Post on 14-Aug-2019
Wolfgang Hagen
Medienäther - Äthermedien Eine epistemologische Halluzination des Stillstands
(Vortrag auf der Tagung des Graduiertenkollegs ,Mediale Historiographien /
Media of History - History of Media", Stehende Gewässer. Medien und Zeitlichkeit der
Stagnation, am 29.4.2006)
Am Ende eine Tagung über Stehende Gewässer möchte ich über zwei
Assoziationen sprechen, die mir einfielen, als ich Ihre Einladung erhielt. Und ich
gestehe sofort, dass es zwei Assoziationen mit starkem Halluzinationscharakter sind,
wie sie einen in stehenden Gewässern wohl anfallen mögen, kurz bevor man
versinkt. Die erste beträfe den Zustand der heutigen Medientheorie im Allgemeinen.
Aber davon spreche ich nur sehr indirekt. Bei der anderen geht es um die dunkle
Materie der Astrophysik. Den meisten von Ihnen wird sie besser bekannt sein unter
dem Namen, den man dafür seit der Antike bereithält: Quinta Essentia oder - Äther.
Und nun muss mein Vortrag versuchen, um die verborgenen Abgründe herum
zu kommen, die sich hier sofort auftun. Der erste Abgrund liegt im Äther selbst, - ein
Begriff so alt wie alles Denken über Kosmos, Mensch und Natur im Abendland von
den Griechen an, heute aber wieder hoch aktuell in der so genannten
astrophysikalischen Kosmologie. Gesehen, befühlt, gerochen, geschmeckt,
gemessen oder bewiesen hat ihn noch niemand. Deshalb ist ein weiterer Abgrund
noch tückischer. Er betrifft die Theoriefähigkeit, über den Äther überhaupt
nachzudenken, ohne in ihm zu versinken. Dass ich hier Medientheorien ins Spiel
bringe und ihnen einen Zustand der Unzugänglichkeit zuschreibe, die
epistemologisch bestenfalls nur noch vom Begriff des Äthers selbst überboten wird,
darf sie nicht wundern. Wenn es überhaupt ein erstes Medium gibt, das nicht je
schon etwas anderes war, ein Element beispielsweise, als da wären Feuer, Wasser,
Luft, Erde oder Schrift, dann ist es der Äther.
Sein klassischer Definitionskontext und seine Ortsbestimmung, also der
Raum, worin Aristoteles den Äther ansiedelt und so die Vorsokratiker resümiert, ist
der Himmel, der Kosmos. αἰθήρ - ἐν τῷ aϊδίῳ τω ἄνω σώματι, zu deutsch Der Äther liegt „in den ewig unsichtbaren oberen Körpern des Himmels“(Peri Psyches, B.
7., 418b,7).
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Ich zitiere hier nicht etwa deshalb Griechisch, weil es heute für manche
medientheoretische Pflicht geworden ist, altgriechisch zu lesen. Ich zitiere die aϊδίῳ
τω ἄνω σώµατι, um daran zu erinnern, dass nicht die alten Griechen waren, sondern
die Aristotoles-Reconquista des Heiligen Thomas von Aquin, die nicht nur den Begriff
des Mediums in den scholastischen Diskurs eingebracht hat, den es bei Aristoteles
und in der Antike nicht gab, sondern dass es derselbe Thomas war, der auch das
urtümlichstes Element der aristotelischen Naturlehre redefiniert und neu benamt hat,
nämlich die Quinta Essentia, das fünfte Element, vulgo den Äther. Die Quintessenz
bewahre ich mir aber für den Schluss auf.
Bis dahin, zumal weil es um
Epistemologien geht, also um die Reflexion
auf das Wissen der Wissenschaften, will
ich die lange und wechselvolle Geschichte
des Äthers nicht bei Aquin oder bei
Descartes wieder aufnehmen, sondern bei
Newton.
Newton deshalb, weil er, wie Sie alle
wissen, als erster den Begriff des Äthers aus
der Himmelsmechanik radikal ausgeschlossen hat. Die Principia Mathematica der
Newtonsschen Naturphilosophie, auf denen das Wissen der Neuzeit wesentlich
gründet, operieren ätherfrei.
Was bei Newton zum Zuge kommt, war
statt alter Ätherkosmologie ein neuer,
revolutionärer Begriff von Epistemologie.
Epistemologie hieß fortan, mit Folgen, die
erst Hilbert und Goedel sollten bewältigen
können, mathematische Axiomatik.
a) Das Trägheitsaxiom. Es setzt einen
absoluten und völlig abstrakten Raum
voraus. b) Das Aktions-Axiom. Es unterstellt, dass Kräfte punktförmig wirken und
über infinitesimale Punkte integrierbar sind. c) Das Reaktionsaxiom. Es postuliert
eine absolute Symmetrie. Bei all diesen axiomatischen Eigenschaften, die die
mechanische Physik Newtons setzt, ist epistemologisch unterstellt, dass das
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1. Gesetz: Trägheitsaxiom
Ein Körper bleibt in Ruhe oder bewegt sich mit konstanter Ge-schwindigkeit, wenn keine Kraftauf ihn wirkt.
00!!
!!!==Þ= a
dtvdF
Die Newton‘schen Gesetze
2. Gesetz: Aktionsaxiom
Die zeitliche Änderung desImpulses ist proportional zuräußeren Kraft, die auf den Körper wirkt.
dtvmd
dtpdF
vmp)( :Kraft
:Impuls!!!
!!
