Post on 20-Mar-2017
Niedrigzins, Hochfrequenzhandel und Finanzsystem in der Vertrauenskrise: Strategien für Unternehmen
Vortrag bei Satell Rechtsanwälte Steuerberater
Alexis Eisenhofer, financial.com AG - 13.11.2014, München
Niedrigzins: “New Normal”?
Seit 1981 sind die Zinsen in der westlichen Welt (hier am Beispiel der USA) stark gesunken
➢ Seit Aufhebung des Goldstandards konnte Geldmenge politisch bestimmt werden
➢ Massive Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern
➢ DM-Millionär bekommt statt damals (1981) 140.000 DM/Jahr heute nur ca. 1.500 EUR/Jahr Festgeld (ca. 33% von Hartz IV)
Sinkende Zinsen wurden durch Ausweitung der Kredite kompensiert (Unternehmen nach Bilanzsumme)
➢ Marktwert der Deutschen Bank 43 Mrd. USD (1,5% der Bilanzsumme)
➢ Leverage entstand durch “Basel-Regelwerk”
➢ Diversifikationseffekt (Basel II vs. Basel I) haben Banken c.p. durch Hebel kompensiert
➢ Deutsche Bank Bilanz ≙ 1,13-fache der dt. Staatsschulden
Weltweit stark gestiegene Staatsverschuldung(absolut, aber auch relativ im Verhältnis zum BIP)
➢ Wege aus der Schuldenfalle:(1) Zurückzahlen(2) Staatspleite(3) “Herauswachsen”(4) Krieg(5) Inflation
➢ Schwaches Wachstum und schlechte Demographie in den Industrienationen
➢ Langfristig ist die Krise unausweichlich, kurzfristig gibt es die Zentralbank
Seit der Lehman Krise wurden die Zinsen quasi abgeschafft bei 3-facher Bilanzsumme der Zentralbanken
➢ Geldpolitik ist wirkungslos (“Liquiditätsfalle”)
➢ Einzig Fiskalpolitik kann Deflation verhindern
➢ USA hat richtig auf die Krise reagiert, Europa versagt durch Austeritätspolitik
Geldpolitik ist wirkungslos, weil die Kreditnachfrage fehlt
➢ Umschuldung von alten Krediten
➢ Gute Unternehmen finanzieren sich selbst, schlechte sind nicht kreditwürdig (wettbewerbsfähig)
➢ Die einzige Option wäre Fiskalpolitik (Keynes)
Eurokrise: Realwirtschaftliche Anpassungen bleiben aus und verhindern Wettbewerbsfähigkeit der Südländer
➢ Die bisherigen Anpassungen reichen bei weitem nicht aus
➢ Rettungsprogramme und EZB nehmen Anpassungsdruck
➢ Jahrzehntelanges Siechtum Europas durch massive Fehlallokation von Kapital
Die 4 trostlosen Optionen für den Euro führen alle zu einer Radikalisierung Europas
➢ 4 trostlose Optionen:(1) Transferunion(2) Deflation im Süden(3) Inflation im Norden(4) Austritte
➢ Alle Anpassungen sind unpopulär und erleben massiven Widerstand
➢ “Krisenbank”: EZB hat 50% ihrer Zeit Euro eingeführt und zu 50% dessen Krise bekämpft
➢ Der Euro ist kein “Friedensprojekt”
“Sollbruchstelle Demographie”: Spätestens in 15 Jahren scheitert die Rettungspolitik
➢ Babyboomer gehen bis 2030 in den Ruhestand (heute nur 50% der Geburten des Jahrgangs 1964)
➢ Inflation wahrscheinlich, weil Rentner Bonds verkaufen und konsumieren
➢ Sozialer Stress in Deutschland verhindert Transferzahlungen an Ausländer
Hochfrequenzhandel, künstliche Liquidität und Dark Pools
Seit über 30 Jahren hat die Finanzbranche mittels “Verbriefung” Anlageideen gegen den Zinsschwund kreiert
➢ Diversifikationseffekt: Risiko auf viele Schultern verteilen
➢ Problem: Erhebliche Informations-asymmetrien
➢ Mehr als 12 Mio. Finanzinstrumente; nur ca. 5.000 Unternehmen tatsächlich “investierbar” (Liquidität)
Handelsstrategien von Algorithmic Trading
➢ Mehr als 100.000 Quotes/Sekunde in der Amazon-Aktie am 07.06.2013
➢ Lime Brokerage: 880 ns Trading & Clearing; 20% Umsatz in Nordamerika durch 1 Unternehmen
➢ Wettkampf im Bereich von 5-7 ns; Co-Location (7 ms LON-FRA)
➢ ∅ Haltedauer einer Aktie in Nordamerika: 22 s
Deutliche Verringerung des Spread (und Vergrößerung der Liquidität) an den Börsen durch Algorithmic Trading
➢ “Noise Trader” (Privatanleger) profitieren, “Informed Trader” (Institutionelle Anleger) verlieren Marge
➢ Asymmetrische Verteilung der Gewinner (Goldman Sachs, Timber Hill); viele Verlierer
➢ Ausweichen von “Smart Money” in Dark Pools
Dark Pools: Preissicherheit und Ausführungsunsicherheit
➢ Anonymer und intransparenter Handel (bereits ca. 15% aller Transaktionen)
➢ Garantierter Preis, jedoch nur Ausführung bei zufälligem Match
➢ “Zombie-Märkte”, wenn relevante Informationen nur mehr in Dark Pools (unsichtbar) verarbeitet werden
Exkurs: Finanztransaktionssteuer reduziert Hedging-Aktivitäten und führt zu großen Risiken im Bankensektor
➢ Banken kaufen Optionen und verkaufen diese mit Marge als Optionsscheine
➢ Jede Kursveränderung muss im “Maschinenraum” abgesichert werden, damit Banken risikolos bleiben
➢ “Sand im Getriebe”: Selbst eine kleine Steuer schafft neue “Zombie-Banken”
Vertrauenskrise: Was können Finanzberater überhaupt?
