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© Gerd Bohner 2001
III. Themen der Sozialpsychologie(7): Gruppenleistung
1. Begriffe
2. Individuelle Leistung im sozialen Kontext
3. Gruppenleistung bei verschiedenen Aufgabentypen und Gruppenstrukturen
4. Prozessverluste am Beispiel "Brainstorming"
5. Bezug zu Grundprinzipien der SP
© Gerd Bohner 2001
1. Begriffe
Klassische Definition: Zwei oder mehr Individuen, die miteinander interagieren und wechselseitig voneinander abhängig sind in dem Sinne, dass sie einander aufgrund ihrer Bedürfnisse und Ziele wechselseitig beeinflussen (z.B. Cartwright & Zander, 1968).
Aspekte: – Interaktion– Struktur (Rollendifferenzierung)– "gemeinsames Schicksal" (Lewin, 1948)
Subjektive Definition: Eine Gruppe existiert, wenn mindestens zwei Personen sich als Mitglieder derselben sozialen Kategorie wahrnehmen (Sichtweise der Theorie sozialer Kategorisierung: Turner, 1982)... und mindestens eine weitere Person deren Existenz [als Gruppe] anerkennt (Brown, 2000).
• Gruppe
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• Gruppenleistung
Tatsächliche Leistung = potenzielle Leistung – Prozessverluste + Prozessgewinne
Wie kommen Prozessverluste und –gewinne zustande?- Prozessbezogene Aspekte:
– Individuelle psychische Prozesse (z.B. aufgabenbezogene Motivation)– Interaktionsprozesse innerhalb der Gruppe (z.B. Fokussierung auf
geteilte Information)
- Strukturelle Aspekte:– Aufgabenstruktur– Gruppenstruktur
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2. Individuelle Leistung im sozialen Kontext
• Anwesenheit anderer kann individuelle Leistung fördern (z.B. Triplett, 1898)...
• ... oder hemmen (z.B. Pessin, 1933).
Unter welchen Bedingungen tritt soziale Erleichterung bzw. soziale Hemmung auf?
• Befundlage: Erleichterung eher bei gut gelernten oder einfachen Aufgaben; Hemmung eher bei noch nicht voll beherrschten oder komplexen Aufgaben.
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• Erklärungen:
a) Zajonc (1965): Anwesenheit anderer erhöht Erregung (angeborenes Reaktionsmuster); dadurch Erleichterung dominanter und Hemmung nichtdominanter Reaktionen.
b) Cottrell (1968): Erregung durch andere nicht angeboren, sondern vermittelt über Bewertungserwartung.
c) Sanders et al. (1978): Erregung als sekundäre Folge eines Aufmerksamkeitskonflikts, der für sich genommen immer schädlich ist (aber durch förderlichen Effekt der Erregung kompensiert werden kann; vgl. Manstead & Semin, 1980)
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Bewertungs-erwartung
Ablenkung
Erregungs-niveau
Wahrscheinlichkeitleicht zugänglicherVerhaltensweisen
Leistungs-verschlechterung
Leistungs-verbesserung
Zajonc
Cottrell
Sanders et al.
wenn korrekt
wenn inkorrekt
Anwesenheit anderer
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• Fazit (s. Metaanalyse von Bond & Titus, 1983):
– Unterstützende Befunde für alle Erklärungsansätze
– Hemmungseffekte bei komplexen Aufgaben i.d.R. größer als Erleichterungseffekte bei einfachen Aufgaben
– Insgesamt eher geringe Effektstärken
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3. Gruppenleistung bei verschiedenen Aufgabentypen und Gruppenstrukturen
• 2 Arten von Prozessverlusten in Gruppen:– Koordinationsverluste– Motivationsverluste
Relative Bedeutung abhängig von Aufgaben- und Gruppenmerkmalen
• spezifische Formen von Motivationsverlusten:– "soziales Faulenzen" bei Nichtidentifizierbarkeit des eigenen
Beitrags– "Trittbrettfahren" aus Eigeninteresse, wenn P annimmt, dass
Gruppenziel auch ohne eigene Anstrengung erreicht werden kann – "Trotteleffekt": Indirekte Folge des wahrgenommenen
Trittbrettfahrens anderer
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• Aufgabentypen (Verknüpfungsregeln; Steiner, 1972):
– additiv– disjunktiv
• "Heureka"• "Nicht-Heureka"
– konjunktiv• nicht unterteilbar• unterteilbar
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• Additive Aufgaben– Paradebeispiel: Tauziehen
– Gruppenleistung ist potenziell die Summe der Einzelleistungen
– systematischere Untersuchung: Latané et al. (1979): Aufgabe: Lautes Schreien; Prozessverluste nehmen mit Gruppengröße zu; Trennung von Motivations- und Koordinationsverlusten durch Einsatz von Pseudogruppen; beide Formen des Produktivitäts-verlusts etwa gleich hoch.