==
=
gungBeschleuniMasseKraft ×==== rmvmamF !!"!""
"
Falls die Masse m unabhängig von der Bewegung ist, dann gilt:
2smkg1N1 =Krafteinheit: 1 Newton
3. Gesetz: ReaktionsaxiomBei Wechselwirkung zweier Körperist die Kraft, die auf den ersten Körperwirkt umgekehrt gleich der Kraft, dieder zweite auf den ersten ausübt.
1F! 2F
!
12 FF!!
-=
„actio = reactio“
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physikalische Inertialsystem absolut, zeitlos und unbewegt bleibt, - oder besser noch:
Die Axiome axiomatisieren nicht nur den Äther sondern jeden auch nur denkbaren
Raumstoff weg. Sie sind, um mit Lacan zu reden, ein absolutes Signifikat ohne
Signifikant. Pure Mathematik.
Aber eben nicht ganz, denn die drei Axiome reichen ja außerdem noch, wie
Sie sich erinnern werden, revolutionär in den tatsächlichen Himmel hinein und bilden
dort, vereint mit dem Dritten Kepplerschen Gesetz die Newtonsche
Gravitationsformel. Newton entwickelt das Alles mit einem epistemologisch ganz
unerbittlich klaren Induktionismus. Was nicht ableitbar ist aus Axiomen, was nicht aus
gut verifizierten empirischen Messungen stammt und im Verbund mit den
vorausgesetzten Axiomen keine Vorhersagen über neue messbare Phänomene
erlaubt, das ist nicht. Die entsprechenden Herleitungen der Masse und Dichte eines
Planeten aus dem Gravitationsgesetz sind ja ein beliebter Stoff in den
Abiturleistungsklassen Physik.
Die Bedeutung dieser Mathematisierung des Raums, die Newton hier
vornahm, kann man sich historisch gar nicht einschneidend genug denken. Die
wichtigste, sowohl epistemologisch wie philosophisch folgenreichste Implikation
seines axiomatischen Induktionismus war ja, dass die Himmelsgesetze irdischen
Regeln folgen, dass es Gesetze gibt, die im Himmel und auf Erden gelten, und der
berühmte fallende Apfel vom Baum die gleiche Gravitationskonstante aufweist wie
die Venus und ihre Monde. Diese Rekombination aller irdischen Kräfte als kosmische
und aller kosmischen als irdische rief Euphorien hervor. „Ob man auf Berkeley oder
Hume in England schaut, oder auf 'sGravesande und Musschenbroek in den
Niederlanden, oder auf Condillac und D'Alembert in Frankreich, der Refrain auf
Newton war überall derselbe: Spekulative Systeme und Hypothesen waren out; ab
sofort hatten wissenschaftliche Theorien ausschließlich zu handeln von Einheiten,
"that could be observed or measured.“(Laudan 1981,158)“ Kants Begriff des
synthetischen und analytischen Urteils, sowie sein Raum- und Zeitbegriff als
Transzendentalien schließen hier an und legten endgütig die philosophische
Grundlagen für den erfolgreichsten Abschnitt der Neuzeit im Übergang zur Moderne,
nämlich die Basis für die wissenschaftlich formalisierte materialistische
Industriephysik des späten 19ten und frühen 20sten Jahrhunderts.
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Aber man weiß auch, wie konsequent inkonsequent Newton selbst dachte und
schrieb. Alles jenseits der axiomatisch ohnehin nicht existierenden
Signifikantenebene konnte Newton, anders als Leibniz, freimütig einräumen. Actio in
distans? Also Fernwirkungen ohne Zeitverbrauch, der Gravitation? Mal ja, mal nein.
Äther? Nein, eigentlich ganz ausgeschlossen, liest man in den Principia, weil er die
Planetenbahnen ja nur stören könnte. Aber warum das inverse r-Quadrat in der Natur
zutrifft, kann die Mathematik selbst nicht explizieren. Es genügt, dass sie beweist,
dass alles im Himmel sich so bewegt wie auf der Erde.
So eskamotiert Newtons Axiomatik zwar den
Äther aus der Gravitationstheorie, aber einen
leeren Raum der ätherlosen Kontinuitäten
geistiger Sofortakte lehnte Newton, der
Physiker, dennoch ab. Und zwar deutlich „That
… one Body may act upon another at a
Distance thro’ a Vacuum, without the Mediation
of anything else, … is to me so great an
Absurdity, that I believe no Man who has in philosophical Matters a competent
Faculty of thinking, can ever fall into it”(b78,234).
Das war die Lage um 1745, als der irische Physiker und Mathematiker Bryan
Robinson Sir Isaac Newton's „Buch über den Äther“ publizierte. Also genau die
Stellen und Handschriften, die Newton weitgehend unter Verschluss gehalten hatte.
Obwohl dieses Buch, wie wir heute wissen, nur ein Bruchteil der spekulativen Äther-
Physik Newtons enthielt (da gab es tausende Seiten Handschrift mehr) muss es wie
eine Erlösung gewirkt haben. Wie als wäre der Signifikant der Neuen Epistemologie
endlich gefunden, all die fehlenden Erklärungen aus den Principia und der Optik,
löste diese Veröffentlichung in England einen Dammbruch an Äther-Theorien aus.
