Post on 21-Oct-2018
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
Mi Querido Perú
Mi Querido Perú, mein geliebtes Perú. Der Alltag ist eingekehrt und man könnte
sagen, dass ich mich mehr als wohl fühle in meinem Perú, meinem Huancayo und
glücklich bin mit - Allem. Innerhalb der letzten drei Monate hat sich viel getan, viel
verändert und über diese Veränderungen möchte ich nun berichten. Mein Projekt
hätte sich tatsächlich mehr nicht ändern können. Am Anfang dieses Quartals
arbeitete ich viel im Büro und erledigte viel Formelles, doch gab es keine richtige
Arbeit, die mich beispielsweise aus dem Büro brachte. Ich dachte in dieser Zeit viel
über meine Möglichkeiten an Themen nach, die ich gerne im Klassenraum vermitteln
würde und wie das Ganze umsetzbar gemacht werden könne. Nach ein paar
Wochen tat sich nach endlosem, theoretischem Überlegen endlich etwas. Meine
Mitarbeiterin Alina und ich besuchten verschiedene Schulen und stellten das vor, was
ich mir zuvor überlegt hatte. An allen vier Schulen zeigten die Dozenten Interesse
und so fing ich an diesen Schulen an zu arbeiten. Mein Stundenplan war urplötzlich
mehr als voll. Oh diese Freude! Nach kurzer Zeit merkte ich allerdings, dass ich nicht
alles schaffen würde und so reduzierte ich meinen Stundenplan auf drei Schulen, an
denen ich später noch einige Stunden hinzufügen würde. Und so spielte sich mein
Alltag unter dem Motto „¡Corre, corre, corre!“ (Renne, Renne, Renne!) ein. Ich bin
damit also zu meinem großen Glück sehr viel unterwegs und aus diesem Grund
wenig im fensterlosen Büro. Ich arbeite auch nicht mehr an
einer Primaria (vergleichbar mit einer Grundschule, die bis zur sechsten Klasse geht)
sondern an verschiedenen Colegios, Secundarias, die von der siebten bis elften
Klasse die weiterführende Schule in Perú darstellen. Was mache ich an diesen
Schulen? Meistens fungiere ich im weiten Sinne als Lehrerin oder Leiterin
verschiedener talleres. In manchen Fällen jedoch begleite ich lediglich den Unterricht
und helfe wo es geht.
Meine verschiedenen Arbeitsstellen, die mittlerweile zu „meinen“ Schulen geworden
sind, möchte ich bevor ich meine eigentliche Arbeit beschreibe vorstellen: Die
wahrscheinlich am weitesten
entfernte Schule liegt in Sincos,
einem kleinen Dorf in der Nähe
von Jauja und trägt den klangvollen
Namen „Marco Puente
Llanos“. Busse von Huancayo nach
Sincos fahren selten und die Fahrt
dauert ungefähr eine Stunde. Die
Schule beginnt um acht Uhr. Jeden
Donnerstag verbringe ich meine
Tage im absolut ruhigen und
idyllischen Sincos um an dieser
Schule zu arbeiten. Das Colegio ist
eine sogenannte „Pre-Militaria“, was
heißt, dass sie einen verstärkt
Schulgelände der „Marco Puente Llanos“,
Sincos
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
militärischen Charakter hat. Wie an jeder peruanischen Schule tragen die Kinder
Uniformen, doch gleichen jene Uniformen schon eher richtigen militärischen
Uniformen. Die Schule besteht aus exakt 62 Schülern, was bedeutet, dass in
jeder „Seccion“ (Klasse), in jedem „Grado“ (Stufe) nicht mehr als 14 Schüler sind. Die
kleinen Klassen sind wirklich super angenehm und angenehm sind auch die Schüler.
Angenehm ist dabei noch untertrieben, es sind unglaublich tolle Schüler. Auch
die Profesores sind sehr freundlich. Sie haben mich alle unglaublich nett
aufgenommen und willkommen geheißen. Ausgestattet ist die Schule im Vergleich zu
den anderen Schulen, sehr wesentlich. Sie haben Computer, jedoch verfügen sie im
Allgemeinen über keine moderne technische Ausstattung. Die Gebäude sind einfach
und die Ausrüstung in den meisten Fällen auch. Was sie allerdings haben ist Platz:
Sie verfügen über zwei riesige grüne Grundstücke, wobei sich auf einem die
Schulgebäude befinden. Bei den Schulgebäuden, die ich bisher kennenlernen durfte
gibt es wahrscheinlich einen Unterschied, der sofort auffällt. Die Klassenräume
führen meist direkt nach draußen, ein Gebäude mit einzelnen abgetrennten Zimmern
existiert nicht, die Räume grenzen zwar teilweise aneinander, doch hat jeder Raum
direkten Zugang ins Freie. Auf dem zweiten Grundstück des Colegios ist ein Feld und
es grasen einige Kühe, ansonsten scheint es unbenutzt zu sein. Auf dem
Schulgelände selbst ist ebenfalls ein Feld angelegt und genügend Platz für jegliche
Aktivitäten wie Volleyball, Fußball Sport, Spiel und Spaß. Die Kulisse: Romantische
Berge in nächster Nähe.
Die zweite Schule heißt „Perú Birf“ und steht in einem buchstäblich riesigen Kontrast
zum Colegio in Sincos. „Perú Birf“ befindet sich ein wenig außerhalb Sicayas, auf
halber Strecke nach Sincos. Dieses Colegio bietet mit fast tausend Schülern eine
völlig andere Arbeitsatmosphäre. Die Secciones sind mit 35 Schüler-starken Klassen
weniger persönlich zu erreichen und
doch macht mir auch hier die Arbeit
sehr viel Spaß. Die Kinder stehen in
einem erstaunlich lockereren
Verhältnis zu mir, was auch daran
liegt, dass die Schule einen weniger
militärischen Charakter hat. Es ist
eine „Politécnico“, was bedeutet,
dass verschiedene Richtungen von
handwerklichen, gestalterischen und
künstlerischen Fächern angeboten
werden. Unter anderem wird genäht,
designed, mit Metall und
Holz geschreinert, gekocht und
gebacken. Hierbei ist die Schule technisch mehr als gut ausgestattet: Sie verfügen
über exzellente Ausstattungen in allen Fachgebieten. Von Nähmaschinen,
Schreinerbänken, Bäckeröfen und Kühlschränken bis hin zu Laptops, ist in dieser
Schule alles zu finden. Ich bin jedes Mal aufs Neue überrascht, wenn ich in einen der
Fachräume schaue. Es ist wirklich sehr beeindruckend. Die Finanzierung der
Ein Teil des Schulgeländes der „Perú Birf”
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
Fachgeräte ist nach meinem Wissen
teilweise staatlich unterstützt, doch
finanzieren sich die Projekte und Fächer
auch zu einem Großteil selbst, indem sie
ihre Produkte verkaufen. Die Schule hat
ebenfalls allein wegen seiner Größer
schon gänzlich andere Strukturen als
das Colegio in Sincos. Es ist sehr
durchorganisiert und hier werde ich
wahrscheinlich niemals
alle Gesichter kennen, geschweige denn
einen Bruchteil der Namen. Die
Schulleitung ist sehr formell und ist in
verschiedene Zuständigkeitsbereiche
aufgeteilt. Perú Birf ist trotz seiner Größer oder gerade wegen seiner Größe extrem
gut organisiert, was Vieles vereinfacht,
einen allerdings auch durch die vielen
Regeln auf Hindernisse stoßen lässt. An
dieser Schule bin ich dienstags,
mittwochs und ab und zu freitags zu
unterschiedlichen Zeiten und
unterschiedlich lange. Wegen dem
schönen Verhältnis zu den Schülern ist
es überflüssig zu sagen, dass ich mich
immer freue an diese Schule zu gehen.
