Post on 19-Jul-2019
Jürgen Matzat
Handlungsfelder und Potentiale
der gemeinschaftlichen Selbsthilfe –
gegenseitige Unterstützung, Information,
Erfahrungswissen
Jürgen Matzat (Gießen): Luzern, 12. Nov. 2015 1
Historischer Wandel
Wandel im Krankheitspektrum
von akut und infektiös zu chronisch und psychosozial
Zerfall sozialer Netze
z. B.: Familie, Nachbarschaft,
Kirchengemeinde, Verein,
Partei, Gewerkschaft
Wertewandel (vgl. 1968)
Demokratisierung, Bürgerbeteiligung, Emanzipation, .....
Selbst-Bestimmung, -Bewusstsein, -Verantwortung, .....
Soziale Bewegungen, z. B. Frauen-, Friedens-, Umwelt-,
Verbraucherschutz- und Selbsthilfe-Bewegung
Bildungsniveau, Informationstechnologien, Gesundheitskompetenz
„Bowling alone“
(Robert Putnam)
Einsamkeit, Isolation, Beziehungslosigkeit sind
bedeutsame RISIKOFAKTOREN !!!
Jürgen Matzat (Gießen): Luzern, 12. Nov. 2015
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Definition
„Selbsthilfegruppen sind freiwillige, meist lose Zusammenschlüsse von Menschen,
deren Aktivitäten sich auf die gemeinsame Bewältigung von Krankheiten,
psychischen oder sozialen Problemen richten, von denen sie
– entweder selber oder als Angehörige – betroffen sind.
Sie wollen mit ihrer Arbeit keinen Gewinn erwirtschaften.
Ihr Ziel ist eine Veränderung ihrer persönlichen Lebensumstände und
häufig auch ein Hineinwirken in ihr soziales und politisches Umfeld.
In der regelmäßigen, oft wöchentlichen Gruppenarbeit betonen sie Authentizität,
Gleichberechtigung, gemeinsames Gespräch und gegenseitige Hilfe.
Die Gruppe ist dabei ein Mittel, die äußere (soziale, gesellschaftliche) und die innere
(persönliche, seelische) Isolation aufzuheben.
Die Ziele von Selbsthilfegruppen richten sich vor allem auf ihre Mitglieder und nicht auf
Außenstehende; darin unterscheiden sie sich von anderen Formen des Bürgerengagements.
Selbsthilfegruppen werden nicht von professionellen Helfern geleitet; manche ziehen jedoch
gelegentlich Experten zu bestimmten Fragestellungen hinzu.“
Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen (DAG SHG) e. V. (Hrsg.):
Selbsthilfegruppen - Unterstützung: Ein Orientierungsrahmen. Gießen 1987, Seite 5
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12 - Schritte - Gruppen
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Motto der Anonymen Alkoholiker
(USA 1935, Deutschland 1953, Schweiz 1963)
„ Du allein kannst es ,
aber du kannst es nicht allein . “
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Weitere Sucht - Selbsthilfeorganisationen
in der Schweiz
Schweizer Guttempler Blaues Kreuz Schweiz La Croix - Bleue
Arbeitsweise von „Psycho“ - Selbsthilfegruppen
- „Setting“ analog zur ambulanten Gruppenpsychotherapie
(1 x pro Woche, 90 – 120 Minuten, ca. 6 – 9 Teilnehmer)
- Kein(e) Therapeut(in) !!!
- Freies Gespräch über relevante Themen i. S. eines tiefenpsychologischen Gruppenkonzepts (evtl. auch psychoedukative Elemente)
- Eröffnung häufig mit dem sog. „Blitzlicht“
(manchmal auch zum Abschluss)
- Gelegentlich Nutzung von TZI - Regeln o. ä.
