Post on 22-Mar-2019
Redaktion: Kathrin Iselt-Segert
Gestaltung: Sonja Langbehn
In Schleswig-Holstein lebenrund 1.000 Kinder und
Jugendliche unter 18 Jahren, diean Typ-1-Diabetes er-krankt sind. Annika, Kajus, CarlSebastian und Timsind vier vonihnen. Hier erzäh-len sie aus ihremAlltag, in dem derDiabetes ständigpräsent ist.
Annika istmit dem Fahr-rad zumSchättruum-Gespräch nachSchleswig ge-kommen. 15 kmist die 17-Jährigegefahren. Des-halb muss sie jetzt ihren Blut-zuckerspiegel kontrollieren. „Einekörperliche Anstrengung kannnämlich dazu führen, dass derBlutzuckerwert absackt“, erklärtsie. Unauffällig pikst sie sich mit
einer
Stechhilfe in denFinger und drückt,
bis ein TropfenBlut heraus-kommt. Miteinem Test-
streifen, den siezuvor in ein Blutzucker-messgerät gesteckt hat,nimmt sie den Bluttropfenauf. Das Gerät zeigt die Zahl
133 an. Alles okay.„Wenn meinBlutzuckerwertzwischen 80 und140 liegt, ist allesim grünen Be-reich“, meintAnnika. Seitihrem zehntenLebensjahr ist siean Diabetes er-
krankt. „Dashabenmeine Elternund ich darangemerkt, dassich plötzlich sehran Gewicht ver-lor, immer gro-ßen Durst hatte
und ständig müde war“, blickt siezurück.
Insulinpumpe statt Spritze
„Als ich die Diagnose Diabetesbekam, hatte ich Schwierigkeiten,sie zu akzeptieren. Ich war nochjung und kümmerte mich nurwenig darum“, gesteht Annika.Doch irgendwann machte es„klick“. Annika begann, sich in-tensiv mit ihrer Erkrankung aus-einanderzusetzen und sieanzunehmen. Am Anfangspritzte sie sich das benötige Insu-lin mit einem Insulin-Pen. Wie dasgeht, hatte sie bei Schulungen imKrankenhaus gelernt. Sie lernte
ebenfalls auszurechnen, wie vielInsulin sie, je nach Situation undMahlzeiten, zuspritzen muss.„Heute habe ich eine Insulin-pumpe. Das ist prakti-scher und einfacher inder Handhabung“,findet sie.
Um verantwor-tungsbewusst mitihrem Diabetes um-zugehen, traf Annikanach Absprache mitihren Eltern voreinem Jahr eine Ent-scheidung.„Ich zog ineine privateJugendhilfe-einrichtung,die sich aufKinder undJugendlichemit Diabetes spezialisiert hat. Daswar die beste Entscheidung, dieich je getroffen habe.“ Hier erhält
sie bei allen Fragen rund um denDiabetes Unterstützung. So ach-ten die Erzieher darauf, dass An-nika ihren Blutzuckerspiegel
sechsmal am Tag misst,ihre Werte in ein Ta-gebuch einträgt undsich ausgewogen er-nährt. Ebenfalls wirdsie regelmäßig imUniversitätsklinikumSchleswig-Holsteinam Campus Kiel be-treut. Dort nimmt sieauch an Schulungen
teil. Momen-tan machtAnnika einPraktikum ineiner Tourist-informationund besuchtdie Berufsein-
gangsklasse an einem Berufsbil-dungszentrum. Während dieSchättruum-Reporterin zum
Unheilbar krank:
Kajus gibt sich das Insulin mit einemInsulin-Pen, der so ähnlich wie ein Stiftaussieht. Seine Hobbys sind Schwim-
men und Programmieren.
Körperliche Anstrengungen führen schnell zu einer Unter-zuckerung. Deshalb muss An-nika nach dem Fahrradfahrenihren Blutzuckerspiegel messen.
Schättruum
Fürdiese Seite hat die
Schättruum-Redaktion
viele gute Informationen von Dr.
Jessica Bokelmann, Kinderdiabeto-
login in der Klinik für Allgemeine Pädi-
atrie am UKSH Kiel, für die medizinische
Beratung bekommen. Einige Fachinfor-
mationen im Beitrag stammen aus der
Broschüre „Kinder mit Diabetes in der
Schule“, herausgegeben von der
Arbeitsgemeinschaft für Pädia-
trische Diabetologie
(AGPD) e.V.
