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Heine-Schumann-Kongress
Abstracts
Sektion IA: Lebens- und Wirkungsräume
Michael Werner (Paris): Kulturbetrieb und Virtuosentum. Zu einigen
Strukturveränderungen im Pariser Musikleben der Julimonarchie
Der Vortrag behandelt einige grundlegende Strukturveränderungen, die das Pariser
Musikleben der Julimonarchie durchziehen: Aufwertung der Instrumentalmusik bei
gleichzeitiger Ausformung der großen französischen Oper, erstmalige Ausbildung
eines musikalischen Kanons, Spannung zwischen Internationalisierung des
Musikbetriebs und Nationalisierung der Musikauffassungen. Auf
sozialgeschichtlicher Ebene entspricht dieser Entwicklung die Einrichtung von
Konzertsälen, die Ausbreitung des Virtuosentums, die wachsende Mobilität der
Musiker, die Spezialisierung der Musikkritik, die Differenzierung des Publikums und
eine Akzentuierung des Verhältnisses von Musik und Politik. Heine hat auf diese
Veränderungen hellsichtig und sensibel reagiert und sie kommentiert.
Klaus W. Niemöller (Köln): Heine und die Pariser Klaviervirtuosen
Paris wurde zwischen 1830 und 1848 zu einem Mekka der europäischen
Klaviervirtuosen. Namentlich der sensationelle Auftritt von Paganini leitete in der
Geschichte des Virtuosentums ein neues Kapitel ein, dessen Erfolg durch technische
Errungenschaften im Klavierbau ermöglicht wurde. Liszt wurde zu seiner Laufbahn
durch Paganini inspiriert, Heine berichtete darüber. Er hat so die Entwicklung erlebt
und publizistisch begleitet. Es war eine Phalanx von über 30 Klaviervirtuosen, die in
den privaten Salons und öffentlichen Sälen wie den Conversatoires, dem Théâtre
italienne sowie den Konzertsälen der Klavierbaufirmen Erard und Pleyel auftraten
und miteinander konkurrierten. Unter den Ausländern sind die Künstler aus
Deutschland und Österreich besonders zahlreich vertreten. Sie traten teilweise
gemeinsam auf und waren z.T. durch echte Freundschaften verbunden. So spielte
Chopin bei seinem ersten Auftritt 1832 mit Kalkbrenner dessen Grand Polonaise,
begleitet von vier weiteren Pianisten; Hiller, Osborne, Sowinsky und Stamaty. 1833
spielten Chopin, Liszt und Hiller Bachs Konzert für drei Klaviere. Auch Heine war
etlichen Künstlern freundschaftlich verbunden, darunter solchen jüdischer Herkunft
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wie Mendelssohn, Hiller und Alkan. So bestellten 1833 Chopin und Liszt in einem
Brief an Hiller auch Grüße von Heine. Als es 1837 angeheizt durch Presseberichte, in
denen Berlioz Liszt favorisierte, Fétis jedoch Thalberg, zwischen den beiden zu einem
Wettspiel bei der Princess Belgiojoso kam, bezog sich Heine in seinem Liszt-Artikel
1838 darauf. Im selben Jahr wandte sich der Warschauer Korrespondent von
Schumanns Neuer Zeitschrift für Musik, Anton Wilhelm von Zuccamaglio „An den
Dichter Heine in Paris“ gegen dessen Reihenfolge der Klavierkünstler: Liszt,
Thalberg, Chopin und setzte letzteren an die erste Stelle, und zwar wegen seiner
Kompositionen. Als Heine 1843 die ältere Generation der Kalkbrenner, Prixis und
Herz bereits zu den „Mumien“ zählte und die Virtuosenszenerie scharf kritisierte,
fand er sich für die Zeit um 1840 in Übereinstimmung mit Fétis, Clara Wieck und
Liszt. Die Entwicklung von der brillanten Bravour-Etüde zur poetischen
Konzertetüde rückte nun die Komponisten unter den Virtuosen in den Vordergrund.
Gunter E. Grimm (Duisburg): „Die Macht des Gesanges“. Loreley-Opern
des 19. Jahrhunderts
Das Motiv der verführerischen Zauberin reicht bis in die Antike (Homer) zurück und
hat in der Literatur von Renaissance und Barock (Ariost, Händel) bis zur Romantik
immer neue Gestaltungen erfahren. Heines „Loreley“, die als Verkörperung einer
solchen ‚männermordenden’ Sirene gilt, vereinigt zwei magische Kräfte: die Macht
des betörenden Gesangs (Orpheus-Mythos) und die Macht der todbringenden
Schönheit. So versteht es sich, dass gerade die in der Tradition der Affektdarstellung
stehende Oper sich dieses dankbaren Sujets angenommen hat. Allerdings reduziert
Emanuel Geibels Libretto, das zahlreiche Komponisten ihren Opern zugrunde gelegt
haben, die magische Komponente – wie sie in Heines und Eichendorffs Gestaltung
der Sage vorliegt – zugunsten der melodramatischen Geschichte einer verratenen
und gerächten Liebe. Der Beitrag untersucht die kunstspezifische Entfaltung des
Motivs in den Loreley-Opern von Max Bruch, Alfredo Catalani und Fredrik Pacius
und fragt nach den historischen Bedingtheiten dieses romantischen Typus. Im
Zentrum der Betrachtung steht die Figur der Lenore, in der sich tragisches Schicksal
und magische Kraft zu einer Synthese aus femme fatale und Kindfrau verbindet.
Friederike Preiß (Köln): Schumann und Wieck – eine kritische
Auseinandersetzung?
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Die Schumannforschung hat sich im Verlauf der vergangenen 160 Jahre wiederholt
mit dem Ehekonsensprozeß 1839/40 auseinandergesetzt, in welchem Clara und
Robert Schumann erfolgreich die gerichtliche Zustimmung zur ihrer Eheschließung
erstritten. In diesem Zusammenhang wurden die sechs Ehekonsensbedingungen
Friedrich Wiecks, welche im Mai 1839 dem Rechtsstreit vorangegangen waren,
gemeinhin als Beleg dafür angeführt, der Vater habe die jungen Liebenden gegen
ihren Willen in diesen Prozeß hineingezwungen. Wer jedoch tatsächlich ein Interesse
an einer gerichtlichen Auseinandersetzung haben mußte und wer diese unbedingt zu
vermeiden hatte, beweist eine umfassende rechtshistorische Kontextualisierung.
Unter anderem soll zur Diskussion gestellt werden, aus welchen Gründen die
zentralen Forderungen Friedrich Wiecks im eigentlichen prozessualen Geschehen
keine Rolle gespielt haben und auf dem Hintergrund der damals geltenden Gesetze
auch keine Berücksichtung finden konnten.
Sektion IIA: Musik, Bild und Literatur
Ernest W.B. Hess-Lüttich (Bern): Code, Medium, Intermedialität. Zur
Typologie intermedialer Relationen
Vor dem Hintergrund einer begriffssystematischen Auffächerung konkurrierender
Code- und Medienbegriffe sucht der Beitrag das Spektrum intermedialer Relationen
zu beschreiben und deren potentielle Vielfalt systematisch zu ordnen. Am Beispiel
des Verhältnisses sprachlicher und musikalischer Codes in polycodierten Texten soll
das Konzept überprüft und veranschaulicht werden.
Henriette Herwig (Düsseldorf): Intermedialität: Musik, Bild, Tanz und
Literatur in Heines Florentinischen Nächten
Von einem kultursemiotischen Ansatz aus verbindet der Vortrag eine narratologische
Analyse der Novelle mit einer Untersuchung der in ihr dargestellten traumhaften
Transformationen von sprachlichen, bildlichen, musikalischen, tänzerischen und
anderen körpersprachlichen Zeichen. Er fragt insbesondere danach, in welchem
Verhältnis Körperausdruck, Sinneswahrnehmung, Liebe, Tod und Kunst in den
verschiedenen Episoden der Novelle und in der Rahmenerzählung stehen, welche
Funktion dem romantischen Motiv der erstarrten, toten oder sterbenden Geliebten
dabei zukommt, welches Bild der Geschlechterverhältnisse der Text durch seine Art
der Motivgestaltung vermittelt und welche indirekten Aussagen über Bedingungen
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der Kunstrezeption und -produktion er auf diese Weise macht. Dabei werden auch
die intertextuellen Bezüge der Florentinischen Nächte zu Prätexten von Boccaccio,
Goethe, Novalis, Tieck, Brentano, Arnim, Eichendorff und Heine berücksichtigt.
Abschließend wird der Versuch unternommen, die Funktion der synästhetischen
Substitutionen und intermedialen Relationen für die ästhetische, politische und
geschichtsphilosophische Allegorik des Prosafragments zu bestimmen.
Karl Ivan Solibakke (College Park, Maryland, USA): Geklingel des
Kamele“. Zur Musikästhetik Heines in Lutezia
In Hegels großangelegtem ästhetischem System stellt die Tonkunst ein zeitlich
Bewegtes dar, das als rhythmisches Organisationsprinzip zwischen dem räumlichen
Bild und der fließenden Sprache vermittelt. Da der Hegelsche Geist Sprache evoziert,
bedarf es hierzu eines Zurückziehens des Subjekts in sein Inneres, um zunächst
seinen Empfindungen objektiven Charakter zukommen zu lassen und aus einem
fixierten Lautcharakter schließlich die objektive Begriffssprache herauszubilden. Also
besteht für den Philosophen eine Konkordanz von Subjekt und Objekt, die sich
schließlich als Begriff manifestiert. In seinem Alterswerk Lutezia bricht Heine diese
Konkordanz Hegels auseinander, in dem der Kulturkommentator die musikalischen
Formen ins Zentrum eines diskontinuierlichen und zeichenhaften Erlebens der
Stadttopographie als Reflexionsfläche rückt. Somit wird die Tonkunst in Lutezia zum
Inbegriff eines ungestillten Bewegungstriebs, der den Raum tötet und die Zeit zur
modernen Lebensform statuiert.
