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„STATE OF MATTER“, PUBLIKUMSPREIS 2011
INTERNATIONALER WETTBEWERB FÜR CHOREOGRAPHEN
IHSAN RUSTEM
FOTO: ALEXANDER SPIERING
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#01 / TANZ
EIN ENSEMBLE AUS INSTITUTIONEN
UND INITIATIVEN
HANNOVER IST TANZ
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… und Tanz ist nur der Auftakt zu einer kleinen,
feinen Reihe, die in loser Folge die verschiedenen
Kunstsparten, aber auch übergreifende Themen mit
KünstlerInnen, Institutionen und Initiativen als
Kultur im Dialog beleuchtet.
Für jedes einzelne Thema geht es um eine gemeinsa-
me Standortbestimmung: Dazu gehören der Rückblick
auf bisherige Entwicklungen, die Präsentation der
Kunstschaffenden und ihrer Arbeit. Aber es geht
natürlich auch um einen Ausblick auf den weiteren
Weg der Förderung und Zusammenarbeit.
Der Tanz macht den Anfang. Vielleicht ein we-
nig überraschend, weil die Szene klein zu sein
scheint. Aber dieses Signal ist bewusst gesetzt,
denn die Geschichte des Tanzes in Hannover war
einmal glanzvoll und in den vergangenen Jahren hat
sich wieder viel getan, um an die alte Relevanz
neu anzuknüpfen.
Was muss geschehen, damit staatliche Institutio-
nen und freie Initiativen gut miteinander arbeiten
können und wie müssen Angebote verzahnt werden,
damit Wirkungsketten entstehen? Von diesen Fragen
haben wir uns im Netzwerk Tanz leiten lassen.
Eckpfeiler der hannoverschen Tanzlandschaft sind
die Staatsoper Hannover mit ihrem Ballett, die
Eisfabrik und das Tanzhaus der Compagnie Fredeweß
mit freien Produktionen, das TANZtheater INTERNA-
TIONAL als renommiertes Festival und natürlich der
Internationale Wettbewerb für Choreographen.
Sie stärker zueinander in Bezug zu setzen, ist das
Anliegen des Netzwerks. Dazu wollen wir Akzente
setzen bei der Präsenz und dem Austausch von Tanz-
kunst in der Stadt und mit der Intensivierung von
Vermittlungsangeboten.
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Für die Zusammenarbeit verschiedener Compagnien
mit Schulen zeichnet sich bereits eine sehr erfreu-
liche Entwicklung ab. Dafür gebührt dem Ballett der
Staatsoper und der Compagnie Fredeweß besonderer
Dank. Wir wollen Kunst vermitteln und unabhängig
von der sozialen Herkunft Teilhabe gestalten. Dafür
müssen wir Schulen für künstlerische Lebenswelten
öffnen und Kunstorte für Vermittlung interessieren.
KünstlerInnen und Gastspiele in die Stadt einzula-
den und die Zeiträume zwischen den großen Events
zu füllen mit Residenzen, die in Aufführungen nicht
nur in Hannover münden – das sind die Stichworte,
um die Präsenz des Tanzes zu stärken.
FOTO: CHRISTIAN TEPPER
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Dank gilt den Förderern wie zum Beispiel der Stif-
tung Niedersachsen, der Niedersächsischen Sparkas-
senstiftung, der Stiftung Kulturregion Hannover,
der TUI Stiftung oder dem Land Niedersachsen, die
mit ihrem langjährigen und kontinuierlichen En-
gagement das Gefüge der Tanzlandschaft gewähr-
leisten.
Wir hoffen, dass wir mit Ihnen auch die Zukunft des
Tanzes gemeinsam bestreiten können.
Denn: Kultur kann nur partnerschaftlich gelingen.
Dazu sind auch Sie herzlich eingeladen!
Marlis Drevermann
Kultur- und Schuldezernentin
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VON HÖFISCHENVERGNÜGEN
AUSDRUCKSTANZUND DEM BALLETT DERSTAATSOPER HANNOVER
HEUTE
#01 / TANZ
HANNOVER - EINE TANZGESCHICHTE
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EINE HANNOVERSCHE AUSNAHMEERSCHEINUNG – MANJA CHMI L
Kompakt. Rothaarig, noch im fortgeschrittenen Alter.
Mit wachen Augen. Und einem skeptischen Geist. So
saß Manja Chmiél in ihrem Sessel und schaute die
Besucherin abwartend an. Die Ruhe täuschte! Denn
die 1922 geborene Chmiél war nicht nur eine fu-
riose, „erdige“, ungewöhnliche Solistin, sondern auch
eine herausragende, temperamentvolle Tanzmeisterin.
Ihre Schülerin, die Tanzpädagogin Irene Sieben,
erinnerte sich in einer Hommage an Manja Chmiél:
„Sie schlingerte, federte, tänzelte durch den Raum
(...). Dabei saugten sich ihre Füße wie kleine Raupen an
den Boden und schnellten weg wie von Katapulten abge-
schossen. Sie tasteten und suchten Widerstand. Später
nannte sie es „Milchtritt“ (wie bei kleinen Kätzchen)
oder „Honigfäden aus dem Boden ziehen“. Die Füße
wurden so bereit zum Spiel mit der Schwerkraft: pul-
sierend oder in furiosem Stakkato (...). Und ich wusste:
Das war‘s. So wollte ich tanzen und nicht anders.“
Wie Irene Sieben ging es vielen begabten jungen
Leuten: Sie erkannten im Tanz- und Lehrstil von Manja
Chmiél etwas zutiefst Menschliches, etwas, das dem
eigenen Lebensgefühl entsprach. Nach dem Zweiten
Weltkrieg hatte man an die Tanztradition des Expres-
sionismus nicht einfach anknüpfen können.
FOTO: JÖRG MANNES
„LUX“
STAATSOPER HANNOVER
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Das feierliche Pathos der in Hannover geborenen
Mary Wigman hatten die Nazis versucht, in Misskre-
dit zu bringen. Die Düsternis von Dore Hoyer schien
vielen schwer zu ertragen. Viele Ballettmeister und
ChoreographInnen in Deutschland besannen sich nach
dem Krieg auf ältere Traditionen, auf das klassische
Ballett. Zumindest ging man damit kein allzu großes
Risiko ein, unterhielt man das Publikum, das ver-
sessen auf „das Schöne“ war, auf vertraute Weisen.
Verstörung fand anderenorts statt: in der Malerei,
in der Literatur oder in der Musik. Manja Chmiél aber
war dabei, einen eigenen Weg zu finden, zunächst in
Berlin in Mary Wigmans Tanzstudio, dann, von 1971 an,
in Hannover. Sie war und blieb gelernte Ausdrucks–
tänzerin – aber nicht so hochfahrend-pathetisch,
ja bisweilen hysterisch wie Mary Wigman, nicht so
verkopft wie die in Dresden lebende Gret Palucca.
Eigentlich war der Stil
von Manja Chmiél maß-
voll. Dabei voller Le-
benslust und -freude.
Schaut man sich die alten
Fotos an, kann man den
Weg Chmiéls mühelos
nachverfolgen: Wie es
begann, mit stark rhyth-
mischen Tänzen, mit den
Versuchen, neue, fremde
Klänge aus Afrika und Ozeanien einzubeziehen. Tänze-
risch hätte man mit Manja Chmiél die Welt entdecken
können!
Dann, in den 1960ern, als die Deutschen wieder
selbstbewusster wurden, als die Malerei sich auf
abstraktes Terrain wagte, nahmen auch Manja Chmiéls
Choreographien „das Neueste“ selbstverständlich auf:
Elektronische Klänge, abstrakte Musik wurden be-
stimmend – neben Gassenhauern wie Dave Brubecks
„Take Five“.
„Schon eigenartig, wie ver-
sessen die Menschen in Hanno-
ver beim Tanz auf Geschichten
sind, auf Handlungsballette.
Sie sind nicht so sehr für die
Abstraktion. Das muss man
wissen, darauf muss man Rück-
sicht nehmen.“
— JÖRG MANNES, BALLETTDIREKTOR
DER STAATSOPER HANNOVER
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Mit Tanz-„Geschichten“ machte Manja Chmiél auch in
Hannover Furore.
Eigentlich war Manja Chmiél ein Chamäleon. Ganz
Körper, ganz Membran. Tanzprofis und Lehrmeister–
Innen aus anderen Ländern haben das viel früher
erkannt als ihre eigenen Mitbürger. Das Tänzerpaar
Eiko & Koma hat sie nachhaltig geprägt. Und es war
eine Chance für die Stadt, als Manja Chmiél begann,
auch Laien zu unterrichten.
FOTO: KURT JULIUS
„DER GOLEM”
BALLETT DER OPER HANNOVER
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Aber ihr selbstverständlicher Tanzstil, dem alles
Aufgesetzte, Exaltierte fremd war, war vielleicht
nicht spektakulär genug, zu wenig repräsentativ. Man
hat sie in Hannover oft übersehen.
Dabei passt das spezifisch „Normale“, Unaufgeregte,
Selbstverständliche in ihrem Tanz wie in ihrem Un-
terricht eigentlich perfekt zur Tanztradition in der
höfisch geprägten, unaufgeregten Stadt. Denn schon
früher ging es in Hannover nicht um Höchstleistun-
gen – dafür waren eher Paris und Sankt Petersburg
zuständig — sondern um Festlichkeit, die jedoch
nicht einschüchterte, sondern eher zum Mitmachen
einlud. Ein Blick in die Geschichte lehrt das.
BALLETT UND TANZ IM HISTORISCHEN HANNOVER
Wie entspannt die Leute in Hannover waren! In den
historischen Quellen ist überliefert, wie Herzog
Ernst August den venezianischen Karneval nach Han-
nover holte. Die Aufführungen kombinierten unerschro-
cken Tanz und Theater, Akrobatik und Oper – auf ge-
wisse Weise nahm das Barock die „Projektbegeisterung“
des 21. Jahrhunderts vorweg.
Bereits für das 18. Jahrhundert wird in hannover-
schen Quellen von einem „Hoftanzmeister“ berich-
tet. Der bestritt gleichermaßen die Aufgaben eines
Choreographen, Ballettmeisters und Tanzlehrers. Er
konnte sich auf die Ausbildung einer festen Compa-
gnie verlassen, die es in Hannover schon seit 1699
gab – Tanzmeister Desnoyé hatte die ersten sechs
TänzerInnen der Stadt angeleitet. Ihre Namen weiß
man nicht mehr. Die ersten „Stars“ für die hanno-
versche Tanzszene sind erst für die Mitte des 19.
