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Strukturwandel der Arbeit(swelt)
Hans-Böckler-Stiftung
Universität Kassel, 23. Oktober 2014
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Zukunft der Arbeit: Industrie 4.0
Gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGM
Industrie 4.0 Dr. Manfred Wannöffel 23.10.2014 2
HINTERGRUND
Gründung 1975 / 1979
Kooperationsvertrag RUB und IG
Metall
Zentrale Einrichtung der Ruhr-
Universität Bochum
Paritätisch besetzter Arbeitsausschuss
Strukturierte Kooperation zwischen
Wissenschaft und Arbeitswelt
PRAKTISCHE SOZIALWISSENSCHAFT
Forschungskooperationen
Transformation in die soziale Praxis
Wissenschaftliche Weiterbildung für
Betriebsräte und Gewerkschafter
Universitäre Lehrprojekte
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1. Aktuelle Forschungskooperationen
2. Industrie 4.0 – aus der Vergangenheit lernen
3. Definition: Industrie 4.0
4. Entwicklungslinien der Produktionsarbeit
5. Arbeitspolitische Handlungsfelder
6. Ansatzpunkte für die Mitbestimmung
Vortragsgliederung
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1. Forschungskooperationen: „APPsist“
„Intelligente Wissensdienste für die
Smart Production“ (BMWi)
Projektkonsortium: Forschung,
Anwenderunternehmen und
Beratungseinrichtungen
Projektziel: KI-basierte Unterstützung
(lernendes System) von Produktions-
mitarbeitern, Kompetenzaufbau
Begleitforschung; Gestaltung mit IGM:
Mitarbeiterbeteiligung, -dialog
Implementierungsstrategie
betrieblichen Mitbestimmung
Daten- und Informationsverwertung
Analyse veränd. Tätigkeitsstrukturen
Qualifikations- und Kompetenzbedarfe
Quelle: www.appsist.de
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2. Forschungskooperation: „SOPHIE“
Reale Fabrik
Digitale Fabrik
Ab
bild
ung
Echtzeit
Mitarbeiter
Modelle
Informationen:
Realer Materialfluss,
Kennzahlen, etc.
Informationen:
Optimaler Materialfluss,
Logistik, etc.
Extern
Informationen:
• Logistik
• Bereitstellung
• Kapazitäten
• etc.
„Synchrone Produktion durch teilauto-
nome Planung und humanzentrierte
Entscheidungsunterstützung“ (BMBF)
Projektkonsortium: Forschung,
Anwenderunternehmen und
Beratungseinrichtungen
Projektziel: Verknüpfung von Realwelt
in der Produktion und digitaler Fabrik
in Echtzeit
Begleitforschung und Gestaltung:
Mitarbeiterbeteiligung
betrieblichen Mitbestimmung
Daten- und Informationsverwertung
Qualifikations- und Kompetenzbedarfe
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2. Industrie 4.0 - Aus der Vergangenheit lernen
Quelle: Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0 (2013).
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2. Industrie 4.0 – aus der Vergangenheit lernen
Diskussionen im Rahmen von Industrie 4.0 erinnern an die im
Rahmen von CIM (Computer Integrated Manufacturing) aus den
1980/90er Jahren (vgl. Brandt 2014)
Es bestehen aber wesentliche Unterschiede
• Vision einer EDV-basierten umfassende Fabriksteuerung (CIM) vs. Vision
einer internetbasierten Vernetzung des gesamten Wertschöpfungssystems
(Ind. 4.0)
• Technologiezentrierte Ausrichtung und Vision einer menschenleeren Fabrik
(CIM) vs. Komplementäres Automatisierungskonzept und Betonung
menschlicher Arbeitskraft (Ind. 4.0)
• Weiterentwicklung der Hard- und Software sowie der IuK-Technologien
(vgl. Brandt 2014)
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Im Unterschied zu früheren Phasen der Technologieentwicklung wird
Industrie 4.0 als sozio-technisches System konfiguriert, d.h. als ein
komplexes Geflecht aus miteinander verbundenen technologischen,
organisatorischen und personellen Handlungsfeldern
Art des Zusammenwirkens der verschiedenen Felder und die
Auswirkungen der jeweiligen Systemauslegung auf die Arbeitsorga-
nisation und den (quantitativen und qualitativen) Personaleinsatz,
aber noch offen (bislang keine empirischen Erfahrungen)
Gestaltung und Einführung autonomer CPS-basierter Produk-
tionssysteme besitzt hohe arbeitspolitische Bedeutung
2. Industrie 4.0 – aus der Vergangenheit lernen
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3. Definition „Industrie 4. 0“
Industrie 4.0 steht für die 4. Industrielle Revolution, „deren
zentrales Merkmal die Vernetzung der virtuellen Computerwelt mit
der physischen Welt der Dinge durch den Einsatz von ,Cyber-
physischen Systemen (CPS)´ ist. Auf CPS basierende Produk-
tionssysteme sollen in der Lage sein, sich je nach externen
Anforderungen weitgehend eigenständig und autonom zu steuern,
optimieren und konfigurieren.“
(vgl. Hirsch-Kreinsen 2014 nach Broy 2010; Forschungsunion/acatech 2013; Reinhart et al. 2013)
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3. Vernetzung in der Smart Factory – Wer steuert hier wen?
