Post on 06-Mar-2018
DIE RUCKSACKAPOTHEKE
FÜR DEN BERGSTEIGER
UND
FÜR DEN BERGSTEIGENDEN ARZT
Franz Berghold
Passiert im Gebirge ein Missgeschick, ist man trotz moderner Kommunikations-
technologie (z.B. Notruf per Mobiltelefon) zumindest eine Zeitlang, möglicherweise
aber auch stunden- oder gar tagelang völlig auf sich allein gestellt. Kein Rettungs-
wagen und kein Notarzt
sind binnen Minuten ver-
fügbar. Das erfordert unter
anderem auch ein ent-
sprechendes Erste-Hilfe-
Material. Traditionell nennt
man das in den Bergen
Tourenapotheke oder
Rucksackapotheke. Deren
Zusammensetzung unter-
scheidet sich natürlich
grundsätzlich etwa von einer Autoapotheke oder von einer Reiseapotheke.
Da man „nur das tun soll was man kann“ und „nur das mitnehmen soll, womit man
umgehen kann“, hängt viel auch von der einschlägigen Qualifikation des Benützers
ab. Die Tourenapotheke eines Bergsteigers, der über keine medizinische Berufsaus-
bildung verfügt, wird zwangsläufig anders konzipiert sein wie jene eines Arztes, und
auch da gibt es nahe liegender weise Unterschiede: die Tourenapotheke eines berg-
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steigenden Zahnarztes wird wohl anders zusammengesetzt sein als die eines berg-
steigenden Notarztes.
In den folgenden Ausführungen geht es ausschließlich um die Erste-Hilfe-Ausrüstung
eines Bergwanderers bzw. Bergsteigers, der auf Tour zufällig Hilfe leisten muss. Die
medizinische Ausrüstung im Rahmen eines organisierten alpinen Rettungseinsatzes
(Bergrettung, Flugrettung) wird hier nicht besprochen.
1. Die Frage der Menge: WIE VIEL soll mitgenommen werden ?
Neben dem konkreten In-
halt hängt vor allem der
Umfang (die Menge) einer
alpinen Erste-Hilfe-Ausrü-
stung auch vom Ausmaß
der zu erwartenden Gefähr-
dung ab. So wird naturge-
mäß das medizinische Ma-
terial bei einer technisch
schwierigen Hochgebirgs-
expedition wesentlich um-
fangreicher sein müssen als das für ostalpine Mittelgebirgswanderungen. Wenn auch
für alle der Erfahrungswert gilt: „Man hat immer zuviel und immer zuwenig mit“. Oder:
„Was man im konkreten Notfall benötigt ist dann oft nicht vorhanden.“
Wie viele Tourenapotheken sollen pro Seilschaft bzw . Gruppe vorhanden sein?
Die Antwort auch diese Frage gilt generell für alle Arten und Charakteristika von
alpinistischen Unternehmungen: Jeder Seilschafts- bzw. Gruppenteilnehmer hat
immer je eine Tourenapotheke dabei.
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Dieser Aspekt ist in der Praxis besonders bedeutsam. Man denke beispielsweise an
den Sturz eines Seilpartners, der schwer verletzt und mit aufgerissenem Rucksack
im Seil hängt (die Reste der einzigen Tourenapotheke der Seilschaft liegt jetzt
vielleicht hunderte Meter tiefer im Kar). Oder folgendes durchaus realistische Sze-
nario: Mehrere Mitglieder einer Bergwandergruppe werden durch Steinschlag verletzt
(also zahlreiche Wunden mehrerer Personen müssen erstversorgt werden), und nur
einer, vielleicht der selbst verletzte Gruppenführer, hat eine der üblicherweise küm-
merlichen Tourenapotheken dabei.
Das Gewicht meiner ärztlichen Tourenapotheke (Inhalt siehe unten)
beträgt nur bescheidene 0,8 Kilogramm, ist also als unter Um-
ständen lebensrettendes Zusatzgewicht im Rucksack wohl zu ver-
nachlässigen.
