Post on 05-Apr-2015
Altersarmut – ein Zukunftsproblem?!
Prof. Dr. Gerhard BäckerUniversität Duisburg-Essen
Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ)
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I. Was ist Armut – Armut im Alter?
Unterschiedliche Armutskonzeptionen und Messverfahren
(I) Einkommensarmut: = weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens
(II) Einkommensarmut - Grundsicherungsniveau:
Unterschreiten oder Erreichen der Grundsicherungsschwelle (Regelleistung plus Kosten der Unterkunft)
(III) Lebenslagenarmut:
Unterschreiten des sozio-kulturellen Minimums in mehreren Lebensbereichen: Wohnung, Pflege, Gesundheit, soziale Teilhabe
>> Festlegung eines Schwellenwertes, einer Armutsgrenze: Stets eine normative Entscheidung
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a) Berechnung der Einkommensarmut bzw. der Armutsgefährdung (im Alter)
Bezugsgröße: Haushaltseinkommen pro Kopf nach Bedarf gewichtet
Sämtliche Einkommen, die von den Personen im Haushalt bezogen werden: neben Alters- u. Hinterbliebenenrenten aus der GRV auch Betriebs- u. Leibrenten, (Alters)Vermögenseinkünfte, Erwerbseinkommen, Wohngeld
Armutsgefährdung:
Das bedarfsgewichtete pro Kopf Einkommen liegt unterhalb von 60 % des pro-Kopf Durchschnittseinkommens gemessen am Median
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Daraus folgt: eine niedrige Rente allein ist noch kein Indikator für Altersarmut !
bei einer Person können mehrere Alterseinkommen zusammen fallen (Kumulation),
z.B. : eigene Rente + Hinterbliebenenrente oder: Gesetzliche Rente und andere Alterseinkommen
das niedrige Alterseinkommen der einen Person kann durch ein höheres Alterseinkommen einer anderen Person im Haushalt ausgeglichen werden.
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49,6
39,3
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0 10 20 30 40 50 60
Erwerbslose
Ein(e) Erwachsene(r) mit Kind(ern)
Qualif ikation Niedrig
Ohne deutsche Staatsangehörigkeit
Zwei Erwachsene u. drei oder mehr Kinder
18 bis unter 25
Unter 18
25 bis unter 50
50 bis unter 65
65 und älter
Insgesamt 2011
2005
Armutsgefährdungsquoten1) nach soziodemografischen Merkmalen2005 und 2011in % der jeweiligen Bevölkerung, Deutschland
1) Anteil der Personen mit einem bedarfsgewichteten pro-Kopf Haushaltseinkommen (Äquivalenzeinkommen) von weniger als 60% des Durchschnitts (Median) der Einkommen der Bevölkerung insgesamt. Äquivalenzskala: neue OECD-Skala.
Quelle: Statistisches Bundesamt (2012), Sozialberichterstattung - Datenbasis: Mikrozensus
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b) Bezug von Grundsicherung im Alter:
Ist das Bedarfsniveau armutsvermeidend? Regelleistung: 382 € + Warmmiete = ~ 710 € für Alleinstehende, 1.050 für Paare
Ende 2011: ~ 844.000 Leistungsempfänger
deutlicher Anstieg in den letzten Jahren: Gegenüber 2003: + ~ 70 %
davon fast die Hälfte (46 %): dauerhafte Erwerbsminderung.
54 % der Empfänger sind über 65 Jahre
Problem: Verdeckte Altersarmut
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c) Zwischenergebnis zur aktuellen Lage
Einkommensarmut im Alter durchaus verbreitet und gestiegen – aber keine Massenerscheinung
Die lohn- und beitragsorientierte Gesetzliche Rentenversicherung mit ihrem Grundprinzip der Teilhabeäquivalenz hat sich bislang durchaus als erfolgreich in der Armutsbekämpfung erwiesen !
