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1. Der Wunsch, ein anderer zu sein Richtungslos fliegen, mich in der Nacht verlieren, das Ende der Welt erreichen und durch eine einfache Berührung den Himmel in Brand setzen. Arcadio

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1. Der Wunsch, ein anderer zu sein

Richtungslos fliegen, mich in der Nacht verlieren, das Ende der Welt erreichen und durch eine einfache Berührung den Himmel in Brand setzen.Arcadio

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Theater und Philharmonisches Orchesterder Stadt Heidelberg

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Daniel Catán

Florencia

en el Amazonas

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Florenciaen el AmazonasDaniel Catán

Uraufführung am 29.10.1996, Houston Grand Opera

* 29.04.06 Europäische Erstaufführung

Oper in zwei AktenLibretto von Marcela Fuentes-Berain nach Motiven von Gabriel Carcía Márquez

Edition Wilhelm Hansen Hamburg

Wir danken

Prof. Dr. Frauke Gewecke, Amparo Estrada

de Völk, dem Europäischen Hof - Hotel

Europa Heidelberg & der Mexikanischen

Botschaft in Berlin

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Besetzung

Florencia Grimaldi

Larissa Krokhina

Rosalba

Maraile Lichdi

Paula

Carolyn Frank

Arcadio

Winfrid Mikus / Svetislav Stojanovic

Alvaro

Aaron Judisch

Riolobo

Gabriel Urrutia Benet

Kapitän

Wilfried Staber

Chor des Theaters

und Philharmonischen Orchesters

der Stadt Heidelberg

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Inszenierungsteam

Musikalische Leitung

Noam Zur

Regie

Michael Beyer

Bühnenbild und Kostüme

Hans Richter

Licht

Ralf Kabrhel

Chor

Tarmo Vaask

Dramaturgie & Übertitel

Bernd Feuchtner

Musikalische Einstudierung

Sebastian Kennerknecht, Michael

Klubertanz, Timothy Schwarz

Regieassistenz & Abendspielleitung

Solvejg Franke

Regiehospitanz

Nina Schecker

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Ausstattungsassistenz

Bettina Ernst

Souffl euse

Delia Tedeschi

Inspizienz

Uwe Stöckler

Philharmonisches Orchester

der Stadt Heidelberg

Die Dekorationen und Kostüme

wurden in den theatereigenen

Werkstätten angefertigt.

Technik und Werkstätten

Technische Leitung

Ivica Fulir

Technische Einrichtung

Martin Fuchs

Ton

Wolfgang Freymüller

Andreas Legnar

Leiter Kostümabteilung

Frank Bloching

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Herrengewandmeisterin

Katja Ulrich

Damengewandmeisterin

Merle Espenhain

Leitung Maske

Kerstin Geiger

Anja Dehn (stv.)

Leiterin Requisite

Esther Hilkert

Leiter Malsaal

Dietmar Lechner

Dekorationswerkstatt

Markus Rothmund

Leiter Schlosserei

Karl-Heinz Weis

Leiter Schreinerei

Klaus Volpp

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Zum Inhalt

Die Handlung

1. Akt

Leticia, Peru, zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Der Amazonasdampfer „El Dora-

do“ wartet abfahrbereit im Hafen. Ziel der Fahrt ist Manaus, wo die legendäre

Operndiva Florencia Grimaldi im Teatro Amazonas ein Konzert geben soll.

Der Flussgeist Riolobo stellt die Reisenden vor: Rosalba, eine junge Schrift-

stellerin, die die Grimaldi vergöttert und an einem Buch über ihr Idol arbeitet,

Paula und Alvaro, die sich von dem Konzertbesuch eine Wiederbelebung ihrer

zerrütteten Ehe erhoffen, sowie die inkognito reisende Diva selbst.

von Michael Beyer

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Florencia führt die Sehnsucht nach ihrem Liebhaber Cristóbal nach Manaus

zurück. Vor zwanzig Jahren war sie dem Schmetterlingsfänger auf der „El Do-

rado“ begegnet. Für ihre Karriere verließ sie den Geliebten. In seiner Leiden-

schaft erkennt sie die Quelle ihres Gesangs.

Rosalbas Notizbuch fällt in den Fluss. Arcadio, der Neffe des Kapitäns, rettet

ihr Manuskript.

Paulas und Alvaros erstes Abendessen an Bord endet im Streit.

Der Kapitän plaudert mit der fremden Passagierin. Nach und nach erkennt

er in ihr die Grimaldi. Florencia muss erfahren, dass Cristóbal seit langem im

Regenwald verschollen ist.

Beim Kartenspiel verschärfen sich die Spannungen zwischen Paula und

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Im Hafen von Manaus

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Alvaro, dagegen werden sich Rosalba und Arcadio mehr und mehr ihrer

Zuneigung bewusst, entscheiden sich aber dennoch gegen die Liebe, weil sie

verletzt.

Ein Sturm nimmt immer bedrohlichere Züge an. Der Kapitän wird ohnmäch-

tig. Alvaro kann eine Kollision des Schiffes mit Baumstämmen verhindern,

fällt aber dabei über Bord. Die „El Dorado“ läuft auf Grund.

2. Akt

Nacht. Das havarierte Schiff liegt bewegungslos am Flussufer. Florencia ruft

nach Cristóbal. Rosalba und Arcadio fi nden nicht den Mut, zu ihrer Liebe zu

stehen. Paula trauert um Alvaro.

Am Morgen setzt sich die „El Dorado“ wieder in Bewegung. Als Paula dem

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aus seiner Ohnmacht erwachten Kapitän vom Tod ihres Mannes berichten

will, erscheint Alvaro plötzlich an Bord. Er begreift, dass der Klagegesang

seiner Frau ihn zurück ins Leben geholt hat.

Rosalba entdeckt ihr durch Wasser und Sturm ruiniertes Manuskript. Floren-

cia tröstet sie und erzählt von der Liebe zwischen der Grimaldi und Cristóbal.

Rosalba erkennt in der Fremden ihr Idol. Sie beschließt, sich ihren Gefühlen

nicht mehr zu verschließen.

Der Kapitän meldet die bevorstehende Ankunft in Manaus. Die Vorfreude der

Passagiere wird von Riolobo unterbrochen: In Manaus herrscht eine Cholera-

Epidemie. Die „El Dorado“ darf nicht einlaufen. Die verzweifelte Florencia

trauert um Cristóbal. In ihrem Gesang, der einem Liebestod gleicht, vereinigt

sich ihr Geist mit dem verlorenen Geliebten.