Sikander Singh (Düsseldorf): Querelle des Anciens et des Modernes oder
Intermedialität als Metamorphose
In der Tradition der Romantik, die der Malerei die Literatur als Kunst der
unendlichen Selbstreflexion des Geistes im Medium der Sprache zur Seite stellt,
spiegeln Heines Französische Maler die Loslösung vom Gegenständlichen und die
Hinwendung zu den Prozessen der Abstraktion. Während in den Reisebildern der
topographische Ort Anlaß des Textes ist, bildet in den Französischen Malern das
Gemälde den Ausgangspunkt der literarischen Reflexion. Nicht mehr die Wirklichkeit
ist das Thema, sondern die künstlerisch gestaltete Wirklichkeit. Die Gemäldebriefe
erzeugen einen ästhetischen Reflexionsraum, der die Grenzen sowohl des
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bildnerischen wie des literarischen Mediums erweitert. Die Wiedererkennbarkeit des
Beschriebenen weicht dem Interesse an der Beschreibung selbst.
Der Vortrag untersucht die in den Gemäldebriefen diskutierten Denkbilder von
Metamorphose und geschichtlicher Progression und entwickelt aus der Betrachtung
der Bild-Text-Relation in den Französischen Malern die These einer sich im
Kompositionsprinzip des Salons entfaltenden Intermedialität als Metamorphose, die
zum poetischen Paradigma der beginnenden Moderne wird.
Sektion IIIA: Kunst- und Kulturkritik
Peter Uwe Hohendahl: Zwischen Feuilleton und Geschichtsschreibung:
Zur Medialität von Literatur- und Kunstkritik bei Heine
Der Vortrag beschäftigt sich mit den Bedingungen sowie den Medien von Kunst- und
Literaturkritik bei Heine. Das Interesse gilt einmal dem Medium der Zeitschrift und
Zeitung sowie Heines Gebrauch dieses Mediums. Zum anderen behandelt der Vortrag
Heines Konkurrenz mit der Literaturgeschichte der Germanistik. Schließlich wird
seine Konzeption in Bezug gesetzt zur Figur des Intellektuellen in der post-
napoleonischen bürgerlichen Öffentlichkeit.
Hermann Danuser (Berlin): Robert Schumann und die romantische Idee
einer selbstreflexiven Kunst
Selbstreflexivität in der Tonkunst ist nicht an die Epoche der Romantik gebunden,
doch wurde sie damals mit großem Nachdruck manifest; Unendlichkeit und
Spiegelung sind zwei ihrer zentralen Faktoren. Mein Vortrag sucht die Idee einer
selbstreflexiven Tonkunst bei Robert Schumann in sechs Stücken zu erschließen: Ich
beginne mit Bemerkungen zur veränderten Textkategorie, die sich aus Hegels
Bestimmungen einer „romantischen Kunstform“ ergibt; es folgen Hinweise zur
kompositorischen Subjektivität, wie sie für Schumanns Tonkunst vorauszusetzen ist;
danach äußere ich einiges zu Schumanns anagrammatischem Spiel mit Tonnamen
und -buchstaben; es schließen sich an Bemerkungen zur Kategorie eines „negativen“
Klangs; im vorletzten Stück sage ich einiges zur Bedeutung von Zitat und Allusion als
Formen musikalischer Reflexion; und schließlich zeige ich am Kopfsatz der C-Dur-
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Phantasie op. 17, wie eine Grundstruktur die drei Teile dieses Satzes nach Art einer
mise-en-abyme verklammert.
Bernd Kortländer (Düsseldorf) Frankreichbilder bei Heine und
Schumann
Heines Frankreichbild ist nur beim ersten Hinsehen eindeutig: die zunächst so
positiv anmutenden Kategorien, mit denen Frankreich beschrieben wird, haben alle
auch eine negative Rückseite. Schumanns kritisches Frankreichbild, wenn man von
einem solchen überhaupt sprechen will, ist dem Heines deshalb nur auf den ersten
Blick völlig konträr. Diesen schwierigen Verhältnissen, die sich durch den Einbezug
des komplementär gesetzten Deutschlandbildes ein wenig vereinfachen lassen, wird
der Vortrag im Blick auf die Einschätzung französischer Literatur durch Heine und
französischer Musik durch Schumann nachgehen.
Sibylle Schönborn (Düsseldorf): Heines Briefe aus Berlin – Ein Beitrag
zur Kulturtheorie der Moderne
Heines Briefe aus Berlin bilden ein Urmodell des Kulturjournalismus’ und der
literarischen Kulturgeschichtsschreibung. Mit diesen Texten gelingt es Heine, nicht
nur den Typus des Großstadttableaus als literarische Form im Feuilleton der
Tagespresse zu etablieren, in deren Tradition auch Walter Benjamins - ursprünglich
gleichfalls fürs Feuilleton der Frankfurter Zeitung unter dem Serientitel Berliner
Chronik - entstandene Berliner Kindheit um Neunzehnhundert steht, sondern auch
ein neuartiges Archiv des kulturellen Gedächtnisses zu generieren, indem er das
Medium der Tagespresse als Archiv des vergänglichen Alltags nutzt. Damit schafft
Heine als erster deutschsprachiger Autor ein literales Archiv der heterogenen Vielfalt
des Kulturellen, in dem das aus dem offiziellen Gedächtnis Ausgeschiedene
aufbewahrt ist, und das einen anderen, tieferen Einblick in die Verfassung einer
Kultur eröffnet als die großen, offiziellen Kulturgeschichtserzählungen.
Heines Briefe aus Berlin erhalten über ihre einmalige literarisch-kompositorische
Qualität hinaus eine herausragende Bedeutung als mediale Sicherungen oder
Umschriften des Flüchtigen, des Performativen der Kultur, das in diesen Briefen
gespeichert und damit erhalten wird. Der performative Charakter der Kultur, den die
Texte dokumentieren, soll zugleich auch als Konstruktionsprinzip von Heines Briefen
deutlich gemacht werden, die als Spaziergang von der Bewegung im Raum leben wie
von der rhythmisch-musikalisch-tänzerischen Aufführung des Textes. Der
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Kulturbegriff der Briefe deutet damit unmittelbar auf den neueren
kulturtheoretischen Diskurs voraus.
Sektion IB: Lebens- und Wirkungsräume
Jocelyne Kolb: Ästhetische Korrespondenzen: Die Briefe Heines und
Schumanns im Spiegel ihrer Zeit
Als Analogie zu der künstlerischen Gestaltungsweise Heines und Schumanns bietet
sich die Gattung des Briefwechsels an, die der widersprüchlichen, kontrastierenden
und sich doch ergänzenden Dualität ihrer jeweiligen Ästhetik entspricht. Zwar hinkt
die Analogie, weil Briefe die Unterschiede statt die Ähnlichkeit zum Werk erhellen und
weil die Zweigleisigkeit im künstlerischen Zusammenhang von Heine und Schumann
selber stammt und nicht von ihren Briefpartnern bestimmt wird. Trotzdem lohnt es
sich, den Briefwechsel als Prisma für folgende Fragen zu benutzen: die Briefform
selber; das Selbstverständnis der Künstler und ihres „image“; die Zensur bei der
Veröffentlichung der Briefe (bei Heine eher politischer, bei Schumann eher familiärer
Art); die Editionspraxis und die dadurch verbundene Auffassung und Pflege von
Genie. Als Vergleich ziehe ich das Beispiel von Hector Berlioz und seiner
Correspondance Générale hinzu.
Damien Ehrhardt (Evry-Val d’Essonne): Transkulturelle Vermittlung im
musikalischen Feld am Beispiel der Schumann-Rezeption in Frankreich
(1834-1914)
In den Jahren 1834-1846 konstituierte sich ein ‚transnationales kulturelles Feld’ im
Dialog zwischen der Netzwerke der Revue et Gazette musicale de Paris und der
Neuen Zeitschrift für Musik. Die Schumann-Rezeption in Frankreich hing während
dieser Zeit eng mit den Aktivitäten des Komponisten als Kritiker zusammen.
Schumanns poetische Klaviermusik sprach Künstlern im Umkreis der Revue et
Gazette musicale de Paris besonders an. In den 1840er Jahren lagen Schumanns
Interessen nicht mehr auf dem Gebiet der Klaviermusik. Seine neueren
Kompositionen schätzte man weniger, was auch erklären könnte, warum es keine
französischen Erstdrucke Schumannscher Werke in den Jahren 1840-1846 gab. Das
Interesse an der Schumannschen Musik stieg allmählich in den 1860er Jahren, in
einer Zeit der Aneignung deutscher Instrumentalmusik durch die französischen
Komponisten. Schumanns Kammermusik wurde in dieser Hinsicht besonders
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geschätzt, was zur Gründung der „Société Schumann“ führen sollte. Im Kontext des
Krieges 1870 diente diese Aneignung deutscher Musik der Ausprägung einer
nationalen Schule im Zeichen des Nachkriegspatriotismus.
Trotz der Entfernung der neueren Avantgarde um Debussy von der deutschen Musik
taucht die Figur eines „französischen Schumanns“ auf, den man als Vorläufer Faurés
in der intimen Sphäre des Liedes und der Klaviermusik würdigte. Noch heute gilt der
sog. „Style Schumann“ in französischen Ausbildungsstätten als Inbegriff für
„romantische Harmonik“, auf dem Wege von Mozart zu Fauré.
Beatrix Borchard: Orte und Strategien der Kulturvermittlung. Oder:
Clara Schumann als „konzertierende Kulturvermittlerin“ zwischen
Deutschland und Frankreich
Clara Schumann (1819-96) ist zwischen 1830 und 1862 mehrfach und in
unterschiedlichen Phasen ihrer Karriere nach Paris gereist und dort aufgetreten. Sie
lernte auch Heine persönlich kennen und vertonte mehrere Texte von ihm. Ihre
Briefe und die Briefe ihres Vaters spiegeln gerade in den Strategien, die sie erprobte,
und den Orten, die sie wählte, um sich in der französischen Hauptstadt als Pianistin
mit ihren ästhetischen Orientierungen durchzusetzen, wichtige Aspekte des Wandels
(musik)kultureller Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich.