Allerdings: Unter Berücksichtigung des Haushaltskontextes Altersarmut erweist sich als dauerhafte Armutslage, geringe Möglichkeiten
der aktiven Veränderung Die Gegenwart lässt sich nicht einfach in die Zukunft verlängern
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II. Ein Blick in die Zukunft: Steigendes Armutsrisiko
Zangenwirkung von externen und internen Risikofaktoren
a) Externe Risiken: Umbrüche auf dem ArbeitsmarktDie Folgen der Deregulierung - Altersarmut als Spiegelbild wachsender
Unsicherheiten und Ungleichheiten im Beschäftigungssystem
Ausbreitung des Niedriglohnsektors Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse: Minijobs Anhaltende (Langzeit)Arbeitslosigkeit Durchbrochene Erwerbs- und Versicherungsbiografien, Leiharbeit,
Befristung Zunahme von selbstständiger Beschäftigung ohne Absicherung
Ergebnis: Rückläufige Höhe der persönlichen Entgeltpunkte
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6,4666,667
6,4926,739. 6,751
6,916 6,918 7,104 7.078 7,197 7,1927,311 7,274 7,384 7,387 7,507 7,507
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06/2003
12/2003
06/2004
12/2004
06/2005
12/2005
06/2006
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06/2007
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06/2008
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06/2010
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06/2011
12/2011
06/2012
ausschließlich geringfügig Beschäf tigte
im Nebenjob geringfügig Beschäf tigte
geringfügig Beschäf tigte insgesamt in Mio
Beschäftigte in Mini-Jobs 2003 - 2012Geringfügig Nebenbeschäftigte und Hauptbeschäftigte in Mio.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2013), Beschäf tigungsstatistik, Nürnberg
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b) Interne Risiken:
Abbau des Schutzwirkung der Rentenversicherung
unzureichende Absicherung von ALGII-Empfängern Rentenabschläge bei vorzeitigem Rentenbezug, auch bei
Erwerbsminderungsrenten Versicherungsfreiheit von Mini-Jobs unzureichende Absicherung von (Solo) Selbstständigen
und kontinuierliche Absenkung des Rentenniveaus Abkoppelung der Rentenanpassung von der Lohnentwicklung
(Riester-Faktor und Nachhaltigkeitsfaktor)
Ergebnis: Die persönlichen Entgeltpunkte entwickeln sich rückläufig und verlieren an relativem Wert
Wertverlust auch bei den Leistungen des Solidarausgleichs
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Durch die Doppelwirkung der Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt
und des Leistungsabbaus in der Rentenversicherung
werden niedrige Renten in Zukunft häufiger auftreten, vor allem bei Erwerbsgeminderten, Arbeitnehmern in atypischen und prekären Beschäftigungs-
verhältnissen, Niedrigqualifizierten,gesundheitlich Beeinträchtigten, Langzeitarbeitslosen und Versicherten aus den neuen Bundesländern
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Niedrigrenten infolge der Absenkung des Rentenniveaus
führen zugleich zu einem
Legitimations- und Akzeptanzproblem der Rentenversicherung
Trotz langjähriger versicherungspflichtiger Beschäftigung und Beitragszahlungen erreicht die individuelle Rente noch nicht einmal das Grundsicherungsniveau:
Beispiele: Versicherungsjahre mit Rente oberhalb Grundsicherung
- Durchschnittsverdiener (100 %):
heute: 27,1 Jahre, 2030: 32,5 Jahre
- unterer Verdienst (70%):
heute: 38,7 Jahre, 2030: 46,5 Jahre
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III. Kompensation durch private und betriebliche Vorsorge?
Grundposition des Paradigmenwechsels: Begrenzung des Beitragssatzanstiegs auf maximal 22 % Absenkung des Rentenniveaus Betriebliche und/oder private Vorsorge als Ersatz für Leistungsabbau und nicht mehr (wie früher) als Ergänzung Steuerliche Förderung der privaten und betrieblichen Vorsorge durch Zulagen und (steuer- und beitragsfreie) Entgeltumwandlung – mit
starker sozialer Komponente Erwartung: Umfassende Verbreitung,
hohe Renditen auf den Kapitalmärkten,
Verbesserung des Gesamtleistungsniveaus
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Erfahrungen nach 10 Jahren: Trotz Expansion noch immer nur begrenzte Verbreitung, mittlerweile Stagnation bei privater und betrieblicher Vorsorge trotz sozialer Förderkomponente weit unterproportionale Beteiligung von Niedrigeinkommensbeziehern und atypisch Beschäftigten Gerade Niedrigrenten werden nicht aufgestockt
Bei der privaten Vorsorge: Hohe Abschluss- und Verwaltungskosten und niedrige Renditen (wenn überhaupt, da abhängig von der Lebens-erwartung)
>> Förderung der Versicherten oder der Versicherungen?