– Da es keine klare Rollendifferenzierung gibt, sind alle Mitglieder ähnlich anfällig für Motivationsverluste
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• Disjunktive Aufgaben– Paradebeispiel: Lösen einer Denksportaufgabe– Gruppe ist potenziell so gut wie das leistungsfähigste Mitglied– Koordinationsprobleme: Die "Fachleute" in der Gruppe müssen
identifiziert werden; soziale Unterstützung für korrekte Lösungsschritte erforderlich (z.B. Hastie, 1986)
– Letzteres ist besonders problematisch, wenn die richtige Lösung nicht leicht als solche erkennbar und relativer Status in der Gruppe nicht der Aufgabenkompetenz entspricht (Torrance, 1954)
– Motivationsverluste: Im Unterschied zu additiven Aufgaben neigen bei disjunktiven Aufgaben v.a. die wenig leistungsfähigen Mitglieder zum "Trittbrettfahren"
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• Konjunktive Aufgaben(a) nicht-unterteilbar (Beispiel: gemeinsam einen Berg besteigen):
Gruppe ist so gut wie das schwächste Mitglied - Motivationsverluste mit zunehmender Gruppengröße v.a. bei
den leistungsfähigeren Mitgliedern; können Koordinationsverluste zur Folge haben (z.B. weniger Unterstützung der Schwächeren durch die Stärkeren; Kerr & Bruun, 1983)
(b) unterteilbar (Beispiel: Segeltörn): Gruppe ist potenziell besser als das schwächste Mitglied
- Koordinationsproblem: Aufgaben der Fähigkeit entsprechend verteilen
• Im Alltag oft keine klare Einordnung von Aufgabentypen möglich
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4. Prozessverluste am Beispiel "Brainstorming"• "Brainstorming" (Osborn, 1953) = Technik zur
Ideenproduktion in Gruppen; Ziel: Erhöhung der Kreativität
• Brainstorming-Regeln:– So viele Ideen wie möglich laut aussprechen– absolut keine Kritik oder Bewertung äußern– auf den Ideen der anderen aufbauen
• Gruppen-Brainstorming heute noch sehr populär trotz Evidenz für immense Prozessverluste
• Erste Studie von Taylor, Berry & Block (1958): Nominale Gruppen leisten mehr als echte, interagierende Gruppen.
• Vielfach repliziert sowohl für Quantität als auch Qualität der Ideen (Metaanalyse von Mullen, Johnson & Salas, 1991)
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• Schlüsseluntersuchungen von Diehl & Stroebe (1987) zum Test dreier Erklärungsansätze:
1. Motivationsverluste durch Trittbrettfahren (Exp. 1)2. Soziale Hemmung durch Bewertungserwartung innerhalb der
Gruppe (Exp. 2 + 3)3. Koordinationsverluste durch "Produktionsblockierung" (Exp. 4)
AVn: Anzahl und z.T. Qualität der Vorschläge
• Exp. 1: – Vpn sind männliche Gymnasiasten; Aufgabe: Verbesserung der
Beziehung zwischen Deutschen und "Gastarbeitern"– 2x2-Versuchsplan mit Variation der Situation (individuell vs. 4-
Personen-Gruppe) und Art der Leistungsbewertung (persönlich vs. kollektiv)
– Hyp.: Persönliche Bewertung kompensiert Effekt d. Trittbrettfahrens
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Diehl & Stroebe (1987): Exp. 1
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
persönl. kollektiv persönl. kollektiv
Anzahl IdeenAnzahl "guter" Ideen
echte Gruppen Nominalgruppen
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• Fazit zu Exp. 1: – Evidenz für (geringen) Motivationsverlust bei kollektiver Bewertung– Aber: Unabhängig hiervon sehr deutliche Überlegenheit der
Nominalgruppen– Trittbrettfahren somit keine hinreichende Erklärung
• Exp. 2 / 3: – Vpn sind Psychologiestudenten; verschiedene Themen– Variation der Bewertungserwartung in Einzelsitzungen (Exp. 2) und
gekreuzt mit der Situation (Gruppe vs. allein; Exp. 3) – Hyp.: Wenn Bewertungserwartung entscheidend, sollte die Leistung in
Einzelsitzungen auf das Niveau der Gruppensitzng abfallen.– Ergebnisse: Obwohl Bewertungserwartung die Leistung in
Einzelsitzungen reduziert (Exp. 2 und 3), bleibt ein deutlicher Effekt der Situation erhalten (Exp. 3)
– Bewertungserwartung also ebenfalls keine hinreichende Erklärung
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• Exp. 4: – Vpn sind Psychologiestudierende; Thema: Arbeitslosigkeit– Zum Test der Produktionsblockierung wird in Nominalgruppen
eine "Ampel" eingesetzt, die anzeigt, ob ein anderes Gruppen-mitglied gerade spricht – dann darf sonst niemand sprechen.
