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Prof. Dr. Uwe Wagschal Seminar für Wissenschaftliche Politik
Universität Freiburg
Budgetpolitik in international und national vergleichender Perspektive
Tagung Konsolidierungspolitik im Schatten der Schulden-bremse – Chance für intelligente Budgetpolitik?
22.05.2014 Berlin
Inhalt
I. Wer ist schuld an den Schulden?
II. Verschuldungsregeln: Allheilmittel oder Budgetmimikry?
III. Was sind Konsolidierungen?
IV. Wie raus aus den Schulden?
Konsolidierungsstrategien im Vergleich
V. Fazit: Intelligent konsolidieren – Lehren des Vergleichs
2 Seminar für Wissenschaftliche Politik - Prof. Dr. Uwe Wagschal
Verschuldungsperformanz im internationalen Vergleich
3
Die Entwicklung der Verschuldung in Deutschland (1850-2010)
4
Ursachen der Verschuldung: Das Defizit ist höher, je…
• Sozioökonomische Faktoren: Wirtschaftswachstum ,
Arbeitslosenquote , Seniorenquote
• Soziale Umwälzungen / Krisen (Displacement-Effekte) ,
• „Technische“ und ökonomische Faktoren: Zinssatz ,
Aussenhandelsdefizit , Gesamtabgaben , Inflation
• Linksparteien, wegen höherer Abgabenquote (bis Mitte 1990er)
• Institutionen: Verschuldungsregeln Budgetinstitutionen
Vetospieler Politische Stabilität
• Keine Effekte: Umfang der Regierung, Wahlzeitpunkt,
Korporatismus, Stärke der Gewerkschaften, Föderalismus
5
Vier Szenarien zur Entwicklung der Haushaltspolitik (DOMAR-Modell)
6
Begründete Zweifel an der Wirksamkeit von Schuldenbremsen
• Schwache Schulden-Performanz trotz Schuldengrenzen. Nach der Verabschiedung der Maastricht-Regeln stieg die Verschuldung in den Euro-Ländern bis 1999 deutlich schneller als in allen anderen OECD-Staaten
• USA im Sommer 2011 kurz vor der Zahlungsunfähigkeit
• Wiederholte Anhebungen der Schuldengrenzen in den USA
• Wirkungslosigkeit der Verschuldungsgrenzen in Deutschland
• Gemischte Evidenz für die US-Bundesstaaten und die Schweizer Kantone
Budgetmimikry-These:
• Die Regierung täuscht Bürger, Anleger, Gläubiger und
Ratingagenturen mit Fiskalregeln, indem sie den Eindruck einer
gesunden Finanzlage erweckt.
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Die europäischen Verschuldungsgrenzen
• Vertrag von Maastricht (1992)
• gesamtstaatliches Defizit darf nicht 3%/BIP überschreiten (Protokoll 12 AEUV)
• gesamtstaatlicher Schuldenstand darf nicht 60%/BIP überschreiten (Protokoll 12 AUEV)
• übermäßige öffentliche Defizite sind zu vermeiden (Art 126 AUEV): bislang Papiertiger, denn diverse Verstöße gegen sämtliche Kriterien
• 48,7 Prozent aller möglichen Fälle verstoßen gegen Defizitgrenze (bis 2013)
• 54,2 Prozent aller möglichen Fälle verstoßen gegen Schuldenstandgrenze (bis 2013)
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Graphik: Verletzungen der Maastricht-Kriterien (bis 2013)
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Verschuldungsgrenzen in Deutschland
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Anzahl der Jahre, in denen die Nettokreditaufnahme im Haushaltsvollzug größer war als die eigenfinanzierten Investitionsausgaben (1992-2006)
Anmerkung: Datenquelle sind die Kassenergebnisse des öffentlichen Gesamthaushaltes des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 14, Reihe 2), Jahrgänge 1992-2006.
Fiskalregeln und Haushaltsdefizit (2001-2009)
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Schuldenbremsen und Verschuldung auf Länderebene
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Argumente für Verschuldungsgrenzen
• Kydland und Prescott (1977): Problem des zeitinkonsistenten
Verhaltens von Regierungen
• Konstitutionelle Ökonomik: Einhegung der permanenten
Wachstumstendenz des Staates
• Verschuldungsgrenzen als Signalling: Schuldenregeln senden ein Signal
an den Markt Regelbindung erhöht die Glaubwürdigkeit
• Verschuldung als Allmende-Problem: Problem des Haftungsverbunds
• Schuldenregel im Kontext von Blame Avoidance
• Regelgebundene Politik ist diskretionärer Politik überlegen „Odysseus“ als
Lösung.