Annika trägt eine konventionelle Insu-
linpumpe. Das Insulin gelangt dabei
über einen feinen Schlauch, der ständig
in der Haut liegt, in den Körper.
Fotos: Silke Bromm-Krieger
Foto
: kis
Annika, Tim, Carl undKajus leben mit Diabetes
Diabetes ist eine Stoffwechsel-störung, bei der das lebensnot-wendige körpereigene HormonInsulin in der Bauchspeichel-drüse zu wenig oder gar nichtgebildet wird. Das Insulin reguliert den Blut-zucker. Menschen mit Typ-1-Diabetes benötigen einelebenslange Behandlung undmüssen sich mehrmals am TagInsulin spritzen. Das können sieauf unterschiedliche Weise tun,denn es gibt dafür Insulin-Pens,Insulinspritzen oder Insulin-
pumpen.
Normalerweise produziert derKörper passend zu den Mahlzei-ten die richtige Menge an Insu-lin. Hat man Typ-1-Diabetes,müssen Insulin und Nahrungaufeinander abgestimmt wer-den. Betroffene können weitest-gehend das essen, worauf siegerade Appetit haben, aber siemüssen sich an bestimmte Re-geln halten. „So esse ich nur anzwei Tagen in der Woche einekleine Portion Süßigkeiten“, be-richtet Annika. Grundsätzlichdarf ein Typ-1-Diabetiker anjedem Tag höchstens eine
Handvoll Süßigkeiten zu sichnehmen.Neben Typ-1-Diabetes, den An-nika, Kajus, Carl Sebastian undTim haben, gibt es noch Typ-2-Diabetes, der hauptsächlich beiübergewichtigen Erwachsenenauftritt.
Übrigens: Der Typ-1-Diabeteswird nicht durch Ernährungsfeh-ler ausgelöst, zum Beispiel weilman zu viele Naschis gegessenhat. Es handelt sich dabei umdie häufigste Stoffwechsel-störung bei Kindern und Jugend-lichen. www.diabetes-kids.de
Was ist eigentlich Diabetes?
Schluss des TreffensFotos macht, misstAnnika ihren Blut-zuckerspiegel erneut.Der Wert: 58. Das istzu niedrig. Das spürtsie daran, dass sieplötzlich zu zitternbeginnt. Doch für sol-che Fälle hat sieimmer eine Fla-sche Orangensaftdabei. Sie nimmteinige Schluckedes zuckerhalti-gen Getränks,und bald ist alleswieder gut.
Saft oder Traubenzucker –immer dabei
Auch Kajus (14), Carl Sebastian(14) und Tim (16) leben mit Diabe-tes, und das „ganz normal“, wiesie betonen. Kajus ist seit acht Jah-
ren erkrankt, Carl Sebastian seitsieben Jahren und Tim seit überzehn Jahren. Die Jungs kennen sichüber den Verein Diabetes Helden.Schättruum trifft sie zu einem ge-meinsamen Gespräch in Kiel. Wiesich ihr Alltag von dem andererJugendlicher unterscheidet, diekeinen Diabetes haben, darüber
geben sie gern Aus-kunft. „Wir müssenimmer alle Sachen,die wir für den Dia-betes brauchen, wieTraubenzucker oderSaft, parat habenund können nichtohne Tasche aus dem
Haus gehen“,sagt Kajus. „Au-ßerdem messenwir regelmäßigunseren Blut-zuckerspiegel.Gerade wenn wirSport machen, ist
das wichtig. Beim Handballtrai-ning messe ich einmal vorher, ein-mal mittendrin und einmalnachher“, erklärt Carl Sebastian.Seine Leidenschaft ist das Longbo-ardfahren. „Doch nach ein biszwei Stunden ist Schluss, dann binich meist stark unterzuckert“, weißer aus Erfahrung.
Eine Sache stellt Timheraus: „Als Diabetikerwird man zum Ernäh-rungsexperten. Wir ernäh-ren uns sehr ausgewogenund gesund und habenbeim Essen immer die Koh-
lenhydrate im Blick. Nah-rungsmittel, die Kohlen-hydrate enthalten, erhöhenden Blutzucker. Unsere Insu-lindosierung müssen wir des-halb immer auf die Mengeder Kohlenhydrate, die wirgegessen haben, abstim-men“.
