Post on 14-Aug-2019
Einleitung
INHALT1. Finite Differenzen in 2D2. Einleitung2.1 Vorbemerkungen2.2 Rand- und Anfangswertaufgaben3. Variationsformulierung von Randwertaufgaben3.1 Vorbemerkungen3.2 Bezeichnungen und mathematische Hilfsmittel3.3 Referenzaufgaben in 2D3.4 Variationsformulierung der Poisson-Gleichung3.5 Galerkin-Approximation3.6 Variationsformulierung der Helmholtz-Gleichung4. Lagrange-Elemente4.1 Einleitung4.2 Konstruktion von Finite-Element-Räumen4.3 Assemblierung der Galerkin-Gleichungen4.4 Beispiel: 1D Poissongleichung4.5 Konvergenz4.6 Numerische IntegrationTU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 29
Einleitung
VORBEMERKUNGENEINORDNUNG
Die Finite-Elemente-Methode (FEM) bezeichnet eine große Klassenumerischer Verfahren zur näherungsweisen Lösung partiellerDifferentialgleichungen (PDG, PDE).
Andere gebräuchliche Verfahrensklassen hierfür sind
finite Differenzen (Differenzenquotienten, Tensorproduktgitter),finite Volumen (Integration mittels Gauß-Quadratur),Spektralverfahren (Integraltransformation, Anpassung vonSpektralkoeffizienten),Kollokationsverfahren (Interpolations-/Ausgleichsrechnung,implizite Runge-Kutta-Verfahren),Randelementverfahren (Diskretisierung der Oberflächen, 3D –>2D).
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 30
Einleitung
VORBEMERKUNGENVORTEILE DER FEM
Geometrische Flexibilität: Die Anpassung an komplizierte Geometrienwird in die Gittererzeugung verlagert, dasgrundlegende Verfahren bleibt davon unabhängig.
Mathematisches Fundament: Es existiert eine umfassende undausgereifte mathematische Konvergenztheorie, mittelsderer Konvergenzrate, Fehlerschätzer etc. analysiertwerden können.
praktische Handhabung: Randbedingungen; Symmetrien (undweitere Strukturen) bleiben erhalten; hohe Ordnungmöglich.
Weite Verbreitung: Es existieren inzwischen sehr vieleSoftwarepakete hoher Qualität, in denen die FEMrealisiert ist, etwa MSC Nastran, ANSYS, ABAQUS,STRESS CHECK, COMSOL neben vielen anderen.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 31
Einleitung
VORBEMERKUNGENHISTORISCHES
Johann Bernoulli (1696) Brachistochronen-Problem.
Formulierung von Differentialgleichungen alsExtremalprobleme. Beginn der Variationsrechnung.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 32
Einleitung
VORBEMERKUNGENHISTORISCHES
Karl Schellbach (1851) Lösung eines Minimalflächenproblems in 2D mit fürFEM typischen Teilschritten.
K. Schellbach, ‘Probleme der Variationsrechnung’, J. Reine Angew.
Math. 41,293-363 (1851).
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 33
Einleitung
VORBEMERKUNGENHISTORISCHES
Walter Ritz (1908) Minimierung eines quadratischen Funktionals(Energiefunktional) in einem endlichdimensionalenFunktionenraum.
Boris Galerkin (1915) Lösung einer Randwertaufgabe aufendlichdimensionalem Funktionenraum mittelsVariationsformulierung, „Methode der gewichteten Residuen“.
Richard Courant (1943) Verwendete zum ersten Mal Ansatzfunktionen mitkleinem Träger (lineares Dreieck).
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 34
Einleitung
VORBEMERKUNGENHISTORISCHES
50er Jahre. FEM von Mechanikern neu entdeckt. Zerlegung vonFestkörpern in endlich viele „Finite Elemente“, Berechnungder Verschiebungen unter gegebenen Lasten in den Knotender Finiten Elemente.
60er Jahre. Theoretische Untermauerung der FEM seitens derMathematik. Computer-Programm NASTRAN wird von derMacNeal-Schwendler Corporation vermarktet.
1967. Ingenieur-Monographie The Finite Element Method inContinuum and Structural Mechanics von Zienkiewicz undCheung erscheint.
1973. Mathematische Monographie An Analysis of the FiniteElement Method von Strang und Fix erscheint.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 35
Einleitung
VORBEMERKUNGENLITERATUR
O. C. Zienkiewicz und R. L. Taylor. The Finite Element Method,Volume 1 and 2. 4th ed., McGraw-Hill, New York, 1989.
T. J. R. Hughes. The Finite Element Method – Linear Static andDynamic Finite Element Analysis. Prentice-Hall,Englewood Cliffs, NJ, 1987.