Auch wurde ich hier von
den Profesores unglaublich nett
aufgenommen, was ich bei einigen
Schulfestlichkeiten besonders zu spüren bekommen habe.
Ganz besonders freue ich mich immer an eine Schule mit dem Namen „Héroes de
Chupaca“ zu gehen. Der Name bedeutet
übersetzt übrigens „Die Helden von
Chupaca“. Sie liegt in der Nähe Chupacas,
einem Dorf oder einer kleinen Stadt in der
Nähe von Huancayo. Allerdings liegt sie
etwas weiter außerhalb am Berg in Mitten
von Feldern, wo es sehr ruhig ist und man
die ländlichen Strukturen deutlich zu
spüren bekommt. Das Colegio ist erneut
mit rund 100 Schülern ein wenig kleiner
als „Perú Birf“ und ist für mich jeden
Montag und Freitag mein wunderschöner
Arbeitsplatz. Ein Combi mit Arbeitern,
traditionell gekleideten Frauen und Männern und ihren Mantas voller Lebensmittel
Perú Birf belegt den ersten Platz bei einer
Parade in Sicaya
Schüler der Perú Birf in Sicaya beim
Marschieren
Auf dem Weg zum Colegio „Héroes de
Chupaca
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
und Werkzeuge bringt mich morgens in die ruhige Gegend. Bis zur Schule laufe ich
dann noch einen kleinen Berg hinauf, bis ich mich durch das Schultor getreten auf
einem grünen Schulgelände wiederfinde, welches durch das Ende der Regenzeit
mittlerweile eher in beige-Tönen erscheint. Die „grados“ (Klassenstufen) bestehen
ebenfalls aus einer einzigen Klasse und sind mit 13 bis 22 Schülern nicht überfüllt.
Die Schüler sind unglaublich toll, beeindruckend und nett. Es ist wirklich eine reine
Freude mit ihnen zu arbeiten. Ich arbeite mit zwei Lehrerinnen zusammen und beide
sind ebenfalls sehr nett, jedoch bin ich meist mit den Schülern alleine. Außerdem
kannte ich bereits zwei Schüler, bevor ich an die Schule ging, denn sie nahmen
am „Conversatorio“, einer Veranstaltung von EDAPROSPO, im Dezember teil. Diese
zwei Schüler begrüßten mich
geradezu überschwänglich und
überredeten außerdem ihre
Lehrerin dazu, dass ich auch bei
ihnen unterrichten kann. Sie sind
im Quinto Grado (mit der elften
Klasse in Deutschland vergleichbar)
und sind wirklich außergewöhnliche
Personen. Einer der beiden, Neil,
lernt mit einem Stipendium an
einem Institut in Huancayo mit
Begeisterung Englisch, was er mir
immer ganz stolz zeigen möchte.
Die Schule verfügt über
durchschnittliche Ausstattung wobei
sich diese, wie mir gesagt wurde in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Die
„Schatzkammer“ der Schule ist der Klassenraum mit der Aufrschrift „EPT“
(„Educación Para el Trabajo“), was so viel wie „Bildung für die Arbeit“ heißt. Als
Schulfach kann es die unterschiedlichsten Fächer miteinschließen. Im Falle „Perú
Birfs“ schließt es alle technischen Fächer von der Gastronomie über das Schreinern
bis hin zum Nähen ein. In der „Héroes de Chupaca“ steht lediglich „Gastronomía“ zur
Auswahl, sodass jeder Schüler dieses Fach
belegen muss beziehungsweise darf.
„Gastronomía“ bedeutet nämlich, dass gekocht
und gebacken wird, was anschließend die ganze
Schülerschaft beglückt. Für das Kochen und
Backen ist die Schule ziemlich gut ausgestatten.
Die Küche beinhaltet alles, was das Herz begehrt,
was durch die harte Arbeit und das Engagement
der Lehrerin und der Schüler finanziert wurde. Ein
kleines Problem, was ich allerdings an dieser
Schule zunächst als Hürde für die Gastronomie
angesehen hätte, wäre das Wasser: Es gibt nur in den seltensten Fällen zu
Unterrichtszeit fließendes Wasser in der Küche. Wird das als Problem angesehen?
Die Antwort ist simpel und für meine Schüler ein ganz selbstverständliches „Nein“.
Mein Quinto grado tanzt Saya am Aniversario
der Schule (Jubiläum) – Mari y Kenny
ETP mit dem Quinto Grado
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
Ich glaube nicht einmal, dass darüber nachgedacht wird. Es ist selbstverständlich,
dass Wasser in Kanistern gesammelt wird oder vom nächsten funktionierenden
Wasserhahn angeschleppt wird. Drückt sich vor dieser Arbeit jemand? Abermals ist
die Antwort simpel. Unaufgefordert wird das Wasser angeschafft, sobald es in der
Küche knapp wird. Jeder fühlt sich verantwortlich, jeder packt ganz selbstverständlich
mit an. Das sind die Schüler auch von zu Hause gewöhnt, denn an dieser Schule
helfen die meisten Schüler am Nachmittag mit auf dem Feld. Es ist ein hartes Leben
und ich finde es wichtig, einen kleinen Einblick in dieses andere Leben zu haben.
Wichtig ist es gerade dann, wenn ich versuchen möchte zu verstehen, wie sich
einzelne Schüler im Unterricht verhalten und wie ihr Lernverhalten allgemein ist.
Doch was mache ich überhaupt an diesen Schulen? Ich arbeite im Prinzip in drei
verschiedenen Themenfeldern. Wie ich bereits in meinem letzten Quartalsbericht
bereits erwähnt habe, liegt es mir dieses Schuljahr sehr am Herzen im
Themenbereich Umwelt aktiv zu werden. Es ist ein allgegenwärtiges Thema und
scheint hier im Alltag ein wenig unterzugehen. In den Schulen leite ich unter diesem
Anhaltspunkt in verschiedenem Ausmaß talleres oder Projekte. Eines dieser Projekte
läuft unter dem Namen „Compostaje“ in Sincos. „Compostaje“ bedeutet so viel wie
„Kompostierung“, was ein Begriff war, der
mir in Perú zunächst sehr fremd erschien.