Schon „ein Jahr später erschien Benjamin Wilson's “Essay towards an
explication of the phaenomena of electricity”, direkt abgeleitet aus den Äthertheorien
Newtons. Und noch wichtiger, wenige Jahre darauf, Benjamin Franklins Theorie der
Elektrizität, die auf den Behauptung eines Fluidums basierte, das aus newtonianisch
einander abstoßenden Element-Korpuskeln bestehen sollte. Wieder wenig später,
der Schweizer Physiker George LeSage, der ein ätherisches Erklärungsmodell der
Gravitation und aller chemischen Kombinationen lieferte. (Laudan 1981,158)
„That … one Body may act upon another at a Distance thro’ a Vacuum, without the Mediation of anything else, … is to me so great an Absurdity, that I believe no Man who has in philosophical Matters a competent Faculty of thinking, can ever fall into it”(b78,234).
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Dieses halbe Jahrzehnt wilder Theoriebildung um den Äther kulminierte
schließlich in David Hartley “Observations on man” (1749);
ein Buch, das die Arbeit Newtons selbst, die
Arbeit des Wissenschaftlers und damit die
Arbeit des Wissens zum Thema macht.
David Hartleys „Oberservations of Man, his
frame, his duty and his expectations“ gilt als
eines der ganz frühen Werke einer
dynamischen Psychologie. Wie Richard
Allen in der Stanforder Enzyklopädie
schreibt, ist es erst im letzten, im 20ten
Jahrhundert völlig in Vergessenheit geraten. Nach seiner letztmaligen Erwähnung in
den „Principles of Psychologie“ von William James 1891 versank es in den
Stehenden Gewässern der empirischen Ich-Psychologien. Zu Unrecht muss man
sagen. Mitte des 18. Jahrhunderts erlebte es viele Auflagen, auch Übersetzungen in
Deutsche und Französische. Warum diese Aufmerksamkeit?
Weil David Hartley die Inkonsistenz der Newtonianische Physik aufs Korn
nimmt. Wie kann es sein, dass einer, der den Satz hypotheses non fingo mit seiner
Epistemologie in Stein gemeisselt hatte, zugleich überquoll vor tiefsinnigsten
Spekulationen über den Äther, der Licht und Gravitation transferiert?
Hypotheses seu metaphysicæ, seu physicæ, seu qualitatum occultarum, seu
mechanicæ, in philosophia experimentali locum non habent. Hieß es in den Principia.
In hac philosophia propositiones deducuntur ex phænomenis, & redduntur generales
per inductionem. Sic impenetrabilitas, mobilitas, & impetus corporum & leges
motuum & gravitatis innotuerunt.(Newton, 1726, 529)
“I frame no hypotheses.” Und der Newtonianer Hartley antwortet direkt: “It is
in vain to bid an inquirer form no hypothesis” (OM 1, prop. 87). Hartley unterläuft
Newtons algebraischen Induktionismus indem er die Sprache der Induktion, also die
Algebra, für konjektural erklärt. Hartley schreibt, dass die Sprache nichts anderes sei
als eine besondere Art von Algebra und Algebra ihrerseits “nothing more than the
language . . . peculiarly fitted to explain quantity of all kinds” (OM 1, 80). ““Bringing an
unknown quantity into a relation, answers, in philosophy, to the art of giving names,
expressing nothing definite . . . and then inserting these names . . . in all the
"All our voluntary powers are of the nature of memory."10
1749
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enunciations of the phenomena, to see whether, from a comparison of these terms
with each other, something definite in manner, degree, or mutual relation might
result” (OM 1, prop. 87). Hartley epistemologische Dekomposition von Newton läuft
nach dem einfachen Umkehrschluss so: Wenn, was Newton induktiv beweist, die
Mechanik der ponderablen Natur nach mathematischer Algebra darstellbar ist, dann
muss diese Algebra sich selbst durch ein ponderable Mechanik erklären. Einfacher
gesagt: Wer induktive Algebra schreibt, muss zeigen, wie die Natur das tut, und wer
Hypothesen macht, muss zeigen, wie die Natur Hypothesen macht. Hartleys
Hypothese ist, dass Menschen ohnehin nur Hypothesen prozedieren können, oder
genauer gesagt: dass Menschen nichts anders als Assoziationen bildende
Lebewesen sind. Assoziationen ihrerseits sind Produkte aus mechanischen Stoß-
und Stoßreaktionsbildungen zwischen Ätherpartikeln und Nerven. „In seinen
„Observations on man” verwendet Hartley die Vibrationen in diesem “nervösen” Äther
als Erklärung für eine bemerkenswerte Fülle von Phänomenen, eingeschlossen
‚gefühlvolle Freude und Schmerz“, (pp. 34-44), „sleep“ (45-55), „the generation of
simple and complex ideas“ (56-84), „voluntary and involuntary muscular
motions“ (85-114), „the sensation of heat“ (118-25), „ulcers“ (Magengeschwüre)
(127), Paralyse (132-4), taste (151-79), smell (180-90), sight (191-222), hearing
(223-38), sexual desire (239-42), memory (374-82), and die Leidenschaften (368-73),
alles erklärt durch einen vibrierenden Äther nach dem Muster der Newton-Äthers in
der Optik, der die Lichtbrechungen erklären könnte.(Laudan 1981,160)
Wenn heute zeitgenössische Neurologen wie Wolf Singer oder Gerhard Roth
die pseudoontologische These vertreten, es gäbe keinen Freien Willen, sondern nur
assoziativen Ketten von Neuroinformationen, dann haben sie in David Hartley’s
„Observations of Man“ ihren direkten Vorläufer. Die Assoziation ist nach Hartley die
Repräsentation dessen, was durch äußeren Einfluss auf unsere Nerven einwirkt.
