25 Im Bild der Seefahrt gesprochen: Die Matrosen sind so, wie sie sind, und andere gibt es nicht. Sie sind Perso-nen, nicht nur Arbeitskräfte, und darum schuldet der Kapitän ihnen Respekt. So erreicht er eine stabile und be-lastbare Beziehung zu ihnen und gewinnt Autorität, denn die Matrosen möchten sich ihm anvertrauen können. Als – vorwiegende – Bauchmenschen spüren sie Vertrauenswürdigkeit.

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Wort klingen Humus, Erde mit. Führen heißt: sich etwas zumuten, den Respekt vor der Wirk-lichkeit wahren, beherzt die Aufgabe anpacken und geduldig die Tatsachen ertragen.26

Die starken biologischen Kräfte, die auf Arterhaltung und persönliche Lebenserhaltung aus-richten, bringen Chaos und zerstören die Person, wenn sie nicht die richtige Ordnung finden. Die animalischen Leidenschaften sind deswegen so stark, weil sie wesentlich sind: sie schaf-fen und erhalten das Leben. Wenn sie ungestüm agieren, uns sozusagen übermannen, sind sie gefährlich und nicht, weil sie animalisch sind. Sie gehören einfach zu unserer ersten, biologi-schen Natur. Sinnlichkeit und Leidenschaften verbleiben in der Gegenwart und können darum nicht ver-schiedene Güter vergleichen. Die Vernunft sieht zeitlich und räumlich weiter, nimmt auch noch anderes wahr und kann darum abwägen. Die Maßlosigkeit macht blind gegenüber der Wirklichkeit und der Rangordnung der Güter und Werte. Unbeherrschtheit27

Nur wer mit sich im Reinen und in Ordnung ist, bekommt mit, was los ist und hat die größte Chance, die Dinge, Situationen, Menschen so zu sehen, wie sie wirklich sind. Was heißt das konkret?

macht befangen, weil der Genusswille – das egoistische Interesse - den Blick trübt.

Erstens es ist sinnvoll, dass in mir die Vernunft die Zügel in der Hand hat und auch behält, denn nur die Vernunft kann jene vieltönigen und bisweilen misstönigen Stimmungen, Leiden-schaften miteinander versöhnen, ihnen eine gute Richtung geben und ihre Stärke nutzen. Zweitens kann ich – so mit mir im Klaren – andere Menschen wahrnehmen und verstehen. Wer seine Leidenschaften temperiert, kann Leidenschaft bei anderen erkennen, entfachen und steuern – z.B. Zorn und Ehrgeiz, Traurigkeit und Freude. Das heißt „Menschen führen“.28

Drittens stehen uns mit den Gefühlen, Leidenschaften und Stimmungen optimale Indikatoren zur Verfügung. Zum Beispiel fällt der Ekel über eine Handlung oder Situation ein klares Werturteil: „das ist böse“. Das Gefühl der Scham zeigt deutlich an: „hier hast du etwas getan, was gar nicht deinem Wesen entspricht.“ In dieser Hinsicht können Gefühle und Leidenschaf-ten nicht lügen.

Meines Erachtens besitzt nur derjenige wirklich Macht über andere Menschen, der die Luft-hoheit über ihre Herzen gewonnen hat. Wer Zugang zu den Herzen anderer Menschen hat, der führt sie - was zum Beispiel Martin Luther King zeigte.

Die vernünftige Zügelung der Emotionen, zahlt sich aus und Zügellosigkeit führt zu Traurig-keit, Verzweiflung und Zynismus. Hier bewegen wir uns in den Bereichen „innerer Kündi-gung“ und „Motivation“. Die Tugendethik – als Ethik und Reflexion über gutes Handeln – macht darauf aufmerksam, dass die Herrschaft ungezügelter Leidenschaften nicht nur die mo-ralische Qualität eines Menschen korrumpiert, sondern auch kooperatives Miteinander unter-

26 Den Willen des tapferen Unternehmers möchte ich mit dem Bild des Segelschiffs anschaulich machen: Je kräftiger und schwerer der Kiel ist, desto mehr Wind können die Segel aufnehmen und nichts wirft das Schiff um. 27 „Wer sich selbst nicht beherrschen kann, darf nicht über andere herrschen.“ Platon 28 „Die Kunst der Beziehung besteht zum großen Teil in der Kunst, mit den Emotionen anderer umzugehen. Diese soziale Kompetenz ist die Grundlage der Beliebtheit, Führung und interpersonaler Effektivität.“ Daniel Goleman, Emotionale Intelligenz, München 2001 (14. Auflage) S. 66.