Jahrhunderts überliefert. Berühmt wurden „Tanzfami-
lien“ wie die Koblers, auch die junge Adele Grantzow
machte Karriere, sogar in Paris und in Russland.
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Hannover und die Frauen. Das wäre eine eigene Un-
tersuchung wert. Denn neben den Ballettmeistern wie
Franz Degen und Willi Strigl waren es vor allem die
Damen aus dem Corps de Ballett, die ins kollektive
Gedächtnis eingehen sollten. Neben den Tänzerinnen
prägten später die Choreographinnen Hannovers Bal-
lettszene. Vor Manja Chmiél: Mary Wigman. Und Yvonne
Georgi.
YVONNE GEORGI UND DAS HANNOVERSCHE STAATSBALLETT
– DIE ENTWICKLUNG VON DEN 1920ER JAHREN BIS HEUTE
In einer ersten Phase arbeitete Yvonne Georgi von
1926 bis 1936 in Hannover. Wohlgemerkt: Als Vertre-
terin des modernen Tanzes leitete sie die Ballettab-
teilung des städtischen Theaterhauses — so locker
nahmen es die HannoveranerInnen damals mit Tradition
und Avantgarde! Ihr Glück war der Solist Harald
Kreuzberg, der den Ruhm der Tanzstadt Hannover ins
Ausland trug.
Georgis Nachfolgerin am damals noch städtischen
Opernhaus in Hannover wurde die Dresdnerin Alice
Zickler (1903 - 1992), eine Choreographin und Tän-
zerin, die wie Elisabeth Elster in Kiel, Ilselore
Wöbke in Heidelberg und Ruth Wolf in Görlitz zu
einer Generation von Frauen gehörte, die das Ballett
nicht unbedingt erneuerten, keine bahnbrechenden
Triumphe vorwiesen, jedoch nach dem Zweiten Welt-
krieg dafür sorgten, dass es weiterging – und dafür
viele persönliche Opfer auf sich nahmen.
1954 kehrte Yvonne Georgi nach Hannover zurück. Bis
1970 leitete sie das Ballett – eine große Erfolgsge-
schichte, die aber auch lehrt, dass Kontinuität im
Ballett womöglich noch entscheidender ist als in den
anderen theatralischen Künsten.
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Unnachahmlich selbstverständlich ignorierte Georgi
die damals heftigen Grabenkämpfe von Verteidigern
des klassischen Balletts gegen die anrückenden
Truppen des modernen Tanzes – und entwickelte unge-
rührt ihr eigenes „Ding“, eine herzhafte (und nicht
kopierbare) Mischung aus beidem.
Wirklich daran angeknüpft hat aber keiner ihrer di-
rekten Nachfolger, weder Lothar Höfgen noch Mehmet
Balkan. Lothar Höfgen allerdings holte viele bedeu-
tende, internationale ChoreographInnen nach Hannover.
DIE ÄRA THOSS
Erst mit Stephan Thoss kam dann ein Tänzer und
Choreograph aus der Dresdner Palucca-Schule, der
mit seiner eigentümlichen Mischung aus exzellenter
klassischer Ausbildung und modernem Tanzverständnis
das hannoversche Ballett wieder zeitgemäß machte.
Ab 2001 schuf er für das hannoversche Ballett, das
nun zu 100 Prozent dem Land gehörte, rund 20 Choreo-
graphien. Etliche Talente gingen aus seiner Schule
hervor – auch der junge Felix Landerer.
FOTO: KURT JULIUS
“DIE GESCHÖPFE DES PROMETHEUS”
BALLETT DER OPER HANNOVER
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DIE GEGENWART: DAS BALLETT VON JÖRG MANNES
An der Staatsoper übernahm im Jahr 2006 der ge-
bürtige Wiener Jörg Mannes, ein leidenschaftlicher,
ganz und gar heutiger Choreograph, der die immer
noch vorhandene Barriere zwischen klassischem Bal-
lett und Tanztheater immer neu verschiebt – und
bisweilen ignoriert. Er studiert sein Publikum und
sieht, wie es sich verändert.
Jörg Mannes will bei allem An–
spruch niemanden ausschließen:
Bei den Ostertanztagen der
Staatsoper gibt es neben dem
Festivalprogramm, mit dem
Hannover vorübergehend in
eine „Tanzstadt“ verwandelt
wird, ein anspruchsvolles
Förderprogramm für Kinder
– die Staatsoper kooperiert
dabei besonders mit den Bal-
lettschulen. Und hier schließt sich ein Kreis, denn
die meisten LeiterInnen der Ballettschulen tanzten
früher selbst an der Staatsoper - viele kommen aus
der Compagnie von Lothar Höfgen.
Unabhängig davon entwickelt sich gleichzeitig auf
einer anderen Ebene in
der hannoverschen Südstadt auf unaufgeregte Weise
die „Eisfabrik“ als weiteres, kleines Zentrum –
es könnte Standort für Landerers freies Ensemble
werden, auch Spielort für kleine Festivals, die das
längst etablierte TANZtheater INTERNATIONAL ergän-
zen. Die „Eisfabrik“ war immer schon ein Ort und ein
Hort des Experiments, der Avantgarde, und das soll
auch so bleiben.
„Jeder soll etwas vom Ballett haben.
Der, der keine Ahnung hat und ganz
unvorbereitet kommt, kann doch eine
Emotion mitnehmen, ein Gefühl. Der-
jenige, der ein bisschen weiß, soll
mehr verstehen lernen. Und derjenige,
der sich genau auskennt und gerade
das Programmheft aus der Hand gelegt
hat – den wollen wir überraschen.“
— JÖRG MANNES, BALLETTDIREKTOR DER
STAATSOPER HANNOVER
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DAS BALLETT DER STAATSOPER
HANNOVER LEHRT DIE STADT
DAS TANZEN
#01 / TANZ
EINE KLASSE FÜR SICH
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30 TänzerInnen aus zwölf Nationen – sie formen das
Ballett der Staatsoper Hannover. Seit der Spiel-
zeit 2006/2007 wird es von Jörg Mannes geleitet.
Der Spielplan bietet in jeder Saison mindestens
drei Neuproduktionen, ebenso viele Wiederaufnahmen
bleiben im Programm. Die Choreographien des Ballett-
direktors präsentieren ein breites Spektrum
zwischen reinem Tanz- und Handlungsballett. Dane-
ben sind herausragende Werke international renom-
mierter Choreographen – wie Nacho Duato, William
Forsythe, Mauro Bigonzetti, Johan Inger, Kinsun
Chan und Nils Christe – im Programm. Die Aufführungen
des Balletts der Staatsoper Hannover erfahren regen
Zuspruch in Stadt und Region Hannover, aber auch
weit darüber hinaus. Jährlich werden rund 40.000
ZuschauerInnen gezählt.
Neben dem eigentlichen „Kerngeschäft“ des Balletts,
dem Bühnentanz, gibt es aber weit mehr Berührungs-
punkte mit den BürgerInnen der Landeshauptstadt
Hannover und der Region:
So fand ein Höhepunkt des Norddeutschen Tanz-
treffens in Hannover im Juni 2010 großes Interesse,
auch bei den Medien: 1.055 HannoveranerInnen hatten
sich getraut, dem Aufruf des Balletts zu folgen
und versammelten sich auf dem Opernplatz zu einem
gemeinsamen Exercise an der Stange. Als größte
Ballettklasse der Welt schafften sie es ins Guinness
Buch der Rekorde.
Zu den Veranstaltungen des Balletts, bei denen die
BewohnerInnen der Stadt einbezogen werden, gehört
auch die beliebte Reihe „Tanz unterm Dach“. Hier
beobachten Interessierte im Ballettsaal die Arbeits-
weise und den Probenprozess des Ballettensembles.
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In dem Kurs „Die Spätbewegten“ lädt das Ballett
Menschen ab 45 Jahren ein, unter der Leitung von
Mathias Brühlmann ihrer Lust an Bewegung zu frönen.
Inzwischen haben 600 Frauen und Männer an den ver-
schiedenen Kursen teilgenommen.
Ein wesentlicher Teil der Ensemblearbeit ist in-
zwischen die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Das Ballett bietet bis zu sieben Schulklassen pro
Spielzeit die Möglichkeit, als Premierenklasse eine
Produktion zu begleiten.
Seit April 2012 bekommt das Ballett der Staatsoper
Hannover (als eine von zwölf Compagnien in Deutsch-
land) eine Förderung als Tanzfonds Partner. Das ist
eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes. Das
Projekt – in Kooperation mit der IGS Linden – wird
zudem von der Stadt Hannover gefördert.
Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Ballett ist
auf drei Jahre angelegt. Während dieses Zeitraums
werden insgesamt 75 SchülerInnen zusammen mit Büh-
nenprofis und TanzpädagogInnen jährlich eine Produk-
tion erarbeiten. Die Ergebnisse werden jeweils in
einer Reihe öffentlicher Aufführungen im Ballhof, im
Schauspielhaus und im Opernhaus des Niedersächsi-
schen Staatstheaters präsentiert.
Den Kindern und Jugendlichen die fremde Welt
des Tanzes und der Bühne in der alltägli-
chen Welt der Schule nahezubringen, war von
Beginn an eine Herausforderung für alle Be-
teiligten. Wenn sich Profis und Laien gegenseitig
unter großer Anspannung zu einer gemeinsamen Leis-
tung motivieren, entwickeln sich unerwartete und
anrührende Momente im Umgang miteinander, die im
gemeinsamen Auftritt vor Publikum ihren Höhepunkt
erleben.
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Den Mut zu haben, sich Ablehnung und Kritik der
SchülerInnen offen auszusetzen, ist für die profes-
sionellen Tanzschaffenden eine Investition, die sich
durch ein ehrliches und offenes Feedback auszahlt.
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen an diesem
Projekt erfordert eine ungleich stärkere Konzentra-
tion auf die Belange der jungen AkteurInnen als auf
die geplanten eigenen Ideen.
Die Dynamik der Schülergruppen, mal mit den pro-
fessionellen AkteurInnen, mal gegen sie, ist ein
ständiges Auf und Ab. Dennoch kommt es zum Schluss
für alle Teilnehmenden zu einem besonderen Erlebnis.
