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Innovative Kompetenzentwicklung in der Altenpflege Eine Branche auf neuen Qualifizierungswegen ISBN 978-3-00-057647-8 1 | 2017 TRANSITION Publication Series for Participative Innovation and Transfer 1 | 2017

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Innovative Kompetenzentwicklung in der AltenpflegeEine Branche auf neuen Qualifizierungswegen

ISBN 978-3-00-057647-8 1 | 2017

TRANSITION

Publication Series for Participative Innovation and Transfer

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Impressum

TRANSITION

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TRANSITION – Publication Series for Participative Innovation and TransferBand 1 | 2017: Innovative Kompetenzentwicklung in der Altenpflege – Eine Branche auf neuen QualifizierungswegenISBN 978-3-00-057647-8Erscheinungsort: GelsenkirchenHerausgeber: Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP) e.V. Verlag: FIAP e.V.V.i.S.d.P.: Dr. Rüdiger Klatt, Silke SteinbergBezugsadresse: FIAP e.V., Munscheidstraße 14, 45886 GelsenkirchenLektorat: Ursula MeyerLayout: Q3 design GbR, Druck: print24.de, Abbildungen: alle FIAP/maxQ.; außer: Fotolia.com: fotogestoeber (S.1), Kzenon(S.1 ), Robert Kneschke (S.4, 6, 14), Arto (S.7), Yuri Arcurs (S.11, 27)), Luftbildfotograf (S.18), gilleslougassi (S.21), gb (S.25), contrastwerkstatt (S.36),Gerhard Seybert (S.36); Shutterstock (S.1, S.24)

Band 1 der TRANSITION – Schriftenreihe für partizipative Innovation und Transfer basiert aufden Ergebnissen des Projektes HYBRICO: Hybrides Pflegecoaching für informell Pflegende. Es wird gefördert durch das Land Nordrhein-Westfalen unter Einsatz von Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regio nale Entwicklung (EFRE) 2014 – 2020: „Investitionen in Wachstumund Beschäf tigung“ (FKZ EFRE-0800250; AZ LeitmarktAgentur.NRW: GE-1-1-008A).

Projektpartner

Gefördert durch

Der Band präsentiert gleichfalls Ergebnisse des Projektes AGEKO: Integriertes Trainingskonzeptfür selbstbestimmte, innovative und präven tive Arbeits gestaltungskompetenz in der Pflege, das im Rahmen des Bundesprogramms „Fachkräfte sichern – weiter bilden und Gleichstel lungfördern“ aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Bundesministeriums für Arbeitund Soziales (BMAS) geför dert wird (Projektnummer ZMV II1-E023-NW-124).

Innovative Kompetenzentwicklung in der AltenpflegeEine Branche auf neuen Qualifizierungswegen

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Impressum

Editorial: Silke Steinberg, Rüdiger KlattInnovative Kompetenzentwicklung in der Altenpflege – Eine Branche auf neuen Qualifizierungswegen

Motivation

Silke SteinbergKultureller und institutioneller Wandel in der Pflege – Kollaboration als Medium einer gemeinsamen, neuen Wertekultur

Silvia MarienfeldZur Notwendigkeit von innovativen Bildungsdienstleistungen für Bildungs unternehmen im Gesundheitswesen

Situation der Pflege

Rüdiger KlattArbeitsgestaltungskompetenz in der informellen Pflege?

Christiane HernándezDas Projekt AGEKO – Ein integriertes Trainingskonzept für selbstständige, innovative und präventive Arbeitsgestaltungskompetenz in der Pflege

Romina Große, Jochen ScharfAltenpflege sichern – Überblick über die Ergebnisse einer Befragung und Interviews in der Altenpflegebranche

Bernd LöfflerAltenpflege 2030 – Zukunftsszenarien in Pflege und Ausbildung aus Praxissicht

Interview mit Claudia Middendorf, Silke Steinberg„Pflege braucht einen Anwalt.“

Innovative Praxis

Interview mit der DGB-Vorsitzenden Jutta Reiter, Elisabeth MeyerDie Pflege von Angehörigen aus gewerkschaftlicher Sicht

David HawigPflege 4.0 – Herausforderungen der Digitalisierung für die Pflege

Romina Große, Christiane Hernández Führungskulturen in der Pflege – Typische Führungskarrieren und ihre Probleme

Maurizio de MatteisKreativität und Improvisation in der Pflege – Zur Bedeutung von künstlerisch-schöpferischen Anreizen in der Unterstützungvon Beschäftigten in der häuslichen und ambulanten Pflege

Marie Jégu, Jochen ScharfAktivierende Alltagsgestaltung und aktive Arbeitsgestaltung in Pflege und Betreuung – Synergien für eine gute Lebensqualität

Elisabeth MeyerPflegecoaching 4.0 – Qualifizierung für eine neue Dienstleistung zur Unter stützung informell Pflegender

Autorenhinweise

Inhalt

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In den Projekten HYBRICO und AGEKO werden Bildungs-dienstleistungen in Co-Creation aller relevanten Akteureim offenen Innovationsprozess mit zielgenauer Bedarfs-orientierung entwickelt, gemeinsam umgesetzt, evaluiertund optimiert.

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Die Voraussetzungen moderner Gesellschaften verändernsich beständig auf allen Ebenen und das in einem rasantenTempo. Die Pflegebranche reagiert wie kaum eine andereBranche sensibel auf diese gesellschaftlichen Veränderun-gen. Die Bedarfe der Pflegenden und der zu Pflegendenwandeln sich aufgrund von demografischen Veränderun-gen, Migrationsbewegungen, kulturellem Wandel und auchdurch den Wandel der institutionellen und organisationalenRahmenbedingungen. Beschäftigte in der Pflege, aber auchinformell Pflegende, die in Zukunft wohl immer wichtigerwerden, sind mit Herausforderungen konfrontiert, für derenBewältigung sie systematisch unterstützt werden müssen.Dazu bedarf es einer kontinuierlichen Kompetenzentwick-lung, die sozusagen agil, das heißt offen und flexibel ver-laufen muss, um sich immer wieder den neuen Gegeben-heiten anzupassen. Ein herkömmliches Verständnis vonAusbildung, dass auf zeitlich begrenzte einmalige Qualifi-zierung setzt ist nicht mehr ausreichend, um den Qualifizie -rungsbedarf abzudecken. Auch traditionelle Strategien, umAusbildungen und Qualifizierungen zu konzipieren, die inder Regel auf Kurrikula setzen, die einmalig von Expertenentwickelt werden, um dann über Jahrzehnte die Unter-richtsinhalte und -praxis festzulegen, sind nicht ausreichend,um die zu Qualifizierenden im Pflegealltag angemessen zuunterstützen. Neben den fachlichen Kompetenzen werdenüberfachliche Potenziale und deren Entwicklung immerentscheidender, um in dieser Branche gute Arbeit zu reali-sieren. Hier eröffnet sich ein neues Handlungsfeld für Bil-dungsdienstleister in Gesundheitsberufen, das weit überdas traditionelle Themenspektrum hinausgeht und dasprägend ist für eine innovative Arbeits-, Branchen- und Or-ganisationskultur.

Die kollaborative Entwicklung von Bildungsdienstleistun-gen und neuen Ideen für die Dienstleistungsentwicklungin der Pflege bieten die Möglichkeit sowohl die Bildungs-unternehmen im Gesundheitsbereich, als auch die profes-sionell und informell Pflegenden in einer Art und Weise zuunterstützen, die es einerseits den Bildungsunternehmenerlaubt, ihre Dienstleistungen an den aktuellen Bedarfenzu orientieren und auf der anderen Seite die zu Qualifizie-renden genau an der Stelle auffängt, an der Unterstützungnötig ist. Darüber hinaus entstehen so neue Geschäftsideenfür die Unternehmen, die an den sich verändernden Kun-denbedarfen orientiert sind.

Die Projekte HYBRICO und AGEKO, die beide in Zusammen-arbeit von FIAP e.V. und maxQ. durchgeführt werden, setzenhier mit ihrer Arbeit an. In beiden Projekten geht es um dieKonzeption innovativer Bildungsdienstleistungen, die aufdie neuen Bedarfe von professionell und informell Pflegen-den antworten. In beiden Projekten werden diese Bildungs-dienstleistungen zunächst in einem offenen Innovations-prozess, das heißt auf der Basis von Co-Creation, an der

alle Akteure beteiligt sind, entwickelt und dann gemeinsamumgesetzt, evaluiert und optimiert. Der Evaluations- undOptimierungsprozess ist dabei nicht als abgeschlossene,ergebnisorientierte Entwicklung zu betrachten, sondernbleibt offen. Die zielgenaue Bedarfsorientierung und dieseAnpassung sind nur durch die Integration aller relevantenAkteure und die kollaborative Entwicklung der Dienstleis-tung möglich.

Das Projekt HYBRICO fokussiert als Zielgruppe die informellPflegenden, aber auch die professionell Pflegenden, die ineiner Coachingtätigkeit für diese Gruppe der Pflegendeneine neue berufliche Perspektive finden und sie in ihrerKompetenzentwicklung unterstützen. Im Projekt wird inpartizipativen Workshops eine Coachingausbildung entwi-ckelt, die durch eine interaktive Webseite und eineSmartphone-Applikation unterstützt wird. Insbesonderedie digitale Unterstützung, aber auch die Inhalte des Coa-chings werden durch die Zusammenarbeit aller Beteiligten(informell Pflegende, professionell Pflegende, Experten) ge-staltet, um so bedarfsgenau eingesetzt werden zu können.Das Projekt AGEKO unterstützt professionell Pflegende inder Entwicklung ihrer Arbeitsgestaltungskompetenz, diesie in die Lage versetzen soll, präventiv, innovativ und inBalance mit ihrem Privatleben den Arbeitsalltag zu meis-tern. Der Fokus liegt hier sowohl auf den Individuen alsauch auf den Organisationen. Auf beiden Ebenen sollenStrukturen entstehen, die ein innovatives und präventivesArbeiten in der Branche möglich machen. Dazu werden mitden Unternehmen und den Beschäftigten maßgeschnei-derte Kompetenzentwicklungskonzepte erarbeitet, die inden einzelnen Unternehmen unterschiedliche Schwer-punkte haben.

Beide Projekte haben einen gemeinsamen Fokus und vielegemeinsame Querschnittsthemen. Ziel ist es, über die kol-laborative Entwicklung von Bildungsdienstleistungen undihre Umsetzung einen kulturellen und institutionellen Wan-del im Interaktionssystem Pflege dahin gehend zu unter-stützen, dass sowohl Beschäftigte in der Pflege als auchinformell Pflegende über eine gezielte Kompetenzentwick-lung ihre Handlungsbefähigung im Interaktionssystem ver-bessern, sich selber schützen und zu einer bedarfsgerech-ten, innovativen und menschlichen Pflegekultur in unsererGesellschaft beitragen.

Das hier vorgestellte Schwerpunktheft der Schriftenreihe„Transition“ des Projektes HYBRICO in Kooperation mit demVerbundprojekt AGEKO stellt die Ergebnisse der Projektezur Diskussion und gibt einen Einblick in eine Branche aufneuen Qualifizierungswegen.

Silke Steinberg, Rüdiger Klatt August 2017

Innovative Kompetenzentwicklung in der Altenpflege –Eine Branche auf neuen Qualifizierungswegen

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Im Zuge des Wandels müssen Organisations-prozesse und Gestaltungsprinzipien neu defi -niert werden. Kulturen, Institutionen und Or-ganisationen müssen mit dem Wandel Schritthalten, um zu überleben. Das bedeutet, dassKulturen auch in Institutionen und Organisa-tionen nicht als geschlossene Gebilde zu be-trachten sind, sondern als agiler Prozess, derin kontinuierlicher Transformation begriffenist. Auch das Interaktionssystem Pflege ist vonWandel betroffen. Dieser Überlegung liegt einkonstruktivistischer Ansatz von Kultur zu-grunde. Kultur wird dabei verstanden als ge-meinsame Welt von Bedeutungen, Erfahrun-gen, Werten, Symbolen, Wissen und Praktikeneines wie auch immer gearteten Kollektivs. „Kultur nenne ich den Wissensvorrat, aus demsich die Kommunikationsteilnehmer, indemsie sich über etwas in einer Welt verständigen,mit Interpretationen versorgen“ (Habermas,1988, S. 203).Jeder Mensch nimmt an unterschiedlichenKollektiven und Kommunikationen teil und istdaher an sich multikulturell. Er ist dabei immer

Silke Steinberg

Kultureller und institutioneller Wandel in der Pflege – Kollaboration als Medium einer gemeinsamen, neuen Wertekultur

Wandel ist ein Strukturmerkmal moderner Gesellschaften und betrifft alle Ebenen und Bereiche

des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Baumann hat dies als „liquid modernity“ bezeichnet

und verweist damit auf die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Bau-

mann, 2000). Individualisierung und Pluralisierung, Wertewandel, Globalisierung, Digitalisierung,

die Dekonstruktion tradierter Rollen und sich wandelnder Märkte in einem verschärften Wett -

bewerb sind Schlagwörter, die die Veränderungen beschreiben.

nicht nur Produkt, sondern auch Produzentvon Kultur, denn er bringt seinen spezifischenmultikulturellen Hintergrund in das Kollektivund die Kommunikation ein. (vgl. zu einemoffenen Kulturbegriff Steinberg, 2017). In der Pflegebranche stellt die Notwendigkeitdes Wandels im Kontext von sich transformie-renden Kulturen und der Anpassung an neuegesellschaftliche Rahmenbedingungen die Ak-teure vor große Herausforderungen. Ein offe-nes, konstruktivistisches Verständnis von Kul-tur, kann hier ein großes Potenzial bedeuten.

Gegenstand dieses Heftes sind zwei Projekte,deren Entwicklungen auf die Unterstützungvon Transformation in der Pflegebranche undhier insbesondere auf die Transformation vonOrganisationskulturen, Organisationsprozes-sen und Gestaltungsprinzipien in der Brancheabzielen und auf die Rolle, die Bildungsdienst-leistungen in diesem kulturellen Wandel spie-len können. In beiden Projekten wird die trans -disziplinäre Kollaboration aller beteiligtenAkteure für die Entwicklung dieser Dienstleis-

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sam getragen und gelebt. Die belastenden Aspekte desWandels für die Individuen können so minimiert werden.Auf diesem Hintergrund ergeben sich neue Qualifizierungs-bedarfe für die Akteure in den Organisationen und neueHorizonte für die Entwicklung von Bildungsdienstleistungenbei den Bildungsanbietern.

Auf den dargestellten unterschiedlichen Ebenen der Orga-nisationskultur sollen im Folgenden die Anforderungenund die entstehenden Qualifizierungsbedarfe einer „kolla-borativen“ Organisationskultur, wie sie sich in den Projektendargestellt haben, beschrieben werden. Dabei ist der Begriffder Kollaboration konzeptionell zu verstehen. Die gleich-berechtigte, demokratische Zusammenarbeit vieler hete-rogener Akteure ist das wesentliche Strukturmerkmal kol-laborativer Wertschöpfungsprozesse. Kollaboration gehtdabei über das Konzept der Partizipation hinaus, bei dembereits zu Beginn des Prozesses feste Erwartungen das Zielbetreffend existieren. Kollaboration meint einen autonomen,agilen Prozess.

Kulturelle Aspekte der kollaborativen OrganisationskulturIm Projekt AGEKO werden Maßnahmen entwickelt, die ei-nen kulturellen Wandel in der Pflege unterstützen sollen.In HYBRICO wurde mit informell und professionell Pflegen-den eine Maßnahme entwickelt, die zu einem neuen Selbst-verständnis von professionell Pflegenden (als Coaches)führt und auch die Situation der informellen Pflege nach-haltig beeinflusst. Dieser Wandel wird von Organisationenund Individuen in der Pflege als nötig empfunden und ge-wollt, kommt aber nur sehr schwierig voran, was auch anden Voraussetzungen der Branche in Deutschland liegt. InDeutschland ist Pflege ein Niedriglohnsektor. Nur wenige

tungen, als Schlüssel für ein Gelingen der Transformations-prozesse betrachtet. Die Organisationen und auch die Ins -titutionen der Pflege stehen vor der Notwendigkeit, sichden sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbe -dingungen anzupassen und der Herausforderung diesenWandel in ihrer Kultur und ihren Organisationsprozessenzu gestalten. Nur eine Organisationskultur, die den gesell-schaftlichen Rahmenbedingungen entspricht, wird positivwahrgenommen, unterstützt die Qualität der Pflege undsomit das Wohlbefinden der zu Pflegenden, die Gesundheitund Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter und damit dieBetriebsergebnisse der Organisationen. Der Begriff der Organisationskultur umfasst geteilte Werte,Normen und Grundannahmen in der Organisation, aber auchdie Organisationsprozesse. Es lassen sich für die Betrachtungvon Organisationskultur drei Ebenen unterscheiden: • die Kulturebene (Werte, Orientierungen), • die Instrumentalebene (verwendete Instrumente zur Steu -

erung der Unternehmensprozesse) und die • Prozessebene (Handlungen, Kommunikationsprozesse)

(Bamberg et al., 2016, S. 194).

Veränderungsprozesse, bzw. „Restrukturierungen“ im Be-reich der Organisationskultur müssen alle Ebenen einbe-ziehen und führen auf der einen Seite zu mehr Markt- undWettbewerbsfähigkeit, auf der anderen Seite bedeuten sieaber auch hohe Risiken für Gesundheit, Motivation und Be-lastungen der Mitarbeiter, wie Untersuchungen in restruk-turierten Organisationen zeigen. Hemmende Faktoren inVeränderungsprozessen sind vor allem Unsicherheit undAngst. Hier spielt in der Pflege vor allem die qualitative Ar-beitsplatzunsicherheit eine wichtige Rolle, das heißt, dieAngst, dass sich Arbeitsbedingungen negativ verändernoder persönliche Nachteile entstehen. Entscheidend für die Restrukturierung von Organisationenist aber nicht allein die kollaborative Ebene innerhalb derOrganisation, sondern auch die Öffnung im Hinblick auf ex-terne Partner. Ein kundenintegrativer Ansatz verändert nichtnur Produkte und Dienstleistungen, die von Unternehmenangeboten werden. Er restrukturiert Organisations- und Ar-beitsprozesse und unterstützt auch im Pflegebereich dasUnternehmen am Markt. Die kundenintegrative Entwick-lung des Pflegecoachings 4.0 im Projekt HYBRICO und diePositionierung der neuen Dienstleistungen im Angebot dermitwirkenden Unternehmen, führt dies deutlich vor Augen.Der hier vorgeschlagene und in den beiden Projekten er-probte Lösungsansatz zielt auf eine konsequente Etablie-rung von Partizipations- und Kollaborationsstrukturen, indenen die Akteure in den Organisationen und außerhalbder Organisationen auf Augenhöhe an Entscheidungspro-zessen beteiligt werden, Werte und Orientierungen defi-nieren und gleichberechtigt Verantwortung übernehmen.Eine kollaborative Organisationskultur ist von souveränem,selbstbewusstem Handeln aller Akteure gekennzeichnet,durch transparente Kommunikation und soziale Unterstüt-zung. Notwendige Veränderungsprozesse werden so gemein -

In den skandinavischen Länderncharakterisiert sich Pflege durchUniversalismus, Professionalität und einen hohen Organisationsgrad.

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junge Menschen entscheiden sich diesen Be-ruf zu ergreifen und es gibt eine hohe Fluk-tuation. Die Organisationen in der Branchekämpfen, um sich am Markt und angesichtsdes Fachkräftemangels zu behaupten undsind personell chronisch unterbesetzt undnur unzureichend vernetzt. Der geringe Orga-nisationsgrad und die spät einsetzende Pro-fessionalisierung stehen im Zusammenhangmit der Tatsache, dass nach wie vor Pflege inDeutschland am Modell der familien basiertenPflege orientiert ist, das heißt Pflege wird vor-rangig durch Angehörige geleistet, bei niedri-ger öffentlicher Finanzierung.

Vergleicht man die Ausgangslage mit der inLändern mit serviceorientierten Pflegesyste-men, das heißt mit Systemen, die auf vorran-gig professionelle Pflege, bei einem gleichzei-tig hohen Anteil an öffentlicher Finanzierungsetzen, fällt vor allem der hohe Professionali-sierungsgrad der Pflege in diesen Ländern auf.Beispielsweise in den skandinavischen Län-dern charakterisiert sich Pflege durch Univer-salismus, Professionalität und einen hohenOrganisationsgrad. Während der letzten 50Jahre gab es kontinuierliche Professionalisie-rungsbemühungen, die auch zu einem ganz-heitlichen Selbstverständnis der Branche undzu einer hohen Wertschätzung der Pflegebe-rufe innerhalb der Gesellschaft geführt haben.Die Organisationskulturen in serviceorientier-ten Pflegesystemen, die sich durchlaufendprofessionalisieren und den Bedingungen der„Liquid Modernity“ anpassen konnten zeigen,wie eine moderne, kollaborative Organisati-onskultur gestaltet ist.

Kennzeichnend ist ein ganzheitlicher Blick aufden Beschäftigten als Individuum und die Or-ganisation als zusammenhängenden Orga-nismus unterschiedlicher Individuen. Skan-dinavische Ansätze zur Entwicklung vonOrganisation und Individuum in der Pflegesetzen zunächst auf strukturelles Empower-ment. Dazu gehört eine direkte Partizipationder Beschäftigten an Organisationsprozessenund enthierarchisierte Organisationsformen.Die Vermittlung eines beruflichen Selbstver-ständnisses und die Fähigkeit wertschätzendeDialoge auf allen Interaktionsebenen zu führen,sind wichtige Aspekte der Personalentwick-lung. Trotz aller Probleme, die es aufgrund

der Schwierigkeiten der Finanzierbarkeit einergrößtenteils staatlich finanzierten Pflege auchin Skandinavien gibt, können die hier geleb-ten Organisationskulturen dennoch als weg-weisend für die Gestaltung gelten. Vor demHintergrund der kulturellen Aspekte einer kol-laborativen Organisationskultur, wurden inden Projekten HYBRICO und AGEKO die Instru -mentalebene und die Prozessebene gestaltet.