Sektion IIB: Musik, Bild und Literatur
Sonja Gesse-Harm (Göttingen): “Buchstaben von Feuer” – Zur
Bedeutung des Dramatischen in Robert Schumanns Romanzen und
Balladen nach Texten Heinrich Heines
Unter den zahlreichen Heine-Vertonungen Robert Schumanns bilden der Liederkreis
op. 24 und die Dichterliebe op. 48 bislang den Mittelpunkt des Forschungsinteresses.
Dabei ist der Begriff “Dichterliebe” geradezu zum Synonym für Schumanns
Auseinandersetzung mit Heines Lyrik geworden, das zudem von dem Klischee des
wesentlich introvertierten Künstlers begleitet wird. Obwohl speziell in Schumanns
Liedschaffen gelegentlich durchaus dramatische Momente wahrgenommen worden
sind, hat die Musikwissenschaft deren Bedeutung nur wenig Beachtung geschenkt.
Insbesondere die Romanzen und Balladen führen – obgleich zum Teil weltberühmt –
als Forschungsgegenstand eher ein Schattendasein und werden, insofern man sie
erwähnt, wesentlich mit zwischen Lob und Tadel schwankender Ratlosigkeit
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betrachtet. Berücksichtigt man jedoch nicht zuletzt auch deren
entstehungsgeschichtliche Verwobenheit mit den vielbeachteten Liederzyklen, so
steht zu vermuten, daß diese Werke als signifikante Wegbereiter und Repräsentanten
des die traditionellen Gattungsgrenzen so oft überschreitenden Schumannschen
Ausdrucksideals zu würdigen sind. Der Vortrag versucht sich diesem Phänomen
anhand einer Auswahl der von Schumann vertonten Romanzen Heinrich Heines zu
nähern.
Rufus Hallmark: (New Brunswick, New Jersey, USA)“Warum Zweimal
Dichterliebe? Der Fall Op. 24 und Op. 48”
Im Februar und Mai 1840 hat Robert Schumann zwei Liederzyklen auf Gedichte
Heinrich Heines komponiert, die als Liederkreis (Op. 24) und Dichterliebe (Op. 48)
erschienen sind. Die Gedichte dieser Zyklen folgen sehr ähnlichen erzählerischen
Entwicklungen – Liebe, Enttäuschung, Ärger, Traurigkeit, und Trost. Zwischen
beiden Zyklen bestehen auch musikalische Parallelen. Keine anderen Liederzyklen
von einem einzelnen Komponisten weisen so viele Ähnlichkeiten miteinander auf wie
diese beiden. Der Liederkreis ist noch nicht so intensiv wie die Dichterliebe analysiert
worden, auch ein direkter Vergleich ist bis heute ausgeblieben. Dieser Aufsatz
versucht, diese Vernachlässigung zu beheben und provisorische Antworten zur Frage
des Vortragstitels anzubieten.
Monika Schmitz-Emans (Bochum), Reinmar Emans (Göttingen):
Schumanns kompositorische Aneignung von literarischen Texten am
Beispiel der Heinelieder op. 24 und op. 48
Betrachtet man die Vertonungsgeschichte Heinescher Lyrik im 19. Jahrhundert, so ist
eine klare Vorliebe der Komponisten für solche Texte zu beobachten, die vorgeben,
die Sprache unmittelbarer Empfindung zu sprechen; der 'sentimentale' Heine machte
Musikgeschichte, nicht der ironische. Dies bestätigten auch Schumanns opus 24
("Liederkreis") und opus 48 ("Dichterliebe"). Die Entscheidung für die Auswahl der
hier vertonten Texte biographisch mit Schumanns aktueller Lebenssituation und
seiner Empfindungslage zu erklären, wie es gelegentlich geschieht, erscheint ebenso
kurzschlüssig wie die Interpretation der Texte selbst als 'authentische' Bekenntnisse
des Dichters Heine. Was aber hat Schumanns Textauswahlmotiviert? Und wie ist er
mit Heines Gedichten verfahren? Hilfreich zur Beschreibung des von Schumann
vorgenommenen, von den Texten Heines aber immerhin vorbereiteten
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Gestaltungsprozesses sind vielleicht die Begriffe der Entstofflichung und der De-
Referentialisierung, der Musikalisierung und der Figuration. Hilfreich mag auch die
Erinnerung an die Musikästhetik Jean Pauls und Hoffmanns sein, mit denen sich
Schumann intensiv auseinandersetzt hat.
Sektion IIIB: Kunst- und Kulturkritik
Dr. Yvonne Wasserloos (Düsseldorf): „Formel hält uns nicht gebunden,
unsere Kunst heißt Poesie“. Niels W. Gade und Robert Schumann
Niels Wilhelm Gade und Robert Schumann verband eine besondere
Künstlerfreundschaft. Das Ziel, eine poetische Musik zu schaffen, war für beide eine
der obersten Prämissen ihres kompositorischen Wirkens.
Gade versah sein Opus 1, die Ouvertüre Efterklange af Ossian mit dem Uhland-Zitat
„Formel hält uns nicht gebunden, unsre Kunst heisst Poesie“ und richtete damit quasi
ein Motto für sein kompositorisches Frühwerk ein. Mit seinen klingenden poetischen
Stimmungsbildern unter Verwendung von Elementen einer wiederentdeckten,
nordischen Musik feierte der Däne vor allem in Deutschland große Erfolge.
Schumann verfolgte die Entwicklung des jungen Komponisten und betonte dessen
„neuen Künstlercharakter“. Trotzdem warnte er Gade vor der Einseitigkeit des
nationalen Stils. Interessant ist daher, den auch von Schumanns Aussagen
beeinflussten Wandel im Werk Gades zu beobachten. Hier stellt sich die Frage,
inwieweit sich sein ursprünglich poetischer Ansatz in der Auseinandersetzung mit
Schumann veränderte und er sich einem „universellen“ Stil annäherte. Dabei ist
insbesondere der Blick auf den starken Einfluss des kulturellen Austauschs zwischen
Gade und Schumann bzw. Dänemark und Deutschland zu richten.
Takanori Teraoka (Okayama): Ohnmacht der Ästhetik – Heines
Einstellung zur zeitgenössischen Kunstrevolution
Für Heines Zeitgenossen war die Revolution der Mythos der modernen Zeit. Aus
dieser Quelle schöpfte die neue Kunst ihre Sujets und Symbolik. In Delacroix
allegorischer Figur sah Heine die verkörperte »wilde Volkskraft«, die der große
»Gedanke« der Revolution »geadelt und geheiligt« hat. Durch die Vertonung von
Heines Ballade Die Grenadiere entrichtete auch Schumann seinen Tribut an den
neuen Zeitgeist.
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Die sich anbahnende Revolution der Kunst faßte Heine in Analogie zur politischen als
Bruch der >Gegenwart< mit der >Vergangenheit< auf. Er wendete demnach politische
Kategorien wie Restauration und Justemilieu auf die Kunstwerke seiner Zeit an, um
deren historische Bedingtheit hervorzuheben. Die These vom »Ende der
Kunstperiode«, die den Einklang der >Kunst< mit der >Zeit< postuliert, sollte
eigentlich mit seinen sensualistischen Ideen verbunden sein. Das Denkschema von
Sensualismus und Spiritualismus, das in Heines Kritik an der Romantik als ideelle
Grundlage fungiert hat, erweist sich aber in seinem Kunsturteil als nicht praktikabel.
Es versagt bei der Suche nach der »zeitliche[n] Signatur« der modernen Kunst und
bei der Charakterisierung der unkonventionellen Musik von Berlioz und Liszt.
In der Dysfunktion von Heines sensualistischer Ästhetik schimmert sein Befremden
gegenüber der virulenten Dämonie der Zeit durch. In Heines Augen sind sowohl das
genialste Werk als auch der vulgärste Tanz von ihr durchdrungen. Er erkennt an
Liszts Konzert die »ansteckende Gewalt« der »dämonischen Natur« und sieht im
»tanzenden Volk« während der »Carnevalszeit« die sich »zum Ungeheuerlichen«
steigernde »dämonische Lust«.
Franz-Josef Deiters (Tübingen): Zwischen Identitätsbegehren und
Identitätsaufschub – Heines Verortung des Dichters im Prozeß der
gesellschaftlichen Modernisierung
Im Abschnitt „London“ der „Englischen Fragmente“ entwirft Heine das Szenario
einer dezentrierten und beschleunigten Gesellschaft, die den „armen deutschen
Poeten“ zu Fall bringt. Die Episode kann als Inszenierung des Bruchs mit dem als
anachronistisch betrachteten Poesiekonzept der Kunstperiode gelesen werden.
Dagegen formulieren Heines Texte bis 1848 das Konzept eines operativen Dichters,
der einen Anspruch auf Werkherrschaft über den Gesellschaftstext reklamiert. Im
Spätwerk dagegen dient Heine das eigene körperliche Siechtum als Bühne, auf der er
die Klage über die Folgenlosigkeit seines Schreibens und das Scheitern seines
Anspruchs auf gesellschaftliche Identität anstimmt. Das Jahr 1848 scheint daher
einen absoluten Einschnitt im Selbstverständnis des Dichters darzustellen. Richtet
man indes den Blick auf jene Distanzierungsgesten gegenüber dem Volk, wie sie
Heines Texte auch vor 1848 bereits durchziehen, so zeigt sich, daß der Gestus, sich
von einem als unbelehrbar gezeichneten Volk verkannt zu wissen, seine Inszenierung
operativer Autorschaft von Beginn an prägt. In Heines Texten reflektiert sich – über
den Einschnitt von 1848 hinweg – jene Dialektik von Identitätsbegehren und
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Identitätsaufschub des Dichters, wie sie sich im Prozeß der gesellschaftlichen
Modernisierung ausformt.