Ob der Tanz, das Gruppenerlebnis oder einfach das
Theatererlebnis als Erinnerung bleibt, wird die
Zeit weisen. Den SchülerInnen Hannovers ein per-
sönliches Beispiel der eigenen (Tanz)Leidenschaft
geben zu können und sie möglicherweise nachhaltig
zu ermutigen, eigene Energien und Perspektiven wei-
terzuentwickeln, ist auch das zukünftige Ziel des
Balletts.
FOTO: JÖRG MANNES
“SISSI”
BALLETT DER STAATSOPER HANNOVER
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EINE BEGEGNUNG MIT FELIX LANDERER
#01 / TANZ
BREITES KREUZ
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So ein breites Kreuz! Kein Wunder, dass die Tänzerin
Knieschützer trägt beim Pas de deux. Ihr Partner,
der Tänzer und Choreograph Felix Landerer, ent-
spricht auf den ersten Blick so gar nicht dem
Klischee eines Tänzers.
Weder schaut er halb verhungert aus, noch wirkt
sein athletischer Körper wie das übliche, narben-
übersäte Schlachtfeld des leidgeprüften Tänzers.
Nein, Felix Landerer ist durchtrainiert, offen,
eher der Typ des sportlichen Jungen als der des
ephemeren Knaben. Wenn man sich das Video anschaut
zur Produktion „Hotel Many Welcome“, übersieht
man zunächst die Präzision der Arbeit, auch das
Feingearbeitete, weil Landerers vehemente Körper-
lichkeit ins Auge springt. Der, so denkt man,
fällt bei Mahler-Musik nicht sachte in Ohnmacht –
der schlägt eher ein Rad zu heftigem HipHop.
Die Nonchalance des Spätberufenen – da sind Männer
eindeutig im Vorteil. Denn Felix Landerer kam erst
mit 16 Jahren zum Tanz; für ein noch so begabtes
Mädchen wäre das zu spät gewesen.
FOTO: RALF MOHR
FELIX LANDERER
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Landerer machte mit bei der Jazztanz-AG in der
Schule, seine Schwester hatte ihn mitgenommen
zum Training in Hameln. Das erzählt er im Bistro
in der hannoverschen Südstadt, einen Teller Pasta
vor sich, eine Apfelschorle – in der Mittagspause,
mitten im Training für das neue Stück, heißt es,
schnell Kohlenhydrate zu sich zu nehmen.
Landerer erinnert sich an seine Anfänge und wirkt
dabei, als sei das Urzeiten her, nicht erst ein paar
Jahre. Sein Leben ist dichtgedrängt, voller Arbeit,
sich beschleunigend seit einiger Zeit.
Aber damals, in Hameln? Es begann als typisches
Tänzer-Schicksal: Um ihn herum lauter Mädchen. „Das
motivierte“, sagt Felix Landerer lachend. Das
Sportliche habe ihn gereizt, das sich Bewegen.
Er habe gemerkt, dass er’s kann, aber dass er
daraus mehr, gar einen Beruf machen sollte, darauf
mussten ihn andere bringen. Die erste Trainerin
sagte es ihm nachdrücklich. Er hat ihr geglaubt
und wechselte ans Tanzgymnasium in Essen-Werden.
FOTO: RALF MOHR
“HAUT”
LANDERER&COMPANY
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HANNOVER IST TANZ
STAATSOPER HANNOVER“LUX”FOTO: JÖRG MANNES
WWW.OPER-HANNOVER.DE
HANNOVER IST TANZ
LANDERER&COMPANY“TRAUMATORIUM”FOTO: RALF MOHR
WWW.FELIXLANDERER.DE
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So einfach? So einfach. Es folgten zwei Jahre in
Frankfurt, und irgendwo dazwischen muss Landerer
das Künstlerische am Tanz entdeckt haben – und mit
dem Künstlerischen kam ein unbändiger Ehrgeiz.
Das, was seine MitschülerInnen in acht Jahren
Unterricht entwickelten, holte Landerer in vier
Jahren nach.
Er hatte ja keine klassische Ausbildung, er hatte
nicht mit vier Jahren an der Stange im Ballettsaal
gestanden, genau kontrolliert von einem Ballett-
meister, angetrieben womöglich von einer ehrgei-
zigen Mutter. Landerer hatte nur sich. Und seinen
Körper, den er nun, mit 18, 19 Jahren in die
Geschmeidigkeit eines Kindes „zurücktrainieren“
musste. Das gelang.
Weil sein Körper entsprechende Voraussetzungen
hatte, sagt Landerer, die eigene Leistung herun-
terspielend, und weil er durch genaue Beobachtung
wettmachte, was ihm an naiver Bedenkenlosigkeit
fehlte.
Das ist auch sein Prinzip als Tänzer und Choreograph
geblieben. Während andere sich in die Probenar-
beit stürzen, sich und ihre TänzerInnen trainieren,
bis buchstäblich Blut fließt – wartet Landerer erst
einmal ab. Und schaut. Nach dem raschen Mittagessen
geht es zurück in die Zentralhalle in der „Eisfab-
rik”. Dort ist es vor Probenbeginn still – mit dem
Beginn der Probe aber wird es noch stiller. Unwill-
kürlich bewegt man sich auf Zehenspitzen. Landerer,
der hier mit fünf TänzerInnen sein neues Stück „IL-
LUmeNATION“ einstudiert, schaut erst mal hin. Und
genau zu. Und sagt dann: „Let‘s work the material.“
Bewegungsabläufe, Einstiege, Begegnungen, Distanzie-
rungen, zu zweit, zu dritt, in der Gruppe und dann
die „Transitions“, die Übergänge.
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Hier will der Choreograph durchaus prüfen, aber er
tut es leise, unterstützend, hilft hier mit einer
Bewegung, dort, indem er selbst eingreift, zugreift,
mitmacht. TänzerInnen sind keine Aufschneider. Jeder
Bluff entlarvt sich auf dem Tanzboden in Windeseile
selbst. Vielleicht kommt man hier deshalb auch so
schnell zum Kern.
Landerer zuckt die Schultern. „Letztlich kommt es
auf Weniges an, was einen guten Tänzer ausmacht.“
Was? „Die meisten kommen ja noch über die klas-
sische Ausbildung“, sagt er. „Aber das muss nicht
sein.“ Worauf es ankommt ist: Die Bewegung muss
schnell und gut antizipiert werden. Was will der
Choreograph? Sehe ich das, bevor es zu sehen ist?
Setze ich es um, noch bevor ich es begreifen kann?
Es komme weiter darauf an, sagt Landerer, dass man
Verständnis für die Bewegungssprache an sich habe.
Man müsse die gesprochene Sprache aufnehmen und für
den Körper „übersetzen“.
„Und“, sagt Landerer, „man muss entspannt arbeiten.
Nicht über Druck, sondern neugierig, positiv, nicht
gehorsam.“
FOTO: RALF MOHR
“HAUT”
LANDERER&COMPANY
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Da hat man freilich schon anderes gehört. Landerer
nickt. Er zweifelt, ob er jungen Leuten raten soll,
professionelle TänzerInnen zu werden. Auch aus ei-
gener Erfahrung.
„Ein Problem,“ sagt Landerer, „ist die Ausbildung.
Nicht die der Tänzer - sondern die der Ausbilder.“
Die meisten waren selbst TänzerInnen, SolistInnen,
sie leiden manchmal noch unter dem Ende ihrer Büh-
nenkarriere – „und Pädagogik haben sie nicht unbe-
dingt gelernt“. Zwischenmenschlich kann die Tanzwelt
sehr hart und hierarchisch unfair sein.
„Ich war ein unerträglicher Tänzer “, sagt Landerer
lächelnd. Unerträglich? „Ja“, bestätigt Landerer.
Unentspannt. Perfektionistisch und ungeduldig sei
er gewesen. Deshalb ist er froh, dass er nun Cho-
reograph und Tänzer ist – in dieser Reihenfolge. Und
versuchen kann, es anders zu machen.
Von der nächsten Spielzeit an ist Landerer Residenz-
choreograph beim “Scapino-Ballett” in Rotterdam.
Er entwickelt Stücke für Luzern, das schwedische
Norrdans, auch im brasilianischen Curitiba hat er
gearbeitet.
Der eigene Erfolg ändert nichts an Landerers skep-
tischem Blick auf den Beruf. Geld zu verdienen gibt
es kaum. Und entweder man ist Mitglied in einer
Compagnie, hat dann zwar zu tun – aber womöglich
nur wenig Dinge, hinter denen man auch stehen kann.
Deshalb, meint Landerer, seien die allerwenigsten
TänzerInnen glücklich. Oder man wählt den Weg in die
Freiberuflichkeit – und leidet oft unter Existenz-
sorgen. Deshalb würde Landerer angehenden TänzerIn-
nen auch nie raten, an „die beste Schule” oder an
„das beste Haus“ zu gehen, sondern schlicht dahin,
„wo man sich gut aufgehoben fühlt“.
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TANZ BEI COMMEDIA FUTURA:
WOLFGANG UND PETER PIONTEK
#01 / TANZ
DIE GRENZGÄNGER
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COMMEDIA FUTURA war von Anfang an ein Projekt von
Grenzgängern. Der studierte freie Künstler Wolfgang
A. Piontek, der bei Manja Chmiél (1922 - 2006) das
Tanzen erlernte, hatte mit „Beziehungsmee/hr“ (1982)
sein erstes Theaterstück konzipiert. Und das erste
Stück war gleich Programm:
Piontek versammelte für die Insze-
nierung andere KünstlerInnen, The-
aterleute und eben auch die Tän-
zerInnen Angelika Saremba, Katinka
Zechner, Inghilt Wiedel und Knut
Gottfriedsen um sich.
„Das Geheimnis“, 1983 in Zusam-
menarbeit mit der amerikanischen
Tänzerin Doris Seiden entstanden,
war ebenso ein Cross-Over-Projekt
wie später „Kulterer“ (1988).
1988 weihten die KünstlerInnen um Wolfgang A. Piontek
nach dem Einzug in die „Eisfabrik“ den „Schwarzen
Saal“ ein. Ursula Wagner — als Tänzerin Meister-
schülerin von Manja Chmiél — zeigte ihr Tanzprojekt
„Transito“, das erste, das an diesem Ort gezeigt
wurde. Drei Jahre später stieß Peter Piontek zur
Theatertruppe in der „Eisfabrik”. Mit der eigenen
Spielstätte war COMMEDIA FUTURA nicht mehr nur pro-
duzierende Theatergruppe, sondern auch Veranstalte-
rin. Und der Tanz bildete von jeher einen Schwerpunkt
der Veranstaltungstätigkeit.