- Broschüre „Gruppen im Gespräch – Gespräche in Gruppen“ der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen
- Ggf. Rückbindung an Psychotherapeuten oder Selbsthilfegruppen -Berater
(z. B. über ein sog. „Gesamttreffen“ nach MOELLER)
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Gruppenregeln (Beispiel)
1. Die Gruppensitzung dauert (90 oder 120) Minuten
2. Unpünktlichkeit sollte vermieden werden, da es störend für alle anderen ist
3. Es ist wichtig, dass alle Mitglieder jedes Mal anwesend sind (Kontinuität)
4. Sollte mir die Teilnahme einmal nicht möglich sein, werde ich die Gruppe rechtzeitig informieren
5. Jeder ist für sich selbst verantwortlich – und für die Gruppe als Ganzes
6. Wünsche sollte man offen aussprechen
7. Jeder kann jederzeit „Nein“ sagen („Stopp - Regel“)
8. Es gibt keine Seitengespräche, sondern nur ein gemeinsames Gespräch
9. Andere sollte man immer aussprechen lassen
10. Ich spreche in der „Ich“ - Form (kein „man“ oder „wir“)
11. Ich formuliere meine eigene Meinung, ich verstecke mich nicht hinter Fragen
12. Ich bemühe mich, so offen, echt und ehrlich zu sein wie möglich
13. Ich sichere Vertraulichkeit zu, und ich verlasse mich auf die Diskretion der anderen
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Jürgen Matzat (Gießen): Luzern, 12. Nov. 2015 9
„ Die Doktoren wissen besser als wir ,
wie die medizinische Behandlung
für unsere Erkrankung aussieht .
Wir wissen aber besser als sie ,
wie die beste Behandlung für uns als Menschen
aussehen sollte . “
Ursula Schmidt, Gründerin der
Frauenselbsthilfe nach Krebs
→ Patientenorientierung
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Service für Mitglieder
• Information rund um Schuppenflechte und Gesundheit durch die Verbands- Zeitschrift PSP Magazin • Regionalgruppen und Kontaktpersonen halten sie durch Informationen über alle Entwicklungen im Bereich der Psoriasis auf dem Laufenden. • Individuelle medizinische Beratung durch Dermatologen. Stellen Sie telefonische Fragen an einen Mediziner oder schriftliche an den Wissenschaftlichen Beirat • Sozialrechtliche Beratung bei Problemen durch die Schuppenflechte. Nutzen Sie hierzu unsere telefonische Rechtsberatung. • Wir vermitteln Wissen zur Psoriasis durch vereinseigene Literatur, zum Beispiel mit einer Info-Blatt-Reihe, wissenschaftlichen Beiheften und der Patientenleitlinie. • Veranstaltungen, z. B. Vorträge, zur Behandlung von Schuppenflechte • Wir vertreten ihre Interessen in Sachen Schuppenflechte – wo immer dieses möglich ist – gegenüber Politikern, Behörden, Krankenkassen und anderen Institutionen. • Außerdem zeigen wir Ihnen, wie Sie sich aktiv mit Ihrer Krankheit auseinandersetzen, unbeschwerter auftreten und Ihr Leben ausgeglichener gestalten können. • Weiterbildung von Ehrenamtlichen durch Kompetenzseminare
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Beratung wird groß geschrieben
Die Regionalgruppen stehen in regem Kontakt mit regionalen Arbeitskreisen und der Geschäftsstelle in Hamburg, die die Aktivitäten des Verbandes auf bundesweiter und internationaler Ebene koordinieren. Unsere ehrenamtlichen Regionalgruppenleiter werden geschult und auf dem neusten Stand gehalten. Sie geben Informationen an die Mitglieder weiter. Ebenso steht es den Mitgliedern offen, sich an den Wissenschaftlichen Beirat zu wenden. Es können telefonische oder schriftliche individuelle medizinische Fragen an unsere dermatologische Sprechstunde gestellt werden. Dort beantworten Dermatologen ihre Fragen. Mit sozialrechtlichen Fragen, die in Zusammenhang mit der Psoriasis stehen, etwa zum Arbeitsleben oder zu Rehabilitation, können Sie sich telefonisch an unsere juristische Beratung wenden. Eine auf Sozialrecht spezialisierte Juristin beantwortet ihre Fragen telefonisch.
Jürgen Matzat (Gießen): Luzern, 12. Nov. 2015 12
Gemeinsam aus der Isolation
Nur Gemeinsamkeit, Kommunikation und Information können aus der
Resignation vor der Krankheit und der Isolation durch die Krankheit führen.