Das Thema des großen Müllproblems
habe ich ebenfalls bereits in meinem
Zwischenbericht angesprochen,
weswegen ich umso stolzer und
glücklicher bin, gerade in diesem
Themenbereich zu arbeiten:
„Kompostierung in Perú?“ Am Anfang
meines Jahres konnte ich es mir nicht
vorstellen ein solches Projekt zu starten
und dabei sogar auf positive Resonanz zu
stoßen. Mit einem tercer grado
(vergleichbar mit der neunten
Klasse) habe ich hierbei am Anfang versucht ein bisschen auf das Thema des
Müllproblems und diesem Sinn auf das Kompostieren zu Sensibilisieren. In
Gruppenarbeit und mit spielerischen Ansätzen sortierten sie die zu kompostierenden
Lebensmittel oder überlegten was denn eigentlich Kompost ist. Was für Vorteile
bringt ein Kompost? Gibt es Nachteile? Alle diese Fragen diskutierten wir fleißig. Der
praktische Teil des Projektes sollte ein richtiger Kompost sein, der auf dem
Schulgelände unter einem überdachten Holzverschlag angelegt wurde. Hier
stapelten sich bisher alte Holzbretter, Baumstämme, Metalltüren und Wellblech.
Mithilfe des männlichen Teils der Klasse, schafften wir den nötigen Freiraum. Aus
einer alten Holzbank, Brettern und anderen hölzernen Überresten baute
der Auxiliar (eine Art Hilfskraft in der Schule, den man vielleicht als Hausmeister
einstufen könnte) einen Kompostkasten mit kleiner Tür um den fertigen Kompost in
der Zukunft herausnehmen zu können. Die nötigen Ressourcen für einen Kompost
Studieren des Komposts mit dem cuarto
grado, „Marco Puente Llanos“
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
waren somit in sich auch eine Art des Recycelns in Form der alten Holzbretter. Die
zu verwertenden Abfälle sind nun aber der eigentlich wichtige Teil des Ganzen:
Natürlich soll in der Schulküche eine kleine Mülltrennung stattfinden und genauso in
den Klassenräumen, doch kommt hierbei bei einer kleinen Schule mit 62 Schülern
kein ganzer Kompost zustande. Außerdem wird die Mülltrennung in den
Klassenräumen zumindest, auch eher halbherzig ernst genommen. Es wirft eben
doch irgendein Schüler seine Plastikverpackung von Keksen oder irgendwelchen
Papiermüll in den Biomüll. Die Ernsthaftigkeit bei der Mülltrennung war auch in
meiner Schulzeit, die nun einmal nicht allzu lange her ist, nicht immer vorhanden.
Das kenne ich. Die Idee hinter dem Kompost ist allerdings, dass die Schüler auch zu
Hause ihren organischen Abfall sammeln und mitbringen. Damit wird nicht nur viel
mehr Kompost gesammelt sondern sensibilisiert im Idealfall auch die Familien der
Schüler ein wenig auf dieses wichtige Thema. In diesem Idealfall hat das Projekt das
Potential wirklich nachhaltig werden: Wenn erst einmal der Sinn im Kompost von
einem Haushalt, einer Familie oder
einer Person außerhalb der Schule,
gesehen wird, könnte diese Person
auch zu Hause einen Kompost
anlegen und damit in Zukunft nicht nur
ihren Müll verantwortlich und
nachhaltig entsorgen, sondern auch
gleichzeitig ihre Felder zum Teil mit
natürlichem Dünger betreiben. Das
Potential ist zwar theoretisch
vorhanden, doch hoffe ich zunächst
einmal, dass in der Schule das Projekt
Fuß findet. Zum Teil war den Schülern
nämlich nicht klar, was in den
Kompost gehört und das es Unterschiede zwischen Gemüseabfall und
Plastikverpackungsmüll gibt und sich diese unterschiedlich [schnell] zersetzen. Der
organische Dünger der hierbei (nach ein bis zwei Jahren) kostenlos produziert wird,
wird hoffentlich den weiteren Sinn, hinter dem Kompostieren aufzeigen. Zunächst
brachten die Schüler nur vereinzelt ein paar Orangen und Bananenschalen von zu
Hause mit, doch wurde ich an einem der Donnerstage plötzlich überrascht: Der noch
eine Woche zuvor fast leere Kompost, war plötzlich mit Biomüll gefüllt.
Kartoffelschalen, Früchteschalen, Gemüseüberreste – meine Freude war riesig. Der
Kompost nahm Form an und nach und nach merke ich, wie der Gedanke hinter
diesem bei den Schülern ankommt. In meiner bisherigen Zeit in Perú haben auch
meine Mitfreiwillige Sara und ich keinen Müll getrennt, ohne die Möglichkeit einer
nachhaltigen Weiterverwertung zu haben. Der Müll landete somit in einer Tüte. In
unserem kleinen Haushalt kommt durch einen nicht allzu geringen Obst- und
Gemüseverbrauch, keine kleine Menge an kompostierbarem Abfall zusammen,
welchen ich nun wöchentlich von Huancayo nach Sincos trage. Eine große
Jutetasche ist dabei leicht gefüllt. Ich möchte damit nicht nur die Schüler anregen
ihren Biomüll von zu Hause mitzubringen sondern sehe eine wunderbare Möglichkeit
Kompost des Colegios „Marco Puente
Llanos“
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
auch bei uns zu Hause nach Monaten der achtlosen Müllentsorgung, zumindest
organischen und unorganischen
Abfall zu trennen. Was mir anfangs
noch unmöglich erschien hat nun in
Form dieses Kompostprojektes
in Sincos einen kleinen Traum wahr
werden lassen... ¡Nunca digas nunca,
nunca digas siempre, porque lo que
es hoy, puede no ser mañana y lo
que hoy no es, podría ser mañana!
[Sag niemals nie, Sag niemals immer,
weil das was heute ist, kann morgen
schon nicht mehr sein und das was
heute nicht ist, könnte Morgen schon
sein!].
Unter dem Thema des Umweltschutzes arbeite ich in Sincos außerdem mit einem
cuarto grado (entspricht der zehnten Klasse). Mit diesen Schülern mache ich einige
Projekte in Bezug auf Reciclaje
(Recycling). Hier sind wir
beispielsweise schon einmal im
Campo (auf dem Land) Flaschen
sammeln gegangen, als wir nicht
genügend durch unseren
Eigenverbrauch sammeln konnten.
