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III. Aufrechnung
In der Praxis kommt es häufig vor, dass der Beklagte gegen die Forderung des Beklagten mit
einer eigenen Forderung aufrechnet.
Bsp.: K klagt gegen B auf Zahlung von 3000 € Werklohn (§ 631 I BGB). B rechnet mit einer
Schadensersatzforderung aus positiver Vertragsverletzung auf.
1. Erklärung der Aufrechung
• Die Erklärung der Aufrechnung (§ 388 ZPO) ist eine einseitige WE, mit der ein
Gestaltungsrecht ausgeübt wird. Die Voraussetzungen und Wirksamkeit dieser WE
richten sich alleine nach materiellem Recht (vgl. insbes. §§ 387 ff BGB, 204 I Nr. 5
BGB).305
• Die Aufrechnung hat die materiell-rechtliche Wirkung, dass die Forderungen, soweit
sie sich decken, in dem Zeitpunkt als erloschen gelten, in dem die Aufrechnungslage
bestand (vgl. § 389 BGB). Materiell-rechtlich gibt die wirksame Aufrechnung dem
Aufrechnenden eine rechtsvernichtende Einwendung gegen die Forderung des
Gegners. Sie wird wirksam mit Zugang dieser Erklärung gem. § 130 I 1 BGB.
• Zeitpunkt der Erklärung:
- die Aufrechung kann entweder schon vor dem Prozess erklärt worden sein oder
- die Aufrechung kann während des Prozesses (genauer: im Prozess306) gegen die
Klageforderung erklärt werden (sog. Prozessaufrechnung).
Materiell-rechtlich macht der Zeitpunkt der Erklärung keinen Unterschied.
305 T/p, § 145 Rn. 12. 306 Die Aufrechnung kann auch während des Prozesses, aber außerhalb desselben erklärt werden.
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2. Geltendmachung im Prozess
• Im Prozess hat die Aufrechung des Beklagten Bedeutung als Verteidigungsmittel gegen
die Klage, denn die Klageforderung wäre bei wirksamer Aufrechung erloschen, die
Klage also unbegründet.
• Das Gericht kann die Aufrechnung (wie jede Einwendung oder Einrede gegen die
Klageforderung) jedoch nur dann berücksichtigen, wenn die Aufrechnung auch im
Prozess vorgetragen wird.
• Die Geltendmachung der Aufrechnung im Prozess ist eine Prozesshandlung des
Beklagten. Sie ist von der (materiell-rechtlich bedeutsamen) Aufrechungserklärung zu
trennen und richtet sich in ihrer Zulässigkeit, Voraussetzungen und Wirksamkeit allein
nach Prozessrecht.307
3. Prozessaufrechung
Wird die Aufrechnung erst im Prozess erklärt, so fallen die materielle Aufrechnungserklärung
und die prozessrechtlich relevante Geltendmachung derselben im Prozess zusammen.308
Nach der wohl herrschenden Beweiserhebungstheorie hat das Gericht auch ohne eine
entsprechende Einschränkung des Beklagten zunächst das Bestehen und die Durchsetzbarkeit
der Klageforderung zu prüfen und die Aufrechnung erst dann zu berücksichtigen, wenn es die
Klageforderung für begründet und andere Einwendungen des Beklagten für unbegründet
hält.309
Eine Eventualaufrechnung, d.h. die Erklärung der Aufrechnung unter der Bedingung, dass
die Klageforderung besteht und durchsetzbar ist, ist ebenfalls als zulässig anzusehen. Zwar
307 T/p, § 145 Rn. 13. 308 Die Darlegungslast für eine erfolgte Aufrechnung trägt der Beklagte, jedoch muss nach obigen Grundsätzen
(Teil 2, A.) natürlich auch nachteiliger Klägervortrag berücksichtigt werden, d.h. die erfolgte Aufrechnung ist
bei der Entscheidungsfindung auch dann zu berücksichtigen, wenn der Kläger vorgetragen hat, dass der Beklagte
aufgerechnet habe (aufrechnen kann aber natürlich nur der Forderungsinhaber (also der Beklagte)). Auch hierin
verdeutlicht sich der Unterschied zwischen der materiell-rechtlichen Erklärung der Aufrechnung und der
Geltendmachung der Aufrechnung im Prozess. 309 Thomas/Putzo/Reichold, § 145 Rn. 15. Vgl. dazu auch ausführlich Musielak, Gk-ZPO, Rn. 299.
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sind Prozesshandlungen grds. bedingungsfeindlich, in diesem Fall handelt es sich jedoch um
eine zulässige innerprozessuale Bedingung.
Auch eine derart bedingte Aufrechnungserklärung ist mit § 388 S. 2 BGB vereinbar, weil sie
mit dem Zweck dieser Vorschrift vereinbar ist:310 Diese will den Empfänger der
Aufrechnungserklärung vor der Ungewissheit schützen, ob die Forderung und die
Gegenforderung durch die Aufrechnung erlöschen. Im Prozess wird diese Unsicherheit jedoch
gerade geklärt. Die Vorschrift des § 388 S. 2 BGB muss deshalb im Wege der teleologischen
Reduktion eingeschränkt werden und eine bedingte Prozessaufrechnung für zulässig gehalten
werden.311 Nach anderer Ansicht handelt es sich um eine stets zulässige Rechtsbedingung, da
es Voraussetzung jeder Aufrechnung ist, dass die Hauptforderung besteht.
Die Eventualaufrechnung ist auch gesetzlich anerkannt (vgl. § 45 I 2 GKG).
4. Prüfung der Aufrechnung durch das Gericht
Das Gericht prüft deshalb zunächst – unabhängig von der erfolgten Aufrechnung – das
Bestehen und die Durchsetzbarkeit der Klageforderung, d.h. das Gericht berücksichtigt die
Aufrechnung erst, wenn es die Klageforderung für begründet und andere Einwendungen des
Beklagten für unbegründet hält.312
a, Klageforderung besteht nicht
Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Klageforderung nicht besteht, so weist es die
Klage ab, ohne die Aufrechnung weiter zu beachten.
B kann seine (aufgerechnete) Forderung in einem anderen Prozess einklagen. Würde der
Kläger gegen die Forderung des Beklagten im zweiten Prozess einwenden, diese sei durch die
Aufrechnung mit der Klageforderung aus dem ersten Prozess erloschen, so kann sich B auf
die rechtskräftige Abweisung der Klage im ersten Prozess berufen, die in diesem Fall auch die
rechtskräftige Feststellung beinhaltet, dass diese Forderung des Klägers nicht bestand. Im
310 Vgl. Musielak, Gk-ZPO, Rn. 299. 311 Musielak, Gk-ZPO, a.a.O. 312 Thomas/Putzo/Reichold, § 145 Rn. 15.
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zweiten Prozess ist das Gericht deshalb bei der Prüfung der Frage, ob die geltend gemachte
Gegenforderung (noch) besteht an diese Entscheidung des ersten Gerichts gebunden.313
b, die Klageforderung besteht
Kommt das Gericht dagegen zu dem Ergebnis, dass die Klageforderung besteht, so kommt es
auf die Wirksamkeit der Aufrechnung an:
(i) Stellt es fest, dass die Aufrechnung unwirksam ist (z.B.: Gegenforderung des B
besteht nicht), so gibt es der Klage statt.
(ii) Stellt es dagegen fest, dass die Aufrechung wirksam ist, so weist es die Klage ab.
5. Zurückweisung des Aufrechnungseinwandes aus prozessualen Gründen
Wird der Aufrechnungseinwand aus prozessualen Gründen zurückgewiesen, so stellt sich die
Frage, ob die materielle Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung davon berührt wird.
Bsp.: Im obigen Beispiel der Werklohnforderung wird die im Prozess erklärte
Aufrechnung des B wegen Verspätung gem. § 296 ZPO zurückgewiesen.
Hier wurde der Aufrechnungseinwand des B prozessual nicht berücksichtigt.
Würde man nun die materielle Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung bejahen, so wären
durch die Aufrechnung die Klageforderung des K und die Gegenforderung des B erloschen.