Thomas Burch (Trier)/ Bernd Füllner (Düsseldorf): Das Heinrich-Heine-
Portal
13.000 Bilddateien, 26.500 Buchseiten, 72 Millionen Zeichen, die Arbeitsergebnisse
mehrerer Forschergenerationen und der Esprit von Deutschlands amüsantestem
Klassiker – das sind die Bestandteile des Heinrich-Heine-Portals, das gemeinsam
vom Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf, und dem Kompetenzzentrum für
elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den
Geisteswissenschaften an der Universität Trier erarbeitet wird. Unter der Internet-
Adresse www.heine-portal.de entsteht ein umfassendes digitales Informationssystem
mit einer vernetzten wissenschaftlich kommentierten Gesamtausgabe von Heines
Werken und Briefen im Volltext, verknüpft mit digitalisierten Handschriften-, Bild-
und Buchbeständen aus dem Heine-Institut und anderen Archiven und Bibliotheken.
Das Heinrich-Heine-Portal, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der
Kunststiftung NRW gefördert wird, vereinigt die beiden maßgeblichen, in Weimar
und Düsseldorf entstandenen Heine-Ausgaben und bemüht sich um die virtuelle
Zusammenführung von Heine-Handschriften aus Bibliotheken und Archiven in aller
Welt. Der Vortrag stellt die Konzeption und die Editionsprinzipien des Portals vor
und informiert über die vorhandenen und geplanten Recherchemöglichkeiten sowie
den derzeitigen Stand der Arbeiten.
Sektion IIC: Musik, Bild und Literatur
Markus Winkler (Genf): Die Grenadiere: Heine und Schumann
Ziel dieses Vortrags ist es, Heines vermutlich 1821 entstandenes Gedicht aus
komparatistischer Perspektive als eine lyrische Antwort auf die Nachricht vom Tode
Napoleons zu analysieren und darauf aufbauend zu fragen, welche Bedeutungen
Schumann mit seiner Vertonung aus dem Jahre 1840 (op. 49,1) dem Gedicht
hinzufügt. Bei Heine werden dem geschichtlichen Anlaß des Gedichts und seinem
geschichtlichen Gehalt die Geschichtlichkeit entzogen; Mittel dieser Mythisierung
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sind die volksliedhafte Form und die abschließende Anspielung auf die Sage von der
Entrückung und künftigen Wiederkehr des Kaisers Friedrich Barbarossa. Dabei zielt
das Gedicht aber nicht nur auf die Schaffung einer ‚neuen‘, retrospektiv bebilderten
Mythologie des revolutionären Volkskaisertums. Es soll auch den resignativen Satz
„Das Lied ist aus“ entkräften, indem es sich selbst als Volkslied ausgibt und
begründet. – Schumann folgt dieser mythisierenden Tendenz des Gedichtes, aber er
verdeutlicht ihren geschichtlichen Kontext, indem er der achten und neunten Strophe
die Marseillaise unterlegt, und er nimmt sie am Ende gleichsam zurück, indem er
dem Marseillaise-Zitat ein elegisches Klaviernachspiel folgen läßt (vgl. die Eusebius-
Florestan-Dualität in Schumanns Klavierwerk). Derart restituiert er die
Kontrastperspektive, die bei Heine verloren geht.
Bernhard R. Appel (Düsseldorf): Die Marseillaise bei Heine und
Schumann
Sowohl in Heinrich Heines literarischem Werk als auch in Robert Schumanns
kompositorischem Oeuvre wird mehrfach auf die Marseillaise Bezug genommen.
Trotz dieser voneinander unabhängigen, in verschiedenen Medien und
divergierenden Zusammenhängen stattfindenden Marseillaise-Bezügen verweist das
gemeinsame Interesse an diesem Sujet auf einen Teilaspekt künstlerischer
Zeitgenossenschaft. In einem Fall, in der Soloballade Die beiden Grenadiere op. 49/1,
treffen Schumanns Heine-Rezeption und ein Marseillaise-Zitat zusammen.
Im literarischen wie im musikalischen Zusammenhang definiert der jeweilige
Kontext Bedeutung und Funktion der Bezugnahmen auf den Revolutionsgesang, dies
jedoch auf unterschiedliche Weisen. Musik vermag im genuinen Sinn, d. h.
unmittelbar klanglich, die Marseillaise zu zitieren oder darauf anzuspielen. Über den
jeweiligen kompositorischen Einbettungszusammenhang können Bedeutung und
Funktion des Zitats – sein semantischer Verweis – mehr oder weniger vage
hergestellt werden. Der literarische Bezug funktioniert dagegen auf quasi
komplementäre Art und Weise. Im literarischen Text steht die Marseillaise als
Symbol, Chiffre, Metapher oder auch nur als geschildertes Klangereignis in einem
klar ausgewiesenen, meist politischen Kontext. Ihre konkrete Klanglichkeit kann
dabei lediglich sprachlich evoziert werden.
Der Beitrag versucht, Voraussetzungen, Bedingungen und Funktionen von Heines
Bezugnahmen im allgemeinen und Schumanns Zitatpraxis im besonderen in den
Blick zu nehmen.
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Paul Peters (Montreal): „Doppelgänger“: Schubert und Schumann in
Winterreise und Dichterliebe
Aus mannigfaltigen Gründen laden Schumann und Schubert in ihren großen
Liederzyklen zum Vergleich ein. Das hat zunächst mit Rang und Thematik beider
Zyklen zu tun: da ist es eine eben so verlockende wie vermessene Aufgabe, sie
miteinander vergleichen zu wollen. Zum anderen handelt es sich bei Schubert und
Schumann wie bei Müller und Heine um wahlverwandte Geister. Diese
Verwandtschaft umfasst zugleich jedoch auch eine Differenz. Denn was Heine einmal
bei seiner Charakteristik der Gedichte Müllers als Hauptunterschied zwischen den
beiden Autoren signalisiert, spielt in der vielgerühmten “Kongenialität” der
Vertonungen dann auch eine gewisse Rolle: das Volksliedhafte nicht nur der Form,
sondern auch in dem Gegenstand der Müllerschen Gedichte, während Heines Texte
zwar die Volksliedform teilweise übernehmen, jedoch nicht eine Episode aus dem
Volksleben, sondern aus der “konventionellen Gesellschaft” zum Gegenstand haben.
Man wäre sogar versucht, hier die Unterscheidung Schillers zwischen dem Naiven
und Sentimentalen zu bemühen: mit Schubert und Müller als die “Naiven”, und
Heine-Schumann als die reflektiert Gebrochenen, ironischen und “Sentimentalen”.
Aber entgegen einer gängigen Auffassung zeigen sich nicht nur Schumann und Heine,
sondern auch Müller und Schubert oft als abgründig ironisch: und ebenfalls im
Gegensatz zu einer verbreiteten Meinung, ist es häufig gerade die äußerste
Reflektierheit bei Dichter und Komponist, welche einen unverhofften Gewinn an
unmittelbarer Kraft des Ausdrucks ermöglicht.
Günter Schnitzler (Freiburg): Zyklische Prinzipien in Dichtung und
Musik am Beispiel von Heines „Lyrischem Intermezzo“ und Schumanns
„Dichterliebe“
Zunächst erfolgt eine phänomenologisch orientierte Besinnung darauf, was eigentlich
ein Zyklus bedeutet, wie er konstituiert werden kann und welche Kriterien er zu
erfüllen hat. Neben den bekannten motivischen Verknüpfungen werden die zwischen
den einzelnen Gedichten des „Lyrischen Intermezzos“ von Heine liegenden
Geschehnisse als ungesagt gegenwärtige Ereignisse in ihrer zykluskonstituierenden
Funktion wahrgenommen, - eine sich von Petrarca herleitende Eigenart des Autors.
Die zyklische Struktur der „Dichterliebe“ Schumanns konstituiert sich keineswegs
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nur aus musikalischen Parametern (Tonarten usw), sondern auch aus
wechselwirkenden Kriterien, die im intermedialen Bereich zu Hause sind.
Sektion IIIC: Kunst- und Kulturkritik
Gerhard Höhn (Barbizon, Frankreich): Zur Vorgeschichte der
Kulturindustrie. Kunst und Kommerz im Spiegel Heinescher Kritik
In seinen Musik- und Kunstkritiken der 40er Jahre hat Heine erstmals Phänomene
beschrieben, die Max Horkheimer und Theodor W. Adorno genau 100 Jahre später in
der Dialektik der Aufklärung als Kulturindustrie definiert haben. Unter dem 1947
ganz neuartigen Begriff von paradigmatischer Bedeutung verstanden sie bekanntlich
„die Vorherrschaft des Effekts“ und technischer Details über die Idee des
Kunstwerks.
Von einem vergleichbar ausgeprägtem „System“ der Kulturindustrie kann 1840 keine
Rede sein. Dennoch lässt der gut organisierte Musik- und Kunstbetrieb die für das
20.Jahrhundert typischen Aspekte spürbar werden. – Wer eine europäische
Künstler-Karriere anvisierte, musste sich zuerst einmal in Paris durchsetzen, mit
Geld und Presse als materieller und medialer Grundlage. „Ovationskosten“,
Reklame-Anzeigen und Imagepflege etc. wollen bezahlt sein. – Dann fordert der
Kampf um künstlerische Anerkennung einen hohen Preis: Die Produktion
übernimmt vor-kulturindustrielle Eigenheiten wie genaues „Kalkül“ der „Effekte“ in
der Opernmusik, spektakuläre Aufführungen und publikumswirksame
Musikdarbietungen. Ein weiteres Indiz: die Serienproduktion (Donizetti, Scribe und
Vernet). – Vernets Werke selber bezeugen schließlich, wieweit der moderne
„Zeitgeist“ die Malerei bereits durchdrungen hat und die Autonomie der Kunst
zusehend gefährdet.
Hans-Georg Pott (Düsseldorf): Die poetische Ökonomie von Heine und
Marx
Heinrich Heine erklärt es zum Grundübel der Welt, dass der liebe Gott zu wenig Geld
erschaffen habe, und er proklamiert das Grundrecht auf Leben, das heißt auf Brot.