M. Jung und U. Langer. Methode der finiten Elemente für Ingenieure.Teubner, Stuttgart, 2001.
P. Monk. Finite Element Methods for Maxwell’s Equations.Oxford University Press, 2003
J. Jin. The Finite Element Method in Electromagnetics. JohnWiley & Sons, 2002
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 36
Einleitung
INHALT1. Finite Differenzen in 2D2. Einleitung2.1 Vorbemerkungen2.2 Rand- und Anfangswertaufgaben3. Variationsformulierung von Randwertaufgaben3.1 Vorbemerkungen3.2 Bezeichnungen und mathematische Hilfsmittel3.3 Referenzaufgaben in 2D3.4 Variationsformulierung der Poisson-Gleichung3.5 Galerkin-Approximation3.6 Variationsformulierung der Helmholtz-Gleichung4. Lagrange-Elemente4.1 Einleitung4.2 Konstruktion von Finite-Element-Räumen4.3 Assemblierung der Galerkin-Gleichungen4.4 Beispiel: 1D Poissongleichung4.5 Konvergenz4.6 Numerische IntegrationTU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 37
Einleitung
RAND- UND ANFANGSWERTAUFGABENTYPEN VON PARTIELLEN DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
Man unterscheidet zur Beschreibung der Ausbreitungunterschiedlichster physikalischer Felder im Gebiet Ω drei Typenpartieller Differentialgleichungen (PDG, PDE) 2. Ordnung:
elliptisch Potentialverfahren (z.B. Geoelektrik), Elektromagnetik(EM) im Frequenzbereich
−∇ · (k∇u) + bu = f, −∆u = f,
parabolisch Diffusion/Wärmeleitung, EM im Zeitbereich
−∆u+ a∂u
∂t= f,
hyperbolisch Wellenausbreitung (z.B. Georadar, Seismik)
−∆u+1
c2∂2u
∂t2= f.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 38
Einleitung
RAND- UND ANFANGSWERTAUFGABENTYPEN VON RANDBEDINGUNGEN
Drei Arten von Randbedingungen (RB, BC) sind auf dem Rand δΩandwendbar:
Dirichletsche RBu = r,
Neumannsche RB∂u
∂ne~n = r,
Gemischte RB (Robin-Typ)
α∂u
∂ne~n+ βu = r.
Für r = 0 spricht man von homogenen und für r 6= 0 voninhomogenen Randbedingungen.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 39
Einleitung
RAND- UND ANFANGSWERTAUFGABENANFANGSWERTE
Für zeitabhängige Probleme müssen ebenfalls Anfangswerte für t = 0festgelegt werden, z.B.
u0 = u(t = 0) = s,
oderu0 = u(t = 0) = sin(π · x).
Es sind auch zeitabhängige Randwerte denkbar, z.B.
u = u0 + du · sin(kπ · t).
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 40
Einleitung
RAND- UND ANFANGSWERTAUFGABENELLIPTISCHE PDE - ANWENDUNG IN DER GEOPHYSIK I
Divergenz-Gradient-Operator und Helmholtz-Gleichung
−∇ · (k∇u) + bu = f
wobei
u : Ω → R eine skalare (geo-)physikalische Größe,
k, b : Ω → R positive Koeffizientenfunktionen und
f : Ω → R den sog. Quellterm
darstellen.
Die Koeffizienten k und b können skalar oder auchpositiv-definite Tensoren (d× d Matrix) sein undbeschreiben Material- und/oder Modelleigenschaften.
Laplace-Operator und Poisson-Gleichung (k ≡ const., b ≡ 0)
−∆u = fTU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 41
Einleitung
RAND- UND ANFANGSWERTAUFGABENELLIPTISCHE PDE - ANWENDUNG IN DER GEOPHYSIK II
Geophysikalische Anwendungen zur elliptischen PDE:
Anwendung u k b f
Geoelektrik U σ 0 Istat. Wärmeleitung T κ 0 Q2D MT E/H µ/σ f , ε, σ/µ 0 (RB)Gravimetrie Φ 1 0 ρ
Bemerkung: In vielen Anwendungen ist der Flussvektor ∇u von größerem
Interesse als die skalare Potentialfunktion u. Ersterer wird oft durch
(numerische) Differentiation der (numerisch berechneten) Lösung u
gewonnen, ein instabiler Vorgang. Sog. gemischte FE-Formulierungen
gestatten die direkte numerische Berechnung des Flusses.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 42
Einleitung
RAND- UND ANFANGSWERTAUFGABENPARABOLISCHE PDE - ANWENDUNG IN DER GEOPHYSIK
Diffusionsgleichung
−∆u+ a∂u
∂t= f
wobei
u : Ω → R eine skalare (geo-)physikalische Größe,
a : Ω → R eine positive Koeffizientenfunktion und
f : Ω → R den sog. Quellterm
darstellen.
Anwendung u a f
TDEM E σ ∂j/∂t, 0 (AB)Wärmeleitung T κ Wärmequelle
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 43
Einleitung
RAND- UND ANFANGSWERTAUFGABENHYPERBOLISCHE PDE - ANWENDUNG IN DER GEOPHYSIK
Wellengleichung
−∆u+1
c2∂2u
∂t2= f
wobei
u : Ω → R eine skalare (geo-)physikalische Größe,
c : Ω → R eine positive Koeffizientenfunktion und
f : Ω → R den sog. Quellterm
darstellen.