Da die Aufrechnung aber prozessual nicht berücksichtigt wird, wird B trotzdem verurteilt
(muss also die Klageforderung erfüllen) und könnte seine Gegenforderung auch nicht mehr
im Wege der Klage geltend machen (da sie bei mat. Wirksamkeit der Aufrechnung erloschen
ist. Eine Klage des B würde als unbegründet abgewiesen314). 313 Diese Entscheidung wirkt sich als Vorfrage des Bestehens der Gegenforderung aus, nämlich bei der Frage, ob
die Gegenforderung durch Aufrechnung mit der Klageforderung des ersten Prozesses erloschen ist. Dabei muss
das Gericht ungeprüft vom Nichtbestehen der Klageforderung ausgehen. 314 Beachten Sie: § 322 II ZPO gilt hier nicht, d.h. die Klage des B mit der Gegenforderung würde nicht wegen
entgegenstehender Rechtskraft abgewiesen, denn § 322 II ZPO greift nur ein, wenn der Aufrechnungseinwand
prozessual berücksichtigt wurde, wenn als über die Aufrechnung entschieden wurde. Dazu gleich sogleich, 6.
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Einigkeit besteht zwar insoweit, dass dieses Ergebnis unbillig ist, umstritten ist jedoch die
konstruktive Lösung dieses Falles.
• Nach einer Ansicht ist die prozessuale Geltendmachung der Aufrechnung und die
materiell-rechtliche Erklärung derselben im Prozess als einheitliches Rechtsgeschäft
i.S.d. § 139 ZPO anzusehen, so dass die Zurückweisung des Aufrechnungseinwandes
zur Nichtigkeit der Aufrechnungserklärung führen soll.315
• Nach anderer Ansicht ist davon auszugehen, dass der Beklagte die im Prozess erklärte
(materiell-rechtliche) Aufrechnungserklärung stets stillschweigend unter die
Bedingung stellt, dass der Aufrechnungseinwand nicht vom Gericht aus prozessualen
Gründen zurückgewiesen wird.316
Eine derart bedingte Aufrechnungserklärung ist mit § 388 S. 2 BGB vereinbar, weil sie
mit dem Zweck dieser Vorschrift vereinbar ist:317 Diese will den Empfänger der
Aufrechnungserklärung vor der Ungewissheit schützen, ob die Forderung und die
Gegenforderung durch die Aufrechnung erlöschen. Im Prozess wird diese Unsicherheit
jedoch gerade geklärt. Die Vorschrift des § 388 S. 2 ZPO muss deshalb im Wege der
teleologischen Reduktion eingeschränkt werden und eine bedingte Prozessaufrechnung
für zulässig gehalten werden.318
6. Rechtskraft, § 322 II ZPO
a, Gericht entscheidet über die (Begründetheit der) Aufrechnung
In beiden Fällen (4. b,) erwächst die Entscheidung über die Gegenforderung des Beklagten in
Rechtskraft!
Grundsätzlich erwachsen zwar nur Entscheidungen über den vom Kläger bestimmten
Streitgegenstand in Rechtskraft und die Geltendmachung der Aufrechnung im Prozess ist
lediglich ein Verteidigungsmittel gegen die Klage (die Gegenforderung ist nicht selbst
315 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 102 Rn. 46. 316 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 301. 317 Vgl. schon oben und Musielak, Gk-ZPO, Rn. 299. 318 Musielak, Gk-ZPO, a.a.O.
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Streitgegenstand, denn der Beklagte hat nicht beantragt, den Kläger zu der der
Klageforderung entsprechenden Leistung zu verurteilen319).
Gem. § 322 II ZPO wird jedoch ausnahmsweise auch die Entscheidung über die
Gegenforderung rechtskräftig.
Dieser lautet:
„Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die
Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, […], der Rechtskraft fähig.“
Geregelt ist damit zwar nur der Fall, dass das Gericht der Klage stattgibt und dabei in den
Entscheidungsgründen ausführt, dass die Gegenforderung nicht besteht, also Fall (i).320
Dasselbe muss jedoch auch im Fall (ii) gelten, wenn also das Gericht feststellt, dass die
Aufrechung wirksam ist (die Gegenforderung also bestand) und deshalb die Klage abweist,
denn andernfalls könnte der Beklagte nun selbst Klage erheben und damit die schon
aufgerechnete und im ersten Urteil bereits berücksichtigte Gegenforderung geltend machen.
Deshalb wird § 322 II ZPO nach allg. Meinung auch dann angewendet, wenn das Gericht in
den Entscheidungsgründen ausführt, dass die Gegenforderung bestanden hat und durch
Aufrechnung erloschen ist.321
§ 322 II ZPO ist deshalb so zu lesen:
„Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die
Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht oder nicht mehr besteht, […], der
Rechtskraft fähig.“
(die Gegenforderung besteht nicht mehr, wenn sie wegen wirksamer Aufrechung erloschen
ist) 319 Dass der Beklagte selbst zum Kläger im selben Prozess wird, ist im Wege einer sog. Widerklage möglich,
dazu sogleich. 320 Im Tenor entscheidet das Gericht nur über den Streitgegenstand, nicht über Vorfragen, wie z.B. die, ob ein
Werkvertrag besteht, ob dieser angefochten wurde und deshalb auch nicht darüber, ob wirksam aufgerechnet
wurde. Ausführungen zu solchen Vorfragen der Entscheidung enthalten nur die Urteilsgründe, die gerade nicht
in materielle Rechtskraft erwachsen (vgl. dazu ausführlich oben bei der Bestimmung des Gegenstands der
materiellen Rechtskraft, Teil 2 H. III. 3. 321 Vgl. Musielak, Gk-ZPO, Rn. 304.
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In beiden Fällen, kann der Beklagte also wegen entgegenstehender Rechtskraft die
Gegenforderung nicht mehr zum Gegenstand einer Klage machen. Eine solche Klage wäre
unzulässig wegen entgegenstehender Rechtskraft.
b, Gericht trifft keine Entscheidung über die (Begründetheit der) Aufrechnung
Entscheidet das Gericht dagegen nicht über die Aufrechnung, weil es
• wie in Fall 4. a, zu dem Ergebnis kommt, dass die Klageforderung schon nicht besteht,
so entscheidet es nicht im Sinne von § 322 II ZPO über das Bestehen der
Gegenforderung, so dass § 322 II ZPO hier nicht gilt. Deshalb kann B seine
Gegenforderung in einer eigenen Klage geltend machen.
(trotzdem und überflüssigerweise in den Entscheidungsgründen zum Bestehen der
Gegenforderung enthaltene Ausführungen des Gerichts erwachsen nicht gem. § 322 II
ZPO in Rechtskraft322)
• dasselbe gilt, wenn das Gericht über die Aufrechnung aus materiellrechtlichen oder
prozessualen Gründen nicht entscheidet.
Der Aufrechnungseinwand wird insbesondere dann vom Gericht als prozessual
unzulässig zurückgewiesen, wenn es diesen Verteidigungseinwand gem. § 296 ZPO als
verspätet ansieht.
7. Einwand der entgegenstehenden Rechtshängigkeit gem. § 261 III ZPO
Umstritten ist, ob die Gegenforderung rechtshängig wird.
Dies ist richtigerweise zu verneinen, denn die Gegenforderung wird nicht zum
Streitgegenstand, denn ein solcher ist nur die durch Klage, Widerklage oder Inzidentklage auf
der Grundlage eines bestimmten Sachverhalts zur Entscheidung gestellte Rechtsfolge.323 Die
322 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 305. 323 Stein/Jonas/Leipold, § 321 Rn. 4.
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Gegenforderung ist dagegen lediglich ein gegen einen solchen Streitgegenstand eingewandtes
Verteidigungsmittel.
Da über die Gegenforderung des Beklagten im Prozess, in dem diese im Wege der
Aufrechnung geltend gemacht wird, rechtskräftig entschieden werden kann, muss jedoch
jedenfalls eine selbständige Klage, die die Gegenforderung zum Gegenstand hat,
ausgeschlossen sein.
Im obigen Beispiel der Werklohnforderung des Klägers und der Schadensersatzforderung des
Beklagten ist eine Klage des Beklagten nach Rechtskraft der Entscheidung über die
Klageforderung wegen § 322 II ZPO ausgeschlossen (soweit die Aufrechnung berücksichtigt
wurde). Vor Eintritt der Rechtskraft steht einer Klageerhebung mit der Gegenforderung als
Gegenstand durch den Beklagten allerdings nichts entgegen. Insbesondere greift der Einwand
der entgegenstehenden Rechtshängigkeit gem. § 261 III Nr. 1 ZPO nur ein, wenn ein bereits
rechtshängiger Streitgegenstand erneut (in einer weiteren Klage) anhängig gemacht werden
soll. Die Gegenforderung ist jedoch kein solcher bereits anhängiger Streitgegenstand. Sie
wurde lediglich zur Verteidigung gegen die Klage auf Zahlung von Werklohn eingewendet
(s.o.).