Instrumental- und ProzessebeneDie Instrumentalebene einer Organisations-kultur umfasst Maßnahmen zur Steuerung derUnternehmensprozesse. Hier stehen beispiels -weise Leitbilder und Führungssysteme, aberauch konkrete Instrumente, wie Zielvereinba-rungs- oder Rückkehrergespräche und Ge-sundheits- oder Qualitätszirkel im Fokus.Diese Instrumente sind konkrete Andock-punkte an denen das Projekt AGEKO ansetzt,um im Sinne einer innovativen „Arbeitsgestal-tungskompetenz“ die Mitarbeiter einer Or -ganisation zu befähigen diese Instrumentekollaborativ zu gestalten. Der gemeinsameGestaltungsprozess führt zu einer hohen Ak-zeptanz der Instrumente und unterstützt eineCorporate Culture. Für diesen Entwicklungs-prozess werden die Individuen auf der Pro-zessebene in ihrer Handlungsbefähigung undin ihren kommunikativen Kompetenzen ge-stärkt. Die dazu benötigten Qualifizierungs-maßnahmen werden individuell auf die Or-ganisationen zugeschnitten und mit ihnengemeinsam konzipiert. In den Unternehmenzeigen sich unterschiedliche Bedarfe, die auchvon den unterschiedlichen Profilen und Rah-menbedingungen der Unternehmen abhän-gen. Der kollaborative Ansatz führt abergrundsätzlich zu einer Reflexion der Führungs-und Teamstrukturen und zu mehr partner-schaftlicher Kommunikation und kooperati-vem Handeln.

Genau diese Aspekte ermöglichen im ProjektHYBRICO den Entwicklungsprozess mit exter-nen Partnern. Sowohl für die Entwicklung desCoachings als auch für die der digitalen Un-terstützungsinstrumente sind das Wissen undder Input der Kunden elementar. Der kollabo -rative Entwicklungsprozess setzt ein gemein-sames Kommunikationssystem, eine gemein-same Sprache und die Bereitschaft auf einan-der zuzugehen voraus.

In den einzelnen Maßnahmen zeigt sich, dasstraditionelle Qualifizierungsmodelle nichtmehr greifen, da die Anforderungen desHandlungsfeldes Pflege immer komplexerwerden und rein fachlich konzipierte Qualifi-zierungskonzepte nichts bewirken. So wirdbeispielsweise Pflegenden in der häuslichen,ambulanten Pflege eine hohe Sozialkompe-tenz in der Interaktion mit Patienten und An-gehörigen abverlangt. Sie müssen die Fähig-keit haben, sich immer wieder auf neueSituationen einzustellen und selbstbestimmtzu reagieren. Der kunstpädagogische AnsatzImprovisationskunst zu vermitteln (s. Beitragde Matteis, S. 28) bietet hier ganz neue Wege,die die Individuen in ihrer Handlungsbefähi-gung stärken. Ein solcher Ansatz schult auchdas Vermögen zur Kollaboration.

In HYBRICO werden neue Qualifizierungswegegewählt, die vor allem auf die Ausbildung vonSozialkompetenz und überfachlichen Fähig-keiten setzen. Die ausgebildeten Coachesmüssen in der Lage sein das eigene Interakti-onssystem mit dem Coachee dialogisch zugestalten, diesen aber auch in seiner Gestal-tungskompetenz für die Beziehung zum zupflegenden Angehörigen unterstützen.

Auf allen drei Ebenen der Organisationskulturzeigt sich, dass ein kollaborativer Ansatz dazubeitragen kann, den kulturellen Wandel in derPflegebranche zu unterstützen und die Risikenund Hemmnisse für die Individuen zu mini-mieren. Kollaborative Gestaltung einer ge-meinsamen Werte- und Organisationskulturverbessert Arbeitsbedingungen und hat dasPotenzial die Pflege als moderne und inno-vative Branche aufzuwerten.

LiteraturBamberg, E., Dettmers, J., Tanner, G. (2016): Diffundie-

rende Grenzen von Organisationskulturen – die Rollevon Kundinnen und Kunden. In: Badura, B. et al.(2016): Fehlzeiten-Report 2016, Springer

Baumann, Z. (2000). Liquid modernity. Cambridge: Po-lity Press

Habermas, J. (1988). Der philosophische Diskurs derModerne. Suhrkamp

Steinberg, S. (2016). Transkulturalität als Potenzial inoffenen Innovationsprozessen. In Steinberg, S. et al.(2016), Kooperative Entwicklung von Altenpflegeaus-bildung für China – Ein Modell für den Bildungsexport.Münster: LIT Verlag

Steinberg | Kultureller und institutioneller Wandel in der Pflege

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Die Lernwelt und Lernarrangements habensich in den vergangenen dreißig Jahren kon-tinuierlich verändert und weiterentwickelt.Ansätze findet man in der Veränderung derAusbildungspraxis im dualen Ausbildungssys-tem durch die Einführung eines Lernprozess-begleiters bereits in den achtziger Jahren.Hintergrund war hier die Erkenntnis aus derLerntheorie, dass Lernen nur auf der Basisdes Eigenlernens stattfindet. Dieser Paradig-menwechsel hat mit einer Verzögerung eben-falls Einzug in die Ausbildung der Pflege-undTherapieberufe gefunden. Die Abkehr von derinhaltsdominierten Wissensvermittlung hinzu lernfeld- oder handlungsorientiertem Kom-petenzerwerb nach der Jahr tausendwendedient als Beleg dafür. Gleichwohl wird die voll-ständige Umsetzung derarti ger Lernkonzepteviel Zeit in Anspruch nehmen. Wir werdennoch eine Reihe von Jahren in einer hybridenLernwelt leben. Neben Lernsystemen, die sichan Wissens- und Qualifizie rungszielen orien-tieren, werden aber zunehmend kompetenz-orientierte Lernkonzeptionen an Bedeutunggewinnen (Sauter, 2014).Bildungsdienstleister geraten nun in Verän-derungsprozesse, insofern als sie nun keineStandardangebote an Unternehmen in derPflege vertreiben können, sondern sich an diesich schnell verändernden Bedürfnisse derUnternehmen anpassen müssen. Diese neueOrientierung an den Rahmenbedingungenund spezifischen Qualifizierungsbedürfnissenführt zu einem Umdenken. Das Unternehmen,der Kunde, steht im Fokus der Orientierungfür die Entwicklung eines Bildungsangebotes.Die Nachfrageorientierung prägt den gesam-ten Entstehungs- und Durchführungsprozess.Das bestehende Seminarangebot muss umindividuelle Bildungsdienstleistungen ergänztwerden. Der Kunde wird zum Mitentwicklerdieses neuen Angebotes.

Im Projekt AGEKO kommt seit 2016 dieser An-satz zum Tragen. maxQ. entwickelt mit Unter-

Coaches entwickelt. Das Qualifizierungsan-gebot richtet sich insbesondere an Unterneh-men, die Mitarbeiter zum Coach ausbildenlassen, um andere Mitarbeiter, die neben derArbeit die Pflege eines Angehörigen bewäl -tigen müssen, zu unterstützen. Es richtet sichaber auch an Krankenkassen, ambulantePflege dienste und geriatrische Kliniken, diediese neue Dienstleistung ihren Kunden an-bieten möchten.

Auch hier setzen maxQ. und das FIAP auf in-teraktive und partizipative Strukturen, um denEntwicklungsprozess zu optimieren. Sowohlin der Ausbildung zum Coach als auch in derEntstehung von Dienstleistungen, spielt digi-tale Technik eine Schlüsselrolle. Die Ausbil-dung nutzt neben dem Präsenzunterricht On-linekurse, die die Kursteilnehmer für sichmitgestalten. Im Coaching können dann fürden jeweiligen Kunden ausgewählte Bereichefreigeschaltet werden. Das Projekt verbindetanaloge und digitale Elemente, um zu einemoptimalen Ergebnis zu kommen.

In beiden Projekten eröffnen sich für maxQ.neue Perspektiven. Dem Bildungsanbieter imGesundheitsbereich erschließen sich neueZielgruppen und innovative Bildungsange-bote. Der partizipative Ansatz ermöglicht einepassgenaue und marktgerechte Entwicklungund integriert das Wissen der potenziellenKunden. Nur durch die Bereitschaft zur kon-tinuierlichen Weiterentwicklung der eigenenAngebote, durch Reflexivität und Lernen kannein Bildungsdienstleister wie maxQ. auch zu-künftig in einem komplexen und dynami-schen Markt erfolgreich arbeiten.

LiteraturSchlutz, E. (2006). Bildungsdienstleistungen und Ange-

botsentwicklung. Münster: Waxmann Verlag.Sauter, S. M. & Sauter, W. (2014). Workplace Learning.

Integrierte Kompetenzentwicklung mit kooperativenund kollaborativen Lernsystemen. Berlin, Heidelberg:Springer-Verlag.

Silvia Marienfeld

Zur Notwendigkeit von innovativen Bildungs-dienstleistungen für Bildungsunternehmenim Gesundheitswesen

stützung des FIAPs und dessen Expertise zurkundenintegrativen Entwicklung von Bildungs- dienstleistungen individuelle, auf einzelne Un-ternehmen abgestimmte Qualifizierungspro-gramme. Hierzu werden die unterschiedlichenAkteure in den Unternehmen direkt in den Ent-wicklungsprozess einbezogen. Sie formulierenBedarfe zur Kompetenzentwicklung am Arbeits-platz, die dann zu den einzelnen Maßnahmengestaltet und durch das Beraterteam mit denBeschäftigten umgesetzt werden. Dies führt zueinem geänderten Verständnis der eigenenRolle im Unternehmen, zu mehr Handlungssi-cherheit in Grenzsituationen und zur Bewälti-gung der Herausforderungen in der Pflegear-beit. Ausgangspunkt für die Entwicklung einesBildungsangebotes ist die mit dem Unterneh-men gemeinsam durchgeführ te Bildungsbe-darfsanalyse (Schlutz, 2006, S. 40 ff.). Hier wirddas Aufgabenfeld des Bildungsdienstleistersum eine Beraterfunktion erweitert, der die sys-tematische Einbeziehung des Arbeitsplatzesals Lernort zur Verbindung von Lernen und Ar-beiten als Strukturmerkmal nutzt.Die Zukunftsfähigkeit, die Modernisierungs -chancen und die Entwicklungsmöglichkeiten,nicht nur der Bildungsdienstleister, sondernauch der Unternehmen, sind abhängig vonder Flexibilität mit diesen neuen Lernanfor-derungen umgehen zu können. Insofern sinddies die Voraussetzungen zur lernenden Or-ganisation, die es der Mitarbeiterin und demMitarbeiter ermöglichen, in einer organisatio-nalen Lernumgebung vernetzt mit anderenberufliche Kompetenzen zu entwickeln.

Das Projekt HYBRICO: Hybrides Pflegecoa-ching für informell Pflegende, das maxQ.ebenfalls gemeinsam mit dem FIAP durch-führt, geht noch einen Schritt weiter bei derEntwicklung von innovativen Bildungsdienst-leistungen. Zunächst nimmt es neue Ziel -gruppen in den Blick. Im Projekt wird eineCoachingdienstleistung für pflegende Ange-hörige und ein Curriculum zur Ausbildung der

Im Kontext der europäischen Bildungsprozesse zum lebensbegleitenden Lernen werden

für die dafür erforderlichen Bildungsdienstleistungen in Aus- und Weiterbildung die

Notwendigkeit der Innovation formuliert. Die nun zu beantwortende Frage lautet:

Wie müssen sich die Bildungsdienstleistungen verändern, um den Anforderungen nach

Flexibilität und innovativem, individuellem Kompetenzerwerb gerecht zu werden?

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Gegenstand des Projektes ist die Konzeptio-nierung eines neuen Qualifizierungsangebo-tes für professionell Pflegende. Sie sollen indie Lage versetzt werden, pflegende Angehö-rige zu begleiten und anzuleiten, ihr Handelnund Verhalten gegenüber den zu Pflegenden,aber auch gegenüber den eigenen Bedarfenprofessioneller zu gestalten. Unterstützt wer-den sie dabei von einer dynamischen Websei -te sowie einer darauf aufbauenden mobilenApplikation, die das Coaching von informellPflegenden auch unabhängig von Zeit undOrt unterstützt. Langfristiges Ziel ist es, durcheine neue Dienstleistung die Situation der in-formell Pflegenden – und damit am Endeauch der zu Pflegenden – zu verbessern. ImRahmen der wissenschaftlichen Begleitfor-schung sind dabei folgende Handlungsfeldererkennbar, auf denen sich Anforderungen undProbleme für die nachhaltige Verbreitung desAngebotes abzeichnen und die im Rahmender Erprobungsphase bearbeitet werden.

1. FachlichkeitZielsetzung des Coaching-Konzeptes in HY-BRICO ist ausdrücklich nicht, pflegende An-gehörige zu professionellen Fachkräften zuschulen. Facharbeit als ausgebildete Alten-pflegefachkraft ist ein komplexes und schwie-riges „Handwerk“, das auf einer umfangrei-chen Wissensbasis und einer entsprechendenAusbildung beruht, die sowohl technische,soziale, sozialpsychologische und medizini-sche Fachkenntnisse sowie praktische Fertig-keiten voraussetzt. Die Qualität von Pflege bedarf umfassenderFachkompetenz, auch im Bereich der häusli-chen Pflege. Aufgabe der Coaches für pflegen -de Angehörige ist es daher nicht, Fähigkeitenzu vermitteln, die professionelle Pflegearbeitsubstituieren und sie so entwerten, sondernvielmehr, das Zusammenspiel von notwendi-ger professioneller Pflegefacharbeit und unter -stützender ehrenamtlicher Arbeit z. B. durchAngebote zum Schnittstellen- und Informati-onsmanagement zu verbessern. Für leichtereUnterstützungstätigkeiten pflegender Angehö -

kultur. Diese Kultur wirkt als Sperre gegen eine(schnelle) Digitalisierung von Pflege- und Lern-prozessen. Sie gilt sowohl für die Fachkräftein ambulanten und stationären Einrichtungen.Sie gilt aber auch für pflegende Angehörige.Auf der anderen Seite ist eine kontrollierteund menschengerechte Digitalisierung desPflegesektors notwendig, weil die Personalnotund der demografische Wandel eine Nutzungeffektiverer Formen von Pflegearbeit und Pfle-gelernen möglicherweise erzwingen.

Das Angebot von HYBRICO hat aus diesemGrund auch das Ziel, die Digitalisierung in derPflege in moderater Form nutzerorientiert vo-ranzutreiben und neue, digitale Kommuni ka -tionsformen einzuüben, die bislang in diesemBereich noch immer ein Schattendasein füh-ren. Die Verbindung der direkten individuellenund der virtuellen Unterstützung des Pflegen-den sowie die Integration der zu vermitteln-den Metakompetenzen kennzeichnen daherden Innovationsgehalt des Projektes HYBRICO.

3. Kundenintegrative Entwicklung der DienstleistungIm Projekt HYBRICO soll letztlich eine neueWeiterbildungsdienstleistung entstehen. Wirgehen davon aus, dass es einen Markt dafürgibt. Voraussetzung für die Etablierung amMarkt ist aus unserer Sicht nicht zuletzt, dieBildungsdienstleistung gemeinsam mit poten -ziellen Kunden bedarfsgerecht zu entwickeln.Nur so kann sichergestellt werden, dass dashybride – das analog und digital aufgestellte– Bildungsangebot einen Bedarf trifft und derBildungsdienstleister maxQ. tatsächlich einenMarkt dafür findet. Kundenwissen über diebesonderen Coachingbedarfe von pflegendenAngehörigen zu ermitteln und einzubeziehen– und dabei nicht zuletzt auch die pflegendenAngehörigen selbst zu befragen – gehört des-halb zu den Forschungs- und Entwicklungs-bedarfen, die sich im Rahmen von HYBRICOstellen und durch das Projekt bearbeitet wer-den. Dabei hat sich die Durchführung vonkundenintegrativen Innovationslaboren be-

Rüdiger Klatt

Arbeitsgestaltungskompetenz in derinformellen Pflege?

Im Projekt HYBRICO: Hybrides Pflegecoaching für informell Pflegende wird

durch die Bildungseinrichtung maxQ. und das Forschungsinstitut FIAP

ein innovatives Weiterbildungsangebot zur Unterstützung des Selbstlernens

und Selbstmanagements informell Pflegender entwickelt und erprobt.

riger sollen einfache Tools und Handreichun-gen das Selbstlernen und die Kompetenzent-wicklung in begrenztem Umfang ermöglichen,immer im Bewusstsein der Differenz von pro-fessioneller und ehrenamtlicher Arbeit. DerSchwerpunkt des Coachings liegt auf der För-derung von Gesundheit, Prävention und einerbesseren Balance zwischen Beruf, Pflege- undFamilienarbeit der pflegenden Angehörigen.Begriffe wie Selbstsorge und Resilienz sindein besonderer Fokus des Coachings. Hier be-steht aus unserer Sicht der größte Unterstüt-zungsbedarf. Zu vermeiden ist der Eindruck,dass mit dem Angebot von HYBRICO aus Kos-tengründen bezahlte professionelle Arbeitdurch unbezahlte ehrenamtliche Arbeit (wei-ter) substituiert werden kann oder soll.

2. Virtualisierung des AngebotesEin zweiter Problemkreis verbindet sich mitder Frage, ob eine hybrides, das heißt einer-seits ein klassisches, auf physische Präsenz-veranstaltungen aufbauendes Trainingskon-zept für Coaches und eine digitale Lern- undKommunikationsplattform, die nicht nur den(zukünftigen) Coaches als Lernmedium die-nen, sondern perspektivisch auch die Zusam-menarbeit und das Coaching der pflegendenAngehörigen unterstützen soll, sinnvoll undtragfähig ist. Denn es setzt auf beiden Seiten,also auf Seiten des Coaches wie auch auf Sei-ten des Coachees (d. h. des pflegenden Ange-hörigen) eine grundsätzliche Medienakzeptanzund Medienkompetenz voraus, die dem Leit-bild professioneller Pflegekräfte entgegenläuft.Personale Betreuung, personaler Unterrichtface-to-face gehört nach wie vor zu den kon-stitutiven Merkmalen der deutschen Pflege-

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währt, in denen Praxis, Wissenschaft und Betroffene an ei-nem Tisch über die besonderen Bildungs- und Kommuni-kationsbedarfe an der Schnittstelle zwischen professionel-ler Pflegearbeit und ehrenamtlicher, oft familiärer Pflegesystematisch reflektieren. Dieses Vorgehen gewährleistet mitHYBRICO eine Dienstleistung zu konzeptionieren, die denBedarfen der informell Pflegenden genau angepasst ist.

4. Zielgruppen für das AngebotAls Zielgruppen für das HYBRICO-Weiterbildungsangebotkonnten verschiedene Gruppen bzw. Adressaten ermitteltwerden. Ambulante und stationäre Einrichtungen sind sehrdaran interessiert, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternmit der Schulung zum Coach für pflegende Angehörige ei-nen attraktiven Weiterbildungspfad zu eröffnen. Die Bera-tung dieses Personenkreises gehört ohnehin zu den Aufga -ben vieler Pflegekräfte. Außerdem ist zu erhoffen, dass sichüber diese Schiene weitere Geschäftsfelder für Pflegeein-richtungen erschließen lassen. Der Bedarf für Coaches wirdseitens der Pflegeeinrichtungen als sehr hoch eingeschätzt.Auch die Krankenkassen haben gegenüber HYBRICO Interes -se signalisiert, interessierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterschulen zu lassen. Sie arbeiten bereits seit längerem an Be-ratungs- und Dienstleistungsangeboten für pflegende Ange-hörige. Ihr Interesse besteht darin, mithilfe solcher Angebotedie Gesundheit beider Gruppen zu fördern und die Dop -pelbelastung von pflegenden Angehörigen zu reduzieren.Das Projekt beinhaltet außerdem die Umsetzung und dasErproben der Qualifizierung im maxQ.-Zentrum für Gesund-heitsberufe Dortmund sowie weiteren Fachseminaren fürAltenpflege. Entwickelt wird derzeit ein nachhaltiges Trans-ferkonzept für die neu entstandene Dienstleistung. Hierliegt ein besonderer Fokus auf Angeboten speziell für Un-ternehmen mit einem hohen Anteil an Beschäftigten mitzu pflegenden Angehörigen.

5. Reduzierung betrieblicher Folgekosten von PflegeDie betrieblichen Folgekosten einer mangelnden Vereinbar-keit von Beruf und Pflege sind enorm. Die Doppel- und teil-weise sogar Dreifachbelastung durch Beruf, Familie undpflegebedürftige Angehörige trifft besonders häufig Frauen.Es geht daher auch um die Entschärfung der damit verbun-denen Konflikte durch gezielte betriebliche oder betriebs-nahe HYBRICO-Schulungen, die in das betriebliche Gesund-heitsmanagement integriert werden. Das Ziel ist es, eineReduzierung der Folgekosten (z. B. durch Krankheit, Unter-nehmensaustritt) zu erreichen, die durch eine übermäßigeBelastung der pflegenden Angehörigen entstehen. Gesundeund motivierte Beschäftigte sind für einen nachhaltigen Un-ternehmenserfolg von erheblicher Bedeutung.

Es ist deshalb davon auszugehen, dass Pflegeunternehmen,die ihren Kunden eine neue Dienstleistung anbieten, undKrankenkassen, die durch Prävention einen Beitrag zur Ge-sunderhaltung ihrer (pflegenden) Versicherten leisten wol-len, ein nachhaltiges Interesse an der entwickelten Dienst-leistung haben.

Für eine Etablierung des Angebotes von HYBRICO sind, wiehier gezeigt, zahlreiche Hürden zu überwinden und syste-matische Prozesse der Markterschließung von potenziellenKunden anzugehen. Für potenzielle Anbieter einer solchenWeiterbildungsdienstleistung ist eine Überführung des An-gebotes in eine bezahlte und bezahlbare Dienstleistung not-wendig. Angesichts eines schwierigen Bildungsmarktes istdies nicht selbstverständlich, sondern eine Herausforderungder Projektpartner von HYBRICO, die aktuell bearbeitet wirdmit dem Ziel, die Arbeitsgestaltungs- und Selbstsorgekom-petenz auch im Feld der informellen Pflege dauerhaft zu er-höhen.

Aufgabe der Coaches für pflegende Angehörige ist es, das Zusammenspiel von notwendiger professioneller Pflegefach-arbeit und unterstützender ehrenamtlicher Arbeit zu verbessern.

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Belastende ArbeitsbedingungenGleichzeitig fehlt es in ausreichendem Maße an qualifizier-ten Pflegekräften. Den Anforderungen in den Pflegeberufensind viele Beschäftigte auf Dauer nicht gewachsen. Es sindschwierige Arbeitsbedingungen, körperliche und psychi scheBelastungen sowie suboptimale Qualifizierungs- und Auf-stiegsmöglichkeiten, die ein negatives Bild der Brancheprägen. Hinzu kommen in diesem klassischen „Frauenbe-ruf“ eine niedrige Entlohnung und Probleme bei der Verein -barkeit von Familie und Beruf. Die Repräsentanz von Frauenin Führungspositionen ist nach wie vor inakzeptabel unddie Karrieremöglichkeiten, aber auch die Motivationsstra-tegien tragen nicht dazu bei, diese Situation zu verändern.Dies führt zu hohen Fluktuationsraten, erhöhten Fehlzeitenund nicht selten zu einem frühzeitigen Berufsausstieg weib-licher Pflegekräfte.