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Der Hochmut Europas ist alt. Im Anthro-

pologischen Museum von Mexiko Stadt

sind die Überreste der reichen Musik-

kultur der Azteken zu besichtigen, die

von den erobernden Spaniern gründlich

zerstört wurde. Hernan Cortéz brachte

Musiker mit, die umgehend Schulen für

die europäische Musik aufbauten. Die

katholischen Mönche sorgten für die

Bildung von Chören und Orchestern in

Kathedralen und Klöstern, aus denen bald

auch Komponisten von Kirchenmusik her-

vorgingen, deren Werke bis heute bekannt

sind. Schon um 1600 entstanden erste Mu-

Zwischen Nationalismus und Globalisierung:

Oper in Lateinamerika

P

Zur Musik

von Bernd Feuchtner

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sikdrucke. Bereits vor 300 Jahren, 1708,

wurde im Palast des Vizekönigs die erste

mexikanische Oper aufgeführt – ihr Kom-

ponist war der Domkapellmeister Manuel

Zumaya. Der Titel seiner Oper Parthenope

(1711) verweist allerdings auf Neapel:

Die italienische Oper war das Vorbild und

ihre aktuellen Produkte wurden durch

eigene Aufführungen oder später durch

Gastspiele italienischer Operntruppen

bekannt, die per Schiff den ganzen Konti-

nent bereisten. Schon im Barock entwi-

ckelte sich eine eigenständige Kultur, was

sich nach der Unabhängigkeit 1813 noch

verstärkte. Die mexikanische Opernszene

prosperierte so, dass 1825-28 Manuel Gar-

cía mit seiner eigenen italienischen Truppe

eine sehr erfolgreiche Tournee durch die

USA und Mexiko unternahm. Berühmt

war die mexikanische Primadonna Angela

Peralta (1845-83), die auch in der mexika-

nischen Oper Guatimotzin von Aniceto

Ortega auftrat. Weitere Opernkomponisten

waren Cenobio Paniagua (1812-82) und

Melesio Morales (1838-1908), dessen

Werke auch in Europa bekannt wurden,

und später Ricardo Castro (1866-1907) und

Gustavo Campa (1863-1934), die sich an

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der französischen Oper oder an Wagner

orientierten.

1866 war das Konservatorium der Socie-

dad Filarmónica Mexicana gegründet wor-

den, dessen Leiter später Carlos Chávez

(1899-1978) wurde, Schüler von Manuel

María Ponce und heute vielleicht der be-

kannteste mexikanische Komponist. Seine

Musik ist stark von der neuen Haltung

nach der Revolution von 1910 beeinfl usst

und wendet sich bewusst indianischen

und folkloristisch-mexikanischen Stoffen

zu, die in einem von Strawinsky beein-

fl ussten, aber ganz eigenständigen Stil be-

arbeitet sind. Seine Oper Panfi lo and Lau-

retta auf ein Libretto von Chester Kallman

wurde 1957 in New York an der Columbia

University uraufgeführt; in Mexiko kam sie

als El amor propiciado heraus und wurde

international in der revidierten Fassung als

The Visitors bekannt. 1949 veröffentlichte

er das Buch La música mexicana. Sein

Assistent Silvestre Revueltas (1899-1940)

war Dirigent des von Chávez gegründeten

Sinfonieorchesters von Mexiko und Pro-

fessor für Violine und Kammermusik am

Konservatorium und wurde vor allem mit

seinem Orchesterstück Sensemaya inter-

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national bekannt, doch gab es im 20. Jahr-

hundert noch eine ganze Reihe weiterer

talentierter Komponisten. Das Zentrum

des Musiklebens ist der Palacio de Bellas

Artes im historischen Zentrum von Me-

xiko Stadt, dessen Äußeres im Gründer-

zeitstil beginnt und dessen Inneres dank

der langen Bauzeit in Art-Deco-Marmor

schwelgt, daneben gibt es das Stadttheater

und den Konzertsaal der Uni-Stadt im Sü-

den. Das Festival Internacional Cervantino

in Guanajuato hat sich zu einem Salzburg

Lateinamerikas entwickelt.

Alberto Ginastera (1916-1983) ist der

bekannteste Komponist Argentiniens, der

seinen eigenen Weg einer argentinischen

Musik zwischen dem europäisch-nord-

amerikanischen Neoklassizismus und

argentinischer Folkore suchte. Er teilte

interessanterweise seine Musik in drei

Perioden ein: „Objektiver Nationalismus“

(1934-1948), „Subjektiver Nationalismus“

(1948-1958) und “Neo-Expressionismus

(ab 1958). In seiner Cantata para la

América é Mágica von 1962 verwendete

er Texte der Mayas, Azteken und Inkas.

Seine Opern Aeroporto (Opera buffa, UA

1961 in Bergamo), Don Rodrigo (UA 1964

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in Buenos Aires), Bomarzo (UA 1967 in

Washington) und Beatrix Cenci (UA 1971

in Washington)wurden eher im Ausland

gespielt. Ginastera ging 1945/47 zu Aaron

Copland nach Tanglewood und unterrich-

tete danach in wichtigen argentinischen

Konservatorien. 1968 kehrte er in die USA

zurück, um ab 1970 in Europa zu leben.

Astor Piazzolla hatte es vergleichsweise

leichter, mit seiner einzigen Oper María

de Buenos Aires auch ein internationales

Echo zu fi nden – der Tango ist die Quelle

seiner Musik und mit dem Tango wurde

auch seine Tango-Operíta populär. Davon

nicht unbeeinfl usst blieb auch Osvaldo

Golijov, der 1960 in einem osteuropäisch-

jüdischen Haushalt in La Plata aufwuchs.

Weltweit bekannt wurde er 2000 durch

seine in Stuttgart uraufgeführte Markus-

passion. Im letzten Sommer inszenierte

Peter Sellars in Santa Fé Golijovs Oper

Ainadamar, die bei Publikum und Presse

bestens ankam. Golijov steht wie Catán

für eine neue, undogmatische und frische

Musik, die sich nicht mehr um europä-

ische Regeln kümmert, sondern ihren

lateinamerikanischen Impulsen vertraut.