Eine Klageerhebung durch den Beklagten mit der bereits im Wege der Aufrechnung geltend
gemachten Gegenforderung muss jedoch aus denselben Gründen ausgeschlossen sein, wie die
erneute Klageerhebung hinsichtlich eines bereits rechtshängigen Streitgegenstandes, denn in
dem bereits rechtshängigen Verfahren kann wegen § 322 II ZPO ausnahmsweise eine
rechtskräftige Entscheidung über die Gegenforderung ergehen. Es muss deshalb wie im
direkten Anwendungsbereich des § 261 III Nr. 1 ZPO eine mehrfache Befassung der Gerichte
mit diesem Gegenstand und eine mögliche widersprüchliche Entscheidung über die
Gegenforderung verhindert werden. § 261 III Nr. 1 ZPO ist deshalb auf die Gegenforderung,
die im Wege der Aufrechnung geltend gemacht wird, analog anzuwenden.
Wie im Falle eines Streitgegenstandes gilt:
- Der Eintritt der Rechtskraft gem. § 322 I ZPO hindert die erneute Anhängigmachung
desselben Streitgegenstandes. Einer erneuten Klage steht der Einwand der
entgegenstehenden Rechtskraft entgegen.
- Vorher wird die erneute Anhängigmachung durch den Einwand der entgegenstehenden
Rechtshängigkeit gem. § 261 III Nr. 1 ZPO verhindert.
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Gilt im Falle der Gegenforderung, die im Wege der Aufrechnung geltend gemacht wird
entsprechend:
- Der Eintritt der Rechtskraft gem. § 322 II ZPO hindert die erneute Anhängigmachung der
bereits berücksichtigten Gegenforderung. Einer Klage mit der Gegenforderung durch den
Beklagten steht der Einwand der entgegenstehenden Rechtskraft entgegen.
- Vorher wird eine gleichzeitige Anhängigmachung (d.h. neben dem Prozess des Klägers,
in dem die Gegenforderung im Wege der Aufrechnung geltend gemacht wird) der
Gegenforderung durch eine Klage des Beklagten durch den Einwand der
entgegenstehenden Rechtshängigkeit gem. § 261 III Nr. 1 ZPO analog verhindert.
8. Aufrechnung mit rechtswegfremden Gegenforderungen
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Gerichts auch für die Gegenforderung spielt
keine Rolle.
Wenn der Beklagte jedoch mit einer rechtswegfremden Forderung aufrechnet ist streitig, ob
das ordentliche Gericht den Rechtsstreit aussetzen muss, um dem Beklagten die Gelegenheit
zu geben, eine Entscheidung über seine Gegenforderung vor dem zuständigen Gericht
herbeizuführen, oder ob das Gericht selbst über die rechtswegfremde Gegenforderung
entscheiden darf.
Aufgrund der Neufassung des § 17 II GVG wird zunehmend die Meinung vertreten, das
Zivilgericht dürfe auch über solche Forderungen entscheiden, da durch diese Vorschrift eine
rechtswegüberschreitende Sachkompetenz eingeräumt worden sei. Dabei müsste jedoch in
Kauf genommen werden, dass das Zivilgericht über Fragen entscheiden müsste, die in die
Fachkompetenz von Gerichten anderer Rechtwege fallen.324
Dem ist nicht zu folgen, denn die Neufassung des § 17 II ZPO bezweckte lediglich, dass das
Gericht den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden (nicht nur zivil-) rechtlichen
Gesichtspunkten zu entscheiden.325
324 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 312. 325 Vgl. Musielak, a.a.O.
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Im Falle der Aufrechnung mit rechtswegfremden Gegenforderungen durch den Beklagten hat
das Gericht deshalb das Verfahren auszusetzen und die rechtskräftige Entscheidung des
Gerichts des dafür zuständigen Rechtswegs abzuwarten.
Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Gegenforderung unbestritten ist.
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IV. Widerklage
1. Begriff der Widerklage
Eine Widerklage ist eine Klage des Beklagten gegen den Kläger im selben Prozess.
Ausgangsbeispiel: K aus Würzburg klagt gegen B aus Schweinfurt auf Zahlung 700 €
Restkaufpreis. B wendet gegen die Klage Rücktritt gem. § 437 Nr. 2
BGB ein und verlangt widerklagend Rückgewähr der angezahlten 300 €.
Es stehen sich also die Klage des Klägers mit dem Antrag den Beklagten zur Zahlung von
700 € zu verurteilen und die (Wider-)Klage des Beklagten mit dem Antrag, den Kläger zur
Zahlung von 300 € zu verurteilen gegenüber.
Beide Parteien sind gleichzeitig Kläger und Beklagter. Es sind zwei Streitgegenstände
rechtshängig.
Die Widerklage ist eine vollwertige Klage, insbesondere kein Angriffs- oder
Verteidigungsmittel i.S.v. §§ 296, 530, 531 ZPO (sondern ein selbständiger „Angriff“).
2. Zulässigkeitsvoraussetzungen hinsichtlich der Widerklage
Auch hinsichtlich der Widerklage gelten grds. die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen
für Klagen.
Besonderheiten:
a, Erhebung der Widerklage
Die Widerklage kann nachträglich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im bereits
laufenden Prozess gem. § 261 II ZPO erhoben werden, d.h. der Beklagte kann den
Streitgegenstand (wie im Falle der nachträglichen objektiven Klagenhäufung, bei der der
Kläger nachträglich einen weiteren Streitgegenstand rechtshängig macht) in der mündlichen
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Verhandlung – in der Form gem. § 297 ZPO - geltend machen, d.h. nicht nur schriftlich,
sondern auch mündlich.326
b, Sachliche und örtliche Zuständigkeit
i, sachliche Zuständigkeit
Die sachliche Zuständigkeit ist für Klage und Widerklage getrennt festzustellen; die
Streitwerte beider Klagen werden nicht addiert, vgl. § 5 HS. 2 ZPO.
§ 33 ZPO gilt für die sachliche Zuständigkeit nicht. Dies ergibt sich aus § 506 I ZPO. Dieser
geht davon aus, dass für die Klage des K das AG zuständig ist und für die Widerklage das LG
und regelt für diesen Fall, dass das Gericht auf Antrag an das LG zu verweisen hat. Jedenfalls
für den Fall der Klage beim AG bewirkt § 33 ZPO deshalb nicht die sachliche Zuständigkeit
des AG auch für die Widerklage.
• Im obigen Beispiel ist für die Klage, wie auch für die Widerklage das AG sachlich
zuständig. Es besteht für beide Klagen keine streitwertunabhängige Zuweisung an das
AG bzw. LG und das AG ist für beide Klagen gem. § 23 Nr. 1 GVG zuständig, da der
Streitwert beider Klagen jeweils 5000 € nicht übersteigt.
• Anders wäre es, wenn K (bei streitwertabhängiger Zuständigkeit) auf Zahlung von
3000 € klagt und B Widerklage auf Zahlung von 6000 € erhebt.
Hier wäre für die Klage des K weiterhin das AG gem. § 23 Nr. 1 GVG zuständig, für
die Klage des B dagegen das LG gem. § 71 I GVG.
Ist das AG für die Widerklage nicht durch rügelose Verhandlung gem. § 39 ZPO
zuständig geworden, so wird die Widerklage abgewiesen, es sei denn es wird
Verweisung beantragt (§ 506 ZPO; Hinweis gem. § 504 ZPO!).
• Allerdings gilt eine Besonderheit, wenn das LG für die Klage des K zuständig ist und
der Beklagte eine Widerklage mit einem Streitwert erhebt, der 5000 € nicht übersteigt.
326 Die Widerklage muss einen anderen Streitgegenstand verfolgen, als die Klage. Dies ist jedoch keine
Besonderheit der Widerklage, sondern eine bereits bestehende Rechtshängigkeit oder sogar Rechtskraft ist wie
bei jeder Klage im Rahmen deren Zulässigkeit zu beachten (Stichwort: entgegenstehende Rechtshängigkeit oder
Rechtskraft). Insbesondere darf der Beklagte nicht das kontradiktorische Gegenteil der Klage geltend machen.
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Bsp.: K klagt im obigen Beispiel auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 7000 €, B
beantragt widerklagend die Zahlung von 300 €.
Hier wäre bei getrennter Betrachtung für die Klage des K das LG, für die Klage des B
das AG sachlich zuständig.
In diesem Fall gilt nach allg. Meinung jedoch, dass das LG auch für die Widerklage
zuständig ist, die in die Zuständigkeit des AG fiele, es sei denn das AG ist für die
Widerklage ausschließlich zuständig.327 Im letzten Fall würde das LG die Widerklage
abweisen bzw. auf Antrag gem. § 281 ZPO an das AG verweisen.328
Die Zuständigkeit des LG auch für die Widerklage wird mit dem Zweck der
Widerklage begründet, der darin besteht, zusammenhängende Fragen zusammen zu
behandeln und dem Beklagten die Gelegenheit zum Gegenangriff zu geben.329
ii, örtliche Zuständigkeit
Auch die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach den dafür geltenden allgemeinen
Vorschriften (§§ 12 – 32, 34 ZPO), die jedoch durch § 33 ZPO ergänzt werden.