Auch an der „Héroes de
Chupaca“ würde ich gerne in
nächster Zeit einen Kompost
anlegen, das Ganze muss allerdings
noch koordiniert werden, da die
Schule keine Holzressourcen für den
Bau eines Kompostes hat. An
der „Perú Birf“ arbeite ich derzeit ebenfalls
mit einem tercer grado an einem Projekt
innerhalb des Themenfelds des
Umweltschutzes. In dieser Klasse machen
wir Jutetaschen. Diese sollen die Schüler am
Ende an Stelle der vielen Plastiktüten für ihre
Einkäufe verwenden. Plastiktüten werden
nämlich im Überfluss benutzt und verteilt. Die
Jutetaschen nähen wir selbst und verzieren
sie anschließend mit eigenen Designs. Somit
haben sie auch einen persönlichen Wert für
jeden Einzelnen – damit ist es zu meiner
Großen Freude auch ein kleines Kunstprojekt!
Reciclaje mit gesammelten Plastikflaschen in
Sincos
Einführung in das Projekt „Jutetaschen“
Stoff für die Jutetaschen schneiden
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
Neben den Umwelttalleres mache ich an
der „Héroes de Chupaca“ ab und zu
einen taller in der Gastronomía. Hier
haben wir beispielsweise schon einen
Apfelstreuselkuchen gebacken. Auch an
der „Perú Birf“ werde ich in nächster Zeit
anfangen bei diesen Talleres zu helfen
und die Schüler würden gerne ein paar
Rezepte der deutschen oder
internationalen Küche kennenlernen.
Hierfür bin ich in letzter Zeit fleißig
daheim am Ausprobieren, um zu sehen
welche Rezepte geeignet wären. Davon
profitieren meine lieben Freunde sehr,
denn ihnen bringe ich beim Training nicht allzu selten die Leckereien mit, die größte
Freude habe allerdings ich am Backen! Mittlerweile habe ich schon eine nette
Ansammlung an Rezepten, die nur darauf warten in den Schulen ausprobiert zu
werden!
Medioambiente (Umwelt) und Gastronomía, das sind zwei meiner Projekte. Die Idee
zum dritten Projekt hat sich erst relativ spät entwickelt und das habe ich einem alten
Lehrer zu verdanken. Als ich in den Staaten in der High School war hatte ich einen
etwas anderen, sehr außergewöhnlichen Geschichtslehrer, der mich nun erneut
inspiriert hat. Nachdem er mich fragte, ob ich mit seinen Schülern über meine
persönlichen Erfahrungen der „Welt“ und als Freiwillige reden könne und erfuhr, dass
ich ebenfalls mit Schülern arbeite
bekamen wir die Idee einer
Kollaboration. Was zunächst die
Idee für ein einmaliges
Skypegespräch unter den
peruanischen und amerikanischen
Schülern war, wuchs zu einer etwas
größeren Projektidee heran. Nun
haben wir vor die Schüler der
beiden Länder zu vernetzen, einen
interkulturellen Austausch, eine
„Brieffreundschaft“ und einen
sprachlichen Austausch zu bieten.
In diesem Rahmen habe ich mich
nun erneut dazu entschieden Englisch zu unterrichten und innerhalb des
Klassenraumes diesen Austausch zu initiieren. Ziel ist es, das Ganze
selbstverständlich auch aus dem Klassenraum hinaus zu bringen. Was sich in der
Zukunft allerdings ergibt, wird sich erst zeigen. Ich habe aus verschiedenen Gründen
an allen drei Schulen Englischklassen die ich unterrichte, wobei klar ist, dass sich
dieses Projekt nicht mit allen Klassen realisieren lassen wird, doch hoffe ich nur das
Apfelstreuselkuchen mit dem Quinto grado
der „Héroes“
Englisch Unterricht im tercer grado „Perú Birf“
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
Beste für dieses Projekt. Mit dem tercer grado und dem quinto grado der „Héroes de
Chupaca“ filme ich gerade ein Video für die „Partnerschule“ in Amerika, in dem sich
die Schüler selbst sowie auch ihre Schule vorstellen und ein paar Fragen für die
amerikanischen Schüler formulieren – auf Englisch. Es ist sehr aufregend, für mich
und die Schüler. Das Schönste an der Sache ist das Leuchten in den Augen meiner
Schüler zu sehen. Ich sehe eine
wirklich große Chance für alle
Beteiligten in den USA und in
Perú, besonders allerdings für
die hiesigen, peruanischen
Schüler. Der Englischunterricht
zeigt schon nach knapp zwei
Monaten mehr Erfolge als ich
erwartet hätte, was mich
wirklich unglaublich freut. Ich
unterrichte vom segundo grado
(achte Klasse) bis zum quinto
grado (elfte Klasse) alle Stufen,
welche auf einem sehr
unterschiedlichen Englisch-
niveau sind, was aber nicht
immer in Abhängigkeit mit dem Alter oder der Stufe steht. Das Wichtigste ist
allerdings, dass die Schüler tatsächlich schon nach kurzer Zeit große Fortschritte
zeigen, was ich in meinen Monaten in der Primaria (Grundschule) und im Jardín
(Kindergarten) eher weniger zu spüren bekommen habe. Die Arbeit bereitete mir
deswegen nicht unbedingt weniger Freude, doch ist der Lernerfolg objektiv gesehen
an den weiterführenden Schulen
mit älteren Kindern größer. Die
Schüler sind älter und lernen
deshalb teilweise schneller. Dass
sie älter sind bedeutet allerdings
auch teilweise, dass der
Altersunterschied zwischen mir und
meinen „Schülern“ in manchen
Klassen verschwindend gering ist.
Meine „Lehrerrolle“ bekommt in
diesem Sinne selbstverständlich
eine ganz neue Bedeutung. Es ist
schwieriger für mich erfolgreich als
Autoritätsperson aufzutreten, denn
die Schüler könnten auch Freunde
oder eben Gleichaltrige sein. Es funktioniert allerdings erstaunlich gut. Ich hätte nicht
damit gerechnet, so viel Respekt entgegengebracht zu bekommen und gleichzeitig
auch auf einer sehr persönlichen Ebene mit den Schülern arbeiten zu können. Auch
wenn ich teilweise schon etwas fragwürdige oder gar anstößige Kommentare zu
Ein Teil des Quinto grados (elfte Klasse) arbeitet an
Videobotschaften
Am Aniversario von „Héroes de Chupaca“ mit
Neil, Christian und Florentino - Quinto grado
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
hören bekommen habe, merke ich, dass die Schüler mich letztendlich doch
respektieren, auf mich hören und mir viel Vertrauen entgegenbringen. Das Vertrauen
kommt auch gerade daher, dass ich keine „richtige“ Lehrerin bin und ich einen
anderen Umgang mit ihnen habe. Jeder Schüler unterscheidet sich vom Nächsten
und jede Klasse von der Anderen, weshalb es selbstverständlich ist, dass ich mit
einigen Klassen einen besonders vertrauten Umgang habe. Ich muss an dieser
Stelle wirklich sagen, dass ich meine Arbeit liebe. Ich liebe es an die Schulen zu
gehen, ich liebe alle Projekte in denen ich Arbeite und ich liebe den Umgang mit den
Schülern und Teil der Schulen zu sein.