Das größte Land Lateinamerikas,

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Palacio de Bellas Artes in Mexiko

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Brasilien, hat auch die vielfältigste Musik-

tradition. Auch hier hat sich das Kultur-

leben vor allem seit der Unabhängigkeit

1822 entwickelt. Ein Dutzend Opernhäuser

pfl egt die Musikdramatik – mit wech-

selnder Qualität. Das berühmteste ist

sicherlich das legendäre Teatro Amazonas

in Manaus, das seit einiger Zeit wieder

regelmäßig und auf hohem Niveau bespielt

wird. Die Stadttheater von Rio und São

Paulo sind die größten Institutionen,

doch auch andere Zentren verfügen über

regelmäßige Operntheater; vor drei Jahren

wurde auch in Belém an der Amazonas-

mündung das alte Teatro da Paz mit einem

Opernfestival wiedereröffnet. Im 19. Jahr-

hundert tourten italienische Opernkom-

pagnien regelmäßig an der Küste entlang

bis nach Buenos Aires und hielten so die

Brasilianer auf dem Laufenden. Ein großer

Opernliebhaber war Kaiser Pedro II., der

1831 auf den Thron kam und 1889 durch

einen Militärputsch gestürzt wurde, weil

er die Sklavenbefreiung betrieb. Er hatte

den Bau des Bayreuther Festspielhauses

unterstützt und den begabtesten Kom-

ponisten des Landes zum Studium nach

Mailand geschickt: Carlos Gomes wurde

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21und Folklore ins Feld führte.

Teatro la Paz in Belém

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dort ein erfolgreicher Opernkomponist, der

den Verismo vorausnahm und auch lateina-

merikanische Stoffe vertonte. Der Indianer

Il Guarany wurde mehrfach von Plácido

Domingo gesungen. Am Ende seines Lebens

kehrte Gomes 1895 nach Brasilien zurück

und gründete in Belém das Konservatorium,

das er jedoch nur für kurze Zeit leiten konn-

te, da er schon 1896 starb. Carlos Gomes

war sicherlich der bedeutendste brasilia-

nische Künstler des 19. Jahrhunderts. Im

20. Jahrhundert beanspruchte diesen Platz

Heitor Villa-Lobos, ein äußerst eigenwilliger

Komponist, der zwischen Bach-Verehrung

(Bachianas Brasileiras) und nationaler

Eigenständigkeit seinen Weg fand. Es

wurden aber auch zahlreiche andere

Komponisten bekannt, so der aus Manaus

stammende Claudio Santoro (1919-1989)

durch die Verwendung serieller Techniken;

er unterrichtete ab 1970 an der Musik-

hochschule Heidelberg-Mannheim. Wie

viele seiner brasilianischen Kollegen war

Santoro von dem Deutschen H. J. Koell-

reutter ausgebildet worden, der 1939 die

Gruppe Musica viva Brasil gegründet und

die Zwölftonmusik gegen Nationalismus

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Magische Orte

c

Zum Komponisten

Geboren 1949 in Mexiko Stadt, studierte Daniel Catán Philosophie und Musik

an den Universitäten von Sussex und Southampton und schloss sein Studium

erfolgreich in Princeton ab. Nach seiner Rückkehr nach Mexiko wurde er mu-

sikalischer Verwalter am Palacio de Bellas Artes in Mexiko Stadt. Dort entwi-

ckelte er „eine tiefe innere Bindung an Gesang und Oper und an die magische

Welt der Bühne“.

Die Aufführung seiner zweiten Oper Rappaccini’s Daughter an der San Diego

Opera 1994 bedeutete die erste Produktion einer mexikanischen Oper in den

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Vereinigten Staaten; sie basiert auf der Nacherzählung einer Geschichte von

Nathaniel Hawthorne durch Octavio Paz. Gabriel García Márquez, der 1991

die Uraufführung von Rappaccini’s Daughter miterlebt hatte, bot Catán an,

mit ihm an einer neuen Oper zu arbeiten. Als Catán aus mehreren Werken

des kolumbianischen Schriftstellers eine Opernstory entwickelt hatte, schlug

García Márquez ihm Marcela Fuentes-Berain als Librettistin für Florencia vor.

Er komponierte das Werk in Tepoztlán, einem magischen Ort oberhalb von

Cuernavaca, der einstigen Sommerresidenz der Aztekenherrscher. Diese Oper

wurde nach ihrer Uraufführung in Houston, Texas, auch in Seattle, Los An-

geles, Manaus und Bogotá gezeigt. In Houston gab es 2002 eine Wiederaufnah-

me, in Seattle 2005.

Daniel Catán schrieb auch Musik für Orchester, Kammerensemble und Film.

En un Doblez del Tiempo (In einer Zeitfalte) wurde 1982 vom Nationalen Sin-

fonieorchester unter Sergio Cardenas uraufgeführt und später vom Philharmo-

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nischen Orchester der Stadt Mexiko

eingespielt. Sein Solostück Encan-

tamiento für einen Spieler von zwei

Blockfl öten wurde von Horacio Fran-

co in aller Welt gespielt. Daniel Catán

lebt heute in Los Angeles und erhielt

dort 1998 den Placido-Domingo-Preis

der Los Angeles Opera. Für dieses

Haus schreibt er zur Zeit an einer

Oper nach der verfi lmten Erzählung

Il Postino von Antonio Skármeta, in

der Placido Domingo die Rolle Pablo

Nerudas übernehmen soll.

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Magischer Realismus in der Oper

J

Zum Libretto

Die Verbindung literarischer und musikalischer Traditionen gehört zu den Vor-

bedingungen der Opernkunst. Mozart und Rossini wurden durch die Schau-

spiele von Beaumarchais inspiriert; Verdis Liebe zu Shakespeare ist in Otello

so evident wie in Falstaff; Wagner arbeitete für seinen Ring alte nordische Sa-

gen um; Debussy benutzte für Pelléas et Mélisande ein symbolistisches Drama

als Libretto. Daniel Catán, der talentierte mexikanische Komponist, bleibt die-

ser fruchtbaren Tradition treu: Florencia en el Amazonas ist die bedeutendste

von Efrain Kristal

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Oper, die die lateinamerikanische Literatur von heute fruchtbar macht.

Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts waren die lateinamerikanischen

Schriftsteller ihrer selbst nicht sicher. Sie schrieben in dem Gefühl, dass ihre

Originalität von der Geographie und dem Lebensstil der Neuen Welt abhing,

doch ebenso in dem offenen Bewusstsein der Unterlegenheit gegenüber

dem europäischen Roman. Diese Situation änderte sich schlagartig, als der

kubanische Autor Alejo Carpentier die lateinamerikanischen Kollegen dazu

aufforderte, die überbordende, exzessive Qualität der lateinamerikanischen

Realität zu feiern. Carpentier drängte die lateinamerikanischen Schriftsteller

dazu, das auszubeuten, was bisher als unrealistisch und jenseitig unterdrückt

wurde. In seinen eigenen Texten schreckte er nicht vor der Schilderung eines

Diktators zurück, der eine Festung aus Bullenblut bauen ließ, oder grandio-

ser Opernhäuser und Konzertsäle, die auf karibischen Inseln oder mitten im

Amazonas-Dschungel entstanden.