Oft werden nach den allgemeinen Vorschriften für die Klage und die Widerklage
verschiedene örtliche Zuständigkeiten bestehen, da sie sich meist nach dem Wohnsitz des
Beklagten richtet (§ 12 ZPO) und Kläger und Beklagter oft verschiedene Wohnsitze haben
werden.
Im Ausgangsbeispiel ist für die Klage des K das AG Schweinfurt und für die
Widerklage des B das AG Würzburg gem. § 12 ZPO örtlich zuständig.
Nach den allgemeinen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit könnte B also beim
Gericht der Klage des K seine Widerklage nicht erheben. In solchen Fällen wird § 33 ZPO
relevant:
Besteht nämlich zwischen den beiden Klagen wie im Ausgangsbeispiel ein Zusammenhang,
ist es zweckmäßig, wenn diese Klagen vor demselben Gericht verhandelt und entschieden
werden. Deshalb bestimmt § 33 I ZPO (lesen!) für solche Fälle des Zusammenhangs (dazu
327 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 33 Rn. 18; Musielak, Gk-ZPO, Rn. 319. 328 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 33 Rn. 18. 329 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 319.
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sogleich Genaueres) zwischen Klage und Widerklage einen besonderen (nicht
ausschließlichen!) Gerichtsstand beim Gericht der Klage.
Im Ausgangsbeispiel kann B seine Widerklage deshalb auch beim AG Schweinfurt
erheben, da dieses wegen des Zusammenhangs zwischen Klage und Widerklage gem.
§ 33 I ZPO örtlich zuständig ist.
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§ 33 I ZPO:
• Der Gegenanspruch (= der vom Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemachte
Anspruch) muss mit dem in der Klage (des K) geltend gemachten Streitgegenstand
oder mit den gegen diesen vorgebrachten Verteidigungsmitteln in Zusammenhang
stehen.
• Die Widerklage setzt also eine noch rechtshängige Klage voraus.
• Nach h.M. muss es sich dabei um einen rechtlichen, nicht lediglich tatsächlichen
Zusammenhang handeln.
Rspr: Ist gegeben, wenn es sachdienlich und vernünftig erscheint, über Klage und
Widerklage in einem Prozess zu verhandeln.330
Dies wird wiederum zu bejahen sein, wenn beide Ansprüche aus einem innerlich
zusammengehörenden Lebenssachverhalt stammen.331
• Es genügt jedoch ein solcher Zusammenhang des Gegenanspruchs mit den gegen die
Klage geltend gemachten Verteidigungsmitteln.
Bsp.: K klagt gegen B aus Werkvertrag auf Zahlung des Werklohns. B rechnet gegen
die Forderung mit einer ihm gegen B zustehenden Schadensersatzforderung
wegen eines von K verursachten Unfalls auf. Außerdem erhebt er Widerklage
mit dem Antrag auf Feststellung, dass K auch zum Ersatz aller zukünftigen
Schäden aus dem Unfall verpflichtet ist.
§ 33 I ZPO gilt jedoch gem. § 33 II ZPO nicht, wenn eine Vereinbarung dieses
Gerichtsstands nach § 40 II ZPO unzulässig wäre, wenn also
• die Widerklage einen nichtvermögensrechtlichen Anspruch betrifft, der den AG
streitwertunabhängig zugewiesen ist oder wenn
• für die Widerklage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist
330 Vgl. Nachweis bei Musielak, Gk-ZPO, Rn. 321. 331 Musielak,Gk-ZPO, a.a.O.
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c, § 33 I ZPO als Zulässigkeitsvoraussetzung?
Umstritten ist, ob § 33 ZPO nur im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit für die Widerklage
Bedeutung hat oder ob dieser eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für die Widerklage
aufstellt.
Nach der h.M. in der Literatur ist § 33 ZPO lediglich eine besondere Zuständigkeitsregelung.
Nach der Rechtsprechung hat § 33 ZPO dagegen nicht nur im Rahmen der örtlichen
Zuständigkeit Bedeutung, sondern stellt eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für die
Widerklage auf. Die Widerklage soll demnach nur dann zulässig sein, wenn der rechtliche
Zusammenhang i.S.d. § 33 ZPO besteht.
Zu unterschiedlichen Ergebnissen führen diese Ansichten, wenn dieser Zusammenhang fehlt,
die örtliche Zuständigkeit jedoch nach allgemeinen Vorschriften beim Geicht der Klage auch
für die Widerklage besteht.
In diesem Fall würde die h.M. in der Lit. die Widerklage als zulässig erachten, denn der
Zusammenhang i.S.d. § 33 I ZPO ist nach dieser Ansicht keine besondere
Zulässigkeitsvoraussetzung für die Widerklage und die örtliche Zuständigkeit besteht schon
nach allgemeinen Vorschriften, so dass es auf § 33 ZPO auch hinsichtlich der örtlichen
Zuständigkeit nicht ankommt.
Nach der Rechtsprechung wäre die Widerklage dagegen nicht zulässig, da es an der nach
dieser Ansicht durch § 33 I ZPO geforderten Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt.
Bsp.: K aus Kassel klagt gegen B aus Berlin 1000 € Kaufpreis beim AG Berlin ein.
B erhebt Widerklage auf Zahlung von 1000 € Schadensersatz gegen K wegen
eines KFZ-Unfalls in Berlin, den K verursacht hat und bei dem das Auto des B
beschädigt wurde.
Literatur:
Widerklage ist zulässig.
Insbesondere ist das Gericht der Klage, das AG Berlin gem. § 23 Nr. 1 ZPO,
§ 32 ZPO sachlich bzw. örtlich zuständig, ohne dass es dazu also der
besonderen Zuständigkeitsregelung des § 33 I ZPO bedarf. § 33 I ZPO enthält
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keine besondere Zulässigkeitsregelung, so dass es nicht auf den (hier
fehlenden) Zusammenhang gem. § 33 I ZPO ankommt.
Rechtsprechung:
Widerklage ist unzulässig.
Zwar ist das Gericht sachlich und örtlich zuständig (wie bei der Lit.),
§ 33 I ZPO stellt jedoch eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für die
Klage auf, so dass ein Zusammenhang i.S.d. § 33 I ZPO erforderlich ist. Dieser
besteht im Beispielsfall nicht, so dass die Widerklage unzulässig ist.
Auf Rüge des K wird die Widerklage deshalb abgewiesen.
Für die h.M. in der Lit. spricht:
• die Stellung des § 33 ZPO bei den Vorschriften für die Zuständigkeit des Gerichts und
• die Zweckmäßigkeit, denn bei Abweisung der Widerklage, kann der Beklagte dieselbe
Klage erneut beim selben Gericht erheben. Zweckmäßig ist deshalb die Trennung der
unzusammenhängenden Klage und Widerklage gem. § 145 ZPO, die die Zulässigkeit
der Widerklage voraussetzt.
• eher schwaches Argument: der Wortlaut des § 33 ZPO, der ein „nur“ enthalten müsste,
wenn er als abschließende Regelung für die Zulässigkeit der Widerklage gedacht
wäre332
332 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 322.
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V. Prozessvergleich
1. Hintergrund und Begriff
Die Parteien können den Rechtsstreit auch durch einen vor dem Gericht geschlossenen
Vergleich (Prozessvergleich) beenden, so dass auch hier keine Entscheidung des Gerichts zur
Hauptsache und (falls diese ebenfalls vom Vergleich erfasst sind auch) zu den Kosten des
Rechtsstreits mehr ergeht.
Das Gericht soll gem. § 278 I ZPO in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung
des Rechtsstreits bedacht sein. Zu diesem Zweck geht der mündlichen Verhandlung gem.
§ 278 II ZPO auch grds. eine Güteverhandlung voraus.
Der Prozessvergleich ist im Gesetz nur teilweise geregelt (vgl. etwa § 794 I Nr. 1 ZPO).Auch
das materielle Recht enthält in § 779 BGB eine Regelung zum Vergleich.
Der Prozessvergleich ist gleichzeitig ein privatrechtlicher Vertrag und ein Prozessvertrag333
zwischen den Parteien eines gerichtlichen Verfahrens, die zu einer untrennbaren Einheit
verbunden sind und hat deshalb eine Doppelnatur.334
Er enthält grds. zwei Vereinbarungen:
1) eine (materiell-rechtliche) Regelung des Verfahrensgegenstandes und
2) eine Prozessbeendigungsabrede.