So fanden von 1990 bis 1995 die „Tanztheatertage“ im
Frühjahr in der „Eisfabrik“ statt. Mit dem avan-
cierten Butoh-Gendai-Arts-Projekt-Festival holte man
schon im Jahr 1990 die japanische Variante des Aus-
druckstanzes nach Hannover – zu einem Zeitpunkt, als
Butoh, Gendai und die anderen Formen des modernen
japanischen Theaters sowie die sogenannten „Martial
Arts“ noch längst nicht en vogue waren.
„Uns reizen seit jeher Cross-
Over-Projekte, die Grenzgänge
zwischen Theater, Tanz und Bil-
dender Kunst, die Vielfalt auf
der Bühne, der bewegte Körper,
der einen anderen Ausdruck und
eine andere Erzählweise ermög-
licht als das Sprechtheater.
Bewegte Körper erzählen etwas,
das direkt die Sinne und Emo-
tionen anspricht.“
— WOLFGANG A. PIONTEK
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1993 inszenierte Wolfgang A. Piontek in Zusammenar-
beit mit Zwaantje de Vries, die mit den Methoden der
„Dansexpressie“, einer niederländischen Variante
des Ausdruckstanzes, arbeitete, und der Butoh-Tän-
zerin Sumako Koseki „Die Verwandlung“ nach der Er-
zählung von Franz Kafka. Die Produktion wurde auch
auf dem „Waves“-Festival im dänischen Vordingborg
gezeigt. Zu dieser Zeit war der Kölner Butoh-Tänzer
Gregor Weber bereits Ensemble-Mitglied der COMMEDIA
FUTURA.
Mit Weber realisierte man die Tanztheater-Produktion
„Der Panther“, eine Choreographie der japanischen
Butoh-Tänzerin Anzu Furukawa (1952 - 2001).
Diese Produktion wurde beim Festival TANZtheater
INTERNATIONAL 1996 gezeigt, das Stück „Bitte nicht
füttern“, von Gregor Weber inszeniert, beim Frauen-
festival in Oldenburg.
FOTO: RALF MOHR
“VERSUCHUNGEN”
COMMEDIA FUTURA/LANDERER&COMPANY
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COMMEDIA FUTURA setzt gerade im Tanz auf kontinu-
ierliche Zusammenarbeit mit internationalen Part-
nerInnen, deshalb kehrte auch Zwantje de Vries 1994
zurück – mit einer Version des „Hohenlieds“, als
Solo für eine Tänzerin, inszeniert von dem Choreo-
graphen R’douan Baroud.
Eine Entscheidung der Staatsoper im Jahr 2006 sollte
dann für COMMEDIA FUTURA direkte Folgen haben: Das
Ballett-Ensemble von Stephan Thoss an der Staatsoper
Hannover wurde aufgelöst. Dies bot Gelegenheit, den
nun heimatlos gewordenen Tänzer Felix Landerer in
die „Eisfabrik“ zu holen, der damals bereits erste
eigene Choreographien erarbeitet hatte.
Felix Landerer arbeitete zunächst als Choreograph
für COMMEDIA FUTURA, er entwickelte das Stück „Up
to 70 cm“ im Jahr 2007, ein Jahr später „Vom Enden
der Dinge“.
FOTO: WOLFGANG A. PIONTEK
“DAS BEZIEHUNGSMEE(H)R”
COMMEDIA FUTURA
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Wie gut die Zusammenarbeit funktioniert, zeigen
die im Jahr 2009 und 2010 entstandenen Produktionen
„Close to Paradise“ und „Hotel Many Welcome“. Seit
2010 arbeitet Landerer auch unter Landerer&Company
mit eigenen Produktionen in der „Eisfabrik”.
Das Zusammenspiel von Theater und Tanz scheint
jedoch noch lange nicht ausgereizt. Immer neue
Spielformen ergeben sich. Daher hat COMMEDIA FUTURA
in der „Eisfabrik“ eine Reihe von Kooperationspro-
jekten begonnen. Im Jahr 2008 entstand „Himmel und
Hölle“. Hier waren neben Felix Landerer auch die
Tänzerinnen/Choreographinnen Zufit Simon und Sabine
Seume dabei. Und bei „Traumatorium“ in 2011 wurde
ein und dasselbe Material zunächst mit Mitteln des
Tanzes untersucht - ein Parallelogramm, bei dem die
ZuschauerInnen unwillkürlich zu der (inneren) Ent-
scheidung genötigt werden, welche Darstellungsform
ihnen mehr entspricht, sie eher berührt.
FOTO: RALF MOHR
„TRAUMATORIUM“
COMMEDIA FUTURA/LANDERER&COMPANY
/ 33
32
Als Grenzgänger sind die Pionteks offen für neue Ent-
wicklungen. Der Schwerpunkt der Arbeit verschiebt
sich ständig, weil sie von den Qualitäten der Men-
schen abhängt, mit denen die Künstler arbeiten. Zum
Beispiel entwickelt sich Felix Landerer in seinen
COMMEDIA FUTURA- und den „Eisfabrik“-Produktionen
mit Landerer&Company viel stärker in Richtung
Tanztheater als in den reinen Tanzstücken, die er
in anderen Häusern choreographiert.
Es gab in der „Eisfabrik“ bereits einzelne Sommer-
Residenzen. Silke Z. hat hier mit ihrem Ensemble ge-
arbeitet sowie die Gruppen Ludica und Kubilai Khan,
die hier das Stück „Kokodoko“ produziert haben. In
einer Reihe offener Proben wurde die Arbeit 2006
im Rahmen des Festivals TANZtheater INTERNATIONAL
vorgestellt und eine Uraufführung gezeigt. Später
ist die Produktion durch Europa und bis nach Kanada
getourt.
Die „Eisfabrik” genießt große
Akzeptanz beim Publikum. COM-
MEDIA FUTURA hat sich über die
Jahrzehnte ein Stammpublikum
erarbeitet. „Es gibt die Zu-
schauer, die mit uns älter ge-
worden sind“, stellt Wolfgang
A. Piontek fest, „ebenso wie
junge Leute oder eine spezi-
fische Klientel, die Felix Landerer noch vom Opern-
haus her kennt.”
Die mediale Wahrnehmung der „Eisfabrik“, so Peter
Piontek, lasse jedoch stark zu wünschen übrig.
Überregionale Medien seien seiner Einschätzung nach
generell schwer für das zu interessieren, was in
Hannover geschieht.
„Das mag auch mit der zwiespäl-
tigen Selbstdarstellung, dem man-
gelnden Selbstbewusstsein unserer
Stadt zu tun haben.
Hannover hat das Festival TANZthe-
ater INTERNATIONAL, ist im Übrigen
in Sachen Tanz aber eher Entwick-
lungsgebiet als Monopolregion.“
- PETER PIONTEK
34
COMMEDIA FUTURA arbeitet in der „Eisfabrik” konkret
an einer „Residenz auf Zeit“, vielleicht unterstützt
vom Programm „Doppelpass“ der Kulturstiftung des
Bundes. Die Commedianten wollen mit dem jungen in-
ternationalen Tanz-Ensemble Riu Dense Sense Company
mit Sitz in Darmstadt zusammenarbeiten. Es sollen
Koproduktionen entstehen, die Riu Dense Sense Com-
pany soll aber auch eigene Projekte realisieren und
dabei von der Zusammenarbeit mit den erfahreneren
KollegInnen profitieren. Außerdem denken die Pionteks
an die Einrichtung von Workshops für Jugendliche.
Die Idee ist, mit den Jugendlichen an denselben
Themen und Stücken zu arbeiten, die auch das Profi-
Ensemble gerade probt. Dieses Projekt könnte die
hannoversche Tanzszene bereichern und beleben.
Darüber hinaus gewinnt die „Eisfabrik” als Veran-
staltungsort an Bedeutung. Sie spielt eine zunehmend
wichtigere Rolle für Compagnien, die mit kleine-
ren und mittleren Produktionen unterwegs sind, für
die Orte wie das Düsseldorfer „Tanzhaus NRW“ oder
„Kampnagel“ in Hamburg „eine Nummer zu groß“ sind.
Einer Ausdehnung des Programmangebotes setzt aller-
dings der schmale Veranstaltungsetat Grenzen.
Hier ist durchaus Entwicklungspotential.
/ 35
34
FOTO: RALF MOHR
“VERSUCHUNGEN”
COMMEDIA FUTURA/LANDERER&COMPANY
36
DIE COMPAGNIE FREDEWESS
#01 / TANZ
NAH AM PUBLIKUM
/ 37
36
Die Compagnie Fredeweß wurde 1998 gegründet — ein
professionelles, freies Ensemble für zeitgenössi-
schen Tanz mit eigener Spielstätte: das Tanzhaus im
Ahrberg Viertel. Organisatorisch zusammengehalten
wird das Ganze von einem gemeinnützigen Trägerver-
ein, dem 2004 gegründeten Movement Research e.V..
Die Compagnie Fredeweß versteht sich als eine In-
stitution, die verschiedene Initiativen im Bereich
Tanzkunst und Tanzkunstvermittlung in einen kon-
zeptionellen und organisatorischen Zusammenhang zu-
sammenführt und dann präsentiert. So sind im Laufe
der Jahre etliche Tanzabende entstanden; mit 55 Zu-
schauerInnen ist der Saal ausverkauft, so bleibt die
Atmosphäre immer intim.
Fredeweß hat „Dogdance“ initiiert, das Festival der
Freien Tanzszene Hannovers. Die Zusammenarbeit mit
dem Ballett der Staatsoper Hannover besteht seit
2008; „Dogdance“ kombiniert Workshops von Choreo-
graphInnen für Amateure und interessierte Laien mit
Werkstattpräsentationen und dem nun schon tradi-
tionellen „Aufführungsmarathon“ am abschließenden
Festivalsonntag.
FOTO: CHRISTIAN BURKERT
„BACH IM BASEMENT”
COMPAGNIE FREDEWESS
38
Dass moderner Tanz an Schulen vermittelt wird, spie-
gelt sich schon im Namen des Projekts MOTS. Die im
Jahr 2005 entstandene Initiative der Compagnie hat
bislang mehr als 5.000 SchülerInnen in Projekten
erreicht, die die Tanzkunst vermitteln.