Anwendung u c f
Georadar (2D) E ε iωjSeismik ∆x v ∆x0
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 44
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
INHALT1. Finite Differenzen in 2D2. Einleitung2.1 Vorbemerkungen2.2 Rand- und Anfangswertaufgaben3. Variationsformulierung von Randwertaufgaben3.1 Vorbemerkungen3.2 Bezeichnungen und mathematische Hilfsmittel3.3 Referenzaufgaben in 2D3.4 Variationsformulierung der Poisson-Gleichung3.5 Galerkin-Approximation3.6 Variationsformulierung der Helmholtz-Gleichung4. Lagrange-Elemente4.1 Einleitung4.2 Konstruktion von Finite-Element-Räumen4.3 Assemblierung der Galerkin-Gleichungen4.4 Beispiel: 1D Poissongleichung4.5 Konvergenz4.6 Numerische IntegrationTU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 45
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG VON RANDWERT-AUFGABENVARIATIONSRECHNUNG
Funktional reelle Funktion einer Funktion, z.B. Integral über eineunbekannte Funktion und deren Ableitungen
stationäre Funktionen Funktional nimmt ein Extremum an (Minimum,Maximum, Sattelpunkt)
physikalische Extremalprinzipien z.B. Lagrange-Formalismus derklassischen Mechanik, Energieansätze
Variation kleine Veränderungen um die gesuchte Lösung herum
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 46
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
INHALT1. Finite Differenzen in 2D2. Einleitung2.1 Vorbemerkungen2.2 Rand- und Anfangswertaufgaben3. Variationsformulierung von Randwertaufgaben3.1 Vorbemerkungen3.2 Bezeichnungen und mathematische Hilfsmittel3.3 Referenzaufgaben in 2D3.4 Variationsformulierung der Poisson-Gleichung3.5 Galerkin-Approximation3.6 Variationsformulierung der Helmholtz-Gleichung4. Lagrange-Elemente4.1 Einleitung4.2 Konstruktion von Finite-Element-Räumen4.3 Assemblierung der Galerkin-Gleichungen4.4 Beispiel: 1D Poissongleichung4.5 Konvergenz4.6 Numerische IntegrationTU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 47
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELGEBIET, RAND
Wir betrachten nun Randwertprobleme, deren Lösung (eine odermehrere) Funktionen von d unabhängigen Variablen sind (d = 2 oderd = 3, d ... Dimensionalität). Als Gebiet Ω ⊂ Rd bezeichnen wir eineoffene und zusammenhängende Menge. Lösungen vonRandwertproblemen seien hier stets auf beschränkten Gebietendefiniert:
u : Ω → R, x 7→ u(x),
wobei wir Punkte x ∈ Ω mit
x =
[
x1
x2
]
oder x =
[
xy
]
bzw. x =
x1
x2
x3
oder x =
xyz
bezeichnen. Die Menge aller Punkte auf dem Rand von Ω bezeichnenwir mit ∂Ω oder auch mit Γ.TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 48
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELZULÄSSIGE GEBIETE
Die Beschaffenheit von ∂Ω beeinflusst Eigenschaften von Räumenauf Ω definierter Funktionen sowie die Regularität von Lösungen aufΩ definierter Randwertprobleme. Wir schränken daher die Menge derzulässigen Gebiete wie folgt ein: Eine Funktion f : D ⊂ Rn → R heißtLipschitz-stetig auf D, falls es eine Konstante L gibt, sodass
|f(x)− f(y)| ≤ L|x− y| ∀x,y ∈ D.
Man sagt, ein Gebiet Ω besitze einen Lipschitz-stetigen Rand, falls ∂Ωlokal durch eine Lipschitz-stetige Funktion (als Kurve im R2 bzw.Fläche im R3) parametrisiert werden kann.1 Dies schließt imWesentlichen Schlitzgebiete oder solche mit Spitzen aus. Für diePraxis genügt es oft, zu wissen, dass etwa polygonal berandeteGebiete oder beschränkte konvexe Gebiete einen Lipschitz-stetigenRand besitzen.
1Die genaue Definition findet der interessierte Leser etwa im Buch von Ciarlet.TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 49
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELABLEITUNGEN
Partielle Ableitungen einer Funktion u : Ω → R bezeichnen wir mit
uxi=
∂u
∂xi, uxixj
=∂2u
∂xi∂xj, i, j = 1, . . . , d, oder allgemein:
Dαu =∂|α|u
∂xα1
1· · · ∂xαd
d
, α = (α1, . . . , αd),∈ Nd0, |α| = α1 + · · ·+ αd.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 50
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELDIFFERENTIALOPERATOREN
Ferner benötigen wir die Differentialoperatoren
∇u =
ux1
...uxd
Gradient,
∇·u = (u1)x1+ · · ·+ (ud)xd
Divergenz (u : Ω → Rd),
∆u = ∇·(∇u) = ux1x1+ · · ·+ uxdxd
Laplace-Operator,
∇×u =
∣
∣
∣
∣
∣
∣
ex1. . . exd
∂∂x1
. . . ∂∂xd
u1 . . . ud
∣
∣
∣
∣
∣
∣
Rotation (u : Ω → Rd).
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 51
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
DIFFERENTIALOPERATORENÜBUNG
Aufgabe Gegeben seien die Funktion u : R3 → R mitu(x, y, z) = xy + xz + yz und die Vektorfelderw, v : R3 → R3 mit
v(x, y, z) =
y2
32yx
und w(x, y, z) =
y − zz − xx− y
.
Berechnen Sie
a)∇·∇u
b)∇×∇(w · v)
c)∇×∇× v!
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 52
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELNORMALABLEITUNG
Ist ∂Ω Lipschitz-stetig, so ist für fast alle x ∈ ∂Ω ein Normalenvektordefiniert. Den äußeren Einheitsnormalenvektor (kurz:Normalenvektor) im Punkt x ∈ ∂Ω bezeichnen wir mit n = n(x).