Diese Situation wird sich aufgrund des demografischenWandels weiter verschärfen; dabei ist die Altenpflege eineWachstumsbranche von enormer ökonomischer und ge-sellschaftlicher Bedeutung (Hecken, 2012). Sie ist daraufangewiesen, die Arbeitsbedingungen grundlegend zu ver-bessern, um Fachkräfte zu gewinnen, weiterzuentwickelnund auch zu sichern. Deshalb muss Pflege gesundheitsori-entierter, gender-, kultursensibler und effizienter gestaltetwerden. Pflegeberufe müssen eine höhere Wertschätzungerfahren und Pflegenden Perspektiven für individuelle Ent-wicklung bieten. Der aktuelle Status Quo kann nur durcheinen Wechsel im Selbstverständnis der Branche und durchmehr Autonomie auf allen Ebenen verbessert werden.

Das Projekt AGEKO entwickelt vor dem Hintergrund derspezifischen Arbeitsbedingungen und der besonderenArbeits belastungen in der Altenpflege auf drei EbenenQuali fizierungen und unterstützende digitale und analogeInstrumente, um Arbeitsqualität, Arbeitsbedingungen undBeschäftigungsfähigkeit zu verbessern. Grundlage für dieEntwicklungen sind umfangreiche Befragungen und Erhe-bungen in den beteiligten Unternehmen und ein partizi-pativer Ansatz, der durch direkte Integration alle beteiligtenAkteure in die Entwicklungen mit einbezieht.

AGEKO ist ein gemeinsames Projektvorhaben des maxQ.im bfw – Unternehmen für Bildung, Partner für Kompetenzund Qualität im Netzwerk Gesundheit und Soziales, unddem FIAP, Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestal-tung und Prävention e.V.

Zielgruppen der Qualifizierungen sind ältere, erfahrene Be-schäftigte, Berufseinsteigerinnen und -einsteiger mit undohne Migrationshintergrund sowie Führungskräfte und Per-sonalverantwortliche. Ziel der Maßnahmen ist der Aufbauvon Arbeitsgestaltungskompetenz bei den Beschäftigtenund die Stärkung der Handlungskompetenz bei Führungs-kräften und Personalverantwortlichen zur Förderung undUnterstützung der Arbeitsgestaltungskompetenz.

Was ist Arbeitsgestaltungskompetenz?Arbeitsgestaltungskompetenz bedeutet individuelle Kom-petenz des Beschäftigten, die ein ressourcenschonendes,präventives Arbeiten, eine potenzialorientierte Zusammen-arbeit, lebensphasengerechte Karriereplanung und eineBalance zwischen Arbeit und Leben ermöglicht. Arbeitsge-staltungskompetenz befähigt Beschäftigte, autonom undselbstsorgend zu handeln sowie Unterstützungsangebotezu nutzen und einzufordern.

Mit passgenauen Maßnahmen Fachkräfte entwickeln und sichernZurzeit sind 16 Partnerunternehmen der stationären, teil-stationären und der ambulanten Altenhilfe am Projektbetei ligt. Gemeinsam erproben Unternehmensleitungen,Beschäftigte und das Projektteam individuelle betrieblicheWege, um eine zukunftsfähige Personalpolitik, präventiveGesundheitsförderung und Weiterbildungsangebote zurSiche rung der beruflichen Leistungsfähigkeit zu entwickelnund nachhaltig zu etablieren.

Daraus ist ein Katalog unterschiedlicher Maßnahmen undAngebote entstanden, die nicht nur passgenau für die teil-nehmenden Altenpflegeeinrichtungen sind, sondern auchaußerhalb des Projektes in jeweils angepasster Form interes -sierten Unternehmen zur Verfügung stehen. Hierzu wurden

Christiane Hernández

Das Projekt AGEKOEin integriertes Trainingskonzept für selbstständige, innovativeund präventive Arbeitsgestaltungskompetenz in der Pflege

Ausgangssituation für dieses Projekt seit dem Start im Januar 2016 war und ist der drama-

tisch ansteigende Fachkräftemangel in der Altenpflegebranche. Medizinischer Fortschritt und

Forschun gen der letzten Jahrzehnte ermöglichen es, dass Menschen immer älter werden.

Nach aktuellen Studien wird sich bis zum Jahr 2050 die Zahl der Pflegebedürftigen in etwa

verdoppeln (Hämel & Schaeffer, 2012; Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und

Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, 2013).

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Das Projekt wird gefördert im Rahmen derBundesinitiative Gleichstellung von Frauen inder Wirtschaft (www.bundesinitiative-gleich-stellen.de). Dieses Programm wurde vom Bun-desministerium für Arbeit und Soziales ge-meinsam mit der Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände (BDA) unddem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)entwickelt. Das Programm wird aus Mittelndes Bundesministeriums für Arbeit und Sozia -les (BMAS) sowie des Europäischen Sozial-fonds (ESF) finanziert.

LiteraturHecken, J. (2012). Perspektiven und Potenziale des Aus-

bildungs-und Berufsfeldes Altenpflege. G&S Gesund-heits-und Sozialpolitik, 65 (5-6), 38 –43.

Hämel, K. & Schaeffer, D. (2012). Fachkräftemangel inder Pflege – viel diskutiert, politisch ignoriert?. G&SGesundheits- und Sozialpolitik, 66 (1), 41– 49.

Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege undAlter des Landes Nordrhein-Westfalen (2013). Lan-desberichterstattung Gesundheitsberufe Nordrhein-Westfalen 2013. Abgerufen von https://broschueren.nordrheinwestfalendirekt.de/herunterladen/der/da-tei/landesberichterstattung-pdf/von/landesbericht-erstattung-gesundheitsberufe-nordrhein-westfalen-2013/vom/mgepa/1708

nach ausführlichen Gesprächen mit der Leitungund den Führungskräften Status-Quo-Erhebun-gen in den jeweiligen Einrichtungen durchge-führt. Unter anderem sind Fragebogenaktionenund (Inno vations-)Workshops mit Teilnehmen-den aller relevanten Arbeitsbereiche, wiePflege, Alltagsbegleitung, Sozialer Dienst undHauswirtschaft veranstaltet worden.

Auf der Basis dieser Ergebnisse entscheidetsich dann im Dialog, welche Maßnahmen ziel-führend im Sinne der Einrichtung und desProjektes sein werden. Das Portfolio der An-gebote ist vielfältig. Es zielt sowohl auf dieVeränderung des individuellen Verhaltens derEinzelnen als auch auf die Optimierung derVerhältnisse vor Ort. Dazu zählen Führungs-kräftetrainings und -entwicklung mit Themen-schwerpunkten wie Karrieremanagement,Kompetenzprofiling und -erweiterung, Biogra -fiemanagement im Sinne einer guten Work-Life-Balance sowie Handlungsbefähigungdurch Ressourcenstärkung und Selbstsorge.

Weiterhin werden in der gemeinsamen ArbeitInstrumente zur Personalentwicklung undQualifizierungen entwickelt und angepasst.

Dazu gehören Tools wie Quick-Checks zurErfas sung der Belastungssituation bei denBeschäf tigten, ein Leitfaden für Mitarbeiterge -spräche sowie digitale Unterstützungsinstru-mente. Dabei geht es um eine potenzialori-entierte unterstützende Personalarbeit, diedie Arbeitssituation aller Akteure verbessert.Ziel ist ein neues, verändertes Verständnis vonFührung und ein innovatives Selbstverständ-nis von Pflege.

Bei den Maßnahmen für Berufseinsteigerinnenund -einsteiger liegt – neben den Querschnitts -themen Frauen und eigenständiges Gesund-heitsmanagement – der Schwerpunkt im Be-reich Karriere- und Biografiemanagement.Dabei ist es das Ziel, die Karrieremotivationund die Bereitschaft zur selbstständigen Kom-petenzentwicklung zu steigern und die Fä -higkeit zu einem Biografiemanagement, dasArbeit und Privatleben in Balance bringt, zuentwickeln. Modulare Workshop-Reihen fürPflege- und Betreuungskräfte zu Themen wieTeam, Kommunikation, Zeit- und Konflikt -management, Synchronisierung von Arbeits-abläufen, Dienstplangestaltung etc. rundendas Projektangebot ab.

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Aus der BIBB/BAuA-Erwerbstatigenbefragung(2012), die arbeitsbedingte physische, psy-chische und zeitliche Anforderungen sowieRessourcen von Pflegepersonal erfasst undmit den Durchschnittswerten anderer Er-werbstätiger vergleicht, geht hervor, dass diePflegebranche einen Wandel vollziehen muss,um nachhaltig an Attraktivität zu gewinnen,Fachkräfte sichern zu können und die Ge-sundheit von Personal und Patienten in Zu-kunft zu gewährleisten. Die Ergebnisse derBefragung zeigen deutlich, dass es sich in derPflege um eine überdurchschnittlich belaste -te Berufsbranche handelt: So liegen körper -liche und psychische Belastungen deutlichüber dem Durschnitt anderer Branchen(BIBB/BAuA 2012). Psychische und physischeBelastungen resultieren primär aus dem zu-nehmenden Bürokratieaufwand, wahrgenom-mener Arbeitsverdichtung (INQA 2007) sowiedem verstärkten Stresszuwachs der letztenJahre. Zusätzlich werden Kompensations-möglichkeiten wie zum Beispiel Handlungs-spielräume bei der Arbeitsgestaltung als un-terdurchschnittlich wahrgenommen (BIBB/

BAuA 2012). Die Ergebnisse werden gestütztdurch eine Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit aus dem Jahre 2012. Er-werbstätige in der Pflegebranche geben an,nicht ihre Arbeitsaufgabe, sondern die Ar-beitsbedingungen der Branche als große He-rausforderung zu sehen. Daraus resultierendscheiden viele Fachkräfte vor dem gesetzli-chen Rentenalter aus oder wechseln die Be-rufssparte und stehen somit nicht länger fürdie Sicherung des würdigen Alterns zur Ver-fügung (Ver.di, 2013).

Die Fachkräftesicherung in der Pflegebranchekann aus Sicht von AGEKO nur durch einenWechsel im Selbstverständnis der Brancheund durch mehr Autonomie der Beschäftigtenverbessert werden. Ziel des Projektes AGEKOist es deshalb das Pflegepersonal, insbeson-dere der Altenpflege, in den Blick zu nehmenund ihre Arbeit gesundheitsorientierter undeffizienter zu gestalten. Die Kompetenz, dieeigene Arbeit und die Erwerbsbiografie selbst-ständig zu gestalten ist ein wichtiger Schlüsselhierzu. Das Pflegepersonal soll durch die im

Projekt entwickelten Maßnahmen Arbeitsge-staltungskompetenz aufbauen, eine höhereWertschätzung und Perspektiven für indivi-duelle Entwicklung erfahren, um die Attrakti-vität der Branche zu erhöhen. Konkret solldies durch fachliche und überfachliche Qua-lifizierungsmaßnahmen zur Verbesserung derArbeitsbedingungen und der Beschäftigungs-fähigkeit erreicht werden. Eine verbesserteArbeitsgestaltungskompetenz soll dem Perso -nal in Schulungen und Workshops vermitteltwerden und somit ein ressourcenschonendes,präventives Arbeiten ermöglichen. Die Ba-lance zwischen Arbeit und Leben soll erleich-tert werden und dazu befähigen, selbstständigund selbstsorgend zu handeln.

Um der Philosophie des Projektes gerecht zuwerden und bedarfsorientierte, maßgeschnei-derte Qualifizierungsmaßnahmen für die be-teiligten Pflegeunternehmen anbieten zu kön-nen, wird zu Beginn jeweils eine Bestands-aufnahme durchgeführt. Hier kommen der imProjekt entwickelte Fragebogen sowie leitfa-dengestützte Interviews zum Tragen. Ziel der

Romina Große, Jochen Scharf

Altenpflege sichernÜberblick über die Ergebnisse einer Befragung und Interviewsin der Altenpflegebranche

Betrachtet man die demografische Entwicklung in Deutschland so zeigt sich, dass der Bedarf an

pflegerischen Dienstleistungen in der Zukunft enorm steigen wird. Um diesen weiterhin decken

zu können, müssen die Arbeitsbedingungen für (Alten-) Pflegekräfte verbessert werden, damit

fachlich qualifiziertes Personal diese wichtige Arbeit auch in Zukunft bewältigen kann und zeit-

gleich gut für sich selbst sorgt und gesund bleibt (INQA 2007).

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Bestandsaufnahme ist es einen umfassenden Überblicküber die wahrgenommenen Belastungsfaktoren sowie dieeigenen Ressourcen des Pflegepersonals zu erhalten. Vordem Hintergrund der Ergebnisse werden im weiteren Pro-jektverlauf maßgeschneiderte Qualifizierungsangebote inden AGEKO-Handlungsfeldern Prävention und Selbstsorge,Biografie- und Karrieremanagement, Kompetenzentwick-lung und Diversitymanagement entwickelt, die zur Verbes-serung der Arbeitsbedingungen beitragen. Nachfolgendwerden die Stichprobe beschrieben sowie die wesentlichenErgebnisse der Fragebogenerhebung zusammengefasst.

Insgesamt nahmen bisher 141 Personen an der Befragungteil, wovon 46 Personen Personal aus vier verschiedenenambulanten Pflegediensten in Castrop-Rauxel und 95 Schü-ler aus dem maxQ.-Fachseminar für Altenpflege Castrop-Rauxel erfasst wurden. Dass der Bereich der Pflege vonweiblichen Pflegekräften dominiert wird, spiegelt sich auchin der zugrundeliegenden Stichprobe wider. Mit einem Frau-enanteil von knapp 84 % in der Stichprobe, deckt sich dieStichprobe nahezu mit der Pflegestatistik des StatistischenBundesamts (2017), aus der hervorgeht, dass in der ambu-lanten Pflege rund 87 % des Personals weiblich ist (Statis-tisches Bundesamt, 2017). Das Durchschnittsalter der Be-fragten liegt bei 32 Jahren, die Mehrheit der Befragten sindAltenpflege-Fachkräfte mit einer durchschnittlichen Berufs-erfahrung von sieben Jahren.

Betrachtet man die Ergebnisse der Fragebogenerhebungin der Gesamtschau, scheint es auf den ersten Blick so zusein, dass die wahrgenommene Belastung in den teilneh-menden ambulanten Pflegediensten geringer als erwartetausfällt. So geben zunächst rund 36 % der Befragten an, sichaufgrund ihrer Arbeit tendenziell häufig physisch, rund 25 %der Befragten auch stark psychisch belastet zu fühlen.

In vertiefenden leitfadengestützten Interviews wird jedochschnell deutlich, dass insbesondere die psychische Arbeits-belastung stärker ausgeprägt ist. Belastend wird hier nichtdie Arbeit mit den Patientinnen und Patienten sowie derUmgang mit körperlichen und seelischen Krankheiten emp-funden, sondern der Zeitdruck während der Arbeit, der un-ter Umständen zu Qualitätsabstrichen und somit wiederumzur Unzufriedenheit des Personals führt. Verstärkt wird dieBelastung durch die geringe Personaldecke der Pflege-dienste. Krankheitsausfälle und Urlaub schmälern die tat-sächliche Personaldecke in der Realität noch weiter, waseinen häufigen Wechsel der Arbeitspläne, regelmäßigeÜberstunden und wenig Erholungsmöglichkeiten für dasbefragte Personal zur Folge hat. In der Folge gibt knapp dieHälfte der Befragten (49,2 %) an, in den letzten zwölf Mo-naten häufig gearbeitet zu haben, obwohl sie sich richtigkrank gefühlt haben. Etwas über die Hälfte der Befragten(50,4 %) schätzen, dass sie ihre Tätigkeit unter den aktuellenArbeitsbedingungen nicht ohne Einschränkungen bis zumgesetzlichen Rentenalter ausführen können. In Anbetrachtdes schon jetzt spürbaren Fachkräftemangels in der (Alten-)Pflegebranche, muss diese Tendenz des vorzeitigen Aus-scheidens aus dem Pflegeberuf besonders ernst genommenwerden. Nur wenn sich die Arbeitsbedingungen spürbarverbessern und die Gesundheitsprävention des Personalsverstärkt gefördert wird, kann dies abgewendet werden.

Ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsförderung mussaus Sicht des Projektes AGEKO die Förderung von eigenenRessourcen und Potenzialen sowie die Kompetenzentwick-lung sein. Auf einer 7-Punkte-Likert-Skala (1 = Stimme garnicht zu; 7 = Stimme voll zu) zeigt sich, dass die BefragtenStressbelastungen mäßig gut bewältigen können (Mittel-wert = 4,7). Tendenziell fühlen sich die Befragten dazu inder Lage ihre Arbeitsaufgaben mitzugestalten (Mittelwert= 5,2). In vertiefenden Interviews zeigt sich aber deutlich,dass das Personal seine eigene Gesundheit häufig aus denAugen verliert und sich stärkere Unterstützung bei derStressbewältigung durch Vorgesetzte, den Kollegenkreisund primär durch handhabbare Strategien und Instrumente(wie z. B. Entspannungsübungen, Zeitmanagement) zurStressreduktion im Arbeitsalltag wünscht.

Auch der Bedarf nach Handlungsspielräumen zur besserenEinteilung seiner Ressourcen und Nutzung seiner Potenzialeist hoch. So zeigen die Interviews, dass das Personal gernean der Dienst- und Tourenplanung beteiligt werden möch-ten, um sein Wissen über die praktischen Arbeitsabläufeeinzubringen und so die anfallende Arbeit möglichst res-sourcensparend und mit hohen Qualitätsansprüchen ge-meinsam im Team bewältigen zu können. Sowohl aus demFragebogen als auch aus den Interviewstimmen geht her-vor, dass eine wesentliche Ressourcenquelle einerseits diehohe Identifikation mit dem Beruf selbst und andererseitsdie hohe Wertschätzung durch die Patienten und Patientin -nen ist. Diese Erkenntnisse decken sich mit denen des IndexGuter Arbeit – 95 % der dort Befragten geben an, dass siemit ihrem Beruf einen wichtigen gesellschaftlichen Beitragleisten, 92 % identifizieren sich mit ihrem Job (Ver.di, 2013).

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Insbesondere weil das Pflegepersonal seinen Arbeits -aufgaben positiv gegenüber steht, ist es eindeutig, dassnur ein Wandel der Pflegekultur und eine damit verbundeneVerbesserung der Arbeitsbedingungen, wie sie durch dasProjekt AGEKO angestoßen werden soll, wesentlich zur At-traktivitätssteigerung der Pflegebranche sowie der Siche-rung von Fachkräften beitragen kann.

Ein wesentlicher Faktor, der zur Erleichterung der Arbeits-bewältigung beitragen kann, ist aus Sicht von AGEKO dieAusschöpfung der eigenen Kompetenzen sowie die Ent-wicklung einer potenzialorientierten Zusammenarbeit imTeam. Diese These wird durch die Ergebnisse der Fragebo-generhebung gestützt und durch einzelne Interviews weitergestärkt. Die Mehrheit der Befragten hat eine tendenzielleVorstellung davon, in welche Richtung sie ihre Kompeten-zen entwickeln möchten. In den Interviews zeichnet sichjedoch ab, dass es den Befragten selten möglich ist, diesenBedarf zu konkretisieren bzw. zu beschreiben, wie es ihnenmöglich ist ihre Pläne zu realisieren. Hier deutet sich der Be -darf nach Unterstützung durch das Team sowie Leitungs-und Führungskräfte ab, die sowohl durch Beratung als auchkonkrete Unterstützung bei der Umsetzung die Kompetenz-und Karriereentwicklung ihrer Mitarbeitenden fördern unddamit sowohl die Mitarbeiterzufriedenheit als auch die Ar-beitsqualität steigern können. Dabei ist es wichtig, dassnicht nur auf fachliche Weiterqualifizierungen gesetzt wird,sondern fachübergreifende Weiterbildungsmaßnahmen,wie z. B. Zeit- und Stressmanagement, in den Fokus rücken.

Große, Scharf | Altenpflege sichern

ßert. Die Bandbreite ist groß – von klassischen Tools zurGesundheitsprävention, über das Erlernen von Kommuni-kationsstrategien zur besseren Konfliktbewältigung und lö-sungsorientierter Kommunikation, bis hin zum Erlernenpotenzialorientierter Zusammenarbeit und lebensphasen-gerechter Karriereplanung wird ein breites Spektrum anKompetenzen erarbeitet. Hierbei geht es darum, durch Er-weiterung des Handlungsspielraums der Mitarbeitenden,die aktive Arbeitsgestaltungskompetenz zu erhöhen.

Zusammenfassend ergeben die Ergebnisse des Fragebo-gens sowie der Interviews ein eindeutiges Bild: Das Pflege-personal übt seinen Beruf aus starker Überzeugung ausund schätzt seine primäre Arbeitsaufgabe, also die Um-und Versorgung von Patientinnen und Patienten, sehr. DerUmgang mit den zu Pflegenden fällt meistens leicht und dieerfahrene Wertschätzung wird als wohltuend empfunden.Belastungen ergeben sich vielmehr aus den Arbeitsbedin-gungen, wie Arbeitsverdichtung, Zeitdruck und Wechsel-diensten.

Insbesondere weil das Pflegepersonal seinen Arbeitsauf-gaben positiv gegenübersteht und somit die Grundvoraus-setzungen für eine langfristige Verweildauer in der Brancheerfüllt ist, ermutigt das AGEKO-Team die Befragten zur Teil-nahme am Projekt. Das umfassende Qualifizierungsange-bot, mit Fokus auf überfachliche Weiterbildungsmaßnah-men zur Verbesserung der Arbeitsqualität, der Arbeitsbedin-gungen und der Beschäftigungsfähigkeit in der Pflegebran-che soll den Teilnehmenden Wertschätzung sowie Perspek-tiven für die individuelle Entwicklung bieten und die Wei-chen für einen Wandel der Branchenkultur stellen. HoheQualitätsstandards in der Branche sollen nachhaltig veran -kert werden, um die Branche für die Zukunft wieder attrak-tiver zu gestalten und so dem Fachkräftemangel entgegen-zuwirken. In AGEKO steht das Pflegepersonal im Fokus. Nurwer für sich selbst sorgt, gesund und zufrieden in seinemBeruf ist, kann eine qualitativ hochwertige Arbeit leistenund gut für seine Patientinnen und Patienten sorgen.

LiteraturBundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) / Bundesanstalt für Arbeits-

schutz und Arbeitsmedizin (BAUA). (2012). Arbeit in der Pflege – Arbeitam Limit? Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche. Abgerufen vonhttp://www.baua.de/de/Publikationen/Faktenblaetter/BIBB-BAuA10.pdf;jsessionid=8D5A96C67A8646E91DB7F79EFEC8F659.1_cid323?__blob=publicationFile&v=5

Initiative Neue Qualität der Arbeit INQA. (2007). Für eine neue Qualitätder Arbeit in der Pflege. Leitgedanken einer gesunden Pflege – Me-morandum. Abgerufen von https://www.inqa.de/SharedDocs/PDFs/DE/Publikationen/memorandumgesunde-pflege.pdf?__blob=publi-cationFile

Statistisches Bundesamt. (2017). Pflegestatistik 2015. Pflege im Rahmender Pflegeversicherung Landervergleich – Ambulante Pflegedienste.Abgerufen von https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thema-tisch/Gesundheit/Pflege/LaenderAmbulantePflegedienste5224101159004.pdf?__blob=publicationFile

Ver.di. (2013). Arbeitsethos hoch Arbeitshetze massiv Bezahlung völligunangemessen Beschäftigte in Pflegeberufen – So beurteilen sie ihreArbeitsbedingungen. Ergebnisse der Sonderauswertung der bundes-weiten Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012. Ab-gerufen von http://www.verdi-gute-arbeit.de/upload/m51d11e5e1fb38_verweis1.pdf

Auch die Übernahme von Verantwortung und Eigenstän-digkeit ist für die Befragten wichtig, rund 80 % der Befragtenkönnen sich tendenziell vorstellen, eine verantwortlichePosition zu übernehmen. Die Interviews mit verschiedenenMitarbeitenden aus der Pflege (u. a. auch Leitungs- undFührungskräften) zeigen jedoch, dass sich viele nicht be-wusst sind, welche Herausforderungen die Übernahmeeine r verantwortungsvolleren Leitungsposition mit sichbringt und dass der Grund für das Scheitern in dieser Posi-tion häufig nicht in der fehlenden Fachkompetenz, sondernprimär im fehlenden Handwerkszeug zur Bewältigung desArbeitsalltags zu suchen ist. Auch hier wird sehr klar derBedarf nach überfachlichen Weiterqualifizierungen geäu-

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Unternehmerischer und institutionellerWandlungsbedarf in der AltenpflegeDie Altenpflege gehört in den Sektor der per-sonennahen Dienstleistungen. Als Unterneh-men in der Pflege stellen wir ganz bewusstden Menschen in den Mittelpunkt unseresHandelns. Damit meinen wir auf der einenSeite den Kunden, auf der anderen Seite aberauch unsere Mitarbeiter. Ihr individuellesWohlbefinden und ein ausgewogenes, für allepositives Miteinander ist die Grundlage fürdas Funktionieren unseres Geschäftes. Dasbedeutet auch, dass wir unsere Leistungenund Angebote und die Arbeitsbedingungen inunserem Unternehmen immer wieder durch-denken und den sich wandelnden Bedürfnis-sen der Menschen in unserer Gesellschaft an-passen müssen, um diese zu erreichen. Dieneuen Angebote richten sich einerseits darauf,dass unsere Kunden optimal versorgt und an-dererseits unsere Mitarbeiter an unser Unter-nehmen gebunden werden um sie so in dieLage zu versetzen gute Arbeit zu leisten. Dasheißt, wir als Unternehmen, aber auch dieBranche als Ganzes müssen wandlungsfähigsein und offen für Veränderungen. Wir müssenuns immer wieder neu den sich wandelndengesellschaftlichen Herausforderungen stellenund in unserem Tun innovativ und kreativ sein.

Als Unternehmen sind wir dabei darauf ange -wiesen, uns in einem institutionellen Rahmenzu bewegen, der eben diese Notwendigkeitberücksichtigt. Unternehmerische Innovationbraucht eine innovationsoffene Branche, dieentsprechende Rahmenbedingungen bietet.Hier stoßen wir oft an unsere Grenzen. Vieleunterschiedliche Prüforganisationen in der

Pflege (MDK, Heimaufsicht, Bezirksregierung)sichern auf der einen Seite die Qualität undden Standard in der Pflege. Auf der anderenSeite bremsen sie aber häufig notwendige In-novationsprozesse.

Dieser Zusammenhang lässt sich gut amThema Wohnformen darstellen. Die Kunden-bedürfnisse haben sich in den letzten Jahrensehr stark gewandelt. Die Menschen sind an-spruchsvoller geworden und haben auch imAlter sehr individuelle Vorstellungen davon,wie sie wohnen wollen. Wir versuchen als Un-ternehmen auf diese individuellen Wünscheund Vorstellungen zu reagieren und sind starkdaran interessiert immer neue Angebote fürdas Wohnen im Alter am Markt zu etablieren.Hier gibt es allerdings häufig kaum überwind-bare Hindernisse, die durch hohe Auflagenund strikte Bestimmungen seitens der Prüf-organisationen zustande kommen.

Dies gilt nicht nur für die Etablierung neuerWohnformen. Auch im Bereich Service werdenKundenbedürfnisse immer komplexer undumfassender. Unser Unternehmen muss fürunter schiedliche Kundengruppen mit unter-schiedlichen Pflegebedürfnissen ein breites,sich immer wieder anpassendes Spektrum anFreizeitaktivitäten anbieten, um am Markt kon-kurrenzfähig zu sein. Hier gibt es ganz spezifi-sche Herausforderungen, wenn man beispiels-weise an demenziell veränderte Kunden denkt.Fehlende Personalressourcen sind dabei oftein Hindernis. Um neue, bedarfsgerechte An-gebote für die unterschiedlichen Kundengrup-pen anzubieten, wäre eine viel höhere Anzahlan Mitarbeitern und ein anderer Personal-

schlüssel notwendig. Wir sehen in diesem Zu-sammenhang den Einsatz ehrenamtlicher Mit-arbeiter kritisch. Aus unserer Sicht muss essich um professionelle Angebote handeln undes muss grundsätzlich möglich sein, den Per-sonalbedarf mit den vorhandenen Ressourcenzu decken. Hier entsteht ein hoher Bedarf anneuen, innovativen Lösungswegen und an ins -titutionellen Unterstützungsmöglichkeiten.Netzwerkgedanken und neue Formen der Ko-operation, die institutionell verankert sind,könnten hier helfen die Herausforderungendes Wandels anzunehmen.

Digitalisierung in der PflegeWenn wir von einem Wandel in der Alten-pflege sprechen, müssen wir natürlich auchdie Risiken und Potenziale der zunehmendenTechnologisierung und Digitalisierung in un-serem Handlungsfeld berücksichtigen. NeueTechnologien können Arbeitsbedingungen inder Pflege in Zukunft verbessern und auchden Kunden eine bessere Qualität von Pflegebieten. Allerdings ist hier unser Grundsatz,dass der Mensch der wichtigste Fokus bleibtund dementsprechend die Schnittstelle zwi-schen Mensch und Technik so gestaltet wird,dass sie dem Menschen auf allen Ebenen aus-schließlich dient und dass die möglichen ne-gativen Einflüsse (bspw. die Reduzierung zwi-schenmenschlicher Kontakte oder auch derAbbau von Arbeitsplätzen und höhere Quali-fikationsanforderungen) so weit wie möglichvermieden werden. Technik kann dem Be-schäftigten und dem Kunden helfen, Heraus-forderungen des Pflegealltags zu meistern, siesollte aber immer das untergeordnete Elementbleiben und kontrolliert eingesetzt werden.

Wir nutzen in unserem Unternehmen seit Jah-ren verstärkt die Digitalisierung, um Doku-mentation, Administration und Organisationeffizient zu gestalten. Unsere IT-Abteilung ent-wickelt Pflegeprogramme, die alle Bereicheunseres Unternehmens steuern. Zeit, die wirso einsparen kann unseren Bewohnern zugu-tekommen. Allerdings müssen wir berücksich-tigen, dass es sich bei der Digitalisierung umeinen Prozess handelt, der immer wieder zuVeränderungen und neuen Herausforderun-gen führt. Alle Änderungen und Neuerungenstehen immer im Zusammenhang mit einem

Bernd Löffler

Altenpflege 2030Zukunftsszenarien in Pflege und Ausbildungaus Praxissicht

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hohen Schulungsaufwand und Belastungen für die Mitar-beiter (hier muss man nur an das Strukturmodell in derPflegeplanung denken). Wir müssen daher immer genauabwägen, wie wir die Entwicklung unserer Programme denpraktischen Erfordernissen anpassen können. Ein Unter-nehmen, das diesen Weg geht, muss dabei auch bereit seinin die Quali fizierung und insbesondere die Motivierung derMitarbeiter zu investieren. Dies gilt genauso für den Einsatzneuer Technologien zur Verbesserung der Arbeitsbedingun -gen und zur Steigerung der Qualität von Pflege.

Qualifizierungsmotivation und Qualifizierungs -angebote zur Aufwertung des BerufsbildesQualifizierungsmotivation und Qualifizierungsangebote sindnicht nur in Bezug auf Digitalisierung und Technisierungwichtige Stichworte. Wir sehen hier den Schlüssel für vieleProbleme der Altenpflege. Die Wertschätzung für den Berufder Altenpflegerin bzw. des Altenpflegers ist in Bevölkerungund Politik stark von der Vorstellung geprägt: Pflege kannjeder. Das zeigt sich in dem Phänomen, dass die Altenpflegeimmer wieder als ein Bereich betrachtet wird, der Arbeits-kräfte aufnehmen kann, die an anderen Stellen aus demSystem rausgefallen sind. Das fängt bei arbeitslosen Berg-leuten im Strukturwandel an, geht über die „Schlecker-Frauen“ und Langzeitarbeitslose und gipfelt in der Vorstel-lung Migranten und Flüchtlinge ohne ausreichendeDeutschkenntnisse in die Pflege zu bringen. Dies alles sug-geriert, dass die Altenpflege keine qualifizierten Kräftebraucht und macht sie als Beruf wenig attraktiv.

Wir sind der Meinung, dass dieses Problem nur zu lösenist, indem sowohl die Unternehmen in der Pflege als auchdie einzelnen Beschäftigten auf Qualifizierung setzen. Ichsehe hier zwei Aspekte die von Bedeutung sind. Zunächstmüssen Möglichkeiten und Anreize für horizontale und ver-tikale Karrieren geschaffen werden. Von der examiniertenFachkraft zur Wohnbereichsleitung und weiter zur Pflege-dienstleitung bis hin zur Einrichtungsleitung zeigt sich dasBild einer breiten nach oben hin immer schmaler werden-den Pyramide. Bisher ist es so, dass Zwischenstufen oderFachkarrieren, die über Weiterbildungen realisierbar sind,stark von der eigenen Initiative der Mitarbeiter abhängen.Es müssen durch die Arbeitgeber auch finanzielle Anreizegeschaffen werden sich weiterzuqualifizieren. Wir brauchen

„Wir machen seit Jahren die Erfahrung, dass wir als familiengeführtes Unternehmenschneller reagieren, innovativer sein können,und deshalb unsere Ziele besser erreichenkönnen.“

Löffler | Altenpflege 2030

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der Beruf attraktiver gestaltet werden und das funktioniertüber das Thema Qualifizierung. Wir dürfen nicht, um demFachkräftemangel zu begegnen Einstiegsqualifikationenund die Fachkraftquote herabsetzen. Im Gegenteil, um dasAnsehen und die Attraktivität des Berufs und der Branchezu steigern, müssen wir zeigen, wie viel Kompetenzen undwelches Maß an Qualifikation nötig ist, um diese Arbeit sozu verrichten, dass sie sowohl für den Kunden als auch fürden Beschäftigten im Optimum liegt.

Employer Branding zur Stärkung der Betriebe und der BeschäftigtenUm nachhaltig Mitarbeiter in unserem Unternehmen zuhalten und um als Unternehmen am Markt zu bestehenhat für uns ein zeitgemäßes Employer Branding eine hoheBedeutung. Dazu gehört zunächst eine leistungsgerechteBezahlung aller Mitarbeiter, eine verlässliche Dienstplan-gestaltung, die auch Ausfälle kompensieren kann und Re-generationszeiten für die Mitarbeiter respektiert. Dienstzei-ten müssen sich so gestalten, dass sie die Lebenssituationder pflegebedürftigen Kunden, aber auch die der Mitarbei-ter berücksichtigen. Gesundheit und Prävention für die Mit-arbeiter sind auch Aufgaben und eine Verantwortung desUnternehmens. Wir sehen für uns die Notwendigkeit unsdurch unsere Angebote, durch die Ausstattung der Einrich-tungen, durch das Können und die Verlässlichkeit unsererMitarbeiter und durch die Arbeitsbedingungen und die Ent-wicklungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter von anderenUnternehmen abzusetzen. Wir wollen erreichen, dass dieMitarbeiter stolz sind auf ihre Arbeit, dass jeder Mitarbeiter,jeder Kunde und jeder Angehörige, der mit unserem Un-ternehmen zu tun hat, sicher ist, hier ernst genommen so-wie gut versorgt und betreut zu werden.

Es stellt sich natürlich auch die Frage, welche Angeboteund Sektoren ich als Unternehmer abdecken will. Be-schränke ich mich auf das Kerngeschäft der Pflege undkaufe ich alle Leistungen im Umfeld ein und mache michdadurch ein Stück weit abhängig – oder sage ich, wie esdie Pflegeeinrichtungen Kirsch KG schon immer tun: Allesaus einer Hand.

Wir machen als familiengeführtes Unternehmen seit Jahr-zehnten die Erfahrung, dass wir so schneller reagieren kön-nen, innovativer sein können und unsere Ziele besser er-reichen können. Wir hoffen, so den Herausforderungen desWandels in der Altenpflege auch in Zukunft gewachsen zusein, um sowohl Kunden als auch Mitarbeitern optimale Be-dingungen für eine effiziente, menschliche Pflege zu bieten.

unterschiedliche Karrieremöglichkeiten in der Altenpflege,um engagierte Mitarbeiter zu gewinnen. Hier sind auch po-litische Entscheidungen gefragt. Die Motivation sich durchQualifizierung weiterzuentwickeln, muss über eine bessereEntlohnung angetrieben werden. Die Entlohnung von Alten -pflegekräften muss sich mit anderen Branchen messen las-sen können. Gute, verantwortungsvolle, qualifizierte Arbeitverlangt auch eine entsprechende Bezahlung.

Ein zweiter Aspekt in Bezug auf die Notwendigkeit vonmehr Qualifizierung in der Altenpflege ist der hohe Bedarfan überfachlichen Qualifizierungen in diesem Beruf, derhäufig unterschätzt wird. Den Mitarbeitern wird ein hohesMaß an Schlüsselqualifikationen also kommunikative undsoziale Kompetenzen, Lernfähigkeit und Resilienz abver-langt. Diese Kompetenzen sind nicht selbstverständlichund müssen über gezielte Qualifizierungsstrategien aufge-baut werden. In der Pflege werden starke, kreative und of-fene Persönlichkeiten benötigt und über Qualifizierung kön-nen die Individuen in ihrer Entwicklung unterstützt werden.Ein gutes Beispiel für diese Bedarfe ist der Umgang mit derVielschichtigkeit von Multikulturalität, die sich durch dieunterschiedlichen Herkunftsländer der Kunden, aber auchder Mitarbeiter ergibt. Hier ist eine hohe Sensibilität für un-terschiedliche Gewohnheiten in der Religionsausübung,der Ernährung und auch für unterschiedliche Auffassungenbeispielsweise im Rollenverständnis zwischen Mann undFrau, für ein anderes Schamgefühl, andere Werte und vielesmehr nötig, um bedarfsgerechte Pflege leisten zu können.Wir setzen daher auf Weiterbildungen, die sich mit den Vor-stellungen anderer Kulturen auseinandersetzen, aber auchRaum bieten, um sich über den eigenen Standpunkt klarzu werden. Diversität kann ein großes Potenzial sein, wennman gezielt mit ihr umgeht.

Über Qualifizierung von Beschäftigten und insbesonderevon Führungsverantwortlichen über den fachlichen Bereichhinaus lässt sich eine offene, verantwortungsvolle Unter-nehmens- und darüber hinaus auch Branchenkultur ge-stalten. Den Führungskräften kommt dabei eine besondereFunktion zu, da sie im Sinne einer transformationalen Füh-rung die Beschäftigten in ihrer Entwicklung unterstützen.Hierin sehe ich auch den Lösungsansatz beim Thema Fach-kräftemangel. Um nachhaltig Fachkräfte zu gewinnen, muss

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stellen. Es wird geduldet, dass ein Mitarbeiter die Pflege einesAngehörigen auf sich nimmt, es wird aber nicht gern gesehen,wenn dann auch Ansprüche, wie beispielsweise Urlaub, ge-stellt werden. Wir müssen von dieser Duldungsphase weg-kommen. Es muss ein Stück Normalität werden, dass einUnternehmen pflegende Angehörige im Betrieb unterstützt. Auch bei der Unterstützung von Mitarbeitern mit Erziehungs-aufgaben hat es gedauert, bis es ansatzweise tragfähigeStrukturen gab, um die Vereinbarkeit von Familie und Berufzu gewährleisten. Heute klappt es aber besser, auch wennEltern plötzlich mal Urlaub brauchen, wenn ein Kind krankist. Das ist aber aus meiner Sicht einfacher, weil es etwasPositives ist. Kinder sind positiv. Pflege ist, im Gegensatzdazu, immer noch negativ besetzt. Genau hier müssen wiransetzen und Weichen stellen. Der Begriff Pflege muss positivbesetzt werden. Die Pflege eines kranken oder alten Men-schen ist eine Tätigkeit von hoher gesellschaftlicher Relevanz.Ich gebe der Gesellschaft mit dieser Tätigkeit etwas zurück.Darauf müssen wir den Blick lenken und da ist natürlichauch die Politik gefragt.

Silke Steinberg: Um durch politische Arbeit Diskurse zu ver-ändern, bedarf es auf den unterschiedlichen gesellschaftli-chen Ebenen auch Druck. Wie kann Politik beispielsweiseUnternehmen zur Unterstützung von pflegenden Angehöri-gen in die Pflicht nehmen?

Claudia Middendorf: Entscheidend ist erstmal, dass die Be-reitschaft auf der Seite der Unternehmen da ist, Mitarbeiterauf einer persönlichen Ebene zu unterstützen. Man muss inEinzelgesprächen klären, wie die persönliche Problemlageist und wie das Unternehmen das auffangen kann. Das kannman nicht alles über einen Kamm scheren, da bedarf es indi -vidueller Lösungen und dazu muss das Unternehmen bereitsein. Hierfür müssen Strukturen im Unternehmen geschaffenwerden. Es könnte beispielsweise im Unter-nehmen einen Beauftragten geben, der fürdas Thema sensibilisiert ist und die Einzel-gespräche führt. Mit dem pflegenden Ange-hörigen könnte so ein Plan zur Unterstützungerarbeitet werden. Dabei darf man nicht nuran Urlaub im Notfall denken. Das Unterneh-men sollte auch im Blick haben, dass nicht

Interview mit Claudia Middendorf

„Pflege braucht einen Anwalt.“Claudia Middendorf ist Politikerin der CDU und war in der letzten Legislatur-

periode Landtagsabgeordnete für Dortmund. In ihrer Funktion als Politikerin

setzt sie sich stark für die Belange der Pflege ein insbesondere für die Bedarfe

pflegender Angehöriger. Sie ist Schirmherrin des Projektes HYBRICO.

Silke Steinberg: Frau Middendorf, Sie engagieren sich sowohlals Politikerin als auch als Privatperson stark für die Unter-stützung von pflegenden Angehörigen. Woher kommt IhreMotivation für dieses Engagement?

Claudia Middendorf: Meine Motivation kommt aus meinereigenen Betroffenheit. Ich habe zwölf Jahre meinen Vatergepflegt und habe erfahren, wie schwierig es ist, Unterstüt-zung zu finden. Zu Beginn der Krankheit meines Vaters wares auch noch extrem problematisch, Netzwerker zum Aus-tausch zu finden, es gab kaum institutionelle Unterstützung.Heute ist vieles auf den Weg gebracht worden, aber nicht inausreichendem Maße. Pflege und Berufstätigkeit sind immernoch nicht kompatibel und schwierig zu vereinbaren. Damuss einfach mehr geschehen.

Silke Steinberg: Wie haben Sie es geschafft, Ihren Beruf alsSozialpädagogin mit der Pflege Ihres Vaters zu verein baren?

Claudia Middendorf: Zunächst war es schon sehr schwer,den Kopf für die Arbeit frei zu machen. Man ist ja der Haupt-ansprechpartner für den zu Pflegenden und kreist mit seinenGedanken um ihn. Oft schafft man es nicht seinen Fokusauch auf die Arbeit zu richten. Ich hatte meine Arbeitszeitvon Vollzeit zunächst auf 30 Stunden reduziert, habe dasdann aber rückgängig gemacht, weil es keinen Ausgleichdurch die Rentenversicherung gab. Für mich war das voll-kommen unverständlich, weil ich mit der Pflege meines Va-ters ja auch etwas für die Gesellschaft getan habe. Die sozia-len Systeme fangen das aber in keiner Weise auf. Hier müssensich die Gesetzeslagen unbedingt ändern, um pflegende An-gehörige zu unterstützen. Das Bundesministerium weiß dasauch und vieles ist auf dem Weg. Ich denke aber, dass esmindestens noch fünf Jahre dauert, bis es eine ausreichendeGesetzeslage für die pflegenden Angehörigen gibt.

Silke Steinberg: Um so bedeutender ist die Funktion vonUnternehmen bei der Unterstützung von Mitarbeitern, diemit der Doppelbelastung von Berufstätigkeit und der Pflegeeines Angehörigen konfrontiert sind. Wie sind Ihre Erfahrun-gen und Ihre Einschätzungen bezüglich der Strukturen undMaßnahmen in Unternehmen?

Claudia Middendorf: In meinem Fall war es so, dass ich starkdurch meine Kollegen unterstützt wurde. Die systematischeUnterstützung durch das Unternehmen war eher schwierig.Den Betrieben fehlt da oft noch der Blick und auch die Be-reitschaft sich auf die Bedürfnisse des Mitarbeiters einzu-

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Silke Steinberg: Wenn ein Pflegebeauftragtermit Ihrem Engagement, Ihren Kompetenzenfür die Belange der Pflege und Ihren Netzwer-ken in diesem Bereich diese Stelle ausfüllenwürde, denke ich, dass die Pflege in NRW einenwichtigen Schritt nach vorn machen würde.

Claudia Middendorf: Gott sei Dank gibt es soviele Menschen in der Pflege, auf die das zu-trifft, aber natürlich würde ich meine Kraft gernin diese Aufgabe einbringen. Wichtig ist abernur, dass es mit der Pflege in NRW vorangeht.