„Die Quelle jener Übel ist die Schuld ...“ (Vgl. die Englischen Fragmente, Lutetia u.a.)
Im Namen der Schuld lassen sich Kapital und Religion wechselseitig demaskieren.
Bei Karl Marx erkennt die sprechende Leinwand im Rock die „stammverwandte
schöne Wertseele“. Ein kopfstehender Tisch „entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen,
16
viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne.“ (Vgl. Das
Kapital I, Zur Kritik der politischen Ökonomie u.a.) Es ist die poetisch-rhetorische
Konstruktion von Wirtschaft und Gesellschaft, von Ökonomie und Religion, welche
die „metaphysischen Spitzfindigkeiten“ und die „theologischen Mucken“ von Ware,
Geld und Kapital offen legt.
Es geht mir nicht um die gut erforschte Biographie und Philologie der Begegnung von
Heine und Marx – die gleichwohl erinnert werden sollte. Es geht vielmehr um
„Kapitalismus und (als) Religion“ und damit um einen Kontext, der Heine und Marx
mit Max Weber, Walter Benjamin, Niklas Luhmann und Giorgio Agamben verbindet
– aus dem „Geist“ einer Stilkritik als Methode.
Volker Kalisch (Düsseldorf): Kunst als Krankheit – Kunst als Therapie
Der Zustand der Erkrankung gilt uns im gängigen Verständnis als etwas, das es durch
Prävention zu verhüten und durch Medizin zu kurieren gilt. Kranksein erlebt der
moderne Mensch als etwas Negatives, als etwas der Entfaltung seiner eigenen
Persönlichkeit wie Bedürfnislagen Entgegenstehendes. Dies aber ist ein Verständnis,
das unser wenig differenzierendes Umgehen mit Krankheiten und Erkrankungen
vereinseitigt hat und unsere Handlungsmöglichkeiten einschränkt, wenn nicht gar
lähmt.
Parallel dazu hat sich aber auch immer wieder ein Krankheits-Verständnis zu Wort
gemeldet, das dem Kranksein zwar seine ungewollte Außeralltäglichkeit belässt, dies
gleichwohl aber nicht nur als etwas Negatives bewertet, sondern in ihm auch die
Chance zur Thematisierung und Realisierung von Außeralltäglichem positiv entdeckt.
In welcher Weise dabei das Krankheitsverständnis betroffener Künstler des 19.
Jahrhunderts ihre schöpferischen Möglichkeiten beeinflusste, ja, manche Künstler
ihrer Erkrankung sogar eine bestimmte künstlerische Produktivität verdanken
wollten, soll dabei an ausgewählten Beispielen gezeigt werden. Ihre eigene Kunst(-
produktion) wurde dabei schon bald in ihrer Eigenwahrnehmung als etwas erlebt,
das dann zu der verallgemeinerten Einschätzung führte, in Kunst sogar ein geeignetes
Mittel und einen Erlebnisraum zu entdecken, um in ihr grundlegend
krankheitsbedingte Beschränkungen aufzuheben, aus der Limitierung heraus
Entgrenzung wachsen zu lassen.
Rainer Kleinertz (Regensburg): Heines Musikberichte im Kontext der
zeitgenössischen französischen und deutschen Musikkritik
17
Zur Widerlegung gängiger Vorurteile über Heines Äußerungen zur Musik sollen
zunächst die grundlegenden Unterschiede zwischen Musikkritik während der Juli-
Monarchie in Frankreich und Deutschland aufgezeigt werden. Während
Musikkritiken in Deutschland ganz überwiegend von Musikern für
Musikzeitschriften verfasst wurden, waren in Frankreich Schriftsteller maßgeblich an
der Musikberichterstattung beteiligt. Ein Vergleich zwischen Heine und deutschen
Musikkritikern (z. B. A. B. Marx und Schumann) zeigt, dass ein mehr an
'Professionalität' keineswegs zu einem 'besseren' Urteil führte. Am Beispiel Rossinis
und Meyerbeers lässt sich vielmehr zeigen, dass Heine ihre Bedeutung wie auch die
Unterschiede zwischen beiden durchaus adäquat erfasste, während die deutsche
Musikkritik vor beiden Phänomenen versagte. Schließlich gründete Heines
Musikanschauung auch nicht in politischen oder persönlichen Motiven, sondern
bildete ein zusammenhängendes Ganzes, das maßgeblich von der Ästhetik Hegels
geprägt war.
Sektion IVA: Spätwerke 1848-56
Christian Liedtke (Düsseldorf): Himmel, Styx und Schattenreich. Heines
poetische Übergänge zwischen Leben und Tod
Von den lebenden Toten, die seine frühen Gedichte bevölkern, bis zu den satirisch-
poetischen Jenseitsvisionen im Spätwerk, von zahllosen Gespenster- und
Geistererscheinungen zu Auferstehungsszenarien und Darstellungen des Jüngsten
Gerichts, von Figuren wie der „toten Veronika“ oder Laskaro im „Atta Troll“ bis hin
zur Selbststilisierung des sterbenden Dichtes in der „Matratzengruft zu Paris“ – der
Übergang vom Leben zum Tod ist ein zentrales Thema in Heines Gesamtwerk. In
Lyrik und Prosa wie auch in seinen journalistischen Berichten beschäftigt er sich zu
allen Zeiten damit, und sein Augenmerk liegt dabei vor allem auf dem Übergang
selbst, auf dem „Dazwischen“. Wie stark Heines Metaphorik und Figurenwelt aus
diesem Bildbereich gespeist ist, wie er im Rückriff darauf philosophische, religiöse
aber auch zeitgeschichtliche Themen gestaltet und vor allem, wie er dabei im Spiel
mit Motiven der romantischen Literatur an seiner eigenen, impliziten „Poetik des
Übergangs“ arbeitet, soll in dieser Untersuchung dargestellt werden.
Peter Gülke (Berlin): Zur Problematik von Schumanns „konservativer“
Wende in den vierziger Jahren
18
Ästhetische Mißverständnisse und das neudeutsche Interesse, den Schumann der
vierziger Jahre in die Leipziger Ecke zu drängen, kamen ungut zusammen, wenn nach
den auf dem Klavier ausgelebten Avantgardismen der dreißiger eine Rückwendung
konstatiert wurde. Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit ist der Art und Weise
geschenkt worden, in der der frühere Schumann im späteren aufgehoben war.
Oberflächliche Betrachtungen hatten es leicht, die außerhalb der bewährten
Traditionslinien befindlichen Klavierwerke „fortschrittlich“ und die zyklischen
Instrumentalwerke seit 1841 „klassizistisch“ zu nennen – womit u.a. die Frage
umgangen war, inwiefern groß dimensionierte Werke, weil auf übergreifende
Korrespondenzen angewiesen, damals von sich aus stärker auf Traditionen bezogen
sein mußten.
Überdies half die Rede von der Rückwendung einen fundamentalen Wandel nicht nur
in der Methodik des Komponierens zu übersehen, schlagworthaft: denjenigen vom
schreibend Improvisierenden zum bewußt (u.a. nicht mehr am Klavier) Kom-
ponierenden. Hierzu gehören der – gewiß auch resignative – Abschied von Leipziger
Hoffnungen (u.a. auf die Nachfolge Mendelssohns im Gewandhaus) und Ansprüchen
(u.a. den publizistischen, mit der „Neuen Zeitschrift“ verbundenen) ebenso wie das
auffällig, für Schumann möglicherweise fast schlagartig veränderte Zeitklima der
vierziger Jahre.
Insofern könnte es eher eine dialektische Treue zu den hochfliegenden Ambitionen
der dreißiger Jahre gewesen sein, die Schumann, um eben diese zu retten, aus der
windstillen Enklave und der Quarantäne der Klavierkomposition hinaustrieb.
Stefan Bodo Würffel (Fribourg): Revolution – Resignation – Religion:
Heines Spätwerk im Lichte unserer Erfahrung
Die drei Grunderfahrungen des späten Heine, der melancholisch gebrochene
Revolutionsenthusiasmus, das resignativ-leidende Wissen um die eigene Schwäche
wie um die gebrechliche Einrichtung der Welt und der dialektisch-dialogische
Bezug auf die Religion werden diskutiert im Hinblick auf die spannungsreichen
Konstellationen und Konfrontationen unserer Tage: auf das Gegeneinander von
Pazifismus und wachsender Kriegsbereitschaft, von nationalstaatlichen und
übernationalen Denkmodellen und von radikaler Säkularisierung und der
Renaissance des Religiösen.
Dabei zeigt sich, dass Heine nicht nur „der erste Dichter des zwanzigsten
Jahrhunderts“ war (Raddatz), sondern auch dem einundzwanzigsten vorangeht als
19
skeptischer Beobachter und kritischer Kommentator unserer Gegenwart, auf
dessen prognostisches Urteil wir schwerlich verzichten können.
Joseph A. Kruse (Düsseldorf): „Dichterliebe“. Über Heines Gedicht „An
die Mouche“
Noch in den spätesten Liebesgedichten verweist Heine auf jene Rollen, die er von
früh an im Kontext von Liebe und Liebeswahn gespielt hat. Insofern ergibt sich eine
mehrdeutige Traditionslinie und vielfache Konsequenz des grandiosen romantischen
wie symbolistischen Liebesthemas, gleichzeitig jedoch auch eine Variation von
existentiellem Ausmaß angesichts der eigenen körperlichen Leiden mit der damit
einhergehenden Vergeistigung. Vor allem in seinem großen Traumbild „An die
Mouche“ zieht der Dichter eine Summe der Variablen, durch die er seit dem „Buch
der Lieder“ berühmt geworden ist. Der Dichter liebt – das ist Erfindung und Realität
zugleich, führt zum Ideengedicht und schließlich ins Schweigen. Symbol ist alles,
Name dagegen Schall und Rauch.
