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Neuigkeiten zur Anwendung von Arzneimitteln in der
Schwangerschaft GGG Berlin, 21.10.2015
Christof Schaefer
Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie
Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Charité Centrum für Therapieforschung (CC4)
Charité-Universitätsmedizin Berlin
0
2000
4000
6000
8000
10000
12000
14000
16000
1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Beratungszahlen 1997 bis 2014
Maternal Paternal Stillanfragen
Beratungen nach Bundesländern 2014
0% 5% 10% 15% 20% 25%
Baden-Württemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
Mecklenburg-Vorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
Anfragen vs. Bevölkerung
Anfragen 2014 Bevölkerung 31.12.2013
Arzneimittel in der Schwangerschaft
1. Risikokategorien
2. Teratogene beim Menschen
3. Mittel der Wahl: Analgetika und Antihypertensiva
4. Risikokommunikation
5. Informationsmedien
Lindfors master thesis, 2014
Problem: keine Quantifizierung von Risiko bzw. Sicherheit
Risikoklassifizierung international
EMA and FDA: New guidelines for labelling in pregnancy
FDA: Pregnancy and Lactation
Labeling Rule (PLLR) EMA: From data to labelling guideline
Was tun, wenn keine Therapieoption für Schwangere
zugelassen?
Behandeln trotz:
Warnhinweis Schwangerschaft
oder fehlender Indikation
Off-label Use
wichtiges Beispiel:
Schwangerschaftsübelkeit
1. Risikokategorien
2. Teratogene beim Menschen
3. Mittel der Wahl: Analgetika und Antihypertensiva
4. Risikokommunikation
5. Informationsmedien
Arzneimittel in der Schwangerschaft
Relevante Teratogene beim Menschen (Auswahl)
• Thalidomid
• Retinoide, z.B. Isotretinoin
• Mycophenolat
• Valproinsäure u.a. AED
• Cumarin-Derivate
• MTX u.a. Zytostatika
• Lithium
• Thalidomid
• Retinoide, z.B. Isotretinoin
• Mycophenolat
• Valproinsäure u.a. AED
• Cumarin-Derivate
• MTX u.a. Zytostatika
• Lithium
2-3fach erhöhtes
Risiko für große
Fehlbildungen
10fach erhöhtes
Risiko für große
Fehlbildungen
1 von 100-1000
exponierten
Feten betroffen
Wichtig: Umfang des Risikos
Relevante Teratogene beim Menschen (Auswahl)
Valproinsäure
• Valproinsäure ist das riskanteste
Antiepileptikum für das Ungeborene:
Neuralrohrdefekte (Risiko bis 20fach erhöht),
Herz-, Extremitäten- und andere
Fehlbildungen (z.B. Jentink NEJM 2010)
• reduzierter IQ
(Meador NEJM 2009)
Valproinsäure
• Valproat sollte Mädchen, weiblichen Jugendlichen, Frauen im gebärfähigen
Alter oder schwangeren Frauen nur verschrieben werden, wenn andere
Arzneimittel nicht wirksam sind oder nicht vertragen werden.
• Die Behandlung mit Valproat muss von einer Ärztin/ einem Arzt eingeleitet
und überwacht werden, die/ der in der Behandlung von Epilepsie oder
bipolaren Störungen Erfahrung hat.
• Wägen Sie bei der ersten Verordnung, bei Routineüberprüfungen der
Behandlung, wenn ein Mädchen in die Pubertät kommt und wenn eine Frau
eine Schwangerschaft plant oder schwanger wird, sorgfältig den Nutzen
einer Behandlung mit Valproat gegen die Risiken ab.
EMA (2014): Keine Erstlinienpräparat mehr bei
Frauen im reproduktionsfähigen Alter
Retinoide
• Isotretinoin gegen Akne
• Acitretin bei Psoriasis
• Lange Halbwertzeiten:
Isotretinoin 29 (-168) Std.
Acitretin Etretinat 80-100 Tage
Akne – vor und nach Isotretinoin
Ohren, Gehörgängen, Innenohr
Gaumen
Herz
Thymus
ZNS (Hydrocephalus)
Augen
mentale Entwicklungsretardierung Lee, Yonsei Med J 2009
Fehlbildungen bei Retinoiden
• Trotz Schwangerschafts-
Verhütungsprogramm
Zunahme der im PVZ
Embryonaltoxikologie Berlin
registrierten
Schwangerschaften mit
Isotretinoin-Exposition
Schwangerschaften bei Retinoiden
MTX before
conception n (%)
MTX after
conception n (%)
Rheumatic
control n (%)
“Healthy” control (%)
Major BD 3.5 6.6*
3.6 2.9
*ORadj 3,1 (95% CI 1.03-9.5)
ORadj 1,8 (95% CI 0,6-5,7)
Low dose MTX: Fehlbildungsrate
Weber-Schoendorfer et al. Arthritis Rheumatol 2014
Delayed study entry; spontaneous abortion
and ETOP as “competing” events
Low dose MTX: Kumulative Inzidenz Aborte
Weber-Schoendorfer et al. Arthritis Rheumatol 2014
1. Risikokategorien
2. Teratogene beim Menschen
3. Mittel der Wahl: Analgetika und Antihypertensiva
4. Risikokommunikation
5. Informationsmedien
Arzneimittel in der Schwangerschaft
Schmerzmittel - Mittel der Wahl
• Paracetamol*
• Ibuprofen (in der Schwangerschaft nur bis Woche 28)
*kontroverse Diskussion: Asthma, Hodenhochstand, mentale
Entwicklungsstörungen beim Kind nach wochenlanger Einnahme in
der Schwangerschaft???