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Der von Carpentier initiierte Stil wurde als Magischer Realismus bekannt

und unterstellt entweder eine besondere lateinamerikanische Sensibilität

für den Realismus oder dass der lateinamerikanischen Realität etwas Phan-

tastisches anhaftet. Der wichtigste Exponent dieser neuen Richtung wurde

der Kolumbianer Gabriel García Márquez, der den Nobelpreis für Romane

wie Hundert Jahre Einsamkeit erhielt, in denen die Mittel des literarischen

Realismus auf die Darstellung phantastischer Ereignisse und die der phanta-

stischen Literatur auf die Darstellung des Alltäglichen angewandt werden.

Florencia en el Amazonas ist eine Parabel auf das Leben, den Tod und die

Liebe, inspiriert durch die reiche literarische Tradition lateinamerikanischer

Schriftsteller wie Alejo Carpentier und Gabriel García Márquez. Und tatsäch-

lich bezeichnet die Librettistin der Florencia, Marcela Fuentes-Berain, ihre

Arbeit als „eine Hommage an Gabriel García Márquez“.

Bevor die Oper sich von dem spielerischen und skurrilen Element Lateiname-

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rikas abhebt, beginnt sie mit einer Szene lateinamerikanischer Tanzrhythmen;

sie verbinden sich gut mit Catáns eigenem musikalischen Stil, der das Drän-

gen eines Puccini mit den zarten Dissonanzen eines Strawinsky und anderer

moderner Komponisten mischt, die die Gefühle ansprechen. Diese Szene ne-

ben einem Schiff, das Menschen und Güter auf dem Amazonas transportiert,

präsentiert eine reiche Palette von Früchten, Pfl anzen und anderer Produkte

der Neuen Welt, die seit Jahrzehnten Gegenstand lateinamerikanischer Litera-

tur sind.

Wie ihre literarischen Vorbilder unternimmt auch die Oper den Schritt vom

Skurrilen zum Wunderbaren, indem sie allzumenschliche Konfl ikte und

Vorurteile untersucht. Die oberfl ächlich exotische Atmosphäre, mit der die

Oper beginnt, weicht bald einem der anspruchsvollsten Themen lateinameri-

kanischer Literatur: Der Flussreise als Ursprung von Wundern, Gefahren und

der Selbsterkenntnis, einer neuen Welt, die noch unbenannt ist, einer Welt,

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deren Natur so verführerisch wie gefahrvoll ist. Florencia, die Titelfi gur, kehrt

nach einer langen, erfolgreichen Karriere als Opernsängerin nach Lateiname-

rika zurück. Die Diva ist inkognito unterwegs zum Opernhaus von Manaus im

Herzen des Amazonas-Dschungels. Ihre Reise bedeutet die Rückkehr zu ihren

Ursprüngen und zu Cristóbal, dem Schmetterlingsfänger (ihr amazonischer

Papageno), ihrem verlassenen Liebhaber.

Ihre Mitreisenden werden von Riolobo vorgestellt, ein magisches Geschöpf

des Flusses, das in vielerlei Erscheinungen und Verkleidungen auftritt. Zu

ihren Reisegefährten gehören Paula und Alvaro, ein Ehepaar; Rosalba, die

Journalistin, die ein Buch über Florencia geschrieben hat; der Kapitän, der im

Einklang mit seinem Beruf steht; Arcadio, sein Neffe und Lehrling, der damit

unzufrieden ist.

Die Oper wird dominiert von dem Bild eines Schiffes, das ins Herz des

Dschungels fährt: zum Mittelpunkt des Universums an einer Flussbiegung,

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eine tiefe Kluft wie eine Liebeswunde, die nach Heilung sucht. Florencia ist

auf der Suche nach ihrem Liebhaber, voller Angst, der Dschungel könnte ihn

verschluckt haben; Rosalba und Arcadio fi nden unerwartet die Liebe; Paula

und Alvaro haben die Liebe vergessen. Tief im Herzen des Dschungels schlägt

die Gefahr zu: In der Gefahr müssen sich alle Beteiligten zur Liebe verhalten;

je mehr sie jedoch ihre Bindung mit dem Leben festigen, desto risikoreicher

leben sie.

In der umwerfenden Schluss-Szene der Oper spürt Florencia die Gegenwart

ihres Schmetterlingsfängers: Die Oper bleibt geheimnisvoll unentschieden, ob

sie ihn fi ndet oder nicht, ob sie überlebt oder nicht. Diese unbeantworteten

Fragen werden jedoch gegenstandslos, weil die Oper uns mit einer tieferen

Einsicht entlässt, die die persönlichen Fragen ihrer Personen überlagert:

Das Gefühl der Aussöhnung mit dem Leben, so wie es ist und wie es den Tod

besiegt. Und hier liegt die stärkste Verbindung von Florencia mit Gabriel

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García Márquez, als eine Hommage an seinen Roman Liebe in den Zeiten der

Cholera. In dem Roman wie in der Oper ist die Liebe die Kraft, die dem Leben

und dem Tod Bedeutung verleiht: In beidem erleben wir die Erfahrung eines

universellen Themas aus lateinamerikanischer Perspektive.

(Deutsch von Bernd Feuchtner)

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Schönheit und Bedrohung

g

Zur Inszenierung

von Michael Beyer

Florencia en el Amazonas erzählt von einer Reise, die uns gleichermaßen

äußere und innere Welten entdecken lässt. Die äußere Reise ist schnell be-

schrieben: Eine Fahrt auf dem Amazonas von der kolumbianischen Grenzstadt

Letica bis kurz vor Manaus. Ein Auftritt der berühmten Sängerin Florencia

Grimaldi im Teatro Amazonas der Kautschukstadt ist Anlass und Ziel der Tour.

Gleichzeitig führt das Stück in das Innere der Figuren und konfrontiert die

Protagonisten mit zentralen, persönlichen Fragen von Selbstverwirklichung,

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Freiheit, Beziehung, Liebe und Tod. Obwohl das Stück uns zeitlich entrückt ist,

wirken die Figuren in ihrer Spaltung zwischen Bindungssehnsucht und Unab-

hängigkeitsdrang modern und „heutig“.