Prozesshandlung ist der Prozessvergleich, weil er vor Gericht erklärt unmittelbar den
Rechtsstreit beendet (also prozessuale Wirkung entfaltet) und materielles Rechtsgeschäft, weil
er als privatrechtlicher Vertrag (§ 779 BGB) auch das materiell-rechtliche Verhältnis der
Parteien hinsichtlich des Streitgegenstandes regelt.335
333 Ein Prozessvertrag ist ein Vertrag, dessen Hauptwirkung auf prozessrechtlichem Gebiet liegt (vgl. Musielak,
Gk-ZPO, Rn. 53). 334 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 794 Rn. 3. 335 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 794 Rn. 3.
251
Bsp.: K klagt gegen B auf Ersatz des gesamten Schadens aus einem Unfall vom 17.3. in Höhe
von 5000 €. Die Parteien vereinbaren
1) dass B seine Schadensersatzpflicht in Höhe von 4000 € anerkennt und K auf alle
weiteren Rechte aus dem Unfall verzichtet und
2) die zumindest stillschweigende Bedingung, dass der Prozess beendet sein soll.
Die in einem solchen Prozessvergleich enthaltenen auf den Streitgegenstand bezogenen
Regelungen bestehen grds. aus materiellrechtlichen Verträgen, im Bsp. aus drei Verträgen:
1) Hinsichtlich der von B anerkannten Schadensersatzpflicht des B in Höhe von 4000 €
liegt ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis vor. Durch dieses werden alle
Einwendungen des Schuldners B ausgeschlossen werden. Das Schuldanerkenntnis
bezieht sich also auf eine als vorhanden angesehene Verbindlichkeit.
2) Hinsichtlich der von K erlassenen Restforderung liegt ein Erlassvertrag gem.
§ 397 BGB vor.
3) Das deklaratorische Schuldanerkenntnis und der Erlassvertrag haben ihre causa in
einem dritten Vertrag, dem materiell-rechtlichen Vergleich i.S. des § 779 I BGB, der
schuldrechtlicher Vertrag ist.
Der Vergleich ist durch gegenseitiges Nachgeben gekennzeichnet; im Bsp. gibt durch den
Erlassvertrag, B durch das (deklaratorische) Schuldanerkenntnis nach.
2. Voraussetzungen des Prozessvergleichs (§§ 794 I Nr. 1, 160 III Nr. 1
ZPO, § 779 BGB)
1) Der Vergleich muss gem. § 794 I Nr. 1 ZPO zwischen den Parteien oder „zwischen einer
Partei und einem Dritten“ geschlossen worden sein.
Genauer müsste es heißen: „zwischen den Parteien und einem Dritten“.
An dem Vergleich müssen beide Parteien beteiligt sein, da weder der Kläger, noch der
Beklagte den Prozess alleine beendigen können.
252
2) Da der Prozessvergleich ein materiell-rechtlicher Vertrag ist, sind die allgemeinen
materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das wirksame Zustandekommen von Verträgen zu
beachten, §§ 145 – 156 BGB.336
3) Da der Prozessvergleich auch eine Prozesshandlung ist bzw. beinhaltet, müssen die
Erklärungen auch die Wirksamkeitsvoraussetzungen für Prozesshandlungen erfüllen;
insbesondere der Anwaltszwang (§ 78 ZPO) ist zu beachten.
Eine Ausnahme gilt für Dritte, die neben den Parteien den Prozessvergleich schließen und für
den Prozessvergleich vor dem beauftragten oder ersuchten Richter.337
4) Zweck des Vergleichs muss gem. § 794 I Nr. 1 ZPO die ganze oder teilweise Beilegung
des Rechtsstreits sein („seinem ganzen Umfang nach oder in Betreff eines Teils des
Streitgegenstandes“). Ihm muss also eine Prozessbeendigungsvereinbarung zumindest
hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstandes zu entnehmen sein. Zudem müssen die
Parteien hinsichtlich der zu diesem Zweck abgeschlossenen materiell-rechtlichen Verträge
verfügungsbefugt sein.338
5) Die getroffene Vereinbarung muss ein gegenseitiges Nachgeben der Parteien gegenüber
ihrem Begehren im Prozess bedeuten.339
6) Der Vergleich muss gem. § 794 I Nr. 1 ZPO grds. vor einem deutschen Gericht
abgeschlossen sein. Das bedeutet:
1. Die Vergleichserklärungen müssen in einer gerichtlichen Verhandlung
abgegeben werden.
2. Beide Parteien (bzw. deren Vertreter) müssen gleichzeitig anwesend sein.
In einem Anwaltsprozess (§ 78 ZPO) ist (wie z.B. auch im Falle der Säumnis
der Parteien) auf die Anwesenheit des Anwalts abzustellen.
3. Der Vergleich muss ordnungsgemäß protokolliert werden (§§ 160 III Nr. 1,
160 a, 162 I, 163 ZPO)
Beachte: die Klage muss jedoch nicht zulässig sein (erst recht nicht begründet).
336 Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, § 794 Rn. 10. 337 Vgl. Musielak, Gk-ZPO, Rn. 282. 338 Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, § 794 Rn. 13. 339 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 282.
253
3. Prozessuale Wirkung
Die Prozessbeendigungsabrede führt unmittelbar zur Beendigung des Prozesses.
Aufgrund des Dispositionsgrundsatzes haben es die Parteien in der Hand, durch ihren
übereinstimmenden Willen den Prozess unmittelbar zu beenden.
Ein in der Sache bereits ergangenes, aber noch nicht rechtskräftiges Urteil wird analog
§ 269 III 1 HS. 2 ZPO wirkungslos.
Über die Kosten wird meist im Vergleich eine Vereinbarung getroffen. Andernfalls gelten sie
gem. § 98 S. 2 i.V.m. S.1 ZPO als gegeneinander aufgehoben, es sei denn die Parteien haben
vereinbart, die Kostenentscheidung dem Gericht zu überlassen. Die Kostenentscheidung
ergeht dann gem. § 91 a ZPO ohne Rücksicht auf den Grundgedanken des § 98 ZPO.340
Ein Vollstreckungstitel gem. § 794 I Nr. 1 ZPO kann der Prozessvergleich natürlich nur sein,
soweit die Parteien eine Verpflichtung zu einer Leistung vereinbart haben.
4. Unwirksamkeit des Prozessvergleichs und deren Folgen
Aufgrund der Doppelnatur des Prozessvergleichs müssen für dessen Wirksamkeit sowohl
materiell-rechtliche, als auch prozess-rechtliche Wirksamkeitserfordernisse erfüllt sein (s.o.).
Unwirksamkeitsgründe können sich somit aus dem materiellen und aus dem Prozessrecht
ergeben.
Bsp.: fehlende Protokollierung
Fristgerechter Widerruf bei Widerrufsvorbehalt
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung usw.
Ist der Prozessvergleich unwirksam, so bleibt das Verfahren anhängig.
Ist eine Partei der Meinung, der Vergleich sei unwirksam, so kann sie bei dem Prozessgericht
die Fortsetzung des Verfahrens beantragen. Ist hingegen der Vergleich wegen nachträglicher
Ereignisse entfallen, z.B. Rücktritt gem. § 323 BGB, Fehlen bzw. Störung der
Geschäftsgrundlage oder vertragliche Aufhebung, so ändert dies nichts daran, dass der
340 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 98 Rn. 4
254
Prozess durch den ursprünglich wirksamen Vergleich beendet wurde und daher ein neuer
Rechtsstreit zu führen ist (str.). Entsprechendes gilt bei Streit über die Auslegung des
Vergleichsinhalts.
In diesem Fall prüft das Gericht zunächst die Wirksamkeit des Prozessvergleichs, denn nur in
diesem Fall ist das Verfahren nicht beendigt und entsprechend noch beim Gericht anhängig;
andernfalls fehlt es mit der Rechtshängigkeit des Verfahrens auch an dessen
Entscheidungsbefugnis.
• Kommt es zu dem Ergebnis, dass der Prozessvergleich unwirksam und deshalb das
Verfahren mangels Beendigungswirkung des Vergleichs noch rechtshängig ist, dann
setzt es das Verfahren „ganz normal“ fort.
• Kommt es dagegen zu dem Ergebnis, dass der Vergleich wirksam ist und deshalb das
Verfahren (aufgrund der verfahrensbeendigenden Wirkung des Vergleichs) nicht mehr
rechtshängig ist, reagiert es auf den Fortsetzungsantrag der Partei, indem es die
Erledigung des Rechtsstreits feststellt.