Silke Steinberg: In diesem Sinne, liebe FrauMiddendorf, vielen Dank für das Interview undIhre Unterstützung für das Projekt HYBRICO.

sozusagen einen eigenen Status haben. Sowurde die Stelle eines Pflegebeauftragten ge-schaffen und mit Karl-Josef Laumann besetzt.Durch diese Stelle hat sich vieles bewegt undmeiner Meinung nach sollte es auch auf Lan-desebene einen Pflegebeauftragten geben, dersich voll auf dieses Thema konzentriert. DiesenBereich kann man nicht mit Vorlagen füllen,er muss mit Leben, Ideen und Netzwerken ge-füllt werden und da braucht man auch auf po-litischer Ebene jemanden der sich darauf kon-zentriert und mit voller Energie diesen Bereichgestaltet. Man braucht Multiplikatoren, die et-was in Gang setzen, die dafür sorgen, dass derProzess immer weiterläuft, dass sich Bedin-gungen verbessern, Finanzen bereitstehen, umdie Pflege zu unterstützen. Eine Pflegekammerauf der einen Seite und ein Pflegebeauftragterauf der anderen Seite wären da ein wichtigerSchritt.

nur die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf fürden Angehörigen problematisch ist. Man gehtja als pflegender Angehöriger in ein Vakuum,wo man letztendlich ganz allein ist. Das sozialeUmfeld, Hobbies und Aktivitäten fallen weg,weil man einfach keine Zeit hat. Auch hiermuss der Arbeitgeber für Entlastungsstruktu-ren sorgen.

Silke Steinberg: Auch das müsste ja ein Be-auftragter im Unternehmen oder eine Füh-rungsperson in einem persönlichen Gesprächklären, wie die individuelle Situation aussieht.Für lösungsorientierte Gespräche müssen na-türlich Führungspersonen oder Beauftragte fürpflegende Angehörige geschult werden. DieQualifizierung die im Projekt HYBRICO entwi-ckelt wurde, könnte da ein wichtiger Bausteinsein. Hier werden die Coaches gerade in diesenkommunikativen Kompetenzen und auch inEmpathie geschult, um einen Menschen in ei-ner schwierigen Situation zu unterstützen undmit Fähigkeiten zur Selbstsorge und zumSelbstmanagement auszustatten.

Claudia Middendorf: Das ist genau der Punkt.In unserer Leistungsgesellschaft wird in einemUnternehmen der einzelne Mensch nicht mehrgenügend in den Blick genommen. Die Fähig-keit Verständnis für die besondere Situationeines Menschen zu entwickeln und diesen ganzpersönlich zu unterstützen, so wie es früher inUnternehmen üblich war, ist heute verlorengegangen. Viele Unternehmen betrachten dieFörderung des einzelnen Mitarbeiters zwar alswichtig und erstrebenswert, sie setzen sie abernicht um. Hinzu kommt, dass ein pflegenderAngehöriger häufig nicht von allein Unterstüt-zung einfordert. Sie oder er ist viel zu beschäf-tigt den Pflegealltag zu meistern, als darüberhinaus noch an die Unterstützung und Entlas-tung der eigenen Person zu denken.

Silke Steinberg: Das geht aber natürlich auchüber die Reichweite des Unternehmens hinaus,hier muss es auch öffentliche Strukturen ge-ben, die im Bedarfsfall aktiv werden und dieUnterstützung von pflegenden Angehörigenorganisieren.

Claudia Middendorf: Ja genau und zwar, ohnedass der pflegende Angehörige sie von sichaus einfordert. Hier kämen meiner Meinungnach Krankenkassen ins Spiel. Wenn die sehen,dort gibt es einen Pflegefall, dann muss einAlarmsignal leuchten und es müssen ganz au-tomatisch Unterstützungsmaßnahmen für denAngehörigen anlaufen und zwar auch auf derBasis des persönlichen Gesprächs.

Silke Steinberg: Das wäre also eine Pflegebe-ratung, die nicht erst angefordert werden muss,sondern die von sich aus auf den Betroffenenzugeht.

Claudia Middendorf: Da stimme ich Ihnen zu.In diesem Bereich gibt es unzählige gute Ideen.In der Pflege, ob professionell oder ehrenamt-lich, gibt es viele kluge und kreative Köpfe mitzahlreichen guten Einfällen. Diese Ideen müs-sen aber umgesetzt werden und genau da istPolitik gefragt. Dazu braucht es aber in der Po-litik Strukturen. Ein wichtiger Schritt, den manhier gehen muss, ist der Aufbau einer Pflege-kammer in NRW. Wir brauchen einen Anwaltfür professionelle und ehrenamtliche Pflege,jemanden, der für uns spricht und für unskämpft. Diese Funktion hat eine Pflegekammerund das Beispiel Rheinland-Pfalz zeigt, dasshier Hauptamt und Ehrenamt im Fokus stehen.

Pflegende Angehörige können über die Kam-mer geschult, qualifiziert und unterstützt wer-den. Ich denke aber auch, dass eine Pflegekam -mer die Schnittstelle ist, um mit Unternehmenin Kontakt zu kommen, um mit den Unterneh-men zu klären, wie Mitarbeiter, die Angehörigepflegen entlastet und unterstützt werden. Esgeht darum die Pflege in NRW zu stärken unddazu benötigen wir eine Pflegekammer.

Silke Steinberg: Wie, glauben Sie, kann eineneue Landesregierung versuchen zu garantie-ren, dass die Bedarfe der Pflege in der politi-schen Arbeit den Raum bekommen, den siebenötigen?

Claudia Middendorf: Die Bundesregierung istda mit gutem Beispiel vorangegangen. Manhat gesagt, dass das Ministerium allein es nichtbewältigen kann, die vielfältigen Bedarfe derPflege im Blick zu haben. Dieser Bereich muss

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Elisabeth Meyer: Frau Reiter, Sie unterstützendas Projekt HYBRICO und die Idee, Pflegecoa-ches zu qualifizieren. Woher kommt Ihre Moti -vation für dieses Engagement?

Jutta Reiter: Die häusliche Pflege von hilfe-bedürftigen alten Menschen ist die Heraus-forderung der Zukunft, und zwar in zweifacherHinsicht:• Zum einen geht es um die Organisation der

Pflege im Sinne einer guten Versorgung undBetreuung der pflegebedürftigen Eltern, despflegebedürftigen Partners,

• zum anderen geht es um die Organisationvon Pflege und Berufstätigkeit, eine großeHerausforderung für die jeweiligen Kollegin-nen und Kollegen.

Das Projekt HYBRICO kann mit seiner Qualifi-zierung zum Pflegecoach Antworten auf beideFragestellungen geben:• Einerseits können pflegende Angehörige mit

Unterstützung der Coaches ihre Pflege- undKommunikationskompetenzen stärken undsomit das Leben für die pflegebedürftigenAngehörigen leichter machen.

• Andererseits erfahren sie mithilfe der Coa -ches, welche Möglichkeiten und Wege es gibt,Hilfe und Informationen zu erhalten, um dieVereinbarkeit von Pflege und Beruf zu erleich-tern. Und sie lernen, auf sich zu achten undrechtzeitig Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Elisabeth Meyer: Pflege von Angehörigen undBerufstätigkeit – ist dieses Thema auch beiden Gewerkschaften angekommen?

Jutta Reiter: Ja, das Thema ist definitiv beiden Gewerkschaften angekommen. Wir alsDGB wollen pflegende Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer unterstützen, indem wir

zum Beispiel Informationen zur Verfügungstellen (Broschüren) und tarifvertragliche Re-gelungen anstreben, die die Pflege sicherstel-len. Für uns ist das eine Weiterentwicklungder Thematik „Vereinbarkeit von Familie undBeruf“. Das Thema Kinderbetreuung gehörtin zahlreichen Unternehmen – nicht nur Groß-unternehmen – inzwischen zur Tagesordnung.Nun geht es darum, die Pflege- und Betreu-ungsthematik auszudehnen. Aus Eltern wer-den Söhne und Töchter, die ihre Eltern pflegen.In Anlehnung an eine Toolbox zur Kinderbe-treuung hat die IG-Metall eine entsprechendeToolbox zum Thema Pflege entwickelt. Dageht es zum Beispiel um Fragen wie: An wenkann ich mich im Notfall wenden? Wie kannich schnell eine Tagesbetreuung organisieren?Oft spitzen sich Pflegesituationen überra-schend zu – und dann muss man auch im Un-ternehmen wissen, was zu tun ist, wen manansprechen kann, wo es Hilfe gibt.

Elisabeth Meyer: Wo sehen Sie die Rolle vonUnternehmen bei der Unterstützung von Mit-arbeitern, die mit der Doppelbelastung vonBerufstätigkeit und der Pflege eines Angehö-rigen konfrontiert sind. Wie sind Ihre Erfah-rungen und Ihre Einschätzungen bezüglich derStrukturen und Maßnahmen in Unternehmen?

Jutta Reiter: Wichtig ist, dass• im Unternehmen Informationen und Bera-

tungen zum Thema Pflege für betroffene An-gehörige bereitgestellt werden können.

• Verständnis für die Situation pflegender An-gehöriger vorhanden ist. Hier ist vielfach nochSensibilisierungsarbeit erforderlich.

• im Unternehmen Freistellungsregelungen fürden Fall der Pflege flexibel gehandhabt wer-den. Zum Teil sind selbst die gesetzlichen

Rechtsansprüche nicht hinreichend bekannt.• ausreichend Personalressourcen vorhanden

sind. Von Pflege betroffene MitarbeiterInnensollen nicht zusätzlich ein schlechtes Gewis-sen haben, wenn sie Freistellungen in An-spruch nehmen.

Als Gewerkschafterin bin ich eine Verfechterindes Betrieblichen Gesundheitsmanagements(BGM). Das BGM bietet in der Regel Angebotezu den Themen Selbstsorge, Umgang mitStress, die auch für berufstätige pflegende An-gehörige hilfreich sind.

Elisabeth Meyer: Welche Rolle könnten Ge-werkschaften (z. B. über Betriebsräte) bei derUnterstützung von pflegenden Kolleginnenund Kollegen einnehmen?

Jutta Reiter: Wichtig ist vor allem, dass beider Personalplanung „Luft“ vorhanden ist,dass ausreichend Stellen vorhanden unddiese auch besetzt sind. Nur dann kann derAusfall von Personal – zum Beispiel durchPflege – kompensiert werden. Wenn der Stel-lenplan zu eng kalkuliert ist, haben pflegendeAngehörige zusätzlichen Stress. Sie fühlensich verpflichtet, nicht zu fehlen. Hier seheich die Möglichkeiten von Betriebsräten. Siehaben einen guten Einblick in die Personal-planung und die Stellenbesetzung, sie könn-ten entsprechend „Planspiele“ im Kopf durch-spielen, was wäre, wenn …Gut fände ich es, wenn der Betriebsrat eine„Weiterleitungsfunktion“ übernehmen könn -te, bei kleineren Unternehmen an eine externeStelle. Größere Unternehmen haben heuteschon oft einen Sozialbereich, der angespro-chen werde könnte …Die Coachingtätigkeit als solche sehe ich nichtals originäre Arbeit eines Betriebsrates an (es

Das Interview mit Jutta Reiter (rechts) führte Elisabeth Meyer, maxQ. im bfw, am 29. Mai 2017.

Interview mit der DGB-Vorsitzenden Jutta Reiter

Die Pflege von Angehörigen ausgewerkschaftlicher Sicht

Jutta Reiter ist seit 2009 Vorsitzende des DGB Dortmund,

seit 2013 im Ehrenamt und seit diesem Jahr auch haupt -

beruflich Geschäftsführerin der DGB-Region Dortmund-

Hellweg. Beide Ämter sind Wahlämter, alle vier Jahre wird

neu gewählt. Die Wiederwahl ist auch immer ein Vertrau-

ensbeweis.

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sei denn, jemand hat ein individuelles Interesse daran). DieBetriebsrätinnen und Betriebsräte arbeiten oft bereits amLimit. Aber der Betriebsrat sollte wissen, wo es Hilfe fürpflegende Angehörige gibt. Und er sollte der Geschäftsfüh-rung Anstöße geben, sich der Thematik anzunehmen. Im Moment ist das Problem der Vereinbarkeit von Pflegeund Beruf noch randständig, aber es wird in Zukunft mehrund mehr eine Rolle spielen. Wir als DGB wollen schon jetztWege und Möglichkeiten ausprobieren und Spuren legen,wie das Thema Vereinbarkeit von Pflege und Beruf in denUnternehmen im Sinne guter Arbeit angegangen werdenkann. HYBRICO ist dazu eine ausgezeichnete Möglichkeit.

Elisabeth Meyer: Die mangelnde Wertschätzung von Pflegeist auch ein gesellschaftliches Problem! Sehen sie Möglich-keiten, durch gewerkschaftliche und politische Arbeit einanderes Bewusstsein zu schaffen?

Jutta Reiter: Die mangelnde Wertschätzung von Pflege istdie Folge eines überholten Frauenbildes und Rollenverständ-nisses: „Pflege ist Frauensache und wird nebenher erledigt“.Dass Pflege eine hochqualifizierte Tätigkeit ist, die zudemein hohes Maß an sozialen Kompetenzen erfordert, das wirdvielfach nicht gesehen. Eine Aufwertung der pflegerischenBerufe ist dringend erforderlich. Gute Pflege kostet – unddas muss sie uns auch wert sein. Gute Arbeit verdient einegute Bezahlung. Das muss in den Köpfen aller ankommen.

Elisabeth Meyer: Um durch gewerkschaftliche/politischeArbeit Diskurse zu verändern, bedarf es auf den unterschied -lichen gesellschaftlichen Ebenen auch Druck. Wie kann Po-litik beispielsweise Unternehmen zur Unterstützung vonpflegenden Angehörigen in die Pflicht nehmen?

Jutta Reiter: Der Druck wird von den Beschäftigten kommen.Die Verhältnisse im Bereich der häuslichen Pflege sind imUmbruch: häusliche Pflege ist gewünscht, sowohl politischals auch von Seiten der Pflegebedürftigen. Die Ansprücheder zukünftigen Generation von pflegebedürftigen Menschenwerden anders aussehen als die der Kriegsgeneration. Dasgilt schon heute für jüngere pflegebedürftige Menschen. Zahl-reiche neue Modelle des Wohnens, der Organisation vonPflege entwickeln sich. Der Druck durch die Beschäftigten,die ihre Rechte kennen und diese einfordern, wächst. Siefordern Unterstützung durch ihre Arbeitgeber. Wir als Ge-werkschaft unterstützen diese Entwicklung. Die jetzt anste-henden Sozialwahlen bieten für uns die Möglichkeit, Gewichtin den entsprechenden Gremien der Sozialversicherungenzu erhalten. Von dieser Seite her können wir die politischeArbeit im Sinne der Pflege mitgestalten.

Elisabeth Meyer: Eine Beauftragte, ein Beauftragter im Un-ternehmen für den Bereich „Familie/Pflege“, wäre das aus

Ihrer Sicht eine Möglichkeit? Die Qualifizierung, die im Pro-jekt HYBRICO entwickelt wurde, könnte da ein wichtigerBaustein sein. Hier werden Coaches gerade in kommuni -kativen Kompeten zen und auch in Empathie geschult, umeinen Menschen in einer schwierigen Situation zu unterstüt -zen und mit Fähigkei ten zur Selbstsorge und zum Selbst-management auszustatten.

Jutta Reiter: Die Einrichtung der Stelle einer Sozialberate-rin, eines Sozialberaters in Unternehmen wäre eine guteSache. In Großunternehmen gibt es das durchaus bereits,in KMU ist die Einrichtung einer solchen Stelle schwierig.Aber es gibt andere Möglichkeiten, die auch in KMU umge-setzt werden müssen und können: • Verfahrensweisen in Pflegesituationen müssen

geregelt sein• Strukturen müssen geschaffen werden• Es muss klar definierte und beschriebene Vorgehens-

weisen für den Pflegefall geben: • Was sind die Probleme?• Wer kann angesprochen werden?• Wie können die Probleme gelöst werden?

Ein Pflegecoach könnte in einem Unternehmen wichtigeUnterstützung leisten, sowohl beim Aufbau von Wissen undStrukturen als auch bei der direkten Unterstützung der be-rufstätigen pflegenden Angehörigen.

Elisabeth Meyer: Welche Ideen und Vorstellungen habenSie als Gewerkschafterin, als politischer Mensch, als Privat -person, um dem Thema Pflege das nötige gesellschaftlicheAnsehen und Gewicht zu geben? Was muss sich ändern?

Jutta Reiter: Die Attraktivität der Pflegeberufe muss gestei-gert werden. Dazu gehört natürlich eine bessere Bezahlung.Aber das ist nicht alles. Die Rahmenbedingungen müssenverbessert werden. Vor allem der Zeitdruck ist völlig un -angemessen. Ich glaube, dass das Ausmaß der Arbeit, diegeleistet werden muss, und die Belastungen, die damit ver -bunden sind, völlig unterschätzt werden. Hier ist aus ge-werkschaftlicher Sicht ein höherer Personalschlüssel drin-gend erforderlich. Ich sage das auch vor dem Hintergrund,dass es in der Pflege eine Menge sogenannter „1 €-Jobs“gibt. Diese Menschen tragen wesentlich zu einer Verbesse-rung der Lebensqualität der Pflegebedürftigen bei, sie lesenvor, begleiten bei Spaziergängen, reden mit den Menschenoder halten einfach nur mal deren Hand. In der Pflege sindhalt viele helfende Hände erforderlich. Diese Tätigkeitenkönnten zum Beispiel im Rahmen von öffentlich geförderterBeschäftigung erfolgen. Und eigentlich müssten für dieseTätigkeiten feste Stellen eingerichtet und auf Dauer finan-ziert werden. Und die Bezahlung dieser Arbeit muss natür-lich angemessen sein – gute Arbeit, gutes Geld.

„Die Ansprüche der zukünftigen Generation von pflegebedürftigen Menschen werden anders aussehen als die der Kriegsgeneration.“

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Wieso die Digitalisierung in der Pflege notwendig istDer demografische Wandel lässt einen weiteren Anstieg derpflegebedürftigen Personen in Deutschland erwarten. Dabeiwird die Anzahl professioneller Pflegekräfte in Zukunft vermut -lich nicht steigen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass mehrPersonen sowohl aus der stationären als auch aus der ambu-lanten Pflege in den Ruhestand gehen, als Nachwuchskräftevorhanden sind. Daraus folgt zwangsläufig ein Pflegefach -kräftemangel (Nowossadeck, 2013). Hinzu kommt, dass derArbeitsalltag in der Pflege häufig mit einer hohen Belastungs-situation einhergeht, welche unter anderem zu einem über-durchschnittlich hohen Krankenstand in der Branche führt.Außerdem leidet die Pflege branche unter einer hohen Perso-nalfluktuation (Wallenfels, 2016) und gilt als Branche mit ho-hem Modernisierungsbedarf. Alles in allem fehlt es gerade fürjunge Arbeitskräfte an Attraktivität.

Vor diesem Hintergrund erscheint die zunehmende Digitalisie-rung des Berufsfeldes als möglicher Lösungsansatz. Zunächstkönnten virtuelle und reale digitale Assistenzsysteme die Pfle-gekräfte sinnvoll entlasten und somit die Pflegeleistung einereinzelnen Arbeitskraft erhöhen. Werden be stimmte Aufgabenautomatisiert, erleichtert das den Alltag des Pflegepersonalsund verbessert die Pflege insgesamt. Darüber hinaus könnensolche Systeme auch die Qualität der Pflege erhöhen. DigitaleAssistenten können im Gegensatz zu Menschen die zu pfle-gende Person 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche un-terstützen. Ein entsprechend modernes Ambient-Assisted-Li-ving-System kann den Patienten rund um die Uhr unterstützenund im Notfall den Arzt oder die Verwandtschaft verständigen.Auch einfache Aspekte, wie die automatische Abschaltung desHerdes bei Abwesenheit, erhöhen die Sicherheit und Qualitätder Pflege insgesamt.

Zwar werden seit den 1990er Jahren auch in der Pflege vermehrtInformations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt,diese beschränken sich jedoch meist auf Pflege planungs- undPflegedokumentationssysteme. Solche Systeme konnten dabeiweniger zur Erleichterung des Pflegealltags genutzt werden, alsdass sie vielmehr einfach nur der steigenden Sammlung undVerarbeitung von Informationen und Daten entlang des Pflege-prozesses Rechnung tragen (Schneider et al., 2017). Somit isteher das Gegenteil eingetreten und die Arbeit von Pflegekräftenam Computer wirkt sich negativ auf die Präsenzzeit am Patientenaus. Intelligente Technik, wie sie mit dem an Industrie 4.0 an-gelehnten Begriff Pflege 4.0 assoziiert wird, wird man im beruf -lichen Pflegealltag bisher meist vergeblich suchen. Vielmehrsind die Pflegerinnen und Pfleger häufig im Privaten, etwa mitihren Smartphones, technisch besser ausgestattet als in ihremberuflichen Umfeld. Eine Aufwertung und Modernisierung desBerufsfeldes durch den Einsatz digitaler Instrumente konntebisher noch nicht umgesetzt werden.

Hindernisse und Hürden von Pflege 4.0„Es genügt eben nicht, dass Technik gut funktioniert. Sie muss auch in die Welt passen.“ (Gero von Randow)Die Digitalisierung des Gesundheitssektors ist, wie bereits angesprochen, schonlänger ein Thema, kommt in Deutschland jedoch nur schleppend voran. Dennes genügt nicht die Nutzer von den Angeboten zu überzeugen, vielmehr mussmeistens auch noch eine dritte oder vierte indirekte Nutzergruppe, wie etwaÄrzte oder Krankenkassen, von dem Mehrwert des Angebots überzeugt werden.Im Pflegesektor kommt die große Anzahl von kleinen und mittelständischenUnternehmen hinzu, welche häufig schlicht nicht die Kapazitäten haben, umsich mit neuen noch uner probten Technologien auseinanderzusetzen.

Des Weiteren müssen eine sehr umfangreiche Gesetzgebung und entsprechendeAuflagen im Gesundheitssektor berücksichtigt werden. Diese zu erfüllen ist ge-rade für Start-ups und kleine Unternehmen schwierig. Denn wie können etwakleine Unternehmen, neben ihren täglichen Aufgaben, noch entsprechend um-fangreiche klinische Studien erstellen. Auch die sicherlich berechtigten Forde-rungen nach einem umfangreichen Datenschutz stellen ein zusätzliches Hin-dernis für den Markteintritt dar. Hinzu kommt, dass innovative Ideen teilweisenicht umgesetzt werden, da sie sich in rechtlichen Grauzonen befinden, für diees schlicht noch keine Gesetzgebung gibt. Geldgeber müssen in diesem Fall je-derzeit damit rechnen, dass das Geschäftsmodell aufgrund der Verabschiedungeines neuen Gesetzes zusammenbricht. Beispielhaft hierfür kann die Video-sprechstunde genannt werden, die erst seit dem 1. April 2017 zumindest teil-weise in Deutschland erlaubt ist (Mengersen, 2017). Vorher mussten Kapitalgeberhierbei jederzeit damit rechnen, dass etwaige darauf basierende Business -

David Hawig

Pflege 4.0Herausforderungen der Digitalisierung für die Pflege

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modelle aufgrund der Gesetzgebung verboten werden undunterstützten somit entsprechende Ideen nur mit einem er-höhten Risikoaufschlag. Betrachtet man das Ambient Assis-ted Living kommen weitere Probleme hinzu. So gibt es hierfüretwa kaum anerkannte Standards, welche die Interoperabi-lität der verschiedenen Systeme gewährleisten. Weiterhinscheitern solche Systeme auch schlicht an den Kosten. Einebestehende Wohnung entsprechend nachzurüsten, ist häufigmit viel Zeit und Geld verbunden, welches die wenigstenpflegebedürftigen Personen aufbringen können und dieKranken kassen nicht bereit sind zu zahlen.

Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Punkt ist, dass sichdie pflegebedürftigen Personen, aber auch die Angehörigenmeist in fortgeschrittenem Alter befinden. Klassischerweisesind das nicht gerade die Personen, die sich mit den neuestenTrends und Technologien beschäftigen. Somit ergibt sichzwangsläufig eine Diskrepanz zwischen innovativen Techno -logien und einem großen Teil der Zielgruppe. Die Frage dersozialen Akzeptanz ist daher auch in den vergangenen Jahrenverstärkt ins Zentrum der sogenannten Mensch-Technik-In-teraktion im demografischen Wandel (MTIDW) gerückt undwird vom Bundesministerium für Bildung und Forschungseit 2014 vorrangig gefördert.

AusblickTrotz all dieser Punkte wird der technische Fortschritt imBereich der Altenpflege in Deutschland langfristig nichtaufzuhalten sein, wie auch die Erfahrungen aus anderenLändern zeigen. In Japan etwa, wo der demografische Wan-del schon in den 1980er Jahren begonnen hat, wurden be-reits 2009 Pflege-Roboter wie RIBA (Robot for InteractiveBody Assistance) entwickelt. RIBA war damals unter ande-rem in der Lage Patienten mit einem Gewicht von bis zu 61Kilogramm sicher aus einem Bett zu heben und in einenRollstuhl zu setzen. Der Fokus der japanischen Förderungdurch die entsprechenden Ministerien liegt heute auf denvier Bereichen Hebehilfen, Toiletten, Mobilitätshilfen sowieÜberwachungssysteme für Patienten. Eine Marktanalysedes Tokioter Yano Research Institute geht von einem Markt-potenzial des japanischen Pflegerobotikmarktes von 272Millionen Euro für das Jahr 2020 aus (Wallenfels, 2016). DasSpektrum von Robotern endet aber nicht bei vermeintlichsimplen Funktionen, wie dem Transport. Vielmehr ermögli -chen die Fortschritte auf dem Gebiet der künstlichen Intel-ligenz erstmalig auch Roboter in den Bereichen der sozialenInteraktion einzusetzen.

Wenn man über Digitalisierung in der Pflege nachdenkt,muss es sich hierbei jedoch nicht gleich um hochkomplexeeigenständige technische Systeme handeln. Vielmehr kannman auch in diesem Bereich mit niederschwelligen Dienst-leistungen enorme Fortschritte erzielen, die nach und nachzu einem Imagewandel in der Branche führen werden. Einedigitale Lernplattform für pflegende Angehörige, wie sieetwa im Projekt HYBRICO entwickelt wird, ist aus techno-logischer Sicht heute nichts Besonderes mehr. Das Neuedaran ist lediglich das Einsatzgebiet und die damit verbun-denen, oben genannten Hürden, die es zu überwinden gilt.Dabei konnten wir im Forschungsprojekt die Problematikder Nutzerakzeptanz dadurch umgehen, dass wir die spä-teren Nutzer von Anfang an in die Entwicklung integrierthaben. Es wurden Innovationsworkshops durchgeführt beidenen nicht nur Feedback gesammelt, sondern auch neueIdeen zusammen entwickelt wurden, die einen umfassen-den Ausblick auf das Handlungsfeld erlauben. Basierendauf diesen Workshops wurden dann scheinbar triviale As-pekte wie die Schriftgröße verändert, die in anderen Ein-satzgebieten womöglich eine niedrigere Bedeutung haben,als im Pflegesektor. Genau diese Aspekte tragen aber dazubei, dass die technologischen Innovationen zu einem späte -ren Zeitpunkt auch von den angestrebten Nutzergruppengezielt eingesetzt werden können.

Um dem Fachkräftemangel in der Altenpflege mithilfe vonPflege 4.0 entgegenzuwirken, bedarf es zwar mehr als derkundenintegrierten Entwicklung von digitalisierten Ange-boten, dennoch ist dies ein kleiner Schritt hin zu einer Mo-dernisierung und einer Aufwertung der Branche. Er trägtlangfristig zu einem Wandel der Branchenkultur bei. Es müs-sen allerdings auch die gesetzlichen Rahmenbedingungenfrühzeitig abgestimmt werden, um innovativen, kleinen undmittleren Unternehmen genügend Anreize zu geben, sichder auf den ersten Blick äußerst schwierigen Herausforde-rung der Digitalisierung zu stellen. Verändern wird sich diePflegebranche nämlich zwangsläufig. Wenn diese Verände-rungen nicht in Deutschland eingeleitet werden, dann wer-den sie langfristig aus anderen Ländern zu uns kommenund spätestens dann ist es notwendig, dass die Unterneh-men, aber auch die Beschäftigten und ihre Kunden auf denWandel vorbereitet sind und seine Chancen nutzen.

LiteraturMengersen, A. (2017). Krankenkassen zahlen die Video-Sprechstunde.

So läuft der Besuch beim Online-Doc. Abgerufen von http://www.focus.de/gesundheit/arzt-klinik/patientenrecht/ab-1-april-moeglich- krankenkassen-zahlen-die-video-sprechstunde-so-laeuft-der-besuch-beim-online-doc_id_6862958.html

Nowossadeck, E. (2013). Pflegekräfte in Zeiten des demografischenWandels. Probleme, Herausforderungen und Lösungsstrategien. In:Bundes gesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz56 (8), S. 1037 – 1039. doi: 10.1007/s00103-013-1741-2

Schneider, M. & Besser, J., Zerth, J. (2017). Individualisierung durch Di-gitalisierung am Beispiel der stationären Pflegeversorgung. Organi-sations- und informationsökonomische Aspekte. In Mario A. Pfannstiel,P. & Harald M. (Hrsg.). Digitale Transformation von Dienstleistungenim Gesundheitswesen II: Impulse für das Management, Bd. 2: Wies-baden: Springer Gabler, S. 205 – 226.

Wallenfels, M. (2016). Pflege 4.0. In: ProCare 21 (8), S. 42 – 45. doi: 10.1007/s00735-016-0684-x.

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Betrachtet man die Situation der (Alten-)Pflegekräfte genauer, so zeigt eine der größten Studienauf diesem Gebiet mit über 1.000 Beschäftigten aus der Altenpflege, dass im Durschnitt einevon fünf Altenpflegekräften aufgrund der hohen Belastungen dazu tendiert, in eine andere Be-rufsbranche zu wechseln (Remdisch, Horstmann & Eckerth, 2013). Nehmen Einrichtungsleiterdie Gesundheit ihrer Mitarbeitenden in den Blick und fördern diese gezielt, denkt nur nochjeder zehnte darüber nach, einen anderen Beruf zu ergreifen (Remdisch, Horstmann & Eckerth,2013). Die Erkenntnisse zeigen alarmierend deutlich, wie wichtig es ist, über den gesetzlich ver-ankerten Arbeitsschutz hinaus Verantwortung für die Gesundheit der Mitarbeitenden zu über-nehmen. Durch gesundheitsorientiertes Führungsverhalten kann der Arbeitsplatz gesünder ge -staltet und die Arbeitsbelastung für die Beschäftigen maßgeblich reduziert werden (BGW, 2006).

Romina Große, Christiane Hernández

Führungskulturen in der PflegeTypische Führungskarrieren und ihre Probleme

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangelsund hoher Arbeitsbelastungen in der Alten-pflege werden im Projekt AGEKO – IntegriertesTrainingskonzept für selbstbestimmte, inno-vative und präventive Arbeitsgestaltungskom-petenz in der Pflege – Instrumente und Qua-lifizierungen zur Verringerung der Arbeitsbe-lastung und Förderung der Handlungsfähig-keit entwickelt und erprobt. Ziel ist es, die Ar-beitsgestaltungskompetenz zu fördern, umressourcenschonendes, präventives Arbeitensowie eine lebensphasengerechte Karriere-planung zu ermöglichen. Hierbei nehmenFührungskräfte eine Schlüsselfunktion bei derErreichung der Projektziele ein. Das Vorlebeneiner gesundheitsorientierten Führungskultur,die durch Wertschätzung, Verantwortungsbe-wusstsein und Unterstützungsangebote fürMitarbeitende geprägt ist, ist nahezu unerläss -lich geworden. Führungskräfte, die vorbildlichagieren, Warnsignale der Belastung frühzeitigerkennen, und ihre Mitarbeitenden zur Mitge-staltung der Arbeitsprozesse motivieren, kön-nen sowohl ihre eigene Arbeitssituation sowiedie ihrer Mitarbeitenden positiv verändern(Remdisch, Horstmann & Eckerth, 2013).

Obwohl die Theorie zeigt, dass eine gesund-heitsförderliche Führungskultur zur Gesund-heit und Arbeitszufriedenheit der Beschäftig-ten und damit wiederum zum Unternehmens-erfolg beitragen kann (Remdisch, Horstmann& Eckerth, 2013), zeigt die Projektpraxis, dass

Im Zuge der demografischen Entwicklung gewinnt die Altenpflege auf individueller und auchauf gesellschaftlicher Ebene immer stärker an Bedeutung. Die Anzahl älterer Menschen, dieUnterstützung bei der medizinischen und pflegerischen Versorgung benötigen, wächst stetigund es bedarf lösungsorientierter Perspektiven, um die wachsenden Herausforderungen inZukunft bewältigen zu können (INQA, 2010). In den Pflegeunternehmen müssen solche Lösun -gen durch die Führungskräfte mitentwickelt und in den Arbeitsalltag implementiert werden.Die Themen Gesundheitsprävention und Erhalt der Arbeitsfähigkeit stehen in unmittelbaremZusammenhang mit primären Führungsaufgaben, denn motivierte und gesunde Mitarbeitendebilden das Fundament für Unternehmenserfolg (Badura et al., 2011).

die Unterstützung und Entlastung durch Vor-gesetzte in der Regel als unzureichend emp-funden wird. Zunächst ist dies ein strukturelles Problem.Der vielfach besprochene Fachkräftemangelzeigt sich gerade in der Altenpflege auf oftdramatische Weise. Für viele Führungs- undLeitungskräfte heißt das in Bezug auf denDienstplan, eine permanente Mangelverwal-tung zu betreiben. Der Ausfall einer exami-nierten Pflegekraft, kann einen Domino-Effektauslösen, der den ganzen Dienstplan für die-sen Tag aus den Fugen hebt. Ein großer Teilder Leitungsaufgabe besteht dann darin, Er-satz zu finden, umzudisponieren und ggf.Menschen aus der zugesagten Freizeit wiederin den Dienst zu holen.

Dass die Führungskräfte oft gar keine Füh-rungs- sondern bestenfalls Leitungskräftesind, ist ein weiteres strukturelles Problem.Sie sind für organisatorische und administra-tive Aufgaben im Sinne des Unternehmens-erfolges zuständig – und im Krisenfall auchfür den konkreten pflegerischen Arbeitsein-satz. Führung im modernen transformationa-len Sinne, also die beabsichtigte und zielori-entierte Beeinflussung und Entwicklung desVerhaltens von Mitarbeitenden im Sinne derUnternehmensziele, findet noch zu seltenstatt, nicht nur in kleinen und mittelständi-schen Pflegeeinrichtungen. Eine knappe Per-sonaldecke und notorischer Zeitmangel las-sen dafür oft – zumindest subjektiv gefühlt –keinen Raum.

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Grundsätzlich tickt die Zeitplanung in jederAltenpflegeeinrichtung nach dem Dienst- undTourenplan, d. h. der Anzahl der zu pflegendenMenschen, dem Ort, wo diese zu pflegen sindund der Art der zu erbringenden Leistungen.Dazu kommen die Vorgaben der Pflegekassenhinsichtlich des Stellenschlüssels, an die jedesUnternehmen gebunden ist. Erst wenn das al -les berücksichtigt ist, könnte über weitere Zeit-management-Strategien nachgedacht werden.

Auch fehlen alltagstaugliche, handhabbareTools, um gut und gesund führen zu können,denn meistens werden Führungskräfte in derPflege aus der praktischen Arbeit, mit einerhervorgehobenen Fachlichkeit, einer relativlangen Betriebszugehörigkeit, oder aber ausder Notwendigkeit, schnell eine vakante Stellemit einer Nachwuchskraft besetzen zu müs-sen, hervorgebracht. Eine solche unvorher-sehbare und unvorbereitete Entwicklungbringt große Herausforderungen mit sich.Nicht ausreichend und auf Nachhaltigkeit hinausgebildete Führungskräfte fühlen sich inihre r Rolle häufig unsicher und können ihrenVerantwortungsbereich weder für sich selbst,noch für ihre Mitarbeitenden klar definieren.Findet beispielsweise durch eine Beförderungein Rollenwechsel von der Kollegin zur Vor-gesetzten im gleichen Team statt, ist dies fürbeide Seiten problematisch. Den neuen Wohn - bereichs- oder Teamleiter/innen fällt es häufigschwer, Aufgaben an Mitarbeitende zu dele-gieren, konkrete Arbeitsanweisungen zu er-teilen, Veränderungen zu implementieren undsich in gesundem Maße von dem Team abzu-grenzen. Dies kann von der Sorge begleitetsein, dass es aufgrund der getroffenen Maß-nahmen zu einer sehr typischen „Verweige-rungsreaktion“ einzelner Teammitgliederkommt, nämlich sich für den nächsten Tag,die nächste Schicht krankzumelden. Es gibtPflegeeinrichtungen die zeitweise einen Kran-kenstand von bis zu 20 % aufweisen.

Da Personalknappheit nicht die Ausnahme,sondern die Regel in der gesamten Brancheist, finden regelmäßige, gezielte und fest ter-minierte Mitarbeitergespräche eher seltenstatt. Qualifizierungsbedarfe, Dienstplanwün-sche, Konflikte sowie berufliche und privateProbleme der Mitarbeitenden werden häufig„zwischendurch“, vor oder nach dem Feier-abend besprochen. Konkrete gesundheitsför-derliche Maßnahmen hingegen beschränkensich bislang meist auf den allgemeinen Ge-sundheitsschutz und den Einsatz von Hilfs-mitteln für rückenschonendes Arbeiten. Ob-wohl insbesondere die psychische Belastungin der Pflegebranche im Vergleich zu anderenBerufssparten sehr stark ausgeprägt ist, wer-den präventive Strategien und Angebote zurErhaltung der psychischen Gesundheit kaumangeboten. Die Erfahrungen im Projekt AGE -KO decken sich erneut mit den Ergebnissender Studie der Leuphana Universität (Rem-disch, Horstmann & Eckerth, 2013).

Angesichts der Belege, dass Führungskräfteeine Vorbildfunktion innehaben und sich eineKorrelation zwischen Führungsqualitäten, Mit-arbeitergesundheit und Zufriedenheit ausma-chen lässt (Simon et al., 2005), ist es in Zukunftunerlässlich die Führungskompetenzen gezieltweiterzuentwickeln und an die spezifische Si-tuation des Unternehmens und der Mitarbei-tenden anzupassen. Hierzu muss jedo ch dasBewusstsein und die Effektivität einer gesun-den Führungsstrategie in der Pflege branchenoch gestärkt werden.

Insbesondere Frauen in der Führung, die häu-fig einer Doppelbelastung aus Karriere undprivaten Verpflichtungen ausgesetzt sind,müssen in den Fokus gerückt werden. Ein Zieldes Projektes AGEKO ist es daher, insbeson-dere Frauen in Führungspositionen durch denEinsatz gezielter Qualifizierungen in ihrerHand lungsfähigkeit, Führungskompetenz undRolle als Vorbild zu stärken.

Um in Zukunft gesund führen und Mitarbei-tende in der Altenpflegebranche halten zukönnen, sollten Führungskräfte für ihre Vor-bildfunktion sensibilisiert und unterstützt wer-den. Sie müssen achtsam für ihre eigene Ge-sundheit und die ihrer Mitarbeitenden seinund durch eine optimierte und strukturierteArbeitsweise zu ressourcenschonendem, prä-ventivem Arbeiten auffordern und motivieren.Sie sollten sich einen Überblick über die Viel-falt gesundheitsfördernder Maßnahmen ver-schaffen, die Bedarfe der eigenen Mitarbei-tenden in regelmäßigen Gesprächen ermittelnund bedarfsgerechte Angebote als Zeichen derWertschätzung kommunizieren und anbie ten(Remdisch, Horstmann & Eckerth, 2013).

Hier liegen große Herausforderungen aberauch Chancen für die Pflegebranche, sich zu-kunftsweisend neu aufzustellen und nachhalti -ge, erfolgreiche Strategien für die Qualität derPflege, die Arbeitsgestaltungskompetenz derMitarbeitenden auf allen Ebenen und damitfür unternehmerischen Erfolg zu entwickelnund zu implementieren.

LiteraturBadura, B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, J. & Macco, K.

(Hrsg.). (2011). Fehlzeiten-Report 2011 – Führung undGesundheit – Zahlen, Daten, Analysen aus allen Bran-chen der Wirtschaft. Berlin, Heidelberg: Springer-Ver-lag.

Initiative Neue Qualität der Arbeit INQA (2010). GuteFührung in der Pflege. Abgerufen von https://www.inqa.de/SharedDocs/PDFs/DE/Publikationen/pflege-hh2-fuehrung.pdf?__blob=publicationFile

Remdisch, S., Horstmann, D. & Eckerth, H. L. (2013).Gute Führung entscheidet – Forschungsbericht zurOrganisationalen Gesundheit in der Pflegebranche.Leuphana Universität Lüneburg, S. 1 – 20.

Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohl-fahrtspflege (BGW) (2006). BGW-Projekt „Führung undGesundheit“ – Wie Führungskräfte zur Mitarbeiterge-sundheit beitragen können: Eine Pilotstudie in aus-gewählten BGW-Mitgliedsbetrieben – 1. Teilprojekt:Literaturanalyse. Abgerufen von http://www.gesund-heitsmanagement24.de/wp-content/uploads/2015/08/bgw-projekt-fuehrungsstil-und-gesundheit.pdf

Führungskräfte, die vorbildlich agieren, ihre Mitarbeitenden zur Mitgestaltung der Arbeitsprozesse motivieren und Warnsignaleder Belastung frühzeitig erkennen, beeinflussen die Arbeitssituation positiv.

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Kreativität und Improvisation in der Pflege

Zur Bedeutung von künstlerisch-schöpferischen Anreizen in der Unterstützung von Beschäftigten in der häuslichen und ambulanten Pflege

In unserem Unternehmen haben wir uns im Rahmen desProjektes AGEKO dazu entschieden, den Versuch zu wagen,unsere Beschäftigten durch kunst-pädagogische Ansätzein den Qualifizierungen zu unterstützen. Hierzu haben wirdas Improvisationstheater ausgewählt. In anderen Bran-chen und vor allem auf Managementebene gibt es seit lan-gem den Trend, Strategien aus den unterschiedlichen Küns-ten zu nutzen, um Organisation und Individuum fitter zumachen, für die Bewältigung der alltäglichen Organisati-onsprozesse. In der Pflege ist dieser Ansatz weniger ver-breitet. Geht man aber davon aus, dass Anreize aus derKunst dazu führen, Eigenverantwortlichkeit zu stärken undnon-lineares, schöpferisches Denken und Handeln freizu-setzen, das ja in jedem Menschen zu einem gewissen Gradvorhanden ist, dann ist dies genau das Potenzial, das Be-schäftigte in der Pflege und speziell in der häuslichen, am-bulanten Pflege entlasten und stärken kann.

Die Kunst der Improvisation und speziell das Improvisati-onstheater hat eine besondere Affinität zur Pflege und kanndadurch die Beschäftigten unmittelbar ansprechen. Pfle-gearbeit hat viel mit Improvisationskunst zu tun. In Inter-aktionssystemen, gerade in der häuslichen Pflegesituation,muss man immer wieder auf Stimmungen und Emotionenreagieren. Man weiß nie genau, was an einem Tag auf einenzu kommt, welche tatsächlichen und emotionalen Bedarfedie Patienten und Angehörigen an diesem Tag haben. Da-rauf muss man sich immer neu einstellen und muss dannin seinem Handeln improvisieren können. Auch aufgrundfehlender Ressourcen gibt es manchmal Improvisations-bedarf. Das heißt Improvisation ist unseren Mitarbeiternbereits vertraut und eine professionelle Heranführung andieses Thema kann sie in ihrem Tun stärken. Ich möchtedies an drei Aspekten verdeutlichen.

EmpowermentViele Beschäftigte in der Pflege ergreifen diesen Beruf auf-grund einer starken inneren Haltung gegenüber den Aufga -ben in der Pflege. Man hat eine klare Vorstellung von dem,was man mit dieser Tätigkeit für andere Menschen leistenmöchte. Diese Haltung und diese Vorstellung werden häufigdurch die Realität des Berufsalltags zermahlen. Es ist einBerufsfeld, das viele Schwierigkeiten mit sich bringt. Es gibtpsychisch und physisch hohe Anforderungen und er-schwerte Arbeitsbedingungen. Die gesellschaftliche Wert-schätzung für Pflegearbeit äußert sich oft in Bemerkungenwie „ ... das würde ich nie können“, und suggeriert so, dassman da etwas tut, was eigentlich keiner gerne tun möchte.Auf institutioneller Ebene fehlt eine angemessene finanziel -le Entlohnung für diesen Beruf und gesetzliche Grundlagen,um ihn zu schützen. Diese Situation erzeugt eine gewisseFrustration. Die Beschäftigten sind unzufrieden in ihrem

Beruf, sie fühlen sich in ihrem Wert unterschätzt und ver-lieren Engagement und Selbstvertrauen. Viele ziehen sichin sich zurück und versuchen, so schnell wie möglich ausdem Beruf auszusteigen.