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3. Kennzeichen von „Industrie 4.0“
Industrie 4.0 steht für Produktionssysteme, die …
ein bislang nicht gekanntes Automatisierungsniveau erreichen
(disruptive Innovation),
sich auf die Organisation und Steuerung der gesamten Wert-
schöpfungskette (grenzüberschreitend) eines Produktes erstrecken,
alle an der Wertschöpfung beteiligten Akteure und Artefakte (Objekte
und Systeme) in Echtzeit miteinander vernetzen,
auf zunehmend individualisierte Kundenwünsche (Losgröße 1)
ausgerichtet sind,
über alle relevanten Informationen (Auftragslage, Maschinenauslastung,
Ressourcenverbrauch, Verfügbarkeit etc.) in Echtzeit verfügen.
(vgl. Hirsch-Kreinsen 2014; Lenkungskreis Industrie 4.0 2014)
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3. Chancen von „Industrie 4.0“
Welches Potenzial existiert für die deutsche Industrie?
• Rentable Produktion: Realisierung individueller Kundenwünsche
• Dynamische Gestaltung von Geschäfts- und Engineering-Prozessen als Antwort auf
Flexibilisierungsanforderungen der Absatzmärkte
• Optimierte Entscheidungsfindung durch transparente Produktionsprozesse
• Effizienter Einsatz von Ressourcen
• Wettbewerbsfähigkeit als Hochlohnstandort
• Zurückholung von Produktionsstätten nach Deutschland
• Produktionswirtschaft soll zentraler Treiber der Wertschöpfung bleiben
(vgl. Plattform Industrie 4.0 2014)
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3. Chancen von „Industrie 4.0“
Potenzial für die Gestaltung ,guter Arbeit`
• Humanorientierte Arbeitsgestaltung durch Ausweitung der Selbstorganisation
und der Autonomie (auch im Sinne von Work-Life-Balance)
• Alter(n)sgerechte und kreative Arbeitsgestaltung durch intelligente Assistenz-
systeme
• Erhöhung der Lehr- und Lernproduktivität durch lernförderliche Arbeitsmittel und
Kommunikationsmedien
• Steigerung der Attraktivität von Produktionsarbeit
(vgl. Plattform Industrie 4.0 2014)
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4. Entwicklungslinien der Produktionsarbeit
Bislang wenig Forschungsarbeiten zum Wandel der Produktionsarbeit
Annahmen basieren auf früheren Arbeiten der Technik- und Automatisier-
ungsforschung (CIM):
• Neue Systeme bieten die Möglichkeit zum Lernen sowie zur Weiterentwicklung
und Sicherung von Erfahrung
• Routinecharakter automatisierter Prozesse kann Aufbau von Qualifikationen
verhindern, die insbesondere bei der Bewältigung von Störungen benötigt
werden („ironies of automation“) (Bainbridge 1983)
• Eine zunehmende Prozessautomatisierung kann mit einer funktionalen und
informationalen Distanz zum Systemablauf einhergehen, die die Möglichkeit zur
Kontrolle über den Systembetrieb einschränkt
(vgl. Hirsch-Kreinsen 2014)
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4. Entwicklungslinien der Produktionsarbeit
Differenzierte Entwicklungslinien in Bezug auf Tätigkeitsstrukturen auf der
operativen Ebene:
• Produktionsarbeit kann aus ihrem Herstellungsprozess heraustreten und
planende, steuernde, kontrollierende und kreative Funktionen übernehmen,
wodurch neue Handlungs- und Autonomiespielräume sowie Tätigkeits-
anreicherungen entstehen können
• Arbeitsplätze mit niedrigen Qualifikationsniveau und repetitive Aufgaben
können zum einen durch Industrie 4.0-Systeme ersetzt werden, zum anderen
geht die zunehmende Prozessautomatisierung auf dieser Ebene mit einer
wachsenden Transparenz der Arbeitsabläufe einher, wodurch es zu engeren
Handlungsspielräumen kommen kann
(vgl. Hirsch-Kreinsen 2014)
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4. Entwicklungslinien der Produktionsarbeit
Differenzierte Entwicklungslinien in Bezug auf Tätigkeitsstrukturen auf der
operativen Ebene:
• Auf der qualifizierten Facharbeiterebene kann es einerseits durch Substitu-
tionseffekte zu einer Zunahme von „Einfacharbeit“ (Dequalifizierung) kommen,
andererseits können diese Arbeitsplätze in Folge komplexer werdender
Systemanforderungen mit steigenden Qualifikations- und Flexibilitätsan-
forderungen verbunden werden
• Durch die zunehmende Komplexität der Arbeitsabläufe und der dezentralen
Prozesssteuerung, wird ein weiterer Hierarchieabbau wahrscheinlich, der sich
durch eine notwendige Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf die
operativen Ebene auszeichnet
(vgl. Hirsch-Kreinsen 2014)
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4. Entwicklungslinien der Produktionsarbeit
Differenzierte Entwicklungslinien in Bezug auf die Kontrollmöglichkeiten:
• Zwar geht mit der den Industrie 4.0-Systemen kennzeichnenden Dezentralisier-
ungstendenzen eine Verlagerung von Entscheidungskompetenzen einher,
gleichzeitig kann es aber zu neuen Möglichkeiten der Kontrolle und
Störungsdiagnose kommen.