Die Ziele klingen zunächst einmal ehrgeizig; wenn
man bedenkt, dass sich immer weniger SchülerInnen
bewegen und dass Sport– und Tanzvereine gleicher-
maßen Nachwuchssorgen haben. Es geht darum, Musik
durch Tanz zu erfahren – und Tanz durch Musik. Be-
sonders wichtig ist es, den SchülerInnen von Anfang
an besonderen Raum zu geben. Raum, in dem es, anders
als in der Schule, nicht um Konkurrenz und Leis-
tung geht, sondern ums Zuhören, Zulassen, Loslassen,
miteinander Erleben. Wie schwierig es ist, „einfach
nur zu chillen“, erfahren bei ersten Übungen schon
Zehnjährige!
Und was für Musik? MOTS ist ein offenes Projekt;
die „Tanzklassiker“ und die romantische Musik haben
ebenso ihren Platz wie HipHop oder auch ganz simple
Alltagsgeräusche.
FOTO: CHRISTIAN BURKERT
„BACH IM BASEMENT“
COMPAGNIE FREDEWESS
/ 39
38
Tänzerische Bewegung wird ganz behutsam entwickelt.
Wie schön es sein kann, möglichst fließende Linien,
Bögen oder Spiralen zu „ertanzen“, entdecken die
Kinder unter fachkundiger Anleitung. Erste Erfolgs-
erlebnisse, die sich rasch einstellen, stärken das
Selbstvertrauen. Bei der gemeinsamen Entwicklung
komplexerer Choreographien merken sie, wie sehr sie
aufeinander angewiesen sind und wie viel Spaß das
machen kann. Zukünftig will die Compagnie Fredeweß
das MOTS-Projekt auch für ältere Jugendliche anbie-
ten – und selbst angehende Profis sollen hier ihren
Raum finden.
Und abgesehen von den Schulprojekten? Das freie
Tanztheater teilt seine einstigen Alleinstellungs-
merkmale Innovation und Subversion längst mit den
Stadt– und Staatstheatern. Daher stellt sich die
Frage nach seiner Berechtigung, nach seinen ästhe-
tischen und gesellschaftlichen Positionen in der
unüberschaubaren Vielfalt des subventionierten Tan-
zangebots.
Die Compagnie Fredeweß hat jedoch keine schlechten
Voraussetzungen: Abseits des internationalen Festi-
val-Karussells und der Metropolen entsteht bei Hans
Fredeweß, einst Schüler von Manja Chmiél, und seiner
Compagnie Tanztheater „mit lokaler Anbindung“, mit
dem Ziel, das Interesse für abstrakte, assoziative
Tanzformen zu wecken. Durch Eigenproduktionen, Ko-
operationsprojekte, Gastspiele und die tanzkunst-
vermittelnden Initiativen versteht sich die Gruppe
als fester Bestandteil einer wachsenden, innovativen
Tanzszene in Hannover.
40
SONIA RASTELLIUND IHRE ARBEIT
MIT LAIEN
#01 / TANZ
JEDER MENSCH IST EIN TÄNZER
/ 41
40
„Tanzen ohne Übungsstress und vorgegebene Schrittkom-
binationen“ – das klingt zunächst einmal wie „Scho-
kolade essen ohne dick zu werden“ – zu schön oder zu
einfach, um wahr zu sein. Es ist aber tatsächlich
eine Methode, mit der seit einigen Jahrzehnten vor
allem begeisterte Laien unterrichtet werden: „Dans-
expressie“, eine Lehrform aus den Niederlanden, er-
gänzt auch in Hannover die herkömmlichen Tanz– und
Ballettangebote und wird in zwei Studios unterrich-
tet – bei Rosemarie Anton und bei Sonia Rastelli.
Klar, dass sich mit diesem Angebot, das weder beson-
dere Beweglichkeit noch besondere physiognomische
Voraussetzungen erfordert, gerade auch etwas ältere
Tanzinteressierte gewinnen lassen. Und so geht es
in vielen „Dansexpressie“-Gruppen scheinbar eher
behutsam, eher gemächlich zu. Aber man sollte sich
nicht täuschen lassen:
„Dansexpressie“, der etwas andere Ausdruckstanz,
ist ein echter Revoluzzer, ein Anarchist – und damit
ein typisches Kind des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Damals brachen Pädagogen wie Boland, Rode, Lacroze
das eisenharte pädagogische Konzept des Tanzes auf
– und TänzerInnen wie Rudolf von Laban und seine
Schülerin Mary Wigman entdeckten, dass sie neben
dem Bühnenauftritt auch die pädagogische Seite ihres
Berufs interessierte. Aus der Liaison dieser beiden
Strömungen entwickelte eine Holländerin in den
1950er Jahren ein eigenes Konzept: „Dansexpressie“.
Dass es nicht um Rekorde, nicht um bahnbrechende
Sprünge oder verwegene Verwicklungen gehen konnte,
war klar – aber Kit Winkel machte aus der Beschrän-
kung die besondere Wirkung ihrer Methode: Die Kraft
der TänzerInnen geht nach innen: alles Sinnen und
Trachten wird auf das eigene Innere gerichtet, auf
die eigene Persönlichkeit, die mittels Musik und
Bewegung entdeckt, entwickelt und gefördert werden
soll.
42
Die Botschaft ist einfach: Jeder Mensch kann tanzen
– und wird seine Fähigkeit entdecken, wenn man ihn
in Ruhe und ohne Wettkampfgedanken seine eigene
Form finden lässt, so das Konzept. Dazu braucht es
PädagogInnen ohne falschen Ehrgeiz mit viel Einfüh-
lungsvermögen. Menschen, die sich für andere Men-
schen begeistern. Sonia Rastelli unterrichtet seit
1987 in ihren Workshops vor allem Frauen ab 40 Jahren.
Unbefangen bewegt sie sich zwischen Profis und Laien
– eine Unterscheidung, die in der „Dansexpressie“
ohnehin fehl am Platze wäre. Rastelli trägt ihre
Methode in Fachhochschulen und Kindertagesstätten,
entwickelt Performances zu Themen, die alle inter-
essieren, etwa: „Was bedeutet Glück für mich?“
Für Rastelli selbst bedeutet „Glück“, scheinbar
fremde Kunstgattungen miteinander zu verbinden –
etwa Tanz und Architektur. Oder Bildende Kunst und
Tanz.
FOTO: GEORG SCHROEDTER
/ 43
42
Auch damit ist sie ein echtes Kind von Rudolf von
Laban und den Pionieren des Ausdruckstanzes. Und sie
legt großen Wert auf die Verbindung mit „ihrer“ Stadt,
mit Hannover, die sie für „chronisch unterschätzt“
hält und auf deren tänzerisches Erbe sie stolz ist:
„Ich habe in Hannover meine Magisterarbeit über
die Geschichte des Ausdruckstanzes geschrieben und
kenne natürlich auch das Geburtshaus von Mary Wigman
(vormals Marie Wiegmann) in der Schmiedestraße. Ich
würde mir wünschen, dass in Hannover mehr Tanz zu
sehen ist, auch an ungewöhnlichen Orten.“
Dabei reizt Rastelli nicht das „Ungewöhnliche“ an
sich, nicht das Spektakuläre – wie allen Vertreter–
Innen der „Dansexpressie“ geht es ihr gerade um
das Gegenteil: dass Tanz etwas ganz Normales wird,
integriert in den Alltag. In Shanghai, wo sie vor
zwei Jahren unterrichtet hat, hat sie es gesehen:
„Ich war nicht nur von der Stadt begeistert, sondern
auch von den dort lebenden Menschen. Viele tanzten
ganz einfach frei und ungezwungen auf der Straße.
Mitten im Alltagstreiben.“
Kunst in Bewegung zu erfahren. Architektur und Tanz
miteinander korrespondieren zu lassen. Dazu regel-
mäßige Workshops mit tanzbegeisterten Menschen zu
unterschiedlichen Themen – das sind die Ziele von
Sonia Rastelli und den wahrscheinlich sanftesten
RevolutionärInnen in Hannover.
44
DIE BALLETTSCHULENIN HANNOVER
#01 / TANZ
NICHT AUF GROSSEM FUSS
/ 45
44
Tanz und Step, HipHop, Jazz und Latin – und natürlich
Zumba, der aktuelle hüftschwingende Trend – Hannovers
Ballettschulen schrecken vor kaum etwas zurück, wenn
es darum geht, den Nachwuchs für die tänzerische
Bewegung zu begeistern.
Kaum zu glauben, aber wahr: 68 Ballettschulen zählt
die Staatsoper Hannover in ihrer Liste mit Kon-
takten. Darunter sind traditionsreiche Familien-
unternehmen. In den mittleren Großstädten, die
Deutschland und auch seine Tanzlandschaften prägen,
sind solche „Tanzfamilien“ immer schon entscheidend
gewesen. Freilich: Nicht immer lässt sich die Tra-
dition fortführen.
Groß waren Traurigkeit – aber auch Dankbarkeit, als
im Jahr 2011 die Ballettschule Brakel schließen
musste. „Wir sind jetzt 81 und 78 Jahre alt, da
darf man wohl in Rente gehen“, sagt Eckard Brakel.
Er und seine Frau hatten keinen Nachfolger gefunden.
Indessen mischte sich in die Wehmut auch Stolz:
Einer ihrer Schüler, Stephan Brinkmann, konnte eine
Professur für modernen Tanz an der Folkwang-Schule
übernehmen. Dass er dort das künstlerische Erbe vom
legendären Tanzpädagogen Kurt Jooss weiterzuführen
hat, freut das Ballettpaar aus Hannover: Beide haben
bei Jooss studiert, und Eckard Brakel hat als einer
der ersten seine Technik dokumentiert, so dass
SchülerInnen davon profitieren können.
Andere SchülerInnen der Brakels, die einst in der
Ballettschule „klein anfingen“, um später im Corps
de Ballett der Staatsoper Hannover zu arbeiten, un-
terrichten mittlerweile in der „Norddeutschen Tanz-
werkstatt“, wie Gabriele Hägele. Auch die langjäh-
rige Pianistin der Brakels, Lidija Meyer, wechselte
an die Schule.