Die Richtungsableitung von u längs des äußerenEinheitsnormalenvektors im Punkt x ∈ ∂Ω
∂nu :=∂u
∂n:= n · ∇u
heißt Normalableitung von u im Punkt x.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 53
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELFUNKTIONENRÄUME
Wie im Eindimensionalen sei
L2(Ω) := u : Ω → R : ‖u‖0 < ∞, ‖u‖0 =
(∫
Ω
u(x)2 dx
)1/2
.
L2(Ω) ist ein Hilbert-Raum mit Innenprodukt
(u, v) =
∫
Ω
u(x)v(x) dx, insbesondere ‖u‖0 = (u, u)1/2.
Der Raum H1(Ω) := u ∈ L2(Ω) : uxi∈ L2(Ω), i = 1, . . . , d ist
ebenfalls ein Hilbert-Raum bezüglich des Innenprodukts
(u, v)1 :=
∫
Ω
(uv +
d∑
i=1
uxivxi
) dx =
∫
Ω
(
∑
|α|≤1
DαuDαv
)
dx
mit zugehöriger Norm ‖u‖1 = (u, u)1/21
.TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 54
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
EUKLIDISCHER VEKTORRAUMÜBUNG
Überlegung Skalarprodukt, Norm/Länge, Winkel, Orthogonalität,Orthonormalbasen in unserem Anschauungsraum,dem euklidischen Vektorraum Rn
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 55
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELDIVERGENZSATZ
Das Pendant zu partieller Integration ist im Mehrdimensionalen derDivergenzsatz (Gaußscher Integralsatz, Green’s theorem). Wie imEindimensionalen ist dies das wichtigste Hilfsmittel bei der Herleitungvon Variationsformulierungen.
Satz 1
Sei Ω ⊂ Rd ein zulässiges Gebiet sowie ui ∈ H1(Ω), i = 1, . . . , d, sogilt
∫
Ω
∇·u dx =
∫
Ω
((u1)x1+ · · ·+ (ud)xd
) dx =
∫
∂Ω
n · u ds, (9)
wobei u = [u1, . . . , ud]⊤, n den Normalenvektor und ds Integration
über den Rand bezeichnen.TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 56
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELSCHWACHE ABLEITUNGEN
Die auftretenden Ableitungen sind im schwachen Sinne zu verstehen,im Allgemeinen sind H1-Funktionen nicht stetig-differenzierbar. Wirbeschreiben hier kurz das Prinzip schwacher Ableitungen.Besitzt die Funktion u eine stetige partielle Ableitung ux nach x, sogilt nach dem Divergenzsatz für jede differenzierbare Funktion φwelche auf ∂Ω verschwindet (setze u1 = uφ, u2 = · · · = ud = 0 in (9))
∫
Ω
uφx dx = −
∫
Ω
uxφ dx. (10)
(10) kann jedoch auch für nicht-differenzierbare Funktionen gelten:sind u und v integrierbare Funktionen mit der Eigenschaft
∫
Ω
uφx dx = −
∫
Ω
vφ dx, ∀φ, φ differenzierbar,
so bezeichnet man v als schwache Ableitung von u nach x.TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 57
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
SCHWACHE ABLEITUNGENBEISPIEL
Die stückweise lineare Funktion
u(x) =
2x, 0 ≤ x ≤ 1
2,
2(1− x), 1
2≤ x ≤ 1
ist wegen des Knicks bei x = 1
2auf dem Intervall (0, 1) nicht differenzierbar.
Für jede differenzierbare Funktion φ mit φ(0) = φ(1) = 0 gilt jedoch∫
1
0
uφ′ dx =
∫
1/2
0
2xφ′ dx+
∫
1
1/2
2(1− x)φ′ dx
= −
(
∫
1/2
0
2φ dx+
∫
1
1/2
(−2)φ dx
)
= −
(∫
1
0
vφ dx
)
,
und damit im obigen Sinn u′ = du/dx = v mit
v(x) =
2, 0 ≤ x ≤ 1
2,
−2, 1
2≤ x ≤ 1.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 58
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
SCHWACHE ABLEITUNGENWEITERES BEISPIEL
Das Gebiet Ω bestehe aus der Vereinigung dreier Dreiecke Ki, i = 1, 2, 3, mitzwei gemeinsamen Kanten. Die Funktion u : Ω → R sei auf jedem TeildreieckKi stetig differenzierbar, auf Ω jedoch nur stetig. Dann gilt nach (9)∫
Ω
uφx dx =
3∑
i=1
∫
Ki
uφx dx =
3∑
i=1
∫
∂Ki
n ·
(
uφ0
)
ds−3∑
i=1
∫
Ki
uxφ dx.
Da die Randintegrale sich im Inneren des Gebietes wegheben (warum?) folgt,falls φ auf ∂Ω verschwindet,
∫
Ω
uφx dx = −3∑
i=1
∫
Ki
uxφ dx.
Wie man sieht, stimmt die Ableitung von u im Inneren von Ki mit der
klassischen Ableitung überein, was auf den Kanten geschieht ist unerheblich.
Insbesondere können stückweise differenzierbare Funktionen auch
stückweise differenziert werden.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 59
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELSOBOLEVSCHE EINBETTUNG I
Eine Funktion mit schwachen Ableitungen genügend hoher Ordnung besitztauch klassische Stetigkeits- bzw. Differenzierbarkeitseigenschaften. Seien
Hm(Ω) = u ∈ L2(Ω) : ‖u‖m < ∞, ‖u‖m =
(∫
Ω
∑
|α|≤m
|Dαu|2 dx
)1/2
,
L∞(Ω) = u : ‖u‖∞ < ∞, ‖u‖∞ = supx∈Ω
|u(x)|.