Sektion IID: Musik, Bild und Literatur
Roe-Min Kok (Montreal): In Search of the Fairy Tale in Schumann’s
Music – Märchen-Musik
My paper interrogates children’s music by Robert Schumann in light of the German
folk- and fairy-tale tradition. Scholars have explored the pedagogical functions of
Schumann’s music, but have begun only recently to question its aesthetics. Recent
research has shown that the music reflected folk values and beliefs found in
nineteenth-century children’s literature.
Building on these findings, I propose that Schumann’s music drew its inventive ethos
and charm from its referential interplay with contemporaneous folk- and fairy-tales. I
show the existence of social and structural intertextualities between music and the
Grimm brothers’ “Kinder- und Hausmärchen” (1812-57), focusing on issues of
audience, feminine culture, nationalism, familial rituals, variation forms, motifs and
repetitions, binary elements, and links with oral culture.
Dieser Vortrag untersucht Schumanns Musik für Kinder (opp. 15, 68, 79, 85) mit
Blick auf die Märchen-Tradition. Während die pädagogischen Aspekte dieses
Repertoires oft thematisiert worden sind, hat sich die Forschung seinen ästhetischen
20
Hintergründen erst in den letzten Jahren zugewandt. Dabei hat sich insbesondere
gezeigt, dass Schumanns Musik für Kinder völkische Werte aus der Kinderliteratur
des neunzehnten Jahrhunderts zum Ausdruck bringt.
Ich postuliere, dass Schumanns Musik die Ästhetik der „Kinder- und Hausmärchen“
(1812-57) der Gebrüder Grimm zugrunde liegt. Der Bezug auf Märchen manifestiert
sich hier in sozialer und struktureller Hinsicht: Zuhörerschaft, das Weibliche,
Nationalismus, Familienrituale, binäre Gegenüberstellungen, Elemente mündlicher
Überlieferung, Variationsformen, Motive und Wiederholungen.
Thorsten Palzhoff Berlin): Das Geheimnis der Sphinxe
Im Vortrag soll der Versuch unternommen werden, Schumanns und Heines
künstlerische Verfahren über ein verbindendes Motiv zu untersuchen: den Traum.
Als Dichter wie Kulturkritiker nehmen für Heine Traum und Musik eine ähnliche
Position ein: Beide Phänomene werden als ein Seinszustand auf der Schwelle
zwischen Kollektivem und Individuellem, Poesie und Realität inszeniert, in dem eine
zunächst unverständliche Bildersprache aus oder zur Seele spricht. Wie nah Musik
und Traum im romantischen Denken zueinander stehen, kann besonders prägnant
anhand von Gotthilf Heinrich Schuberts „Symbolik des Traumes“ (1814) gezeigt
werden. Im Vergleich mit Schuberts Traumtheorie lässt sich auch Schumanns
Konzept einer „poetischen Musik“ im Hinblick auf die Frage diskutieren, ob nicht
gerade im pianistischen Frühwerk wie vor allem im „Carnaval“ op.9 die Musik mit
ihrer motivisch einkomponierten Chiffrenstruktur und akustischen Maskerade der
hieroglyphischen Bildersprache des Traums ähnelt.
Eckhard John (Freiburg): Heines „Volkslied“. Der Dichter und das
populäre Lied
Die Lorelei ist bekanntlich die Volkslied gewordene Heinedichtung par excellence –
aber sie wäre zu seinen Lebzeiten (und auch später im 19. Jahrhundert) schwerlich
als „Volkslied“ bezeichnet worden.
Das „Volkslied“ war eine Novität des ausgehenden 18. Jahrhunderts, das seit Herders
Begriffsprägung (1771) und Arnim/Brentanos Wunderhorn (1806/08) den Bereich
der populären Lieder neu definierte. Seine atemberaubende Erfolgsstory im 19.
Jahrhundert wurde durch recht unterschiedliche „Volkslied“-Konzepte begleitet.
Deswegen erscheint es hilfreich – wenn hinsichtlich Heines Lyrik beharrlich der
volksliedhafte Ton dieser Dichtung herausgestellt wird – zu bedenken, was der Autor
21
selbst unter „Volksliedern“ verstanden hat und wie sein Verhältnis zu den populären,
traditionellen oder trivialen Liedern seiner Zeit eigentlich war.
Der Vortrag beschäftigt sich daher mit Heines Position im „Volkslied“-Diskurs des 19.
Jahrhunderts und untersucht sein „Volkslied“-Verständnis ebenso wie die
Rezeptionsgeschichte der gleichermaßen legendären wie legendenumwobenen
Lorelei.
Sektion IIID: Kunst- und Kulturkritik
Tom Verschaffel (Löwen): Meyerbeer in der Kritik bei Heine und
Schumann
Giacomo Meyerbeer (1791-1864) played an important role in the life of Heine. They
knew each other well, they collaborated, and the composer, very famous and
successful in his times, supported the writer on many occasions. Later on the
understanding between the two was lost, an evolution which was paralleled by a
shifting of Heine’s appreciation of Meyerbeer’s work and achievements throughout
the years. At first, at a moment in which Heine’s discussion of opera and theatre
concentrated largely on social aspects of cultural production, as expressed in
Französische Zustände (1833) and Über die Französische Bühne (1837), there was a
great admiration, aroused mainly by the actual success the composer met with the
Parisian public, attributed to the political meaning of works like Robert le Diable,
1831), as well as by certain qualities of the work, like the preponderance of harmony
over melody, which was linked to his to his exceptional Bildung. In a later phase – in
Lutezia (1854) for instance – Heine became much more critical towards his former
friend and benefactor, inverting what used to be positive qualities: now Meyerbeer
was seen as extremely solicitous about applause and success, not afraid to manipulate
and to buy friendly covering. Also the prominence of politics in his opera’s roused
criticism and mockery. In this contribution I will try to analyse these shifts in
appreciation, as reflecting changes in personal relationship as well as in esthetical
ideas. Moreover there will be a confrontation of Heine’s criticism of Meyerbeer with
22
Schumann’s, which is elucidating Meyerbeer’s inconstant position in Heine’s world
and visions.
Giacomo Meyerbeer (1791-1864) spielte eine wichtige Rolle in Heines Leben. Die
beiden kannten einander gut, sie arbeiteten zusammen, und der zu seiner Zeit sehr
bekannte und erfolgreiche Komponist unterstützte den Schriftsteller mehrfach.
Später verloren die beiden das Verständnis füreinander und diese Entwicklung ging
seitens Heines Hand in Hand mit einer sich im Laufe der Jahre wandelnden
Wertschätzung von Meyerbeers Werken und seinen Leistungen. Zunächst jedoch, als
Heine in seinen Oper- und Theaterkritiken soziale Aspekte des kulturellen Schaffens
betonte, wie etwa in Französische Zustände (1833) und Über die Französische Bühne
(1837), brachte er Meyerbeer große Bewunderung entgegen, die ihren Auftrieb vor
allem durch Meyerbeers damaligen Erfolg beim Pariser Publikum erhielt. Diesen
Erfolg schrieb Heine der politischen Dimension von Werken wie Robert le Diable
(1831) zu, ebenso aber bestimmten Qualitäten von Meyerbeers Kompositionen wie
etwa dem Vorrang der Harmonie gegenüber der Melodie, was Heine mit Meyerbeers
außergewöhnlicher Bildung in Verbindung brachte. Später, so zum Beispiel in Lutetia
(1854), nahm Heine seinem früheren Freund und Wohltäter gegenüber eine
wesentlich kritischere Haltung ein, wobei er die einstigen Vorzüge in ihr Gegenteil
verkehrte: Meyerbeer wurde nun als ein lediglich auf Applaus und Publikumserfolg
begieriger Künstler dargestellt, der nicht davor zurückschreckte, sich Unterstützung
zu erkaufen. Ebenso erregte die Bedeutung der Politik in seinen Opern Heines Kritik
und Spott. In meinem Beitrag werde ich versuchen zu analysieren, inwiefern diese
geänderte Wertschätzung die Entwicklung der persönlichen Beziehung und der
ästhetischen Ideen widerspiegelt. Eine Gegenüberstellung von Heines und
Schumanns Kritik an Meyerbeer soll zudem seinen wechselhaften Ort in Heines
Ideenwelt erhellen.
Robert Steegers (Bonn): Walpurgisnacht und Opernabend. Heine,
Meyerbeer und der Vitzliputzli als reinszenierte Grand Operá
Die akustisch-musikalischen Elemente der theatralisch inszenierten Opferszene im
Vitzliputzli weisen auf die Oper als Referenzpunkt des blutigen Mysterienspiels.
Zugrunde liegt dieser Reinszenierung der Oper im Gedicht die Grand Opéra mit
ihrem Wechsel zwischen Massenszenen und intimen Situationen, ihrem Effekteinsatz
und der Orientierung an den Kategorien Tableau und Schock. Dem Heine der
23
Matratzengruft ermöglicht der Vitzliputzli, eine Grand Opéra in reichen Tableaus und
exotischer Szenerie textuell zu realisieren. Keine andere Oper hat Heine so oft
gesehen wie Meyerbeers Hugenotten. Vom Leitmotiv des Bluts bis in Details von
Handlungsführung, Dramaturgie und Bühnenwirkung lassen sich Parallelen
zwischen Heines aztekischer Walpurgisnacht und Meyerbeers Bartholomäusnacht
nachweisen. Heine überbietet Meyerbeers Große Oper im Medium des Gedichts,
parodiert und salviert sie zugleich – und behauptet in der Auseinandersetzung mit
der avanciertesten Kunstgattung der Zeit seine dichterische Meisterschaft.
Ingo Meyer (Bielefeld): Zwischen Hellas und der Hauptstadt des 19.