„Our first and principle key to the knowledge of the external world … We call the
touch the reality, light the representative.”(OM 1, prop. 30). Wahrnehmung ist ein
Automatismus, der aus der gewichteten Zuordnung von Körperattraktionen zu
Nervenrepulsionen besteht: “If any sensation A, idea B, or motion C, be associated . .
. with any other sensation D, idea E, or muscular motion F, it will, at last, excited, the
simple idea belonging to sensation D, the very idea E, or the very muscular motion F”
(OM 1, prop. 20). Assoziationen sind Ergebnisse von Sinneseindrücken und bilden
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sich zu Ideen, Algebra und Wahrheit durch “counter-associations“ aus, also zum
Beispiel durch den Unsinn, den wir Nacht träumen und Ähnliches.
Mit Hartley wird nicht nur Newtons Axiomatik an den Äther gekoppelt, sondern
zugleich der Äther zum Äther der Wahrnehmung. Ab jetzt soll das Wissen aus dem
Äther selbst kommen, wenn er denn die Intellegibilität besitzen soll, axiomatisierbar
zu sein. Was anderes sind die axiomatisch nach ihren Reichweiten statistifizierten
Medien heute? Richard Allens und Larry Laudan Lektüren dieses vergessenen
Buches, denen ich hier weitgehend folge, machen deutlich: Um 1750 ist Newtons
Induktionismus, der bekanntlich die Schwerkraft der Himmels mit den Fallgesetzen
irdischer Äpfel auf menschliche Köpfe herunterzurechnen erlaubt, eine Hypothese,
die eine viel weitgehender Hypothese generiert: Nämlich dass der Mensch, his
„frame“, „his Duty, and his Expectations“ gekoppelt sind an ein intellegibles Medium,
das ihn denken lässt, was er denkt und dass er denkt. Anders nämlich könnte er
nicht erkennen, dass dieses Medium intelligible und also axiomatisierbar ist. >>> 13
„“We do, and must, upon our entrance into the world, begin with idolatry to external
things, and, as we advance in it, proceed to the idolatry of ourselves”“(OM 2, prop. 4)
Wenn wir nur genauer hinsehen, bis an die Halluzinationsgrenze versunken in
den stehenden Gewässern unserer Beobachtungsfähigkeiten, wie es diese Tagung
nun einmal erlaubt, so schimmert aus diesen Sätzen nicht nur schon die Dialektik der
Schellingschen Weltseele durch, die um die Jahrhundertwende 1800 den deutschen
Idealismus eröffnen wird, sondern auch die Systemtheorien Ernst von Foersters und
Niklas Luhmanns, die ja von Schelling bekanntlich nicht so weit entfernt sind und von
nichts anderem handeln als von der Idolatrie der Weltbeobachtung durch ein
selbstverzücktes Selbst.
Man könnte aber auch davon sprechen,
dass Hartley schon eine Art anthropisches
Prinzip postuliert, wie es in der
astrophysikalischen Kosmologie im Jahre
1974 von Brandon Carter formuliert wurde:
In der vereinfachten Form lautet es:
»conditions that are observed in the
universe must allow the observer to exist. «
Dass vielleicht nicht schon das ganze Universum, dass aber immerhin die Medien
Anthropic Principle
»Conditions that are observed in the universe must allow the observer to exist.«
Brandon Carter, 1973
14
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einem anthropischen Prinzip solcher Art gehorchen, ist eine Erkenntnis, die wir der
Systemtheorie ohnehin schon verdanken.
Um aber Mitte des 18ten Jahrhunderts, in dem wir uns noch befinden,
epistemologisch überhaupt zu dem zu kommen, was im 20ten Jahrhundert Medien
und Kosmologie genannt werden sollte, war allerdings ein starkes anthropisches
Prinzip nötig, das bekanntlich nach John Wheelers Formulierung von 1975 lautet:
„The Universe starts small at the big bang, grows in size, gives rise to life and
observers and observing equipment. The observing equipment, in turn, through the
elementary quantum processes that terminate on it, takes part in giving tangible
"reality" to events that occurred long before there was any life anywhere.”( Wheeler,
John Archibald "Bohr, Einstein, and the Strange Lesson of the Quantum," in Mind in
Nature. Edited by Richard Q. Elvee. (New York: Harper and Row, 1981), p.18.) Mit
einem Wort, - das Partizipatorische Anthropische Prinzip besagt: Das Universum hat
den Menschen hervorgebracht, aber erst der Mensch durch seine Beobachtung hat
das Universum hervorgebracht.“ Ich werde noch auf die Not zurückkommen, die eine
offenbar festgefahrene astrophysikalische Kosmologie seit dem letzten Drittel des
vergangenen Jahrhunderts dazu bringt, sich in der Ausdifferenzierung anthropischer
Prinzipien zu verlieren.
Hartleys anthropischer Äther von 1749 eröffnet eine neue epistemologische
Epoche der Ätherspekulation, die in vier oder fünf Generationenschritten zur
Entwicklung der empirischen Psychologie sowie gleichermaßen zur mathematischen
Definition der Elektrizität und damit zur Entwicklung der elektronischen
Massenmedien führen wird.
