Post on 18-Sep-2018
Durchführungvon Experimenten
im Chemieunterricht
Orth / Wolf
Universität Bielefeld
Fakultät für Chemie
Chemie und Didaktik der Chemie I
Orth / WolfUniversität BielefeldFakultät für ChemieChemie und Didaktik der Chemie Durchführung von Experimenten im Chemieunterricht
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BEZIEHUNGEN CHEMISCHER EXPERIMENTE ZUR UNTERRICHTSPLANUNG UND
DARAUS RESULTIERENDE FOLGERUNGEN
Experimente...
...und Thematik
Fachliche Aspekte:
! Reaktionsbedingungen kennen
! Fehlerquellen kennen
! Kenntnis über Eigenschaften der Chemikalien
! Belästigungen (unangenehmer Geruch) bedenken, die
neue situative Bedingungen schaffen können (z. B. Unru-
he)
! Zeitbedarf berechnen (speziell Org. Chemie)
! Probleme des Transfers zwischen großtechnischer Anlage
und schulchemisches Versuchsexperiment kennen
Erkenntnisniveau der Experimente:
! Subjektive Wahrnehmungen der Schüler können z.B.
durch Blindproben eliminiert werden
! Messgenauigkeit beachten, keine falsche Genauigkeit
vortäuschen
! Protokollierungen der Nebenergebnisse berücksichtigen
! Bei komplexen Fragestellungen das eigentliche Ziel nicht
aus dem Auge verlieren
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...und Lernziele
! Ausbildung motorischer Qualifikationen
! Förderung manueller Selbständigkeit
...und Medien
Medien verstärken die sinnliche Wahrnehmung bei der Infor-
mationsvermittlung.
Experimentelle Eindrücke bzw. Eigenschaften können über
alle 5 Sinne mit unterschiedlicher Intensität vermittelt werden:
! visuell wirksam
! akkustisch wirksam
! geruchswirksam
! tastwirksam
! geschmackswirksam
Die „psychophysische Eigenart des Experiments“ bedingt
unterschiedlich technisch-organisatorische und didaktische
Maßnahmen.
...und Methode
! Problemversuch
! Alternativversuch
! Bestätigungsversuch
! Erarbeitungsversuch
! Wiederholungs- bzw. Übungsversuch
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...und Voraussetzungen
! Vorhandensein von Geräten prüfen
! Pannen einplanen
! Chemikalien in ausreichender Menge bereithalten
! Ausreichende Beobachtungsmöglichkeiten schaffen
(Projektionsmöglichkeiten nutzen)
bei Schülerversuchen berücksichtigen:
! Vorwissen der Schüler
! Auffassungsvermögen, Konzentrationsvermögen, Denkni-
veau
! Sprachliche und logische Voraussetzungen
! Einstellung und Erwartung der Schüler
(keine Reaktion als negativer Nachweis?)
! manuelles Geschick der Schüler
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DAS LEHREREXPERIMENT
Visuelle Wahrnehmung von Demonstrationsexperimenten
Ansätze aus der Gestalttheorie (Ende 19. Jhd. bis Mitte 20. Jhd.)
! Erste Wahrnehmung entscheidet über Begünstigung oder Hemmung
des Lernprozesses
! Gute Wahrnehmbarkeit ist daher wichtig (Prägnanz)
! Erforschung der Prägnanz-Faktoren führte zu W. Melzers Gesetzte
des Sehens
R. Arnheim (1977):
Die visuelle Wahrnehmung ist mit der Aufnahme des Geschehens im
Gedächtnis sowie mit den Lernprozessen signifikant verbunden.
H. Schmidtkunz (1989):
Gesetze des Sehens können auf chemische Experimente übertragen
werden.
! Figur-Grund-Kontrast (essentiell)
! Die gewohnte und in sich geschlossene Figur
! Einfachheit
! Gleichartigkeit
! Nähe
! Die glatt durchlaufene Linie
! Symmetrie
! Dynamik von links nach rechts
! Das gemeinsame Schicksal
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Das Gesetz des Figur-Grund-Kontrastes
! Fundamentales Gesetz
! Klare Abhebung vom Hintergrund
! Hintergrund homogen und farblich unauffällig
(z.B. Pappe, saubere Tafel etc.)
Beispiel:
Die Geräte hinter der Versuchsapparatur erzeugen einen inhomogenen
Hintergrund.
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Die gewohnte und in sich geschlossene Figur
! Neue Informationen werden an bestehende Muster im Gedächt-
nis geknüpft
! In einem neuen Gefüge besteht der Versuch an bekannte For-
men anzuknüpfen
! Bekannte Formen:
Rechteck, Quadrat, Kreis etc.