Fallbericht - NSAID im 2. Trimenon
• 36 Jahre, Gravida III, Para I (1 ges. Kind, 1 Spontanbort )
• SSW 13+1: normaler Ultraschallbefund
• Ab SSW 18+6: 150 mg (bis 300) Diclofenac wg. Bandscheibe
• SSW 21+3: Oligohydramnion - Amniotic fluid index (AFI) 4.2 cm;
Single deepest pocket (SDP) 2.3 cm, unzureichend gefüllte Harnblase,
Nieren normal, keine Hinweise auf Blasensprung oder Plazentainsuffizienz
• Daraufhin Diclofenac auf 200 mg Tramadol umgesetzt
• SSW 24+1: Amnionflüssigkeit normalisiert - AFI 13.9, SDP 4.2
• SSW 33+0: Amnionflüssigkeit niedrig normal
• Sectio SSW 36+2 aufgrund mütterlicher Indikation
Schmerzmittel - Mittel der Wahl
• Paracetamol*
• Ibuprofen (in der Schwangerschaft nur bis Woche 28)*
*keine unkritische Langzeitbehandlung, Alternativen???
Antithypertensiva - Mittel der Wahl
• α-Methyldopa
• Metoprolol
Reserve: ggf. andere Betablocker
Nifedipin
Urapidil
Dihydralazin
Antithypertensiva - Mittel der Wahl
• α-Methyldopa
• Metoprolol
Reserve: ggf. andere Betablocker
Nifedipin
Urapidil
Dihydralazin
Prazosin
Aber keine ACE-Hemmer und Sartane
(AT-I-Rezeptor-Antagonisten)
und keine Diuretika
bewirken Perfusionsminderung der fetalen Nieren
• Oligo/Anhydramnion
• Kontrakturen großer Gelenke
• Schädelkalottenhypoplasie
• Lungenhypoplasie
• Anurie nach der Geburt
ACE-Hemmer und Sartane
Fallbericht – Sartane im 2./3. Trimenon
• 39 Jahre, 29 SSW, Gravida II, Para I (gesundes Kind)
• wg. Hypertonie Candesartan +Hydrochlorothiazid
• Ärzte mehrfach auf Kinderwunsch hingewiesen
• T2DM: Metformin, bei Planung Schw.schaft Umstellung auf Insulinanaloga
• IVF
• SSW 24 Ultraschall: Anhydramnion, nach Umstellung auf Methyldopa
Zunahme FW
Nr. S
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ät
1 39+6 gesamt
2 36+6 gesamt +
3 36 gesamt + + + + +
4 34 gesamt + +
5 33 gesamt + + + + + + neonatal
6 32+4 gesamt + + + neonatal
7 31+6 gesamt + + + 6 Monate p.p.
8 31 gesamt + + +
9 30+4 gesamt + + + +
10 35+6 28 + + + +
11 27+2 26 + + neonatal
12 25+5 gesamt +
13 38+1 24 + +
14 34+1 24 + + +
15 32 gesamt unbekannt Totgeburt
16 39+1 25 + +
17 39+4 24 +
18 33+2 gesamt + + + +
19 36+5 22 +
20 ausstehend 26 + Schwangerschaft noch nicht abgeschlossen
Schwangerschaftsabbruch
reversibel nach Absetzen
Sartane – retrospektive Fallserie
0 10 20 30 40
34
33
32
31
30
29
28
27
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11
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9
8
7
6
5
4
3
2
1
SSW
Fall N
r.