2. Die Frage des Inhalts: WAS soll mitgenommen werden ?
Jeder Wanderer bzw. Bergsteiger sollte eine individuelle Tourenapotheke im Ruck-
sack mittragen, deren Zusammensetzung in erster Linie seiner Qualifikation entspre-
chen muss. Dabei gelten für alle immer folgende
Grundsätze
• Der wohl wichtigste Grundsatz lautet: „Nimm nur das mit, womit Du auch
umgehen kannst“. Das betrifft Medikamente genauso wie anderes Material.
• Achte in Deiner Tourenapotheke auf Ordnung und Sauberkeit.
• Der Inhalt muss hitze- und kältebeständig sein.
• Wegen Kälte keine Medikamente in flüssiger Form (z.B. Augentropfen).
• Medikamente (Tabletten, Zäpfchen, Ampullen, Salben usw.) immer ohne
Verpackung, aber mit Beipackzettel (Medikamenteninformation).
• Ablaufdatum von Medikamenten berücksichtigen.
• Sofort nach Tourenende verbrauchtes Material ersetzen.
• Einmal jährlich wird der gesamte Inhalt durchgecheckt.
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• Bei Grenzübertritt müssen die betreffenden Suchtgiftgesetze des Gastlandes
beachtet werden.
3. Vorschlag für den Inhalt einer Tourenapotheke f ür den Bergsteiger
Der nichtärztliche Bergsteiger wird mit einfachem Wundverbandsmaterial und einer
elastischen Stützbinde in der Regel sein Auslangen finden:
• 2 Dreiecktücker
• Mehrere sterile Wundkompressen 10 x 10 cm
• Elastische Mullklebebinde 8 cm breit
• Pflastertape
• Wundpflaster in verschiedenen Größen
• Elastische Binde 10 cm x 5 m
• Kleine Verbandschere
• Einmalhandschuhe unsteril
• Bleistift und Notizblock
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Soll ein nichtärztlicher Bergsteiger zusätzlich auch Medikamente mitführen? Dabei
muss man zweierlei unterscheiden:
• Medikamente für den Eigengebrauch: Abgesehen von ärztlich verordneten
Dauermedikamenten können und sollen Medikamente mitgeführt werden, die
man aus eigener Erfahrung gelegentlich benötigt und deren Wirkweise man daher
gut kennt (z.B. Blutdruckmittel, Migränemittel, Magenmittel usw.).
• Medikamente für fremde Personen: Als nichtärztlicher Laie sollte man Medi-
kamente, auch wenn man mit ihnen selbst gute Erfahrung hat, niemals an andere
Personen verabreichen (Risken von Fehlindikation, Fehldosierung, Nebenwir-
kungen, Allergien usw).
4. Vorschlag für den Inhalt einer Tourenapotheke f ür den bergsteigenden Arzt
Der bergsteigende Arzt stellt quasi einen Sonderfall dar: Wenn ein Arzt im Gebirge
Zeuge eines Unfalls oder Notfalls wird, gerät er in eine schwierige Situation, wenn er
nicht seinem Können und seiner Ausbildung entsprechend ausgerüstet ist, und zwar
nicht nur aus rechtlichen (gesetzliche ärztliche Hilfeleistungspflicht) sondern wohl vor
allem aus moralischen Gründen. So ist ein Arzt, der Zeuge beispielsweise eines
Asthmaanfalls wird, ohne entsprechende Medikamente ziemlich hilflos.
Entscheidend bei der Zusammensetzung der Tourenapotheke ist jedenfalls immer
die persönliche Qualifikation und Erfahrung (z.B. Fentanyl für den Anästhesisten –
Piritramid für den Nicht-Anästhesisten).
Die folgende Auflistung ist daher keine allgemeingültige Standardempfehlung (siehe
oben), sondern stellt den etwa 800 g schweren Inhalt der ärztlichen Touren-
apotheke des Autors dar:
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Allgemeines: Alufolie
2 Dreiecktücher
PH-Haft-Binde (elastische Klebebinde)
Elastische Binde 12 cm x 5 m
OpSite-Pflaster in verschiedenen Größen
Salbengaze
Verbandmull
Heftpflaster
Einmalhandschuhe unsteril
Einmalskalpell
Lederfingerling
Butterfly Band-Aid (Wundstreifen)
2 Vasofix-Braunülen
Mehrere 5ml-Einmalspritzen und Nadeln
Kleine Verbandschere
Bleistift, Notizblock
Ampullen: Prednisolon (Solu Dacortin 1g) (1)
Dexamethason (Dexabene) (3)
Piritramid (Dipidolor) (3)
Morphin (Vendal) (1)
Ketamin (Ketanaest) (2)
Metoclopramid (Paspertin) (2)
Diazepam (Valium 10 mg) (2)
Biperiden (Akineton) (1)
Epinephrinhydrochlorid (Suprarenin) (2)
Enoxaparin (Lovenox 100 mg Fertigspritze) (1)
Xylocain 2% (1)
Medikamente:
Dexamethason (Fortecortin 4mg Tbl.)