255
Teil 5: Weitere Prozessbeteiligte und –betroffene
A. Streitgenossenschaft
I. Begriff
Streitgenossen heißen mehreren Kläger oder Beklagte desselben Prozesses. In diesen Fällen
liegt eine subjektive Klagenhäufung vor. Die ZPO regelt die Streitgenossenschaft in den
§§ 59- 63 ZPO.
Bsp.: K klagt gegen B1 und B2 oder K1 und K2 klagen gegen B1 und B2 oder K1 und K2
klagen gegen B.
II. Entstehung
Zu einer Streitgenossenschaft kommt es,
• anfänglich, wenn schon in der Klageschrift mehrere Kläger oder/und Beklagte stehen
oder nachträglich
• durch Verbindung mehrerer Prozesse mit verschiedenen Parteien (§ 147 ZPO)
• durch nachträglichen Beitritt einer Partei
• oder auch bei Parteiwechsel, wenn an die Stelle der bisherigen Partei mehrere Personen
treten (Bsp.: die Erben des verstorbenen Beklagten E treten kraft Gesetzes (§ 1922
BGB) mit dem Erbfall an die Stelle der verstorbenen Partei341).
341 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 239 Rn. 1, v. § 50 Rn. 16; Parteiwechsel tritt bereits mit dem Tod des E ein, nicht
erst bei Aufnahme des unterbrochenen Prozess gem. § 239 ZPO.
256
III. Arten und Bedeutung
1. Materiell-rechtlich notwendige Streitgenossenschaft
a, Begriff
Von einer materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossenschaft ( = § 62 I 2. Alt ZPO) spricht
man, wenn die Streitgenossen nur gemeinschaftlich prozessführungsbefugt sind, d.h.
zulässigerweise nur gemeinsam klagen oder verklagt werden können.
Bsp.:342 - Gestaltungsklagen, wenn das Gestaltungsrecht mehreren gemeinsam
zusteht und nur durch gemeinsame Klage ausgeübt werden kann (§§ 117, 127,
133, 140 HGB),
- Aktivprozesse von Gesamthandsgemeinschaften, wenn die
Prozessführungsbefugnis nicht einem der Gesamthänder allein zusteht (§§ 432,
1422, 2038 I 2, 2039 BGB)
K klagt gegen die Miterben B1 und B2 auf Auflassung eines
Nachlassgrundstücks, das er vom Erblasser gekauft hatte. Wenn die Miterben
auf eine Leistung in Anspruch genommen werden, die sie nur gemeinsam
erbringen können, wie die Übereignung eines Nachlassgrundstücks (§ 2040 I
BGB), müssen sie gemeinsam verklagt werden; die Klage gegen nur einen
Miterben wäre unzulässig.
Die Miterben sind nur gemeinschaftlich passiv prozessführungsbefugt.
b, Wirkungen der materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossenschaft
• In diesem Fall kann über die Zulässigkeit der Klage nur einheitlich entschieden
werden, d.h. die Klage kann nur entweder insgesamt zugelassen werden oder insgesamt
342 Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, § 62 Rn. 1 ff.
257
abgewiesen werden. Dies gilt gerade auch dann, wenn der Mangel nur einem
Streitgenossen anhaftet.
Bsp.: Nur B1 ist prozessunfähig und ohne gesetzlichen Vertreter Klage ist
gegenüber B1 und B2 unzulässig, weil B2 nicht zulässigerweise alleine
verklagt werden kann.
• Auch über die Begründetheit der Klage kann in diesen Fällen nur einheitlich
entschieden werden.
Bsp.: Im obigen Bsp. kann die Auflassungsklage nur gegen beide begründet oder
gegen beide unbegründet sein.
• Grundsätzlich stehen die Streitgenossen gem. § 61 ZPO der Gegenpartei derart als
Einzelne gegenüber, dass die Handlungen des einen Streitgenossen dem anderen weder
zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen.
Die Verhandlung und die Beweisaufnahme werden deshalb grds. für jeden
Streitgenossen getrennt durchgeführt.
Dieser Grundsatz wird jedoch dadurch eingeschränkt, dass die Entscheidung in der
Sache notwendig dieselbe sein muss und der eine Streitgenosse nicht durch die
Untätigkeit des anderen Streitgenossen benachteiligt werden soll.
Deshalb gelten von obigem Grundsatz folgende Ausnahmen.
1) Die Wahrung eines Termins oder einer Frist durch einen Streitgenossen wirkt auch
gegenüber dem anderen, so dass insbesondere kein VU erlassen wird, wenn ein
Streitgenosse im Termin verhandelt. Der andere Streitgenosse gilt dann als durch
den anderen vertreten.
2) Dementsprechend wirken auch sonstige Prozesshandlungen eines Streitgenossen,
z.B. Klageänderung, Anerkenntnis oder Geständnis gegenüber den anderen
Streitgenossen, falls diese nicht rechtzeitig (§ 296 ZPO) widersprechen.
Im Falle des Widerspruchs ist keine der widersprüchlichen Prozesshandlungen
wirksam.
Bsp.: B1 erkennt die Klage als begründet an, B2 beantragt die Abweisung der Klage
als unbegründet. Weder das Anerkenntnis des B1, noch der Abweisungsantrag
258
ist wirksam und das Parteiverhalten wird so bewertet, als wäre zur
Begründetheit der Klage keine Stellung genommen worden.
3) Umgekehrt genügt es, dass der Gegner gegenüber einem Streitgenossen verzichtet
oder anerkennt usw. damit aufgrund seiner Prozessführung ein Urteil zugunsten
aller Streitgenossen ergehen kann.
2. Prozessrechtlich notwendige Streitgenossenschaft
a, Begriff
Von einer prozessrechtlich notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 I 1. Alt. ZPO – lesen!)
spricht man, wenn die Streitgenossen zwar jeder für sich allein prozessführungsbefugt sind,
ihnen gegenüber jedoch hinsichtlich der Begründetheit der Klage nur einheitlich entschieden
werden kann, d.h. das streitige Rechtsverhältnis allen gegenüber nur einheitlich festgestellt
werden kann.
Hierher gehören alle Fälle der Rechtskrafterstreckung, denn wenn bei nacheinander geführten
Prozessen nur ein und dieselbe Entscheidung ergehen kann, so muss dies erst recht gelten,
wenn die Prozesse verbunden werden und zugleich entschieden wird.343
b, Wirkungen der prozessrechtlich notwendigen Streitgenossenschaft
• Über die Zulässigkeit der Klage ist in diesen Fällen nicht notwendig einheitlich zu
entscheiden.
Bsp.: die Klage des K1 kann wegen Prozessunfähigkeit zurückgewiesen, die des K2
zugelassen werden.
• Über die Begründetheit der Klage ist dagegen auch hier einheitlich zu entscheiden.
343 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 62 Rn. 7.
259
• Hinsichtlich der Verhandlung und der Beweisaufnahme und der Wirkungen für den
jeweils anderen Streitgenossen gilt das oben (1. b,) im Fall der materiell-rechtlich
notwendigen Streitgenossenschaft Gesagte entsprechend.
3. Einfache Streitgenossenschaft
a, Begriff
Von einer einfachen Streitgenossenschaft spricht man, wenn die Streitgenossen jeder für sich
allein prozessführungsbefugt sind und weder hinsichtlich der Zulässigkeit, noch hinsichtlich
der Begründetheit eine einheitliche Entscheidung ergehen muss.
Bsp.: bei Gesamtschuldnern kann die Klage gegen den ersten Gesamtschuldner als
unzulässig abgewiesen werden, die Klage gegen den zweiten als unbegründet.
b, Wirkung der einfachen Streitgenossenschaft
Hier bleibt es ohne Ausnahmen bei § 61 ZPO, d.h. jeder Streitgenosse führt seinen Prozess für
sich alleine. Die Verhandlung, Beweisaufnahme und die Entscheidung findet nur gleichzeitig
statt, so dass sich jeder Streitgenosse Prozesshandlungen des anderen stillschweigend zu eigen
machen kann.
IV. Zulässigkeit
1. Streitgenossenschaft aufgrund gemeinschaftlicher Klage
• Die materiell-rechtlich notwendige Streitgenossenschaft ist schon deshalb zulässig,
weil alle Streitgenossen nur gemeinschaftlich klagen können.
• Bei der prozessrechtlich notwendigen und der einfachen Streitgenossenschaft bei der
jeder Streitgenossen allein prozessführungsbefugt ist, muss die Zulässigkeit der
Streitgenossenschaft dagegen eigens gerechtfertigt werden.