Im Alltag der Jungskommt es wegen des Diabetesmanchmal zu besonderen Situa-tionen. „Als vor einiger Zeit eineKlassenfahrt anstand, wolltenmich die Lehrer zuerst nicht mit-nehmen. Sie hatten Angst, dassmir etwas passieren könnte, ob-wohl ich mit dem Insulin sehr guteingestellt bin, alles im Griff habeund meine Eltern ihr Einverständ-
nis gaben“, berichtetTim. Schließlich er-klärte sich eine zu-sätzliche Lehrkraftbereit, mitzufahrenund ein Auge auf ihnzu haben.
Carl Sebastian er-lebte etwas, das ihn nochheute verärgert, wenn erdarüber spricht: „Eine Mitschü-lerin meinte mal, ihr wird schlecht,wenn sie Blut sieht. Ich solle dochauf die Toilette gehen oder michhinter einem Vorhang ver-stecken, wenn ich michspritzen muss. Dabeiwar gar kein Blut zusehen.“
Essen und Trinkenim Unterricht erlaubt
Diabetiker haben die Er-laubnis, im Unterricht zuessen und zu trinken, wennihr Blutzuckerwert zu nied-rig ist. „Einmal fragte michein Lehrer, warum ich imUnterricht esse, ich sollte das seinlassen. Da musste ich ihn erst malaufklären“, meint Tim schmun-zelnd.
Auf ihre Klassenkameraden an-gesprochen, berichten die Jugend-lichen übereinstimmend, dassdiese grundsätzlich po-sitiv auf ihren Diabetesreagieren. Sie wur-den – wie die Lehr-kräfte – aufgeklärt,was sie tun können,falls die Jungs plötzlichohnmächtig werdenund umkippen. Daskann passieren, wennsie eine Unterzucke-rung nicht rechtzeitigbemerken. Beiden dreien istdas aber nochnie vorgekom-men. Sie ken-nen ihre
persönlichenAnzeicheneiner Unter-zuckerunggenau. DaskönnenSchwitzen,
Zittern, kalteHände, ein
Lachanfall oderein aufkommendes
aggressives Gefühl sein.Während Kajus, Carl Sebastian
und Tim
über ihre Erlebnisse berich-ten, essen sie Apfeltörtchen, diedie Mutter von Kajus gebackenhat. Vorher haben die Jungs dieTörtchen abgewogen und ausge-rechnet, wie viele Kohlenhydrat-einheiten sie haben. Als Tim nachdem Genuss seinen Blutzucker-
spiegel misst, ist die-ser deutlich zu hoch.Eine Überzuckerungbedeutet jedoch, imGegensatz zur Un-terzuckerung, keineakute Gefahr. „Ichmuss das nur bei dernächsten Insulingabeberücksichtigen“, er-klärt er.
Annika, Kajus,Tim und CarlSebastianhaben gelernt,mit ihrem Dia-betes zu leben.Sie sind froh,dass sich dieTherapie-
möglichkeiten dieser Erkran-kung in den vergangenenJahren erheblich verbesserthaben, auch wenn eine Heilungnach wie vor nicht absehbar ist.
Silke Bromm-Krieger
Carl Sebastian geht in dieachte Klasse. Beim Sportunter-richt achtet er besonders auf
seinen Blutzuckerspiegel.
Diabetiker sollten sich vollwertig und ge-sund ernähren. Süße Leckereien, wie hierein Apfeltörtchen, sind in Maßen erlaubt.
DiabetesHelden
Förderverein für Kinder und
Jugendliche mit Diabetes
Kiel e.V.
www.diabetes-helden.de
Den Blutzucker zu messen, ist fürTim längst Routine. Er trägt eine
moderne Insulin-Patch-Pumpe, diekeinen Schlauch mehr hat. Dasschafft mehr Bewegungsfreiheit.
Mit einer Stechhilfe kann Annika
sich unauffällig in den Finger ste-
chen, um an einen Tropfen Blut für
die Blutzuckermessung zu kommen.
Foto
: kis