Das Bild, das um 1785 die wichtigste Achse
dieser Entwicklung markiert, das kennen sie
vermutlich. Benjamin Franklin vertreibt den
Mesmerismus aus Paris. Das Baquet in der
Mitte, das mesmeristische Trance-Utensil der
Seancen, um das die Verzückten saßen und auf
den Trip kamen, ist zerstört und in Stücke
geflogen, Mesmer auf fliegenden Zauber-Besen
davongetrieben, lächerlich gemacht und abgestoßen von dem newtonianischen
Kommissionsbericht Franklins, den er wie eine mosaisch leuchtende Gesetzestafel
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! 9
dem Spuk entgegen hält, von Lavoisier assistiert. Was für ein trügerisches Bild!
Franklin hatte zwar 1784 im Auftrag des Königs tatsächlich an einem
Kommissionsbericht mitgewirkt und die wesentlichen Experimente betreut, die
bewiesen, dass tierischer Magnetismus, so wie von Mesmer behauptet, nicht
existiert. Aber Franklins Bericht war, wie man aus Robert Darnton großartiger
Dissertation lernen kann, wenig bedeutungsvoll für den Fortgang der Dinge in Paris.
Mesmer selbst hatte sich längst schon von seinen revolutionären Schülern
abgesetzt, war nur seiner Tantiemen wegen im Hintergrund mancher Sitzungen noch
dabei, denen er im übrigen kaum folgen konnte, weil er entsetzlich schlecht
französisch sprach. Und verließ Jahre vor der Revolution Paris ganz freiwillig.
Wenn vom vorrevolutionären Mesmerismus in
Frankreich gesprochen werden soll, dann ist zu
sprechen von Guillaume Kornman, Nicolas
Bergasse, Jacques Pierre Brissot und vor allem
von Jean-Louis Carra, dem girondistischer
Revolutionär und wichtigsten Mesmer Schüler.
Jean-Louis Carras liefert in schneller Folge die
besten Zusammenfassungen der
mesmeristischen Praktiken und macht daraus eine umfassende newtonianische
Theorie einer neuen sozialen Physik. Quetelet, der Begründer der Sozialstatistik,
wird an sie im 19 Jahrhundert anschließen. Carras Nouveaux principes de physique
(Paris 1781) liefert eine Äthertheorie der Revolution.
„Moralische Ursachen, wie z. B. ungerechte
Gesetzgebung, beeinträchtigten die
Atmosphäre und somit die Gesundheit“, gibt
Carra zu verstehen, “genauso wie physische
Ursachen Krankheit hervorriefen; und
umgekehrt könnten physische Ursachen
moralische Wirkungen hervorbringen, sogar
in breitem Umfang. »Dieselben Wirkungen
finden jeden Augenblick in der Gesellschaft
statt, und man hat sie noch nicht in ihrer ganzen Bedeutung erkannt, weil man, wie
J.-L. Carras Nouveaux principes de physique (Paris 1781)17
„Moralische Ursachen, wie z. B. ungerechte Gesetzgebung, beeinträchtigten die Atmosphäre und somit die Gesundheit“, gibt Carra zu verstehen, “genauso wie physische Ursachen Krankheit hervorriefen; und umgekehrt könnten physische Ursachen moralische Wirkungen hervorbringen, sogar in breitem Umfang. »Dieselben Wirkungen finden jeden Augenblick in der Gesellschaft statt, und man hat sie noch nicht in ihrer ganzen Bedeutung erkannt, weil man, wie ich meine, noch nicht zureichend das Moralische mit dem Physischen verbunden hat.« (Carra 1784)
18
! 10
ich meine, noch nicht zureichend das Moralische mit dem Physischen verbunden
hat.«
Während der Revolution gründete Carra seine republikanischen Parolen auf
die Voraussage aus seinen Nouveaux principes de physique (1781-82), Frankreich
werde eine Republik werden, »weil das große physische System des Universums,
welches das moralische und politische System der Menschheit steuert, selbst eine
wahrhafte Republik darstellt«. (Darnton 1983,96)
Der Äther der Revolution, der auch ein Äther der Hypnose, der Trance, der
mediumistischen Medien war, denken Sie nur an Marats Dilirien, der schwappt fortan
über ganz Europa hinweg und auch nach Amerika, wo unter anderem Edgar Allen
Poe ihn aufzunehmen sucht, im vergeblichen Versuch, mit mesmeristischen Hoax
das zu werden, was so viele geworden waren, nämlich reich und berühmt.
Aber auch Benjamin Franklin, Gründervater der USA und amerikanischer
Bürger im vorrevolutionären Paris, der dem König so vergebliche Hilfestellung
leistete, die Ideologien der klassenübergreifenden Revolutions-Ekstasen zu
zerstören, Benjamin Franklin selbst hing am Äther seiner eigenen Fluidaltheorie der
Elektrizität. Sie werden wissen, dass Franklin den Blitzableiter erfunden hat, und aus
Bernard Siegerts Buch auch, dass von ihm die wichtigste Fludaltheorie des
Elektrizität des 18ten Jahrhunderts stammt. Franklins Fluidaltheorie besagt,
newtonianisch, dass Elektrizität ein die ganze Atmossphäre ausfüllendes Medium ist,
das sich aus zwei einander abstoßenden Partikeln zusammensetzt, nämlich Plus und
Minus. Franklin ist es, der diese Begriffe einführt, Plus und Minus, und Ladung und
Batterie und Kondensat und viele andere Namen mehr, die heute noch elektrische
Bedeutung haben. Newtonianisch streng will er an der Leidener Flasche, dem ersten
Speichermedium des Elektrischen, beweisen, wie innen die Plus- und außen die
Minus-Teilchen sich anlagern, um in einer Entladung mit Blitz und Feuer auseinander
zu fliegen. Mesmer hatte er nur widerlegen müssen, um diesen seinen eigenen
Beweis zu retten. Denn noch immer galt auch um 1800 das Dogma der Neuzeit von
William Gilbert aus dem Jahr 1600, dass Elektrizität und Magnetismus zwei differente
und nicht zusammengehörige Erscheinungen sind.