Jahrhunderts: Klassizistische Rudimente in Heines Kunstverständnis
Um den topischen Verrechnungen Heines als Dichter einer "Übergangszeit" noch
aussagekräftige Facetten abzugewinnen, empfiehlt es sich, gegenüber der in der
Forschung üblichen Betonung seiner produktiven Auseinandersetzung mit der
Romantik das vielleicht noch intrikatere Verhältnis zum Klassizismus zu
perspektivieren. Allerdings ist es bei einem semantisch so "unzuverlässigen" Autor
wie Heine nicht hinreichend, nachzuzeichnen, "was Heine über Schiller und Goethe
sagte" - die latente Wirkungsmacht klassizistischer Kategorien kann nur eine formale
Analyse impliziter Prämissen aufdecken. So wird dem kontextuellen
Bedeutungsgehalt einer Heineschen Zentralmetapher (Marmorstatue), der im
deutschen Diskurs neuen stilistischen Sensibilität für Präsentationsformen der
Philosophie und seiner Literaturkritik in actu an Hand Victor Hugos nachgegangen,
um alternierend klassizistische (Denk-)Figuren und ihre jeweilige Torpedierung in
Heines Prosa aufzuweisen. Dichter aller Zeiten zu sein, ist Heines Anspruch von
Anbeginn und indiziert das poetologische Problem, wie in bis dato singulär
"bewegten Zeiten"; Revolution von Politik, Philosophie und der Wissensbestände,
eine Kunstprosa zu schaffen ist, die im Marginalen das Exemplarische erkennt,
Gegenwärtiges und Vergangenes, Mythos und Moderne wechselseitig relativiert,
kurzum: Zeitgeschichte für die Ewigkeit schreibt.
Sektion IVB: Spätwerke 1848-56
Sigrid Weigel (Berlin): Heines blaue Blume der Passion
Es geht im Beitrag um das Nachleben religionsgeschichtlicher Figuren in der
poetischen Modulation von Affekten.
24
In seinem berühmten letzten Gedicht ersetzt Heine die ‚blaue Blume’ durch eine
Passionsblume, in einer Szene, welche die Verkörperung der poetologischen/
christologischen Allegorie in der Figur der Geliebten reflektiert. Von hier aus soll
einerseits Heines Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von christlichen
Motiven und romantischer Poetologie erörtert werden („Diese Poesie war ... eine
Passionsblume, die dem Blute Christi entsprossen“); andererseits sollen die Texte des
jüdischen Autors auf die Spuren einer Faszinationsgeschichte der passio (und
verwandter Bilder wie des Martyriums) in der Dialektik der Säkularisierung hin
befragt werden, die in jener Szene des letzten Gedicht mündet, die aus der
Perspektive eines toten Mannes im Sarkophag gestaltet ist.
Ariane Neuhaus-Koch (Düsseldorf): Strategien der Öffentlichkeitsarbeit
des späten Heine
Der Heine der 30er und frühen 40er Jahre beherrschte virtuos das Instrumentarium,
mit dem er sein Bild als Autor und Privatmann in der Öffentlichkeit beeinflusste bzw.
steuerte. Es reichte von Gegendarstellungen und Berichtigungen, die eigene
Verfasserschaft verschleiernden Artikeln, initiierten Hintergrundberichten von
Freunden, lancierten Leserbriefen über strategische Vorreden und Nachworte bis
zum Aufbau eines informellen Netzwerks. Mit welchen Mitteln und in welchem
Umfang versuchte der nunmehr „gefesselte Prometheus“ angesichts seiner durch die
Krankheit rigoros eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten und vor dem
Hintergrund eines nach 1848 vollzogenen politischen und gesellschaftlichen
Umbruchs eine konsistente Imagepflege weiterzuführen? Heines Intentionen und
seine Methoden der medialen Einflussnahme auf sein öffentliches Bild werden im
Kontext der Spätwerke: „Romanzero“, „Der Doktor Faust“, „Die Götter im Exil“ und
„Geständnisse“ analysiert.
Michael Gamper (Zürich/Berlin): Aufruhr und Nivellierung. Ästhetische
und politische Virtuosität im Spätwerk Heines
Das ästhetische Problem der Virtuosität spielt in den Werken von Robert Schumann
und Heinrich Heine gleichermaßen eine wichtige Rolle. Heine hat darüber hinaus in
seinen in den 1840er Jahren verfassten und für die Buchausgabe der Lutezia
überarbeiteten Zeitungsbeiträgen zum Leben in Frankreich diese Thematik auch in
andere Diskurse übertragen und dabei die Stilformen der Virtuosität auch auf sich
selbst und sein Schreiben bezogen. So meinen seine Besprechungen von
25
Virtuosenkonzerten und seine Schilderungen von exzentrischem Künstlergebaren
immer auch spezifische gesellschaftliche und politische Verhältnisse im Paris der
Juli-Monarchie, und sie beziehen sich stets auch auf die Techniken und Verfahren
der eigenen Darstellung. Künstler, Schriftsteller und Politiker sind dabei die aktiven
Figuren, deren performativen Fähigkeiten sich auf Konzertpublikum, anonyme
Leserschaft und die Menschenmasse richten und diese formen. ‚Virtuosität‘ wird in
Heines Spätwerk deshalb auch zur Chiffre für ein zwischen Nivellierung und Aufruhr
schwankendes Soziales, das einen prinzipiellen Umbruch zur gesellschaftlichen
Moderne hin beschreibt.
Sektion IC Lebens- und Wirkungsräume
Bernd Witte (Düsseldorf): „Das Volk des Buches“. Die Bedeutung des
Judentums für Heines literarisches Schreiben
Anhand des „Rabbi von Bacherach“, des „Ludwig Börne“ und des „Jehuda ben
Halevi“ soll nachgewiesen werden, dass Heines Stellung zum Judentum in der
Grundtendenz von seinen Anfängern als Schriftsteller bis zu seinem Spätwerk
unverändert geblieben ist. Heine, der als erster – noch vor Baudelaire – die
spezifischen Schreibverfahren der Moderne in die Literatur einführt, kann sich dabei
auf sein diasporisches Verständnis des Judentums berufen.
Roger F. Cook (Columbia, Missouri, USA): Die Wiederkehr der Religion:
Heine aus amerikanischer Perspektive
In Die Stadt Lucca behauptet Heine, dass „die Gewerbefreiheit der Götter” das
einzige Mittel sei, die Religion zu retten. Ein Blick auf die zweite Hälfte des
vergangenen Jahrhunderts offenbart, auf welche beinahe groteske Art sich Heines
“Gewerbefreiheit der Götter” im Kontext eines postmodernen Kapitalismus
amerikanischer Art gewandelt hat. Auf gewisse Weise hat ein aus Amerika
stammender, jetzt aber bereits weltweit agierender Neoevangelikalismus Heines Idee
von der Gewerbefreiheit der Götter in die Tat umgesetzt. In diesem Vortrag
analysiere ich vor dem Hintergrund der Neoevangelikalen, wie die grotesken Züge in
der Darstellung konkurrierender Götter in Heines Spätschriften bestimmte Parallelen
mit der Kirche im postmodernen Zeitalter aufweisen. Im Falle der
neoevangelikalischen Megakirchen wird eine Theodizee aufgezeigt, die in der
neoliberalen Verklärung der globalisierten Marktwirtschaft gegründet ist.
26
Andererseits dient das Groteske bei Heine zur Enthüllung der tiefgreifenden
Widersprüche, die jede eschatologische Vorstellung von einer auf Freiheit und
Gleichheit basierten Weltreligion prägen.
Ralph Häfner (Berlin): Harfenklang und Totengeläut. Heinrich Heine,
Pierre-Jean de Béranger und die Tradition der Chanson
Die Wirkung der Chansons Bérangers (1780–1857) auf Heine war beträchtlich. Im
März 1832 hatte Heine geschrieben: „Es giebt keine Grisette in Paris, die nicht
Bérangers Lieder singt und fühlt.“ Noch 1854 hebt ein anonymer Kritiker die
Verwandtschaft eines „geistreichen“, „prickelnden“ und geradezu kulinarischen Stils
hervor, der beiden Dichtern gemeinsam sei, und der greise Béranger ist es, der als
einer der letzten Freunde Heine auf seinem Sterbelager der rue Matignon besucht.
Der Beitrag verfolgt das Ziel, das Verhältnis zwischen Heines und Bérangers
dichterischer Produktion abzuschätzen. Die Diskussion um das l’art-pour-l’art-
Prinzip, die Tendenzpoesie und den politischen Gehalt der Dichtung haben darin
bemerkenswerte Spuren hinterlassen. Der dichterische Wettstreit, in den sich Heine
mit dem bewunderten Vorbild eingelassen hat, eröffnet ein beziehungsreiches Spiel,
das über die ausgesprochen politische Chanson bis in die Zeit der Lazarus-Gesänge
reicht.
Matthias Wendt (Düsseldorf): Wie die „alten bösen Lieder“ zu Rübezahl
wurden. Zur Rezeption der Heine-Lieder im Dritten Reich
Was passiert, wenn ein Kernbestand deutscher Musik 1933 plötzlich in den Verdacht
politisch nicht länger korrekter Textwahl gerät? Eine Posse: In vorauseilendem
Gehorsam wird totgeschwiegen, eliminiert, umgestellt und umgedichtet. Schließlich
wird verordnet und alles bleibt, wie es immer war.
Sektion IIE: Musik, Bild und Literatur
Rudolf Drux (Köln): Madonnenliebe. Bemerkungen zu Heines Gedicht
‚Im Rhein, im heiligen Strome’ und Schumanns Vertonung
Sein Lyrisches Intermezzo enthalte, schreibt Heine 1822 an Immermann, „kleine
maliziös-sentimentale Lieder“. Auf den ersten Blick scheint diese Charakteristik auf
das beschwingte Lied Nr. XI (‚Im Rhein, im heiligen Strome’) nicht recht zuzutreffen:
In ihm greift Heine das später noch oft behandelte Motiv der Liebe zu einer leblosen
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weiblichen Kunstfigur auf, die sich hier in Form eines Altarbildes im hohen Dom zu
Köln als die von „Blumen und Englein“ umgebene Madonna konkretisiert; ihre
„freundliche“ Erscheinung regt den Sprecher an, sie mit seiner „Liebsten“
gleichzusetzen.