Der Komponist Daniel Catán selbst hat gesagt, dass er keinen Postkarten-Ama-

zonas abbilden wollte. Auch für uns war die Reproduktion von Exotik keine

Option. Zudem bringt die Musik den Amazonas zum Klingen. Wichtiger als das

Abbild des Amazonas ist seine Wirkung: Die Verschränkung von Schönheit

und Bedrohung, die Isolation und die fi ebrig-erhitzte Atmosphäre schaffen

eine erhöhte Sensibilität und werfen die Reisenden auf sich selbst zurück. Die

Amazonasfahrt als Chiffre einer Seelenreise und „Prüfung“ ist ein wichtiger

Topos der lateinamerikanischen Literatur und zentral auch für das Verständnis

von Florencia. Der Kapitän bestätigt diese Metaphorik, wenn er seinem Neffen

sagt, auf dem Fluss gehe es immer nur vorwärts, es gäbe kein hin und her, kein

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„Zurück“. Nur konsequent, dass die Reise kein „Ziel“ erreicht, sondern ihren

Endpunkt in der Konfrontation mit der Cholera (einer Todes-Metapher) fi ndet.

Jede Erscheinungsform von Natur wird doppeldeutig aufgefasst.

Die Gleichzeitigkeit von „Innen“ und „Außen“ fi ndet ihre Entsprechung in

dem Konfl ikt der Titelfi gur. Florencia ist eine Frau, die zwischen „Singen“ und

„Leben“ keine Verbindung herstellen konnte und das „Singen“ gewählt und auf

ihr eigentliches „Leben“ verzichtet hat. Die Übernahme fremder Identitäten

als rollenspielender „Opernstar“ kompensiert den Mangel an eigener Identität.

Riolobo, eine Art Flussgeist, der gleichermaßen in der magischen Naturwelt

wie der realen Welt der Passagiere zu Hause ist, fi ndet dafür ein schönes Bild,

wenn er sagt, Florencia materialisiere sich nur auf der Bühne und sei als

Privatperson unsichtbar. Ihr eigentliches, emotionales Leben hat Florencia

aufgegeben, als sie ihren Geliebten Cristóbal für ihre Karriere verlassen hat.

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Nach 20 Jahren in einer schweren Krise angelangt, kehrt sie zum Amazonas

zurück, um nach dem Geliebten und damit auch nach ihrem verlorenen „Ich“

zu suchen. Das macht auch den Titel der Oper mehrdeutig: Florencia en el

Amazonas – die Diva als Reisende auf dem Amazonas und als liebende Frau

im Amazonas. Meint Riolobo also Florencia, wenn er von einem tiefen Riss,

einer „Liebeswunde“ tief im Wasser erzählt?

Florencia hat Cristóbal in ihrer Erinnerung konserviert und idealisiert; ge-

gen alle Wahrscheinlichkeit hofft sie, ihn „irgendwo“ in Manaus zu treffen,

obwohl sie seit 20 Jahren nichts voneinander gehört haben. Doch Florencia

muss lernen, dass es, wie der Kapitän sagt, kein „Zurück“ gibt: Cristóbal ist

verschwunden, es gibt kein Wiedersehen. Doch der „magische Realismus“ des

Gesangs schafft einen Raum, in dem eine Vereinigung der Liebenden auf einer

spirituellen Ebene vollzogen wird.

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Teatro Amazonas in Manaus

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Noam Zur ist Erster Kapellmeister und Stellvertretender Generalmusikdirek-

tor des Theaters und Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg und

noch ein Jahr jünger als der GMD. Geboren 1981 in Israel, gilt er als einer der

vielversprechendsten Nachwuchsdirigenten seines Landes. 2005 debütierte

er beim Israel Philharmonic Orchestra, bei den Bochumer Symphonikern und

dem Orchester des Staatstheaters Kassel und im Januar 2006 gab er ein Son-

derkonzert mit dem Israel Chamber Orchestra.

Dirigent

Noam Zur

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Im September 2003 dirigierte Noam Zur eine Konzertreise mit dem Schweizer

Festival Orchester I Sinfonietti 01 durch Österreich, Deutschland und die

Schweiz. Aufgrund dieser Tournee und des überaus positiven Echos der Presse

ernannte ihn das Orchester zum Principal Guest Conductor (2003-2005).

Nach der erfolgreichen Teilnahme am Wettbewerb in Besançon (September

2001) wurde er Assistant Conductor beim Young Israel Philharmonic Orchestra.

Das Jerusalem Symphony Orchestra (RSO) lud ihn ein, im März 2002 die Ur-

aufführung von Menachem Zurs Concerto for Orchestra zu dirigieren. Seither

arbeitet er regelmäßig mit diesem Orchester zusammen und leitete mehrere

Konzertserien.

Teilgenommen hat er an Meisterkursen u. a. bei Zubin Metha, Prof. Jorma

Panula, Prof. Ilya Musin, Neeme Järvi, Roberto Paternostro, Stephan Tetzlaff

und Georg Fritzsch. Im Januar 2003 wurde Noam Zur in das Dirigentenforum

des Deutschen Musikrates aufgenommen.

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Michael Beyer wurde in Celle geboren. Er studierte in Hamburg Klavier,

Musikpädagogik und Musiktheater-Regie bei Götz Friedrich. Es folgte ein Stu-

dium der Filmregie in New York. Von 1993 bis 1997 war er Spielleiter an der

Hamburgischen Staatsoper und arbeitete dort mit Regisseuren wie Johannes

Schaaf, Harry Kupfer, Ruth Berghaus, Andreas Homoki und Peter Mussbach.

Seit 1998 arbeitet er freischaffend für Bühne und Fernsehen. Zu seinen

Opernarbeiten zählen Don Pasquale und La Sonnambula am Staatstheater

Regisseur

Michael Beyer

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Oldenburg, sowie Hänsel und Gretel und Die lustigen Weiber von Windsor

am Staatstheater Nürnberg. Für Fernseh- und DVD-Produktionen führte er

Regie bei Features über Galina Wischnewskaja, Mstislaw Rostropowitsch und

Stephen Sondheim. Die Arbeit als Regisseur von Konzertaufzeichnungen mit

Künstlern wie Claudio Abbado, Riccardo Chailly, Pierre Boulez, Mauricio Pol-

lini, René Fleming oder Anna Netrebko führen ihn regelmäßig in die großen

Musikzentren.

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Hans Richter hat an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach studiert und

anschließend am Staatstheater Stuttgart und am Thalia Theater Hamburg

unter anderem für Rolf Glittenberg, Wilfried Minks und Robert Wilson als As-

sistent gearbeitet. Seit 1990 arbeitet er freiberufl ich als Bühnenbildner, unter

anderem am Volkstheater Wien, am Landestheater Innsbruck, am Thalia Thea-

ter Hamburg. In Heidelberg war er zuletzt für die Ausstattung der Inszenierung

von Molières Menschenfeind tätig.