Cetirizin (Cetirizin Tbl)
Famotidin (Famosin 40mg FTbl.)
Nifedipin ret . (Adalat ret. 20mg. FTbl.)
Bromazepam (Lexotanil 3mg Tbl.)
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Acetylsalicylsäure (Herz-Ass 100mg Tbl.)
Ciprofloxacin (Ciproxin 500mg FTbl.)
Azithromycin (Zithromax 500 mg FTbl.)
Diclofenac (Diclofenac 50mg FTbl.)
Valaciclovir (Valtrex 500 mg FTbl.)
Dihydrocodein (Codidol 120mg Tbl.)
Nitroglycerin (Nitrolingual 0,8mg Kps.)
Salbutamol (sultanol Dosieraerosol)
Fusidinsäure (Fucidin Salbe, Fucithalmic Augengel)
Phenylephrin (Vibrocil Nasengel)
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5. Alpinistische Notfallsausrüstung
Beim Bergwandern und Bergsteigen sollte man neben der Tourenapotheke immer,
auch bei noch so schönem Wetter, routinemäßig folgende Ausrüstung im Rucksack
mitführen:
• Samsplint (dient auch als Sitzunterlage)
• Wollhaube
• Wollhandschuhe
• Zwei-Personen-Biwaksack (pro Person !)
• Regenumhang
• Stirnlampe
• Mobiltelefon (siehe unten)
… immer in jedem Rucksack:
Samsplint
Regenumhang
Wollhaube
Wollhandschuhe 2-Personen-Biwaksack
Stirnlampe
Mobiltelefon
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6. Alpiner Notfall: Alarmierung und Ortung
Moderne Technologien der Alarmierung und Ortung mittels Mobiltelefon ermöglichen
neue Perspektiven bei der Alpinrettung. Dazu sind allerdings einige Vorausse-
tzungen nötig: eingeschaltetes Mobiltelefon, bekannte Mobiltelefonnummer, gelade-
ner Akku, Flugwetter, ein vom Mobilfunk versorgtes Gebiet sowie Erreichbarkeit von
Technikern der Mobilfunkbetreiber.
Wichtig ist also, während der Tour (vor allem in „brenzligen“ Situationen) das Mobil-
telefon gesichert (Hosentasche mit Reißverschluss, Rucksack) mitzutragen und stän-
dig eingeschaltet zu haben. Will man von keinen privaten Anrufen gestört werden,
stellt man das Gerät am besten auf „stumm“ und schaltet auch die Vibrationsfunktion
aus.
Das Mobiltelefon hat beim alpinen Notfall zwei Funktionen: Alarmierung und Ortung.
7.1. Alarmierung bei Alpinunfällen über 140 bzw. 14 4
Grundsätzlich ist in Österreich eine Alarmierung über den gebührenfreien Alpin-
Notruf 140 oder über den allgemeinen Rettungs-Notruf 144 möglich. Über diese
Nummern erreicht man rund um die Uhr die zuständige Bezirkseinsatzzentrale des
Roten Kreuzes. Von dort erfolgt eine situationsgemäße Alarmierung und Koordinie-
rung des Rettungseinsatzes (Bergrettung, Flugrettung, sonstige Rettungseinrichtun-
gen bzw. Einsatzkräfte). Weitere mögliche Notrufnummern in Österreich: 122 (Feuer-
wehr), 133 bzw. 112 (Polizei). Diese Alarmierungswege erfolgen über das Telefon-
Festnetz oder über den eigenen Mobiltelefon-Netzbetreiber.