Satz 2 (Sobolevscher Einbettungssatz)
Sei Ω ⊂ Rd ein zulässiges Gebiet. Für m > k + d/2 existiert eineKonstante C mit
‖Dαu‖∞ ≤ C‖u‖m für alle |α| ≤ k.
Ferner enthält die L∞(Ω)-Äquivalenzklasse jeder Funktionu ∈ Hm(Ω) eine stetige Funktion.TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 60
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELSOBOLEVSCHE EINBETTUNG II
Der Sobolevsche Einbettungssatz besagt, dass eine Hm-Funktion alsk-mal stetig differenzierbar angesehen werden kann.2
Insbesondere sind im Eindimensionalen (d = 1) die H1-Funktionen(k = 0) stetig, d.h. deren punktweise (diskrete) Auswertung istsinnvoll.
2Genauer: in der L∞-Äquivalenzklasse von u liegt eine k-mal stetig differenzierbareFunktion.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 61
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELRANDWERTE
Die punktweise Auswertung von Funktionen auf ∂Ω – notwendig für dieFormulierung von Randwertaufgaben – ist auch mit Hilfe der SobolevschenEinbettungen im Allgemeinen nicht möglich.
Es ist jedoch möglich, die Randwerte etwa von Hm-Funktionen und derenAbleitungen als Funktionen in L2(∂Ω) aufzufassen. Für Randwertaufgabenzweiter Ordnung benötigen wir die Randwerte u und ∂nu, diese liegen füru ∈ H2(Ω) in L2(∂Ω).3
Die Zuordnung von Funktionen in Hm(Ω) zu Randwerten in L2(∂Ω)bezeichnet man als Spuroperator, Aussagen über die Regularität vonRandwerten als Spursätze.
Im Sinne dieser Spursätze verstehen wir im Folgenden stillschweigend die
Randwerte von Hm-Funktionen.3Ist u nur in H1(Ω), so existiert ∂nu in einem schwächeren Sinne.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 62
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEZEICHNUNGEN UND MATHEMATISCHE HILFS-MITTELSOBOLEV-RÄUME
Folgende Sobolev-Räume von Funktionen stellen den natürlichenAnsatzraum für die Variationsformulierung von Randwertaufgabenzweiter bzw. vierter Ordnung mit homogenen Randbedingungen dar:
H1
0 (Ω) := u ∈ H1(Ω) : u = 0 auf ∂Ω, (11)
H2
0 (Ω) := u ∈ H2(Ω) : u = ∂nu = 0 auf ∂Ω. (12)
Die homogenen Randbedingungen können sich auch nur über Teiledes Randes erstrecken.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 63
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
INHALT1. Finite Differenzen in 2D2. Einleitung2.1 Vorbemerkungen2.2 Rand- und Anfangswertaufgaben3. Variationsformulierung von Randwertaufgaben3.1 Vorbemerkungen3.2 Bezeichnungen und mathematische Hilfsmittel3.3 Referenzaufgaben in 2D3.4 Variationsformulierung der Poisson-Gleichung3.5 Galerkin-Approximation3.6 Variationsformulierung der Helmholtz-Gleichung4. Lagrange-Elemente4.1 Einleitung4.2 Konstruktion von Finite-Element-Räumen4.3 Assemblierung der Galerkin-Gleichungen4.4 Beispiel: 1D Poissongleichung4.5 Konvergenz4.6 Numerische IntegrationTU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 64
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
REFERENZAUFGABEN IN 2DBEISPIEL 1
Beispiel 1: Ω = (−1, 1)2, ΓD = Γ, f ≡ 1, gD ≡ 0.Dies stellt ein Modell für Wärmeausbreitung auf einer quadratischen Plattedar. Durch Trennung der Veränderlichen bestimmt man die Reihenlösung
u(x, y) =1− x2
2−
16
π3
∑
k∈N,k ungerade
[
sin(kπ(1 + x)/2)
k3 sinh(kπ)
(
sinhkπ(1 + y)
2+ sinh
kπ(1− y)
2
)]
.
−1
−0.5
0
0.5
1
−1
−0.5
0
0.5
1−0.05
0
0.05
0.1
0.15
0.2
0.25
0.3
−1 −0.8 −0.6 −0.4 −0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1−1
−0.8
−0.6
−0.4
−0.2
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 65
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
REFERENZAUFGABEN IN 2DBEISPIEL 2
Beispiel 2: Ω = (−1, 1)2 \ [−1, 0]2, ΓD = Γ, f ≡ 1, gD ≡ 0.
−1
−0.5
0
0.5
1
−1
−0.5
0
0.5
10
0.02
0.04
0.06
0.08
0.1
0.12
0.14
0.16
−1 −0.8 −0.6 −0.4 −0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1−1
−0.8
−0.6
−0.4
−0.2
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 66
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
REFERENZAUFGABEN IN 2DBEISPIEL 3
Beispiel 3: Ω = (−1, 1)2, ΓD = Γ, f ≡ 0, gD = u|Γmit exakter Lösung
u(x, y) =2(1 + y)
(3 + x)2 + (1 + y)2.