Bühnenbild & Kostüme

Hans Richter

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Am Staatstheater Nürnberg stattete Hans Richter die deutsche Erstaufführung

von Jon Fosses Das Mädchen auf dem Sofa in der Regie von Dirk Schulz aus:

das „poetisch bebilderte Spiel auf mehreren Zeitebenen in transparenten,

stimmungsvoll ausgeleuchteten Räumen des phantastischen Bühnenbildners

Hans Richter“ wurde dabei besonders hervorgehoben. An Schmidt’s Tivoli

in Hamburg stattete Hans Richter die Show Swinging St. Pauli von Thomas

Matschoß aus, der auch Regie führte.

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Paula

Carolyn Frank, Mezzosopran

Carolyn Frank wurde in Georgia/USA ge-

boren. Nachdem sie am Converse College

in South Carolina ihr Bachelor of Music-

Diplom mit Auszeichnung erworben hatte,

setzte sie ihre Studien am Curtis Institute

of Music in Philadelphia fort. Von 1979

bis 1983 war Carolyn Frank als Mezzoso-

pranistin am Staatstheater Saarbrücken

engagiert. Seit 1986 ist sie Solistin in

Heidelberg. Außerdem tritt sie als Konzert-

und Oratoriensängerin auf. Am Heidelber-

ger Theater ist sie zur Zeit als Prinzessin

Margaret in Rombergs Studentenprinz und

als Gräfi n im Wildschütz zu sehen.

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Alvaro

Aaron Judisch, Bariton

Aaron Judisch wurde in Iowa/USA

geboren und absolvierte seine Gesangs-

ausbildung am Luther College und an der

Northwestern University. 2001 gewann er

den ersten Preis in der Union League Arts

Foundation Competition und belegte den

jeweils zweiten Platz bei den Wettbe-

werben der Palm Beach Opera und der

Bel Canto Foundation. Von 2001 bis 2003

war er am Houston Opera Studio und

sang verschiedene Rollen an der Hous-

ton Grand Opera und bei der Wolf Trap

Opera. Der Bariton ist seit der Spielzeit

04_05 Mitglied des Opernensembles in

Heidelberg. Nach Egäus in Berenice singt

er zur Zeit den Grafen im Wildschütz.

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Florencia Grimaldi

Larissa Krokhina, Sopran

Geboren 1974 in Kurgan, Russland. Von

1994 bis 2000 Gesangsstudium an der

Chorkunstakademie in Moskau. Ein

DAAD Stipendium ermöglichte ihr weitere

Studien an der Staatlichen Hochschule für

Musik und am Institut für Musiktheater in

Karlsruhe. Anschließende Engagements

führten die junge Sopranistin nach Colmar,

Bruchsal, Dortmund, Bremen, Hamburg

und nach Japan. Ab 2001 war sie Stipendi-

atin des Internationalen Opernstudios des

Badischen Staatstheaters Karlsruhe. Ab der

Spielzeit 05_06 ist sie Ensemblemitglied am

Theater und Philharmonischen Orchester

der Stadt Heidelberg, wo sie zur Zeit auch

als Donna Elvira im Don Giovanni, als

Kathie im Studentenprinz und als Baronin

im Wildschütz zu sehen ist.

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Rosalba

Maraile Lichdi, Sopran

Aus Schwaigern bei Heilbronn stammend,

studierte Maraile Lichdi Gesang bei Maria

Venuti, Charlotte Lehmann, Hilde Zadek

und Carmen Duran sowie Musik-Kinäs-

thesie bei Dr. Ernst Huber-Contwig. 1999

machte sie ihren Diplomabschluss in

Würzburg. Ihr Operndebüt gab sie 1998

am Staatstheater Stuttgart als Solistin in

Al gran sole carico d’amore von Luigi

Nono unter Lothar Zagrosek. Des Wei-

teren sang sie unter Kwamé Ryan, Roland

Kluttig, Alexander Rumpf, Roland Böer

und Paolo Carignani. Seit Februar 2000 ist

Maraile Lichdi als Ensemblemitglied am

Heidelberger Theater engagiert, wo sie zur

Zeit auch als Donna Anna im Don Gio-

vanni, als Kathie im Studentenprinz und

als Baronin im Wildschütz zu sehen ist.

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Arcadio

Winfrid Mikus, Tenor

Geboren in Paderborn, erhielt er seine

erste musikalische Ausbildung im Kna-

benchor Hannover bei Prof. Heinz Hennig.

Erster Gesangsunterricht bei Peter Sefcik

in Hannover, von 1984-1991 Studium an

der Hochschule für Musik und darstel-

lende Kunst Hamburg bei Prof. Naan Pöld.

1991- 2002 war er am Theater der Stadt

Heidelberg als Spieltenor engagiert, seit

2002 als Charaktertenor und jugendlicher

Heldentenor am gleichen Haus. Gastspiele

führten ihn an Opernhäuser wie Hamburg,

Berlin (Komische Oper), Stuttgart, Frank-

furt, Köln, Zürich, Mannheim, Wiesbaden,

Kassel, Lübeck und Pforzheim. Daneben

wirkte er an Festspielen mit, Konzertreisen

unternahm er ins europäische Ausland

sowie nach Israel, USA und Japan.

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Kapitän

Wilfried Staber, Bass

Gesangsstudium an der Universität für

Musik und Darstellende Kunst in Graz

und an der Hochschule für Musik und

Theater in München. Es folgten Verpfl ich-

tungen zu Opernproduktionen in Graz,

München, Andechs und Regensburg.

Daneben Tätigkeiten als Oratorien- und

Liedsänger. Er war 2003 Finalist beim

4. Internationalen Wagnerstimmenwett-

bewerb in Bayreuth und im Januar 2004

Preisträger beim Francisco-Vinas-Ge-

sangswettbewerb in Barcelona. Seit der

Spielzeit 04_05 ist Wilfried Staber Mitglied

des Opernensembles am Heidelberger

Theater, wo er zur Zeit auch als Masetto

in Mozarts Don Giovanni und als Baculus

im Wildschütz zu sehen ist.

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Arcadio

Svetislav Stojanovic, Tenor

Geboren 1981 in Nis (Serbien). Von 2000

bis 2004 besuchte er die Musikschule in

Nis. Seit September 2004 studiert Stojano-

vic Gesang bei Prof. Leandra Overmann an

der Hochschule für Musik Würzburg. Seine

Opern- und Konzerttätigkeiten führten ihn

zum Nimus-Festival in Nis, an die Staats-

oper Hannover, das Edinburgh Festival

Theatre und nach Belgrad. Er ist u. a. Preis-

träger des Nationalen Gesangswettbewerbs

in Belgrad, des Nikola-Cvejic-Wettbewerbs

und erhielt den Würzburger Förderpreis

des Armin-Knab-Wettbewerbs. Seit 05_06

ist er Ensemblemitglied am Heidelber-

ger Theater, wo er zur Zeit auch als Don

Ottavio in Mozarts Don Giovanni und als

Baron im Wildschütz zu erleben ist.