Doch wer bin ich eigentlich hier in Perú? Das Aussehen spielt dabei eine nicht ganz
so kleine Rolle. Mir war dies nicht wirklich bewusst, als ich nach Perú flog, doch falle
ich unter den Peruanern mehr auf als es mir manchmal bewusst ist. Für eine Frau bin
ich in den Anden relativ groß, denn alle diejenigen die über 1,60 Meter groß sind,
liegen über dem Durchschnitt. Ich habe selbst für deutsche Verhältnisse einen eher
helleren Hauttyp und dank der starken Sonne im Land nun auch schon ziemlich helle
Haare. Zumindest habe ich keine schwarzen Haare. Damit fällt man nun einmal in
der Masse auf und das vor allem in einer eher weniger touristischen Stadt wie
Huancayo. Mir wird nicht selten das Wort „Gringa“ oder als Verniedlichung „Gringita“
nachgerufen. Ursprünglich bezeichnete dieses Wort Amerikaner in Lateinamerika,
doch sind für die Peruaner, alle
„Weißen“ Gringos, ein Unterschied zwischen
den Nationalitäten sieht man da nicht so
eng. Somit kommt es auch, dass mir
Englische Worte oder einfache Ausdrücke
auf Englisch, ganz gleich ihrer Bedeutung
nachgerufen werden. Ich erkenne allerdings
das „peruanische“ Englisch nicht immer
gleich als solches. Ein „Hello“ wir eher wie
„Chelo“ ausge- sprochen und „I love
you“ klingt eher wie „iii luff jou“. Mittlerweile
nehme ich es nicht mehr so ernst,
allerdings sollte man meinen, dass man
sich nach neun Monaten an diese von
außen aufgedrückte Rolle gewöhnt hat.
Tatsächlich denke ich, dass ich schon sehr
viel besser mit dieser Rolle umgehen kann,
doch spielen neben dem Aussehen noch
andere Faktoren eine Rolle, die ich nicht
ganz so leicht hinnehmen kann.
Gringos haben den nicht ganz falschen
Ruf „reich“ zu sein. In welche Relation dieser Reichtum gesetzt wird ist dabei
natürlich zu beachten, denn objektiv gesehen sind wahrscheinlich die meisten
Freiwilligen hier in Perú „reicher“ als viele Peruaner, was aber nun einmal nicht
immer der Realität entspricht. Mit diesem Wissen durch die Straßen zu laufen, ist für
Wer bin ich? – Mayopampa,
Huancayo
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
mich nicht immer ganz einfach. Was denken die Peruaner wenn sie mich sehen?
„Sie ist Gringa, sie hat Geld“ oder spielt das Aussehen vielleicht doch keine Rolle?
Ich würde manchmal wirklich gerne wissen, was fremde Leute über mich denken,
doch gruselt es mich gleichzeitig auch ein wenig. Bei vielen Begegnungen merkt man
doch, dass dieser Gedanke nicht allzu selten durch die Köpfe geht. Wenn ich
beispielsweise auf der Plaza sitze und ein Verkäufer bei mir besonders lange stehen
bleibt um mir Kaugummis oder Schokoladenriegel zu verkaufen, könnte dies an
meinem Aussehen liegen. Das Wort „Armut“ hat hier eine ganz neue Bedeutung für
mich bekommen. Es berührt mich direkt und es ist ein Thema, das gerade in dieser
Rolle nicht einfach ist zu diskutieren. Niemand weiß über meine finanzielle Lage,
doch scheinen die meisten darüber zu urteilen. Wichtiger als die Rolle der „Gringa“
ist allerdings eher das Thema der Bekämpfung der Armut. Es scheint ein
Teufelskreis zu sein aus dem Auswege gefunden werden müssen. Gerade bei
Jugendlichen wird das Thema diskutiert und in den Schulen bekomme ich hierbei viel
mit. Meiner Meinung nach ist es zwingend notwendig das Thema mit Ernsthaftigkeit
und langfristigen Lösungsansätzen in der nächsten Regierung zu diskutieren.
Durch mein Äußeres werde ich auch nicht selten als „Tourist“ bezeichnet, was ich
immer schnell richtig stellen möchte, weil ich mich nicht als solcher fühle. Ich wohne
hier, ich arbeite hier und ich habe hier mein Leben. Ich bin Freiwillige. Doch was
bedeutet dies nun wieder? Ich arbeite als Freiwillige und werde somit von meinen
Arbeitsstellen, in diesem Fall den Schulen, nicht bezahlt, doch wird mein
Lebensunterhalt vom Welthaus Bielefeld und dem BMZ und natürlich meinen
Förderern unterstützt. Für die Schule ist dies, so habe ich oft gemerkt, ein
merkwürdiges Konzept und was in meinen ersten Monaten in der Primaria (der
Grundschule bis zur sechsten Klasse) nicht wirklich gewürdigt wurde, erfahre ich nun
an den Secundarias (den weiterführende Schule von der siebten bis elften Klasse)
auf eine ganz andere Weise. Es ist ihnen fremd, das meine Arbeit nicht bezahlt wird
und auch für die Materialien wie beispielsweise Kopien von Arbeitsblättern zahlen sie
bei mir im Unterschied zu den normalen Lehrern nichts. In diesem Sinne wird meine
Arbeit nun doch geschätzt, was eine sehr schöne Erfahrung ist. Doch fällt es mir
trotzdem manchmal schwer meine Rolle als Freiwillige sozusagen zu verstehen. Oft
denke ich, dass ich nicht diejenige bin die Wissen vermittelt sondern eher in einer
Rolle der Lernenden. Hierfür bin ich unglaublich dankbar, gleichzeitig macht es das
Ganze auch schwieriger meine Freiwilligenarbeit als solche anzusehen. Es ist ein
gegenseitiges Lernen, auf Ebenen, die ich denke ich manchmal noch nicht begreifen
kann.
Eine Rolle, die mir zurzeit auch eher schwer fällt ist die der politisch nicht
Involvierten. In Perú waren am 10.April 2016 Präsidentschafts- und Kongresswahlen.
Jedoch erreichte in der ersten Runde keiner der Präsidentschaftskandidaten eine
absolute Mehrheit, was den Einzug der zwei besten Kandidaten in eine Stichwahl
bedeutet. Der Wahlkampf läuft auf Höchsttouren. Es handelt sich um die vierte Wahl
nach der Rückkehr des Landes zur Demokratie im Jahre 2000. Es herrschte ein
großer Konkurrenzkampf im dichtgedrängten Kandidatenfeld, welches durch
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
zahlreiche altbekannte Namen geprägt war. Insgesamt gab es 19
Präsidentschaftskandidaten von denen kurz vor den Wahlen lediglich noch zehn im
Rennen um das Amt des Präsidenten verblieben. In der zweiten Runde der Wahlen,
treten nun Keiko Fujimori und PPK (Pedro Pablo Kuszynski) gegeneinander an.