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miniert. Zügellosigkeit zerstört gelingendes Leben und gefährdet sowohl den privaten als auch den öffentlichen Erfolg.29

Vernünftig temperierte Leidenschaften und gezügelte Emotionen unterstützen den privaten und öffentlichen Erfolg, weil sie Energie – zum Beispiel: entfachte Begeisterung - freisetzen und uns kraftvoll in Bewegung bringen. Freude über Gelungenes und die Lust an sinnlicher Schönheit motivieren und beflügeln; sie entzünden Eros, die höchste Energie in uns Men-schen.

Als Macher werden Unternehmer in der Regel verstanden, als Menschen, die anderen Befehle geben und Geschäfte machen. „Der macht ja sowieso, was er will“, heißt es. Auf dieses Ge-habe (und auch Vorurteil) passt eher, was ich die „Fratze des Führens“ nenne und Machtzy-nismus ist. Der karrieresüchtige Manager, das anpassungs- und tarnfähige Chamäleon und der kaltherzige Kalkulator laufen in der Tat herum. Sie leben nach der Maxime „Freiheit für mich und Macht über andere“. Wie gesagt, ist das Machtzynismus und ein Irrtum darüber, wie wir wirklich sind. Jeder – auch der Unternehmer und damit Machtbesitzer – sucht Führung. Wer führt mich? Erinnerung verhilft vielleicht zur Antwort: Was hat mich bislang geführt? Welche Vision, welcher Traum schickte mich auf die Reise ins unternehmerische Handeln? Erinnern Sie sich bitte daran, blättern Sie in Ihrem Fotoalbum und unterhalten Sie sich mit Weggefährten. Da gibt es einen Tagtraum, eine Vision, die Sie führt. Fragen Sie sich selbst einfach. Sich selbst führen hat etwas mit Dialog zu tun, sagten wir. Die Selbsterkenntnis findet nicht vor dem Spiegel statt, sondern im Gespräch mit Menschen, die uns wohl gesonnen sind. Sys-tematisiert und kommunikationstechnisch organisiert finden wir solch eine Vorform des Dia-logs im Feedback. Optimal erhalten Sie im 360-Grad-Feedback Hinweise30

von anderen Men-schen und zwar in der Hinsicht, wie Sie auf diese wirken und ihnen erscheinen – allerdings nicht, wie sie wirklich sind. Aber zu wissen, wie wir auf anderen wirken, ist doch schon et-was. Das Gespräch mit Freunden ist der Königsweg zur Selbsterkenntnis.

Auf jeden Fall lassen Sie sich von Personen führen, die Sie lieben und denen Sie sich anver-trauen. Tun Sie es, auch wenn es Ihre siebenjährige Tochter ist. Diese hat Ihnen sehr viel über die Schönheit und den Sinn des Lebens zu sagen und besitzt Führungsqualität. Wir wollen