(vgl. Hirsch-Kreinsen 2014)
Insgesamt lassen sich noch keine eindeutigen
Entwicklungstrends von Produktionsarbeit identifizieren
Industrie 4.0 ermöglicht unterschiedliche Gestaltungsspielräume
hinsichtlich der zukünftigen Produktionsarbeit
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5. Arbeitspolitische Handlungsfelder
(Vgl.: Schilling, 2014)
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Industrie 4.0 wird als sozio-technisches System konfiguriert und in
bedeutenden Publikationen die Bedeutung der lebendigen Arbeit in
der Fabrik der Zukunft herausgestellt
Einsicht, dass es neben neuen technischen auch neue soziale Infra-
strukturen braucht, ist dabei kein Zufallsprodukt, sondern im beson-
deren Maße auf das frühzeitige Agieren der IG Metall zurückzu-
führen
CPS- bzw. Industrie 4.0-Systeme bieten auf Basis ihrer dezentralen
Steuerungsprinzipien das Potenzial, die bestehenden determinis-
tische Technik-, Arbeits- und Führungsorganisation in den Unternehm-
en wesentlich in Richtung „guter Arbeit“ zu verändern
5. Arbeitspolitische Handlungsfelder
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5. Arbeitspolitische Handlungsfelder
Der sozio-technische Gestaltungsansatz
sozio-technische,
beteiligungs-
orientierte
Gestaltungs-
perspektive
Technik
Lernförderliche
Arbeits-
organisation/
Arbeits-
gestaltung
(inkl. Arbeitszeit)
Arbeitspolitik
Breitflächige
Qualifizierung
(Aus- und
Weiterbildung)
(Vgl.: Kurz, 2014)
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Arbeit mit hohen
Handlungsspielräumen
Erweiterte Partizipation
Beständige Entwicklung von
Kompetenzen
Alter(n)sgerechte
Arbeitsgestaltung
Verbesserung der Ergonomie
Bessere Vereinbarkeit von
Arbeit und Leben
Beschäftigungssicherung durch
Hightech-Strategie
Arbeit als passives Element im
System
Hohes Stresspotenzial
Forcierte Flexibilisierung
Abkopplung Un- und
Angelernter
Entgrenzung Arbeit & Leben
Beschäftigungsabbau
Zunahme Leiharbeit/Dumping-
Strategien
Aushebelung der
Mitbestimmung (BetrVG)
Chancen für die Beschäftigten Risiken für die Beschäftigten
5. Arbeitspolitische Handlungsfelder
(Vgl.: Kurz, 2014)
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Betriebsräte spielen eine zentrale Rolle in der Gestaltung des
Wandels zur Industrie 4.0 und stellen gewissermaßen die
„Sensoren des Wandels“ (Kurz, 2014) dar.
IG Metall setzt daher auf Information und Sensibilisierung der
Betriebsräte sowie die Analyse des Stands der betrieblichen
Umsetzung
Allerdings besteht weiterer Handlungsbedarf: Bei einer Umfrage der
IG Metall NRW von September 2013, gaben 52% der 77 befragten
Betriebsräte aus der Metall- und Elektroindustrie NRWs an, keine
Einschätzung zum Thema Industrie 4.0 abgeben zu können. (Vgl.:
Schilling, 2014)
5. Arbeitspolitische Handlungsfelder
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6. Ansatzpunkte für die Mitbestimmung
(Vgl.: Schilling, 2014)
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• Zu berücksichtigen ist aber auch: Die Gestaltung des Wandels
kann nicht allein Sache der betrieblichen Akteure sein. Erforderlich
sind:
• Verbundprojekte
• interdisziplinäre Zusammenarbeit
Beteiligung von Betriebsräten und Beschäftigten
Forcierung von arbeitsorientierter Forschungspolitik und
Mobilisierung von Fördermitteln (Rolle der IG Metall)
Intensivierung der Kooperation Wissenschaft - Arbeitswelt
6. Ansätze für die Mitbestimmung
manfred.wannoeffel@rub.de
http://www.ruhr-uni-bochum.de/rub-igm/
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Danke für die Aufmerksamkeit!