46
Andere LehrerInnen dort sind Bewegungstherapeut–
Innen, haben Erfahrung in fernöstlichem Tanz oder
haben ihre Ausbildung an der Hochschule für Musik,
Theater und Medien in Hannover absolviert. Der Aus-
tausch zwischen Schulen, Akademien und Hochschulen
erweist sich seit Jahren als weitgehend problemlos
– und offen nach allen Seiten.
So sind manche Ballettschulen auch Gründungen ehema-
liger SolistInnen des Balletts der Staatsoper. Klar,
dass die Verbindung zur „ersten Karriere“ meist er-
halten bleibt. So arbeitet Ilonka Theis, die ehema-
lige Primaballerina des Staatsballetts, eng mit der
Staatsoper zusammen. Ihre Tochter schlägt denselben
Weg ein.
Alle diese Schulen unterrichten Ballett und Tanz,
zum Teil auf hohem Niveau. Einmal im Jahr „treffen“
sich die ElevInnen der Ballettschulen ganz offiziell
mit den Profis: Bei den Ostertanztagen der Staatsoper
gibt es ein intensives Förderprogramm für den Nach-
wuchs. In einem dreitägigen Workshop erarbeiten bis
zu 100 Kinder eine eigene Choreographie, seit einem
Jahr werden die Tanzensembles um eine Malgruppe
ergänzt: Der entstehende Malprospekt wird zum Büh-
nenbild für den selbst geschaffenen Tanz. Kreativität
soll auf unterschiedlichen Ebenen Platz finden.
/ 47
46
48
DIE MUSIKSCHULE DER STADT HANNOVER
#01 / TANZ
VON VORN ANFANGEN!
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48
Die Musikschule lernt laufen. Oder besser: tanzen.
Denn mit ihren Angeboten in der Ganztagsschule
bewegt sie sich noch ganz am Anfang der Erfahrungen
und Möglichkeiten mit Tanzunterricht.
Natürlich: Bewegung und der Umgang mit dem Körper
spielt auch beim Musizieren eine wichtige Rolle und
unterliegt letztlich denselben Gesetzmäßigkeiten.
Insbesondere das Angebot in der Rhythmik geht davon
aus, dass sich Musik und Bewegung gegenseitig bedin-
gen, beeinflussen, miteinander verändern.
Musik trägt den Tanz. Aber Musik und Tanz haben noch
mehr Gemeinsamkeiten: Künstlerische Ausdrucksfähig-
keit setzt ein gutes Training voraus. Beim Tanzen
kann man ebenso wie beim Musizieren seiner indivi-
duellen Persönlichkeit Ausdruck geben. Wenn diese
Persönlichkeit dann aber in einer Gemeinschaft im
wahrsten Sinne des Wortes „aufgeht“, so ist das
ein besonderes und beglückendes Erlebnis, vor allem,
wenn es ums Präsentieren, ums Auftreten geht.
FOTO: THOMAS LANGREDER
„MUSICAL ACADEMY“
50
FOTO: MIRJA KÜHN
“DANCE BASICS“
Das gerade noch so glücklich entwickelte „Indivi-
duum“, also der Solist, verschmilzt, wenn es gut
geht, auf das Schönste mit der Gruppe oder der
Compagnie. Und: Das eine funktioniert nicht ohne
das andere.
Dies lässt sich besonders gut mit Kindern erle-
ben: Kinder haben von Anfang an Freude an Bewegung,
ebenso wie am Singen, sie spielen hingebungsvoll,
sind erfinderisch und entwickeln gern etwas mit an-
deren gemeinsam. Dieser Freude Raum zu geben, sie
zu erhalten und darauf aufzubauen ist die Grundidee
aller Unterrichtsangebote.
/ 51
50
Seit 2011 setzt die Musikschule in ihren Angeboten
professionell ausgebildete TänzerInnen ein. Jazz-
dance, HipHop und kreativer Kindertanz eröffnen Kin-
dern und Jugendlichen die Möglichkeit, Freude an
tänzerischen Ausdrucksformen zu erleben und ihre
Talente zu entdecken. Für besonders Interessierte
und Wagemutige soll sich eine leistungsbezogene För-
derung anschließen können.
In Ganztags-Grundschulen werden zurzeit Kurse zu
Kindertanz, Kreativem Tanz, HipHop, Dance Show und
Kids Jazz angeboten. 150 Kinder machen mit. Die
Vier- bis Sechsjährigen machen seit dem Herbst 2012
ihre ersten Erfahrungen im Kurs „Musik in Bewegung
mit allen Sinnen“. Im Kurs „Dance Basics“ begin-
nen Sieben- bis Zehnjährige mit ersten tänzerischen
Grundlagen.
In der neu gegründeten „Musical-Academy“ können
Jugendliche ab zwölf Jahren den Reiz der Kombi-
nation vielseitiger künstlerischer Ausdrucksformen
erleben. Aus jeder Sparte ist eine Lehrkraft dabei:
Singen, Tanzen und Schauspie-
lern stehen auf dem Lehrplan.
Junge Erwachsene im Alter von
16 bis 25 Jahren haben die
Möglichkeit, diese Fähigkei-
ten weiter auszubauen und dem
Traum vom Auftritt auf der
Bühne in einer Musicalproduk-
tion näherzukommen.
„Die Kinder sollen, so wünschen wir
es uns, nicht nur mit Spaß dabei
sein, sondern sich selbst und ihre
Persönlichkeit finden, entwickeln und
kreativ ausdrücken können. Die Ge-
meinschaft, das Reagieren im Ensemble
und das gemeinschaftliche Erreichen
eines Zieles sind hier von besonderem
Wert.“
– VERENA TSCHIRA, LEITERIN DER MU-
SIKSCHULE
52
DIE HERZENSANGELEGENHEIT
DER VOLKSHOCHSCHULE
#01 / TANZ
BALLETT.BEGEISTERT
/ 53
52
Es begann mit einem Anruf. Der Anruf erreichte Doro-
thee Warnecke von der Ada-und-Theodor-Lessing-Volks-
hochschule Hannover, der Anrufer war Steven Markus-
feld, der Betriebsdirektor Ballett der Staatsoper
Hannover. Ob die VHS Interesse an einer Kooperation
hätte? Sie hatte. Und so gibt es seit dem Herbst-
semester 2009 „Ballett.begeistert“ im VHS-Programm.
Der Kurs wendet sich an alle, die mehr wissen
wollen über Ballett – gleichgültig, ob Neuling oder
Dauergast, Tanzbegeisterter oder Bewegungsmuffel.
Anhand der aktuellen Produktionen lässt sich das
Ballett-Team der Staatsoper in die Karten sehen.
Erläutert wird, wie ein Ballett entsteht, die spezi-
elle Bewegungssprache, die Entstehung und speziellen
„Schreibweisen“ von Choreographien werden erörtert.
Dramaturgin, Ballettdirektor und Betriebsdirektor
geben einen Überblick über die Tanzgeschichte, dazu
werden die TeilnehmerInnen mit Ideen und Quellen des
Balletts vertraut gemacht. Die Frage der Musik, ihre
Auswahl, ihr Einsatz spielt eine Rolle und schließ-
lich geht es auch, ganz praktisch, um die beson-
deren Arbeitsprozesse,
den Besuch von Bühnen-
proben, die Organisation
einer Compagnie, die
Plan ung einer Saison,
die Pflege des Repertoi-
res und vieles mehr. In
jedem Semesterkurs gibt
es Gäste: eine/n Tänzer/
in des Ensembles, eine/n
Tanzpädagogin/en, eine/n
Komponistin/en oder auch
eine/n Künstler/in, die/der zu den Ausstellungsob-
jekten Stellung nimmt.
„Ein solcher Kurs ist nicht wie alle an-
deren. Er ist eine Kostbarkeit sui gene-
ris. Er ermöglicht, alle am Gesamtprozess
Beteiligten als Menschen mit besonders
künstlerischen Ausprägungen und Ansprü-
chen erleben zu können. Für alle Teil-
nehmenden ist die greifbare Nähe zu den
beteiligten Akteuren in Hannover einzig-
artig. Mein Herz schlägt dafür in beson-
derem Rhythmus.“
– DOROTHEE WARNECKE
54
Der Höhepunkt des Kurses ist dann der gemeinsame
Besuch der Ballettpremiere – anschließend wird in-
tensiv über die Aufführung diskutiert.
Und die „Kunden“? Die sind, hat die Volkshochschule
herausgefunden, mittlerweile geschult und animiert
vom Kurs reisen sie dann auch zu Vorstellungen bis
nach Stuttgart oder Hamburg. Der Altersdurchschnitt
liegt bei etwa 50 Jahren, die Frauen sind mit ca. 70
Prozent in der Mehrzahl. Von Kurs zu Kurs ist die
Zahl der Teilnehmenden in die Höhe getanzt. Mittler-
weile wollen fast 90 Personen mehr über das Ballett
wissen. Die TeilnehmerInnen sind zur Hälfte durch
Publikationen der VHS, zur anderen Hälfte durch das
Spielzeitheft, die Internetseite oder den Newsletter
der Staatsoper Hannover aufmerksam geworden.
Dorothee Warnecke und die künstlerischen Leiter des
Staatsopern-Balletts sind nicht an einem quantita-
tiven Wachstum um jeden Preis interessiert. Schon
die jetzige hohe Zahl der Teilnehmenden ist be-
eindruckend und beispiellos. Angestrebt wird wei-
terhin, den KursteilnehmerInnen den Blick für die
jeweiligen künstlerischen und technischen Mittel
zur Umsetzung eines Themas zu öffnen, Transparenz zu
schaffen in die Welt hinter dem weinroten Vorhang.
Ein weiterer Bestandteil der Kooperation mit der
Staatsoper Hannover ist die Ausstellung „Tanzstadt
Hannover“, die während der Ostertanztage im Opern-
haus präsentiert wird. Im Herbst ist sie im Foyer
der VHS einem breiten Publikum zugänglich.
Den Blick zu öffnen für die sehr komplexe und eigene
Welt des Tanzes, das ist Ziel dieses vielfarbigen
Vermittlungsweges und der gesamten Zusammenarbeit.