Gewiss hatte R. Schumann bei der Vertonung des Gedichtes mit der „Bizarrerie“ und
dem „brennenden Sarkasmus“, den er ansonsten „in den Heinischen Liedern“ spürte,
kaum zu kämpfen, das Empfindsame stand für ihn ungetrübt im Vordergrund. Die
eher subtilen Bosheiten wie die Profanierung der Mutter Gottes, die trotz ihres
redundant erhabenen Umfeldes als Bezugsgröße für die Geliebte figuriert, und deren
Realitätsferne, die aus ihrer Projektion in den sakralen Raum resultiert, hat der
Komponist übersehen oder doch zumindest abgeschwächt – in welcher Absicht, kann
gerade ein Vergleich der poetischen und musikalischen Gestaltung des zentralen
Motivs und seiner Kontexte erhellen.
Stefan Neuhaus (Innsbruck) Kreisler und die Folgen. Zur
Künstlerproblematik bei E.T.A. Hoffmann und Heinrich Heine
Die noch heute gültige Vorstellung vom Künstler geht auf das 18. Jahrhundert
zurück, Voraussetzungen sind die Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit
(Habermas) und die Trennung von ökonomischem und künstlerischem Feld
(Bourdieu). Künstler erwirtschaften symbolisches Kapital, für ihren Erfolg ist es
zentral, dass sie sich von anderen Künstlern, vor allem aber von den Akteuren im
ökonomischen Feld absetzen, die zu Philistern abgewertet werden. Wie Pierre
Bourdieu gezeigt hat, konstruiert „jeder Künstler sein eigenes schöpferisches Projekt
in Abhängigkeit von seiner Wahrnehmung der verfügbaren Möglichkeiten“. Dies
kann er nur, wenn er „die inhärenten Zwänge und Möglichkeiten“ des Feldes
akzeptiert (Bourdieu: Praktische Vernunft).
Bei Hoffmann entstehen zahlreiche Künstlerfiguren, die sich solchen Regeln
verweigern, von Anselmus über sein Alter ego Kreisler bis zum Einsiedler Serapion.
Bei Heine finden sich ebenfalls Künstlerfiguren und Alter egos, vom Erzähler der
Reisebilder bis zum lyrischen Ich in Epen, Balladen und Gedichten. Die Regeln des
Feldes haben sich allerdings geändert, Künstler sind nun auch gezwungen, sich
politisch zu positionieren, indem sie sich für liberale oder demokratische Reformen
einsetzen; ökonomischer und künstlerischer Erfolg lässt sich durch eine
‚konstruktive’ Begleitung der Politik gewinnen. Heine entzieht sich physisch (durch
28
die Emigration) wie literarisch den Anforderungen von beiden Seiten, identifiziert
und unterläuft sie zielsicher.
Im Vortrag soll – die Perspektive Bourdieus ergänzend – gezeigt werden, welche
Strategien Hoffmann und Heine entwickeln, um die Zwänge des Feldes außer Kraft
zu setzen und auf eine Weise innovativ zu wirken, die bis heute nichts von ihrer
Brisanz verloren hat.
Arnfried Edler (Hannover): Schumann und die Ästhetik der Skizze
Robert Schumann gehörte zu den ersten Komponisten, die die Bezeichnung Skizze als
Werktitel verwendeten und sich auch als Rezensenten zu ihr äußerten. Er wurde
deswegen gelegentlich scharf kritisiert. Andererseits entwickelte sich der Begriff in der
Folgezeit zu einer geläufigen Gattungsbezeichnung der Klaviermusik. Zu klären wäre
der kompositorische und ästhetische Hintergrund sowie die Frage, ob und welche
Zusammenhänge mit in der Literatur – etwa bei Heine und Baudelaire – zu
beobachtenden Erscheinungen festzumachen sind.
Berthold Hoeckner (Chicago, Illinois, USA): Schumanns Dichterliebe
und Heines Liebe zur Dichtung
In der Dichterliebe scheint es schlecht um der Liebe zur Dichtung zu stehen, wenn
der Dichter am Ende seine Lieder zu Grabe trägt. Heilt die romantische Musik—
durch ein abschließendes Lied ohne Worte—die Stimmungsbrüche der modernen
Dichtung? Oder wird Schumanns Komposition vom Sehnen und Verlangen zerrissen,
wie in der jüngeren Forschung behauptet wurde? Der Streit um diese Fragen
entzündet sich an der tonalen Struktur des Zyklus. Ist die Dichterliebe ein
musikalisch geschlossenes Ganzes? Oder hat die Ästhetik der organischen Einheit
den analytischen Weg zum Werk als musikalisches Fragment verstellt? Räumt man
allerdings die ästhetischen und analytischen Paradigmen beiseite, so fügen sich die
modernen Züge Schumanns mit den romantischen Tönen Heines zu einem
paradoxen Bild fragmentarischer Kohärenz zusammen.
Sektion IIF: Musik, Bild und Literatur
Anselm Gerhard (Bern): Kann Musik ironisch sein? Kompositorische
Strategien der Heine-Vertonung bei Robert Schumann
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Im Gegensatz zur Literaturwissenschaft fehlen in der musikwissenschaftlichen
Forschungsliteratur klare Aussagen zu Ironie und Ironiesignalen in der Musik.
Dennoch kann vernünftigerweise kein Zweifel daran bestehen, daß die Komponisten
von Heine-Gedichten zumindest zu einem Teil versucht haben, die ironischen Brüche
und die abrupten Wechsel in Stilebene und Erzählstrategie auch mit musikalischen
Mitteln darzustellen. Der Beitrag stellt die Frage nach Ironiesignalen in der Musik
anhand konkreter Beispiele aus dem Werk Robert Schumanns, vor allem anhand der
»Dichterliebe« opus 48. Zum Vergleich werden auch Heine-Vertonungen des Wiener
Komponisten Johann Vesque von Püttlingen herangezogen.
Thomas Synofzik (Köln): Jean Paulscher Kontrapunkt – Zur neuartigen
Polyphonie in Schumanns Klavierwerken der 1830er Jahre
In einem vielzitierten Brief aus dem Jahr 1839 behauptet Schumann, er habe von
Jean Paul mehr Kontrapunkt gelernt als von seinem Musiklehrer. Die jüngst
erschienene Monographie über Schumann’s Piano Cycles and the Novels of Jean Paul
von Erika Reiman (Rochester 2004) bezieht dies lediglich auf "classicizing
tendencies" (155) in Schumanns Kinderszenen. Wolfdietrich Rasch (1961) und Hans
Esselborn (1991/92) haben Jean Pauls erzählerische Modernität unter Verweis auf
die erzählerische Polyphonie, die Vielfalt der Redeweisen und Stimmen begründet.
Dies eröffnet neue Perspektiven, um nach Entsprechungen zu einer solchen
Konzeption in der Satztechnik von Schumanns Klavierwerken zu suchen: Auf ganz
eigentümliche Weise versteht es Schumann, in seinem Klaviersatz einzelne Stimmen
im Klanggewebe hervortreten zu lassen. Die Gegenüberstellung verschiedener
Satzstrukturen ist auf Michail Bachtins Theorie des Karnevalesken zu beziehen, die
auch zum Verständnis der Erzähltechnik Jean Pauls herangezogen wurde.
Olaf Briese (Berlin): Punkt, Punkt, Komma, Strich. Heine und Schumann
als Virtuosen der Interpunktion
Gab es für Interpunktionsregime jemals Aufmerksamkeit? Ist jemals gefragt worden,
wie sie den Kosmos literarischer oder publizistischer Texte strukturieren? Nur
bedingt. Um vor diesem Hintergrund erstens den Autor Heine zu befragen: daß er
selbst energisch eine sogenannte Autonomie der Poesie verfocht, ist in den letzten
Jahren deutlicher als zuvor herausgearbeitet worden, und das macht die Frage nach
seinen Interpunktionsstrategien um so dringlicher. Um zweitens den Autor
Schumann zu befragen: er scheint nicht nur als Tonsetzer ein Virtuose gewesen zu
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sein, sondern, wie seine Rezensionen zum musikalischen Geschehen belegen, auch
ein virtuoser Satzzeichensetzer. Anhand von Schriften vom Ende der dreißiger,
Anfang der vierziger Jahre wird gefragt: Wie positionieren, wie postieren Heine und
Schumann sich mittels Interpunktion? Welche rhetorische Force, welche subversive
Energie schreiben sie ihr ein? Läßt sich von einem kalkulierten oder unkalkulierten
Aufstand der Zeichen sprechen?
Dr. Vera Viehöver (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf): „Dies
verhüllte Genießen der Musik ohne Töne“. Robert Schumanns
Reflexionen über das Medium Schrift
Sowohl in seinen Briefen und Tagebüchern als auch in seinen kritischen Aufsätzen
hat sich Robert Schumann immer wieder mit der Funktion der Schrift als Medium
auseinandergesetzt. Die Notenschrift als hermeneutischer Deutung zugängliches
Zeichensystem interessiert ihn dabei vor allem im Zusammenhang seiner Suche nach
einem inneren Hören, das auf die physikalische Dimension einer Materialisierung
von Musik in Form von Schwingungen nicht mehr angewiesen ist. Bereits in frühen
Jahren zeigt sich Schumann jedoch auch fasziniert von der musikalischen Schrift in
ihrer reinen Materialität. Er erkennt in ihr eine „Notengestaltmusik für’s Auge“,
mithin ein Bildmedium, dem über seine Funktion als Werkzeug des Komponisten
oder Gedächtnisstütze für den ausübenden Musiker hinaus eine spezifische
ästhetische Qualität eignet. Schumanns Reflexionen über Schrift sind keine
Marginalien zu seinem musikästhetischen Werk, sie stehen vielmehr mitten im
Zentrum seiner Kunstkonzeption. Ganz im Sinne des romantischen
Universalitätsgedankens stellt der Komponist sich die Frage nach den Möglichkeiten
der Überwindung von Grenzen zwischen den Künsten, nach den Bedingungen von
„Ausdruck“ sowie nicht zuletzt nach den Mechanismen menschlicher Wahrnehmung.