−1
−0.5
0
0.5
1
−1
−0.5
0
0.5
10
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
−1 −0.8 −0.6 −0.4 −0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1−1
−0.8
−0.6
−0.4
−0.2
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 67
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
REFERENZAUFGABEN IN 2DBEISPIEL 4
Beispiel 4: Ω = (−1, 1)2 \ [−1, 0]2, ΓD = Γ, f ≡ 1, gD = u|Γ mitexakter Lösung
u(r, θ) = r2/3 sin2θ + π
3, x = r cos θ, y = r sin θ.
−1
−0.5
0
0.5
1
−1
−0.5
0
0.5
10
0.2
0.4
0.6
0.8
1
1.2
1.4
−1 −0.8 −0.6 −0.4 −0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1−1
−0.8
−0.6
−0.4
−0.2
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 68
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
INHALT1. Finite Differenzen in 2D2. Einleitung2.1 Vorbemerkungen2.2 Rand- und Anfangswertaufgaben3. Variationsformulierung von Randwertaufgaben3.1 Vorbemerkungen3.2 Bezeichnungen und mathematische Hilfsmittel3.3 Referenzaufgaben in 2D3.4 Variationsformulierung der Poisson-Gleichung3.5 Galerkin-Approximation3.6 Variationsformulierung der Helmholtz-Gleichung4. Lagrange-Elemente4.1 Einleitung4.2 Konstruktion von Finite-Element-Räumen4.3 Assemblierung der Galerkin-Gleichungen4.4 Beispiel: 1D Poissongleichung4.5 Konvergenz4.6 Numerische IntegrationTU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 69
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGELLIPTISCHE PARTIELLE DIFFERENTIALGLEICHUNG ZWEITER ORDNUNG
Viele physikalische Größen erfüllen eine elliptischeDifferentialgleichung zweiter Ordnung der Form
−∇·(k∇u) + bu = f, u : Ω → R, (13)
wobei
k, b : Ω → R positive Koeffizientenfunktionen und
f : Ω → R einen sog. Quellterm
darstellen. Die Koeffizienten k und b können skalar oder auchpositiv-definite Tensoren (d× d Matrix) sein und beschreiben meistMaterial- und Modelleigenschaften.
Die typische Problemstellung besteht darin, u zu gegebenen f , k undb zu bestimmen. (Hinzu kommen noch Randbedingungen auf ∂Ω.)TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 70
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGDIE POISSON-GLEICHUNG
Ist k konstant in (13), so kann dies in f zusammengefasst werden undes ergibt sich die Poisson-Gleichung
−∆u(x) = f(x), x ∈ Ω, (14a)
wobei Ω ⊂ Rd (d = 2, 3) ein zulässiges Gebiet sei. Den GebietsrandΓ := ∂Ω zerlegen wir in ΓD und ΓN , Γ = ΓD ∪ ΓN , ΓD ∩ ΓN = ∅ undstellen die Randbedingungen
u(x) = gD(x) ∀x ∈ ΓD, kurz: u|ΓD= gD, (14b)
∂u
∂n(x) = gN (x) ∀x ∈ ΓN , kurz: ∂nu|ΓN
= gN (14c)
mit zwei gegebenen, auf ΓD bzw. ΓN definierten Funktionen g und h.Die RWA (14) besitzt – unter geeigneten Voraussetzungen an dasGebiet Ω und die Daten f, gD, gN – eine eindeutig bestimmteklassische (d.h. in Ω zweimal stetig differenzierbare) Lösung.TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 71
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGL2-INNENPRODUKT UND DIVERGENZSATZ
Wir multiplizieren (14a) mit einer Testfunktion v und wenden denDivergenzsatz an:
(f, v) = −
∫
Ω
v∆u dx = −
∫
Ω
(
∇·(v∇u)−∇u · ∇ v)
dx
=
∫
Ω
∇u · ∇ v dx−
∫
Γ
v∂u
∂nds = (∇u,∇ v)− (∂nu, v)Γ,
wobei (·, ·) hier auch das L2-Innenprodukt vektorwertiger Funktionenauf Ω sowie (·, ·)Γ das L2-Innenprodukt auf Γ bezeichnen mögen.
Wir wählen nun die Testfunktion v so, dass diese auf ΓD
verschwindet. Auf dem Neumann-Rand ΓN gilt nach (14c) ∂nu = gN .Insgesamt ergibt sich
(∇u,∇ v) = (f, v) + (gN , v)ΓN. (15)
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 72
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGFUNKTIONENRÄUME
Wir setzen nun
a(u, v) := (∇u,∇ v) =
∫
Ω
∇u · ∇ v dx,
ℓ(v) := (f, v) + (gN , v)ΓN=
∫
Ω
fv dx+
∫
ΓN
gNv ds.
Damit alle Integrale definiert sind, reicht es aus, dass die erstenAbleitungen von u und v quadratisch integrierbar sind, wir könnenalso u, v ∈ H1(Ω) wählen und setzen
S = u ∈ H1(Ω) : u|ΓD= gD, V = v ∈ H1(Ω) : v|ΓD
= 0.