Euro-Notrufnummer 112
Über die EU-weite Notrufnummer 112 erreicht man die nächste Polizei-Einsatzzen-
trale (in Österreich: Polizei-Bezirksleitzentrale), die sofort eine situationsgemäße
Alarmierung an die zuständige Bezirkseinsatzzentrale des Roten Kreuzes veranlasst.
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GSM-Notrufservice 112 unabhängig vom eigenen Netzbe treiber: Alle zugelas-
senen bzw. typisierten GSM-Mobiltelefone müssen über ein einheitliches und zuver-
lässiges Notrufsystem auch außerhalb des persönlichen Netzbetreibers verfügen, um
Hilfe alarmieren zu können, wenn der Empfang des eigenen Netzbetreibers schlecht
oder gar nicht vorhanden ist bzw. wenn man ein Handy eines ausländischen Netz-
betreibers hat.
Mit jedem GSM-Mobiltelefon besteht die Möglichkeit, über jedes vorhandene Netz
einen Notruf 112 abzusetzen. Das Mobiltelefon sucht sich dafür das jeweils stärkste
Übertragungsnetz. Dieses Netz unterscheidet den Notruf automatisch von einem
normalen Telefongespräch: Der Notruf wird mit höchster Priorität behandelt - notfalls
werden andere Gespräche automatisch unterbrochen, um eine freie Leitung zu be-
kommen. Der Notruf kann auch ohne PIN-Eingabe oder überhaupt ohne SIM erfol-
gen.
Wie alarmiert man über 112 ?
• Falls der Empfang schlecht ist, kann es helfen, das Mobiltelefon aus- und
wieder einzuschalten.
• Keinen PIN-Code eingeben.
• 112 wählen und „Abheben“-Taste drücken.
Damit wird der Notruf auch über einen verfügbaren fremden Netzbetreiber gestartet.
Bei jeder Alarmierung eines Notrufes ist unbedingt zu beachten: Alle Fragen der Ein-
satzzentrale beantworten, die eigene Handynummer angeben und das Alarmierungs-
gespräch erst beenden, wenn die Einsatzzentrale dazu auffordert.
7.2. Ortung bzw. Handy-Peilung
Wie bereits erwähnt, sollte der Akku möglichst voll geladen und das Mobiltelefon auf
Tour immer eingeschaltet sein. Es kommt immer wieder vor, dass Opfer keine Zeit,
Fingerfertigkeit oder Kraft mehr haben, einen Notruf abzusetzen bzw. die kleinen
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Tasten korrekt zu bedienen. Möglicherweise liegt man mehr oder weniger hilflos im
Gelände und ist vielleicht sogar bewusstlos. In solchen Situationen leistet ein ein-
geschaltetes Handy mittels der SMS-Technologie wertvolle Dienste.
Das System funktioniert auf folgender Basis: Jedes Handy, das ein SMS erhält,
sendet bei Empfang automatisch ein Signal zurück. Damit kann der Netzbetreiber
den zumindest ungefähren Standort des Betreffenden ermitteln, wobei die Peilge-
nauigkeit in Abhängigkeit von Peilwinkel und Senderentfernung sehr schwankt.
Wichtig dazu sind folgende Voraussetzungen: Sobald eine Alarmierung aus dem
alpinen Gelände erfolgt, muss das Handy eingeschaltet bleiben. Auch soll unbedingt
vermieden werden, mit dem Verunglückten privat zu telefonieren oder private SMS
zu schicken. Das hilft vor allem, die Akkus im Handy zu schonen.
Eine Direktpeilung eines Handy`s vom Hubschrauber aus ist derzeit entgegen
weitverbreiteter Meinung technisch nicht möglich.
Was aber die suchende Hubschraubercrew im täglichen Betrieb gerne nutzt ist der
direkte Gesprächskontakt mit dem Handyträger . Mit dem GSM-Telefon an Bord
kann der Pilot durch gegenseitiges Einweisen – per Sprache oder im Handy gehörten
Hubschrauberlärm – das Auffinden der in Not geratenen Person erleichtern.
Kapruner Bergführerverein um 1895
In der Frühzeit der Alpinistik lag die Rettung aus Bergnot in den Händen der
ortsansässigen Bergführer