! Es erfolgt im Gedächtnis eine Konstruktion einer Geschlossen-
heit, auch wenn sie in der Realität nicht gegeben ist
Beispiel:
Die Stativstangen und die Grundlinie bilden die Seiten eines nicht vor-
handenen Rechtecks. Die Anordnung erscheint als eigenständige Figur,
auch wenn die Geschlossenheit nicht durchgehend realisiert wurde.
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Das Gesetz der Einfachheit
! Einfache Dinge sind visuell besser wahrnehmbar
! Komplexität entsteht durch Vielzahl von Einzelheiten
! Vielzahl von Einzelteilen potenziert die Komplexität zusätzlich
Beispiel:
Die Vielzahl der Stativstangen, Muffen und Klammern erhöhen die Kom-
plexität der Versuchsanordnung.
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Das Gesetz der Gleichartigkeit
! Gleichartigen Dingen werden unbewußt gleiche Funktionen zu-
gemutet, sie führen zu Objektzusammenschlüssen
! Die differenzierte Wahrnehmbarkeit wird stark beeinträchtigt
! Unterschiedliche Funktionen verbieten daher gleichartige Geräte
Beispiel:
Die Abbildung zeigt einen Verstoß gegen das Gesetz. In der gezeigten
Anordnung werden die drei Funktionen der Apparatur (Reaktion, Nach-
weis, Entsorgung) in drei gleichartigen Geräten durchgeführt.
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Das Gesetz der Nähe
! Nahe beieinander liegende Teile werden als Zusammengehörig
empfunden
! Nur Geräteteile gleicher Funktion sollten nahe beieinander lie-
gen
Beispiel:;
Die nahe beieinander liegenden Geräte (Erlenmeyerkolben und Gas-
waschflasche) vermitteln eine Zusammengehörigkeit, auch wenn dieses
nicht beabsichtigt ist.
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Die glatt durchlaufene Linie
! Zu- und Ableitungen sollen gradlinig verlaufen
! Zu- und Ableitungen möglichst nicht auf gleicher Höhe
verlaufen lassen. Dies führt zum „Darüber-weg“-Sehen
dieses Reaktionsverlaufs.
Beispiele:
A)
B)
A: Richtige (gestufte) Anordnung der Zu- und Ableitung.
B: Zu- und Ableitung erfolgen auf gleicher Höhe.
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Das Gesetz der Symmetrie
! Symmetrische Anordnungen haben eine spürbare Prägnanz
! Symmetrie kann helfen Aufmerksamkeit auf einen bestimmten
Teil der Anordnung zu richten.
Beispiele:
A) Parallele Reaktionsführung 1
B) Parallele Reaktionsführung 2
C) Lenkung der Aufmerksamkeit
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Das Gesetz der Dynamik von links nach rechts
! Reaktionsverläufe von links nach rechts werden als normal und
naturgegeben empfunden.
Beispiele:
A)
B)
Beispiel A zeigt einen Verstoss gegen das Gesetz der Dynamik von links
nach rechts.
Beispiel B verstößt zudem gegen das Gesetz der Einfachheit. Weiterhin
erfolgt in den Zu- und Ableitungen keine Abstufung.
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Das Gemeinsame Schicksal
Unabhängige Gebilde werden als Zusammengehörig empfunden,
wenn sie gemeinsam bewegt werden:
! Zwei Demonstrationsapparaturen werden auf einem Wagen in
den Chemieraum geschoben.
! Zwei Demonstationsexperimente sind bereits am Unterrichts-
anfang am Lehrerarbeitsplatz aufgebaut.
Die Berücksichtigung der vorgestellten Gesetze und die Gestaltung ei-
nes prägnanten Aufbaus verbessert die zeichnerische Wiedergabe eines
Versuchsaufbaus. Zu Berücksichtigen bleibt, daß ein prägnanter Aufbau
nicht allein die Verarbeitung bildlicher Informationen beeinflusst. Den
größten Einfluss hierauf besitzt immer noch der Unterricht.