– 5 Bedingungen:1. echte Gruppe2. Ampelbedingung mit Blockierung / mit Kommunikation3. Ampelbedingung mit Blockierung / ohne Kommunikation4. Ampelbedingung ohne Blockierung / ohne Kommunikation5. allein (ohne Ampel)
– Hypothesen: Wenn Produktionsblockierung entscheidend, dann höhere Leistung in Bedingungen ohne Blockierung (4+5) als in Bedingungen mit Blockierung (1-3).
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Diehl & Stroebe (1987): Exp. 4
0
20
40
60
80
100
120
Anz
ahl I
deen
1 2 3 4 5
1: Gruppe2: Blockierung / Kommunikation3: Blockierung / keine Komm.4: keine Block. / keine Komm.5: allein
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• Fazit zu Exp. 4– Starke Evidenz für Produktionsblockierung als entscheidenden
Faktor für Prozessverluste in Brainstorming-Gruppen
• Fazit zum Brainstorming– Diehl & Stroebe (1987) gutes Beispiel für eine programmatische
Serie von Studien, in der sukzessive Erklärungsansätze verglichen und überprüft werden.
– Trotz klarer Relevanz für die Praxis (und publizierten Studien zur Unwirksamkeit seit den 1950er Jahren) scheint die Popularität von von Gruppen-Brainstorming ungebrochen. (Internet-Suche ergibt > 300.000 Seiten; dort meist unreflektierte Übernahme der ursprünglichen Idee.)
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Informationssammlung
• Gruppen sind bestrebt, richtige (informativer Druck) und gemeinsame (normativer Druck) Informationen zu sammeln.
• Gruppen konzentrieren sich auf geteilte Information, anstatt auf die, die nur einer hat (verstecktes Profil, Effekt des gemeinsamen Wissens)
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Entscheidungen fällen
• Wenn es nur eine richtige Lösung gibt, überwiegt informativer Einfluss
• Wenn eine geteilte Identität wichtig ist, überwiegt normativer Einfluss
• Benutzung von Schemata, z.B.
die Wahrheit siegt, die Mehrheit siegt
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Gruppenstruktur
• Rollendifferenzierung: aufgabenbezogene bzw. beziehungsbezogene Orientierung
• Statusdifferenzierung: spezifische Statusmerkmale (relevant) und diffuse Statusmerkmale (höchstens indirekt relevant); oft wird statushoher Person Recht gegeben, auch wenn sie unrecht hat
• Kommunikationsmuster Rad bzw. alle Kanäle: Rad: weniger Fehler, weniger Effektivität bei
Außenliegenden; alle Kanäle: mehr Zufriedenheit, bei komplexen Aufgaben besser.
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Verhinderung von Prozessverlusten
• Nominalgruppentechnik (Ideen einzeln generieren, in Gruppe diskutieren)
• Bewusstsein, dass jeder individuelle Information hat, daher Expertenrollen für Subthemen festlegen
• Sich in Untergruppen treffen fördert divergentes Denken
• Advocatus diaboli• Statusniedrigere Personen zuerst befragen
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5. Bezug zu Grundprinzipien der SP• Soziale Konstruktion der Realität: Gruppen definieren für ihre
Mitglieder Aufgaben und Ausführungsregeln.
• Universalität sozialer Einflüsse: Interaktion und Interdependenz in Gruppen beeinflussen die Leistung bei vielfältigen Aufgaben.
• Motive: Gruppen helfen dem Individuum bei der Aufgaben-bewältigung (Kontrolle), bieten Gefühl der Zusammengehörigkeit (Verbindung mit anderen) und Identität (Selbstwert); Mitglieder handeln im Interesse der Gruppe (kollektiver Selbstwert).
• Verarbeitungsprinzipien: Unterschiede in der Verarbeitungstiefe spielen in Forschung zur Gruppenleistung eine geringe Rolle (obwohl man normative und informative Prozesse hiermit in Verbindung bringen kann -- s.a. letzte Sitzung). Überbetonung geteilter Information als Ausdruck von Konservatismus.