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II. Methodische Überlegungen zur relevanten Konsoliderungsvariable
Keine Bereinigung der konjunkturellen Entwicklung
Bereinigung der konjunkturellen Entwicklung
Keine Bereinigung um Zinszahlungen
Nettokreditaufnahme (Budgetsaldo)
CAB – zyklisch angepasstes Budgetsaldo
Bereinigung um Zinszahlungen
Primärsaldo CAPB – zyklisch angepasstes Primärsaldo
Schema des Konsolidierungsindikators
1
4 Kriterien:
- Dauer
- Niveaus PSQ,
- Niveau und
Entwicklung SV
Keine
Konsolidierung
(Primärquote im
Durchschnitt
negativ, d.h
kleiner Null)
Teilweise
Konsolidierung
Primärquote im
Durchschnitt
zwischen 0 und 2
(<2.0)
Substanzielle
Konsolidierung
(Primärquote ist
größer/gleich als
2.0) (=> 2.0)
(1 P) Deutliche
Verschlechterung
- PS ( kleiner
Null - SQ steigt
in U-Zeitraum
(2 P)
Verschlechterung
- PS (- kleiner
Null - SQ sinkt
in U-Zeitraum
Schuldenquote SQ
steigt im
Untersuchungs-
zeitraum
Schuldenquote
SQ sinkt im
Untersuchungs-
zeitraum
(3 P) nicht
erfolgreich
(SQ t+3 ist größer
SQ t)
(5 P) erfolgreich
(SQ t+3 ist kleiner
SQ t)
Schuldenquote
SQ steigt im
Untersuchungs-
zeitraum
Schuldenquote SQ
sinkt im
Untersuchungs-
zeitraum
(8 P) nicht
erfolgreich
(SQ t+3 ist größer
SQ t)
(10 P) erfolgreich
(SQ t+3 ist kleiner
SQ t)
(7 P) nicht
erfolgreich
(SQ t+3 ist größer
SQ t)
(9 P) erfolgreich
(SQ t+3 ist kleiner
SQ t)
(4 P) nicht
erfolgreich (SQ
t+3 ist größer SQ
t)
(6) erfolgreich
(SQ t+3 ist kleiner
SQ t)
Konsolidierung 1980-2013 (3-jährige gleitende Durchschnitte)
Seminar für Wissenschaftliche Politik - Prof. Dr. Uwe Wagschal - VL Methoden, Statistik 16
Rangliste der Konsolidierung (1980-2013)
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Fiskalregeln und Konsolidierungsanstrengungen (2001-2009)
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Umfrage unter den Abteilungsleitern der Haushaltsaufstellung der Bundesländer
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Erfolgreiche Konsolidierungsmaßnahmen aus der Sicht der Bürgermeister
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IV. Wie raus aus den Schulden
• Internationaler Vergleich zeigt: erfolgreiche Konsolidierungen nicht aufgrund der Existenz von Schuldenregeln; Anlass waren vielmehr häufig ein zu hohes Verschuldungsniveau und der Verlust an politischem Handlungsspielraum.