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DAS SCHÜLEREXPERIMENT
Voraussetzungen für Schülerexperimente:
! Klassenfrequenz
(Die Fachliteratur gibt 20 Schüler als „Schmerzgrenze“ an)
! Geräte- und Sammlungssystem
! Chemikalienbedarf
Organisationsformen
Grundsätzlich werden 3 Organisationsformen im Unterricht verwirklicht:
! Einheitlich: Arbeiten auf gleicher Front
! Differenziert: Getrennt-gemeinschaftliche Arbeitsweise
! Individuell: Regellose Arbeitsweise
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Vor- und Nachteile sowie Einsatzbereiche der Organisationsformen
Arbeitsweise Vorteile Nachteile EinsatzbereichEinheitlich ♦ Gleiche Beob-
achtungen undVersuche
♦ ÖkonomischeVorbereitung, An-leitung undDurchführung
♦ In der Regel glei-che Ergebnisse
♦ Schülerselb-ständigkeitbegrenzt
♦ Frontale Si-tuation, Dar-bietenderUnterricht
♦ Anfangsunter-richt, Entwik-keln undÜben von Ar-beitstechnikenbei typischenPhänomenen
Differenziert ♦ unterschiedlicheErgebnisse zumgleichen Thema inkurzer Zeit
♦ gewisse Selbstän-digkeit der Schü-ler: erzwingt In-formationsaus-tausch
♦ Ermöglichung vonbinnendifferenzie-renden Maßnah-men
♦ Hohe Anfor-derung anden Lehrer(Aufsichts-pflicht, varia-ble Situatio-nen)
♦ Zeitaufwand♦ Koordinierung
der Einzeler-gebnisse
♦ Zur „indukti-ven“ Erarbei-tung von Re-aktionstypenund Gesetz-mäßigkeiten
♦ Lösung einesProblems
Individuell ♦ Berücksichtigungvon Schülerinter-essen
♦ Kognitive Selb-ständigkeit derSchüler bei derAuswahl undDurchführung
♦ Differenzierungs-möglichkeit
♦ Verpflichtung derSchüler zu Infor-mationsdarstel-lung, Kombinationmit anderen Ar-beitstechniken
♦ Zeitaufwendi-ge Vorberei-tung und Hil-festellung
♦ Koordinierungder Informati-onsvielfalt
♦ Bereitstellungvon differen-zierten Aus-wertungshil-fen
♦ Arbeitsge-meinschaften
♦ Program-mierter Unter-richt
♦ Projektunter-richt
♦ Leistungskur-se
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Der Versuchsablauf
! Versuchsvorbereitung
! Versuchsdurchführung
! Versuchsauswertung
! Abräumen des Arbeitsplatzes
Dieser Ablauf wird sich zwingenderweise einstellen, auch wenn man das
Schülerexperiment nicht in ein Schema pressen möchte. Auflockerungen
können z. B. durch Mitarbeit der Schüler bei der Planung und Vorberei-
tung des Experiments erzeugt werden.
Die schriftliche Versuchsvorschrift
Schriftliche Anleitungen für den Schüler müssen
! genau und für den Schüler verständlich abgefasst sein.
! eine Liste der benötigten Geräte und Chemikalien enthalten.
! mit einer Skizze des Versuchsaufbaus versehen sein.
! Hinweise zur Arbeitssicherheit enthalten.
Die schriftliche Versuchanleitung kann an der Tafel erfolgen, mit einem
Overhead-Projektor an die Wand projiziert werden oder am besten für
jeden Schüler als Arbeitsblatt in Kopie verteilt werden.
OUFC
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Negativ-Beispiel:
P
Versuchsanleitung: Wie reagiert Soda mit Salzsäure?
In ein Reagenzglas wird etwas Soda gegeben. Man fügt etwas Salzsäure hinzuund setzt das mit Calciumhydroxidlösung gefüllte Gärröhrchen auf das Reagenz-glas. Beobachtung?
ositiv-Beispiel:
Versuchsanleitung:Wie reagiert Natriumcarbonat (Na2CO3, Soda) mit Salzsäure?Geräte:Reagenzglas, Reagenzglasständer, Spatel, Gärröhrchen mit durchbohrtem Stop-fen, Tropfpipette
Chemikalien:Natriumcarbonat, Salzsäure (c=2 mol/l), Calciumhydroxidlösung
Versuchsdurchführung:Zunächst wird das Gärröhrchen mit soviel Calciumhydroxidlösung gefüllt, wie es inder Zeichnung zu ersehen ist. In das Reagenzglas gibt man eine Spatelspitze Na-triumcarbonat und anschließend mit der Tropfpipette 20 Tropfen der bereitgestell-ten verdünnten Salzsäure hinzu (Schutzbrille, Handschuhe!). Dann wird das Gär-röhrchen auf das Reagenzglas aufgesetzt.
Versuchsskizze:
Auswertung:Welche Beobachtung kann man machen?
Formuliere die Reaktionsgleichung!
rth / Wolfniversität Bielefeldakultät für Chemiehemie und Didaktik der Chemie Durchführung von Experimenten im Chemieunterricht
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LITERATUR
- Pfeifer, Häusler, Lutz. Konkrete Fachdidaktik Chemie. München: Oldenbourg,
1997.
- Becker, Glöckner, Hoffmann, Jüngel. Fachdidaktik Chemie. Köln: Aulis, 1992.
- Schmidtkunz, Büttner, Naturwissenschaft im Unterricht (Chemie) 3, Heft 14
(1992) 131-135
- Sumfleth, Schmidtkunz, Schoel, Körner, Naturwissenschaft im Unterricht (Che-
mie) 4, Heft 17 (1993) 278-282