Doch wie sieht eigentlich das politische System aus? Perú ist laut Verfassung eine
demokratische, unabhängige und souveräne Republik. Die Regierung ist
repräsentativ, nach dem Prinzip der Gewaltenteilung aufgebaut und seit 2003 wurde
der seit der spanischen Kolonialzeit herrschende Zentralismus zugunsten einer
vorsichtigen Dezentralisierung aufgegeben. Durch die Dezentralisierung sollte eine
bürger- und problemnähere Verwaltung geschaffen und das Wirtschaftswachstum
der Regionen gestärkt werden. Dieser Dezentralisierungsprozess ist allerdings noch
immer in der Entwicklung.
Außerdem ist eine weitaus übergreifendere politische Reform noch immer Thema:
Die Demokratie in Perú ist in ihrem Prozess seit der Einführung der Präsidialrepublik
1980 bis heute nicht vollständig gefestigt. Auch in den Wahlkampagnen einiger
Parteien taucht der Begriff immer wieder auf: Die Frage der Demokratisierung ist
somit unmittelbar ein Thema der nächsten Regierung. Steuergelder wurden in der
Vergangenheit und vielleicht auch noch heute zur Finanzierung von Wahlkampagnen
verwendet und auch das Militär war nicht nur als neutraler Beobachter präsent. Damit
wird auch der Begriff der in aller Munde liegt, unmittelbar angesprochen: Korruption.
Sie scheint allgegenwärtig, die Frage um Macht und Geld, was automatisch eine
Frage nach Korruption aufkommen lässt. So scheint es. So findet man derzeit in allen
Medien Negativmeldungen, Protestkampagnen und Anti-Werbungen. Allen voran
wird dabei auf die Präsidentschaftskandidatin Keiko Fujimori gezielt. Bei kaum einer
Kandidatin sind die Meinungen wohl gespaltener als bei ihr. Ihr größtes Zugpferd? Ihr
Vater. Ihr größtes Hindernis? Ihr Vater. Der wegen Korruption und Verbrechen gegen
die Menschlichkeit zu einem viertel Jahrhundert Haft verurteilte Vater Keiko
Fujimoris, Alberto Fujimori, legte vor rund 16 Jahren sein Amt als Staatschef, als
Präsident Perús nieder. Bereits im jungen Alter von 19 Jahren trat die
Tochter Alberto Fujimoris in der Rolle der „Primera Dama“ in die Politik ein. Innerhalb
der folgenden sechs Jahre lernte sie an der Seite ihres Vaters einiges über
Politik. Seine Politik.
Alberto Fujimori setzte während seiner
Präsidentszeit, Sozialreformen für die
Armen um, besiegte die Links-Guerilla
"Sendero Luminoso" ("Leuchtender
Pfad"), doch institutionalisierte er auf
der anderen Seite allerdings auch
Korruption, ließ tausende Frauen unter
dem Vorwand die Armut zu bekämpfen
in ihrem Unwissen zwangssterilisieren.
Am 5. April 1992 löste Fujimori Senior
Protest gegen Präsidentschaftskandidatin
Keiko Fujimori in Huancayo
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
in einem Selbstputsch den Kongress auf und entmachtete die Gerichte. 24 Jahre
später wurde in Anspielung auf jenen 5. April gegen Fujimori Junior auf nationaler
Ebene protestiert. So auch in Huancayo. „#NoAKeiko!“, „#NeinZuKeiko“ konnte man
auf unzähligen Plakaten lesen. Es ist lange nicht mehr nur ein politisches Statement,
sondern ein Statement für die Menschlichkeit, für die Demokratie. „Por justicia y
dignidad, Fujimori nunca más!“ rufen die versammelten Menschen im Chor, „Für
Gerechtigkeit und Würde, nie mehr Fujimori!“. Bei keiner anderen Kandidatin gehen
die Meinungen so sehr auseinander wie bei der Tochter des ehemaligen
Präsidenten, des ehemaligen Diktators.
Dies merke auch ich, wenn ich mich mit Peruanern über Politik unterhalte – es ist ein
schwieriges Thema, ein Thema das den Menschen allerdings durchaus am Herzen
liegt. Ich würde es wagen zu sagen, dass es aus europäischer Sicht, für mich
unvorstellbar ist, wie eine Person mit einer solchen Vergangenheit überhaupt
Rückhalt bei der Bevölkerung zu finden vermag und es schafft zu popularisieren.
Viele Menschen betrafen in den neunziger Jahren positive Reformen des
umstrittenen Präsidenten direkt oder sahen gar für mich als negativ belegt geltende
Aktionen wie die Zwangssterilisierung nicht als solche an. Er beendete den Terror,
den das Land plagte. Zugegeben erreichte er dies nicht immer mit Hilfe der besten
Mittel doch sehen einige auch unschuldige Opfer als in Kauf zu nehmenden Preis an.
Die Menschen sahen Hoffnung in ihm. Warum also nicht seine Tochter
wählen? Andere sehen Keiko gar in einer Distanz zu ihrem Vater um welche sie sich
in diesem Wahlgang ausdrücklich bemüht.
Keiko scheint zu popularisieren zu können. Das hat sie in der ersten Wahlrunde
gezeigt. Mit 39.85% war sie die stärkste Kandidatin. Darauf folgten der liberale
Ökonom Pedro Pablo Kuszynski mit 21.01% und die grüne Linkspolitikerin Veronika
Mendoza mit 18.78%. Im
nationalen Parlament mit 130
Abgeordnetensitzen holte
allerdings Keiko mit ihrer Partei
„Fuerza Popular“ fast die Hälfte
aller Sitze, gefolgt von den
Parteien der beiden anderen
erwähnten Kandidaten. Der
derzeitige Präsident Ollanta
Humala, kann nach
Verfassungsrecht nach fünf
Jahren Amtszeit nicht zur
Wiederwahl antreten. Das
Parlament besteht meist aus
vielen Fraktionen, deren größere Zersplitterung durch eine 4%-Klausel verhindert
wird. Die Parteien nehmen allerdings in Perú eine eher untergeordnete Rolle ein. Ihr
Wahlkampagne der „Frente Amplio” von Veronika
Mendoza in Huancayo
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
Zweck ist weniger die politische Meinungsbildung, Wettstreit und
Auseinandersetzung der Parteiprogramme als die Unterstützung ihrer Kandidaten.