• Alternativen zu den gebräuchlichen Schuldenregeln:
• „Commitment-Ansatz“: glaubhaftes Bekenntnis zum Schuldenabbau
• „Delegation-Ansatz“: Position des Finanzministers stärken;
• Budgetprozess: Top-Down-Verfahren
• Budgetinstitutionen: Doppelhaushalte
• Windfall profits: klare Vorgaben zum Umgang mit unerwarteten Haushaltsüberschüssen
• Ausgabenkürzungen für nachhaltige Konsolidierung zentral
• Steuererhöhungen eher gering wirksam
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Erfolgreiche Konsolidierungsstrategien
1. Ausgabenseitig konsolidieren
2. Zügig nach Machtwechseln/Wahlen mit Konsolidierungen beginnen
3. Windfall Profits nutzen
4. Konsolidierungen erfordern ein politisches Bekenntnis
5. Budgetinstitutionen ändern
6. Vorsichtig budgetieren / Sicherheitsabschläge einführen
7. Nicht nur Regeln, sondern auch Akteure stärken
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(1) Ausgabenseitig konsolidieren
• Internationaler Vergleich: Ausgabenseitige erfolgreicher als
einnahmeseitige Konsolidierungen
• Länder: Sozialausgaben (beachtliche Differenzen bei FKZ 2,
Investitionen, freiwillige Leistungen)
• Einnahmeerhöhungen führen i.d.R. nur zu kurzfristigen
Entspannungen und erhöhen Ansprüche ans Budget
• Im Zuge der politischen Umsetzungsstrategie punktuelle
Einnahmeerhöhungen durchaus sinnvoll
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Entwicklung der Ausgabenquoten der Konsolidierungsfälle
innerhalb der Konsolidierungsperiode
Veränderung der Ausgabenquote der Konsolidierer innerhalb der Konsolidierungsperiode (= Ende-Anfang)
Veränderung der Ausgabenquote aller OECD-Länder innerhalb der gleichen Konsolidierungsperioden (= Ende-Anfang)
Nachhaltige Konsolidierungen (16 Fälle)
-6.4 -2.7
Nicht nachhaltige Konsolidierung (10 Fälle)
-2.6 -2.6
Insgesamt -4.9 -2.7
(2) Das Timing von Konsolidierungen: Erfolgreich nach Machtwechseln (OECD-Ländervergleich)
Zeitpunkt des Beginns
der Konsolidierung nach Machtwechsel
Dauer der Konsolidierung
Fälle
Spätestens 1 Jahr nach Machtwechsel
3,7 22
Zwischen 2 und 4 Jahren 2,7 7
Länger als 5 Jahre nach Machtwechsel
3,0 6
Durchschnitt Insgesamt (ohne Zeile 2)
3,4
(2,8)
35
(13)
(3) Windfall Profits nutzen: Schuldenstand und Zinszahlungen des Bundes
26
Jahr 2000 2013 %-Veränderung
2013 zu 2000
(1) Nominaler
Schuldenstand des
Bundes in Euro
774 Mrd. Euro 1078 Mrd. Euro +39,3%
(2) Zinszahlungen
des Bundes
39,9 Mrd. Euro 31,7 Mrd. Euro -21,4%
Durchschnitts-
verzinsung (= 2 : 1)
5,1 % 2,9%
Im Finanzplan 2009 wurden noch 52 Milliarden Euro Zinsausgaben für 2013 veranschlagt.
(4) Ankündigung von Konsolidierungen in den Regierungserklärungen (Bundesländer)
Punkte Kriterium
1 Die Haushaltssituation des Landes/Verschuldung wird nicht thematisiert.
2 Die Ziele der Haushaltskonsolidierung werden abstrakt formuliert (zum Beispiel:
„Nettoneuverschuldung soll zurückgeführt werden“).
3 Die Ziele der Haushaltskonsolidierung werden abstrakt formuliert. Es werden
konkrete Bereiche genannt, in denen gekürzt werden soll.
4 Die Rückführung der Nettoneuverschuldung auf null wird ohne konkreten Zeitpunkt
angekündigt.
5 Die Rückführung der Nettoneuverschuldung auf null wird ohne konkreten Zeitpunkt
angekündigt. Es werden konkrete Bereiche genannt, in denen gekürzt werden soll.
6 Ankündigung eines ausgeglichenen Haushaltes mit Nennung eines Zeitpunkts.
7 Ankündigung eines ausgeglichenen Haushaltes mit Nennung eines Zeitpunkts. Es
werden konkrete Bereiche genannt, in denen gekürzt werden soll.