260
Sie ergibt sich aus §§ 59 und 60 ZPO (lesen!).
Als selbstverständlich vorausgesetzt ist in diesen Vorschriften, dass dieselbe Prozessart
gewählt ist und kein Verbindungsverbot besteht (s. dazu bereits bei der objektiven
Klagenhäufung).
Ist die Streitgenossenschaft unzulässig, so wird sie getrennt (§ 5 ZPO ist dann nicht
anwendbar).
Ist sie dagegen bloß unzweckmäßig, wird sie ebenfalls getrennt, § 145 I ZPO, § 5 ZPO
bleibt jedoch anwendbar (§ 261 III 2 ZPO).
2. Streitgenossenschaft aufgrund Prozessverbindung
Streitgenossenschaft kann auch durch Prozessverbindung entstehen, die unter den
Voraussetzungen des § 147 ZPO (lesen) zulässig ist.
261
B. Nebenintervention/Streithilfe
I. Begriff und Zweck
Die Nebenintervention bzw. Streithilfe (§ 66 ZPO – lesen!) ist die Beteiligung eines Dritten,
der nicht selbst Partei ist, an einem Rechtsstreit zur Unterstützung einer Partei (die
unterstützte Partei wird auch als Hauptpartei bezeichnet).
Der Nebenintervenient (auch Streitgehilfe/Streithelfer, im Folgenden NI) handelt im eigenen
Namen und neben oder anstatt der unterstützten Partei.344
Die Nebenintervention räumt Personen, deren rechtliches Interesse vom Ausgang des
Prozesses beeinflusst wird, die Möglichkeit ein, Einfluss auf diesen Prozess zu nehmen.
II. Voraussetzungen
1) Anhängigkeit eines Rechtsstreits zwischen anderen Personen
Die Nebenintervention ist möglich, solange ein Rechtsstreit zwischen anderen Personen
anhängig ist, d.h. von der Klageeinreichung bis zum Ende der Rechtshängigkeit (§ 261 ZPO),
also bis zur Rechtskraft des Urteils. In diesem Verfahren darf der NI nicht selbst Partei oder
gesetzlicher Vertreter einer Partei sein.
2) Rechtliches Interesse des NI (sog. Interventionsgrund)
Der NI muss ein rechtliches Interesse am Obsiegen der unterstützten Partei haben.
Die Rechtstellung des NI muss durch ein für die unterstützte Partei ungünstiges Urteil
rechtlich verschlechtert bzw. umgekehrt durch ein dieser günstiges Urteil rechtlich verbessert
werden.345 Es ist insbesondere gegeben in Fällen der Rechtskrafterstreckung auf den NI
(§§ 325 – 327 ZPO, § 407 II BGB) und Gestaltungswirkung (§ 133 HGB);346 zudem auch in
Fällen akzessorischer Haftung (Bürge, Verpfänder, Besteller der Hypothek).
344 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 66 Rn. 1. 345 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 66 Rn. 5. 346 Thomas/Putzo/Hüßtege, a.a.O.
262
Der praktisch wichtigste Fall ist der, dass die unterstützte Partei einen Anspruch gegen den NI
hätte, wenn sie im Rechtsstreit unterläge (Regressanspruch gegen den NI).347
Bsp.: K klagt gegen den Verkäufer V auf Schadensersatz wegen eines Sachmangels. Der
Lieferant (D) des Verkäufers hat ein rechtliches Interesse am Ausgang des Prozesses, weil
ihm gegenüber Regressansprüche des V drohen.
3) Wirksame Beitrittserklärung, § 70 ZPO
Der NI muss gem. § 70 ZPO (lesen!) seinen Beitritt wirksam erklären.
Der Beitritt erfolgt durch Einreichung eines Schriftsatzes mit dem Inhalt gem. § 70 I S. 2
ZPO.
Beachte: Die Beitrittserklärung kann beschränkt sein, d.h. der Beitritt des NI kann sich auf
einen Teil des Streitgegenstands bzw. bei mehreren Streitgegenständen nur auf einen
Streitgegenstand beziehen. Deshalb ist, wenn die Klage im Nachhinein erweitert wird, zu
beachten, dass die erfolgte Nebenintervention sich nicht automatisch auch auf den
nachträglich eingebrachten Teil erstreckt. Allerdings ist eine konkludente und formlose
Erweiterung der Beitrittserklärung möglich (Auslegung).348
4) Prozesshandlungsvoraussetzungen beim NI
Die Beitrittserklärung des NI ist eine Prozesshandlung, so dass der NI die allgemeinen
Prozesshandlungsvoraussetzungen erfüllen muss, insbesondere also partei-, prozess- und
postulationsfähig (d.h. im Anwaltsprozess anwaltlich vertreten, § 78 ZPO) sein muss.
347 Thomas/Putzo/Hüßtege, a.a.O. 348 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 66 Rn. 8.
263
III. Entscheidung des Gerichts über Beitrittserklärung
Das Gericht prüft v.A.w., ob die Prozesshandlungsvoraussetzungen beim NI vorliegen und die
Beitrittserklärung wirksam ist.
Fehlen sie, wird die Nebenintervention durch Beschluss zurückgewiesen (Beachte § 567 I
ZPO).
Dagegen prüft es nur auf Antrag einer Partei, ob die sachlichen Voraussetzungen der
Nebenintervention gegeben sind.
Mängel, die nicht gerügt werden, werden gem. § 295 I ZPO geheilt.
Stellt eine Partei den Antrag, die Nebenintervention zurückzuweisen, wird über die
Nebenintervention streitig mündliche verhandelt (Interventionsstreit) und schließlich darüber
durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO) entschieden.349
IV. Rechtsstellung des NI
1. Grundsatz
Gem. § 67 ZPO ist der NI berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen
und alle Prozesshandlungen vorzunehmen, soweit seine Handlungen nicht in Widerspruch zu
denen der Hauptpartei stehen. Er kann die Prozesshandlungen, die auch die unterstützte Partei
vornehmen könnte vornehmen, mit der Wirkung, als wenn sie die Partei selbst vorgenommen
hätte.350
Zwar handelt der NI im eigenen Namen, vertritt also nicht die Hauptpartei, aufgrund des § 67
ZPO kann die Hauptpartei aber völlig untätig bleiben und dem NI die Prozessführung
überlassen.351
Der NI kann352
- Tatsachen behaupten, bestreiten, gestehen, beweisen
- Anträge stellen, Streit verkünden
349 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 335. 350 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 67 Rn. 6. 351 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 67 Rn. 1. 352 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 67 Rn. 6.
NI kann Säumnisfolgen
abwenden
264
- Rechtsmittel einlegen und begründen
2. Beschränkungen
a, Bindung an die Lage des Rechtsstreits
Der NI ist an die Lage des Rechtsstreits, wie sie sich zur Zeit des Beitritts darstellt gebunden,
d.h. er kann die bis dahin eingetretene Prozesslage nicht mehr ändern, sondern übernimmt sie.
Dies gilt z.B. für:
• Geständnisse der Hauptpartei;
• Zustimmungen (z.B. in Klageänderung durch Gegenpartei, §§ 263, 269 ZPO);
• Zuständigkeit des Gerichts (§ 39 ZPO);
• Rügeverzicht gem. § 295 ZPO
b, Verbot widersprechender und sonstiger Prozesshandlungen
Die Prozesshandlungen des NI dürfen denen der Hauptpartei nicht widersprechen, § 67 ZPO,
d.h. der NI darf mit und ohne, aber nicht gegen den Willen der Hauptpartei handeln.353
Der NI darf deshalb insbesondere keine widersprechenden bzw. gegensätzlichen Anträge
stellen (wohl aber ergänzende oder erweiternde).
Bsp.:354
• Klageänderung, Klagerücknahme, Verzicht (§ 306 ZPO), Anerkenntnis (§ 307 ZPO)
soweit diese Prozesshandlungen im Widerspruch zum Willen der unterstützten Partei
stehen.
• Geständnis einer von der Hauptpartei bestrittenen Tatsache
• Widerruf der Prozesshandlungen der Hauptpartei
• Rechtsmittel einlegen gegen den Widerspruch oder Willen der Hauptpartei
353 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 338. 354 Vgl. Musielak, Gk-ZPO, Rn. 337; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 67 Rn. 13.
265
Auch sonstige Prozesshandlungen sind verboten, soweit sie der Rechtsverfolgung der
unterstützten Partei zuwiderlaufen, denn er handelt zur Unterstützung der Hauptpartei (§ 66 I
ZPO)
Bsp.: Verzicht auf Rechtsmittel
c, Materiell-rechtliche Willenserklärungen
Der NI darf bzw. kann nicht die materielle Rechtslage verändern, z.B. mit einer Forderung
der Partei aufrechnen, Prozessvergleich schließen.355
355 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 67 Rn. 15.