Perú ist nun das dritte Land, in dem ich das Privileg habe einen Wahlkampf hautnah
mitzuerleben. Bereits in USA fielen mir große Unterschiede zum heimatlichen
Wahlkampf in Deutschland auf. Auch in Perú ist dies nicht anders. Der Wahlkampf ist
hier allgegenwärtig, im Alltag präsenter als in Deutschland und in Perú scheint jeder
involviert zu sein. Einige meiner Freunde engagieren sich aktiv für die Kandidaten
oder Parteien, gehen auf die Straßen, verteilen Flyer, demonstrieren und grölen
Wahlsprüche in Megafone. Es scheint ein buntes Durcheinander zu sein und die
zahlreichen Parteilokale rund um die Plaza und in der Stadt verteilt, scheinen eher
einen Wettstreit zu führen, wer die lautere Musik spielen und mehr Flyer verteilen
kann, als mit Programm zu werben. In den jüngsten Umfragen liegt Keiko Fujimori
knapp vor Pedro Pablo Kuszynski. In Huancayo konnte die Diktatorentochter einen
Besuch im Zentrum allerdings nicht realisieren, denn zu viele Menschen protestierten
gegen die Kandidatin. Nationale und auch internationale Märsche gegen die
Präsidentschaftskandidatin wurden organisiert und spiegeln die große Angst vor den
Wahlen vieler Menschen wieder. Ehemalige Kandidaten haben sich für PPK
ausgesprochen und dazu aufgerufen keinen „voto en blanco“ (leeren Stimmzettel)
abzugeben, der automatisch die Tochter des Ex-Präsidenten favorisieren würde. Es
bleibt spannend und die Meinungen sind tief gespalten. Wer nun die Mehrheit der
Peruaner überzeugen kann, wird sich am 5. Juni zeigen.
Am 5. Juli wird sich außerdem noch etwas zeigen: Was ich während der letzten zwei
Monate Capoeira gelernt habe. Einigen sagt der Begriff Capoeira vielleicht etwas, ich
konnte allerdings zunächst nichts damit anfange. Was ist Capoeira? Capoeira ist
eine brasilianische Kampfkunst beziehungsweise ein Kampftanz, der vor allem von
Akrobatik geprägt ist, die zum einen viele bodennahe Elemente miteinschließt,
allerdings auch hohe gedrehte Sprüngen und Salti beinhaltet. Es ist vor allem die
Geschwindigkeit, die ich beim Zuschauen so beeindruckend finde. Capoeira ist
jedoch mehr als nur ein Kampf oder Tanz: Die anderen zwei Hauptebenen der
Capoeira stellen die Musik und die „Roda“ (portugiesisch: „Kreis“) dar.
Das Hauptinstrument einer Capoeira
Batterie ist das „Berimbau“, welches
wie eine Art Bogen mit Klangkörper
aussieht und einen ganz besonderen
Ton erzeugt. Neben
dem Berimba wird noch
ein „Pandeiro“
(Schellentamburin), ein „Atabaque“
(eine Seiltrommel) und ein „Reco-
Reco“ (eine Ratsche) gespielt. Beim
Singen gibt es meist einen Vorsinger Trainingsende nach einer „Roda“
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
und die Gruppe wiederholt im schnellen Wechsel einen Chor. Allerdings gibt es auch
andere Arten von Liedern, die aus langen Versen bestehen und ganze Geschichten
erzählen. Die Lieder sind auf Portugiesisch, eine Sprache die ich schon immer gerne
lernen wollte und was mir die Musik nun auf eine gewisse Weise ermöglicht. Die
Musik animiert den Kampf und sorgt für eine super Stimmung.
Die „Roda“ stellt den
gesellschaftlichen Rahmen dar, in
dem der Kampf stattfindet. Die Roda
besteht aus einem Kreis
von Capoeiristas und den Musikern.
Immer zwei Capoeiristas kämpfen in
der Roda, allerdings wird für den
Kampf der Begriff „juego“ (Spiel)
verwendet. Es ist nicht nur ein Kampf
sondern auch ein rhythmischer Tanz
zur Musik. Im Capoeira gibt es
verschiedene Gruppen,
die „Familien“ genannt werden. Unsere Familie heißt zum Beispiel „cordão de ouro“
(Goldschnur).
Capoeira machen wir jedoch nicht nur im Studio, sondern treffen uns auch nicht allzu
selten am Wochenende zum Trainieren im Schwimmbad, in einer Art Park oder bei
jemandem zu Hause. Das macht mir persönlich immer besonders viel Spaß. Es ist
immer schön etwas außerhalb des
„normalen“ Trainings zu unternehmen
und gleichzeitig zu trainieren, doch
freue ich mich auch jeden Montag,
Mittwoch und Freitag auf das Training
im Studio. Was hat das Ganze nun mit
dem 5. Juni zu tun, dem Tag der
Stichwahlen? Am 5. Juni, machen wir
das erste Mal eine Roda auf der
Straße. Hier wird sich zeigen, wie viel
ich nun nach diesen zwei Monaten
wirklich kann und es wird sich zeigen, dass ich noch einen langen Weg gehen muss
um dahin zu kommen, wo ich gerne sein würde. In diesem Sinne: ¡Vamos que
vamos! Auf geht's!
Neben dem Capoeira tanze ich zusätzlich in derselben Akademie. Mit einem Salsa-
Kurs fing ich an, allerdings ist das Tanzen in diesem Studio ein wenig anders – Salsa
wird nicht als Partnertanz erlernt sondern als Choreographie. Somit Tanzen wir nicht
nur zu typischen Salsaliedern, sondern auch zu moderneren Stücken. Nach einer
Weile fingen wir an auch viel andere Musikrichtungen zu Tanzen. Unter anderem ist
Schwimmen und Capoeira mit einem Teil
unserer Familie „cordão de ouro“
Capoeira mit Carlos und Renzo im Parque
“El Tiro”
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
hier Reggaeton, Folklore, Bachata, Cumbia und Pop dabei. Es macht einfach super
viel Spaß sich zu bewegen und zu tanzen.
Die letzten drei Monate waren somit von den Wahlen, von meiner Arbeit und vom
Tanzen geprägt. Da blieb nicht viel Zeit zum Reisen und doch machte ich ein paar
Wochenendausflüge. Meinen Geburtstag, am 8. März, verbrachte ich beispielsweise
in der Selva in Satipo und genoss einen arbeitsfreien Tag im tropischen Klima am
Wasserfall. An Ostern reiste ich an die Küste nach Pacasmayo und traf mich dort mit
ein paar meiner Mitfreiwilligen um ein paar
ruhige Strandtage zu genießen. Ostern wird
in Perú mehr in der Sierra als an der Costa
gefeiert, weshalb es eigentlich nicht viel Sinn
gemacht hat, dass wir genau dieses
Wochenende an der Costa verbrachten,
doch bekam ich vor meiner Abreise noch ein
wenig Ostern in Huancayo mit. In Perú sind
Gründonnerstag (Jueves Santo) und
Karfreitag (Viernes Santo) die freien
Feiertage. Montag wird bereits wieder
gearbeitet. Das Ganze nennt sich dann „Semana Santa“ (wörtlich übersetz: „Heilige
Woche“) auch wenn es in der Realität lediglich vier Tage und keine Woche sind.