So wie Carras mesmeristischer Äther der magnetischen Halluzinationen sich
dann tatsächlich im 19ten Jahrhundert über Bairds Hynose-Theorien, über Charcot
und Janet bis hin zu Freud theoriebildend verflüssigt, so könnte man es auch von
! 11
Benjamins Franklins Äther sagen, der genau im
Jahr 1800 Alessandro Volta jene
Experimentationen ermöglichte, die zum
Nachweis atmosphärischer Elektrizität und über
diesen Umweg zur Entdeckung der
elektrolytischen Batterie führten. An die Stelle
von Frankins Äther treten
wissenschaftsgeschichtlich gesehen danach
zunächst Faraday’s Kraftlinien, jene Lines of Force, und dann deren mathematische
Beschreibungen, die Clerk Maxwell vorbehalten blieb, dessen vektor-geometrische
Voraussagen des Elektromagnetismus Heinrich Hertz experimentell nachweisen
sollte.
Ich streife das hier nur und kann, wieder aus Amerika kommend, weder Mary
Baker Eddy übergehen noch die berühmte Madame Blavatski, also nicht die
Gründerin der Christian Science von 1866 und nicht die der Theosophischen
Gesellschaft von 1875. Denn deren auratisch überladene Äthertheorien wirken in
allen Chakras, Tantras und Manipuras heutigen Alltags-Yoga-Praktiken nach, die
über den kolonialen indischen asiatischen Umweg des viktorianischen Spiritismus
von Amerika und England aus dorthin, und von dort aus wieder zu uns gelangt sind,
wie man in dem tollen Äther-Buch von Joe Milutis, das jüngst erschienen ist, sehr
schön nachlesen kann.
Über diese in unserer Gegenwartsmoderne so
alltäglich gewordenen astralen Äther von
Andrew Jackson Davis und seiner Schülerinnen
Blavatski und Baker-Eddy will ich hier weiter
nicht sprechen, sondern es nur bei der
Erinnerung belassen, dass diese angeblich so
fernöstlich autochtonen Praktiken in Wahrheit
vom mesmeristischen Carra-Konzept des
Äthers herstammen. Ein schlichter imperialer
Export und kolonialer Reimport.
Dass Einstein 1905 den Äther abgeschafft hat, in den harten
Naturwissenschaft der Relativitätstheorie, nämlich genau zu dem Zeitpunkt, als das
21
Volta‘s Skizze der „Batterie“
22
! 12
erste technische Äthermedium genannt Radio in die Welt kam, ist auch so eine
Halbwahrheit. A) Einstein stellt zunächst einmal fest „Die mißlungenen Versuche,
eine Bewegung der Erde relativ zum „Lichtmedium" zu konstatieren, führen zu der
Vermutung, dass dem Begriffe der absoluten Ruhe nicht nur in der Mechanik,
sondern auch in der Elektrodynamik keine Eigenschaften der Erscheinungen
entsprechen“ Das hieß zunächst einmal Außerkraftsetzen der Newtonschen Axiome
durch Relativierung. Ich übergehe hier das sogenannte Michelson/Morley-
Experiment von 1883, auf die Einstein sich hier bezieht, in dem es nicht gelungen
war, einen Lichtäther, also ein Medium des Lichts, an das Hertz und Helmholtz noch
fest geglaubt hatten, empirisch nachzuweisen. Ein berühmtes Nullergebnis,
Nullbewegung, Stehendes Gewässer. In Bezug auf den Elektromagnetismus, also
die Strahlung, die die elektronischen Massenmedien auch heute noch definiert, hat
Einstein diesen Äther in der Tat wegdefinieren können: „Die Einführung eines
„Lichtäthers"“, schreibt er weiter, „wird sich insofern als überflüssig erweisen, als
nach der zu entwickelnden Auffassung weder ein mit besonderen Eigenschaften
ausgestatteter „absolut ruhender Raum" eingeführt, noch einem Punkte des leeren
Raumes, in welchem elektromagnetische Prozesse stattfinden, ein
Geschwindigkeitsvektor zugeordnet wird.“ (Einstein:1905,891f)
Das galt für den Elektromagnetismus, der ja bekanntlich aus dieser
unvorstellbaren Geometrie rechtwinklig aufeinander aufbauenden Magnet- und
Elektrofelder besteht, die sich transversal fortpflanzen und relativistisch bleiben, egal,
welche Inertialsysteme sie beobachten, bei konstanter Lichtgeschwindigkeit von c.
Diese Verüberflüssigung des Lichtäthers allerdings galt eben nur für das Licht, nicht
aber für die Mechanik, und nicht für bewegte oder gar beschleunigte Massen, wie sie
dann in der Allgemeinen Relativitätstheorie von 1916 von Einstein Thema wurden.