Hier bietet ein kunst-pädagogischer Ansatz viel Potenzial,um diese Situation positiv zu verändern. So können bei-spielsweise Übungen und Strategien des Improvisations-theaters die Möglichkeit schaffen, wieder Kraft und Inspi-ration zu beziehen, sich auf seine Fähigkeiten zu besinnen,Selbstvertrauen zu gewinnen, um den vielfältigen Kompe-tenzanforderungen gerecht zu werden. Man lernt durch dieImprovisationsübungen viel über Ursache und Wirkung.Wenn ich mich auf eine bestimmte Art und Weise verhalte,beispielsweise meine Stimme gezielt einsetze, erziele ichbestimmte Effekte. Ich lerne die Wirkung meines Verhaltenseinschätzen und kann so beispielsweise Konfliktsituationenim Team, aber auch in der Interaktion zwischen dem Pa-tienten, den Angehörigen und mir selbst als Pflegekraft be-wusster steuern. Das erzeugt Selbstvertrauen und Sicherheitim Handeln. Ich lerne so meine eigenen Fähigkeiten kennenund nutzen und das stärkt mich in meiner beruflichen Tätig -keit und meinem Selbstwertgefühl. Das nutzt nicht nur demIndividuum. Die Qualität von Pflegearbeit wird so gesteigert.Die Mitarbeiter gewinnen die Fähigkeit ihre Arbeits situationflexibel und für sich positiv zu gestalten und stärken so so-wohl ihre Leistungsfähigkeit als auch die Harmonie zwi-schen ihren persönlichen Erwartungen und Anforderungenund ihrer tatsächlichen Performance. Sie handeln selbst-wirksam, das heißt, sie fühlen sich in der Lage Anforderun-gen aktiv zu beeinflussen, Probleme aus eigener Kraft zumeistern und eigene Absichten und Ziele zum Wohle desPatienten zu verwirklichen.

Raum für spielerisches und kreatives Denken, Handeln und KommunizierenDie Pflege ist ein Handlungsfeld mit hohem Organisations-grad. Viele Dinge und Abläufe sind vorgegeben und regle-mentiert. Oft wird man in seinem Handeln eingeschränkt.Man steckt in einer Art Korsett und verlernt es sich frei zubewegen und zu entscheiden, kreativ zu sein. Auf der an-deren Seite gerät man aber immer wieder in Situationen,in denen sich etwas verändert, in denen man ganz plötzlichreagieren und in seinem Handeln entscheiden muss. Hierhilft eine hohe Fachlichkeit, die Sicherheit im eigenen Han-deln verleiht. Auf der anderen Seite ist aber auch die Fä-higkeit, nicht nur zu reagieren, sondern auch spielerisch,flexibel und kreativ gestalten zu können, ein entscheidendesPotenzial. Raum für Kreativität und Spiel ist in der alltägli-chen Pflegearbeit nicht vorhanden. Diesen Raum mussman für sich entwickeln, um auch wieder zu lernen, kreativmit Herausforderungen umzugehen. Ein spielerischer An-

Maurizio de Matteis

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satz, wie er im Improvisationstheater umgesetzt wird, kannhier sehr viel Kraft auch für den Berufsalltag geben. Manentwickelt eine ganz neue Perspektive und einen neuenModus zu handeln. Natürlich können wir als Unternehmenda nur Anreize setzen. Wir können vermitteln, welche posi-tiven Nebeneffekte sich über eine künstlerisch-schöpferi-sche Tätigkeit für die eigene Persönlichkeit und die Perfor-mance im Beruf ergeben können. Ich würde mir wünschen,dass dadurch ein Zugang geschaffen wird, dass Beschäftigteerkennen, welch’ gutes Gegengewicht und welche Unter-stützung Kunst zu bieten hat und so vielleicht auch imPrivat leben, die Beschäftigung mit Kunst oder eine künst-lerische Tätigkeit für sich nutzen. Spiel und Kreativität, letzt-endlich auch Kunst sind in diesem Zusammenhang ein Ins -trument, um die eigene Entwicklung voranzutreiben undLeistungsfähigkeit aber auch Balance und Harmonie imDenken und im Handeln zu unterstützen.

Improvisationskunst als Orientierungs- und HaltepunktEine wichtige Anforderung der Pflegearbeit ist der Umgangmit Unsicherheit und nicht planbaren Situationen, mitscheinbarer Unordnung und Komplexität und die Flexibili-tät, sich immer wieder neu auf Situationen einzustellen. Eswurde gezeigt, wie die Stärkung eines kreativen und künst-lerischen Denkens und Handelns helfen kann, diese Anfor-derungen zu bewältigen. Durch die Stärkung des Selbst-wertgefühls und der Selbstwirksamkeit bietet dieser Ansatzaber auch eine Möglichkeit, Orientierung und einen Halte-punkt zu schaffen. Hier besteht ein hoher Bedarf, denn oftmuss der Bereich der objektivierenden Vorgaben und Re-geln überwunden werden, weil sich eine Situation ganzneu gestaltet und Regeln nicht mehr passen. Die Pflegekraftist hier auf ihre subjektive Einschätzung der Situation undauf ein subjektivierendes Handeln angewiesen, um die Si-tuation zu meistern. Diese eigenverantwortliche Art zu han-deln verlangt einem viel ab. Orientierung und Haltepunktesind in dieser Situation von hoher Bedeutung. Im Improvi-sationstheater geht es beim eigenen Spiel aber auch beimZusammenspiel in der Gruppe um die unmittelbare Ver-bindung zwischen dem gemeinsam geschaffenen und derReaktion darauf und damit um die Weiterentwicklung desGeschaffenen. Die Spieler erschaffen ein gemeinsamesWerk, das ihnen sozusagen das Ergebnis ihrer Kreativitätvisuell vor Augen führt und dem Spiel seine Zufälligkeitnimmt. Ein solches Ergebnis kann eine Orientierung bieten,an die man sich als das Produkt eines gemeinsamen dia-

logischen Vorgehens und einer empfindenden, spürendenWahrnehmung erinnert und die einen Halt bietet. DieserHalt wird durch die Identifikationspotenziale, die in einersolchen Handlungsweise liegen, betont. Es ist ein tolles Er-folgserlebnis, wenn man etwas gemeinschaftlich produ-ziert. Nicht zu unterschätzen ist auch die Erfahrung, die dieAkteure machen, indem sie in einem „geschützten“ Raumungewöhnliche Verhaltensweisen in typischen Arbeitssi-tuationen frei ausprobieren. Das bringt nicht nur sehr vielSpaß ins Spiel, sondern eröffnet völlig neue Perspektivenauf im Alltag als problematisch empfundene Situationen,die damit an „Dramatik“ verlieren. Daher könnte man auchdaran denken, beispielsweise bei Unternehmensfeierlich-keiten Sequenzen des Improvisationstheaters aufzuführen,was auch den Effekt der Identifikation verstärken würde.Das kann auch für die Organisationskultur eines Unterneh-mens viele Vorteile bieten, wenn man nämlich für die Füh-rungskräfteentwicklung ebenfalls einen solchen Ansatznutzt und über eine gemeinsame künstlerisch-schöpferi-sche Tätigkeit Organisationskultur gemeinsam gestaltet.

FazitEin künstlerisch-schöpferischer Ansatz in der Personalent-wicklung in der Pflege kann große Vorteile für Individuumund Organisation bieten. Allerdings ist zu berücksichtigen,dass es für einen nachhaltigen positiven Effekt entsprechen -der Rahmenbedingungen bedarf. Die Grundvoraussetzungdafür, dass es sich bei Qualifizierungen und Workshopsdieser Art nicht nur um ein einmaliges Licht Anknipsen undwieder Ausknipsen, also ein Intermezzo handelt, ist eineentsprechende Unternehmenskultur. Dazu gehört an ersterStelle ein vertrauensvolles Verhältnis im Unternehmen.Zwischen den Mitarbeitern, der Führungsebene und derLeitung muss Vertrauen bestehen. Die Mitarbeiter müssensich mit dem Unternehmen, den Werten und den Ideen imUnternehmen identifizieren. Führungskräfte und Leitungmüssen weitsichtige Entscheidungen treffen und die Mit-arbeiter dazu motivieren, über den Tellerrand zu schauenund den Beruf als Entwicklungsprozess wahrzunehmen.Nur so können sie sich auf diesen Ansatz einlassen und ihnfür sich und ihre Arbeit nutzen. Nur so kann im Unterneh-men eine Kultur und ein Klima entstehen, dass die Früchteeines künstlerisch-schöpferischen Denkens und Handelnsgedeihen lässt. Ein weiterer positiver Effekt auf der Unternehmensebene istder Aspekt des Employer Brandings, das durch die Verwen-dung solcher Instrumente zur Stärkung der Mitarbeiter ge-nutzt wird und das Unternehmen in der Reputation und fürdie Gewinnung von engagierten Mitarbeitern festigen kann.

Die Berufe in der Pflege haben eine riesige Zukunft, obdiese rosig oder rostig sein wird, liegt an der Gestaltungdieser Berufe. Diese beiden Szenarien liegen nur einen Kon-sonant voneinander entfernt. Konzepte und Strategien ausder Kunst können hier genutzt werden, um das rosige Zu-kunftsszenario zu realisieren und durch Spaß, Spiel undKreativität eine neue Qualität der Pflegearbeit zu schaffen.

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In Einrichtungen der Altenhilfe wird vielfachnoch immer eine „Sitzkultur“ gepflegt, die aufder Sorge um sturzgefährdete BewohnerInnensowie Mangel an Zeit und Personal, aber auchUnkenntnis und fehlender Kreativität derPflege- und Betreuungskräfte (eingeschränkteArbei tsgestaltungskompetenz) gründet (Ber-ner et al., 2013). Dies spiegelt einen eher vonPassivität geprägten Alltag der Pflegebedürf-tigen wider. Die Folgen können Bewegungs-einschränkungen und Immobilität sein. Diesehaben viele negative Folgen sowohl für dieunmittelbar Betroffenen als auch für das sor-gende Umfeld (Berner et al., 2013). Es hat sichaber gezeigt, dass Aktivierung dazu führt, dasssich einerseits die Mobilität, andererseits aberauch kognitive Funktionen verbessern und zumehr Zufriedenheit der zu Pflegenden führenund deshalb ein Umdenken seitens der Pfle-gekräfte unbedingt erfolgen muss.

Der pflegebedürftige, ältere Mensch der Zu-kunft ist vielleicht zwar multimorbide, jedocheinen abwechslungsreichen, aktiven Lebens-stil gewohnt. Daher will und muss er, auchwenn er in seiner physischen Leistungsfähig-keit und/oder kognitiven Funktion, Verarbei-tungsgeschwindigkeit sowie Lebensqualität(Langlois et al., 2012) eingeschränkt ist, weiteraktiviert werden, um am allgemeinen Lebenteilzunehmen, und so die höchstmögliche Le-bensqualität zu erhalten. Die neuesten Studienzeigen darüber hinaus, dass kognitive Perfor-manz und Lebensqualität durch spezielle Trai-ningseinheiten ebenfalls wesentlich verbes-sert werden können (Langlois et al., 2012).Schon heute treiben signifikant mehr Männer(+ 6,7 Prozentpunkte) und Frauen (+ 6,5 Pro-zentpunkte) regelmäßig Sport als noch vor et -wa 10 Jahren – mindestens 2 Stunden pro Wo-che – und diese positive Tendenz hält an.

Der Wandel in Richtung „Bewegungskultur“in der Altenpflege erfordert vielfältige Verän-derungen. Leitbilder in Pflegeeinrichtungen

Marie Jégu, Jochen Scharf

müssen ebenso verändert werden wie dieSichtweisen und HandlungskompetenzenPflegender (Berner et al., 2013).

Physisches Training als Teil aktivierender

Alltagsgestaltung

Körperliche Leistungen wie Gehen, Aufstehenvon einem Stuhl oder Treppensteigen sindSchlüssel zur Selbstständigkeit älterer Men-schen. Aber gerade hier finden sich sehr oft er -hebliche Defizite. Durch ein gezieltes Trainingkann dem Abbau körperlicher Leistung effek-tiv entgegengewirkt werden (z. B. hat Trainingeine Wirkung auf das Herz-, Kreislauf-, At-mungs- und Stoffwechselsystem) (Chin et al.,2008). Regelmäßige Bewegung (mind. 2 bis 3Einheiten/Woche) hat darüber hinaus weiterepositive Wirkungen auf die Gesundheit. Ko-gnitive Leistungen oder kognitive Funktionen,die täglich gebraucht werden, wie Kontrolle,Verarbeitungsgeschwindigkeit und Arbeitsge-dächtnis werden verbessert (Langlois et al.,2012). Auch psychische Befindlichkeiten wer-den (Depressivität und Apathie) positiv durcheine aktivierende Alltagsgestaltung und regel-mäßige Bewegung beeinflusst. Auf der sozia-len Ebene zeigen Langlois und seine Kollegen(2012), dass körperliches Training eine posi-tive Wirkung auf Sozial- und Familienbezie-hungen haben kann. Selbst Ältere, die bislangsehr wenig aktiv waren, profitieren bereitsdurch relativ wenig zusätzliche körperlicheAktivität und erzielen dementsprechend einehöhere Lebensqualität. Das heißt, jede zu-sätzliche Bewegung ist mit gesundheitlichemNutzen verbunden. Jeder auch noch so kleineSchritt weg vom Bewegungsmangel ist wich-tig und fördert die Gesundheit (Rütten & Pfei-fer, 2016). Sogar bei bestehender Demenzkönnen die physischen Leistungen mithilfeeines Trainingsprogrammes bewahrt oder so-gar verbessert werden.

Auch vor dem Hintergrund weiter steigenderLebenserwartung ist der Erhalt und die Förde -

Aktivierende Alltags- und aktive Arbeitsgestaltung in Pflegeund Betreuung – Synergien für eine gute Lebensqualität

rung körperlicher und geistiger Leistungsfä-higkeit in fortschreitendem Alter von heraus -ragender Bedeutung für die Selbstständigkeitund Lebensqualität alter Menschen. Dies trifftganz besonders auf diejenigen zu, die auf-grund physischer, kognitiver oder mentalerEinschränkungen in ihrer Alltagsbewältigungbereits auf Hilfe angewiesen sind. Egal ob inder ambulanten, teilstationären oder statio-nären Pflege können Pflegefach- und Betreu-ungskräfte einen wichtigen Beitrag zu eineraktivierenden Alltagsgestaltung mit entspre-chendem Bewegungsangebot beitragen.

Für die Umsetzung eines regelmäßigen Trai-ningsprogramms zur Aktivierung älterer Men-schen gibt es eine Reihe von wissenschaftlicherprobten Bewegungsprogrammen. Zum Bei-spiel kann das vom Institut für Bewegungs-und Sportgerontologie der Deutschen Sport-hochschule Köln entwickelte Programm „fitfür 100“ zur Orientierung herangezogen wer-den (Mechling, 2007). Dessen Kern ist es, fürdie sehr heterogene Zielgruppe der Hochalt-rigen Möglichkeiten aufzuzeigen, durch Koor-dinations- und kräftigende Übungen die Mus-kelleistungen in den Hauptmuskelgruppenund damit die Alltagsfunktionen zu verbes-sern (Mechling, 2007). Das bedeutet, dass be-sonders solche Bewegungsabläufe relevantsind, die sich in alltäglichen Bewegungen z. B.beim An- und Auskleiden, der Körperpflege,der Hausarbeit oder typischen Freizeitakti -vitäten wiederfinden. Als Kräftigungsübungfür die Rumpf- und Armmuskulatur kann bei-spielsweise das „Wäscheaufhängen“ simuliertwerden, indem die Beuge- und Streckbewe-gung von Rumpf und Armen mit vollen 500 mlMineralwasserflaschen in den Händen ausge-führt wird. Neben Gewichten in unterschied-licher Form (Manschetten, Kleinhanteln, All-tagsgegenstände siehe oben) können auchelastische Trainingsbänder oder Handtücherzum Einsatz kommen, mit denen hervorra-gend isometrische Übungen (Anspannung der

Altern ist heute kein reines Schicksal mehr, sondern ein bewusst gestaltbarer Prozess. Körperliche

und geistige Fitness, gesunde Ernährung, soziale Teilhabe sind Grundpfeiler, auf denen ein aktives

Altern aufbaut. Im Folgenden wird der Fokus auf die Förderung körperlicher Aktivität für ältere und

pflegebedürftige Menschen zum Erhalt der Selbstständigkeit, Mobilität und Gesundheit gerichtet.

Ziel ist es, neben der aktivierenden Alltagsgestaltung der zu Pflegenden auch Synergien einer aktiven

und gesunden Arbeitsgestaltung für das Pflege- und Betreuungspersonal zu schaffen.

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Dienstleister als vielmehr als ein partnerschaft-liches Miteinander gesehen werden (Berner etal., 2013). Orientieren sich die Pflege- und Be-treuungskräfte an den Bedürfnissen der Pfle-gebedürftigen und bieten aktivierende Anreizefür deren Alltag, haben diese positiven Einflussauf die Gesundheit, Selbstständigkeit und dasgesamte Wohlbefinden der zu Pflegenden. Einpartnerschaftliches Miteinander im Pflegepro-zess wird gefördert. Daraus ergibt sich für dieMitarbeitenden eine Erleichterung der Arbeitund schafft Spielräume für die aktive Gestal-tung des Arbeitsalltags.

Dieser Synergieeffekt verbessert somit die Le-bensqualität auf beiden Seiten. Die erfolgrei-che Umsetzung einer aktiven Gestaltung einesaktivierenden Pflegealltags bedeutet schließ-lich eine komplexe, vor allem auch überfach-liche Arbeitsgestaltungskompetenz.

LiteraturBerner, R., Fischer, U., Kreutzner, G., Kuhn, C., Radzey,

B., Rutenkröger, A. & Wißmann, P. (2013). Den Alltaggestalten – Praktische Hilfestellungen für die Pflegevon Menschen mit Demenz. Berlin: Initiative NeueQualität der Arbeit (INQA) der Bundesanstalt für Ar-beitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)

Chin, A. P. M. J., van Uffelen, J. G., Riphagen, I. & vanMechelen, W. (2008). The functional effects of physicalexercise training in frail older people: A systematicreview. Sports Medicine, 38(9), 781 – 793. doi:10.2165/00007256-200838090-00006

Langlois, F., Vu, T.T.M., Chassé, K., Dupuis, G., Kergoat,M.J. & Bherer, L., (2012). Benefits of physical exercisetraining on cognition and quality of life in frail olderadults. Journals of Gerontology Series B: Psycholo-gical Sciences and Social Sciences, 68(3), 400 – 404,doi:10.1093/geronb/gbs069. Advance Access publi-cation August 28, 2012

Mechling, H. (2007). „fit für 100“ – Ein Bewegungspro-gramm zur Förderung der Mobilität und Selbststän-digkeit für Hochaltrige. Köln

Rütten, A. & Pfeifer, K. (2016). Nationale Empfehlungenfür Bewegung und Bewegungsförderung. FAU Erlan-gen-Nürnberg

Muskulatur ohne Bewegung) durchgeführtwerden können. So kann durch ein abwechs-lungsreiches, regelmäßiges Training sowohleine Kräftigung der Muskulatur als auch eineVerbesserung der Ausdauerfähigkeit erzieltwerden, was eine Grundvoraussetzung für dieallgemeine Leistungsfähigkeit auf physischerwie auch auf mentaler, kognitiver und psychi -scher Ebene ist. Jegliche Teilhabe am alltäg-lichen Leben wird dadurch, selbst für Hoch-altrige, deutlich leichter.

Ähnliches gilt für Koordinationsübungen. Miteinem Handtuch lassen sich die typischen Be-wegungen des Körperabtrocknens simulieren,oder es wird im Wechsel unter den angeho-benen Beinen durchgereicht (Arm – Bein undKreuzkoordination). Bälle sind immer ein viel-seitiges Trainingsgerät mit hohem Aufforde-rungscharakter; egal ob Luftballons zum Ba-lancieren, Igelbälle mit erhöhtem taktilen Reizoder Softbälle, die sogar gefahrlos gewor fenwerden können. Die so gezielt trainierbarenFertigkeiten im Bereich der Sensomotorik (Be-wegungskontrolle, Verarbeitungsgeschwindig-keit von Reizen und das Arbeitsgedächtnis)sind eine wichtige Basis für den Erhalt derSelbstständigkeit bis ins hohe Alter. Es gibteine Fülle von Übungsmöglichkeiten und mitder Kreativität der Übungsleitung (Pflege- oderBetreuungskraft) lässt sich viel Abwechslungschaffen. Selbstverständlich immer der Belast-barkeit der Trainingsgruppe angepasst undunter Berücksichtigung relevanter Sicherheits-aspekte insbesondere der Sturzvermeidung.Das Ergebnis ist eine aktivierende Gestal tung(seitens der Pflege- und Betreuungskräfte) undaktive Teilhabe (seitens der Pflegebedürftigen)am alltäglichen Leben. Die Implementierungeines regelmäßigen Bewegungstrainings be-deutet also eine signifikante Verbesserung derLebensqualität der Pflegebedürftigen. WelcheAuswirkungen und Anforderungen ergebensich daraus für die Arbeitsgestaltung der Pfle -ge- und Betreuungskräfte?

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Aktive Arbeitsgestaltung in Pflege

und Betreuung

Körperliche Aktivität ist mit signifikanten Ver-besserungen von mentaler Gesundheit undWohlbefinden sowie einigen Bereichen derLebensqualität assoziiert (Rütten & Pfeifer,2016). Dazu steigt das Bedürfnis pflegebedürf-tiger, älterer Menschen nach aktiver Teilhabeam sozialen Leben (Berner et al., 2013). Wasbedeutet das für die Pflege- und Betreuungs-kräfte? Zum einen stellt die Aktivierung derPflegebedürftigen eine Herausforderung dar,zum anderen bietet sich eine Chance, den Pfle -gealltag aktiver zu gestalten, die Beziehungzu den anvertrauten Menschen zu verbessernund letztendlich die Arbeit zu erleichtern. Da-von können beide Seiten profitieren.