Die Variationsformulierung von (14) lautet somit
Bestimme u ∈ S so, dass a(u, v) = ℓ(v) für alle v ∈ V . (16)
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 73
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGBILINEARFORMEN I
Definition 3
Sei V ein reeller normierter Vektorraum. Eine Bilinearform ist eineAbbildung
a : V × V → R,
welche linear in beiden Argumenten ist, d.h. es gilt
a(u1 + u2, v) = a(u1, v) + a(u2, v)
a(u, v1 + v2) = a(u, v1) + a(u, v2)
a(λu, v) = λa(u, v)
a(u, vλ) = a(u, v)λ
∀u, u1, u2, v, v1, v2 ∈ V und λ ∈ R.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 74
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGBILINEARFORMEN II
Definition 4
Die Bilinearform a heißt stetig, falls es eine Konstante C gibt mit
|a(u, v)| ≤ C‖u‖‖v‖ ∀u, v ∈ V .
Die Bilinearform a heißt symmetrisch, falls
a(u, v) = a(v, u) ∀u, v ∈ V .
Die Bilinearform a heißt koerziv, falls es eine Konstante α > 0 gibt mit
a(u, u) ≥ α‖u‖2 ∀u ∈ V .
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 75
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGBILINEARFORMEN III
Bemerkungen 5
(a) Im Falle eines komplexen Vektorraumes fordert man Antilinearitätim zweiten Argument und spricht dann von einerSesquilinearform. Anstelle der Symmetrie fordert man hiera(u, v) = a(v, u) und spricht von einer HermiteschenSesquilinearform.
(b) Eine koerzive symmetrische (Hermitesche) Bilinearform(Sesquilinearform) definiert ein Innenprodukt auf dem reellen(komplexen) Vektorraum V . Oft wird es das zur Bilinearforma(·, ·) gehörende Energie-Innenprodukt genannt.
(c) Die Eigenschaft der Stetigkeit zieht die Stetigkeit in beidenArgumenten nach sich.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 76
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGEIN ABSTRAKTER EXISTENZSATZ
Der folgende Satz sichert Existenz und Eindeutigkeit der Lösung einergroßen Klasse von Variationsproblemen:
Satz 6 (Lax-Milgram-Lemma, 1954)
Sei V ein Hilbert-Raum mit Norm ‖ · ‖V , a : V × V → R eineBilinearform auf V sowie ℓ : V → R ein lineares Funktional auf V für diees Konstanten C,α und L gibt mit
|a(u, v)| ≤ C‖u‖V ‖v‖V ∀u, v ∈ V , („ a ist stetig “)
a(v, v) ≥ α‖v‖2V ∀v ∈ V , („ a ist koerziv “)
|ℓ(v)| ≤ L‖v‖V ∀v ∈ V , („ ℓ ist stetig “).
Dann besitzt das Variationsproblem
Bestimme u ∈ V sodass a(u, v) = ℓ(v) ∀v ∈ V
genau eine Lösung.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 77
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGVARIATIONS- UND MINIMIERUNGSAUFGABEN I
Anstelle von (16) könnte zunächst folgende Variante einer schwachenFormulierung naheliegender erscheinen: Im einfachsten Fall der reinenDirichletsche Randwertaufgabe (RWA) für die Poisson-Gleichung(Γ = ΓD)
−∆u = f auf Ω, (17a)
u = g auf Γ = ∂Ω, (17b)
betrachten wir die sog. verallgemeinerte Randwertaufgabe
Bestimme u ∈ C2(Ω) mit u = g längs Γ und∫
Ω
∇u · ∇ v dx =
∫
Ω
fv dx ∀v ∈ C∞0 (Ω).
(18)
Schließlich betrachten wir noch die Minimierungsaufgabe
Minimiere unter allen Funktionen u ∈ C2(Ω) mit u = g längs Γ
das Funktional J(u) :=1
2
∫
Ω
| ∇u|2 dx−
∫
Ω
fu dx.(19)
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 78
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGVARIATIONS- UND MINIMIERUNGSAUFGABEN II
Es gilt nun:
Satz 7
Seien g ∈ C(Γ) sowie f ∈ C(Ω) gegebene Funktionen. Sei ferneru ∈ C2(Ω). Dann gilt
(a) Löst u die Minimierungsaufgabe (19), so löst u auch dieRandwertaufgabe (17).
(b) Die Funktion u ist genau dann Lösung der RWA (17), wenn u Lösungder verallgemeinerten RWA (18) ist.
Bemerkung 8
Nach Satz 7 löst jede hinreichend glatte Lösung der Variationsaufgaben(18) oder (19) auch die RWA (17).Entscheidend: in vielen Anwendungen tritt der Fall auf, dass keine derartglatte Lösung existiert.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 79
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGVOLLSTÄNDIGKEIT DER FUNKTIONENRÄUME
Die Situation entspricht der bei den Minimierungsaufgaben
f(x) −→min x ∈ [a, b] (20a)
und f(x) −→min x ∈ [a, b] ∩Q, (20b)
wobei −∞ < a < b < ∞ und f ∈ C[a, b].Aufgabe (20a) besitzt stets Lösungen. Sind diese jedoch allesamtirrationale Zahlen, so besitzt Aufgabe (20b) keine Lösung.
Auf analoge Weise muss im Fall der Variationsaufgaben i.A. derFunktionenraum geeignet vervollständigt werden. Dies führt hier aufdie sog. Sobolev-Räume.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 80
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
VARIATIONSFORMULIERUNG DER POISSON-GLEICHUNGHOMOGENISIERUNG WESENTLICHER RANDBEDINGUNGEN
Oft ist es praktischer, mit homogenen wesentlichen Randbedingungenzu arbeiten.