Ankündigungsindex und Konsolidierung
1
(a) Durchschnitt des Ankündigungsindex III 2001-2006
(b) Durchschnitt des Ankündigungsindex III 1991-2006
Veränderung des Schulden-standes der Länder (pro Kopf, ohne Gemeinden) für die jeweilige Untersuchungs-periode
-0,617 -0,507
Schuldenstand der Länder (pro Kopf, ohne Gemeinden) im Jahr 2006
-0,646 -0,405
Schuldenstand der Länder (pro Kopf, inklusive Gemeinden) im Jahr 2006
-0,690 -0,412
Konsolidierungsindex für die jeweilige Untersuchungs-periode
+0,480 +0,346
Konsolidierungstrend-indikator für die jeweilige Untersuchungsperiode
+0,172 -0,262
(5) Budgetinstitutionen ändern: Einführung von Doppelhaushalten
1
Doppelhaushalte und durchschnittliche Verschuldungs- und Konsolidierungsperformanz nach Bundesländern
1
Veränderung des Schuldenstandes in Euro pro Kopf
(2001-2006)
Durchschnitt der Nettokreditauf nahme in Euro pro Kopf (1992-
2006)
Konsolidierungs indikator
(2001-2006)
Konsolidierungs indikator
(1991-2006)
Keine und nur unterdurchschnittlich Doppelhaushalte (11 Bundeländer)
2199,9 367,5 1,9 2,2
Überwiegend Doppelhaushalte (5 Bundesländer) 1930,2 192,8 2,6 3,4
Insgesamt (16 Bundesländer) 2115,6 312,9 2,1 2,6
Anmerkung: Dargestellt sind die Durchschnitte der jeweiligen Ländergruppen
(mit und ohne Doppelhaushalt) über die jeweils in Klammern angegebenen Jahre.
(6) Vorsichtig budgetieren / Sicherheitsabschläge
• Golden Hampster / Rainy Day Funds
• Sichert „Wind fall profits“
• Wirtschaftswachstumsprognosen SVR (1981-2010): von 30
Prognosen waren lediglich 5 im Bereich von unter 0,5 PP.
• Abweichungen Steuerschätzungen 1990-2008:
t: 2,9 Mrd €, t+1: 8,8 Mrd €, t+2: 14,8 Mrd €, t+3: 19,9 Mrd €
• Manche Bundesländer budgetieren bis zu vier
Sicherheitsabschläge
• Indexierungen in Belgien / Schweden äquivalent
31
Soll-Ist-Vergleich der Nettokreditaufnahme (NKR) in der Mittelfristigen Finanzplanung (BUND)
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(7) Akteure stärken
• Starker Finanzminister mit Vetorechten
• Zusammenspiel Ministerpräsident / Kanzler und
Finanzminister wichtig
• Äquivalent: Starke Stellung des Bürgermeisters auf
kommunaler Ebene
• Size Fragmentierung und Over-Time Fragmentierung
negativ
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Verschlechterung der ökonomischen Performanz durch Konsolidierung?
25,020,015,010,05,00,0
Misery-Index (Arbeitslosenquote + Inflationsrate - Wirtschaftswachstum im Jahr vor Beginn der Konsolidierung)
10,0
8,0
6,0
4,0
2,0
0,0
-2,0
-4,0Ver
ände
rung
des
Mis
ery-
Inde
x (J
ahr
vor
Beg
inn
der
Kon
solid
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Jahr
der
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USA
Schweden 1
Schweden 1
Schweden 1
Neuseeland 1
Neuseeland 1
Norwegen
Niederlande
Japan
Italien
Island 2Island 1
Irland 2
Irland 1
Großbritannien 1
Großbritannien 1
Finnland
Spanien 1
Spanien 1
Dänemark 1Dänemark 1
Kanada 2
Kanada 1
Belgien
Österreich
Australien
Ver
bess
erun
g de
r Per
form
anz
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te d
es M
iser
y-In
dex)
r = +0,66
Fazit: Intelligent konsolidieren – Lehren des Vergleichs
Schuldenregeln sind weit weniger wirkungsvoll als
weithin angenommen wird
Zentrale Befunde:
• Verschuldungsregeln konnten Finanzkrisen und Höchststände bei der Verschuldung in vielen Ländern nicht verhindern.
• Länder mit strengeren Fiskalregeln verzeichnen einen niedrigeren Verschuldungszuwachs als Länder mit keinen bzw. nur schwachen Fiskalregeln.
• Fiskalregeln haben geringen Einfluss auf die Haushaltskonsolidierung, andere Faktoren sind wichtiger.
→ Die These von Budgetregeln als „Budgetmimikry“ ist mit Einschränkungen zu bejahen.
→ Nur auf Verschuldungsregeln setzen ist nicht alternativlos, sondern kreativlos
→ Konsolidierung lohnt
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