266
V. Wirkung der Nebenintervention
Die Nebeninterventionswirkung tritt ein zwischen dem NI zur unterstützen Partei
(Hauptpartei) und wird in einem Rechtsstreit zwischen diesen bedeutsam.356
Die Wirkung der Nebenintervention ist, dass das Gericht in einem späteren Rechtsstreit
zwischen dem NI und der Hauptpartei an das Urteil des Vorprozesses und die das Urteil
tragenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte gebunden ist, soweit
(1) diese im neuen Rechtsstreit streitig sind und
(2) dort zugunsten der Hauptpartei des Vorprozesses wirken (str.357) und
(3) das frühere Urteil auf ihnen beruht.
Zur Verdeutlichung:
Vorprozess: zwischen Hauptpartei und Gegenpartei Urteil1
unterstützt
Neuer Rechtsstreit: zwischen Hauptpartei und Nebeninterventient Urteil 2
Beachte: der Bindungsgegenstand bei der Nebeninterventionswirkung ist ein weiterer als der
der materiellen Rechtskraft: Übernommen wird vom Gericht hier nicht nur die im ersten
Urteil getroffene Entscheidung, sondern auch bestimmte vorgreifliche Feststellungen, d.h. die
tragenden Urteilsgründe sind hier ebenfalls von der Bindungswirkung umfasst.
Insbesondere erstreckt sich die Nebeninterventionswirkung auf für das erste Urteil
präjudizielle Rechtsverhältnisse.
356 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 68 Rn. 1. 357 Die h.M. verneint die Nebeninterventionswirkung zum Nachteil der Hauptpartei (vgl. Musielak, Gk-ZPO, Rn.
343).
Nebeninterventient
Bindung bei Entscheidungs-
findung bzgl. Urteil 2 auch an
Feststellungen des Urteils 1
267
Dieser Bindung kann der NI nur eingeschränkt entgegentreten, indem er mangelhafte
Prozessführung durch die Hauptpartei geltend macht. Da der NI jedoch selbst die Möglichkeit
hat, im Vorprozess Prozesshandlungen vorzunehmen, kann dieser Einwand nur insoweit zum
Erfolg führen, als der NI im Vorprozess gerade keine Möglichkeit hatte, auf den
Prozessverlauf Einfluss zu nehmen. Soweit also zur Zeit seines Beitritts eine bestimmte für
ihn unabänderliche Lage eingetreten war oder er durch den entgegenstehenden Willen der
Hauptpartei an bestimmten Prozesshandlungen gehindert war, kann er sich im Folgeprozess
darauf berufen und dadurch die Interventionswirkung beschränken.358
358 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 341.
268
C. Streitverkündung
Die Hauptpartei hat wegen der Nebeninterventionswirkung oft ein erhebliches Interesse
daran, dass ein Dritter als Nebeninterventient beitritt.
Durch die Nebeninterventionswirkung wird verhindert, dass der Erstprozess (zwischen
Hauptpartei und Gegenpartei) und der spätere Prozess (zwischen Hauptpartei und
Nebenintervenient) zum Nachteil der Hauptpartei mit unterschiedlichem ergebis entschieden
wird.359
Nach § 72 ZPO kann deshalb eine Partei (sog. Streitverkünder), die für den Fall des ihr
ungünstigen Ausgangs eines Rechtsstreits einen Anspruch gegen einen Dritten (sog.
Streitverkündungsempfänger) erheben könnte, die Nebeninterventionswirkung herbeiführen
(§ 74 III ZPO-lesen!), indem sie dem Dritten den Streit verkündet, ohne dass also ein Beitritt
des Dritten erforderlich ist.
Die Streitverkündung erfolgt in der Form des § 73 ZPO.
Voraussetzungen für die Streitverkündung:
1. anhängiger Rechtsstreit
2. Streitverkündungsgrund (§ 72 I ZPO, s.o.)
3. Prozesshandlungsvoraussetzungen (da die Streitverkündung eine Prozesshandlung ist)
Wirkung der Streitverkündung:
Gem. § 74 ZPO ist danach zu unterscheiden, ob der Dritte nach der Streitverkündung dem
Streitverkünder beitritt.
• Tritt er bei, so gelten gem. § 74 I ZPO die Grundsätze der Nebenintervention.
• Tritt er nicht bei, so wird der Rechtstreit gem. § 74 II ZPO fortgesetzt, jedoch sind
gegen ihn die Vorschriften des § 68 ZPO anzuwenden, d.h. die
Nebeninterventionswirkung tritt ein.
359 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 349.
269
D. Parteiänderung
Die Parteiänderung gliedert sich in gesetzliche und gewillkürte Parteiänderung.
Die gesetzliche Parteiänderung betrifft hauptsächlich den gesetzlichen Parteiwechsel im
Falle des Todes eines Partei, §§ 239 ff. ZPO i.V.m. dem Rechtsgedanken des § 1922 BGB
sowie den sog. „Amtsverwalterfällen“ (z.b. § 85 InsO) und der gesetzlichen
Parteierweiterung, § 856 III, IV ZPO.
Die gewillkürte Parteiänderung ist hingegen komplizierter, da gesetzliche Regelungen
fehlen.
Die gewillkürte Parteierweiterung (Parteibeitritt) bedeutet das Hinzutreten eines neuen
Klägers bzw. eines neuen Beklagten zu dem laufenden Rechtsstreit. Dies kann passieren
entweder durch Verbindung durch das Gericht gem. § 147 ZPO oder durch weitere Klage
eines neuen Klägers oder gegen einen weiteren Beklagten. Notwendig ist im letzten Fall, da
eine nachträgliche Streitgenossenschaft entsteht, die Erfüllung der Voraussetzungen des §§ 59
f. ZPO (str.; nach a.A. ist nur über § 147 ZPO eine gewillkürte Parteierweiterung möglich).
Die Rechtsprechung behandelt die gewillkürte Parteierweiterung in der ersten Instanz nach
den Regeln über die Klageänderung, § 263 ZPO (Klageänderungstheorie), so dass sie
Sachdienlichkeit oder Einwilligung des Beklagten verlangt.
Auf der Klägerseite ist nötig neben der weiteren Klage des neuen Klägers die Zustimmung
des alten Kläger (nicht bei Verbindung über § 147 ZPO). Nur in der Berufungsinstanz ist
Zustimmung des Beklagten nötig.
Auf der Beklagtenseite ist neben der weiteren Klage gegen den neuen Beklagten nur in der
Berufungsinstanz die Zustimmung des neuen Beklagten nötig (da jede Person jederzeit
verklagt werden kann).
Der gewillkürte Parteiwechsel wird von der Rechtsprechung (zumindest) in der ersten
Instanz ebenfalls nach den Regeln über die Klageänderung, § 263 ZPO
(Klageänderungsthorie) behandelt.
Auf der Klägerseite ist neben der Erklärung des neuen Klägers und der Zustimmung des alten
Klägers die Zustimmung des Beklagten erfordorderlich; nach der Rechtsprechung kann auch
270
hier die Sachdienlichkeit die Einwilligung ersetzten (allerdings nicht im Sonderfall des § 265
II 2 ZPO, BGH NJW 1996, 2799).
Auf der Beklagtenseite ist neben der Erklärung des Klägers die Zustimmung des alten
Beklagten erforderlich (Rechtsgedanke des § 269 I ZPO, BGH NJW 1981, 989 f.). In der
Berufungsinstanz ist die Einwilligung des neuen Beklagten erforderlich (es sei denn sie wird
rechtsmißbräuchlich verweigert).
Die Rechtshängigkeit tritt gegenüber den neuen Partei erst mit wirksamer Parteiänderung ein.
Geständnis, Anerkenntnis oder Verzicht der ausgeschiedenen Partei können widerrufen
werden, sofern keine Einwilligung der Partei vorher vorlag.
Da in diesem Bereich der gewillkürten Parteiänderung nahezu alles umstritten ist, ist es für
die Fallbearbeitung ratsam, folgende Grundgedanken zu berücksichtigen:
1. § 269 I ZPO: Beklagtenschutz; der Beklagte nach nach dem Beginn der Verhandlung
zur Hauptsache ein Recht auf ein Urteil.
2. Niemand muss ohne seine Zustimmung einen laufenden Rechtsstreit übernehmen,
wenn er an dessen Lage und bisherige Ergebnisse gebunden sein soll, die ohne ihn
zustande gekommen sind.