Risiken der Kapitalmarktabhängigkeit trotz Nominalgarantie, aktuelle Probleme: Niedrigzinsphase, starkes Absinken des
Garantiezinses
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Es fehlen Informationen darüber: Werden die Verträge kontinuierlich bedient? Wird der erforderliche Eigenbeitrag geleistet? Werden die Zulagen
beantragt? Welche Risiken sind abgedeckt? Wie viele Personen machen von der Möglichkeit Gebrauch der
Auszahlung von 30 % der Versicherungssumme? Erfolgt eine Anpassung an die Lohnentwicklung?
Resumee von Gerd Wagner/DIW:
„Da sich für Geringverdiener das „Riestern“ ohnehin nicht lohnt, ist es – paradoxerweise – gut, dass die allermeisten Geringverdiener sich nicht von den Versprechungen des Gesetzgebers und der Riester-Anbieter locken lassen“ (DIW-Wochenbericht 47/2011, S. 24).
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IV. Was ist zu tun? Reformbedarfe
ein systemsprengender Umbau (bedingungslose Grundrente für alle): nicht zielführend, nicht finanzierbar und hat zweifelhafte Verteilungseffekte
Plädoyer für die Beibehaltung einer lohn- und leistungsbezogenen Alterssicherung mit zwei Zielen: Armutsfestigkeit Lebensstandardsicherung
notwendig sind Maßnahmen, die an mehreren Ebenen ansetzen
Reformen, die der Rentenversicherung vorgelagert sind, und Reformen der Alterssicherungssysteme
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Alterssicherungsexterne Reformen: Verbesserung der Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt
- Abbau der (Langzeit)Arbeitslosigkeit
- Erhöhung, Verstetigung und Verlängerung der Erwerbsbeteiligung (insbesondere von Frauen und im Alter) statt Betreuungsgeld und Verfestigung des Modells der Versorgerehe
- Eindämmung des Niedriglohnsektors, Flächendeckende Mindestlöhne
- Begrenzung statt Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung
- Wiederherstellung der „Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“, Abbau prekärer Beschäftigung
>> Überforderung der Rentenversicherung durch allein nachträglichen Ausgleich
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Alterssicherungsinterne Reformen: Stärkung der Rentenversicherung
Mit langfristiger Wirkung (Aufbau von Anwartschaften)- ausreichende Beitragszahlungen in Zeiten der Arbeitslosigkeit- Einbeziehung von Selbstständigen in die Pflichtversicherung/Erwerbstätigenversicherung
Mit unmittelbarer , kurzfristiger Wirkung- Begrenzung der Rentenabschläge, insbesondere bei EM-Renten,
Verlängerung der Zurechnungszeiten- Absicherung von bereits zurückgelegten Zeiten der Arbeitslosigkeit im SGB II- Verlängerung der „Rente nach Mindesteinkommen“ (Problem Teilzeitarbeit)- 3 Jahre Kindererziehungszeiten für Geburten auch vor 1992
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und Stabilisierung des Rentenniveaus, da ansonsten - die anderen Reformschritte nicht greifen
auch ein Mindestlohn von selbst 10 Euro bleibt wirkungslos- die Solidarleistungen (Kindererziehung, Pflegezeiten, Rente nach Mindesteinkommen) entwertet werden- die Rentenversicherung in der Substanz gefährdet wird
- Beitragssatzziel von 22 % kein Dogma schon derzeit liegt die Belastung der vorsorgenden Arbeitnehmer (!) bei 13,45 % = (18,9%/2) + 4%
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Weitere, aber problematische Vorschläge Garantierente (30:30 Modell) – etwa 845 Euro (2013)
30 Versicherungsjahre: Bevorzugung von Teilzeitarbeit,
Einkommensanrechnung, Freibeträge bei privater Vorsorge
> weitgehende Abschaffung des Prinzips der Teilhabeäquivalenz
Lebensleistungsrente (BMA):
Höhe??
40 Versicherungsjahre und private Vorsorge
Anrechnungsfreiheit der Riester-Rente> Förderung von tradierten Frauenbiografien einschließlich Minijobs> Förderung der privaten Altersvorsorge = Förderung des Versicherungs- und Finanzunternehmen
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V. Ausblick Altersarmut ist mehr als Einkommensarmut!
aber ohne ein ausreichendes Einkommen lassen sich die Defizite und Unterversorgungslagen vor allem in den Bereichen
Wohnen Gesundheit Pflege soziale Teilhabe nicht lösen.
Alterssicherung ist mehr als Armutsvermeidung! Alterssicherung in einer alternden Gesellschaft ist mit steigenden
Kosten verbunden