Daher ist eine flexible Alltagsgestaltung mitsinnvollen Tätigkeiten und dem Leitprinzip„Bedürfnisorientierung vor Ablauforientie-rung“ eine wesentliche Grundlage für die Le-bens- und Arbeitsqualität in der Pflege (Berneret al., 2013). Eine Entwicklung hin zur Bewe-gungskultur (s. o.) wird damit möglich. DieBewäl tigung dieser Herausforderung stellt we-niger Ansprüche an die (Pflege-)fachliche Qua-lifikation als viel mehr an die überfachlichen,individuellen Kompetenzen. Kreativität unddie Bereitschaft neue Wege zu gehen sind da-bei ganz wesentliche Erfolgsfaktoren (Berneret al., 2013). Die Anpassung von Pflegeleitbil-dern kann zwar Orientierung bieten, den Erfolgerzielen jedoch die Pflegeteams mit dem par-tizipativen Erarbeiten von Konzepten zur Ge-staltung eines abwechslungsreichen, aktivie-renden Pflegealltags. Die Einbindung in dengemeinsamen Lern- und Entwicklungsprozesslässt für die einzelnen Mitarbeiter mehr Hand-lungssicherheit entstehen (Berner et al., 2013). Aktive und aktivierende Arbeits- und Alltags-gestaltung in der (Alten-)Pflege und Betreuungsind dann keine zusätzliche Belastung, wennim Verständnis von Pflege und Betreuung dieRollen weniger als eine Beziehung Kunde –

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Mit diesen kurzen Sätzen beschreibt maxQ. im bfw – Unter -nehmen für Bildung in seinem Newsletter Juli 2017 die er-folgreich durchgeführte erste Schulung für Pflegecoachesim Rahmen des Projektes HYBRICO. Was verbirgt sich hinterHYBRICO und Pflegecoaching 4.0? „HYBRICO – Pflegecoa-ching für informell Pflegende“ ist ein Forschungsprojekt,das unter der Leitung des FIAP, Forschungsinstitut für in-novative Arbeitsgestaltung und Innovation e. V. gemeinsammit maxQ. durchgeführt wird. maxQ. ist die Marke für denGesundheitsbereich im Berufsfort bildungswerk, gemeinnüt-zige Bildungseinrichtung des DGB GmbH (bfw). Als Bildungs-unternehmen im Bereich der Pflege- und Therapieberufeist maxQ. immer daran interes siert, innovative Bildungs-dienstleistungen zu entwickeln, zu erproben und dann insein Angebot zu übernehmen. Ziel des Projektes ist die Ent-wicklung und Erprobung eines innovativen Weiterbildungs-angebots zur Unterstützung des Selbstlernens und Selbst-managements pflegender Angehöriger. Die direkte undindividuelle Unterstützung durch Coaches erfolgt paralleldurch eine umfassende, digitale Lern- und Austauschplatt-form, die es sowohl den Coaches als auch den pflegendenAngehörigen ermöglicht, sich die notwendigen Informatio-nen aktuell, schnell und niederschwellig anzueignen sowiein den Austausch mit anderen Betroffenen zu kommen.

Der erste Durchlauf der Qualifizierung zeigt, dass sich dasvom FIAP und von maxQ. gemeinsam erarbeitete Konzeptbewährt hat, Ergänzungen und Anpassungen sowie Ver-besserungsvorschläge konnten direkt umgesetzt werden.Das Konzept sollte – das ist einer der Kernpunkt des Pro-jektes – die konkreten Anforderungen und Bedürfnisse derBetroffenen, also der pflegenden Angehörigen, aufnehmen.Um diese zu erfassen, wurden zahlreiche qualitative Inter-views geführt: mit pflegenden Angehörigen, mit Exper tinnenund Experten aus Pflegeeinrichtungen, mit dem DeutschenGewerkschaftsbund und interessierten Unternehmen. Inmehreren Innovationswerkstätten wurden die Inhalte fürdie angestrebte Qualifizierung zum Coach für pflegendeAngehörige weiter konkretisiert. Die partizipative und kun-denintegrierte Vorgehensweise bei der Entwicklung desneuen Dienstleistungsangebots „Pflegecoaching 4.0“ warerfolgreich, sowohl bei der Formulierung der Themen undInhalte, als auch bei der Entwicklung des virtuellen Ange-bots. Im Folgenden sollen einige Aspekte und Fragestellunggenauer betrachtet werden:

Elisabeth Meyer

„Jeder weiß, wie sich Bauchschmerzen anfühlen, denn jeder hatte schon mal Bauch-

schmerzen. Aber niemand von uns weiß, wie sich Demenz anfühlt.“ Das hat sich durch

„HYBRICO – Pflegecoaching 4.0“ geändert. Der erste Durchlauf der Qualifizierung zum

Coach für pflegende Angehörige wurde erfolgreich beendet.

Pflegecoaching 4.0 – wer waren die Teilnehmerinnenund Teilnehmer?Grundsätzlich verfolgt das HYBRICO-Team den Gedanken,dass jede Person, die Interesse daran hat, pflegende An -gehörige zu beraten und zu unterstützen, sich zum Pflege -coach qualifizieren kann. Vorkenntnisse und Erfahrungenim Bereich der Pflege sind nicht erforderlich. Beim Pflege-coaching geht es nicht vorrangig darum, als Coach Fach-wissen zu vermitteln, sondern darum, zu beraten und aufzu -zeigen, wo pflegende Angehörige sich informieren können,wo sie Hilfe bekommen, wo sie ihre eigenen Kenntnissevertiefen können. Es geht auch darum, für das ThemaSelbstsorge zu sensibilisieren und Wege aufzuzeigen, wieder informell Pflegende psychischen und physischen Ge-sundheitsschäden, die durch die Belastungen der Pflegeeines Angehörigen entstehen können, entgegenwirkenkann. Kompetenzen für das Management von Pflege undBeruf sollen durch das Coaching vermittelt werden.

Konkret gab es im ersten Kurs insgesamt elf Teilnehmende,zehn Frauen und einen Mann. Auch hier zeigt sich, dassPflege vorrangig ein weiblich besetztes Thema ist. Umsoerfreulicher, dass ein Mann mit dabei war, der einen ande-ren Blick auf einige Fragestellungen hatte und so neue Im-pulse setzen und Überlegungen anstoßen konnte.

Sechs Teilnehmerinnen kamen aus der Pflege, ihr Aufga-benbereich umfasst auch umfangreiche Kommunikations-aufgaben mit pflegenden Angehörigen (ambulante Pflege,Tagespflege, vorgeschriebene Pflegeberatung bei häusli-cher Pflege durch Angehörige). Eine Teilnehmerin ist Inha-berin einer ambulanten Pflegeeinrichtung und ist ebenfallsexaminierte Fachkraft. Eine Teilnehmerin hat zwar keinenpflegerischen Beruf erlernt, aber ihre dementen Eltern überinsgesamt elf Jahre bis zum Tod begleitet. Seit dieser Zeit

Pflegecoaching 4.0Qualifizierung für eine neue Dienstleistung zur Unterstützung informell Pflegender

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arbeitet sie ehrenamtlich bei der örtlichen Vertretung/Re-gionalstelle der Alzheimer Gesellschaft. Eine weitere Teil-nehmerin strebt eine Beschäftigung in der Pflege an, wasauch im Verlauf der Qualifizierung geklappt hat. Der männ-liche Teilnehmer hat eine ganz andere Berufsbiografie, willaber in Zukunft in der ambulanten Pflege tätig werden.Eine weitere Teilnehmerin hat in ihrer Funktion als DGB-Sekretärin an der Weiterbildung teilgenommen, um zu über-prüfen, wie das Angebot für Betriebsräte und/oder Unter-nehmen genutzt werden kann.

Pflegecoaching 4.0 – Umfang und InhalteDer erste Durchlauf der Qualifizierung „Pflegecoaching 4.0“umfasste 52 Zeitstunden (65 Unterrichtseinheiten) und fandan zwei Nachmittagen in der Woche statt. Das ist über einenabsehbaren Zeitraum (6 bis 7 Wochen) auch für Berufstätigemachbar. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zumgroßen Teil für diesen Kurs von der Arbeit freigestellt oderhaben als Selbstständige oder ehrenamtlich Tätige teilge-nommen. Die Weiterbildungszeiten können natürlich an diejeweiligen Wünsche der Teilnehmenden angepasst werden.Im konkreten Fall waren sie an den Bedürfnissen von Pflege -einrichtungen orientiert: der Beginn am frühen Nachmittagist kompatibel mit Schichtzeiten im Pflegebereich.

Die im Vorfeld partizipativ ermittelten ThemenbereicheKommunikation, Demenz, Recht, Pflegetipps und Selbst-

sorge haben sich bewährt und wurden durch die Teilneh-menden bestätigt. Alle Themen waren für die Teilnehmendenwichtig, besonders groß war das Interesse erwartungsge-mäß bei den Themen Demenz und Recht. Der Bereich „Pfle-getipps“ musste allerdings überarbeitet werden. Es gehtnicht vorrangig darum, welche Handgriffe zum Beispiel beider Pflege tatsächlich hilfreich und richtig sind – diese Auf-gabe können und sollten Pflegecoaches nur dann vermit-teln, wenn sie selber Pflegefachkräfte sind. Pflegelaien soll-ten sich bei diesen Fragen zurückhalten und auf Lehrfilme,Angebote der Pflegedienste oder die kostenfreien Schu-

lungen der Pflegekassen verweisen. Beiden nachgefragten Inhalten ging es viel-mehr um Tipps aus den Bereichen

Recht, Hilfsmittel für den Pflegealltag,die Geltendmachung von Ansprü-

chen etc. Die Skripte und Hand-reichungen wurden entspre-

chend modifiziert.

Zu den Skripten, Arbeitsblättern, MaterialienZu den einzelnen Themenbereichen wurden im Vorfeld derQualifizierung nach umfangreichen Recherchen Skripte,Arbeits blätter, Fragebögen, Selbsttests und Fallbeispiele er-stellt, unterstützende Filme für pflegende Angehörige er-mittelt und zum Teil in Auftrag gegeben. Diese Materialienwurden von allen sehr gut angenommen, da sie praxisnahaktuelles Wissen vermitteln und zielgruppengerecht aufbe-reitet sind. Alle inhaltlichen Hinweise und Ergänzungen ausdem Kurs wurden umgehend in die Mate rialien eingearbeitetund diese dann auf der Lernplattform zur Verfügung gestellt.Kritische Bewertungen, z. B. hinsichtlich der Filme zumThema Pflegetipps, wurden vom Projektteam geprüft unddann berücksichtigt, die Filme ergänzt oder von der Lern-plattform entfernt. Die Bearbeitung der Themen und Mate-rialien ist prozessorientiert und muss fortgeführt werden.

Einen Hinweis der Teilnehmenden aufnehmend, wurdenAuszüge aus den Skripten so aufbereitet, dass sie als Infor-mationsblätter an pflegende Angehörige weitergereichtwerden können. Ein wichtiger Hinweis der zukünftigenCoaches, denn pflegende Angehörige wollen vorrangigkeine umfangreichen Skripte lesen, sondern sich knappund zielgerichtet informieren. Die Coaches können dieseInformationen wiederum nutzen, um sich „auf die Schnelle“nochmals über bestimmte Themen zu informieren.

Nur bedingt umsetzbar war die Idee, gemeinsam Arbeits-blätter zu entwickeln oder Fallbeispiele als „Hausaufgabe“zu bearbeiten. Hier mussten die Dozentinnen und Dozentenumschalten. Es geht nicht vorrangig darum, Inhalte zu ver-mitteln (wie in der Ausbildung), sondern darum, den Blick-winkel zu ändern und Inhalte so zu gestalten, dass dieCoaches sie für pflegende Angehörige nutzen können. Nichtdie Wissensvermittlung steht im Vordergrund, sondernKompetenzvermittlung – Recherchekompetenz, Beratungs-kompetenz, Trainingskompetenz, Kommunikationskompe-tenz, Wissensmanagement und Selbstsorgekompetenz.Wichtig ist, dass die Coaches im Rahmen der Qualifizierungdie Fähigkeit schulen, die Grenzen ihrer Beratungstätigkeitzu erkennen und an Fachleute (Pflegeunternehmen, Rechts-anwälte) zu verweisen. Das ist dem HYBRICO-Team gelungen.

Hybrides Coaching mit der Lernplattform

Der Einsatz der digitalen Lernplattform war erfolgreich,nachdem technische Probleme mit dem WLAN behobenwerden konnten. Alle Teilnehmenden verfügten über eigene

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Rückmeldungen der TeilnehmendenDie zukünftigen Coaches fanden es ausgespro-chen positiv, dass sie in einer gemischtenGruppe von Pflegefachkräften und Laien lernendurften. Viele Fragen konnten gestellt und be-antwortet werden, Sachverhalte wurden unterverschiedenen Gesichtspunkten gesehen, neueImpulse gesetzt. Eine Teilnehmerin betonte,ihre persönliche Wertschätzung für die Arbeitin der Pflege sei gestiegen. Sie hatte vorherkeine Vorstellung davon, was in der Pflege ge-leistet wird. Für die Pflegefachkräfte wiederumwar der „andere Blickwinkel“, die Sicht derLaien und der pflegenden Angehörigen, wich-tig. Die Teilnehmenden haben sich positivzum Konzept der Qualifizierung geäußert, siesei kompakt, informativ, alltagstauglich undauthentisch. Zahlreiche Inputs, Vorschlägeund Erfahrungsberichte von Seiten der Teil-nehmenden, sowohl der Pflegefachkräfte alsauch der Pflegelaien, haben zum Gelingen derQualifizierung beigetragen. Zwei spontaneRollenspiele mit dem Ziel, den Laien im Kurseine Vorstellung zu vermitteln, was Demenzbedeutet, haben alle Teilnehmenden tief be-eindruckt, auch die Fachkräfte. Eine Teilneh-merin berichtet, dass sie diese Rollenspielein ihrer täglichen Beratungsarbeit für pfle-gende Angehörige bereits erfolgreich einsetzt.Wie gesagt: „Jeder weiß, wie sich Bauch-schmerzen anfühlen, denn jeder hatte schonmal Bauchschmerzen. Aber niemand von unsweiß, wie sich Demenz anfühlt.“ Weiterhin gabes die Rückmeldung, dass zahlreiche Infor-mationen und „Tricks“ auch für die „Pflege-Profis“ neu waren.

Besonders erfreulich war die aktive Teilnahmean der Qualifizierung und an Recherchen, dieeinige Teilnehmende außerhalb der Work-shopzeiten erfolgreich betrieben haben. Soentstand auch der Vorschlag einer Teilneh-merin für eine gemeinsame Exkursion nachIserlohn zu einem Unternehmen, das sich aufAngebote aus dem Bereich der Geronto-Tech-

nik spezialisiert hat und eine Führung imAusstel lungsbereich anbietet. Diese Exkursionhat inzwischen stattgefunden und war nocheinmal ein Höhepunkt für die Teilnehmenden.Das HYBRICO-Team überlegt, bei zukünftigenWeiterbildungen solche praxisnahen Exkursio -nen direkt mitanzubieten, um sie in die Ter-minplanung der Teilnehmenden zu integrie-ren. Schade war, dass die Austausch- undLernplattform während der Projektlaufzeitnoch nicht wirklich „leben“ konnte, da es zur-zeit zu wenige Pflegecoaches gibt, die dortihre Erfahrungen einbringen.

Konkret ist im Spätherbst ein Treffen geplant,um sich persönlich auszutauschen und vonden Erfahrungen mit dem Coaching von pfle-genden Angehörigen zu berichten. Denn dassoll ja auf verschiedenen Ebenen funktionieren:1. auf der Ebene Dozentin, Dozent – Coach2. auf der Ebene Coach – pflegende Ange-

hörige, pflegender Angehöriger 3. auf der Ebene pflegende Angehörige,

pflegender Angehöriger – pflegebedürftigePerson

Auf jeden Fall hat es bisher auf der ersten Ebe -ne hervorragend funktioniert. Die beiden wei-teren Ebenen werden dann beim nächstenTreffen auf dem Prüfstand stehen.

Pflegecoaching 4.0 – Wie geht es weiter?Im Rahmen des Projektes HYBRICO laufen zur-zeit Überlegungen, gemeinsam mit einemgroßen Pflegeunternehmen „Pflegecoaching4.0“ als Inhouse-Schulung durchzuführen, umdie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrerKommuni kationskompetenz mit pflegendenAngehörigen zu stärken und pflegende Ange-hörige besser einzubinden.

Die Lernplattform wird weiter betrieben undgepflegt, sie wird sich mit jedem Kurs und denspezifischen Bedarfen verändern. Sie steht imRahmen des „blended learnings“ den Pflege-

Geräte (Smartphones, Laptops) mit Internet-zugang – diese Ausstattung kann man inzwi-schen als vorhanden voraussetzen. Die Lern-plattform basiert auf der neuesten Versionvon moodle und wird hohen Ansprüchen imDatenschutz gerecht. Sie ist so eingerichtet,dass (zurzeit) überflüssige Funktionen weit-gehend deaktiviert wurden – so bleibt sieauch für ungeübte Nutzer handhabbar. Eineinfacher Editor steht zur Verfügung, sodasskurze Texte, Termine, Tipps von den Coachesselbstständig eingepflegt werden können, wasauch eingeübt wurde. Zur Verfügung stehenein WIKI für pflegende Angehörige und Coa -ches, Foren zum Austausch, verschiedeneKurse mit thematischen Lernmaterialien, Fall-beispielen und Filmen.

Anregungen der Coaches, zum Beispiel dieEinrichtung eines geschützten Raumes fürden Kurs, die Einrichtung eines Terminkalen-ders etc. wurden, wenn möglich, gemeinsammit den Teilnehmenden direkt umgesetzt undeingeübt. Besonders attraktiv ist es für dieCoaches, dass sie die Website zum weiterenAustausch nutzen können und die Möglichkeithaben, pflegende Angehörige, die sie als Coachbetreuen, auf der Lernplattform anzumelden.

Die Nutzung der Lernplattform und das Ein-üben in ihre Funktionsweise wurden währendder Qualifizierung laufend begleitet. Dem Do-zenten wurde ausdrücklich dafür gedankt,dass die Erläuterungen auf hohem Niveauund gleichzeitig in leicht verständlicher Formerfolgt sind. Das ist das „Geheimnis“ jeder gu-ten Dozententätigkeit. Die im Kurs eingesetz-ten Skripte, Filme, Fragebögen und Arbeits-blätter wurden laufend aktualisiert und ste hennun den Coaches zur Verfügung. Inzwischenist sichergestellt, dass die Lernplattform nachProjektende weiter betrieben und auch ge-pflegt wird.

Die positive Resonanz aller Teilnehmenden: das Qualifizierungskonzept ist kompakt, informativ, alltagstauglich und authentisch.

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coaches und den von ihnen betreuten pflegenden Ange-hörigen zur Verfügung. Die Quali fizierung „Pflegecoaching4.0“ wurde bereits für das Jahr 2018 in den Angebotskatalogder maxQ.-Fachakademie übernommen. Die Dort munderAlzheimergesellschaft überprüft, Pflegecoaches in ihr Un-terstützungsangebot zu übernehmen.

Die Frage lautet auch: Wie kann die Qualifikation „Pflege-coaching 4.0“ von den Coa ches und den Unternehmen ver-marktet werden? Ambulante Pflegedienste werden sicher -lich mit der Qualifikation „Pflegecoaching 4.0“ werben, unddie Fähigkeiten der Pflegecoaches bei der Be ratung vonpflegenden Angehörigen nutzen und als zusätzliche Leis-tung anbieten können. Das gilt ebenso für Einrichtungender Tagespflege.

Auch die professionellen Pflegeberaterinnen und -beraterprofitieren von der Qualifizierung zum Pflegecoach. Aller-dings muss noch geklärt werden, inwieweit sie die Bera-tungen ausdehnen können und dürfen. Die Kassen sehennur ein festgelegtes Zeitfenster von x Minuten vor und be-zahlen auch nur diesen zeitlichen Umfang. Das Coaching-angebot kann als zusätzliche Leistung angeboten werden,gegen Bezahlung oder entgeltfrei. Gegebenenfalls lässt sichdas Pflegecoaching über den sogenannten „Entlastungs-betrag“ abrechnen. Auf den Entlastungsbetrag (125 € pro

Monat) haben alle Pflegebedürftigen mit den Pflegegraden1 bis 5 einen Anspruch. Er muss jedoch zielgerichtet einge-setzt werden. Zielgerichtet, das könnte auch das Pflege-coaching sein. Diese Überlegungen befinden sich im An-fangsstadium. Die Pflegekassen bezahlen ein solchesAngebot bisher nicht. Es wäre eine Möglichkeit, im Rahmendes Projektes die Qualifizierung auch von den Kassen an-erkennen zu lassen. Konkret werden diesbezüglich Gesprä-che mit einer Kasse geführt.

Das Pflegecoaching kann und soll aber auch in Unterneh-men außerhalb der Pflege etabliert werden. Kleinere Un-ternehmen sollten für das Thema sensibilisiert werden undkönnten dann im „Ernstfall“ die Dienste eines Pflegecoachesentgeltpflichtig in Anspruch nehmen. Dazu müsste das An-gebot bekannter gemacht werden und eine Liste von qua-lifizierten Coaches zur Verfügung gestellt werden, zum Bei-spiel auf der Lernplattform.

Großunternehmen könnten eine Mitarbeiterin, einen Mit-arbeiter mit Interesse an der Coachingtätigkeit zum Pfle-gecoach für ihr Unternehmen im Rahmen des BetrieblichenGesundheitsmanagements qualifizieren lassen. Auch indiese Richtung gibt es erste Überlegungen und Kontakte.Die restliche Projektlaufzeit muss dazu genutzt werden, eintragfähiges Vermarktungskonzept zu erstellen.

Autorenhinweise

Dr. Rüdiger Klatt, FIAP e.V., Institutsleiter, Forschungs-schwerpunkte: Arbeitsgestaltung, Dienstleistungsentwick-lung, Internationalisierung beruflicher Bildung

Bernd Löffler, Leiter Pflegecontrolling, Qualitätssiche-rung, Qualitätsmanagement bei den PflegeeinrichtungenKirsch KG

Romina Große, FIAP e.V., wissenschaftliche Mitarbeiterin,Forschungsschwerpunkte: Wirtschaftspsychologie, Organisations- und Personalentwicklung, partizipativeDienstleistungsentwicklung

Marie Jégu, FIAP e.V., wissenschaftliche Mitarbeiterin,Forschungsschwerpunkte: Sportwissenschaft, Sozial -psychologie, Generationenbalance, Aktivierung und Bewegung im Alter

Jochen Scharf, FIAP e.V., wissenschaftlicher Mitarbeiter,Themenschwerpunkte: Personalentwicklung, gesunde Arbeit, gesundheitspädagogische Aspekte der Organisati-onsentwicklung, Qualitätsmanagement

Silke Steinberg, FIAP e. V., Geschäftsführerin, Forschungs-schwerpunkte: transkulturelle Bildungs- und Kooperati-onsprozesse, partizipative Dienstleistungsentwicklung,kultur wissenschaftliche Forschung

Silvia Marienfeld, maxQ. im bfw – Unternehmen für Bildung. Geschäftsbereichsleitung West. SchwerpunktPflege- und Therapieberufe

Christiane Hernández, bfw – Unternehmen für Bildung.Projektmanagement, Tätigkeitsschwerpunkte: Arbeit 4.0 –Arbeitsformen und -verhältnisse, Führung 4.0 – Zukunfts-fähige Führungskultur

Maurizio de Matteis, Leitung Familien- und Kranken-pflege Intensivpflege 24, Pflegedienstleiter, Fachpflegerfür Anästhesie und Intensivpflege

David Hawig, FIAP e.V. wissenschaftlicher Mitarbeiter,Themenschwerpunkte: Dienstleistungsentwicklung unddigitale Unterstützung in der Altenpflege

Elisabeth Meyer, maxQ. im bfw – Unternehmen für Bildung. Projektentwicklung, Projektmanagement,Produkt entwicklung und Qualitätssicherung, Dozentin

Meyer | Pflegecoaching 4.0

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