/ 55
54
56
TANZTHEATERINTERNATIONAL
#01 / TANZ
EIN FEST FÜR DIE STADT
/ 57
56
„Tanz und Theater e.V.“ = der „Verein zur Förderung
des kulturellen Austauschs nationaler und interna-
tionaler freier Tanz- und Theatergruppen”. Der Name
ist Programm: Seit 1988 ist der Verein Träger des
1985 gegründeten Festivals TANZtheater INTERNATIO-
NAL in Hannover. Es zählt zu den bundesweit tradi-
tionsreichsten Festivals seiner Art und kann unter
seiner Leiterin Christiane Winter lange schon natio-
nales wie internationales Renommee vorweisen. Jedes
Jahr Anfang September geht es in Zusammenarbeit mit
der Landeshauptstadt Hannover über die Bühnen der
Stadt. 2012 fand TANZtheater INTERNATIONAL zum 27.
Mal statt.
Das Festival widmet sich einer der spannendsten
Kunstformen unserer Zeit: Zeitgenössischer Tanz
lässt sich nicht über einen Kamm scheren, über-
schreitet konsequent Genregrenzen und erfindet sich
immer wieder neu. Diese Vielgestaltigkeit bildet
sich im Programm des Festivals ab, ob konzentrierte
Choreographie, urbane Tanzformen wie HipHop oder
innovatives Tanztheater. ChoreographInnen und Tän-
zerInnen setzen sich von jeher mit den Bedingungen
ihrer Existenz auseinander: Ihre Stücke und künst-
lerischen Prozesse formulieren ästhetische State-
ments zu zeitaktuellen Themen, die das Publikum
ganz unmittelbar erreichen. Die Inhalte reichen von
aktuellen politischen Ereignissen über die Zeitge-
schichte bis hin zu individuellen, existentiellen
Fragestellungen, und das im Kontext unserer globa-
lisierten Welt.
Auch wenn man überzeugt ist, dass Tanz nicht un-
mittelbar universal verständlich ist, weil er von
den jeweiligen politischen, sozialen und kulturellen
Umständen tief geprägt ist, so ist er doch in seiner
physischen Direktheit universal vermittelbar.
58
„Noch nie habe ich in so kurzer Zeit so viel über
Tanz gelernt wie hier“, kommentierte eine Besuche-
rin nach einer Vorstellung des bereits mehrfach in
Hannover beim Festival zu Gast gewesenen deutschen
Künstlergespanns Gintersdorfer/Klaßen, die in ihrer
„Logobi“-Reihe Einblicke in Unterschiede und Ge-
meinsamkeiten kultureller Sichtweisen inszenieren.
Integration und Fremdheit, Identitätssuche zwischen
unterschiedlichen tänzerischen und kulturellen
Welten, unsere urbanen Lebenswelten mit all ihren
Verwerfungen, Chancen und Krisen sind die Themen,
denen sich das Festival TANZtheater INTERNATIONAL
zuwendet.
Einen besonderen Blick richtet es auf die verschie-
denen Ästhetiken des Alltags und die lebendigen
Formen des Dialogs.
FOTO: HERMAN SORGELOOS
„À LOUER/FOR RENT“
PEEPING TOM
58
HANNOVER IST TANZ
TANZtheater INTERNATIONAL“MONCHICHI”TÄNZER/IN: SÉBASTIEN RAMIREZ & HONJI WANGFOTO: THOMAS AMMERPOHL
WWW.TANZTHEATER-INTERNATIONAL.DE
HANNOVER IST TANZ
COMPAGNIE FREDEWESS“GERSHWIN - RHAPSODY IN BLUE”FOTO: JANKO WOLTERSMANN
WWW.COMPAGNIE-FREDEWESS.DE
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60
TANZtheater INTERNATIONAL schafft durch Kontinuität
in der Präsentation professioneller Tanzcompagnien
aus dem In- und Ausland dem Publikum vor Ort Zugänge
zu aktuellen Positionen sowie Trends und Tendenzen
der internationalen Tanzszene.
Auf diese Weise wird ein Beitrag zum kulturellen
Austausch geleistet und nachhaltig das Bewusstsein
für den zeitgenössischen Tanz gestärkt. Durch die
Begleitung ausgewählter ChoreographInnen über einen
längeren Zeitraum erhält das Publikum zudem Gele-
genheit, langfristig künstlerische Entwicklungen zu
verfolgen, verschiedene Formate kennenzulernen und
choreographische Handschriften zu erkennen. Ergän-
zend zu den Vorstellungen werden auch themenbezo-
gene Publikums— und Hintergrundgespräche angeboten.
Als Instrument der Nachwuchsförderung wurde 2012
erstmals das vom Ballett der Staatsoper Hannover
und TANZtheater INTERNATIONAL gemeinsam initiierte
und durchgeführte Projekt „Think Big“ realisiert,
ein Künstlerresidenz-Programm für junge Choreogra-
phInnen in Hannover. Drei ChoreographInnen waren
eingeladen, in den Ballettsälen der Staatsoper En-
semblechoreographien mit bis zu zehn eigens hierfür
ausgewählten TänzerInnen zu erarbeiten – Rahmen und
Bedingungen, die für junge ChoreographInnen norma-
lerweise nicht denkbar sind. Das Festival TANZthea-
ter INTERNATIONAL bot dann in seinem Hauptprogramm
die international beachtete Plattform für die Ur-
aufführungen der Arbeiten. Für die ChoreographInnen
bedeutete das eine besondere Chance und war zu-
gleich ein Zeichen dafür, dass es nach einer Zeit,
in der kleine Produktionen dominierten, sehr wohl
möglich und im Interesse der KünstlerInnen ist, für
ein größeres Ensemble zu arbeiten. Das „Think Big“
Residenzprojekt soll in den kommenden Jahren fort-
gesetzt werden.
62
TANZtheater INTERNATIONAL ist während des Festi-
valzeitraums in ganz Hannover präsent. Gespielt
wird in der Orangerie Herrenhausen, der Hochschule
für Musik, Theater und Medien Hannover sowie in
verschiedenen Spielstätten des Niedersächsischen
Staatstheaters. So sorgt das Festival mit täglichen
Vorstellungen für gebündelte Aufmerksamkeit für den
Tanz und anregende Festivalstimmung in der Stadt.
Wie bei kaum einer an-
deren Initiative in der
Kulturszene der Stadt ist
„TANZtheater INTERNA-
TIONAL” mit dem Namen
seiner Leiterin verbun-
den:
Anfang der 1990er Jahre
übernahm die Diplom-Kul-
turpädagogin Christiane
Winter die Leitung des
Tanz- und Theaterbüros
Hannover. Das von ihr
betreute Hauptprojekt
ist das Festival TANZthe-
ater INTERNATIONAL, dessen künstlerische Leiterin
sie ist. Seine 16. Ausgabe im Jahr 2000 zählte mit
fast vierwöchiger Dauer und 33 Veranstaltungen zu
den Highlights des Kultur- und Ereignisprogramms
der Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover. Darüber
hinaus holte Christiane Winter 2008 die „Tanzplatt-
form Deutschland“, das nationale Schaufenster für
zeitgenössischen Tanz, nach Hannover. Außerdem ist
sie langjähriges Jurymitglied beim „Internationalen
Wettbewerb für Choreographen“ der Ballett Gesell-
schaft Hannover.
„Generell hat der Erfolg des
Festivals einen großen Schub
und Unterstützung gebracht. Ich
betrachte das als sehr großen
Schritt für mich, meine Arbeit
vor Produzenten und Unter-
stützern zeigen zu können. Ich
glaube, dass die Tatsache, Teil
dieses einzigartigen Projekts
zu sein, Früchte tragen wird
in der Zukunft, wie nun zum
Beispiel mit dem Stadttheater
Greifswald.“
– YARON SHAMIR, TEILNEHMER BEI
„THINK BIG“ 2012
/ 63
62
2008 wurde Christiane Winter der Stadtkulturpreis
des Freundeskreises Hannover e.V. verliehen, 2010
erhielt sie die zweithöchste Auszeichnung der Lan-
deshauptstadt Hannover, die Stadtplakette.
Auch nach vielen Jahren
ist es für die Kura-
torin Winter, wie sie
selbst sagt, noch immer
„eine freudvolle Auf-
gabe, KünstlerInnen für
Hannover zu entdecken,
Entwicklungen der Szene
zu verfolgen, neue Themen
und Tendenzen aufzuspü-
ren, Zusammenhänge her-
zustellen und diese dem Publikum zu vermitteln.“
FOTO: CHRIS VAN DER BURGHT
„OUT OF CONTEXT – FOR PINA”
LES BALLETS C DE LA B/ALAIN PLATEL
„Tanz gehört für mich zu den innovativs-
ten, aussagefähigsten und wandelbarsten
künstlerischen Genres. Er spricht Emotion
und Intellekt gleichermaßen an, ist zu-
gleich in der Lage, zum Denken anzuregen
und zu unterhalten.
Das Festival TANZtheater INTERNATIONAL
betrachte ich als wichtiges Forum für die
vielfältigen Tanzformen und -sprachen der
Gegenwart.“
- CHRISTIANE WINTER
64
DIE BALLETT GESELLSCHAFT
UND DER INTERNATIONALE WETTBEWERB FÜR CHOREOGRAPHEN
#01 / TANZ
NICHT WEGZUDENKEN!
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Die Ballett Gesellschaft Hannover e.V. wurde 1985
gegründet. Für die Vereinsmitglieder gehören Kon-
takte zu Tanzschaffenden, gemeinsame Besuche von
Proben und Premieren ebenso zum Angebot wie Ge-
sprächsrunden mit TänzerInnen und DirektorInnen an
großen und kleinen Häusern im In- und Ausland. Das
Herzstück der Vereins-
aktivitäten ist jedoch
der jährliche „Interna-
tionale Wettbewerb für
Choreographen”.
Insbesondere seit der
22. Ausgabe 2008 ist
der Wettbewerb erheblich
erweitert worden. Die
Förderung des choreo-
graphischen Nachwuchses wird nachhaltig verbessert,
indem langfristige Partnerschaften mit Ensembles und
Institutionen im In- und Ausland aufgebaut werden.
Im Jahr 2012 wurden 18 Choreographien im Wettbewerb
präsentiert, von denen zehn am Finale teilnahmen.
Mehr als 150 TeilnehmerInnen aus aller Herren Länder
waren zu betreuen.
Zu den Bedingungen des Wettbewerbs gehört, dass alle
Teilnehmenden eine professionelle Ausbildung haben.
Die Altersgrenze für die ChoreographInnen liegt bei
35 Jahren. Die Choreographie muss eine Dauer von
fünf bis zwölf Minuten haben. Die ChoreographInnen
dürfen ihr Solo nicht selbst interpretieren. Die
Wahl des Themas und der Musik ist freigestellt.