Oligohydramnion Neonatale Symptome
Sartane – prospektive Kohorte
1. Risikokategorien
2. Teratogene beim Menschen
3. Mittel der Wahl: Analgetika und Antihypertensiva
4. Risikokommunikation
5. Informationsmedien
Arzneimittel in der Schwangerschaft
Risikointerpretation richtet sich nach klinischer Situation
Klinische Situation Paroxetin, RR=1.5 für kardiale Defekte; Prävalenz 100/10.000
Wenn 10.000 Frauen das Medikament im 1.Trimenon einnehmen, erkranken an einem Herzfehler
Wenn eine Schwangere im 1. Trimenon exponiert war, beträgt das Risiko für einen Herzfehler
Hat ein Kind nach Exposition im 1. Trimenon einen Herzfehler, ist die Wahrscheinlichkeit für eine kausale Assoziation
Klinische Situation Paroxetin, RR=1.5 für kardiale Defekte; Prävalenz 100/10.000
Wenn 10.000 Frauen das Medikament im 1.Trimenon einnehmen, erkranken an einem Herzfehler
50 Kinder zusätzlich
Wenn eine Schwangere im 1. Trimenon exponiert war, beträgt das Risiko für einen Herzfehler
Hat ein Kind nach Exposition im 1. Trimenon einen Herzfehler, ist die Wahrscheinlichkeit für eine kausale Assoziation
Risikointerpretation richtet sich nach klinischer Situation
Klinische Situation Paroxetin, RR=1.5 für kardiale Defekte; Prävalenz 100/10.000
Wenn 10.000 Frauen das Medikament im 1.Trimenon einnehmen, erkranken an einem Herzfehler
50 Kinder zusätzlich
Wenn eine Schwangere im 1. Trimenon exponiert war, beträgt das Risiko für einen Herzfehler
Hat ein Kind nach Exposition im 1. Trimenon einen Herzfehler, ist die Wahrscheinlichkeit für eine kausale Assoziation
Risikointerpretation richtet sich nach klinischer Situation
Klinische Situation Paroxetin, RR=1.5 für kardiale Defekte; Prävalenz 100/10.000
Wenn 10.000 Frauen das Medikament im 1.Trimenon einnehmen, erkranken an einem Herzfehler
50 Kinder zusätzlich
Wenn eine Schwangere im 1. Trimenon exponiert war, beträgt das Risiko für einen Herzfehler
1,5% statt 1,0%
Hat ein Kind nach Exposition im 1. Trimenon einen Herzfehler, ist die Wahrscheinlichkeit für eine kausale Assoziation
Risikointerpretation richtet sich nach klinischer Situation
Klinische Situation Paroxetin, RR=1.5 für kardiale Defekte; Prävalenz 100/10.000
Wenn 10.000 Frauen das Medikament im 1.Trimenon einnehmen, erkranken an einem Herzfehler
50 Kinder zusätzlich
Wenn eine Schwangere im 1. Trimenon exponiert war, beträgt das Risiko für einen Herzfehler
1,5% statt 1,0%
Hat ein Kind nach Exposition im 1. Trimenon einen Herzfehler, ist die Wahrscheinlichkeit für eine kausale Assoziation
Risikointerpretation richtet sich nach klinischer Situation
Klinische Situation Paroxetin, RR=1.5 für kardiale Defekte; Prävalenz 100/10.000
Wenn 10.000 Frauen das Medikament im 1.Trimenon einnehmen, erkranken an einem Herzfehler
50 Kinder zusätzlich
Wenn eine Schwangere im 1. Trimenon exponiert war, beträgt das Risiko für einen Herzfehler
1,5% statt 1,0%
Hat ein Kind nach Exposition im 1. Trimenon einen Herzfehler, ist die Wahrscheinlichkeit für eine kausale Assoziation
1:2
Risikointerpretation richtet sich nach klinischer Situation
1. Risikokategorien
2. Teratogene beim Menschen
3. Mittel der Wahl: Analgetika und Antihypertensiva
4. Risikokommunikation
5. Informationsmedien
Arzneimittel in der Schwangerschaft
• Spontanmeldungen exponierter Schwangerschaften
• Beratung durch interdisziplinäres Team (Gyn, Pädiatrie,
Humangenetik, Innere Med, Pharmazie)
• motivierte Responder, nur ca. 20% “Non-Responder”
• Fokus auf unzureichend untersuchte und suspekte
Arzneimittel durch Kopplung mit Risikoberatung
Aktuell: Studienprojekte zu
• NSAID und
• Antihypertensiva
Fallrekrutierung Embryotox für Studien zur
Verbesserung der Arzneimittelsicherheit
Zusammenfassung
• Für fast alle Erkrankungen in der Schwangerschaft gibt es
hinreichend untersuchte Medikamente, diese lassen sich aber
nicht anhand Beipackzettel oder Roter Liste finden.
• Vor Planung einer Schwangerschaft stabile Einstellung
chronischer Erkrankungen!
• Da die Hälfte aller Schwangerschaften ungeplant entstehen,
sollten im gesamten reproduktionsfähigen Alter erprobte Mittel
bevorzugt werden.
• Kopplung von Beratung und Surveillance exponierter
Schwangerschaften durch klinisch-teratologische Zentren ist
einmalige Chance zur Verbesserung der Arzneisicherheit in der
Schwangerschaft.