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Riolobo

Gabriel Urrutia Benet, Bariton

Geboren 1976 in Valencia (Spanien). Nach

einem Gitarren-, Klavier- und Kompositi-

onsstudium am Conservatorio Elemental

de Musica de Valencia wandte sich der

Katalane Urrutia Benet zunächst der

Chemie zu. Erst nach dem Diplom begann

er sein Gesangsstudium, das er nach

Anfängen in Valencia 2004 an der Berliner

Universität der Künste abschloss. Erste

Engagements führten ihn zur Kammero-

per Schloss Rheinsberg und nach Berlin

zu Puccinis La Bohème, in einen Berliner

Trend-Club von heute versetzt durch

Solvejg Franke, die neue Heidelberger

Regieassistentin. In Heidelberg wurde

er als Leporello in Don Giovanni zum

Publikumsliebling; mit Florencia wird er

zum festen Ensemblemitglied.

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Die Neue Welt und Heidelberg

F

Lateinamerikanische Literatur

Damals verbrachte mein Vater seine Abende über der lutherischen Bibel, die

der Katholizismus meiner Mutter so viele Jahre lang in den Schrank verbannt

hatte. Verdüstert durch die Witwerschaft, verbittert über eine Einsamkeit, für

die ihm die Straße keinen Ersatz bot, hatte mein Vater mit allem gebrochen,

was ihn an diese heiße, brodelnde Stadt band, in der ich zur Welt gekommen

war, und war nach Nordamerika gezogen, wo er seinen Musikalienhandel mit

wenig Glück wieder aufnahm. Die Meditationen über den Ekklesiastes und

von Alejo Carpentier

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über die Psalmen verbanden sich in seinem Kopf mit unerwarteten Sehnsüch-

ten. Damals fi ng er an, mir über die Arbeiter zu sprechen, die sich die Neunte

Sinfonie anhörten. Immer deutlicher übersetzte er seine Misserfolge auf

diesem Kontinent in Sehnsucht nach einem Europa, das er nur noch aus der

Perspektive der strahlenden Höhen, Apotheosen und Festspiele sah. Das, was

er die Neue Welt nannte, war für ihn bloß eine geschichtslose Hemisphäre,

weitab von den großen Traditionen des Mittelmeers, ein Indianer- und Neger-

Land, bevölkert vom Abschaum der großen Nationen Europas – nicht zu

vergessen die klassischen Huren, die von Gendarmen im Dreispitz nach New

Orleans verfrachtet worden waren und denen Querfl öten den Abschieds-

marsch geblasen hatten – wobei ich immer den Eindruck hatte, dass dieses

letzte Detail eher eine Reminiszenz aus seinem Opernrepertoire darstellte.

Umgekehrt sprach er von den Vaterländern, des alten Kontinents mit der

größten Ehrerbietung und entwarf vor meinen staunenden Augen eine Heidel-

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berger Universität, die ich mir nur begrünt von ehrwürdigem Efeu vorstellen

konnte. So wanderte ich denn im Geist von den Theorben des Engelskonzerts

zu den erlauchten Tafeln des Gewandhauses, von Sängerkriegen zu Potsdamer

Konzerten und lernte die Namen von Städten, die allein durch ihren Klang

Traumstätten heraufbeschworen: Ocker, Gold oder Bronze – wie Bonn,

Schwanengefi eder – wie Siena. Was aber mein Vater, für den das Hochhalten

bestimmter Grundsätze das eigentliche Haben der Kultur darstellte, vor allem

betonte, war die große Ehrfurcht, die man dort dem geheiligten Menschenle-

ben entgegenbrachte. Er erzählte mir von Schriftstellern, die in der Abgeschie-

denheit ihres Arbeitszimmers ganze Monarchien zum Wanken gebracht hätten,

ohne dass irgend jemand sie zu behelligen gewagt hätte. Und immer mündeten

seine Reden über Zolas J‘accuse, über Rathenaus Redeschlachten, Töchter der

Kapitulation Ludwigs XVI. vor Mirabeau, in Betrachtungen über den unaufhalt-

samen Fortschritt, die stufenweise Sozialisierung, eine kollektive Kultur und

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endeten bei den aufgeklärten Arbeitern, die dort drüben in seiner Geburts-

stadt neben einer Kathedrale aus dem 18. Jahrhundert ihre Mußezeit in

öffentlichen Bibliotheken verbrachten und die, statt sonntags in der Messe zu

verdummen – der Kult der Wissenschaften hatte dort den Aberglauben

abgelöst – mit ihren Familien in die Konzertsäle strömten, um die Neunte

Sinfonie anzuhören. So sah ich sie denn seit meiner Jugend, diese Arbeiter in

blauen Blusen und Kordsamthosen, wie sie tief ergriffen von dem genialen

Atem des Beethovenschen Werks vielleicht gerade demselben Trio lauschten,

dessen warme, schmeichelnde Phrasierung jetzt in den Stimmen der Violon-

celli und Bratschen aufklang. Der Zauber dieser Vision hatte so stark gewirkt,

dass ich nach dem Tod meines Vaters das wenige Geld aus seiner mageren

Erbschaft und den Erlös aus dem Verkauf von Sonaten und Partituren dazu

verwendet hatte, meine geistige Heimat kennenzulernen. Eines schönen Tages

überquerte ich den Ozean und war fest überzeugt, dass ich niemals zurückkeh-

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ren würde. Aber am Ende einer Lehrzeit des Staunens, die ich später scherz-

haft die Anbetung der Fassaden nannte, begegnete mir eine Wirklichkeit, die

zu den Lehren meines Vaters auffallend im Widerspruch stand. Weit entfernt,

die Augen auf die Neunte Sinfonie zu heften, war die Intelligenz geradezu

darauf versessen, im Gleichschritt durch Triumphbögen aus roh gezimmertem

Holz und Totempfählen mit alten Sonnensymbolen zu marschieren. Der

Übergang von Marmor und Bronze früherer Apotheosen zu einem gigantischen

Aufwand an Fichtenholz, Einwegbrettern und Wahrzeichen aus steifem

Goldpapier hätte diese Menschen, die da vor dem Lautsprecher den allzu

aufgeblähten Worten lauschten, misstrauischer machen sollen, dachte ich.