Bereits 1918 ist auch bei Einstein also der Äther wieder da: „Während aber nach der
speziellen Relativitätstheorie ein Raumteil ohne Materie und ohne
elektromagnetisches Feld als schlechthin leer, d. h. durch keinerlei physikalische
Grossen charakterisiert erscheint, hat nach der allgemeinen Relativitätstheorie auch
der in diesem Sinne leere Raum physikalische Qualitäten, welche durch die
Komponenten des Gravitationpotentials mathematisch charakterisiert sind. Man kann
diesen Sachverhalt sehr wohl so auffassen, dass man von einem Äther spricht,
dessen Zustand von Punkt zu Punkt stetig variiert. Nur muss man sich davor hüten,
diesem 'Äther' stoffähnliche Eigenschaften (z.B. an jeder Stelle eine bestimmte
! 13
Geschwindigkeit) zuzuschrieben."(in Kostro
2000,203).
Die allgemeine Relativitätstheorie stellt eine Relation
zwischen einer vierdimensionalen Raum-Metrik auf
der linken Seite zu den Massen-Energie-Potentialen
auf der rechten Seite der Gleichung her. Die ART
integriert zudem die Gravitationskonstante Newtons und konnte so zunächst im
Sonnensystem ein eigenartiges, mit dem Gravitationsgesetz nicht vereinbares
Phänomen erklären, das mit der Umlaufbahn des Planeten Merkur zusammenhängt.
Lazarsfeld, Pionier der empirischen Sozialforschung, hat darüber promoviert. Auch
sagte die ART das vordem unbekannte Phänomen der Ablenkung der Lichtstrahlen
durch die Sonne, die sie streifen, exakt voraus.
Aber so wie sie dasteht, erwies sich die
Gleichung, auf die universellen Massen im
Universum projiziert, allerdings als untauglich.
Das Universum kollabiert, wenn man es mit
statischen Anfangsmassen definiert. Setzt man
die Terme etwas anders, kann es auch unendlich
wachsen.
Also musste Einstein einen weiteren Term in Grundgleichung der Allgemeinen
Relativitätstheorie hinein schmuggeln, der nicht aus der Theorie folgte. Später wird
Einstein zugeben, dies sei die „größte „Eselei“ seines Lebens gewesen.
Möglicherweise war es mehr als das. Gemeint ist die kosmologische Konstante
Lambda, die Einstein mit nahe Null annahm, um eine Stabilität des Universums zu
erreichen, dessen Räume die allgemeine Relativitätstheorie so aufspannen sollte wie
Newtons Gravitationsgleichung die Bahnen der Planeten.
Ohne den Lambda-Term kein stabiles Universum. Da Einstein hat eine
theoriefremde Konstante eingesetzt und zunächst keine physikalische Interpretation
dafür angegeben, außer der, dass er der astronomischen Vorstellungswelt seiner Zeit
um 1916 entsprechen wollte, die von einem immerwährenden, konstanten
Universum ohne Anfang und Ende ausging.
Allerdings – genau das ist schief gegangen. Man kann in Simon Singhs
glänzenden Big Bang Buch nachlesen, wie die Geschichte gelaufen ist. Henrietta
Einsteins allgemeine Relativitätstheorie (ART)
L+= µnµnµnp gTcGG 4
8 µnµn p TcGG 4
8=
kosmologischeKonstante
28
Einsteins allgemeine Relativitätstheorie (ART)
L+= µnµnµnp gTcGG 4
8 µnµn p TcGG 4
8=
kosmologischeKonstante
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Leavitt entdeckt noch in den 1910er Jahren die
Cepheiden, also weit entfernte hell leuchtende
Sterne in großen Galaxien, mit einer durch ihren
Lichtpuls verobjektivierbaren Helligkeit.
Das erlaubte Distanzmessung, die wiederum
Edwin Hubble 1929 vornahm und jene berühmte
Skala veröffentlichte, die sie hier sehen, aus der
schlicht hervorgeht: Je weiter eine Galaxie entfernt ist, umso schneller bewegt sie
sich fort.
Daraus war um 1930 und ist bis heute nur ein
astrophysikalischer Schluss sinnvoll, nämlich
der, dass das Universum sich ausbreitet und
zwar, wie es zunächst schien, mit einer
konstanten Geschwindigkeit.
Zum Schluss meines Vortrags will ich sie
wahrhaftig nicht auch noch in einen Schnellkurs
zum Thema astrophysikalischer Kosmologie
verwickeln, sondern Ihnen nur sagen: Seit Edwin
Hubble, also seit Beginn der 1930er Jahre
befinden wir uns wieder in einer Epoche der
Kosmologie, die aber, wenn ich es recht
verstanden habe, die Neuzeit mit Newton schon
einmal verabschiedet?
War es nicht Newtons größte Tat gewesen, die
Gravitation des Himmels auf die Erde zu holen,
um ihre irdische Identität zu beweisen? Ist nicht, wenn auch immer noch sehr
ungenau, mit Cavendish und anderen die Gravitationskonstante als Kilogramm-Maß
bestimmt worden und damit als eine auf unserem Planeten vorfindliche
Himmelskraft?
Seitdem aber Hubbles Expansionsgesetz tausendfach wiederholt empirisch
bewiesen ist, wurde Lambda immer mehr zur Schimäre. Noch mehr mit der seit 1998
hinzugekommenen Vermutung, dass sehr weit entfernte Galaxien sich noch schneller
fortbewegen als in einer lineare Abhängigkeit von Entfernung und
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Cepheiden
Edwin Hubble, A RELATION BETWEEN DISTANCE AND RADIAL VELOCITY AMONG EXTRA-GALACTIC NEBULAE, Washington 1929
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Das Hubblesche Gesetz (2000)
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Fluchtgeschwindigkeit. Damit sollte feststehen, dass wir es in der Astrophysik mit
einer epistemologisch völlig neuen, und zugleich sehr alten Lage zu tun haben.