Langfristig verlieren (fast) alle Fondsmanager gegen ihre Benchmark
➢ Je länger der Anlagezeitraum, umso sicherer ist die Unterrendite
➢ Timing-Fähigkeit praktisch nicht vorhanden
➢ Kosten und Kassehaltung verringern Performance
Marktarithmetik (William Sharpe, 1991):“Aktiv” ist Benchmark (“Passiv”) minus Kosten
➢ Nullsummenspiel: Übergewichtung in einem Fonds bedeutet Untergewichtung in anderem Portfolio
➢ Informationsvorsprung ist sehr klein: Einer hat den Vorteil, alle haben die Kosten
➢ Survivorship Bias “überblendet” das Unvermögen
Massive Verzerrung der beobachteten Renditen aktiver Fonds durch Survivorship Bias “schützt” Fondsindustrie
➢ Besonders schlechte Fonds werden geschlossen und fehlen im Rückblick
➢ Survivorship Bias in etwa so groß wie Management Vergütung
➢ Neueste Forschung zu “Incubation Bias”: Verzerrung vor Start
Timing-Schwierigkeit am Beispiel des MSCI World Index 1970-2014 ohne Top/Flop 5 Monate (ca. 1% aller Monate)
➢ \Flop 5 M: 8,78% p.a.\Top 5 M: 5,47% p.a.Buy & Hold: 6,79% p.a.
➢ Wenige “Super-Ereignisse” bestimmen das Ergebnis, überraschen aber meistens alle
➢ “Tagesgeschäft” bringt vergleichsweise wenig Rendite
Erforderliche Trefferquote einer monatlichen Long/Short-Strategie für bloßen Kapitalerhalt
➢ Risikoaverse Investoren fordern eine Risikoprämie
➢ Heutige Verluste werden nicht durch morgige Gewinne kompensiert (Zins/Risikoprämie)
➢ Erforderliche Quote ca. 58%; “Super-Ereignisse” sind aber unvorhersehbar
Was bringen Ratings? Persistenz von Fondsmanagern besteht in den meisten Studien nicht
➢ Gleichgewichtete Portfolios mit jährlichem Rebalancing
➢ Wissenschaft sieht Rankings als “Kontra-Indikator” (Faktorladungen; Mean Reversion); Studien verneinen mehrheitlich Persistenz
➢ Lediglich schlechteste Ratings persistent (Kostenprobleme bei kleinen Fonds)
Interessenkonflikt: Finanzberater verkaufen Fonds in Abhängigkeit der Rückvergütung
➢ Die Höhe der Rückvergütung entscheidet über Mittelzuflüsse
➢ Schlechte Fonds bezahlen höhere Rückvergütung
➢ Rückvergütungen sind oft nicht bekannt
“Flow of Funds”: Unternehmen gewinnen, Haushalte verlieren, und Finanzinstitute verdienen Provisionen
➢ Haushalte sparen, Unternehmen finanzieren Projekte, und Finanzinstitute allozieren Kapital
➢ Unternehmen haben Informationsvorteil, Analysten und Fondsmanager sollen kontrollieren
➢ Prozyklische Mittelflüsse durch Haushalte verhindern effiziente Kontrolle
Schlussfolgerungen für Unternehmer
➢ Solange der Euro besteht, werden die Zinsen niedrig bleiben; der Euro wird (spätestens) an demographischen Problemen in 15 Jahren scheitern
➢ Die USA sind und bleiben Europa wirtschaftlich weit voraus
➢ Auf effizienten Märkten ist Kostenreduktion die beste Strategie
➢ Wohlstand wird durch reale Produkte und Dienstleistungen (Aktien) geschaffen
➢ Nur in Dinge investieren, die man versteht
Anhang: Überblick über wissenschaftliche Studien zu High Frequency Trading
➢ Ausreichende Daten erst seit kurzer Zeit verfügbar
➢ “Algo-Trade”: Order & Ausführung/Storno innerhalb 2 Sekunden
➢ Studie von Kirilenko et al. (2011) über Flash Crash war “Fat Finger Trade”
Die Entwicklung des Hochfrequenzhandels an den US-Börsen von 2006 bis 2013 (Trades per Second)
➢ Daten zu HFT bei Nanex.com verfügbar