Das Ziel des Deutschen Psoriasis Bundes (DPB) ist jeden Menschen mit
Schuppenflechte zum Experten seiner Erkrankung zu machen. Das
Wissen um den richtigen Umgang mit der eigenen Krankheit
(Selbstmanagement) führt aus der Ohmacht heraus und stärkt das
Selbstwertgefühl. Viele Menschen mit Schuppenflechte leiden unter der
Reaktion der Umwelt, die oft ablehnend aus (unbegründeter) Angst vor
Ansteckung reagiert. Daraus ergeben sich erhebliche Probleme im
sozialen Bereich, die sich auf Berufs- und Privatleben auswirken. Oft
gestaltet sich die Partnersuche als schwierig und der Umgang mit anderen
Menschen im Berufsumfeld ist erschwert. So hat die Schuppenflechte
manchmal das ganze Leben im Griff. Damit sich das wieder umkehrt und
der Erkrankte seine Schuppenflechte in Griff bekommt, möchte der
Deutsche Psoriasis Bund helfen. Niemand sollte sich mit der Krankheit
tatenlos abfinden. Es gibt eine Vielzahl von Therapien, die je nach
Ausprägung und Form der Schuppenflechte angewendet werden. Gerade
in letzter Zeit sind neue medikamentöse Therapien entwickelt worden, z. B.
Biologics, die in besonders schweren Fällen, in denen bisher kaum
geholfen werden konnte, wirksam sind.
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In Selbsthilfegruppen kommen Menschen zusammen,
die unter einem gemeinsamen Problem leiden,
um mit vereinten Kräften
ohne professionelle Leitung
etwas zu dessen Überwindung beizutragen.
→ „ Selbsthilfe nach innen “
→ Selbsthilfe auf Gegenseitigkeit (genossenschaftlich)
→ Englisch: „mutual aid“
Definition (kurz)
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Selbsthilfe „ nach außen “ (Beispiele)
Beratung für (Nicht -) Mitglieder
Erstellung von Informationsbroschüren / Websites
Besuchsdienste im Krankenhaus
Gesundheitspolitische Anhörungen
Zertifizierung von Krebszentren
Beteiligung an Leitlinien - Entwicklung
Mitwirkung in Gremien („ Dritte Bank “)
(z. B.: „Gemeinsamer Bundesausschuss“, „Gesundheitskonferenzen“)
→ Patientenbeteiligung / Bürgerbeteiligung
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Selbsthilfezentren (in Deutschland : Selbsthilfe - Kontaktstellen)
Dokumentation örtlicher SHG
Information über Idee und Konzept von SHG
Zugang zu bestehenden Gruppen („Clearing“)
Unterstützung bei der Gründung neuer SHG
Beratung von / mit SHG
Vermittlung von Räumen, Finanzen etc.
Hilfe bei Öffentlichkeitsarbeit
Drehscheibe zwischen professionellem Versorgungssystem und Selbsthilfesystem (Lotsen - Funktion)
Sprachrohr - Funktion (ggf. Interessenvertretung)
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Quelle: Stremlow, Jürgen
Die Bedeutung der Kontaktstellen für die Selbsthilfegruppenförderung in der Schweiz
In: Selbsthilfegruppenjahrbuch 2006 ; S. 64 - 71
Anerkennung durch die Politik
Selbsthilfe ist die
→ „vierte Säule des Gesundheitswesens“
(Horst Seehofer, Gesundheitsminister)
aber
kein „Leistungserbringer“ !!!!!
Selbsthilfe ist auch eine Säule des Gemeinwesens
(„sozialer Kitt“, „Kultur des Helfens“, „Bürgergesellschaft“, „Sozialkapital“)
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Entwicklungen in Deutschland
(Potentiale in der Schweiz ?)
2000 Gesundheitsreform 2000 (§ 20, Abs. 4, SGB V)
2004 GKV - Modernisierungsgesetz (§ 140 f SGB V)
Patientenbeteiligung
2015 GKV - Versorgungsstärkungsgesetz
Erhöhung auf über 70 Mill. € !!!
Wegen Nebenwirkungen fragen Sie ….. !?!?!
19 Jürgen Matzat (Gießen): Luzern, 12. Nov. 2015
G e m e i n s c h a f t
S e l b s t h i l f e -
G r u p p e n /
O r g a n i s a t i o n e n
Die dreifache Bedeutung der Selbsthilfe
Jürgen Matzat (Gießen): Luzern, 12. Nov. 2015 20
Danke für‘s Zuhören ,
und nicht vergessen :
„ Reden hilft ! “
(Michael Lukas Moeller)
Jürgen Matzat (Gießen): Luzern, 12. Nov. 2015 21