29 Ein Hinweis und ein Bild zum vernünftigen und maßvollen (nicht mittelmäßigen) Umgang mit unseren Lei-denschaften: die „temperantia“ macht den Menschen selbst schön. Dessen Proportionen stimmen und er strahlt etwas aus, hat Ausstrahlung. Gesehen habe ich das beim „Wagenlenker von Delphi“: ein junger Mann hält leicht und kraftvoll die Zügel in der Hand und sein Blick geht über die Pferde hinaus zum Ziel. Das soll auch mein Bild für den gut temperierten Menschen sein: Stellen Sie sich bitte einen Streitwagen mit vier Pferden vor – wie die Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Die Pferde – die Emotionen und Affekte - sind kraftvoll und doch sehr unterschiedlich. Hier hat der Wagenlenker in der Tat, alle Hände voll zu tun. Er muss die Zügel fest in der Hand haben, mit ihnen steuern und den Pferden einen gemeinsamen Gang verpassen. Dem Wagenlenker – der Vernunft - gelingt das, weil er das Ziel, das Gelände und alle vier Pferde sehen kann, er kann weiter sehen und darum steuern. Ohne Wagenlenker würde nacktes Chaos herrschen und das desto mehr, je stärker die Pferde sind. Damit aber eines klar ist: Der Wagenlenker steuert - und zieht nicht; die Pferde bringen die Bewegung. Vernunft bewegt nicht, steuert aber; die Leidenschaften ziehen und bewegen. 30 Damit sind Rückmeldungen von Personengruppen gemeint, mit der jemand agiert: Vorgesetzter, Kollege, Kunde und auch dieser jemand selbst. Vgl. Serm, Sarges. 360 Grad Feedback, Hogrefe 2004.

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anderen trauen und uns ihnen anvertrauen können. Das gelingt uns am besten bei denjenigen, die wir mit ganzem Herzen lieben und mit denen wir in Freundschaft verbunden sind. In der Summe lassen sich fünf zentrale Führungsaufgaben feststellen:

1. Kultur des Vertrauens 2. Orientieren 3. Demotivatoren beseitigen 4. Menschen wertschätzen, d.h. wahrnehmen und loben sowie tadeln 5. Controlling betreiben

Führung findet auf der Mikro- und Mesoebene statt; sie hat die Dimension Tugendethik und Unternehmenskultur.

7. Ebenen der Wirtschaftsethik In den vergangenen Jahren erlebten wir eine Entgrenzung von Raum und Zeit. Rund um den Globus kann zum Beispiel an einem Projekt pausenlos weitergearbeitet werden. Komponen-ten eines Produkts wurden möglicherweise in einem chinesischen Umerziehungslager oder von Kindern aus Pakistan hergestellt. Diese Unübersichtlichkeit verwirrt und lässt vielleicht resignieren. Vielleicht können an dieser Stelle die vier Ebenen der Ethik Klarheit bringen:

1. Mikroebene: die Moralität der Person 2. Mesoebene: die Unternehmenskultur 3. Makroebene: die Volkswirtschaft und Sozialehtik 4. Globale Ebene: der Ethos der Menschheit

Bisweilen werden die einzelnen Ebenen gegeneinander ausgespielt als habe die Moralität ei-ner Person nichts mit der Sozialethik zu tun. Dabei gebe ich zu bedenken, dass Organisatio-nen immer von Personen vertreten werden und ihr Image erhalten. Wie eine Person ist, so vermuten wir in der Regel, so ist es um das Unternehmen oder den Staat bestellt. Nahezu je-den Monat lassen sich dafür neue Beispiele zeigen. Unternehmens- und Sozialethik haben eine große Schnittmenge mit der Moralität der handelnden Person, und darum ist die Indivi-dualethik keine reine Privatsache (zumindest nicht bei den Machtbesitzern). Fazit Zwischen Ethik und Ökonomie gibt es keinen abgrundtiefen Graben. Im Gegenteil ergänzen beide einander komplementär31

31 Vgl. Peter Ulrich, Zivilisierte Marktwirtschaft, Bern 2010.

, auch wenn sie auf den ersten Blick gerade gegensätzlich erscheinen. Beide bedingen einander und führen – zumindest mittel- und langfristig – zum Erfolg. „Es gibt bestimmte Werte, die mit einer definierten Wahrscheinlichkeit zu einem bestimmten Ergebnis führen, und zwar zum Erfolg: Die Kardinaltugenden weisen die

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stärksten Erfolgszusammenhänge auf. Ethisches Verhalten zahlt sich langfristig aus. Es gibt eine dadurch begründete Ethik des Erfolgs.“32

32 Gregor Schönborn, Deep White, FAZ 4. September 2006.