Insbesondere kann man dann in der Variationsformulierung (16)denselben Funtionenraum für die Ansatz- und Testfunktionen wählen,d.h. S = V .Sei hierzu ug ∈ H1(Ω) eine auf ganz Ω definierte Funktion mit derEigenschaft
ug = g auf ΓD.
(Für zulässige Gebiete existiert eine solche Fortsetzung von g nachinnen.) Dann liegt aber für jede Funktion u ∈ V die Summe ug + u inS und es gilt
a(u, v) = ℓ(v)− a(ug, v) ∀v ∈ V .
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 81
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEISPIELWÄRMELEITUNG IN EINEM KÖRPERQUERSCHNITT I
Wärmeleitungsgleichung in Ω1 ∪ Ω2 ⊂ R2: −∇·(k∇u) = 0,zwei verschiedene Materialien mit
k(x) =
k1 = 1W(mK)−1, x ∈ Ω1,
k2 = 371W(mK)−1, x ∈ Ω2.
Randbedingungen:
u = g1 auf Γ1,
∂nu = 0 auf Γ2,
k∂nu+ α(u− g3) = 0 auf Γ3,
g1 ≡ 500K,
g3 ≡ 300K, α = 5.6 W/(m2K).0 0.17 0.35 0.65 0.83 1
0
0.15
0.3
0.45
0.6
0.8
Ω1
Ω2
Γ1
Γ3
Γ2
Γsym
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 82
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEISPIELWÄRMELEITUNG IN EINEM KÖRPERQUERSCHNITT II
Entlang des gemeinsamen Randes von Ω1 und Ω2 sind Temperaturund Wärmefluss stetig, d.h. dort gilt
u1(x) = u2(x), ∂n[k1u1(x)] = ∂n[k2u2(x)].
Zur Variationsformulierung wählen wir den Ansatzraum
S = u ∈ H1(Ω) : u = g1 auf Γ1,
sowie den Testraum
V = u ∈ H1(Ω) : u = 0 auf Γ1,
und suchen u ∈ S sodass a(u, v) = ℓ(v) ∀v ∈ V , mit
a(u, v) =
∫
Ω
∇ v · (k∇u) dx+ α
∫
Γ3
uv ds,
ℓ(v) = α
∫
Γ3
vg3 ds.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 83
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
BEISPIELSYMMETRIE-RANDBEDINGUNG
Da die RWA symmetrisch zur Achse x = 0.5 ist reicht es aus, dieLösung u nur auf einer Hälfte des Gebiets zu bestimmen und in derverbleibenden Hälfte die Lösung aus der Beziehungu(0.5 + x, y) = u(0.5− x, y) zu bestimmen.
Längs der Symmetrieachse erfüllt die Lösung eine homogeneNeumann-Randbedingung:
∂nu(x) = 0, x ∈ Γsym.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 84
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
INHALT1. Finite Differenzen in 2D2. Einleitung2.1 Vorbemerkungen2.2 Rand- und Anfangswertaufgaben3. Variationsformulierung von Randwertaufgaben3.1 Vorbemerkungen3.2 Bezeichnungen und mathematische Hilfsmittel3.3 Referenzaufgaben in 2D3.4 Variationsformulierung der Poisson-Gleichung3.5 Galerkin-Approximation3.6 Variationsformulierung der Helmholtz-Gleichung4. Lagrange-Elemente4.1 Einleitung4.2 Konstruktion von Finite-Element-Räumen4.3 Assemblierung der Galerkin-Gleichungen4.4 Beispiel: 1D Poissongleichung4.5 Konvergenz4.6 Numerische IntegrationTU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 85
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
GALERKIN-APPROXIMATION
Gegeben sei die Variationsaufgabe (ohne Einschränkung: S = V )Bestimme u ∈ V sodass
a(u, v) = ℓ(v) ∀v ∈ V . (21)
Bei der Galerkin-Approximation der Lösung u von (21) erstetzt manden Variationsraum durch einen endlichdimensionalen UnterraumV h ⊂ V und betrachtet die Lösung uh ∈ V h von (21) mit V h anstellevon V als Approximation an u.Mit anderen Worten: wir bestimmen uh ∈ V h sodass
a(uh, v) = ℓ(v) ∀v ∈ Vh.
Bemerkung 9
Im o.g. Fall V h ⊂ V spricht man von einer konformenGalerkin-Diskretisierung. Es werden jedoch auch nichtkonformeDiskretisierungen mit endlich-dimensionalen Unterräumen V h mitV h 6⊂ V verwandt.TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 86
Variationsformulierung von Randwertaufgaben
CÉA-LEMMAEINE GRUNDLEGENDE FEHLERABSCHÄTZUNG
Satz 10 (Lemma von Céa)
Gelten für die Variationsaufgabe (21) die Voraussetzungen desLax-Milgram-Lemmas, so gilt für den Fehler u− uh derGalerkin-Approximation
‖u− uh‖V ≤C
αinf
v∈V h‖u− v‖V . (22)
Hierbei bezeichnen C und α die Stetigkeits- bzw.Koerzivitätskonstante aus dem Lax-Milgram-Lemma.
TU Bergakademie Freiberg | INMO | O. Rheinbach/O. Ernst | Numerische Simulation mit finiten Elementen | SS 2015 87