Aber es sah nicht aus, als ob es so wäre. Jedermann hielt sich für ungeheuer

berufen, viele setzten sich zur Rechten Gottes und richteten über Menschen

früherer Zeiten, die das Verbrechen begangen hatten, die Zukunft nicht

vorauszusehen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein Heidelberger

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Teatro Colón in Buenos Aires

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Metaphysiker im Stechschritt seinen jungen Philosophen zum Wahllokal

vorausmarschierte, um seine Stimme denen zu geben, die alles, was auch nur

den Anschein von Geistigkeit erweckte, dem Gespött preisgaben. Ich habe

gesehen, wie Paare zur Sommersonnenwende auf den Blocksberg stiegen, um

alte, längst sinnlos gewordene Weihefeuer zu entzünden. Aber nichts hatte

mich so beeindruckt wie diese Vorladung vor Gericht, dieses grabschände-

rische, strafende Hervorzerren eines großen Toten, der eine Sinfonie mit dem

Choral des Augsburger Bekenntnisses enden ließ, oder jenes, der mit seiner so

reinen Stimme vor den graugrünen Wellen der Nordsee ausgerufen hatte: "Ich

liebe das Meer wie meine Seele." Ich hatte es satt, mir das Lyrische Intermezzo

nur fl üsternd aufsagen zu dürfen und ständig davon reden zu hören, dass

wieder eine Leiche auf der Straße aufgefunden worden war, dass neue Terror-

aktionen und neue Auswanderungen bevorstanden, und so fl üchtete ich wie in

den Schutz heiliger Stätten in den tröstlichen Halbschatten der Museen und

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begann dort meine ausgedehnten Reisen durch die Zeit. Aber sooft ich aus den

Pinakotheken kam, war es draußen nur noch schlimmer. Die Zeitungen riefen

zum Mord auf. Die Gläubigen zitterten unter der Kanzel, wenn ihre Bischöfe

die Stimme erhoben. Die Rabbiner versteckten die Thora, die protestantischen

Pfarrer wurden aus ihren Kirchen vertrieben. Vor aller Augen wurden die Riten

aufgelöst, das Wort zerbrochen. Nachts warfen Studenten altehrwürdiger

Fakultäten auf öffentlichen Plätzen Bücher in brennende Scheiterhaufen. Auf

Schritt und Tritt stieß man in diesem Kontinent auf die Photographien von

Kindern, die bei der Bombardierung offener Ortschaften getötet worden

waren, hörte man von Gelehrten, die in Salzbergwerken gefangengehalten

wurden, von rätselhaften Entführungen, Hetzjagden und Fensterstürzen, von

Bauern, die in der Stierkampfarena erschossen wurden. Ich staunte über den

Unterschied zwischen der Welt, nach der mein Vater sich so sehr gesehnt hatte,

und der, die ich hier, empört und zutiefst verwundet, zur Kenntnis nehmen

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musste. Wo immer ich das Lächeln eines Erasmus, den Discours de La Metho-

de, den humanistischen Geist, den faustischen Drang und die apollinische

Seele suchte, stieß ich auf Autodafés und Ketzergerichte, auf die politischen

Prozesse, die nur eine andere Art von Gottesurteilen waren. Kein berühmtes

Tympanon, keinen Glockenturm, keinen Wasserspeier oder lächelnden Engel

konnte man sich ansehen, ohne dass einem nicht gesagt wurde, darin kündige

sich bereits die neue Bewegung an, und das, was die Hirten vor der Krippe

anbeteten, sei eigentlich gar nicht das, was der Krippe ihren Glanz verleihe.

Ich hatte diese Epoche satt. Und der Gedanke war schrecklich, dass es in

dieser Welt ohne Verstecke, in dieser seit Jahrhunderten gebändigten Natur,

wo eine fast vollständige Synchronisation aller Existenzen dazu geführt hatte,

dass nur noch um zwei oder drei zu Tode gerittene Probleme gekämpft wurde,

keinen Fluchtweg gab außer der Phantasie. Propagandareden ersetzten die

Mythen, Slogans die Dogmen. Angeekelt von den in Erz gegossenen Gemein-

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plätzen, von der zensierten Schrift und den menschenleeren Hörsälen reiste

ich wieder dem Atlantik zu, ent- schlossen, ihn nun in umgekehrter Richtung

zu überqueren. Zwei Tage vor meiner Abreise betrachtete ich einen kaum

bekannten Totentanz auf den Holzbalken des Beinhauses von Saint Sympho-

rien in Blois. Es war eine Art Scheunenhof, überwuchert von Unkraut, einge-

sponnen in jahrhundertealte Trauer, und über den Pfeilern war noch einmal

das unerschöpfl iche Thema abgehandelt: die Eitelkeit allen Prunks, Skelette

unter wollüstigem Fleisch, vermoderte Rippen unter dem Messgewand des

Prälaten, unter dem Kleid des Trommlers, der in diesem Knochenkonzert mit

zwei Schienbeinen die Trommel schlug. Aber der armselige Scheunenhof als

Kulisse für dieses unvergängliche Gleichnis, nahe dabei der trübe, aufgewühlte

Fluss, die Bauernhöfe und Fabriken ringsum, die Schweine, die sich unter dem

jahrhundertealten, vom Regen graugewaschenen Schnitzwerk dieser Figuren

des Todes suhlten wie das Schwein des heiligen Antonius, gaben diesem Bild

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von Asche, Staub und Vergänglich-

keit eine einzigartige Gültigkeit in

der Gegenwart. Und die in Beetho-

vens Scherzo so häufi g gerührten

Pauken gewannen schicksalhafte

Aussagekraft, als ich sie mit jener

Darstellung im Beinhaus von Blois

zusammenhielt, vor dem mich, als

ich es verließ, die Nachtausgaben

der Zeitungen mit der Nachricht vom

Ausbruch des Krieges überraschten.

Stadttheater São Paulo

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Herausgeber: Theater und Philharmonisches

Orchester der Stadt Heidelberg

Intendant: Peter Spuhler

Verwaltungsleiterin: Andrea Bopp

Redaktion: Bernd Feuchtner

Gestaltung: atelier september

Herstellung: abcdruck GmbH, Heidelberg

Anzeigen: Greilich / Neutard

Nachweise

Fotos: Archiv.

Texte: Efrain Kristal: Booklet von Albany

Records. Alejo Carpentier, Die verlorenen

Spuren, aus dem Spanischen von Anneliese

Botond, Frankfurt 1977, S. 114-119.

Die Beiträge von Michael Beyer und Bernd

Feuchtner sind Originalbeiträge für dieses Heft.

Wenn wir trotz unserer Bemühungen Rechte-

inhaber übersehen haben sollten, bitten wir

um Nachricht.

Internet: www.theaterheidelberg.de

Theater und Philharmonisches Orchester

der Stadt Heidelberg

2005_06, Programmheft Nr. 25

Impressum

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