“Dies ist der interessanteste und am besten
organisierte, dabei progressive choreo-
graphische Wettbewerb in Zentraleuropa,
mit einer internationalen Reputation. Es
ist ein Vorrecht, Teil dieses geachteten
Wettbewerbs zu sein, der gleichzeitig eine
Plattform für internationalen Austausch
bietet.“
– RICHARD WHERLOCK, DIREKTOR BALLETT BASEL
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In der Jury sind renommierte Choreographen wie
Richard Wherlock, Direktor Ballett Basel, Ed Wubbe,
Direktor Scapino Ballett in Rotterdam, Ivan Lliska,
Direktor Bayerisches Staatsballett, Ted Brandsen,
Direktor Dutch Nationale Ballett, Ashley Page, Di-
rektor Scottish Ballet und Yohan Stegli, stellver-
tretender künstlerischer Leiter Bundesjugendballett
sowie viele andere vertreten.
Der „Internationale Wettbewerb für Choreographen
Hannover” ist europaweit der einzige, der Produk-
tionspreise vergibt. Sie sind für ChoreographInnen
am wichtigsten. Seit 2005 vergibt der künstlerische
Leiter des Wettbewerbs, Ed Wubbe, den Scapino-Pro-
duktionspreis. Wer gewinnt, erarbeitet eine eigene
Choreographie mit TänzerInnen des Scapino-Balletts,
die in der Reihe TWOOLS gezeigt wird.
Der „Bundesjugendballett-Produktionspreis“ wurde
2012 ins Leben gerufen. Das Bundesjugendballett
stiftet den Preis: eine Choreographie mit dem von
John Neumeier 2011 gegründeten Nachwuchsensemble in
Hamburg.
FOTO: ALEXANDER SPIERING
“UN/ATTAINABLE”
GIUSEPPE SPOTA
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Neu ist der Produktionspreis des Staatstheaters Tanz
Braunschweig, vergeben durch dessen künstlerischen
Leiter Jan Pusch. Der Preis umfasst die Erarbeitung
eines Tanzstücks, das in der darauffolgenden Saison
am Staatstheater in Braunschweig uraufgeführt wird.
Die Ballett Gesellschaft schafft mit ihrem „Interna-
tionalen Wettbewerb für Choreographen” die europa-
weit traditionsreichste und zugleich erfolgreichste
internationale Plattform für Nachwuchsförderung.
Dabei sind die langfristigen Partnerschaften der
Gesellschaft mit Ensembles und Institutionen des
nationalen und internationalen Tanzgeschehens von
besonderer Bedeutung. Denn gerade sie verschaffen
den BerufsanfängerInnen über den einmaligen Auf-
tritt in Hannover hinaus wichtige Kontakte und Auf-
trittsmöglichkeiten. Dies verbessert ihre berufli-
chen Perspektiven erheblich.
FOTO: ALEXANDER SPIERING
“UN/ATTAINABLE”
FANG YU-SHEN
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URSULA WAGNERS TANZPERFORMANCES
IM STÄDTISCHEN RAUM
#01 / TANZ
TANZ AM BAU
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Ursula Wagner braucht kein Theater. Ihre Orte sind
der Stadtraum – und besonders sein Zwischenraum.
Gerade da, wo es unwirtlich wird, in den unbeachte-
ten, zerfaserten Orten, auf Baustellen und in Tun-
neln hat sie ihre Performances aufgeführt. Auch die
romanische Architektur, das Renaissance-Schloss,
die Parklandschaft geben der Performance Impulse,
ungewöhnliche Körper-Material-Bilder zu erfinden.
Ursula Wagner setzt die ganze physische Präsenz in
einen Spannungszustand zu den Gebäuden, die den
verlangsamten Tanzkörper umgeben, die ihn schützen,
aber auch begrenzen.
Nie wirkt der Mensch verletzlicher als allein zwi-
schen Betonwänden. Folgerichtig hat sich die ar-
chitekturbegeisterte Wagner auch jahrzehntelang im
„Werkbund“ engagiert, löst in ihren Performances
die Grenze zwischen Baukunst und Tanzkunst auf.
„Der Zusammenklang der einzelnen Elemente, die Ein-
heit von Aktion und Raum entwickelt ein Gesamt-
kunstwerk aus Tanz, Musik und Bild“, meinte der
Kunstkritiker Michael Stoeber dazu.
Andererseits sind auch Grünanlagen mit ihren Ge-
wächshäusern und Werkhöfen Orte, wo die Performance-
tänzerin mit ihrer Künstlerformation „Transito“ das
Element Wasser in bewegte Bilder überträgt. Spek-
takulär sind diese Wassertänze, die jetzt von ihren
SchülerInnen in historischen Schwimmbädern fortge-
setzt werden.
Einmal im Jahr bricht Wagner zu einer Werkstatt nach
Sardinien auf und erkundet mit den TeilnehmerInnen
an einem Flussdelta am Mittelmeer Landschaft und
Fundstücke.
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FOTO: THOMAS DEUTSCHMANN
“HINTER DEM BAHNHOF 100 JAHRE DEUTSCHER WERKBUND”
URSULA WAGNER
Ursula Wagner hat „eigentlich“ Sport studiert, ihre
Bewegung zum Tanz hin war, wie sie selbst sagt, eine
forschende, fast wissenschaftliche. Sie ging von der
Anatomie des mensch-
lichen Körpers aus,
den Muskel- und Ge-
lenkfunktionen, von
Kraft und Balance.
Ihre 40 SchülerIn-
nen, die zwischen 23 und 70 Jahren alt sind, ermu-
tigt sie, ihre natürliche Körpersprache tänzerisch
zu formen.
Als Schülerin von Manja Chmiél, bei der sie von 1973
bis 1983 arbeitete, hat sie Hans Fredeweß kennenge-
lernt und mit ihm „Straßentanz“ gemacht. Bei Chris-
tiane Winters Festival TANZtheater INTERNATIONAL
kam ihr „Wassertanz“ ebenso zur Aufführung wie die
Performance „Moorschwanken“ in den Gewächshäusern
der Herrenhäuser Gärten.
„Tanze das, was du vorfindest, und
folge deiner Intuition und Phantasie,
deiner subjektiven, spielerischen
Bewegungslust.“
– URSULA WAGNER
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Mit dem Bildhauer und Zeichner K.H. Bethmann ging
sie die Verbindung „Tanz/Skulptur“ ein. Im Künstler-
ort Berlin-Buch arbeitete sie mit Reinhild Hoffmann
und 20 internationalen PerformerInnen zum Thema
Metall, Stein, Holz. Wie ihre Lehrerin ignoriert
auch Wagner die übliche Barriere zwischen Profis und
Amateuren: „Je farbiger und bunter die Tanzszene
einer Stadt ist – sein darf! – desto mehr spricht
das für die Stadt!“
Ursula Wagner erlebt Hannover nicht als „Tanzme-
tropole“, aber sie freut sich darüber, dass die
Wahrnehmung von Tanz stetig wächst. „Das liegt“,
so meint sie, „vor allem an zwei Frauen: an Manja
Chmiél, die den Tanz öffnete und Laien den Zugang in
radikaler und individueller Weise verschaffte – und
an Christiane Winter, die mit dem Festival TANZthe-
ater INTERNATIONAL beharrlich daran arbeitet, dass
die Wahrnehmung des Publikums geschärft wird.“
Ursula Wagners SchülerInnen übernehmen viele ihrer
Projekte und sollen sie weiter in den Stadtraum
tragen. Für die Laien hat Ursula Wagner ein sehr
schlichtes, sehr konkretes Ziel: „Hauptsache, sie
bewegen sich mit ganzer Energie.“
FOTO: THOMAS DEUTSCHMANN
“HINTER DEM BAHNHOF 100 JAHRE
DEUTSCHER WERKBUND”
URSULA WAGNER
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#01 / TANZ
NETZWERK TANZIN HANNOVER
ADRESSEN
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BALLETT DER STAATSOPER HANNOVER
Jörg Mannes, Ballettdirektor
Steven Markusfeld, Betriebsdirektor Ballett
Tel. 0511/9999-1061
steven.markusfeld@staatstheater-hannover.de
www.oper-hannover.de
LANDERER&COMPANY
Felix Landerer
Tel. 0511/539 98 72
felixlanderer@gmx.de
www.felixlanderer.de
COMMEDIA FUTURA
Theater in der Eisfabrik
Tel. 0511/81 63 53
theater@commedia-futura.de
www.commedia-futura.de
COMPAGNIE FREDEWESS
Tanzhaus im Ahrberg Viertel
Tel. 0511/4500-1082
info@compagnie-fredewess.de
www.compagnie-fredewess.de
SONIA RASTELLI
Tel. 0511/16 97 98 23
rastelli@personaldance.de
www.dansexpressi.de
URSULA WAGNER
Tel. 0511/34 37 21
uwwagner@gmx.de
www.ursulawagnertanz.de
MUSIKSCHULE
der Landeshauptstadt Hannover
Tel. 0511/168-40953
musikschule@hannover-stadt.de
www.hannover.de
TANZTHEATER INTERNATIONAL
Tanz und Theater e.V.
Tel. 0511/34 39 19
info@tanztheater-international.de
www.tanztheater-international.de
BALLETT GESELLSCHAFT HANNOVER E.V.
Tel. 05109/5646-14
info@ballettgesellschaft.de
www.ballettgesellschaft.de
ADA-UND-THEODOR-LESSING-VOLKSHOCHSCHULE
der Landeshauptstadt Hannover
Dorothee Warnecke
Tel. 0511/168-44776
info@vhs-hannover.de
www.vhs-hannover.de
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HERAUSGEBERIN:
Landeshauptstadt Hannover
Kultur- und Schuldezernat
Trammplatz 2
30159 Hannover
KONTAKT:
Landeshauptstadt Hannover
Kulturbüro
Friedrichswall 15
30159 Hannover
Tel. 0511/168-40267
theaterfoerderung@hannover-stadt.de
V.I.S.D.P:Marlis Drevermann
REDAKTION:
Gabriela Jaskulla
GESTALTUNG:
e27, Berlin
www.e27.com
AUFLAGE:
2.500 Exemplare
DRUCK:
Steppat Druck GmbH
www.steppat-druck.de
Hannover im April 2013
IMPRESSUM