Für die Fluchtgeschwindigkeiten im
Universum ist, legt man Einsteins Terme
zugrunde, eine kosmologische Konstante
zuständig, deren physikalischer Sinn völlig
ungeklärt ist. Irdisch ist er nicht und
himmlisch im Sinne einer stelaren Materialität
auch nicht. Bei Lambda muss es sich nämlich
um eine positive Gravitationskraft handeln,
denn sie wirkt gegen die Anziehung der
Massen. Sie stellt Newton auf den Kopf und wird derzeit interpretiert als „Dunkle
Materie“. a) Die astrophysikalische Kosmologie ist zum Äther zurückgekehrt. Denn
wenn, worin derzeit Common Sense unter den etwa 5000 Astrophysikern auf der
Welt besteht, 95 % des Universums aus Strahlung und Materienformen besteht, die
mit unserer baryonischen Atom-, Protonen-, Quark-, Elektronen- und Leptonen-
Materie offenbar nichts zu tun hat, die nicht wechselwirkt, nicht leuchtet und
irgendwie antigravitative Kräfte entfaltet, - dann ist auch die Quinta Essentia nicht
mehr weit.
Eine ausdrücklich so genannte Quintessenztheorie haben Jermeiah Ostriker
und Paul Steinhardt um die Jahrtausendwende vorgelegt und sie ähnelt
epistemologisch dem, was an Ätherspekulationen im 18ten und vor allem im 19ten
Jahrhundert gang und gäbe war. Aus einem Hauptseminarpapier der Universität Ulm
entnehme ich, die „Quintessenz sei zeitlich veränderlich und stellt eine Energieform
mit negativem Druck dar, der die Expansion immer mehr beschleunigt. Man stellt sie
sich als Quantenfeld mit kinetischer und potentieller Energie vor. Dabei ist ein
möglicher Ansatz für ein Quintessenz-Modell der, dass die Quintessenz mit dem
Urknall entstand, aber quasi erst "eingeschaltet wurde" (gemeint ist: merklich auf die
Entwicklung des Universums Einfluss genommen hat), als nach 300 000 Jahren der
strahlungsdominierte Kosmos in ein materiebeherrschtes Universum überging. Die
beschleunigende Kraft der Dunklen Energie entfaltete sich "spürbar" (erkennbar,
messbar) allerdings erst nach 10 Milliarden Jahren.“
73%
5%22% Dunkle Energie
BaryonischeMaterieDunkle Materie
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Ende der Halluzination. Über den Urknall habe ich geschwiegen. Im Angesicht
dieser Astrophysik-Kosmogonie aus hoch fluktuierenden transenergetischen
Hypervakua in Zeitdimensionen von 10 hoch minus 34 Sekundenschritten verblassen
alle überlieferten klassischen antiken indischen, griechischen oder ägyptischen
Weltentstehungs-Mythen zu platten Gutenachtgeschichten. Aber dieser Big Bang ist
seit den Nukleosynthese-Arbeiten von George Gamow und Ralph Alpher aus den
1940er Jahren eine teilchenphysikalisch konsistente Annahme. Seitdem auch ihre
Voraussagen einer 3 Kelvin-Hintergrundstrahlung im gesamten Universum
hundertfach durch Messungen bestätigt
worden sind, ist der Big Bang unter den
5000 Astrophysikern der Welt
unumstritten. A) Eine Variante der
Quintessenz-Theorien sagt den Big Rip
voraus, das schlagartige Zerreisen des
gesamten Universums von den
Rändern her in 50 Milliarden Jahren.
Ende der Halluzination.
Wer von weit entfernt davonrauschenden Quintessenzen dunkler Materie im
Universum spricht, sollte sich über die Wiederkehr ätherverzückter Chakra-Jünger
auf Erden nicht wundern. Eine Wissenschaft, die dekretiert, 95 Prozent des
Universums hätten physikalische Eigenschaften, die nichts mit einer uns bekannten
baryonischen Massenenergie zu tun haben, und hinzufügt, dies sei fundierte
Wahrheit einer Wissenschaft, die sich dadurch epistemologisch beweist, dass nach
ihren Maßgaben auf der Erde doch Alles widerspruchsfrei funktioniere, eine solche
gespaltene Epistemologie erscheint mir äquivok zu allen Politiken, die eine
fundamentalistische Retheologisierung der medialen Weltgesellschaft für die
gegebene Aufgabe der Zeit halten.
Und wer das anthropische Prinzip auf den Kosmos appliziert, demzufolge das
Universum existiert, um den Beobachter zu erschaffen, der es allererst produziert,
redet einer Medientheorie nach gleichem Muster das Wort. Anthropisch gedacht
wären Medien dann nichts als ein Äther, der die Menschen erschafft, die ihn
erschaffen haben. Tatsächlich sagt übrigens der sogenannte Uses-And-Gratification-
35Cornelia Parker ”Cold Dark Matter - An Exploded View” (Tate Modern Gallery)
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Ansatz nichts anderes, der der modernen statistischen Medienforschung zugrunde
liegt.
Es wird hohe Zeit, dass die Episteme der astrophysikalischen Kosmologie
einer kulturwissenschaftlichen Dekonstruktion unterzogen wird. In unseren
stehenden Gewässern wären wir dafür mindestens schon ein halbes Jahrhundert
zurück.
Ende der Halluzination.