Bereits am Mittwochabend, dem Abend vor Jueves Santo, wurde ein riesiger
sogenannter „alfombra“, ein „Teppich“, auf die Straße gemalt, welcher die Länge der
gesamten Plaza de la Constitución hatte. Anhand von kräftig buntem Pulver werden
diese Teppiche erstellt. In einer Stadt unweit von Huancayo namens Tarma, „La
Perla de los Andes“ (die Perle der Anden), werden an Ostern diese Teppiche mit
Blumen gemacht. Es muss ein wunderschönes Bild sein. Ich war zwar nicht an
Ostern in Tarma, doch kenne ich die kleine Stadt und verbinde eine schöne kleine
Erinnerung mit ihr. Für einen Tag fuhren Sara und ich in die Perlenstadt und
erkundeten diese eine wenig. Da
wir in die Natur wollten
beschlossen wir auf einen der
umliegenden Berge zu steigen.
Oben angekommen waren wir
über den meisten Häusern und
hatten eine wunderschöne Sicht
auf die Stadt. Der Hang war steil
und neben uns befanden sich ein
paar trockene Felder und
einfache Häuser. Aus einem der
Häuser lugten immer wieder ein
paar Kindergesichter hervor, die
sich uns langsam hinter Büschen
versteckend näherten. Nach
langsamer Annäherung und einem zögerlichem Gespräch wollte sie uns ihre
Edward, Yan und Angel mit ihren Welpen im
Felsenlabyrinth in Tarma
Mit den Freiwilligen an Ostern am
Strand in Pacasmayo
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
Babyhunde zeigen, die sie in einem Labyrinth von Felsen versteckten. Das war ein
Bild! Die kleinen Welpen hatten noch nicht einmal ihre Augen offen, so klein waren
sie. Die Kinder spielten und kuschelten mit den Hunden – und unser Aufenthalt
wurde durch diesen einfachen und unkomplizierten Kontakt zu den Kindern, zu etwas
ganz Besonderem. Anschließend spielten wir noch mit ihnen, wirbelten sie durch die
Luft und teilten unser Picknick zu dem es frisch gepflügte Kaktusfrucht gab.
Neben diesen kleinen Abenteuern war ich nun noch weitere drei Male auf meinem
Lieblingsgletscher, dem Huaytapallana auf 5150 Metern. Jede Erfahrung war bisher
anders und jede Wanderung war seine
Reise wert. Ich erlebte den Gletscher in
unterschiedlichstem Wetter und zu den
unterschiedlichsten Bedingungen. Doch
konnte ich mein Glück jedes Mal aufs
Neue nicht begreifen, wenn ich oben
angekommen war. Mittlerweile buche
ich selbstverständlich auch keine Tour
mehr. Mit einer Camioneta (Pick-up)
geht es zum Fuße des Berges und der
Weg wird mit jedem Mal leichter und
leichter. Der Abenteuergeist wird jedoch
mit jedem Mal größer…
Ein weiteres Abenteuer auf das ich mich mit meiner Mitfreiwilligen Sara begeben
habe war ein Campingwochenende im Landschaftsschutzgebiet „Nor Yauyos
Cochas“. Mit einem blauen Zelt, einem Rucksack und großer Vorfreude begann
unser Mini-Abenteuer. Im Reservat angekommen ließen wir uns an einer Lagune mit
dem Namen „Piquecocha“ nieder. Von Berghängen umschlossen und dem sanften
Plätschern des Wassers im Ohr genossen wir einen wunderbaren Tag an der
Lagune. Bei Nacht gelang uns ein Lagerfeuer und das Abenteuer war mit einer
Übernachtung im Zelt komplett. Mitten in der Natur, mitten im Nirgendwo zu sein war
aufregend. Es war ein unglaubliches Gefühl in der Dunkelheit am Lagerfeuer zu
sitzen und die Freude über die Wärme und den Erfolg des Anzündens zu genießen.
Der Ausflug war zwar nicht mit ganz perfektem Wetter verbunden, denn der Regen
suchte uns auf, doch war es für uns das perfekte Abenteuer. Glücklicher hätte ich
nicht sein können. Anfangs und auch zwischendurch schoss mir das Adrenalin ins
Blut, doch „[steht] Mut [...] am Anfang des Handelns, Glück am Ende“ (Demokrit) und
dieser Mut hat sich tatsächlich mehr als gelohnt.
Laguna Cochagrande; Huaytapallana
Las „Lagunas Encantadas“ por el Caminata del Nevado Huaytapallana
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
Lagerfeuer bei Nacht – Laguna „Piquecocha“ Geburtstag in der Selva
Die kleinen Reisen des letzten Quartals:
Auf dem Weg zum Huaytapallana auf der Camioneta –
mit den Freiwilligen Frida, Luis und Sara
Meluco mit einer Babykatze
auf Reise in Lima
Geschenke auspacken auf dem Plaza de
Armas - Geburtstag in Satipo
Entspannung an der Laguna
„Piquecocha“, Nor Yauyos Cochas
Francis Klippel 3. Quartalsbericht Mai 2016
Ich bin gerade würde ich sagen, wirklich restlos glücklich. Das habe ich unter
anderem meiner Arbeit zu verdanken, was vielleicht wiederum einer der Gründe ist,
warum die Arbeit sogar Erfolge zeigt. Vielleicht verstärkt sich einfach beides
gegenseitig... Es ist toll mit den Schülern zu arbeiten, der menschliche Kontakt tut mir
gerade nach den anfänglichen paar Wochen im Büro sehr gut. An dieser Stelle
möchte ich lediglich noch hinzufügen, dass ich von ganzen Herzen hoffe, dass die
verschiedenen Projekte weiter so gut anlaufen und sich weiterentwickeln. Das
Potential in den Projekten kann ich deutlich sehen. Doch nicht nur in meiner Arbeit
bin ich überglücklich, auch meine freie Zeit stellt mit Tanzen und Capoeira den
perfekt Ausgleich das. Capoeira ist vielleicht sogar das Beste was mir passieren
konnte. Ich bin auf alle Fälle von jedem kleinen Detail fasziniert. Es macht mich
unglaublich glücklich und das liegt auch an dieser wundervollen Familie. „Das Glück
ist das einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt.“ (Albert Schweitzer), eine
Weisheit, die sich für mich beim Capoeira, bei der Arbeit und beim Reisen erfüllt. Ich
freue mich auf jeden neuen Tag, auf jede Schule, auf jedes Training und auf all’ die
wundervollen Menschen, die ich jeden Tag sehe. Ich möchte bleiben, ich möchte
noch so vieles machen, doch die wenige Zeit, die mir nun noch bleibt, möchte ich
wirklich in vollen Zügen nutzen. Ich bin glücklich, doch habe ich abermals das Gefühl
die Zeit renne mir davon. Jeder Tag sollte genutzt werden und das heißt: Carpe diem
en mi querido Perú. Nutze den Tag in meinem geliebten Perú.